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STRESS IM URLAUB:<br />
Strategien gegen den Freizeitstress im Sommer<br />
Hamburg - Grillparty mit Freunden, Straßenfest,<br />
Picknick mit der Familie. Und baden<br />
gehen wollte man doch auch noch.<br />
Und Kanufahren. Das Open-Air-Kino besuchen.<br />
Und in dieser Aufzählung steckt<br />
noch nicht einmal der <strong>Urlaub</strong>. Gerade im<br />
Sommer neigen viele von uns dazu, viele<br />
Pläne zu machen. Atemlos von Aktivität zu<br />
Aktivität zu hechten, hat allerdings nicht<br />
mehr viel mit dem Sinn von Freizeit zu tun:<br />
Erholung finden. Stattdessen macht sich<br />
Stress breit, ein Gefühl von Druck, Überlastung<br />
und Anspannung. Die Unzufriedenheit,<br />
nicht alles schaffen zu können.<br />
Plötzlich ist man erschöpft von eigentlich<br />
schönen Dingen.<br />
BERUFSTÄTIGE UND ELTERN<br />
EHER BETROFFEN<br />
«Beim Freizeitstress ist es der Druck, was<br />
man alles machen sollte, eine körperliche<br />
und geistige Anspannung angesichts der<br />
Aktivitäten und im Ergebnis eine Überlastung»,<br />
sagt der Freizeitwissenschaftler Ulrich<br />
Reinhardt. Sind bestimmte Menschen<br />
besonders anfällig für Freizeitstress? Laut<br />
Reinhardt sind da zum einen die Berufstätigen,<br />
die den Spagat zwischen Job und<br />
Freizeit schaffen müssten. Zum anderen<br />
seien Eltern anfälliger als Singles. Auch<br />
Jugendliche stünden unter einem großen<br />
Druck, das zu erfüllen, was «man» machen<br />
müsse. Unabhängig von Alter und<br />
Lebenssituation ist es oft auch die Angst,<br />
etwas zu verpassen. Dieses Phänomen<br />
heißt übersetzt «Fear Of Missing Out»,<br />
kurz «FOMO». Dabei spielen die eigenen<br />
Ansprüche und die Erwartungen anderer<br />
eine Rolle. «Die meisten Menschen sind<br />
fremdgesteuert. Man macht zum Beispiel<br />
etwas, weil es ein Statussymbol ist oder<br />
man es schon immer so gemacht hat»,<br />
sagt der Psychiater Michael Stark.<br />
Und: Die Menschen hörten zu wenig auf<br />
die Stresssignale ihres Körpers, wie Stark<br />
beobachtet. Ob Einschlafstörungen, Muskelschmerzen,<br />
Verkrampfungen, Magen-<br />
Darm-Probleme oder Kopfschmerzen: Der<br />
Körper fordere damit mehr Ruhe, aber die<br />
meisten machten weiter wie bisher. «Das<br />
ist, wie wenn ein Autofahrer die Tankanzeige<br />
abklebt, die besagt, dass nur noch<br />
fünf Liter im Tank sind. Stattdessen fährt<br />
er mit Vollgas weiter.» Der Psychiater rät,<br />
eine neue Achtsamkeit für sich selbst zu<br />
entwickeln.<br />
GENAU PRÜFEN, WAS GUTTUT<br />
Gegen den Freizeitstress hilft etwa, sich<br />
in der Freizeit kleine Erholungsinseln zu<br />
schaffen. «Ich darf mich abgrenzen von<br />
den äußeren Ansprüchen», ermutigt der<br />
Stressforscher. «Ich darf prüfen: Tut mir<br />
das gut, jetzt schon wieder eine Feier am<br />
Wochenende zu haben oder brauche ich<br />
Zeit für mich?»<br />
Ulrich Reinhardt spricht vom Gegentrend<br />
zu «FOMO»: «JOMO» bedeutet «Joy Of<br />
Missing Out», also die Freude daran, auch<br />
mal ganz bewusst etwas zu verpassen.<br />
«Ich mache das eigene Wohlergehen wieder<br />
zum entscheidenden Kriterium und<br />
sage: Ich muss nicht überall dabei sein<br />
und jeden Tag sieben Posts absetzen. Ich<br />
muss nicht am Montag erzählen, was ich<br />
am Wochenende alles Tolles erlebt habe.»<br />
Vielleicht ist alles, was man braucht, der<br />
Balkon und ein gutes Buch. Oder Dösen im<br />
Bett. Wobei reine Faulenzer-Tage nicht jedem<br />
leichtfallen. «Wir haben das ein Stück<br />
weit verlernt, weil wir das Gefühl haben:<br />
Wenn wir faulenzen, sind wir unproduktiv»,<br />
sagt Freizeitforscher Reinhardt.<br />
Das lässt sich aber Schritt für Schritt wieder<br />
lernen. Etwa mit Meditation und Entspannungsübungen.<br />
Oder, dazu rät Reinhardt,<br />
indem man Zeit draußen verbringt.<br />
«Weg vom Rechner, möglichst auch vom<br />
Handy. Einen Spaziergang machen, ohne<br />
zu sehen, dass schon wieder eine neue<br />
Nachricht reingekommen ist.»<br />
URLAUB DARF AUCH<br />
TIEFPUNKTE HABEN<br />
Und was ist mit dem Sommerurlaub?<br />
Auch hier sind die Erwartungen bei vielen<br />
hoch. Viel sehen, viel erleben. «Auch die<br />
Ansprüche an die Zweisamkeit sind sehr<br />
hoch», weiß Reinhardt. Aber: «Man hat<br />
nicht jeden Tag dreimal Sex im <strong>Urlaub</strong>,<br />
auch wenn man denkt, das sollte so sein.»<br />
Er empfiehlt, die Erwartungen herunterschrauben<br />
und auch mal alle fünfe gerade<br />
sein zu lassen. «Jeder <strong>Urlaub</strong> hat auch<br />
Tiefpunkte.»<br />
Wer beruflich stark belastet ist, sollte laut<br />
Psychiater Stark besser <strong>Urlaub</strong> an bekannten,<br />
gewohnten Zielen machen. Denn<br />
dann muss man nicht so viele neue Eindrücke<br />
verarbeiten. «An einem gewohnten<br />
Ort weiß man vom ersten Tag an, wo<br />
der Bäcker ist. Es kann sofort Erholung<br />
stattfinden.»<br />
Gleichzeitig sollte man Körper und Seele<br />
Zeit zum Umstellen geben. Viele kennen<br />
die sogenannte «Leisure Sickness», das<br />
Phänomen, wenn man direkt am ersten<br />
<strong>Urlaub</strong>stag krank wird. Starks Tipp: «Setzen<br />
Sie sich nicht gleich am ersten Tag mit<br />
einem Buch an den Strand, sondern machen<br />
Sie bei zwei Wochen <strong>Urlaub</strong> in den<br />
ersten beiden Tagen noch ein kleines Programm<br />
und fahren dann langsam runter.»<br />
Foto: Anna Hirte/dpa<br />
Jeder <strong>Urlaub</strong> hat auch Tiefpunkte, das sollte<br />
man zulassen, sind die Erwartungen noch so<br />
hoch.<br />
DIE REISE NICHT EINFACH<br />
«REINQUETSCHEN»<br />
Die <strong>Urlaub</strong>szeit kann auch als Ganzes genossen<br />
werden, sagt Reinhardt. Das fängt<br />
bei der Vorfreude an - mit Zeit zum Planen<br />
und Vorbereiten. Also nicht bis zum Abreisetag<br />
arbeiten und dann schnell die Koffer<br />
packen. Genauso nach der Reise: Wenn<br />
möglich, am besten noch zu Hause ein<br />
paar Tage etwas <strong>Urlaub</strong> machen und sich<br />
auch die Zeit nehmen, alles in Ruhe auszupacken.<br />
Und die Eindrücke nachwirken<br />
lassen. Das Nacherleben des <strong>Urlaub</strong>s ist<br />
dabei analog oft besser als digital. «Nicht<br />
nur im Nachhinein auf dem Handy 27 Bilder<br />
vom selben Strandtag durchschauen,<br />
sondern bewusst Bilder ausdrucken lassen,<br />
die man in die Hand nehmen und gemeinsam<br />
betrachten kann, vielleicht sogar<br />
ins Album klebt», rät der Freizeitwissenschaftler.<br />
«So etwas wirkt psychologisch<br />
nach.» dpa<br />
22 <strong>04</strong> | <strong>2024</strong>