Beton & Nicht Beton
ISBN 978-3-98612-087-0
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<strong>Beton</strong> & <strong>Nicht</strong> <strong>Beton</strong><br />
Felix Sommer
15<br />
Vorwort<br />
33<br />
HAUS AM SCHEDL BERG<br />
57<br />
FUTURIUM<br />
83<br />
MARIE-ELISABETH-<br />
LÜDERS-HAUS<br />
109<br />
DEUTSCH LANDHAUS<br />
135<br />
SCHINKELPLATZ<br />
157<br />
NEUE NATIONAL GALERIE<br />
179<br />
Nachwort
4 BETON & NICHT BETON
Haus am Schedl Berg<br />
5
6 BETON & NICHT BETON
Haus am Schedl Berg<br />
7
Vorwort<br />
Es war ein Zufall, der mich als gelernten Tischler und<br />
aktiven Musiker 2004 in die Baubranche brachte. <strong>Beton</strong><br />
und der ästhetische Umgang mit dem Werkstoff inte -<br />
ressierten mich schon länger, gleichzeitig war ich auf der<br />
Suche nach einer Tätigkeit, bei der ich mein Herzblut<br />
ein bringen konnte und die Kunst und Handwerk verbindet.<br />
Mein Netzwerk, meine Expertise und eine Prise<br />
Glück brachten mich auf die richtige Spur: Ein Bekannter<br />
hatte Schwierigkeiten mit der Qualität der Sichtbetonoberflächen<br />
auf seiner Baustelle und bat mich,<br />
meine Kontakte in der Welt der Restauratoren zu nutzen.<br />
Anfangs wollte ich lediglich einen Kontakt herstellen.<br />
Doch je mehr ich mich damit beschäftigte, desto faszinierender<br />
fand ich die gesamte Thematik rund um Sichtbeton,<br />
sowohl handwerklich als auch aus künstlerischer<br />
Perspektive betrachtet. Also wagte ich den nächsten<br />
Schritt und gründete eine Firma für Sichtbetonretusche,<br />
fast komplettes Neuland für damalige Begriffe.<br />
Dass ich fast 15 Jahre später mit dem Buchgestalter<br />
Robert Schumann am Rande einer Abendveranstaltung<br />
über die Idee sprechen würde, ein Buch über <strong>Beton</strong> zu<br />
schreiben, hätte ich am Beginn meiner <strong>Beton</strong>karriere<br />
nicht gedacht. Seit den Anfängen im Allgemeinen, aber<br />
besonders seit den ersten Buchideen 2018/19 ist unglaublich<br />
viel passiert – auf allen Ebenen. Hätte mir damals<br />
jemand gesagt, dass wir in den kommenden Jahren lernen<br />
müssten, mit einer weltweiten Pandemie und einem<br />
Krieg mitten in Europa zu leben, dass Energiekrisen und<br />
Inflation die neue Normalität würden, ich hätte es nicht<br />
für möglich gehalten. Aber so stehen die Dinge heute<br />
eben, was mit Sicherheit auch ein Grund dafür ist, dass<br />
ich mittlerweile einiges anders betrachte als zu Beginn<br />
unseres Projekts.<br />
Die Inspiration kam damals von meiner Frau Anke<br />
Sommer. Irgendwann, als ich ihr zum x-ten Mal von<br />
meinen Ideen und Plänen, die Baubranche verändern zu<br />
15
wollen, erzählte, sagte sie: „Schreib doch ein Buch!“ Ja,<br />
warum eigentlich nicht? Es sollte ein Buch werden,<br />
das nicht nur Architekten und Menschen aus dem Baugewerbe<br />
erreicht, sondern auch generell Interessierte<br />
anspricht, sowohl inhaltlich als auch visuell, um mit<br />
ihnen meine Vision zu teilen. Ob ich mein Ziel erreicht<br />
habe, muss jeder Leser für sich selbst entscheiden. In<br />
jedem Fall war es ein langer, schöner, manchmal etwas<br />
holpriger Weg, bei dem vieles anders gekommen ist, als<br />
ich es mir anfangs vorgestellt hatte.<br />
Vor der covid-19-Pandemie gab es einen steilen<br />
Boom im Baugewerbe, es wurde viel und gerne gebaut<br />
und investiert. Plötzlich waren wir mit noch nie dagewesenen<br />
Problemen konfrontiert, mit Materialmangel<br />
und steigenden Kosten. Dazu kam Anfang 2022 der<br />
Krieg in der Ukraine, die Stimmung wurde noch kälter,<br />
es kam vermehrt zu Unzuverlässigkeiten bei Absprachen,<br />
Illoyalität unter den Konkurrierenden und einer deutlich<br />
harscheren Verhandlungskultur. Einige kleinere<br />
Unternehmen sind in dieser Zeit in Konkurs gegangen.<br />
Das liegt meiner Meinung nach nicht nur daran, dass die<br />
Auftragslage schlechter geworden ist, sondern auch an<br />
der Zahlungsmoral. Gerade die großen Generalunternehmer,<br />
für die wir auch viel arbeiten, halten ihr Geld<br />
deutlich enger zusammen.<br />
Es war eine Zeit, um viel zu hinterfragen und zu<br />
reflektieren. Wo möchte ich mit sb5ünf überhaupt hin?<br />
Dass es mir nicht reichen würde – wie anfangs noch<br />
gedacht –, von unserer Arbeit zu erzählen, ist mir während<br />
des Schreibens klargeworden: Vom Futurium über<br />
das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus bis hin zur Neuen Nationalgalerie<br />
spannt sich ein unsichtbarer Bogen, der die<br />
einzelnen Projekte miteinander verbindet und größer<br />
ist als die Summe der einzelnen Teile.<br />
Es beginnt mit der ewigen Mangelbeseitigung: Immer<br />
noch haben viel zu wenige Bauherren auf dem Schirm,<br />
dass die Herstellung von hochwertigem <strong>Beton</strong> eine Wundertüte<br />
ist. Wer vernünftig plant, versucht gar nicht erst,<br />
alle Parameter zu kontrollieren, sondern preist hochwertige<br />
Nachbearbeitung direkt mit ein, um später Zusatzkosten<br />
und Stress zu vermeiden, so wie am Schinkelplatz<br />
(S. 135) geschehen. Wie wichtig es dagegen ist, die<br />
teilweise arg verhärteten Fronten zwischen Bauherren<br />
und Architekten auf der einen Seite und Rohbauern und<br />
anderen Gewerken auf der anderen Seite aufzulösen,<br />
zeigt das Beispiel Marie-Elisabeth-Lüders-Haus (S. 83).<br />
Übrigens nicht nur für unseren Seelenfrieden, sondern<br />
auch für die Natur. Denn eines ist klar: Wir müssen<br />
16 BETON & NICHT BETON
wieder nachhaltiger werden. Und ja, auch <strong>Beton</strong> mit seinem<br />
nicht gerade grünen Image kann das leisten, denn<br />
ein anderes Wort für nachhaltig ist langlebig, und genau<br />
das ist <strong>Beton</strong>. Wenn wir es schaffen, weniger abzureißen<br />
und die Lebensdauer von Gebäuden wieder in Jahrhunderten<br />
zu begreifen, verändern wir ganz automatisch<br />
auch den CO2-Fußabdruck der Branche. In den Gesprächen<br />
mit den Architekten Stefan Marte (S. 132) und<br />
Dominik Weigel (S. 154) geht es ganz konkret um Möglichkeiten<br />
und gangbare Wege zu einer grüneren Zukunft.<br />
Wie sehr Sanierung und Instandhaltung sb5ünf als<br />
Unternehmen prägen, zeigen auch unsere aktuellen<br />
Projekte: Die Neue Nationalgalerie (S. 157), die Bundesdruckerei,<br />
das Cadillac Monument, die Carl-Sonnenschein-Grundschule,<br />
das Düsseldorfer Schauspielhaus,<br />
der Hochbunker in der Berliner Reinhardtstraße, der<br />
Flughafen Tempelhof und viele Baustellen mehr zeigen,<br />
dass wir auf dem richtigen Weg sind.<br />
Letzten Endes geht es auch darum, Sichtbarkeit für<br />
eine Arbeit herzustellen, die gut ausgeführt meistens unsichtbar<br />
bleibt. Neue Kunden, die sich an einem bereits<br />
fertigen Objekt unsere Leistungen anschauen möchten,<br />
sehen meistens nichts – außer einem harmonischen<br />
gesamtbild. Zwar ist es für uns das größte Lob, wenn eine<br />
warm klingende Sichtbetonfläche entsteht, ohne dass<br />
man das Gefühl hat, es sei etwas retuschiert worden.<br />
Dennoch – und das ist auch einer der Hauptgründe für<br />
das Verfassen des vorliegenden Buchs – möchte ich das,<br />
was unsere Mitarbeitenden in minutiöser Feinarbeit<br />
leisten, all die Arbeit und Mühe, den Schweiß und<br />
manchmal auch den Frust, sichtbar machen. Denn nach<br />
20 Jahren in dem Job und über 2.000 besichtigten Baustellen<br />
bin ich immer noch jeden Tag aufs Neue begeistert,<br />
was für eine großartige Leistung hier erbracht wird.<br />
Vorwort 17
1<br />
HAUS AM<br />
SCHEDLBERG
34 BETON & NICHT BETON
Auf einem Hügel kurz vor der tschechischen Grenze, dort, wo der Bayerische<br />
Wald am tiefsten ist, steht eines der spannendsten Gebäude Deutschlands.<br />
Dass es dort niemand vermuten würde, gehört zum Gesamtkonzept.<br />
Natürlich kannte ich das Objekt schon von Bildern. Trotzdem klappte mir<br />
die Kinnlade herunter, als ich nach einer endlosen Fahrt durch dunkle<br />
Täler und an noch dunkleren Tannen vorbei irgendwann vor dem Haus<br />
am Schedlberg stand. Der Architekt Peter Haimerl, der mich eingeladen<br />
hatte, konnte sich ein Grinsen jedenfalls nicht verkneifen. Es dauerte ein<br />
Weilchen, bis ich mich wieder so weit gefangen hatte, um mit Haimerl über<br />
den Anlass unseres Treffens zu sprechen: wie wir dem bereits aufwendig<br />
sanierten Haus den letzten Feinschliff in puncto <strong>Beton</strong>kosmetik verpassen<br />
konnten.<br />
Das Schedlberg-Haus ist 1820 erbaut worden, also ein paar Jahre, bevor<br />
zwei Engländer Zement (wieder)entdeckten – und lange vor dem Siegeszug<br />
von <strong>Beton</strong> als modernem Baustoff. Zusammengehalten wurde dieses<br />
Haus etwa 200 Jahre lang von den Materialien, die die direkte Umgebung<br />
hergibt: Granit und Holz. Weil sich aber nach dem Tod der letzten Bewohner<br />
Mitte des vergangenen Jahrhunderts niemand mehr um das typisch<br />
niederbayerische Blockhaus gekümmert hatte, war es Ende der 2000er fast<br />
vorbei mit dem Zusammenhalten: Ein riesiges Loch klaffte in einer Seitenwand,<br />
der hintere Teil des Hauses war quasi nicht mehr existent, und auch<br />
der vordere Wohnbereich hielt sich nur noch mit letzter Not aufrecht.<br />
Die Farne, die im Inneren wucherten, wurden durch das löchrige Dach mit<br />
Wasser versorgt; zwischenzeitlich wohnten sogar Schafe im und am Haus.<br />
Kurzum: Das Haus am Schedlberg war eigentlich ein Fall für ein Abrissunternehmen.<br />
Dass aus dem ehemaligen Austragshaus, in das zu früheren<br />
Zeiten die Altbauern abgeschoben wurden, heute stattdessen ein gern<br />
besuchtes „Denkhaus“ geworden ist, von dem sich Architekten und Bauherren<br />
inspirieren lassen und in dem sie sich austauschen können, hat vor<br />
allem mit einem Perspektivwechsel zu tun.<br />
Keine Frage, <strong>Beton</strong> kann grau, hart und unpersönlich sein: Ein kurzer Spaziergang<br />
durch eine beliebige deutsche Stadt reicht oft für die Erkenntnis<br />
aus, die dem Baustoff sein maximal funktionales Image verliehen hat.<br />
<strong>Beton</strong> kann aber auch warm und lebendig sein, überhaupt nicht mehr hart,<br />
sondern vielmehr rau, stark und schön. Das Haus am Schedlberg ist dafür<br />
ein tolles Beispiel: Massive <strong>Beton</strong>balken haben die im Lauf der Jahre weggefaulten<br />
oder eingestürzten Bauteile ersetzt und schmiegen sich an offen<br />
liegende Dachsparren und hölzerne Schindeln. Wer das alte Austragshaus<br />
heute zum ersten Mal erblickt, sieht einen ungemein spannenden Dreiklang<br />
aus Holz, Stein – und <strong>Beton</strong>.<br />
Links: Bei einem konventionellen<br />
Bauvorhaben hätte die Dokumentation<br />
des Vorzustands des Hauses am<br />
Schedlberg nur einen Schluss zugelassen:<br />
eiskalter Abriss.<br />
Rechts: Da stand ich nun vor dem<br />
alten Waidlerhaus, dem wahrscheinlich<br />
unwahrscheinlichsten Ort für ein<br />
SB5ÜNF-Engagement.<br />
Haus am Schedl Berg<br />
35
40 BETON & NICHT BETON
Haus am Schedl Berg<br />
41
4<br />
DEUTSCHLAND-<br />
HAUS
Die freie Wendeltreppe hat<br />
das Bauunternehmen in<br />
Ortbeton hergestellt. Ein<br />
Meisterwerk der Baukunst<br />
und ein echter Blickfang<br />
im Raum.<br />
Über die breite Freitreppe stieg ich hinauf in die obere Ebene des zweigeschossigen<br />
Hauptraums. Die gerade fertiggestellte 880 Quadratmeter<br />
große Decke überspannte die gesamte Fläche. Eine imposante, freischwebende<br />
Wendeltreppe schraubte sich zur Decke hinauf in eine weitere Etage.<br />
Die Sonne brach durch die Fenster des neu geschaffenen Foyers, ich<br />
fühlte mich wie an einer Felswand. Als sich die Wolken wieder davorschoben,<br />
änderte sich das ganze Lichtspiel im Raum erneut, und ich betrachtete<br />
die Kiesnester, gewollt und doch zufällig entstanden, Bilder in <strong>Beton</strong>.<br />
Hier, im Deutschlandhaus in Berlin-Kreuzberg, hatten wir knapp drei Jahre<br />
lang gearbeitet – von den ersten Überlegungen über die Mustererstellung<br />
bis zur Umsetzung –, und nun war der Zeitpunkt der Abnahme gekommen.<br />
Für mich eine aufregende Nummer, das spektakuläre Projekt war<br />
mir nicht nur wegen der langen Beschäftigung damit ans Herz gewachsen.<br />
Kurz nach mir trafen die anderen Beteiligten ein: die Bauherrenvertretung,<br />
ein Gesandter vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung<br />
(bbr), Robert Zimmermann, der Projektleiter des planenden österreichischen<br />
Architekturbüros Marte.Marte Architekten und die bauleitende<br />
Mitarbeiterin von sb5ünf. Zu zehnt standen wir, die Köpfe im Nacken,<br />
in der Mitte des Raums und begutachteten ein bisschen sprachlos die<br />
Decke. Ob dann zehn Minuten oder eine Stunde vergingen, kann ich gar<br />
nicht genau sagen, so entspannt und unkompliziert ging die Abnahme<br />
über die Bühne – und damit gewissermaßen spektakulär unspektakulär.<br />
110 BETON & NICHT BETON
Einstimmig wurde befunden, dass hier alles hervorragend funktioniert<br />
hat. Die Bauherrenvertretung erkundigte sich noch, ob man an der und der<br />
Stelle etwas machen könnte, um die Fugen zu verbergen. „Klar“, antwortete<br />
ich, „aber die Decke lebt, da noch mal ranzugehen, würde ein neues Fass<br />
aufmachen, das Gleichgewicht würde verloren gehen.“ Das überzeugte.<br />
Tatsächlich zeigt die Erfahrung, dass man, einmal angefangen, immer<br />
mehr Stellen findet und die Decke dann am Ende doch noch abgedeckt ist.<br />
Es braucht stattdessen einen gewissen Mut zur Lücke: Man muss an einem<br />
bestimmten Punkt aufhören, um ein Ergebnis zu erzielen, das aussieht, als<br />
wäre es nicht behandelt. In diesem Fall wollten wir eine Decke sanieren,<br />
die so aussieht, als wäre sie so aus der Schalung gekommen.<br />
Aber zurück zum Tag der Abnahme: Der Bauherrenvertretung leuchte ten<br />
unsere Argumente ein, nach kurzer Zeit durchschritten wir alle einig den<br />
Raum. Ich erläuterte Details zu unserem handwerklichen und künstlerischen<br />
Vorgehen, welche Schwierigkeiten aufgetreten waren und wo ich<br />
die Qualität von sb5ünf besonders hervorscheinen sähe. In einem Satz<br />
zusam men gefasst: Es war uns gelungen, bei einer Decke von monumentalen<br />
Ausmaßen eine Homogenität im Erscheinungsbild herzustellen,<br />
wo vorher totales Chaos geherrscht hatte – und das, ohne die Decke streichen<br />
zu müssen.<br />
Dass sich alle Beteiligten eines Bauprojekts so einig waren, ist zwar grundsätzlich<br />
eine Überraschung, kam in diesem Fall aber nicht überraschend:<br />
Der gesamte Bauprozess lief transparent ab, wir haben viel und eng kommuniziert,<br />
alle wussten, was sie erwartete. Das Unaufgeregte dieser Abnahme<br />
war das Spiegelbild der guten Zusammenarbeit aller Beteiligten. Jegliche<br />
Probleme, die in anderen Projekten manchmal erst bei der Abnahme an -<br />
gesprochen und diskutiert werden, hatten wir im Vorfeld schon aus dem<br />
Weg geräumt.<br />
Nach der denkmalgerechten Sanierung von 2015 bis 2020 nach Plänen<br />
des Büros Marte.Marte Architekten mit seinem fantastischen Blick auf<br />
<strong>Beton</strong> ist im Deutschlandhaus heute das Dokumentationszentrum Stiftung<br />
Flucht, Vertreibung, Versöhnung angesiedelt. Spannend ist dabei,<br />
wie ein moderner, hochfunktionaler Museumskubus in das historische<br />
Gebäude aus den 1920er/30er Jahren integriert wurde. Der von außen<br />
massiv wirkende Originalbau besteht in Wirklichkeit aus einem filigranen<br />
Stahl skelett, das mit Ziegeln ausgefacht und ummantelt wurde. Er wurde<br />
für die Restaurierung grundlegend entkernt, wobei unzäh lige Schichten<br />
zutage traten, die von der bewegten Geschichte des Hauses erzählen.<br />
Die thematische Ausrichtung des Deutschlandhauses spiegelt sich<br />
im Brückenschlag zwischen Historie und moderner Architektur wider:<br />
Das Foyer öffnet sich nach außen zur Stadt und bildet eine Sicht achse zur<br />
Topographie des Terrors.<br />
Links: Die Vorbereitungen<br />
und Einschalarbeiten vor der<br />
<strong>Beton</strong>age „unserer“ Decke.<br />
Schon zu diesem frühen Zeitpunkt<br />
waren wir involviert.<br />
Rechts: Ein Detail der Decke<br />
nach dem Ausschalen, vor<br />
unserer Bearbeitung. Man<br />
sieht die Abdrücke der Heizschlaufen<br />
in der betonkernaktivierten<br />
Decke sowie<br />
Rostspuren, Ausblutungen<br />
und Verfärbungen.<br />
DeutscH land Haus<br />
111
116 BETON & NICHT BETON
DeutscH land Haus<br />
117
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DeutscH land Haus<br />
129
6<br />
NEUE<br />
NATIONAL-<br />
GALERIE
Wenn ich an die Sanierung der Neuen Nationalgalerie denke, bekomme<br />
ich immer noch eine Gänsehaut. Es wirkt auch rückblickend surreal, dass<br />
wir mit sb5ünf die Möglichkeit hatten, Teil der Sanierung dieses Prestigeprojekts<br />
zu sein. Man muss nicht wie ich ein Bauhaus-Fan sein, um zu<br />
spüren, dass wir es bei diesem ikonischen Gebäude mit etwas Außergewöhnlichem<br />
zu tun hatten. Die 11.550 Quadratmeter große Granitterrasse<br />
bildet einen, wie der Architekt Mies van der Rohe es nannte, „Universalraum“,<br />
auf dem ein quadratischer Pavillon als Glas- und Stahlkonstruktion<br />
mit 50,4 Metern Seitenlänge aufsitzt. Das scheinbar schwebende Dach mit<br />
einer Fläche von 4.200 Quadratmetern und einem Gewicht von 1.200 Tonnen<br />
ruht auf nur acht schlanken Stahlsäulen. Ein völliges Novum für die<br />
damalige Zeit und selbst heute noch technisch höchst anspruchsvoll.<br />
Am Tag des Richtfests, dem 12. April 1967, brachte van der Rohe seinen<br />
Dank den Bauleuten gegenüber zum Ausdruck. Er sprach von „den <strong>Beton</strong>fritzen,<br />
den Granitleuten, den Stahlleuten und den Konstrukteuren, die eine<br />
so feine Lösung für eine so komplizierte Aufgabe gefunden haben“, und war<br />
beeindruckt, „wie sich das Dach vor einer Woche lautlos hob. Und auch die<br />
Begeisterung mit der hier gearbeitet wird, war mir unbekannt, obwohl ich<br />
bestimmt schon manchen Bau sah.“<br />
Als Mies van der Rohe im Jahr 1962 vom Westberliner Senat das Angebot<br />
für die Gestaltung einer „Galerie des 20. Jahrhunderts“ im Kulturforum am<br />
Kemperplatz erhielt, hatte er schon ein bewegtes Leben hinter sich. Geprägt<br />
von anfänglicher Nähe zu den Nationalsozialisten und seiner späteren Emigration<br />
nach Amerika, gründete er in den USA sein eigenes Architektur büro<br />
namens „The Architects Collaborative“ (tac) und erhielt zahlreiche Aufträge.<br />
Für die Planung und Durchführung der Neuen Nationalgalerie, wie<br />
sie später getauft wurde, reiste er trotz schlechten Gesundheitszustands<br />
mehrmals nach Berlin, konnte zur Eröffnung des Baus 1968 jedoch nicht<br />
mehr dabei sein und verstarb ein Jahr darauf. Was er hinterließ, ist ein zeitloses<br />
Erbe, das Architektinnen und Architekten bis heute inspiriert.<br />
Die Neue Nationalgalerie ist seit ihrer Eröffnung der bildenden Kunst des<br />
20. Jahrhunderts gewidmet. Damals stand der Bau noch auf einer Nachkriegsbrache<br />
am Stadtrand Westberlins, heute ist er Teil des pulsierenden<br />
Zentrums nahe dem Potsdamer Platz. Nach fast 50 Jahren intensiver Nutzung<br />
war es aber schließlich Zeit für eine umfassende Sanierung des seit<br />
1995 denkmalgeschützten Hauses. 2015 wurde die Neue Nationalgalerie für<br />
die anstehenden Maßnahmen geschlossen. Das renommierte Architekturbüro<br />
David Chipperfield Architects betreute die vom Bund mit über 100 Millionen<br />
Euro unterstützte Sanierung und Modernisierung, wobei möglichst<br />
viel der ursprünglichen Bausubstanz erhalten werden sollte. Der Plan<br />
umfasste auch technische Upgrades wie Klimaanlagen, barrierefreie Zugänge,<br />
Neuerungen in der Lichttechnik und Besuchereinrichtungen wie Café,<br />
Garderobe und Museumsshop. Die beiden Letztgenannten befanden sich<br />
zuvor im Erdgeschoss und sollten nun in neuer und größerer Ausstattung<br />
ins Untergeschoss wandern, in Räume, die der Öffentlichkeit bislang nicht<br />
zugänglich und die dementsprechend in roughem, bisher nicht sichtbarem<br />
Zustand waren. Und die genau deshalb zu unserer Spielwiese wurden.<br />
Dass auf der Baustelle eine sehr besondere Stimmung herrschte, war ab<br />
der ersten Begehung im Sommer 2017 klar. Damals wusste ich noch gar<br />
nicht, worum es hier überhaupt gehen sollte. Ich wurde vom Bauleiter des<br />
ausführenden Bauunternehmens, den ich von vielen anderen Baustellen<br />
bereits gut kannte, angerufen und zur Neuen Nationalgalerie bestellt, um<br />
mir dort „etwas anzugucken“, wie es hieß. Als ich die Baustelle erreichte,<br />
158 BETON & NICHT BETON
waren die Sanierungsarbeiten bereits seit zwei Jahren in vollem Gange,<br />
und nichts erinnerte mehr an das eigentliche Museum. „Sanierung“ klingt<br />
untertrieben, wenn man sich einmal vor Augen führt, was hier eigentlich<br />
alles gemacht wurde. Das Gebäude wurde komplett entkernt und in seine<br />
Einzelteile zerlegt. Jedes Teil wurde auf Funktionalität und Beständigkeit<br />
überprüft, es wurden nicht-konstruktive Elemente wie Wände und Decken<br />
entfernt, die markanten Verkleidungen aus Marmor, Onyx, Travertin und<br />
Brauneiche waren abgenommen. David Chipperfield: „35.000 Teile wurden<br />
sorgfältig entfernt, nummeriert, repariert und an ihren Ursprungsort<br />
zurückgebracht.“ Im Zuge der Abbrucharbeiten hatte man das Stahlskelett<br />
freigelegt, was die industrielle Bauweise mit dem regelmäßigen Stützenraster<br />
und das Deckensystem aus Stahlbetonkassetten offenbarte.<br />
Die beschädigten Stege als<br />
Teil der Kassettendecke im<br />
Untergeschoss vor der Sanierung:<br />
Die Decke, an der<br />
der Zahn der Zeit nagte, war<br />
bis dato nicht sichtbar.<br />
Ich betrat also das Gebäude und stand in einem komplett eingerüsteten<br />
Untergeschoss. Die Wände waren für mich nicht sichtbar, ich hatte keine<br />
Ahnung, was am Ende dieser Räume war. Was unsere Aufgabe sein sollte,<br />
erschloss sich mir also nicht sofort. Schließlich stieß der Bauleiter dazu,<br />
der mich tags zuvor angerufen hatte. Wir navigierten durch den Ständerwald<br />
des Untergeschosses und gelangten schließlich in den Bereich mit der<br />
freigelegten Kassettendecke. sb5ünf sollte nach der massiven Kernsanierung<br />
mit der Sichtbetonkosmetik beauftragt werden. Wir waren zu dem<br />
Zeitpunkt kein unbeschriebenes Blatt, unsere Expertise hatte sich herumgesprochen.<br />
Anfangs war nur davon die Rede, die Risse, die zuvor geschlossen<br />
worden waren, so zu retuschieren, dass die Sichtbetonflächen wieder<br />
top aussahen. Im Zuge der Musterbesprechungen wurde den Verantwortlichen<br />
jedoch klar, dass es sinnvoll wäre, wenn wir die gesamte Sichtbetonkosmetik<br />
an der Kassettendecke bis zum Ende mitbetreuen würden.<br />
Und dafür wurden dann tatsächlich auch vergleichsweise unkompliziert<br />
Gelder bereitgestellt. Es war einfach der Wille bei allen Beteiligten vorhanden,<br />
ein hervorragendes Ergebnis zu erzielen, mit einem Partner für den<br />
Sichtbeton, der von Anfang an mit an Bord war.<br />
Neue National galerie<br />
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Neue National galerie<br />
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Neue National galerie<br />
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Neue National galerie<br />
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Ein Verlag der Walter de Gruyter GmbH, Berlin / Boston<br />
Das Copyright für die Texte liegt bei den autorinnen<br />
und Autoren. Das Copyright für die Abbildungen liegt<br />
bei den Fotografinnen und Fotografen / Inhaberinnen<br />
und Inhabern der Bildrechte. Alle Rechte vorbehalten.<br />
Texte<br />
Felix Sommer in Zusammenarbeit mit<br />
Julia Schönicke und Julian Vetten<br />
Lektorat<br />
Susanne George<br />
Korrektorat<br />
Jutta Ziegler<br />
Gestaltung und Satz<br />
Lydia Sachse (Buchgut)<br />
Herstellung<br />
Robert Schumann (Buchgut), Markus Paetz (sb5ünf),<br />
Susanne Rösler ( ovis Verlag)<br />
Lithografie<br />
Fotografen und Else Dittel (Buchgut)<br />
Projektmanagement<br />
Theresa Hartherz ( ovis Verlag)<br />
Projektakquise<br />
Felix Torkar ( ovis Verlag)<br />
Druck und Bindung<br />
dza Druckerei zu Altenburg<br />
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