05 / 2024
Die Fachzeitschrift ORTHOPÄDIE TECHNIK ist die maßgebliche Publikation für das OT-Handwerk und ein wichtiger Kompass für die gesamte Hilfsmittelbranche.
Die Fachzeitschrift ORTHOPÄDIE TECHNIK ist die maßgebliche Publikation für das OT-Handwerk und ein wichtiger Kompass für die gesamte Hilfsmittelbranche.
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Prothetik<br />
ständnis und die Fertigkeit, mit der<br />
verbliebenen Muskulatur unterschiedliche<br />
Signale zur Ansteuerung der Prothese<br />
zu produzieren. Zum Erlernen<br />
der Ansteuerungen und damit zur Umsetzung<br />
einer sicheren Nutzung der<br />
Prothese sind die Klienten auf ein interdisziplinäres<br />
Versorgungsteam, vor<br />
allem Orthopädietechniker und Therapeuten,<br />
angewiesen.<br />
Wie tiefgreifend die Beeinträchtigung<br />
der Lebenssituation durch eine<br />
Amputation ist, wird in Äußerungen<br />
von Klienten sichtbar: „… das war ein<br />
ziemlicher Schock – ist das wirklich<br />
passiert oder ist das nur ein Traum?<br />
Ich kann meine Arbeit nicht mehr<br />
machen, ich brauch im Alltag bei allem<br />
Möglichen Hilfe. Ich will zumindest<br />
meinen Alltag wieder normal machen<br />
können und kein drittes Kind<br />
für meine Frau sein.“ Dies berichtete<br />
ein Betroffener beim ersten Kontakt<br />
im Anamnesegespräch.<br />
Der Wunsch, ein verloren gegangenes<br />
Körperteil zu ersetzen, scheint<br />
so alt zu sein wie die Entwicklung des<br />
technischen Fortschritts. So wurde<br />
in einem ägyptischen Grab der hölzerne<br />
Ersatz eines Großzehs gefunden<br />
[1]. Die Mumie wurde auf die Zeit<br />
etwa 950 bis 700 vor Christus datiert.<br />
Die erste Eigenkraftprothese für eine<br />
Hand entwickelte der Berliner Zahnarzt<br />
Peter Baliff um 1812 und könnte<br />
damit als Vorreiter der modernen<br />
Armprothesen bezeichnet werden.<br />
Die Anforderungen an eine künstliche<br />
Extremität waren wohl damals<br />
ebenso anspruchsvoll wie heute: Die<br />
Prothese sollte die verloren gegangene<br />
Funktion wiederherstellen. Mit modernster<br />
Technik kann eine Prothese<br />
mittlerweile so konstruiert werden,<br />
dass sie, dass sie spezielle Griffe ausführt,<br />
dass z. B. eine Computermaus<br />
bedienet werden kann. Die technischen<br />
Möglichkeiten und die Anbindung<br />
an unseren Körper reichen jedoch<br />
noch nicht aus, um einen gesunden,<br />
funktionierenden Arm oder eine<br />
Hand zu ersetzen.<br />
Ein großes Problem stellt dabei die<br />
direkte Rückmeldung aus der Prothese<br />
an den Benutzer dar. Das heißt, die<br />
gesamte Sensibilität und Propriozeption<br />
(zu den aktuellen Positionen in<br />
den Gelenken, zum Krafteinsatz, zur<br />
Oberflächenberührung) kann aus der<br />
Prothese noch nicht an den Körper zurückgemeldet<br />
werden. Jakubowitz [2]<br />
berichtet davon, dass die aktuellen<br />
Feedbacksysteme auf einer sensorischen<br />
Substitution basieren und somit<br />
von einer wirklichkeitsnahen<br />
Rückkopplungskontrolle noch weit<br />
entfernt sind. Diese Defizite müssen<br />
die Betroffenen beim Gebrauch einer<br />
Prothese kompensieren. So ist es notwendig,<br />
dass gezielte Bewegungen immer<br />
mit Blickkontakt ausgeführt werden.<br />
Jede Bewegung benötigt eine aufwändige<br />
Bewegungsplanung für den<br />
Einsatz der Prothese im Alltag.<br />
Wie auch Meinecke-Allekotte [3]<br />
berichtet, ist es für ein bestmögliches<br />
Outcome unumgänglich, die Klienten<br />
frühzeitig auf die Nutzung einer<br />
Prothese vorzubereiten und neu zu<br />
erlernende Fähigkeiten zu trainieren.<br />
Hier spielt unter anderem die enge Zusammenarbeit<br />
mit einem erfahrenen<br />
Orthopädietechniker eine ausschlaggebende<br />
Rolle. In enger Abstimmung<br />
zwischen Orthopädietechnik und<br />
Therapie können die Feinabstimmungen<br />
der Komponenten an der Prothese<br />
und deren Ansteuerungen entsprechend<br />
dem Muskelpotenzial des<br />
Stumpfes vorgenommen werden.<br />
Mittlerweile sind auf dem Hilfsmittelmarkt<br />
eine Vielzahl unterschiedlicher<br />
myoelektrischer Prothesen<br />
erhältlich. Jede Prothese verfolgt<br />
ein eigenes Konstruktionskonzept.<br />
Die Berücksichtigung der individuellen<br />
Bedürfnisse und Wünsche zum<br />
Prothesengebrauch [4] ist notwendig,<br />
damit die geeignete Prothese für den<br />
jeweiligen Betroffenen ausgewählt<br />
werden kann. Um mit der eigenen<br />
Prothese bestmöglich umgehen zu<br />
können, ist es unumgänglich, dass<br />
Patienten in der Bedienung und Anwendung<br />
intensiv geschult werden.<br />
Je komplexer eine Prothese konstruiert<br />
ist, umso anspruchsvoller gestalten<br />
sich die Bedienung und das Training.<br />
Ein fehlendes Prothesentraining<br />
kann auch zur Ablehnung des Klienten<br />
gegenüber der Prothese führen.<br />
Laut Biddiss et al. [5] ist diese Ablehnung<br />
ein komplexes Thema und abhängig<br />
von persönlichen, kontextuellen<br />
und technischen Faktoren. Roeschlein<br />
und Domholdt [6] zeigen, dass<br />
einer der Ablehnungsfaktoren ein fehlendes<br />
Training nach einer Prothesenanpassung<br />
ist. Dromerick et al. [7] ergänzen<br />
zudem, dass intensives Training<br />
zur Prothesenbenutzung die<br />
Leistungen der oberen Extremität<br />
verbessert. Dies bedeutet, dass man<br />
dieser Ablehnung durch gezielte Therapie<br />
und interprofessionelle Zusammenarbeit<br />
entgegenwirken kann und<br />
sollte. Auch Weeks, Anderson und<br />
Wallace [8] empfehlen, so bald wie<br />
möglich nach der Amputation eine<br />
Prothese anzupassen und mit dem<br />
Training zu beginnen.<br />
Ein möglichst gutes Outcome für<br />
den Betroffenen ist mit bestimmten<br />
Voraussetzungen verbunden. Neben<br />
einer abgeschlossenen Narbenheilung,<br />
einer guten Stumpfstabilität<br />
und Stumpfform sind auch das soziale<br />
Umfeld, eine notwendige Medikation<br />
sowie psychische oder physische<br />
Begleiterkrankungen zu beachten.<br />
Die Einbindung von anderen betroffenen<br />
Personen, sogenannten Peers,<br />
kann einen sehr positiven Effekt auf<br />
die Verarbeitung und Akzeptanz der<br />
Situation haben.<br />
Dem allgemein hohen Kostendruck<br />
folgend verkürzen sich die Zeiten<br />
des stationären Aufenthalts, wohingegen<br />
die Verletzungen komplexer<br />
und die Prothesenbedienung komplizierter<br />
werden. Grifka und Kuster [9]<br />
haben bereits 2011 darauf hingewiesen,<br />
dass die Entscheidungen, welche<br />
Prothese für den Betroffenen am besten<br />
ist, vom individuellen Nutzen für<br />
den Amputierten abhängig gemacht<br />
werden. Diesem individuellen Nutzen<br />
ist auch ein individuell abgestimmtes<br />
Prothesentraining gegenüberzusetzen.<br />
Aus diesem Grund war es uns ein<br />
Anliegen, ein effizientes Training zu<br />
konzipieren, das den ICF-Ansprüchen<br />
genauso entspricht wie den modernen<br />
medizinisch-rehabilitativen Anforderungen.<br />
Prothesentraining<br />
Die Behandlung nach Amputation<br />
kann in 2 Phasen unterteilt werden.<br />
Phase 1 ist das präprothetische<br />
Training. Phase 2, die Prothesengebrauchsschulung,<br />
beinhaltet das Erlernen<br />
der Grundfunktionen der Prothese,<br />
das Anwenden der Prothese bei<br />
einzelnen Aktivitäten und ein Teilhabetraining.<br />
Das präprothetische Training beinhaltet:<br />
– Narbenbehandlung<br />
– Auseinandersetzung mit dem veränderten<br />
Körperbild bzw. dem bestehendem<br />
Phantomgefühl<br />
ORTHOPÄDIE TECHNIK <strong>05</strong>/24<br />
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