04.04.2024 Aufrufe

Mixology Issue #120 – REIS, BABY!

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Text Reinhard Pohorec<br />

Aus Japan kommt – mal<br />

wieder – der Begriff für<br />

eine mehr oder wenige<br />

neue Entdeckung, die<br />

im kulinarischen Raum<br />

ebenso bahnbrechend<br />

sein könnte wie einst<br />

»Umami«. Diesmal geht<br />

es um »Kokumi«. Was<br />

sich dahinter verbirgt, ist<br />

erst schwer zu beschreiben,<br />

bei detaillierter<br />

chemisch-physikalischer<br />

Beschreibung aber<br />

absolut plausibel. Und<br />

für die Bar vielleicht eine<br />

neue Geheimwaffe.<br />

Umami ist keine fernöstliche Kampfsportart.<br />

Mit »auf die Fresse« hat es sprichwörtlich dennoch<br />

zu tun. Vereinzelt trifft man noch auf<br />

entgeisterte Blicke und dicke Fragezeichen<br />

in den Augen jener, die bei süß, sauer, salzig<br />

und bitter mit ihrem Geschmackslatein am<br />

Ende sind. Seit der Chemiker Kikunae Ikeda<br />

1908 erstmalig behauptet hatte, eine neue Geschmackskomponente<br />

gefunden zu haben, ist<br />

viel passiert. Doch kaum ist Umami halbwegs<br />

im Genussmainstream angekommen – immerhin<br />

hat es knapp über hundert Jahre gedauert<br />

–, stolpert mit Kokumi () die nächste<br />

Sensorik-Wunderwaffe aus Japan um die Ecke.<br />

Wem nicht jetzt schon der Kopf raucht, aber<br />

immerhin das Wasser im Munde zusammenläuft,<br />

der möge uns über die nächsten Zeilen<br />

gewogen bleiben.<br />

Was ist Kokumi?<br />

Eine schnelle Suchmaschinenanfrage spült eine<br />

Definitionsflut für den Begriff über den Bildschirm,<br />

darunter »Vollmundigkeit«, »Köstlichkeit«<br />

und Ähnliches. So weit, so schwammig.<br />

Die wörtliche Übersetzung aus dem Japanischen<br />

lautet: »reicher (koku) Geschmack (mi)«.<br />

Der Komplexität menschlicher Sensorik ist mit<br />

einer einfachen Ein-Wort-Definition jedoch<br />

kaum Rechnung getragen. Schmecken wir etwas<br />

genauer hin.<br />

Während Umami heute mit Fug und Recht<br />

als fünfte Geschmackskomponente kategorisiert<br />

wird, betrifft Kokumi vor allem die Mundfülle.<br />

Zwar hat es nicht zwingend eine eigene<br />

Aromatik oder gustatorische Qualität, modifiziert,<br />

ergänzt oder verstärkt aber die Wahrnehmung<br />

anderer Eindrücke, was zu einem vollmundigen<br />

und vielschichtigen Erlebnis führt.<br />

Kokumi ist eng an die Umamigeschmacksbildung<br />

gekoppelt, hat aber per se nichts damit<br />

zu tun. Umami wird immer über entsprechende<br />

und eindeutige Geschmacksrezeptoren<br />

wahrgenommen; Kokumi nicht, sondern über<br />

sogenannte Calciumsensitive Rezeptoren.<br />

Der küchenaffine deutsche Physiker Thomas<br />

Vilgis klärt auf: »Für Kokumi sind vor allem<br />

Gamma-Glutamylpeptide verantwortlich, also<br />

kurze Proteinbruchstücke, an denen eine<br />

Glutaminsäure am einen Ende sitzt, gefolgt von<br />

zwei bis drei wasserunlöslichen Aminosäuren.<br />

Allerdings muss, um Kokumi auszulösen, die<br />

übliche alpha-Peptidbindung enzymatisch in<br />

eine gamma-Peptidbindung geändert werden.<br />

Okay, das klingt jetzt recht biochemisch-theoretisch«,<br />

schmunzelt er. Der Professor für Theoretische<br />

Physik an der Universität Mainz leitet<br />

die Arbeitsgruppe »Molekulare Lebensmittelwissenschaften«<br />

am Max-Planck-Institut für<br />

Polymerforschung. Als begeisterter Koch hat<br />

er die Erkenntnisse seiner Forschung in mehreren<br />

Büchern zur Wissenschaft des Kochens<br />

publiziert.<br />

In seinem Buch Aroma – Die Kunst des Würzens<br />

beschreibt Vilgis Kokumi unter der Überschrift<br />

»Geschmacksmodulation und Mundfülle«.<br />

Dabei assoziiert er diese Rundheit am<br />

Gaumen nicht unbedingt mit dem cremig-fettigen<br />

Gefühl, beispielsweise einer Panna Cotta.<br />

Vielmehr könne eine große Mundfülle ebenso<br />

durch sehr lange gekochte Hühnerbrühen oder<br />

andere Fleischfonds erzeugt werden. Auch ein<br />

Gulasch, eine einfache Bolognese oder ein<br />

herzhafter Bohneneintopf besitzen eine solche<br />

Vollmundigkeit. Es ist folglich wichtig zu<br />

unterscheiden: Der Kokumi-Eindruck ist keine<br />

texturelle Qualität, sondern molekular bedingt.<br />

Ein verbindender Aspekt obiger Gerichte<br />

ist die überdurchschnittlich lange Kochzeit<br />

und Reife. Im Zuge des dabei stattfindenden<br />

Prozesses der Hydrolyse zerfallen die in allen<br />

Lebensmitteln vorkommenden Proteinketten<br />

langsam zu immer kleineren Teilchen. Bruchstücke,<br />

die aus zwei oder drei Aminosäuren<br />

und einer Glutaminsäure bestehen, werden<br />

Gamma-Glutamylpeptide (auch γ-Glutamilpeptide)<br />

genannt. Diese Peptide sind unter anderem<br />

für den Kokumi-Effekt verantwortlich.<br />

Vilgis doziert weiter: »Das Zerlegen der Proteine<br />

in diese ›kokumisierenden‹ Glutamylpeptide<br />

kann sowohl durch Fermentation als<br />

auch durch Enzyme, pH-Wert-Änderungen<br />

oder, wie in den bereits genannten Beispielen,<br />

durch Hitze vonstatten gehen. Bei der Herstellung<br />

von Sojasauce etwa werden zum Zerlegen<br />

der Proteine enzymatische Fermentationsprozesse<br />

eingesetzt. Auch die lange Reifung von<br />

Käse lässt neben vielen anderen Reaktionen<br />

solche Proteinbruchstücke entstehen, die für<br />

die große Mundfülle von reifem Käse sorgen.«<br />

45

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!