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Endlich Urlaub_2024-04_1_40-2-red

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STRESS IM URLAUB:<br />

Strategien gegen den Freizeitstress im Sommer<br />

Hamburg - Grillparty mit Freunden, Straßenfest,<br />

Picknick mit der Familie. Und baden<br />

gehen wollte man doch auch noch.<br />

Und Kanufahren. Das Open-Air-Kino besuchen.<br />

Und in dieser Aufzählung steckt<br />

noch nicht einmal der <strong>Urlaub</strong>. Gerade im<br />

Sommer neigen viele von uns dazu, viele<br />

Pläne zu machen. Atemlos von Aktivität zu<br />

Aktivität zu hechten, hat allerdings nicht<br />

mehr viel mit dem Sinn von Freizeit zu tun:<br />

Erholung finden. Stattdessen macht sich<br />

Stress breit, ein Gefühl von Druck, Überlastung<br />

und Anspannung. Die Unzufriedenheit,<br />

nicht alles schaffen zu können.<br />

Plötzlich ist man erschöpft von eigentlich<br />

schönen Dingen.<br />

BERUFSTÄTIGE UND ELTERN<br />

EHER BETROFFEN<br />

«Beim Freizeitstress ist es der Druck, was<br />

man alles machen sollte, eine körperliche<br />

und geistige Anspannung angesichts der<br />

Aktivitäten und im Ergebnis eine Überlastung»,<br />

sagt der Freizeitwissenschaftler Ulrich<br />

Reinhardt. Sind bestimmte Menschen<br />

besonders anfällig für Freizeitstress? Laut<br />

Reinhardt sind da zum einen die Berufstätigen,<br />

die den Spagat zwischen Job und<br />

Freizeit schaffen müssten. Zum anderen<br />

seien Eltern anfälliger als Singles. Auch<br />

Jugendliche stünden unter einem großen<br />

Druck, das zu erfüllen, was «man» machen<br />

müsse. Unabhängig von Alter und<br />

Lebenssituation ist es oft auch die Angst,<br />

etwas zu verpassen. Dieses Phänomen<br />

heißt übersetzt «Fear Of Missing Out»,<br />

kurz «FOMO». Dabei spielen die eigenen<br />

Ansprüche und die Erwartungen anderer<br />

eine Rolle. «Die meisten Menschen sind<br />

fremdgesteuert. Man macht zum Beispiel<br />

etwas, weil es ein Statussymbol ist oder<br />

man es schon immer so gemacht hat»,<br />

sagt der Psychiater Michael Stark.<br />

Und: Die Menschen hörten zu wenig auf<br />

die Stresssignale ihres Körpers, wie Stark<br />

beobachtet. Ob Einschlafstörungen, Muskelschmerzen,<br />

Verkrampfungen, Magen-<br />

Darm-Probleme oder Kopfschmerzen: Der<br />

Körper fordere damit mehr Ruhe, aber die<br />

meisten machten weiter wie bisher. «Das<br />

ist, wie wenn ein Autofahrer die Tankanzeige<br />

abklebt, die besagt, dass nur noch<br />

fünf Liter im Tank sind. Stattdessen fährt<br />

er mit Vollgas weiter.» Der Psychiater rät,<br />

eine neue Achtsamkeit für sich selbst zu<br />

entwickeln.<br />

GENAU PRÜFEN, WAS GUTTUT<br />

Gegen den Freizeitstress hilft etwa, sich<br />

in der Freizeit kleine Erholungsinseln zu<br />

schaffen. «Ich darf mich abgrenzen von<br />

den äußeren Ansprüchen», ermutigt der<br />

Stressforscher. «Ich darf prüfen: Tut mir<br />

das gut, jetzt schon wieder eine Feier am<br />

Wochenende zu haben oder brauche ich<br />

Zeit für mich?»<br />

Ulrich Reinhardt spricht vom Gegentrend<br />

zu «FOMO»: «JOMO» bedeutet «Joy Of<br />

Missing Out», also die Freude daran, auch<br />

mal ganz bewusst etwas zu verpassen.<br />

«Ich mache das eigene Wohlergehen wieder<br />

zum entscheidenden Kriterium und<br />

sage: Ich muss nicht überall dabei sein<br />

und jeden Tag sieben Posts absetzen. Ich<br />

muss nicht am Montag erzählen, was ich<br />

am Wochenende alles Tolles erlebt habe.»<br />

Vielleicht ist alles, was man braucht, der<br />

Balkon und ein gutes Buch. Oder Dösen im<br />

Bett. Wobei reine Faulenzer-Tage nicht jedem<br />

leichtfallen. «Wir haben das ein Stück<br />

weit verlernt, weil wir das Gefühl haben:<br />

Wenn wir faulenzen, sind wir unproduktiv»,<br />

sagt Freizeitforscher Reinhardt.<br />

Das lässt sich aber Schritt für Schritt wieder<br />

lernen. Etwa mit Meditation und Entspannungsübungen.<br />

Oder, dazu rät Reinhardt,<br />

indem man Zeit draußen verbringt.<br />

«Weg vom Rechner, möglichst auch vom<br />

Handy. Einen Spaziergang machen, ohne<br />

zu sehen, dass schon wieder eine neue<br />

Nachricht reingekommen ist.»<br />

URLAUB DARF AUCH<br />

TIEFPUNKTE HABEN<br />

Und was ist mit dem Sommerurlaub?<br />

Auch hier sind die Erwartungen bei vielen<br />

hoch. Viel sehen, viel erleben. «Auch die<br />

Ansprüche an die Zweisamkeit sind sehr<br />

hoch», weiß Reinhardt. Aber: «Man hat<br />

nicht jeden Tag dreimal Sex im <strong>Urlaub</strong>,<br />

auch wenn man denkt, das sollte so sein.»<br />

Er empfiehlt, die Erwartungen herunterschrauben<br />

und auch mal alle fünfe gerade<br />

sein zu lassen. «Jeder <strong>Urlaub</strong> hat auch<br />

Tiefpunkte.»<br />

Wer beruflich stark belastet ist, sollte laut<br />

Psychiater Stark besser <strong>Urlaub</strong> an bekannten,<br />

gewohnten Zielen machen. Denn<br />

dann muss man nicht so viele neue Eindrücke<br />

verarbeiten. «An einem gewohnten<br />

Ort weiß man vom ersten Tag an, wo<br />

der Bäcker ist. Es kann sofort Erholung<br />

stattfinden.»<br />

Gleichzeitig sollte man Körper und Seele<br />

Zeit zum Umstellen geben. Viele kennen<br />

die sogenannte «Leisure Sickness», das<br />

Phänomen, wenn man direkt am ersten<br />

<strong>Urlaub</strong>stag krank wird. Starks Tipp: «Setzen<br />

Sie sich nicht gleich am ersten Tag mit<br />

einem Buch an den Strand, sondern machen<br />

Sie bei zwei Wochen <strong>Urlaub</strong> in den<br />

ersten beiden Tagen noch ein kleines Programm<br />

und fahren dann langsam runter.»<br />

Foto: Anna Hirte/dpa<br />

Jeder <strong>Urlaub</strong> hat auch Tiefpunkte, das sollte<br />

man zulassen, sind die Erwartungen noch so<br />

hoch.<br />

DIE REISE NICHT EINFACH<br />

«REINQUETSCHEN»<br />

Die <strong>Urlaub</strong>szeit kann auch als Ganzes genossen<br />

werden, sagt Reinhardt. Das fängt<br />

bei der Vorfreude an - mit Zeit zum Planen<br />

und Vorbereiten. Also nicht bis zum Abreisetag<br />

arbeiten und dann schnell die Koffer<br />

packen. Genauso nach der Reise: Wenn<br />

möglich, am besten noch zu Hause ein<br />

paar Tage etwas <strong>Urlaub</strong> machen und sich<br />

auch die Zeit nehmen, alles in Ruhe auszupacken.<br />

Und die Eindrücke nachwirken<br />

lassen. Das Nacherleben des <strong>Urlaub</strong>s ist<br />

dabei analog oft besser als digital. «Nicht<br />

nur im Nachhinein auf dem Handy 27 Bilder<br />

vom selben Strandtag durchschauen,<br />

sondern bewusst Bilder ausdrucken lassen,<br />

die man in die Hand nehmen und gemeinsam<br />

betrachten kann, vielleicht sogar<br />

ins Album klebt», rät der Freizeitwissenschaftler.<br />

«So etwas wirkt psychologisch<br />

nach.» dpa<br />

22 <strong>04</strong> | <strong>2024</strong>

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