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Frankreich_erleben_La_Roque_d_Antheron

Artikel über das " Festival de piano de La Roque d'Anthéron ", veröffentlicht im deutschen Magazin "Frankreich erleben" (Nr. 67, Sommer 2018) www.frankreicherleben.de

Artikel über das " Festival de piano de La Roque d'Anthéron ", veröffentlicht im deutschen Magazin "Frankreich erleben" (Nr. 67, Sommer 2018) www.frankreicherleben.de

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DAS UNABHÄNGIGE FRANKREICH-MAGAZIN Nr. 67 · Sommer 2018<br />

LAVENDELBLÜTE 2018: KARTE UND KALENDER · JURA · ATLANTIKKÜSTE · PROVENCE<br />

<strong>La</strong>vendel<br />

Eine überraschende deutsch-französische Geschichte<br />

Extra: <strong>La</strong>vendelblüte 2018 – Karte und Kalender<br />

Atlantikküste<br />

Ein Paradies für Naturismus<br />

Wandern<br />

Die schönsten Küstenwege<br />

Provence<br />

Mit Giono auf dem Berg der Schäfer<br />

Jura<br />

Salz: Das weiße Gold prägt eine ganze Region<br />

Rezept Tarte Bourdaloue: Genuss aus Birnen und Mandeln<br />

Ernährung Vorsicht vor triploiden Austern!<br />

Geschichte Neandertaler: Unser Urahn erhält ein neues Image<br />

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Schweiz 10,90 CHF<br />

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Italien 7,00 €


ART DE VIVRE Kultur<br />

Festival de Piano<br />

de <strong>La</strong> <strong>Roque</strong><br />

d’Anthéron<br />

Hervorragende Musik,<br />

Natur und Unkompliziertheit<br />

Von den rund 1400 Musikfestivals, die jeden Sommer<br />

in <strong>Frankreich</strong> stattfinden, gibt es eines, dessen Besuch<br />

besonders lohnenswert ist: das Klaviermusikfestival in<br />

<strong>La</strong> <strong>Roque</strong> d‘Anthéron. Dank dieser Veranstaltung zieht<br />

dieses friedliche Dorf im Luberon seit 1981 im Sommer<br />

einen Monat lang herausragende Pianisten aus der<br />

ganzen Welt an, die dort inmitten der Natur knapp<br />

80 000 Menschen mit ihrer Musik verzaubern. In einem<br />

Punkt sind sich alle Festivalbesucher einig: Das seltene<br />

Erlebnis, das sie hier haben, hat nichts mit der oft<br />

einschüchternden und steifen Atmosphäre eines<br />

Konzertsaals zu tun. Im Gegenteil: Die ganz ohne<br />

Chichi präsentierte Musik harmoniert perfekt mit dem<br />

natürlichen Umfeld, in dem sie vorgetragen wird, und<br />

weckt dadurch erstaunliche Emotionen.<br />

In <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> d‘Anthéron werden die Flügel<br />

immer mit einem Traktor bis zum Konzertort<br />

transportiert. Dabei ist höchste Vorsicht geboten<br />

Das Lustige daran ist, dass ich eigentlich überhaupt kein besonderes<br />

Faible für Musik hatte; in meiner Jugend hat sich keiner<br />

« dafür interessiert. Die einzige Musik, die ich hörte, waren die<br />

Beatles. Ich dachte, klassische Musik sei etwas für reiche Menschen.<br />

Und doch würde ich heute um Nichts in der Welt eine Ausgabe des<br />

Fes tivals von <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> d’Anthéron versäumen. Ist das nicht irgendwie<br />

unglaublich? » Paul Gaillard arbeitete früher in der psychiatrischen Pflege<br />

und ist heute Rentner. In diesem Sommer wird er erneut ein beeindruckendes<br />

Team von mehr als hundert freiwilligen Helfern leiten, die<br />

sich engagiert für das Festival von <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> d›Anthéron einsetzen. Paul<br />

gehört zu den Dienstältesten unter ihnen, zu denen, die noch die Anfänge<br />

des Festivals miterlebt haben. Für ihn begann alles 1977, als er mit<br />

seiner Frau hierher in das Dorf <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> d’Anthéron zog. « Es ist wirklich<br />

ein ruhiges Dorf, genau das, was wir suchten. Nachdem wir uns<br />

eingerichtet hatten, beschlossen wir, uns bei Monsieur le Maire vorzustellen.<br />

Das erschien uns das Normalste auf der Welt, zumal wir Lust<br />

hatten, uns in das Leben der Gemeinde einzubringen. Wir hatten also<br />

um einen Termin beim Bürgermeister, Paul Onoratini, gebeten, der uns<br />

auch gleich empfing. Offensichtlich war er sehr glücklich darüber, neue<br />

Einwohner zu haben. So trafen wir uns das erste Mal. »<br />

78 · <strong>Frankreich</strong> <strong>erleben</strong> · Sommer 2018


<strong>Frankreich</strong> <strong>erleben</strong> · Sommer 2018 · 79


ART DE VIVRE Kultur<br />

Die täglichen Meisterkurse des Festivals finden in Zelten statt, die an verschiedenen Orten im Park des Château de Florans<br />

stehen. Dabei werden junge Talente von renommierten Musikern unterrichtet. Die Meisterkurse sind ebenfalls für das<br />

Publikum geöffnet. Auf dem Bild rechts zu sehen sind die Geschwister Victor, Joseph und Justine Mistral des Trio Mistral.<br />

Im <strong>La</strong>ufe der Zeit lernten sich die beiden Pauls immer<br />

besser kennen und schätzen. Als der Bürgermeister<br />

1980 seinen neuen Mitbürger in ein verrücktes Projekt<br />

einweihte, das ihm für das Dorf vorschwebte, hörte ihm<br />

dieser nicht nur sehr interessiert zu, sondern sicherte ihm<br />

vor allem sofort seine Unterstützung zu. « Es war so »,<br />

erinnert sich Paul Gaillard heute, « dass Paul Onoratini<br />

René Martin kennengelernt hatte, einen leidenschaftlichen<br />

Musikliebhaber, der darüber hinaus ein Spezialist<br />

für die Organisation von Konzerten und Festivals war.<br />

Gemeinsam hatten sie die Idee, in Aix-en-Provence oder<br />

in der Umgebung ein Klaviermusikfestival auf die Beine<br />

zu stellen. » Paul Onoratini bewohnte damals das Château<br />

de Florans in <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> d‘Anthéron, das er gleichzeitig<br />

renovierte und nach und nach in ein Zentrum für medizinische<br />

Behandlung und Ernährungsberatung – die<br />

heutige Clinique du Château de Florans – umwandelte. Er<br />

lud René Martin ein und zeigte ihm unter anderem den<br />

grandiosen Park, in dem 365 Platanen und hundertjährige<br />

Mammutbäume stehen und in dem sich auch eine weitläufige<br />

Lichtung befindet. Schnell schoss den beiden ein<br />

Gedanke durch den Kopf: Und wenn das Festival nun hier<br />

in diesem Park, unter freiem Himmel stattfinden würde?<br />

So fand im Sommer 1981 die erste Auflage des Festivals<br />

von <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> d‘Anthéron statt, bei dem 9000 Besucher<br />

die zwölf Konzerte besuchten, die auf der einzigartigen<br />

Bühne im Park des Château de Florens gegeben<br />

wurden. Dank der unglaublichen Beziehungen von René<br />

Martin waren damals bereits einige sehr renommierte Interpreten<br />

vor Ort: Sviatoslav Richter, Youri Egorov, Vlado<br />

Perlemuter, Martha Argerich, Krystian Zimerman …<br />

« Zugegebenermaßen war das Vorhaben vollkommen<br />

verrückt », erinnert sich Paul Gaillard. « Als Platz für die<br />

Bühne bot sich lediglich ein schöner Rasen beziehungsweise<br />

eine Wasserfläche an. Nach einigem Nachdenken<br />

fand René Martin, dass die Bühne unbedingt auf der<br />

Wasserfläche errichtet werden müsse, um die beste Akustik<br />

zu erzielen. Damit ergab sich allerdings ein anderes<br />

Problem: Inmitten des Wassers befand sich ein Felsen<br />

mit einer Wasserfontäne. Es war nicht einfach, dafür eine<br />

Lösung zu finden und den Felsen zu umgehen. Doch mit<br />

viel Gewitztheit ist es uns gelungen: Die Konzerte konnten<br />

stattfinden. » Und so konnten René Martin und Paul<br />

Onoratini mit Unterstützung einiger freiwilliger Helfer<br />

und Musikfreunde ab 1981 in einem verlorenen Provinznest<br />

des Luberon dieses Festival auf die Beine stellen. Und<br />

das an einem Ort, der augenscheinlich nicht gerade geeignet<br />

war, die Crème de la Crème der Klaviermusikszene<br />

anzuziehen.<br />

Man kommt um die Feststellung nicht umhin, dass die<br />

Idee eingeschlagen hat: Im vergangenen Jahr waren 635<br />

Musiker an der 37. Auflage des Festivals beteiligt, 77 230<br />

80 · <strong>Frankreich</strong> <strong>erleben</strong> · Sommer 2018


Besucher kamen zu den insgesamt 92 Konzerte, die an 13<br />

Veranstaltungsorten stattfanden. Wie jedes Jahr musizierten<br />

während des einmonatigen Festivals einige der größten<br />

Namen der Klaviermusik in <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> d‘Anthéron.<br />

Und das nicht ohne Grund, denn « <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> », wie das<br />

Festival gemeinhin genannt wird, gehört inzwischen zu<br />

den « Pflichtveranstaltungen » für Pianisten, für die ein<br />

Auftritt dort jedoch keine Pflicht, sondern ein Vergnügen<br />

ist. Vermutlich macht gerade das den Unterschied aus.<br />

Ein Auftritt beim Festival in <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> d‘Anthéron<br />

ist für jeden Künstler eine neue Erfahrung und ein einzigartiges<br />

Erlebnis. Bei den meisten Konzerten, die<br />

diese international renommierten Musiker gewöhnlich<br />

in Konzertsälen auf der ganzen Welt geben, sind sie von<br />

der Außenwelt abgeschottet. Hier dagegen ist die Nähe<br />

zum Publikum – und vor allem zur Natur – ein wesentlicher<br />

Bestandteil: Ob auf der Hauptbühne des Château de<br />

Florens oder an einem der 14 anderen Orte, an denen in<br />

diesem Sommer die Konzerte der 38. Auflage des Festivals<br />

stattfinden werden, der Künstler und sein Instrument<br />

bilden während des Konzertes – soweit möglich – eine<br />

Einheit mit dem Publikum und der Umgebung.<br />

Bei diesen Konzerten herrscht dank der lauen provenzalischen<br />

Sommerabende – aber auch dank der bewusst<br />

moderaten Preispolitik – eine Atmosphäre, die nichts mit<br />

dem gemeinsam hat, was man normalerweise von Klassikkonzerten<br />

gewöhnt ist. In <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> d‘Anthéron genießen<br />

die Besucher nicht nur die Musik, sondern auch die<br />

Umgebung. Und vor allem stellen alle fest, dass gängige<br />

Konventionen über den Haufen geworfen werden: Die<br />

Organisatoren fordern geradezu dazu auf, vor dem Konzert<br />

im Park zu picknicken, und man setzt alles daran,<br />

den Kontakt zwischen Musikern und Publikum zu fördern.<br />

Ein kleines Detail spricht beispielsweise Bände: Die<br />

herrlichen Steinway-Flügel, für die immer äußerste Sorgfalt<br />

gilt und die nur « mit Samthandschuhen » angefasst<br />

werden, werden bei diesem Festival mit ganz normalen<br />

Traktoren zu den Veranstaltungsorten transportiert! Natürlich<br />

lassen die Organisatoren – vor allem aber Denijs<br />

de Winter, der fantastische und international renommierte<br />

Klavierstimmer des Festivals – die gebührende Vorsicht<br />

walten, doch alleine die Präsenz von Traktoren zeigt den<br />

Kontext dieser Konzerte auf, die an ganz unerwarteten<br />

Orten unter freiem Himmel stattfinden.<br />

Und gerade dort, inmitten der freien Natur, findet<br />

Abend für Abend unweigerlich ein kleines Wunder statt.<br />

Sowohl Künstler als auch Publikum, alle spüren es. Ist<br />

es das beeindruckende Zuhörvermögen der Konzertbesucher?<br />

Das mehr oder weniger diskrete Geräusch des<br />

Windes, der durch die Bäume streicht? Das oftmals so<br />

besondere Mondlicht? Die Eule, die mitten im Konzert<br />

über die Köpfe der Menschen fliegt? Der musikalische<br />

Beitrag der Zikaden zwischen zwei Musiknoten? Niemand<br />

kann wirklich sagen, woran es liegt, aber eines<br />

<strong>Frankreich</strong> <strong>erleben</strong> · Sommer 2018 · 81


ART DE VIVRE Kultur<br />

Die große Bühne im Park des Château de Florans ist ein einzigartiger Konzertsaal inmitten der<br />

Natur. Ein ausgeklügeltes System aus Platten sorgt für eine perfekte Akustik. Während der Konzerte<br />

mischen sich regelmäßig zirpende Grillen und Eulenschreie zwischen die Musiknoten.<br />

ist sicher: Bei « <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> » erscheint die Musik ganz<br />

besonders erhaben. So besonders, dass die größten Interpreten<br />

sich für dieses Festival begeistern und nicht davor<br />

zurückschrecken, ihren Terminplan über den Haufen zu<br />

werfen, um hier auftreten zu können. Sie wissen auch,<br />

dass sie optimale Bedingungen vorfinden. Jeder Künstler<br />

genießt beispielsweise am Morgen vor seinem Konzert<br />

den seltenen Luxus, auf der Bühne mehrere Flügel –<br />

selbstverständlich nur Instrumente der Marke Steinway<br />

– ausprobieren zu können. Es steht ihm frei, sich für<br />

denjenigen zu entscheiden, der ihm für seine Darbietung<br />

am geeignetsten erscheint.<br />

Eine weitere Besonderheit: Das Publikum ist zu diesen<br />

Proben ebenfalls eingeladen. Jeden Morgen hat man also<br />

die seltene Gelegenheit, mehr über die Beziehung zwischen<br />

Künstler und Instrument zu erfahren. Man kann<br />

versuchen, dessen Entscheidung für eines der Instrumente<br />

nachzuvollziehen. Nach diesen morgendlichen Proben<br />

finden in kleinen Zelten, welche im Schlosspark an mehreren<br />

Orten aufgestellt sind, sehr interessante Meisterkurse<br />

statt. Ab neun Uhr werden junge Musiker, die bereits<br />

über ein hohes künstlerisches Niveau verfügen, von renommierten<br />

Lehrern unterrichtet. Auch diesen Meisterkursen<br />

kann das Publikum beiwohnen. Auf diese Weise<br />

fungiert das Festival auch als Förderer und Vermittler<br />

musikalischer Exzellenz an die jüngere Generation, und<br />

das Publikum trifft nicht nur ganz zwanglos die « Wunderkinder<br />

» von heute, sondern auch die von morgen.<br />

Inzwischen reisen die Besucher alljährlich aus der ganzen<br />

Welt an, um die Darbietungen erstklassiger Pianisten<br />

im Schatten der Platanen des Château de Florans zu hören<br />

– oder an anderen, ebenfalls herausragenden Orten, an<br />

denen inzwischen Konzerte im Rahmen dieses Festivals<br />

stattfinden (siehe untenstehende Liste der Festivalorte).<br />

« <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> » entwickelt sich dabei von Jahr zu Jahr<br />

weiter, öffnet sich nicht nur für zeitgenössische Musik<br />

und Jazz, sondern auch für ganz unerwartete, alternative<br />

Veranstaltungsorte wie die Friche la Belle de Mai in Marseille.<br />

René Martin, der langjährige künstlerische Leiter<br />

des Festivals, versteht es, die Leitlinie von « <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> »<br />

beizubehalten, die gleichzeitig dessen prägendes Merkmal<br />

ist: nicht « abheben » zu wollen, sondern stattdessen<br />

das fast « familiäre » Festival zu bleiben, dessen Ambiente<br />

nichts mit dem in einem Konzertsaal zu tun hat und das<br />

gegenüber der Welt und künstlerischem Schaffen offen<br />

ist. In dieser Beziehung ist das Festival von <strong>La</strong> <strong>Roque</strong><br />

d‘Anthéron mit Sicherheit eines der interessantesten und<br />

ausgefallensten Festivals in <strong>Frankreich</strong>!<br />

82 · <strong>Frankreich</strong> <strong>erleben</strong> · Sommer 2018


Marie-Claude Alcaraz: In der Tat, wir sind schon als<br />

Kinder mit dem Festival in Berührung gekommen. Alles<br />

hat mit unserem Vater, Paul Onoratini, begonnen, der damals<br />

Bürgermeister von <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> d‘Anthéron war. Nachdem<br />

er René Martin kennengelernt hatte, entwickelten<br />

die beiden Freunde ein für die damalige Zeit neuartiges<br />

Konzept für ein « einfaches » Klaviermusikfestival, das<br />

nicht snobistisch sein, sondern möglichst vielen Menschen<br />

die Musik nahebringen sollte. Da zu Beginn nicht viele<br />

an dieses Konzept glaubten, musste die ganze Familie zunächst<br />

bei der <strong>La</strong>ncierung des Projekts und später dann<br />

bei der Umsetzung mithelfen. Ich erinnere mich gut daran,<br />

wie wir uns bei den ersten Festivals um Plakatierung,<br />

Eintrittskarten, Gestaltung der Veranstaltungsorte kümmerten<br />

… Jeder musste alles machen. Das war normal,<br />

und wir freuten uns darüber, mit anpacken zu können.<br />

2006, nach dem Tod unseres Vaters, erschien es uns logisch,<br />

dieses schöne Abenteuer fortzusetzen.<br />

Wie schafft man es, die Seele des Festivals zu bewahren?<br />

Interview<br />

Jean-Pierre Onoratini, Präsident des Festivals<br />

und Sohn des Mitbegründers, Paul Onoratini,<br />

und seine Schwester, Marie-Claude Alcaraz.<br />

Jeder spürt, dass das Festival von <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> d‘Anthéron etwas<br />

Einladendes und Familiäres hat. Dies gilt für Sie natürlich in<br />

besonderem Maße …<br />

Jean-Pierre Onoratini: Das ist eine Frage, die wir uns<br />

oft stellen, denn sie ist sehr wichtig für uns. Alle lieben<br />

heute « <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> »: Die Besucherzahl ist von 9000 bei<br />

der ersten Auflage im Jahr 1981 auf knapp 80 000 im<br />

vergangenen Jahr gestiegen, das ist enorm. Es ist wichtig,<br />

das zu bewahren, was uns unterscheidet. Man darf weder<br />

alle Partnerschaften noch alle Subventionen akzeptieren,<br />

wie so viele andere Festivals dies tun. Wir legen Wert auf<br />

unsere Unabhängigkeit und darauf, ein Festival in einer<br />

überschaubaren Größe zu bleiben. Hier geht etwas vor<br />

sich, das über die Musik hinausgeht. Ich denke da an die<br />

Schönheit der Orte und die menschlichen Beziehungen,<br />

die viel dazu beitragen.<br />

Manche international renommierten Konzertveranstalter<br />

haben Mühe, bestimmte Musiker zu engagieren. Dieselben<br />

Musiker würden aber für nichts in der Welt « <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> » auslassen.<br />

Wie erklären Sie sich das?<br />

Marie-Claude Alcaraz: Ich glaube, sie finden hier<br />

etwas, was ihnen große Konzertsäle nicht bieten können:<br />

Unkompliziertheit. Man muss die Zeitpläne dieser<br />

Künstler gesehen haben. Sie springen von einem Flugzeug<br />

ins nächste, reisen von Hauptstadt zu Hauptstadt,<br />

ziehen von einem Hotel ins andere. Und immer müssen<br />

sie repräsentieren. Stellen Sie sich vor, welche Freude sie<br />

wohl empfinden, hier vor einem wunderbaren Flügel zu<br />

sitzen, der speziell für sie gehegt, gepflegt und gestimmt<br />

wurde, der aber ganz einfach inmitten der Natur steht …<br />

Das ändert zwangsläufig alles. Und auch wir haben unsere<br />

kleinen Gewohnheiten: Nach dem Konzert ist es beispielsweise<br />

Brauch, den (oder die) Künstler des jeweiligen<br />

Abends zum Essen einzuladen. So wie man es mit Freunden<br />

machen würde. Die Musiker schätzen diese familiäre<br />

Atmosphäre, weil sie so etwas letztendlich nur selten<br />

haben. Im Allgemeinen geht das bis ein Uhr morgens.<br />

Wir verbringen einige Stunden damit, über alles und jedes<br />

zu diskutieren. Oft sind das einmalige Begegnungen.<br />

<strong>Frankreich</strong> <strong>erleben</strong> · Sommer 2018 · 83


ART DE VIVRE Kultur<br />

Das Essen mit Barbara Hendricks ist uns zum Beispiel in<br />

wunderbarer Erinnerung geblieben.<br />

Was denken diese Künstler vom Publikum des Festivals?<br />

Jean-Pierre Onoratini: In dieser Beziehung sind sich<br />

alle einige, sie beten dieses Publikum an. Alle stimmen<br />

darin überein, dass das Zuhörvermögen hier beeindruckend<br />

ist, jeder Musiker nimmt während seines Auftritts<br />

eine unglaubliche Stille wahr. Die Tatsache, sich in der<br />

Natur zu befinden, mit den Geräuschen der Natur konfrontiert<br />

zu sein, trägt viel dazu bei. Als ob die Menschen<br />

vollkommen « woanders » wären, egal ob es sich dabei um<br />

begeisterte Musikfreunde handelt oder um Menschen, die<br />

sich gerade mit dieser Musik vertraut machen.<br />

Ändert dies das Verhältnis zwischen Künstler und Publikum?<br />

Marie-Claude Alcaraz: In der Tat. Bei den Konzerten<br />

herrscht eine Nähe, die manchmal zu Dingen führt, die in<br />

einem herkömmlichen Konzertsaal undenkbar wären. Ich<br />

Die verschiedenen Festivalorte<br />

erinnere mich beispielsweise an einen außerordentlichen<br />

Augenblick, der schon lange zurückliegt. Während einer<br />

Vorstellung begann es plötzlich zu regnen. Nur die Bühne<br />

war überdacht. Das Publikum begann, sich mehr schlecht<br />

als recht mit Regenkleidung zu schützen. Ohne seinen<br />

Vortrag zu unterbrechen, bedeutete daraufhin der große<br />

brasilianische Pianist Nelson Freire dem Orchester, zusammenzurücken.<br />

Gleichzeitig lud er die Zuhörer ein, auf die<br />

Bühne zu kommen, um vor dem Regen Schutz zu suchen.<br />

So ging das Konzert in einer unglaublichen Nähe zwischen<br />

Publikum und Musikern zu Ende, alle waren durch die<br />

<strong>La</strong>unen des Wetters und durch die Musik vereint. Das war<br />

ein spontaner, einfacher und unvergesslicher Moment!<br />

<br />

38. Festival International de Piano de <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> d’Anthéron<br />

<br />

20. Juli bis 18. August 2018<br />

Parc du Château de Florans<br />

13640 <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> d’Anthéron<br />

Telefon: +33 (0)4 42 50 51 15<br />

Informationen und Ticketverkauf:<br />

www.festival-piano.com<br />

Park du Château de Florans<br />

Avenue Paul Onoratini, 13640 <strong>La</strong> <strong>Roque</strong><br />

d’Anthéron, 2020 Plätze.<br />

Dies ist die historische Hauptbühne<br />

des Festivals und gleichzeitig eine der<br />

spektakulärsten, da sie sich mitten in<br />

der Natur befindet. Sie alleine steht<br />

bereits für die besondere Atmosphäre<br />

dieser Veranstaltung, vor allem wegen<br />

des Freilichtauditoriums mit seiner<br />

außergewöhnlichen akustischen<br />

Qualität und wegen der zahlreichen<br />

Bereiche im Park, an denen Konzerte und<br />

Meisterkurse stattfinden.<br />

Kreuzgang der Abbaye de Silvacane<br />

Avenue de Silvacane, 13640 <strong>La</strong> <strong>Roque</strong><br />

d’Anthéron, 330 Plätze.<br />

Die Ab baye de Silva cane gilt neben<br />

Sénanque und Thoronet als eines der<br />

Schmuckstücke unter den Zister zienserabteien<br />

der Provence. Ihr Kreuzgang<br />

bietet ein intimes und schlichtes<br />

Ambiente, das sich vor allem für<br />

Cembalokonzerte sehr gut eignet.<br />

Centre sportif et culturel Marcel Pagnol<br />

<strong>La</strong> <strong>Roque</strong> d’Anthéron, 1050 Plätze.<br />

Carrières de Rognes<br />

Route de Saint-Cannat, 13840 Rognes<br />

(9 km von <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> d’Anthéron entfernt),<br />

900 Plätze.<br />

Die ehemaligen Steinbrüche in<br />

Rognes liegen rund zwanzig Kilometer<br />

nordwestlich von Aix-en-Provence<br />

und bieten einen erhabenen Rahmen<br />

zwischen Himmel, Erde und Steinen, der<br />

für seine besondere Akustik bekannt ist.<br />

Regelmäßige Besucher schätzen vor<br />

allem das Zirpen der Zikaden und Grillen,<br />

die von den von der Sonne aufgeheizten<br />

Steinen angezogen werden und sich<br />

abends während der Konzerte – meist<br />

Jazz – regelmäßig « zu Wort melden ».<br />

Temple de Lourmarin<br />

Rue du Temple, 84160 Lourmarin<br />

(15 km von <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> d’Anthéron entfernt),<br />

316 Plätze.<br />

Die protestantische Kirche in Lourmarin<br />

wurde ab 1806 mit Spenden von<br />

Protestanten erbaut und ist eine der<br />

wenigen, die eine monumentale Orgel<br />

besitzen. Auch hier ist das Umfeld schlicht<br />

und die Akustik bemerkenswert.<br />

Notre-Dame de Beaulieu<br />

Rue de l’Église, 84160 Cucuron (16 km von<br />

<strong>La</strong> <strong>Roque</strong> d’Anthéron entfernt), 363 Plätze.<br />

Das kleine Dorf Cucuron liegt rund<br />

8 km östlich von Lourmarin, von <strong>La</strong><br />

<strong>Roque</strong> d’Anthéron aus gesehen auf der<br />

gegenüberliegenden Seite der Durance.<br />

Es besitzt eine schöne Kirche mit einem<br />

romanischen Kirchenschiff und einer<br />

gotischen Apsis. Die Kirche Notre-Dame<br />

de Beaulieu ist berühmt für ihre Orgel, die<br />

1786 von Pierre Duges, einem Orgelbauer<br />

84 · <strong>Frankreich</strong> <strong>erleben</strong> · Sommer 2018


aus Aix-en-Provence, aus den Einzelteilen<br />

einer aus dem Jahr 1614 stammenden<br />

Orgel von Pierre Marchand gebaut<br />

wurde. Die Konzerte dort sind aufgrund<br />

der Akustik besonders eindrucksvoll.<br />

Notre-Dame de l’Assomption<br />

Place des Poilus, 13410 <strong>La</strong>mbesc (17 km<br />

von <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> d’Anthéron entfernt), Kirche<br />

510 und Vorplatz 485 Plätze.<br />

Die Kirche Notre-Dame de l‘Assomption<br />

in <strong>La</strong>mbesc (17 km östlich von Salonde-Provence)<br />

stammt aus dem<br />

18. Jahrhundert und wurde ganz im<br />

Barockstil erbaut. Ihre Akustik eignet sich<br />

besonders gut für Kammermusikkonzerte.<br />

Musée Granet<br />

Place Saint-Jean de Malte, 13100 Aixen-Provence<br />

(30 km von <strong>La</strong> <strong>Roque</strong><br />

d’Anthéron entfernt), 198 Plätze.<br />

Das Musée Granet gehört zu den<br />

kulturellen Highlights in Aix-en-Provence.<br />

Es liegt mitten im Stadtzentrum und<br />

besitzt einen wunderbaren Innenhof,<br />

der besonders Klavierkonzerten einen<br />

schönen Rahmen bietet.<br />

Kirche Saint-Jean-de-Malte<br />

Place Saint-Jean de Malte, 13100 Aixen-Provence<br />

(30 km von <strong>La</strong> <strong>Roque</strong><br />

d’Anthéron entfernt), 420 Plätze.<br />

Die Kirche Saint-Jean-de-Malte war<br />

die erste Kirche der Provence, die im<br />

gotischen Stil erbaut wurde. Sie diente<br />

ursprünglich als Mausoleum für die<br />

Familienangehörigen der Grafen der<br />

Provence und besitzt eine berühmte<br />

Orgel, deren bemalte Seitenflügel<br />

Cézanne gewidmet sind. In dieser Kirche<br />

findet 2018 ein Orgelkonzert statt.<br />

aus hat man einen Panoramablick über<br />

den Luberon. Das Théâtre des Terrasses<br />

ist bekannt dafür, dass es Publikum und<br />

Künstlern ein intimes Ambiente bietet und<br />

daher ideal für Klavierkonzerte ist.<br />

Château-Bas<br />

Chemin des Rigauds, 13105 Mimet (54 km<br />

von <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> d’Anthéron entfernt), 700<br />

Plätze.<br />

Rund 20 km südlich von Aix-en-Provence<br />

befindet sich im Dorf Mimet ein elegantes<br />

Schloss aus dem 17. Jahrhundert mit<br />

einem fünf Hektar großen botanischen<br />

Garten: Château-Bas. Die Bühne wird<br />

direkt vor der Schlossfassade errichtet.<br />

Théâtre Silvain<br />

Anse de la Fausse Monnaie, Chemin du<br />

Pont, 13007 Marseille (62 km von <strong>La</strong> <strong>Roque</strong><br />

d’Anthéron entfernt), 2300 Plätze.<br />

Das Théâtre Silvain ist eine<br />

Freilichtbühne mit rund 2300 Plätzen<br />

im 7. Arrondissement von Marseille, in<br />

unmittelbarer Nähe des Meeres. Es<br />

wurde am 14. Juli 1923 von Eugène Silvain<br />

und seiner Frau Madeleine – beides<br />

Mitglieder der Comédie-Française –<br />

eröffnet. Am Rande sei erwähnt, dass<br />

dieses Grundstück Dominique Piazza<br />

gehörte, dem Erfinder der Postkarte. 1999<br />

wurde dieser Ort vollständig renoviert.<br />

Friche la Belle de Mai<br />

Rue Jobin, 13303 Marseille (62 km von <strong>La</strong><br />

<strong>Roque</strong> d’Anthéron entfernt) 3500 Plätze.<br />

Die Friche la Belle de Mai, eine<br />

ehemalige Tabakmanufaktur, von der<br />

aus man einen Blick über die Dächer<br />

von Marseille hat, strahlt etwas von<br />

Underground und urbaner Subkultur aus.<br />

Sie beherbergt neben 70 künstlerischen<br />

Einrichtungen, in denen täglich 400<br />

Künstler und Produzenten arbeiten,<br />

auch einen Veranstaltungsort mit 600<br />

kulturellen Angeboten pro Jahr: vom<br />

Workshop für Kinder bis hin zu großen<br />

Festivals. Innerhalb weniger Jahre<br />

entwickelte sie sich zu einem der<br />

ultimativen Orte in der Kulturszene von<br />

Marseille. In diesem Jahr findet dort im<br />

Rahmen des Festivals von <strong>La</strong> <strong>Roque</strong><br />

d’Anthéron ein Konzert mit Klezmermusik<br />

(der traditionellen jüdischen Musik aus<br />

Ost- und Mitteleuropa) statt.<br />

Théâtre Antique d’Arles<br />

Rue de la Calade, 13200 Arles (78 km<br />

von <strong>La</strong> <strong>Roque</strong> d’Anthéron entfernt), 1900<br />

Plätze.<br />

Das antike Theater von Arles wurde Ende<br />

des 1. Jahrhunderts v. Chr. – also rund<br />

ein Jahrhundert vor seinem Nachfolger,<br />

dem illustren Amphitheater der Stadt –<br />

erbaut. Mit 102 Metern Durchmesser und<br />

den 33 Rängen, von denen allerdings<br />

ein Großteil nicht mehr existiert, ist es vor<br />

allem im Sommer eine beliebte Bühne<br />

für Veranstaltungen, zur großen Freude<br />

der Besucher, die die Akustik dieses Ortes<br />

schätzen.<br />

Théâtre des Terrasses<br />

Le Château, 84050 Gordes (45 km von <strong>La</strong><br />

<strong>Roque</strong> d’Anthéron entfernt), 495 Plätze.<br />

Mitten im Dorfzentrum schmiegt sich das<br />

Schloss von Gordes an den Fels. Von dort<br />

<strong>Frankreich</strong> <strong>erleben</strong> · Sommer 2018 · 85

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