05 / 2024
Die Fachzeitschrift ORTHOPÄDIE TECHNIK ist die maßgebliche Publikation für das OT-Handwerk und ein wichtiger Kompass für die gesamte Hilfsmittelbranche.
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Prothetik<br />
V. Hoursch 1 , M. Egger 1 , L. Pardo 2 , V. Witowski 1 , L. Jopp 1 , M. Kalff 1,2 ,<br />
L. Lorbeer 1 , L. Niehage 3 , O. Breitenstein 4 , S. Sehmisch 1 , J. Ernst 1,2<br />
Agonisten-Antagonisten Myoneural-Interface<br />
(AMI) – eine<br />
neue Versorgungsdimension für<br />
den transtibialen Stumpf?<br />
Agonist-antagonist Myoneural Interface (AMI) – a New Treatment<br />
Dimension for the Transtibial Limb?<br />
1<br />
Medizinische Hochschule Hannover, Klinik<br />
für Unfallchirurgie, Carl-Neuberg-Straße 1,<br />
30625 Hannover, Deutschland<br />
2<br />
Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie<br />
und Plastische Chirurgie, Universitätsmedizin<br />
Göttingen, Deutschland<br />
3<br />
OTM, John + Bamberg GmbH & Co. KG,<br />
Hannover<br />
4<br />
OTM, Brandes & Diesing OHG, Hannover<br />
Myodese, Myoplastik und Myopexien<br />
sind operative Techniken, die<br />
eine Refixierung der Muskulatur im<br />
Stumpf zur Polsterung des distalen<br />
Knochenendes und der muskulären<br />
Führung des Stumpfes beschreiben.<br />
Eine Ruptur oder Dislokation<br />
der Muskeltransposition am transtibialen<br />
Amputationsstumpf kann<br />
zu einer insuffizienten Weichteildeckung,<br />
immobilisierenden Ulzerationen,<br />
Stumpfschmerzen und bei sehr<br />
aktiven Unterschenkelamputierten<br />
zu biomechanischen Einschränkungen<br />
beim Gehen führen. Das Agonisten-Antagonisten-Myoneural-Interface<br />
(AMI) beschreibt eine neue<br />
Operationsmethode, bei der Muskel-Agonisten<br />
und -Antagonisten<br />
gezielt miteinander gekoppelt werden.<br />
Durch die Wiederherstellung<br />
des Agonisten-Antagonisten-Gefüges<br />
konnten die Erstbeschreiber den<br />
Lagesinn der amputierten Extremität<br />
(Pro priozeption) rekonstruieren<br />
und eine verbesserte motorische<br />
Kon trolle des Stumpfes, der Prothese<br />
und des Gehvermögens aufzeigen.<br />
In dieser Arbeit stellen wir unsere<br />
ersten Ergebnisse mit dieser Operationstechnik<br />
im Rahmen transtibialer<br />
Amputationen, die Komplikationen<br />
und den Einfluss dieser Operationstechnik<br />
auf den Stumpf vor.<br />
Schlüsselwörter: Unterschenkelamputation,<br />
Myodese, Myoplastik,<br />
Agonist-Antagonist-Myoneurale<br />
Schnittstelle (AMI), Propriozeption<br />
Myodesis, myoplasty and myopexy<br />
are surgical techniques describing<br />
the refixation of the muscles in the<br />
residual limb to cushion the distal<br />
end of the bone and to improve<br />
motor control of the residual limb.<br />
At transtibial amputees a rupture or<br />
dislocation of this cushion can lead<br />
to insufficient soft tissue coverage<br />
on the ventral, distal tibia. This leads<br />
often to ulcerations, residual limb<br />
pain and, in very active transtibial<br />
amputees, restrictions in walking.<br />
The Agonist-Antagonist-Myoneural-Interface<br />
(AMI) describes a new<br />
surgical method in which muscle agonists<br />
and antagonists are selectively<br />
coupled. By restoring the agonist-antagonist<br />
muscle strain the inventors<br />
could demonstrate restored proprioception,<br />
improved motor control of<br />
the residual limb and the prosthesis<br />
and improved gait. In this paper<br />
we present the first results with this<br />
surgical technique for transtibial amputations,<br />
its complications, and the<br />
influence of this surgical technique<br />
on residual limb circumference.<br />
Key words: Transtibial Amputation,<br />
Myodesis, Myoplasty, Agonist-Antagonist<br />
Myoneural Interface (AMI),<br />
Proprioception<br />
Allgemeines und<br />
Prävalenzen<br />
In Deutschland werden jährlich ca.<br />
56.000 Amputationen durchgeführt.<br />
Die Amputationszahlen steigen gegenwärtig<br />
jährlich um 6,7 %. Gleichzeitig<br />
sinken dabei die Zahlen an Majoramputationen<br />
[1].<br />
11,5 % dieser Amputationen sind<br />
transtibiale Amputationen [1]. Aus<br />
biomechanischer Perspektive ist eine<br />
transtibiale Amputation mit Erhalt<br />
der Kniegelenkfunktion einer Oberschenkelamputation<br />
und Knieexartikulation<br />
überlegen. Kurze transtibiale<br />
Stümpfe können bis zu einer Länge<br />
von 5–6 cm und Erhalt des Ansatzes<br />
der Patellarsehne funktionell sein [2].<br />
Chirurgische Grundprinzipien<br />
der transtibialen Amputation<br />
und ihre Modifikationen<br />
Chirurgische Zielgrößen für eine erfolgreiche<br />
prothetische Versorgung sind<br />
ein funktioneller, sensibler und suffizient<br />
weichteilgedeckter Stumpf [3].<br />
Stumpflänge<br />
Bei der Planung der Osteotomiehöhe<br />
bleibt eine Tibialänge von 5 cm funktionell<br />
prothetisch versorgbar. Ab einer<br />
Tibialänge von 8 cm wird empfohlen,<br />
die Fibula zu entfernen, da<br />
auf dieser Höhe die Membrana interossea<br />
fehlt und es so zu Druckstellen<br />
aufgrund der häufigeren Dislokation<br />
der Fibula kommen kann [3]. Brückner<br />
beschrieb für vaskulär kompromittierte<br />
Patienten, dass eine Tibialänge<br />
von 9 cm mit weniger Kompli<br />
82<br />
ORTHOPÄDIE TECHNIK <strong>05</strong>/24