Die Wirtschaft Köln - Ausgabe 03 / 24
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Titelstory | w<br />
Mit 13 Jahren floh sie ohne ihre Eltern aus dem Iran nach Deutschland. Auf das Abitur<br />
in der neuen Sprache folgten Marketingstudium und Agenturgründung. 15 Jahre später<br />
ließ sie das Agenturleben hinter sich, um den Verein seiSTARK e. V. ins Leben zu rufen.<br />
Im Interview verriet sie uns unter anderem, warum ihre Oma ihr größtes Vorbild<br />
war, was sie dazu veranlasst hat, das Agenturleben hinter sich zu lassen, und wie eine<br />
für sie erfolgreiche Integrationspolitik in unserem Sozialstaat aussehen könnte.<br />
w: Wann hatten Sie zuletzt<br />
einen richtig schönen langweiligen Tag?<br />
Emitis Pohl: Oh, das ist eine schwierige Frage!<br />
Wissen Sie, Langeweile und ich, wir sind<br />
so etwas wie zwei Fremde, die sich nicht oft<br />
begegnet sind. Als Workaholic kenne ich<br />
das Gefühl kaum. Aber mal ehrlich, wer<br />
würde sich nicht ab und zu nach einem richtig<br />
schönen langweiligen Tag sehnen? Ich<br />
glaube, ich sollte mir einen Langeweile-Kalender<br />
zulegen und sehen, ob ich so einen<br />
Tag irgendwo einplanen kann!<br />
w: Bei Ihren vielseitigen<br />
Tätigkeiten, Ihren sozialen Engagements<br />
und Ihrer Familie bleibt ja auch kaum<br />
Raum für lange Entspannung. Apropos<br />
Entspannung: Wie relaxen Sie?<br />
Emitis Pohl: Tatsächlich ist es manchmal<br />
eine Herausforderung, Zeit für Entspannung<br />
zu finden. Doch wenn ich mir mal<br />
eine Auszeit gönne, dann bevorzuge ich<br />
verschiedene Methoden, um zur Ruhe zu<br />
kommen: Dazu gehören Besuche im Hamam<br />
oder Wellness, gemütliches Kaffeetrinken<br />
in netter Gesellschaft oder Musikhören am<br />
Strand, wann immer es möglich ist. Meine<br />
älteste Tochter motiviert mich dazu, zumindest<br />
fünf Minuten täglich zu meditieren.<br />
Das gelingt mir schon mal zwei- bis dreimal<br />
im Monat. Meistens sind meine Akkus am<br />
Ende des Jahres so leer, dass mich mein Körper<br />
alarmiert. Das ist wie ein innerer Weckruf,<br />
der mir signalisiert, dass ich mir Zeit<br />
nehmen muss, um die Akkus aufzuladen.<br />
w: Sie kommen aus einem<br />
wohlhabenden Elternhaus im Iran und<br />
sind als 13-Jährige allein ohne Eltern zu<br />
Ihrer Großmutter nach Hamburg geflüchtet.<br />
Ängstlich waren Sie offensichtlich<br />
nicht? Was war Ihre Motivation?<br />
Emitis Pohl: <strong>Die</strong> Wahrheit ist, dass Angst ein<br />
ständiger Begleiter war – ein Schatten, der<br />
mich auf jedem Schritt verfolgte. Jeder Neuanfang<br />
ist mit Ängsten verbunden, besonders<br />
für ein 13-jähriges Mädchen, das von<br />
seinen Eltern getrennt wird. Es war keine<br />
leichte Entscheidung, die meine Eltern treffen<br />
mussten. Krieg herrschte in unserem<br />
Land, und sie hatten keine andere Wahl,<br />
als mich ins Ausland zu schicken, um mir<br />
ein sicheres Leben zu ermöglichen. Warum<br />
Deutschland, fragen viele. Nun, als kleines<br />
Mädchen verbrachte ich jeden Sommer in<br />
Deutschland und den USA im Urlaub. Meine<br />
Oma hat die Vormundschaft übernommen,<br />
jedoch hatte ich mit 13 Jahren meine eigene<br />
Wohnung. Mein Vater hatte als Geschäftsmann<br />
viel mit deutschen Firmen zu tun. Für<br />
meine Eltern war die Bedingung, dass sie<br />
mich oft besuchen kommen, und umgekehrt<br />
auch. Es war für alle Beteiligten eine äußerst<br />
schwierige und emotionale Zeit. Dennoch<br />
hatte ich schon in jungen Jahren den starken<br />
Wunsch, dem Land zu entkommen, und<br />
so entwickelte ich einen eigenen Willen und<br />
lernte frühzeitig, selbstständig zu sein.<br />
w: Sie haben dem damals<br />
aufkommenden Mullahregime sehr schnell<br />
den Rücken gekehrt, als Ihnen klar war, dass<br />
Sie sich seinen patriarchalischen ultrareligiösen<br />
Vorschriften nie fügen würden.<br />
Emitis Pohl: Ja, das ist korrekt. Mir wurde<br />
in jungen Jahren schon klar, dass ich mich<br />
diesen Werten niemals würde unterordnen<br />
können. <strong>Die</strong> Idee, mich den rigiden Normen<br />
und Restriktionen zu beugen, widersprach<br />
meinen eigenen Überzeugungen und meinem<br />
Verständnis von Freiheit und Selbstbestimmung.<br />
Deshalb entschied ich mich,<br />
dem Regime den Rücken zu kehren und<br />
meine eigenen Wege zu gehen, auch wenn<br />
es bedeutete, meine Heimat und meine Eltern<br />
schon so früh zu verlassen.<br />
w: Was konnte Ihnen Ihre<br />
Großmutter mit auf den Weg geben?<br />
Emitis Pohl: Meine Großmutter war mein<br />
größtes Vorbild, denn sie verkörperte Stärke,<br />
Bildung, Unabhängigkeit, Mut und politisches<br />
Engagement. In den 70er-Jahren<br />
im Iran wagte sie es, sich mit drei kleinen<br />
Kindern scheiden zu lassen und als alleinerziehende<br />
Mutter ihr Leben und das ihrer<br />
Kinder selbst zu gestalten. Sie war eine Pionierin,<br />
die zusammen mit anderen Frauen<br />
einen Verein gründete, um Frauen in Politik<br />
und Gesellschaft zu fördern. Wenn ich das<br />
Bild von ihrem Verein aus dieser Zeit neben<br />
meins heute stelle, fühlt es sich an wie ein<br />
Déjà-vu. Ich bin stolz darauf, dass ich das<br />
Glück hatte, von einem so großartigen Vorbild<br />
in meinem Leben begleitet zu werden.<br />
w: Das muss wohl so<br />
nachhaltig gewesen sein, dass Sie sehr zielstrebig<br />
Deutsch gelernt haben, sich schnell<br />
integrierten, Abitur machten und studierten.<br />
All das spricht ja schon für sich.<br />
Emitis Pohl: Ja, ich glaube wirklich, dass die<br />
Werte, die man als Kind vermittelt bekommt,<br />
sowie die Vorbilder im Leben eine immense<br />
Rolle spielen. Mein Vater schickte mich nach<br />
Deutschland und versprach, mein Leben zu<br />
finanzieren, unter der Voraussetzung, dass<br />
ich fleißig lerne, um etwas aus mir zu machen.<br />
Er war streng in gewisser Hinsicht, sehr<br />
autoritär. Ich bemerke, dass ich bei der Erziehung<br />
meiner eigenen Kinder einige dieser<br />
Eigenschaften übernommen habe. Deutsch<br />
habe ich zwar im Laufe der Zeit recht gut<br />
gelernt, aber mit der deutschen Grammatik<br />
stehe ich bis heute auf Kriegsfuß. Ich bin der<br />
festen Überzeugung, dass es wichtig ist, sich<br />
als Fremder in einem neuen Land schnell<br />
zu integrieren, um ein einfacheres und besseres<br />
Leben in der neuen Heimat zu führen.<br />
Ich sage immer, ich trage zwei Herzen<br />
in meiner Brust: Eine Seite ist sehr deutsch,<br />
geprägt von Pünktlichkeit, Organisation und<br />
Offenheit, während die andere Seite sehr persisch<br />
ist, voller Emotionen, Spontaneität und<br />
Gastfreundschaft. Man darf seine Herkunft<br />
niemals verleugnen, aber man sollte auch<br />
zu seinem neuen Zuhause stehen. <strong>Die</strong>se Mischung<br />
macht mich aus.<br />
w: Was war Ihr<br />
Beweggrund, relativ früh nach Ihrem<br />
Marketingstudium eine Werbeagentur zu<br />
gründen?<br />
Emitis Pohl: Meine Beweggründe hierzu waren<br />
vielschichtig: Einerseits wollte ich meine<br />
Unabhängigkeit beweisen und auch meinem<br />
Vater zeigen, dass seine Tochter ihr Versprechen<br />
gehalten hat und es geschafft hat. Für<br />
mich war Erfolg nie ausschließlich an Unternehmertum<br />
gebunden; jeder definiert Erfolg<br />
anders. Als ich mich selbstständig machte,<br />
hatte ich bereits zwei kleine Kinder und war<br />
33 Jahre alt. Es war zweifellos ein riskanter<br />
Schritt, aber als Frau mit zwei Kleinkindern<br />
konnte ich in einer angestellten Position in<br />
einer Agentur nicht die berufliche Entwicklung<br />
und Flexibilität erreichen, die ich mir<br />
wünschte. <strong>Die</strong> Gründung meines eigenen<br />
Unternehmens war auch von inspirierenden<br />
Vorbildern geprägt, wie meinem Vater<br />
und meinem ersten Kunden, die mich motivierten<br />
und darin bestärkten, meinen eigenen<br />
Weg zu gehen. Als Frau, jung und dazu<br />
noch mit Migrationshintergrund, hatte ich es<br />
nicht leicht in der männerdominierten Businesswelt.<br />
Doch schon seit meinen ersten Tagen<br />
in Deutschland wusste ich, dass Aufgeben<br />
keine Option ist.<br />
w: Sie führten viele Jahre<br />
in <strong>Köln</strong> erfolgreich diese Werbeagentur,<br />
wurden u. a. von der Mittelstandsvereinigung<br />
der CDU zur Unternehmerin des Jah-<br />
www.diewirtschaft-koeln.de 7