HANSA 04-2024
Märkte | Versicherungen | Schifffahrt |Karriere | Schiffstechnik | Offshore | Häfen
Märkte | Versicherungen | Schifffahrt |Karriere | Schiffstechnik | Offshore | Häfen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
SCHIFFSTECHNIK | SHIP TECHNOLOGY<br />
»Prädiktive Analytik kann Wartung optimieren«<br />
Dr. Andrea Coraddu erforscht an der<br />
Technischen Universität Delft die Nutzung<br />
digitaler Zwillinge zur optimierten<br />
Wartungsplanung von Schiffen und Offshore-Windenergieanlagen.<br />
Aus der<br />
Kombina tion von künstlicher Intelligenz<br />
(KI), Big Data und prädiktiver Analytik<br />
kann er Abnutzungserscheinungen und<br />
potenzielle Störungen frühzeitig erkennen.<br />
Wie kann man einen digitalen Zwilling<br />
nutzen, um bessere Smart-Maintenance-<br />
Strategien zu entwickeln?<br />
Andrea Coraddu: Digitale Zwillinge können<br />
eine wichtige Rolle bei der Vorhersage<br />
des Zustands von Schiffen und Offshore-<br />
Systemen spielen. Das gilt beispielsweise<br />
im Antriebsstrang von Schiffen, für<br />
Schiffsrümpfe oder Propeller oder bei Offshore-Systemen<br />
für Verankerungsleinen<br />
für schwimmende Windkraftanlagen.<br />
Durch die Erstellung eines virtuellen Abbilds<br />
dieser Systeme und die Simulation<br />
realer Bedingungen können digitale Zwillinge<br />
den Ingenieuren helfen, die Leistung<br />
zu überwachen, Ausfälle vorherzusagen<br />
und so die Wartungspläne zu optimieren.<br />
Können Sie eine konkrete Anwendung<br />
nennen, an der Sie arbeiten?<br />
Coraddu: Eine große Herausforderung ist<br />
der Bewuchs des Schiffsrumpfes und der<br />
Schiffsschraube, der aus der Ansammlung<br />
von organischem Material und Organismen<br />
besteht. Wenn dieser Bewuchs mit<br />
der Zeit zunimmt, erhöht sich der Widerstand<br />
am Rumpf – der Wirkungsgrad des<br />
Propellers sinkt, die Geschwindigkeit des<br />
Schiffs nimmt ab. Um die gewünschte Geschwindigkeit<br />
beizubehalten, ist deshalb<br />
in Folge eine höhere Motorleistung erforderlich.<br />
Aber eine höhere Motorleistung<br />
bedeutet mehr Kraftstoff – und einen<br />
Anstieg der CO2-Emissionen.<br />
Selbst eine 1 mm dicke Schicht aus angesammeltem<br />
Bewuchs oder von Kalkablagerungen<br />
auf einem Propeller erhöht<br />
dessen Oberflächenrauigkeit erkennbar.<br />
Zahlen zeigen, dass das Polieren eines<br />
Propellers eine Kraftstoffeinsparung von<br />
6 %–12 % ermöglichen kann. Das ist eine<br />
ganze Menge, wenn man annimmt, dass in<br />
der Seeschifffahrt die Treibstoffkosten<br />
heute mit etwa 40 %–60 % der Gesamtkosten<br />
zu Buche schlagen. Es lohnt sich also,<br />
diese Zusammenhänge präziser erkennen<br />
und beschreiben zu können.<br />
Dr. Andrea Coraddu<br />
TU Delft<br />
Wie sind Sie vorgegangen?<br />
Coraddu: Zunächst einmal galt es die Frage<br />
zu beantworten, wie man einen relevanten,<br />
also in unserem Kontext leistungsreduzierenden<br />
Bewuchs überhaupt feststellt.<br />
Es ist nämlich einigermaßen schwierig,<br />
den Leistungsabfall eines Schiffes aufgrund<br />
von Bewuchs an Rumpf und Propeller<br />
zu beurteilen, da Faktoren wie<br />
Wind, Wellen, Strömungen und die Effizienz<br />
der Antriebsmaschinen variieren.<br />
Zudem hängt die Entscheidung, wann es<br />
Zeit ist, den Propeller und den Rumpf zu<br />
reinigen, auch davon ab, welche Leistungseinbußen<br />
der Schiffsbetreiber oder<br />
Charterer zu akzeptieren bereit ist. Dies<br />
bedeutet aber auch, dass keine festen Zeitparameter<br />
für die Reinigung festgelegt<br />
werden können.<br />
Wir haben uns also überlegt, einen datengesteuerten<br />
digitalen Zwilling des Schiffes<br />
zu erstellen und damit Geschwindigkeitsverluste<br />
aufgrund von Bewuchs vorherzusagen.<br />
Um diese Verluste einzuschätzen, nutzen<br />
wir eine große Datenmenge, die von den<br />
Sensoren des Überwachungssystems an<br />
Bord gesammelt wurden, und kombinieren<br />
sie mit den neuesten Erkenntnissen aus<br />
Shallow und Deep Learning.<br />
Heute können wir bestätigen, dass der<br />
Geschwindigkeitsverlust, der mit unseren<br />
Methoden ermittelt wurde, ein genaues<br />
Bild des Rumpfzustands und des Propellerbewuchses<br />
zu einem bestimmten Zeitpunkt<br />
liefert.<br />
Was bedeutet dies konkret für Smart<br />
Maintenance?<br />
Coraddu: Diese Informationen könnten<br />
für eine optimierte Planung von Wartungsmaßnahmen<br />
genutzt werden. Die Reinigung<br />
von Rumpf und Propeller wird heute<br />
üblicherweise in festen Intervallen oder<br />
in Verbindung mit anderen Wartungsarbeiten<br />
durchgeführt. In der Praxis könnten sie<br />
nach dem tatsächlichen Zustand des<br />
Schiffsrumpfs und des Propellers durchgeführt<br />
werden – nach Kriterien, die auf der<br />
Minimierung von Kosten, Kraftstoffverbrauch<br />
und Emissionen basieren.<br />
Wir können uns aber auch vorstellen,<br />
dass man die vorgeschlagene Methode zukünftig<br />
bereits in der Designphase zur Bewertung<br />
neuer Technologien oder Schiffskomponenten<br />
in Bezug auf deren Energieund<br />
Kraftstoffeffizienz nutzen kann. Ich<br />
denke da beispielsweise an die Entwicklung<br />
neuer Propeller-Geometrien oder die<br />
Bewertung von Vorteilen, die sich aus dem<br />
Einsatz von Segeln ergeben.<br />
<br />
Das Polieren eines Propellers kann eine Kraftstoffeinsparung von 6 % bis 12 % ermöglichen<br />
© TU Delft<br />
© Bachmann / Adobe Stock<br />
<strong>HANSA</strong> – International Maritime Journal <strong>04</strong> | <strong>2024</strong><br />
61