Lotus Quartett
Kulturringkonzert: Streichquartett, Heilbronn, Theodor-Heuss-Saal des Konzert- und Kongresszentrums Harmonie, 16.4.2024, 19.30 Uhr
Kulturringkonzert: Streichquartett, Heilbronn, Theodor-Heuss-Saal des Konzert- und Kongresszentrums Harmonie, 16.4.2024, 19.30 Uhr
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KULTURRING<br />
HEILBRONN E.V.<br />
www.kulturring-heilbronn.de<br />
STREICHQUARTETT II<br />
LOTUS QUARTETT<br />
DIENSTAG, 16. APRIL 2024<br />
19.30 UHR
Streichquartett II<br />
LOTUS QUARTETT<br />
SACHIKO KOBAYASHI, Violine<br />
SWANTJE TAUSCHER, Violine<br />
TOMOKO YAMASAKI, Viola<br />
CHIHIRO SAITO, Violoncello<br />
6. Veranstaltung der Kulturring-Konzertreihe 2023/2024<br />
Theodor-Heuss-Saal, 19.30 Uhr<br />
JOSEPH HAYDN 1732–1809<br />
Streichquartett C-Dur op. 20, 2<br />
aus den »Sonnenquartetten« Hob.III:32<br />
- Moderato<br />
- Adagio<br />
- Menuetto (Allegretto)<br />
- Allegro<br />
22 Min.<br />
FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY 1809–1847<br />
Streichquartett f-Moll op. 80<br />
25 Min.<br />
- Allegro vivace assai - Presto<br />
- Allegro assai<br />
- Adagio<br />
- Finale. Allegro molto<br />
Pause<br />
JOHANNES BRAHMS 1833–1897<br />
Streichquartett a-Moll op. 51, 2<br />
35 Min.<br />
- Allegro non troppo<br />
- Andante moderato<br />
-Quasi Minuetto, moderato – Allegretto vivace – Tempo I<br />
- Finale. Allegro non assai
Guten Abend,<br />
drei Jahrzehnte nach seiner Gründung 1992 in Tokyo<br />
stellt das seit vielen Jahren in Stuttgart ansässige <strong>Lotus</strong><br />
<strong>Quartett</strong> heute in mehrfacher Hinsicht ein besonderes<br />
Phänomen dar: Als eines der wenigen auf allen<br />
Positionen weiblich besetzten Ensembles der internationalen<br />
<strong>Quartett</strong>szene spielt es schon besonders lange<br />
in weitgehend konstanter Besetzung.<br />
Drei Streichquartette stehen auf dem Programm des<br />
<strong>Lotus</strong> <strong>Quartett</strong>s, jedes wurde an einer besonderen<br />
Stelle im Leben seiner Komponisten verfasst: Joseph<br />
Haydn ist mit den Sonnenquartetten op. 20 auf dem<br />
Weg zum klassischen Streichquartett, Felix Mendelssohn<br />
Bartholdy verarbeitet mit seinem op. 80 den Tod<br />
seiner Schwester Fanny Hensel und Johannes Brahms<br />
hat mit dem op. 51 seine ersten Streichquartette veröffentlicht.<br />
Freuen Sie sich auf Sachiko Kobayashi, Swantje Tauscher,<br />
Tomoko Yamasaki und Chihiro Saito, das <strong>Lotus</strong><br />
<strong>Quartett</strong>, und das Streichquartettprogramm der Musikerinnen.<br />
Die Darbietung darf in keiner Form aufgenommen, fotografiert<br />
oder gefilmt werden.<br />
Herausgeber: Kulturring Heilbronn e.V.<br />
Abonnementbüro: Heilbronner Reisebüro Böhm<br />
Sülmerstraße 13 / Tel. 0 71 31/62 40-0<br />
Texte: Ulrich Heffter<br />
Gestaltung: www.wsk-werbung.de
LOTUS QUARTETT<br />
Die für den Musiziergeist des <strong>Lotus</strong> <strong>Quartett</strong>s charakteristische<br />
Synthese kultureller Einflüsse aus Japan<br />
und Deutschland vertieft sich seit 2022 durch den<br />
Neuzugang der aus Stuttgart stammenden, als Erste<br />
Konzertmeisterin beim Philharmonischen Orchester<br />
Freiburg wirkenden Geigerin Swantje Tauscher am Pult<br />
der Zweiten Violine. Wie einst ihre Kolleginnen erhielt<br />
Tauscher wesentliche künstlerische Impulse in der<br />
Zusammenarbeit mit Peter Buck vom Melos <strong>Quartett</strong><br />
sowie von Rainer Schmidt, dem Zweiten Geiger des<br />
Hagen <strong>Quartett</strong>s.<br />
Die <strong>Quartett</strong>e der Wiener Klassik und der deutschen<br />
Romantik sowie die französischen Impressionisten<br />
zählen zu den Repertoire-Schwerpunkten des <strong>Lotus</strong><br />
<strong>Quartett</strong>s. Daneben spielen zeitgenössische japanische<br />
Komponisten wie Tōru Takemitsu und Toshio Hosokawa<br />
eine wichtige Rolle sowie Werke von Helmut<br />
Lachenmann und der Zweiten Wiener Schule. Besondere<br />
Aufmerksamkeit erregten die Aufnahme ausgewählter<br />
<strong>Quartett</strong>e von Mozart und eine Produktion mit<br />
japanischen Komponisten der Gegenwart (1997 bzw.<br />
2000) sowie eine CD mit wenig bekannten <strong>Quartett</strong>en<br />
des Böhmen Johann Baptist Vanhal (2014). Die exzellenten<br />
Rezensionen der Fachkritik begegneten einem<br />
seinerzeit noch weit verbreiteten Vorurteil, wonach
asiatische Musikerinnen und Musiker kein genuines<br />
Verständnis für die geistige Welt des europäischen Repertoires<br />
aufbrächten.<br />
Bereits 1993 errang das <strong>Lotus</strong> <strong>Quartett</strong> den dritten<br />
Preis beim renommierten internationalen Kammermusikwettbewerb<br />
in Osaka. Ein Stipendium ermöglichte<br />
den vier Musikerinnen die Teilnahme an Meisterkursen<br />
des Amadeus und des Melos <strong>Quartett</strong>s. Von 1995<br />
an studierten sie beim Melos <strong>Quartett</strong> an der Staatlichen<br />
Hochschule für Musik und darstellende Künste<br />
in Stuttgart. Rasch stellten sich Wettbewerbserfolge<br />
ein: Dem zweiten Preis beim Viotti-Wettbewerb in Italien<br />
(1995) folgten in der Saison 1996/97 der Menuhin-<br />
Preis beim Londoner <strong>Quartett</strong>-Wettbewerb, der dritte<br />
Preis beim berühmten »Premio Paolo Borciani« sowie<br />
der erste Preis beim Wettbewerb des Kulturkreises der<br />
Deutschen Wirtschaft im BDI.<br />
Innerhalb kurzer Zeit etablierte sich das <strong>Lotus</strong> <strong>Quartett</strong><br />
als gern gesehener Gast der bedeutenden deutschen<br />
Kammermusikreihen in München, Erfurt, Bruchsal<br />
oder Braunschweig sowie bei Sommerfestivals wie<br />
den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern und beim<br />
Schleswig-Holstein-Musikfestival, wo die Musikerinnen<br />
1998 intensiv mit Walter Levin zusammenarbeiteten,<br />
dem einstigen Primarius des LaSalle <strong>Quartett</strong>s.<br />
In die gleiche Zeit fällt der Beginn der internationalen<br />
Karriere des <strong>Lotus</strong> <strong>Quartett</strong>s mit Konzerten u. a. in Valencia,<br />
Zürich, Tokyo und Osaka.<br />
Neben seinen regelmäßigen Engagements bei den<br />
bedeutenden Spielstätten in Deutschland wie dem<br />
Konzerthaus Berlin, der Laeiszhalle in Hamburg, der<br />
Tonhalle Düsseldorf oder der Stuttgarter Liederhalle<br />
und allen großen Festivals gastierte das <strong>Lotus</strong> <strong>Quartett</strong><br />
erfolgreich in zahlreichen europäischen Ländern.<br />
Das <strong>Quartett</strong> unternimmt regelmäßige Tourneen in sein<br />
Heimatland Japan und tritt dort in allen wichtigsten<br />
Zentren auf. Seit 1998 gastierte es jedes Jahr in Darmstadt,<br />
wo es das komplette <strong>Quartett</strong>-Schaffen von<br />
Beethoven aufgeführt hat. Im November 2004 begann<br />
der Schubert-Zyklus, von 2008 an präsentierte das Lo-
tus <strong>Quartett</strong> in fünf Konzerten die zehn reifen <strong>Quartett</strong>e<br />
Mozarts sowie dessen fünf Streichquintette. Im Jahr<br />
2012 feierte das Ensemble sein 20-jähriges Bestehen<br />
mit einem Konzert in der Izumi-Hall in Osaka, das vom<br />
japanischen NHK-Fernsehen aufgezeichnet wurde.<br />
2017 hat das <strong>Lotus</strong> <strong>Quartett</strong> erneut einen Beethoven-<br />
Zyklus in Japan gespielt, 2018 folgten Aufführungen<br />
der späten <strong>Quartett</strong>e Beethovens in mehreren japanischen<br />
Städten.<br />
Zyklische Darbietungen der <strong>Quartett</strong>e großer Komponisten<br />
wie Mozart, Schubert, Schumann, Brahms und<br />
Beethoven spielen eine zentrale Rolle bei den regelmäßigen<br />
Japan-Gastspielen des <strong>Lotus</strong> <strong>Quartett</strong>s. Die<br />
Tournee zum 30-jährigen Bestehen des Ensembles im<br />
Februar 2023 wird in der Aufführung aller sechs <strong>Quartett</strong>e<br />
von Felix Mendelssohn an zwei Abenden gipfeln.<br />
Zu den Kammermusikpartnern des <strong>Lotus</strong> <strong>Quartett</strong>s<br />
gehörten u. a. Wolfgang Boettcher, Martin Fröst, Sebastian<br />
Manz, Peter Buck, Wolfgang Güttler, Philippe<br />
Tondre oder Bernd Glemser.<br />
HAYDN STREICHQUARTETT C-DUR<br />
Nach dem Abschluss seiner Sonnen-<strong>Quartett</strong>e op. 20<br />
im Sommer 1772 ist sich der 40-jährige Joseph Haydn<br />
(1732-1809) bewusst, mit diesem Opus alle seine bisherigen<br />
Werke an Kunstfertigkeit, Vielfalt und Dichte<br />
übertrofffen zu haben. Mit je einer Doppel-, Tripel- und<br />
Quadrupelfuge sowie einem fugiert ansetzenden g-<br />
Moll-Allegro packt Haydn in die Finali das Maximum<br />
an Kunstfertigkeit hinein, was im Genre des galanten<br />
»Divertimento a quattro« noch möglich war. Obwohl er<br />
diesen altertümlichen Titel für das Streichquartett hier<br />
noch einmal verwendet, hat er ihn doch gerade in Opus<br />
20 ad absurdum geführt. Mit diesem einen Werk wird<br />
aus dem galanten Dialog von vier Streichern zum eigenen<br />
Plaisir das moderne Streichquartett als Inbegriff<br />
kompositorischer Kunstfertigkeit und Konzentration.
Opus 20, 2 in C-Dur beginnt noch traditionell – mit<br />
Formeln, wie man sie in den Wiener Triosonaten eines<br />
Fux, Tuma oder Gluck finden kann. Dieser »gehende«<br />
Barockduktus löst sich zwar bald in galanten Dialogen<br />
auf, das frühklassische »Divertimento a quattro« bleibt<br />
aber zunächst unangetastet. Erst die folgenden drei<br />
Sätze entziehen dem vertrauten Genre geselligen Wiener<br />
Kammermusizierens den Grund.<br />
Als Adagio fungiert ein »Capriccio« im pathetischsten<br />
c-Moll, in dem sich Unisonopassagen und Rezitativgesten<br />
zu einem instrumentalen »Recitativo accompagnato«<br />
voller Opera seria-Pathos paaren, das später<br />
einem Arioso mit frei schweifenden Violinsoli Platz<br />
macht.<br />
Das »attacca« anschließende Menuett spielt mit dem<br />
»Hirtenklang« der leeren G-Saite auf den Violinen.<br />
Nach diesem instrumentalen Sprechgesang folgt in<br />
tröstlichem Es-Dur ein Cantabile der ersten Violine zur<br />
Begleitung der Unterstimmen: Auf das Rezitativ folgt<br />
gleichsam die Arie. In Menuett und Trio wiederholt sich<br />
der Hell-Dunkel-Kontrast der ersten beiden Sätze.<br />
Am kapriziösesten ist das Finale mit seiner »Fuga a 4<br />
soggetti«. Es handelt sich um eine Quadrupelfuge im<br />
Sechsachteltakt, die mit traditionellem Fugenpathos<br />
gründlich aufräumt. Anstelle seriös entwickelter vier<br />
Themen hören wir eine »kapriziöse, atemberaubend<br />
schnell und witzig mit allen Raffinessen der Fugentechnik<br />
umspringende Finalfuge, die ihren modernen<br />
Charakter in der doppelten Coda – erst in wirbelnden<br />
Sechzehnteln, dann in dröhnendem Unisono – ganz zu<br />
erkennen gibt« (Ludwig Finscher).<br />
Johannes Brahms gehörte zu den vielen Bewunderern<br />
dieser überaus kunstvollen <strong>Quartett</strong>e des op. 20;<br />
Haydns Originalhandschrift befand sich in seiner Autographensammlung.
MENDELSSOHN BARTHOLDY<br />
STREICHQUARTETT F-MOLL<br />
Im Mai 1847 starb Fanny Hensel, die musikalisch<br />
hochbegabte Schwester Felix Mendelssohns (1809-<br />
1847). Ihren Bruder Felix traf die Nachricht hart: »Bis<br />
jetzt kann ich an Arbeit, ja an Musik überhaupt nicht<br />
denken, ohne die größte Leere und Wüste im Kopf und<br />
im Herzen zu fühlen.«<br />
In diametralem Kontrast zu den friedlichen Aquarellen,<br />
die er damals von den Schweizer Bergen malte,<br />
steht die »schwarze Grundfarbe« seines f-Moll-<strong>Quartett</strong>s,<br />
die sich nur an wenigen Stellen, und auch dort<br />
nur über unterschwelliger Erregung aufhellt. Es ist ein<br />
Stück von so rückhaltloser Intensität des Ausdrucks,<br />
wie es Mendelssohn nur einmal geschrieben hat. Als<br />
er es im September 1847 beendete, hatte er selbst nur<br />
noch zwei Monate zu leben.<br />
Das »Allegro vivace assai« fesselt von Beginn an durch<br />
zwei Elemente: die Tremoli und die imitierenden Einsätze<br />
der Stimmen in stets unberechenbaren Intervallen.<br />
Während sich der Klang in immer neuen Tremoloflächen<br />
und wogenden Akkorden Bahn bricht, wird<br />
die Melodik von pathetischen Gesten im punktierten<br />
Rhythmus beherrscht. Wie man es sonst nur von<br />
Tschaikowsky kennt, hat Mendelssohn hier einmal die<br />
klassische Sonatenform völlig der Herrschaft der frei<br />
sich entfaltenden, ausdrucksvollen Geste unterworfen,<br />
gipfelnd in einer Coda, die alle Fesseln zu sprengen<br />
scheint.<br />
Das Scherzo ist schon dadurch bewundernswert, dass<br />
es die Erregung des ersten Satzes zu halten vermag<br />
und gleichzeitig auf die Ebene des romantisch-zwielichtigen<br />
Charakterstücks hebt. Die punktierten Rhythmen<br />
des »Allegro vivace« werden zuerst über Synkopen<br />
zu einer gewaltigen Klimax aufgebauscht, um dann<br />
in einer eleganten Walzergeste zusammenzubrechen.
Das Trio entwickelt sich in schubertischer Manier als<br />
Quasi-Chaconne über einem gespenstischen »Basso<br />
ostinato» von Bratsche und Cello.<br />
Mit dem Adagio scheint Mendelssohn endlich wieder<br />
»Haltung« gewonnen zu haben, seine eigene Sprache<br />
zu sprechen. Auf die harmonisch noch recht fremdartige<br />
Einleitung des Satzes folgt eines jener Lieder ohne<br />
Worte, wie sie der Komponist häufig als Stilisierung<br />
gebrauchte, um auch im pathetischsten Rahmen innig<br />
bleiben zu können. Wenn dann allerdings im Mittelteil<br />
ein großer Trauergesang aller vier Instrumente anhebt,<br />
zollt die Musik unmissverständlich der Komponistin<br />
Fanny ihren Tribut. Es scheint, als habe Mendelssohn<br />
in seinem As-Dur-Adagio den eigenen Stil und den<br />
Fannys posthum in Einklang bringen wollen.<br />
Das Finale variiert einen Topos, den beide Geschwister<br />
liebten: das Feen- und Elfenstück, das hier einmal<br />
nicht schwebend-virtuos, sondern schwer lastend,<br />
von Synkopen zerrissen daherkommt und am Ende<br />
in hämmernden Triolen zum Affekt des ersten Satzes<br />
zurückkehrt.<br />
BRAHMS STREICHQUARTETT A-MOLL<br />
Für Johannes Brahms (1833-1897) war das <strong>Quartett</strong>komponieren<br />
ein schweres Unterfangen, und er hat es<br />
nicht im ersten Anlauf gelöst. Bevor er 1873 mit den<br />
beiden <strong>Quartett</strong>en op. 51 an die Öffentlichkeit trat,<br />
hatte er nach eigenen Angaben bereits mehr als 20<br />
<strong>Quartett</strong>e komponiert und wieder verworfen. Auch die<br />
Entstehung der <strong>Quartett</strong>e Nr. 1 und 2 war eine »Zangengeburt«.<br />
Als »Geburtshelfer« zog er seinen Freund<br />
Theodor Billroth heran, den weltberühmten Wiener<br />
Chirurgen und Kammermusikfreund, dem er sein Opus<br />
51 widmete. Trotz unendlich langen Reifens und letzten<br />
Feilens während einer ersten Probenphase mit<br />
dem Walter-<strong>Quartett</strong> aus München im Sommer 1873 in<br />
Tutzing war Brahms mit dem Ergebnis zwar nicht zufrieden,<br />
aber für die Rezeption der brahmsschen Musik<br />
spielen diese beiden Werke bis heute eine zentrale
Rolle. Arnold Schönberg widmete ihnen die zentralen<br />
Passagen seines berühmten Aufsatzes Brahms, der<br />
Fortschrittliche (»Brahms the Progressive«), in denen<br />
er die Kontinuität zwischen seiner eigenen Musik und<br />
der von Brahms zu belegen versuchte. Den Begriff der<br />
»entwickelnden Variation« – gemeint sind die sich ständig<br />
fortschreibenden, immer neue Varianten bildenden<br />
motivischen Keimzellen bei Brahms – hat Schönberg<br />
anhand dieser Stücke gebildet. So führte er etwa das<br />
»Andante moderato» des a-Moll-<strong>Quartett</strong>s auf ein einziges<br />
Zweitonmotiv zurück, aus dem alle Themen des<br />
Satzes durch Vergrößerung, Umkehrung etc. ableitbar<br />
seien.<br />
Der Kopfsatz des a-Moll-<strong>Quartett</strong>s beginnt mit einem<br />
Motiv (a-f-a-e), dessen Noten 2 bis 4 wörtlich das<br />
berühmte Motto Joachims F – A – E («Frei, aber einsam»)<br />
zitieren – wohl ein Hinweis auf die ursprünglich<br />
geplante Widmung (Brahms war 1853 an der Komposition<br />
der F-A-E-Sonate zu Ehren Joachims mit dem<br />
Scherzo beteiligt gewesen) und ist wie fast alle Kopfsätze<br />
in Brahms‘ Kammermusik in klarer Sonatenform<br />
mit Haupt- und Seitenthema, Schlussgruppe,<br />
Durchführung, Reprise und Coda gebaut. In seinem<br />
schwelgerischen Tonfall erinnert er an Franz Schuberts<br />
a-Moll-<strong>Quartett</strong>, auf das sich auch das »Quasi Minuetto«<br />
des Brahms-<strong>Quartett</strong>s historisch bezieht. Wie bei<br />
Schubert wird dem melancholischen Hauptthema ein<br />
terzenseliges Seitenthema über Pizzicato gegenübergestellt;<br />
auch die Schlussgruppe ist lyrisch breit und<br />
singend angelegt, so dass der Satz seine rhythmische<br />
und kontrapunktische Energie hauptsächlich aus der<br />
rastlosen Überleitungsfigur mit ihrem Dreiachtelauftakt<br />
bezieht. Aus ihr speisen sich die dramatisch-zugespitzten<br />
Passagen des Satzes. In der Durchführung<br />
wird das Hauptthema in Form transparent klingender<br />
Kanons verarbeitet, in der Coda zu einem letzten, wehmütig-herbstlichen<br />
Aufblühen gesteigert, bevor es in<br />
den Strudel der Coda hineingerissen wird.
Dem »Kürzestmotiv«, mit dem die erste Geige das Andante<br />
eröffnet, ist ebensowenig wie seinem Cello-Kontrapunkt<br />
anzuhören, zu welchen melodischen Schönheiten<br />
es sich im Laufe des Satzes steigern wird. Das<br />
Tastend-Zaghafte des Beginns wird bald zugunsten<br />
immer längerer und pathetischerer Linien aufgegeben.<br />
Nach einem dramatischen Mittelteil in »neobarocken«<br />
punktierten Rhythmen und einer Steigerung bis hin<br />
zum Fortissimo-Ausbruch wird der Hauptteil wieder<br />
aufgenommen; die Spannungen des Mittelteils haben<br />
dabei hörbar ihre Spuren hinterlassen.<br />
Der Übergang vom zart verklingenden Schluss des<br />
Andante zum melancholischen Menuett gehört zu<br />
den subtilsten in der Kammermusik von Brahms. Dem<br />
merkwürdig stagnierenden Duktus des altertümlichen<br />
Menuetts antwortet das Trio mit burschikos-zerfahrenden<br />
Sechzehntellinien, die an manche Stellen in den<br />
späten Beethoven-<strong>Quartett</strong>en erinnern, um dann seltsamerweise<br />
zwei slawisch klingenden lyrischen Einschüben<br />
Platz zu machen. Der Zweite leitet zurück zur<br />
Reprise des Menuetts.<br />
Das Finale im Dreivierteltakt, ein Sonatensatz mit zwei<br />
gegensätzlichen Themen, die man als ungarisch bzw.<br />
ländlerhaft-wienerisch charakterisiert hat, wirkt tänzerisch,<br />
insbesondere in der umfangreichen Coda. Sie<br />
lässt das Werk, nachdem sich zunächst alles in Dur<br />
aufzulösen schien, wieder in die Haupttonart a-Moll<br />
zurückfinden (più vivace). Ein ruhiges Innehalten davor<br />
lässt noch einmal das F-A-E-Motiv, jetzt im Akkord,<br />
aufklingen.
Konzert der Abonnementreihe im Theodor-Heuss-<br />
Saal der Festhalle Harmonie, Beginn 19.30 Uhr<br />
Donnerstag,<br />
02. Mai 2024<br />
Orchesterkonzert II<br />
RUNDFUNK-SINFONIE-<br />
ORCHESTER BERLIN<br />
Dirigent: Vladimir Jurowski<br />
Solist: Christian Tetzlaff, Violine<br />
Konzert der Reihe »Perspektiven Heilbronn« in den<br />
Städtischen Museen im Deutschhof, Beginn 19.30 Uhr<br />
Mittwoch,<br />
15. Mai 2024<br />
NATASHA LÓPEZ<br />
Sopran