KURT 04/2024
KURT – Dein Magazin für Gifhorn Ausgabe April/Mai 2024
KURT – Dein Magazin für Gifhorn
Ausgabe April/Mai 2024
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
72 Kunst<br />
Flucht, Krieg, Ankommen –<br />
und dann ist da Hoffnung<br />
Im Künstlerhaus Meinersen stellen drei ukrainische Stipendiaten ihre Arbeit aus<br />
Kunst<br />
73<br />
Schrecklicherweise ist beim Krieg in der Ukraine kein Ende in Sicht.<br />
Raketen terrorisieren, Häuser brechen zusammen, Zivilisten werden<br />
ermordet, Soldaten sterben an der Front, die sich kaum mehr ver-<br />
ändert. Wie umgehen mit diesem Leid und Schmerz? Dieser Frage<br />
widmen sich Iryna Vorona, Kateryna Tkachenko und Dmytro Dot-<br />
senko. Die beiden Künstlerinnen leben als Stipendiatinnen der<br />
Bösenberg-Stiftung im Künstlerhaus Meinersen, der Künstler ist<br />
ebenfalls Stipendiat, darf die Ukraine aber nicht verlassen. Ihre<br />
Ausstellung „Figürliche Zeichnung und Malerei – Flucht, Krieg, Ankommen“<br />
ist noch bis zum 5. Mai zu erleben. Und sie gibt Hoffnung.<br />
Als eine von zwei ukrainischen Stipendiatinnen lebt Iryna Vorona aus<br />
Kiew im Künstlerhaus Meinersen und stellt dort nun aus. Foto: Bastian Till Nowak<br />
<strong>KURT</strong><br />
Von Malte Schönfeld<br />
Die Arbeiten von Iryna Vorona,<br />
1987 in Kiew geboren, stehen<br />
in der Kunstausstellung für<br />
die Flucht. Sie kam im Oktober<br />
2023 nach Deutschland und<br />
Meinersen, direkt aus der Ukraine,<br />
nachdem sie die meiste<br />
Zeit in den Kiewer Vororten<br />
ausharrte, nur um doch ihren<br />
Ehemann „zu verlieren“, wie<br />
sie sagt. „Ich wollte dann nicht<br />
mehr in der Ukraine bleiben,<br />
woraufhin ich von selbst ausgewandert<br />
bin. Ich möchte nun<br />
das Thema Flucht für meine<br />
persönliche Erfahrung tiefergehend<br />
untersuchen.“<br />
Iryna Vorona ist in erster Linie<br />
Künstlerin, aber auch Doktorin<br />
der Philosophie in Kultur<br />
und Kunst, also eine theoretisch<br />
Versierte. „Ich gehe den<br />
Dingen gerne auf den Grund,<br />
ich bin daran interessiert, Rätsel<br />
zu lösen“, erklärt sie. Theorie<br />
und Praxis sind für ihre Arbeit<br />
untrennbar verbunden. In<br />
ihrer bisherigen Werksammlung<br />
finden sich Installationen,<br />
Videos, viele Gemälde in kraftvollen<br />
Farben, dann wieder<br />
düsterer, motivisch immer in<br />
Bewegung.<br />
Geändert hat sich das mit<br />
dem Krieg. Die Farben verschwinden<br />
in ihrem Kriegstagebuch,<br />
das es inzwischen<br />
auch in gedruckter Form gibt<br />
Die Ausstellung im Künstlerhaus ist bis 5. Mai geöffnet und zeigt eine originalgroße Kopie des Gemäldes „Der<br />
Winter, der uns verändert hat“ von Dmytro Dotsenko: 200 x 444 Zentimeter, Acryl und Öl auf Leinwand, <strong>2024</strong>.<br />
und auch lyrisch-philosophisch<br />
bewegt. Holzkohle wird<br />
das einzige Material, wozu sie<br />
noch Zugang hat – materiell,<br />
weil das Studio in der Hauptstadt<br />
in weite Ferne gerückt<br />
ist, emotional, weil die private<br />
Tragödie alles verschluckt.<br />
„Ich kann nicht mehr mit<br />
Farben arbeiten. Alle Farben<br />
bereiten mir Schmerz. Wenn<br />
ich ein Rot sehe, ist es für<br />
mich ein tiefes Schwarz“, sagt<br />
Iryna Vorona.<br />
In Meinersen ist die<br />
Holzkohle geblieben. Ihre<br />
Ukrainischen Männern ist es<br />
nur in Ausnahmefällen erlaubt,<br />
das Land zu verlassen. Deswegen<br />
lebt und arbeitet Stipendiat<br />
Dmytro Dotsenko in Kiew.<br />
Zeichnungen zeigen fragile<br />
Menschen, fast Glaskörper,<br />
die ineinander verschlungen<br />
und durch den Schwarz-<br />
Weiß-Kontrast kaum zu unterscheiden<br />
sind. Wir sehen<br />
Hände, die nicht mehr ins<br />
Leere greifen, sondern wieder<br />
einen Sinn fühlen. Sie zeigen<br />
Ukrainer auf den überfüllten<br />
und beengten Bahnhöfen und<br />
erzählen die Geschichten vom<br />
Wiedersehen, von Erleichterung<br />
und – angesichts der<br />
ständigen Todesangst – von<br />
reinem Glück. Außerdem mag<br />
man bei den feinen Linien<br />
auch noch an das Nervensystem<br />
des Menschen denken, auf<br />
dessen hauchdünnen Bahnen<br />
Elektronen schwimmen, um<br />
Oxytocin und Serotonin freizugeben.<br />
Vielleicht ein erster<br />
Ausweg aus der Ohnmacht.<br />
In Kiew ist Dmytro Dotsenko,<br />
der aus Saporischschja<br />
stammt und 1990<br />
geboren wurde, noch vollständig<br />
im Stress von Krieg,<br />
Politik und dem neuen normalen<br />
Leben eingekeilt. »<br />
<strong>KURT</strong>