Restauro 3/2024
Kulturgut bewahren
Kulturgut bewahren
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MAGAZIN ZUR ERHALTUNG DES KULTURERBES<br />
03/<strong>2024</strong> KULTURGUT BEWAHREN
EDITORIAL<br />
3<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
in unserer dritten RESTAURO des Jahres <strong>2024</strong> geht es um das Thema Kulturgut.<br />
Genauer gesagt darum, wie man Kulturgut bewahren kann. Dabei<br />
blicken wir natürlich immer auf die neusten Technologien und Dienstleistungen<br />
unserer Branche. Daneben legen wir aber auch einen Fokus auf<br />
innovative Ansätze und die neusten Methoden und blicken auf die Denkmalpflege<br />
und den Kulturgüterschutz.<br />
So wird in Dresden aktuell das Wandgemälde „Lebensfreude“ von Gerhard<br />
Richter restauriert. Besonders heikel: 1979 wurde es weiß übermalt.<br />
Außerdem haben wir mit Juliane Schuster gesprochen, die sich in der Magdeburger<br />
Altstadt im ehemaligen Kloster „Unser Lieben Frauen“ mit der Instandsetzung<br />
des Natursteins im Innenbereich der Klosterkirche beschäftigt<br />
hat. Daneben freuen wir uns über die Neuauflage des „Farbenbuchs“<br />
des Alataverlags und anlässlich des 75. Todestags von James Ensor widmen<br />
in diesem Jahr Antwerpen, Brüssel und Ostende dem belgischen Maler<br />
zahlreiche Ausstellungen und Aktionen. Wir waren für Sie dabei.<br />
Wie vorhin angesprochen, legen wir Wert auf neue technologische Errungenschaften<br />
und so kann dank des webbasierten KI-Tools xCurator, jeder<br />
Mensch zum Künstler und Kurator werden. Wir haben uns mal eingewählt.<br />
Zusätzlich berichten wir über die sensorbasierte Brandfrüherkennung und<br />
wir betreten ein Haus in der Unesco-Welterbe Hufeisensiedlung, in dem<br />
ein mietbares Museum entstanden ist.<br />
Sie sehen, wir waren für diese Ausgabe ganz schön viel unterwegs. So<br />
hoffe ich, dass sie Ihnen Freude bereitet und wir Ihnen vielleicht sogar das<br />
eine oder andere überraschende Projekt servieren dürfen.<br />
Falls Sie noch nicht regelmäßiger Besucher unserer Website www.restauro.de<br />
sind, lade ich Sie an dieser Stelle herzlich ein, vorbeizuschauen.<br />
Garantiert kostenfrei (das ist im Zeitalter der Paywalls ja nicht mehr<br />
selbstverständlich) liefern wir Ihnen dort Woche um Woche spannende<br />
Geschichten und Neuigkeiten, die Sie am besten nicht verpassen. Um diesem<br />
Problem entgegenzusetzen, können Sie einfach unseren regelmäßig<br />
erscheinenden Newsletter abonnieren. Wir würden uns freuen, sie auch<br />
auf der digitalen Seite der RESTAURO begrüßen zu dürfen.<br />
Wie immer: melden Sie sich gerne persönlich bei mir, wenn Sie Fragen,<br />
Anregungen oder Kritik äußern möchten.<br />
Herzlichst, Tobias Hager & Team<br />
t.hager@georg-media.de<br />
instagram: @restauromagazin
4 INHALT<br />
6<br />
Gerhard Richter:<br />
Wandgemälde partiell freigelegt<br />
14<br />
Kloster Magdeburg:<br />
Geschichte, die lebt<br />
18<br />
„Das Farbenbuch“ ist wieder da<br />
20<br />
Der Trend geht zum Zentraldepot<br />
S.20<br />
24<br />
Ensor Museum:<br />
Größer, durchdachter und interaktiv<br />
32<br />
Nachrichten<br />
34<br />
Digitalisierung:<br />
Jeder Mensch ein Kurator<br />
40<br />
Nachrichten<br />
42<br />
In der Grabkammer<br />
des Neferhotep<br />
S.34
6 MUSEUM<br />
Wandgemälde<br />
partiell freigelegt<br />
TEXT: ALEXANDRA WACH
MUSEUM<br />
7<br />
1<br />
Das Gemälde von Gerhard<br />
Richter war 1956<br />
in einem Treppenhausfoyer<br />
des Deutschen<br />
Hygiene-Museums<br />
entstanden. Der damals<br />
24-Jährige schloss mit<br />
dieser Arbeit sein Studium<br />
an der Hochschule<br />
für Bildende Künste<br />
Dresden ab
8 MUSEUM<br />
In einem Treppenfoyer des Deutschen Hygiene-Museum Dresden wird derzeit bis in den<br />
Herbst hinein das 1979 weiß übermalte Wandgemälde „Lebensfreude" von Gerhard Richter<br />
restauriert. Die Diplomarbeit des Malers war Teil seiner Ausbildung an der Hochschule<br />
für Bildende Künste in Dresden und entstand 1956.<br />
Lange Zeit hatte sich der heute weltbekannte Künstler geweigert,<br />
seine frühe Arbeit wieder zugänglich zu machen. Die<br />
Bemalung der 15 Meter langen und fünf Meter hohen Wand<br />
erhielt der damals 24-Jährige Ende 1955 als Aufgabe zum<br />
Abschluss seines Studiums. Die Restaurierung wird von der<br />
Dresdner Kunsthochschule begleitet und ist öffentlich zugänglich.<br />
Ein Schaufenster in der bis zur Decke reichenden<br />
Einhausung samt Abluftanlage erlaubt es zuzuschauen. An<br />
zwei Stellen sind die alten Farbschichten bereits abgetragen<br />
und ermöglichen eine erste Sicht auf das monumentale Werk.<br />
Die 63 Quadratmeter bestehen aus verschiedenen Figurengruppen<br />
und Szenen aus dem sozialistischen Alltag in der<br />
DDR, darunter Menschen, die fröhlich zwischen Bäumen und<br />
Wiesen sitzen und tanzen. Seit der vom Institut für Denkmalpflege<br />
abgewinkten Übermalung geriet die Arbeit nahezu in<br />
Vergessenheit. „Diesen ständigen Umgang mit Geschichte<br />
und Erinnerung, des Überschreibens und Wiederaufdeckens<br />
fand ich spannend, und dieses Gemälde von Gerhard Richter<br />
verdeutlicht das ganz exemplarisch", meint Iris Edenheiser,<br />
Direktorin des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden und<br />
Initiatorin der Freilegung. Anlass war die Auseinandersetzung<br />
mit der Geschichte ihres Hauses in der DDR, die ab März in<br />
der Sonderausstellung „VEB Museum" erzählt wird. „Die partielle<br />
Freilegung, um diesen Umgang mit Geschichte deutlich<br />
zu machen, war mir sehr wichtig", so Edenheiser. „Ich hätte<br />
wenig Sinn darin gesehen, das Gemälde ganz aufzumachen<br />
und damit auch wieder die Spuren der letzten Dekaden zu verwischen."<br />
In einer Abteilung der Ausstellung wird es um die<br />
Beziehungen gehen, die die Ateliers und Werkstätten des Museums<br />
beispielsweise zu der Hochschule für Bildende Künste<br />
Dresden unterhielten. Vor diesem zeithistorischen Hintergrund<br />
wird das Wandgemälde thematisiert. Die fortschreitenden Restaurierungsarbeiten<br />
können als Metapher für das prozesshafte<br />
Freilegen historischer Schichten gelesen werden. Der gesamte<br />
Prozess wird von dem Leipziger Fotografen Andreas Rost in<br />
einem Langzeitprojekt dokumentiert.<br />
Edenheiser war nicht die Erste, die sich mit der Freilegung beschäftigte.<br />
Bereits 1994 stieß eine Anfrage des Dresdner Hygiene-Museums<br />
bei Gerhard Richter auf Ablehnung. Er hatte<br />
sich von seinem Frühwerk aus der DDR, die er 1961 verlassen<br />
hatte, lange distanziert. Begeistert gibt sich Dietmar Elger,<br />
Leiter des in Dresden beheimateten Gerhard-Richter-Archivs.<br />
„Wir kannten das Bild. Da gibt es gute Fotos, aber nicht eines,<br />
das farbig gewesen wäre. Von daher war die Farbigkeit eine<br />
große Überraschung, und diese spezielle Art des Farbauftrags<br />
in kleineren vertikalen Pinselstrichen und der Gesamteindruck<br />
ist eigentlich wunderbar, jetzt schon.“ Restaurator Albrecht<br />
Körber und seine Kollegin Susan Förster arbeiten sich seit<br />
Dezember 2023 durch die zehn Farbschichten, die über dem<br />
Wandgemälde liegen. Zu den Herausforderungen gehört, dass<br />
sich kein Schutzfirnis auf der Malschicht befindet. Voruntersuchungen<br />
ergaben, dass bei der Übermalung als Haftvermittler<br />
zwischen dem Gemälde und einer Latexfarbe ein grau eingetöntes<br />
Alkydharz direkt auf die ungeschützte Malerei aufgestrichen<br />
wurde. Es folgten im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche<br />
weitere Anstriche. Zentimeter für Zentimeter lösen Körber und<br />
Förster jetzt die alte Farbe ab und konzentrieren sich dabei auf<br />
den Mittelteil des Wandbildes, eine Strandszene, auf der eine<br />
Frauenfigur im Badeanzug zu erkennen ist.<br />
„Die ersten fünf Schichten gehen erst mal trocken mechanisch,<br />
das ist eine Wachsfarbe, die zu DDR-Zeiten aufgetragen<br />
wurde“, erläutert Körber. „Dann haben wir noch fünf Kunstharzanstriche,<br />
und die können wir anquellen, indem wir Lösemittelgemisch<br />
auftragen. Man kann sie vorsichtig abschaben.“<br />
Eine besondere Schwierigkeit besteht darin, dass die ermittelte<br />
Einwirkdauer der Lösemittelkompressen genau eingehalten<br />
werden muss, um keine Schäden an der Malschicht zu verursachen.<br />
Diese Vorgehensweise hat das Duo gemeinsam mit<br />
der Hochschule für bildende Künste in Dresden entwickelt.<br />
Erst wurden im Fachbereich Kunsttechnologie, Konservierung<br />
und Restaurierung die überlagernden Farbschichten analysiert.<br />
Parallel dazu hat man die Maltechnik Richters erforscht.<br />
„Richter selbst beschreibt in seinem Aufsatz von 1956, dass<br />
es ihm darauf ankam, eine Art flächige, ornamentale Wirkung<br />
zu erreichen“, sagt Professor Ivo Mohrmann. „Wie ein Teppich,<br />
wie ein Gobelin sollte man sich diese Wandmalerei vorstellen,<br />
und wir waren froh, dass sich das bei der Freilegung auch bestätigt<br />
hat. Es war ein Stück weit auch der Versuch, von einer<br />
plakativen propagandaartigen Malerei wegzukommen zu dieser<br />
dekorativen Wirkung.“ Die Restaurierung in einer Schauwerkstatt<br />
wurde finanziell von der Wüstenrot-Stiftung und der<br />
Ernst-von-Siemens-Kunststiftung ermöglicht, die die Kosten<br />
des Projekts von 220.000 Euro tragen. Rund 18 Quadratmeter<br />
sollen bis Oktober <strong>2024</strong> freigelegt werden. „Was genau, hängt<br />
vom Erhaltungszustand ab“, sagt Dietmar Elger.<br />
2/3<br />
Die oberen Farbschichten<br />
bis zum Alkydharz<br />
lassen sich mit den üblichen<br />
Restaurierungsverfahren<br />
entfernen. Für<br />
die letzte zu entfernende<br />
Schicht muss jedoch<br />
ein Lösemittelgemisch<br />
zum Einsatz kommen
MUSEUM<br />
9<br />
2<br />
3
32 NACHRICHTEN<br />
Sanieren statt abreißen<br />
Chipperfield Architects Berlin sanieren<br />
Germanisches Nationalmuseum in<br />
Nürnberg für 67 Millionen Euro.<br />
Das Germanische Nationalmuseum<br />
wurde in Nürnberg 1852 rund um ein<br />
mittelalterliches Kartäuserkloster gegründet.<br />
Schon wegen seiner Größe ist<br />
es eine Dauerbaustelle. Auf einer Ausstellungsfläche<br />
von 25 000 Quadratmetern<br />
sind 25 000 Objekte ausgestellt.<br />
Insgesamt beherbergt es 1,3 Millionen<br />
Objekte. Damit ist es das größte kulturhistorische<br />
Museum des Landes. Rund<br />
um die Klosteranlage wuchs das verschiedene<br />
Handschriften tragende Gebäude<br />
stetig. Um 1900 errichtete Gustav<br />
von Bezold im neugotischen Still den<br />
Südwestbau. Während des Ersten Weltkriegs<br />
baute German Bestelmeyer den<br />
Galeriebau am Kornmarkt. Auf die Zerstörungen<br />
des Zweiten Weltkriegs antwortete<br />
Sep Ruf mit dem Südbau, der<br />
sich zur Frauentormauer hin mit einer<br />
Steinfassade abgrenzt. In den 1990er-<br />
Jahren errichtete das Hamburger Büro<br />
Medium Architekten schließlich das Forum,<br />
eine verglaste Eingangshalle auf<br />
der Westseite des Museums. Als Letztes<br />
kam das Tiefdepot dazu.<br />
Den Auftrag für die denkmalgerechte<br />
Instandsetzung erhielt nun Chipperfield<br />
Architects Berlin. Der britische Architekt<br />
David Chipperfield gehört zu den<br />
gefragtesten Architekten weltweit und<br />
hat zahlreiche Projekte verwirklicht,<br />
darunter den Umbau des Neuen Museums<br />
auf der Berliner Museumsinsel,<br />
das Saint Louis Art Museum, das Liangzhu<br />
Museum sowie den Erweiterungsbau<br />
des Kunsthaus Zürich. Ab 2025 soll<br />
sein Büro für aktuell rund 67 Millionen<br />
Euro inklusive der Innenausbauten dafür<br />
sorgen, dass ein Rundgang um den<br />
Großen Klosterhof den Besuchern die<br />
Besichtigung erleichtert. Dazu plant<br />
Chipperfield Architects den Bau eines<br />
Kreuzgangs auf der Südseite des Hofs.<br />
Er soll in Ziegelbauweise ausgeführt<br />
werden, flankiert von spitzbogigen<br />
Holzfenstern, einer Betonsichtdecke<br />
und einem begrünten Flachdach. Auf<br />
diese Weise soll der Südbau von Sep<br />
Ruf weniger verdeckt werden. Dabei<br />
wird nicht der im Bestand verwendete<br />
Sandstein verwendet, sondern Ziegel.<br />
Der Ruf-Bau wird mittels eines Verbindungsbaus<br />
an den Kreuzgang angeschlossen.<br />
So entsteht ein Innenhof,<br />
der mit seinen 420 Quadratmetern zu<br />
einer begehbaren grünen Oase ausgebaut<br />
werden soll. Außerdem besitzt der<br />
Ruf-Bau eine Glasfassade mit elf Meter<br />
hohen, in die Decke eingehängten<br />
Fenstern, die erhalten bleiben müssen.<br />
Sie werden durch einen Lichtschutz,<br />
thermisch isoliertes Glas und den Einbau<br />
einer Klimaanlage in den Obergeschossen<br />
energetisch verbessert. Innerhalb<br />
der Ausstellungsfläche werde<br />
zukünftig eine zentrale Treppe und ein<br />
Lift alle Geschosse verbinden. Böden<br />
und Wandverkleidungen sollen gereinigt<br />
und wiederverwendet werden.<br />
Darüber hinaus plant Chipperfield Architects<br />
im neugotischen Südwestbau<br />
von Gustav von Bezold noch erhaltene<br />
bauzeitliche Schichten wie die florale<br />
Deckenmalerei im Rittersaal wieder<br />
freizulegen und einen mineralischen<br />
Bodenbelag einzubauen. Danach sollen<br />
Rüstungen- und Waffensammlungen<br />
wieder in den Rittersaal zurückkehren.<br />
Die Bauernstuben werden an ihrem<br />
derzeitigen Ort im Südwestbau bleiben.<br />
Wenn alles wie geplant läuft, wird das<br />
Museum 2030 wiedereröffnet werden.<br />
Alexandra Wach<br />
1<br />
1<br />
Ansicht Nord<br />
2<br />
2<br />
Schnitt<br />
1:500<br />
10m
NACHRICHTEN<br />
33<br />
3<br />
4<br />
3<br />
Klosterhof mit neuem<br />
Kreuzgangflügel<br />
4<br />
Kreuzgang und<br />
Verbindungsbau
KULTURGUT BEWAHREN<br />
35<br />
1<br />
50.000 Jahre Kulturgeschichte<br />
im Badischen<br />
Landesmuseum Karlsruhe<br />
mit dem xCurator<br />
entdecken
36 KULTURGUT BEWAHREN<br />
Jeder Mensch kann ein Künstler sein, wie schon Novalis postulierte. Nun kann er auch<br />
sein eigener Museumskurator sein. Mit dem xCurator, einem webbasierten KI-Tool,<br />
eröffnet das Badische Landesmuseum in Karlsruhe seinen Besuchern einen neuartigen<br />
Zugang zum kulturellen Erbe: „Tauche in Sammlungen ein, entdecke Verbindungen und<br />
Geschichten und gestalte deine Erzählung.“<br />
Der User ist aufgefordert, sich anhand von 500.000 Objekten<br />
auf seine ganz persönliche Reise durch 50.000 Jahre Kulturgeschichte<br />
zu begeben und dabei spannende Querverbindungen<br />
zwischen den Epochen, Stilen, Genres und Provenienzen zu<br />
entdecken. Ja nach individuellen Interessen, kann die KI beliebig<br />
viele, einmalige Ausstellungen generieren. Derzeit wird<br />
die Beta-Version des gemeinsam mit dem archäologischen<br />
Museum der Universität von Amsterdam, dem Allard Pierson,<br />
entwickelten Tools getestet. Das Feedback der User soll helfen,<br />
den xCurator zu optimieren.<br />
Was haben Det, das Mainzelmännchen, und ein Weihnachtsmann<br />
aus Gummi gemeinsam, abgesehen davon, dass beide<br />
zur Sammlung des Badischen Landesmuseums gehören?<br />
Es ist die Kopfbedeckung: „Die Zipfelmütze lässt sich auf die Gestalt<br />
der ‚phrygischen Mütze‘ zurückführen“, lernt der User des<br />
xCurator. „Sie ist Ausdruck einer verwobenen Kulturgeschichte<br />
zwischen Orient und Okzident.“ Mittels des webbasierten KI-<br />
Projekts, dessen Beta-Version im Dezember 2023 veröffentlicht<br />
wurde, lassen sich zahllose, unvermutete Querverbindungen<br />
entdecken wie diese zwischen Det und dem Weihnachtsmann.<br />
Im digitalen Raum vereint der xCurator sämtliche Sammlungen<br />
des Badischen Landesmuseums, die von der Steinzeit über<br />
die Antike und das Mittelalter bis hin zu außereuropäischen<br />
Sammlungen sowie zeitgenössischem Design und regionaler<br />
Kultur reichen. Die Sammlungen umfassen insgesamt an die<br />
500.000 Objekte, von denen derzeit 13.000 ausgestellt sind und<br />
17.000 in der Vergangenheit bereits ausgestellt wurden.<br />
Neugierig geworden, erfährt der Nutzer, dass die „Heiligen<br />
Drei Könige“ oder „Weisen aus dem Morgenland“ die christliche<br />
Tradition der in der Weihnachtsgeschichte des Matthäusevangeliums<br />
erwähnten „Sterndeuter“ bezeichnen – im<br />
griechischen Ausgangstext war von „Magiern“ die Rede. Der<br />
Stern von Bethlehem soll sie einst zu Jesus geführt haben. Viel<br />
spricht dafür, dass die Weisen aus dem Morgenland Angehörige<br />
der Priesterkaste aus dem persisch-medischen Stamm der<br />
Magier waren.<br />
Kulturgeschichtlich und ikonografisch haben also sowohl das<br />
Maskottchen des ZDF, das sich wiederum auf die Heinzelmännchen<br />
zu Köln bezieht, die über Nacht Ordnung zaubern,<br />
als auch der Weihnachtsmann ihre frühen Wurzeln in den Figuren<br />
der drei Weisen aus dem Morgenland.<br />
Da die Heiligen Drei Könige vermutlich aus Persien kamen, präsentiert<br />
die KI im Kontext von Det und Weihnachtsmann auch<br />
einen Teller der Gattung ‚Blau-Weiß-Ware‘ aus Teheran. Ebenso<br />
stellen ästhetische Übereinstimmungen nicht selten überraschende<br />
Verbindungen zwischen Objekten her, die Tausende<br />
Jahre und Kilometer Entstehung trennen.<br />
Der xCurator reichert die Inhalte der Sammlungen mit einer<br />
Vielzahl KI-generierter Schlagworte an und bietet neben einer<br />
intelligenten Bildersuche Empfehlungen für das weitere Vorgehen.<br />
Farben, Objekte und Themen der Bilder werden auto-
42 KULTURGUT BEWAHREN<br />
In der Grabkammer<br />
des Neferhotep<br />
TEXT: JULIA MARIA KORN<br />
Prachtvolle Vorräume – schmucklose Grabkammer<br />
Neferhotep, dessen Name übersetzt „Schön ist die Gnade“ bedeutet,<br />
lebte während der Regentschaft des Pharaos Eje und<br />
verstarb um das Jahr 1320 v. Chr. Als Schreiber und Aufseher<br />
der Güter des Schöpfergottes Amun überwachte Neferhotep<br />
das Vieh und die Ernteerträge. Seine hohe Stellung als staatlicher<br />
Beamter ermöglichte ihm wahrscheinlich ein gutes<br />
Auskommen, und er konnte sich eine prächtige Grabkammer<br />
leisten. Die Grabkammer mit der Nummer TT 49, in der neben<br />
Neferhotep auch seine Gattin Merit-Re bestattet wurde, liegt<br />
am Fuße des thebanischen Gebirges unweit vom Tal der Könige<br />
entfernt. Berühmte Pharaoninnen und Pharaonen wie die<br />
Pharaonin Hatschepsut haben sich dort ihre Totentempel erbauen<br />
lassen.<br />
Die Außenfassade der Grabkammer ist nach Osten, also in<br />
Richtung der aufgehenden Sonne ausgerichtet, und eine Inschrift<br />
nennt den Namen des Bestatteten sowie seine Ämter<br />
und Titel. Betritt man die Grabkammer, findet man ebenerdig<br />
das Vestibül und den Pfeilersaal. Diese zwei Kulträume wurden<br />
direkt in den Felshang gearbeitet und sind reich mit Wandmalereien,<br />
farbigen Reliefs und Figuren verziert, die Aufschluss<br />
über das Leben des Neferhotep bieten. Eine Nische dient zudem<br />
noch als Aufstellungsort für die Statuen des Grabinhabers<br />
und seiner Gemahlin. Die eigentliche Grabkammer liegt unterirdisch<br />
und ist über einen grob in den Felsen geschlagenen<br />
Gang erreichbar. Dieser Raum, in dem sich die Sarkophage befanden,<br />
wurde gänzlich ohne Bemalungen gestaltet.<br />
Kunsthistorische Überraschung<br />
Ein Projekt, das unter anderem von der Gerda Henkel Stiftung<br />
von 2005 bis 2007 gefördert wurde, sollte die Wandmalereien<br />
und Reliefdarstellungen wieder sichtbar machen. Die dabei<br />
vorgenommenen Untersuchungen in der Grabkammer zeigen<br />
deutlich, wie aufwendig die altägyptischen Handwerker die<br />
Wände bearbeiteten, bevor die Malereien aufgetragen werden<br />
konnten. Das Grab wurde in den Felsen hineingeschlagen, und<br />
dabei brachen immer wieder Felsstücke aus den Wänden heraus.<br />
Um diese Unebenheiten auszugleichen, trugen die Handwerksmeister<br />
mehrerer Putzschichten, die immer feiner wurden,<br />
auf. Auf der letzten und feinsten Putzschicht wurden dann<br />
die farbigen Malereien aufgetragen. Konturen aus Ockertönen<br />
bilden die Grundlage der üppigen Malereien, die Szenen der<br />
Dattelernte, Viehzucht und Weinherstellung zeigen. Zudem die<br />
Registrierung von Ernteerzeugnissen und das altägyptische<br />
Bewässerungssystem mit Ziehbrunnen dargestellt. Andere<br />
1<br />
Restaurator Patrick<br />
Jürgens in der Grabkammer<br />
des Neferhotep.<br />
Blick in die Grabkammer<br />
mit Blick auf die Nische,<br />
in der sich die Skulpturen<br />
des Bestatteten<br />
und seiner Gemahlin<br />
Mertit-Re befinden
KULTURGUT BEWAHREN<br />
In der Nekropole der Privatgräber Thebens befindet sich die Grabkammer des Neferhotep,<br />
oberster Schreiber des Schöpfergottes Amun. Es ist eines der größten privaten<br />
Gräber der Begräbnisstätte. Die Malereien in der Grabkammer des Neferhotep waren<br />
stark verschmutzt und wurden seit 2000 aufwendig restauriert und erforscht. RES-<br />
TAURO traf die verantwortlichen Restauratorinnen Susanne Brinkmann und Christina<br />
Verbeek vom Atelier für Restaurierung nach ihrer Rückkehr aus Ägypten in Köln.<br />
43<br />
1