KURT 04/2024
KURT – Dein Magazin für Gifhorn Ausgabe April/Mai 2024
KURT – Dein Magazin für Gifhorn
Ausgabe April/Mai 2024
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74 Kunst<br />
Kunst<br />
75<br />
» Trotz Mobilisierungsgesetz,<br />
das nun noch strikter regelt,<br />
wer eingezogen werden darf<br />
und wer nicht, hat er die<br />
Hoffnung, dass er als Doktorand<br />
nicht an die Front<br />
muss. Er berichtet von<br />
Freunden aus Charkiw,<br />
die tagelang ohne Licht<br />
auskommen müssen, und<br />
den Kurzstreckenraketen, die<br />
in der Stadt seiner Eltern einschlagen<br />
und für Schrecken<br />
und Tote sorgen. In Meinersen<br />
steht auch ihm ein Raum zu.<br />
Eine Kopie seines Werks „Der<br />
Winter, der uns verändert hat“<br />
hängt im Erdgeschoss.<br />
Als jemand, der aus Saporischschja<br />
kommt, einer Gegend<br />
voller Schwerindustrie,<br />
in der Europas größtes Atomkraftwerk<br />
steht und die immer<br />
auch unter einem Einfluss<br />
von „Propaganda“ stand, wie<br />
Dmytro Dotsenko betont, sei<br />
er immer schon auf der<br />
Suche nach kultureller<br />
Identität gewesen.<br />
Gefunden hat er sie<br />
nach seinem Umzug<br />
nach Kiew, in<br />
der Bildsprache<br />
der Stilrichtung<br />
des Ukrainischen<br />
Barock aus dem<br />
17. Jahrhundert.<br />
„Da habe ich verstanden:<br />
Es gibt<br />
diese Identität, und<br />
sie geht Jahrhunderte<br />
zurück.<br />
Und ja, sie<br />
hat auch<br />
euro-<br />
<strong>KURT</strong><br />
päische, vor allem polnische<br />
Einflüsse, was mir gezeigt<br />
hat, dass es historische und<br />
traditionsreiche Verbindungen<br />
gibt.“ Und die verknüpft<br />
Dmytro Dotsenko mit der jüngeren<br />
ukrainischen Vergangenheit,<br />
mit Momenten der<br />
kollektiven Bewusstwerdung,<br />
wie der Maidan-Revolution im<br />
Februar 2014.<br />
Kateryna Tkachenko ist die zweite<br />
Stipendiatin, die im Künstlerhaus<br />
Meinersen wohnt und arbeitet.<br />
Ursprünglich kommt sie aus<br />
Odessa. <br />
Foto: Bastian Till Nowak<br />
Die Identitätsfindung –<br />
ein zweiter Ausweg aus<br />
der Ohnmacht.<br />
Am längsten in Deutschland,<br />
nämlich seit Mai 2023,<br />
ist Kateryna Tkachenko, die<br />
2002 in Odessa geboren wurde.<br />
In ihrer Kindheit und Jugend<br />
probiert sie viele Dinge<br />
aus, doch hingezogen fühlt sie<br />
sich nur zur Kunst. „Sie ist die<br />
beste Möglichkeit, die Gedanken<br />
und Emotionen zutage zu<br />
fördern. Wie man denkt und<br />
was man denkt, kann man so<br />
in einem kreativen Prozess<br />
darstellen“, findet sie.<br />
Ihre Beiträge zur Ausstellung<br />
handeln vom Ankommen.<br />
Es sind Zeichnungen,<br />
die vor allem eines vorführen:<br />
Menschen und Gesichter. Die<br />
meisten dieser Gesichter gehören<br />
Passanten auf der Straße,<br />
aus Gifhorn oder auch Hannover,<br />
dort, wo soziale Räume<br />
unbedingt und eigentlich<br />
immer erkundet werden wollen.<br />
Andere Gesichter zeigen<br />
aber auch Berühmtheiten<br />
wie den US-amerikanischen<br />
Rapper, Mogul und<br />
Basquiat-Fan Jay-Z. „Ich<br />
interessiere mich für die Details,<br />
für Gesichtsausdrücke,<br />
die finde ich faszinierend“,<br />
sagt Kateryna Tkachenko.<br />
Es sind aber nicht nur die<br />
Gesichter, die die Besuche-<br />
Ausschnitt eines unbetitelten Werks von<br />
Kateryna Tkachenko: 30 x 30 Zentimeter,<br />
Kugelschreiber, <strong>2024</strong>.<br />
Iryna Vorona: Ich habe nur Hoffnung in meinem Koffer, standortbezogene Installation mit weißem Papier, <strong>2024</strong>.<br />
Im Künstlerhaus Meinersen ist sie zur Ausstellung „Flucht, Krieg, Ankommen“ aufgebaut.<br />
Kateryna Tkachenko: Ohne Titel,<br />
21 x 29,7 Zentimeter, Kugelschreiber,<br />
<strong>2024</strong>.<br />
rinnen und Besucher der Ausstellung<br />
entdecken können:<br />
Auch die Körperhaltungen,<br />
die Gebrechlichkeiten und<br />
spontanen Lachanfälle dürfen<br />
wir wirksam inspizieren, die<br />
Kateryna Tkachenko mit einer<br />
erstaunlichen Beobachtungsgabe<br />
eingefangen und dann<br />
Kateryna Tkachenko: Ohne<br />
Titel, 30 x 40 Zentimeter, Buntstifte,<br />
<strong>2024</strong>.<br />
in Skizzen und Zeichnungen<br />
umgewandelt hat. Sie strahlen<br />
eine Wärme und Neugier aus,<br />
die im Kontext der Ausstellung<br />
mehr noch bedeuten: Sich aus<br />
der Zerstörung wagen und den<br />
Menschen wieder vertrauen.<br />
Und das könnte der dritte Weg<br />
aus der Ohnmacht sein.<br />
Iryna Vorona: Geh nicht – Verlass<br />
mich nicht, 100 x 70 Zentimeter,<br />
Zeichenkohle auf Papier, 2023.<br />
Ausstellung von Iryna Vorona,<br />
Kateryna Tkachenko und<br />
Dmytro Dotsenko:<br />
„Flucht, Krieg, Ankommen“<br />
Künstlerhaus Meinersen<br />
Hauptstraße 2, Meinersen<br />
Ausstellung: 12. April bis 5. Mai<br />
Do., Sa. & So. 15 bis 18 Uhr<br />
<strong>KURT</strong>