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HANSA 04-2024

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SCHIFFFAHRT | SHIPPING<br />

geltung«; die Staaten sehen es im Allgemeinen in ihrem Interesse,<br />

die Regeln des Völkerrechts einzuhalten. Wenn ein Staat heute das<br />

Völkerrecht gegenüber anderen Staaten verletzt, könnten letztere<br />

morgen das gleiche tun und das internationale Recht gegen den<br />

ersteren verletzen.<br />

Was sind Ihrer Ansicht nach Beschränkungen oder Schwächen?<br />

Heidar: Nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen<br />

von 1982 können die Staaten zwischen dem ITLOS, dem<br />

Internationalen Gerichtshof (IGH) und einem Schiedsgericht<br />

(»Arbitral Tribunal«) wählen, wobei letzteres für jeden Fall ad hoc<br />

eingerichtet wird. Im Gegensatz zum ITLOS ist die Zuständigkeit<br />

des IGH nicht auf das Seerecht beschränkt, da er sich mit allen Fragen<br />

des Völkerrechts befasst. Das Schiedsgericht ist als Standardmechanismus<br />

(»defulat mechanism«) im Seerechtsübereinkommen<br />

vorgesehen. Das bedeutet, dass der Fall automatisch an<br />

ein solches Schiedsgericht geht, wenn die streitenden Staaten nicht<br />

denselben Gerichtsstand gewählt oder gar keine Wahl getroffen<br />

haben – und sofern die Parteien nichts anderes vereinbaren. Als<br />

das Übereinkommen ausgehandelt wurde, gab es den ITLOS noch<br />

gar nicht. Er wurde erst mit dem Übereinkommen eingerichtet, so<br />

dass es offensichtlich keine Erfahrung mit dem ITLOS gab. Es war<br />

verständlich, dass die Verfasser des Übereinkommens damals zögerten,<br />

ihm sofort die Rolle eines Standardmechanismus zu übertragen.<br />

Dies ist natürlich eine Herausforderung für das Gericht,<br />

aber wir begrüßen den zunehmenden Trend, dass Streitparteien<br />

Fälle von Schiedsgerichten an den ITLOS zu übertragen, sei es nun<br />

an die reguläre Kammer oder an eine Sonderkammer, die wir einrichten<br />

können.<br />

Und was sind Ihrer Ansicht nach die Stärken oder Vorteile des Internationalen<br />

Seegerichtshofs?<br />

Heidar: Der ITLOS ist das einzige ständige Spezialgericht für das<br />

Seerecht. Das Tribunal besteht aus 21 Richtern im Vergleich zu<br />

fünf Mitgliedern eines Schiedsgerichts, was ebenfalls als Vorteil<br />

angesehen werden kann. Wir sind auch sehr zeiteffizient. Wir haben<br />

normalerweise nicht viele Fälle gleichzeitig, so dass wir uns<br />

auf die uns vorgelegten Fälle konzentrieren können. Dringende<br />

Verfahren, wie z. B. Fälle mit sofortiger Freilassung von Schiffen<br />

oder vorläufigen Maßnahmen, dauern nur etwa einen Monat.<br />

Hauptsacheverfahren, wie z. B. zur Abgrenzung von Seegebieten,<br />

können zwei oder drei Jahre dauern, was immer noch relativ kurz<br />

ist. Außerdem verfügen wir über ein von den Vertragsstaaten des<br />

Seerechtsübereinkommens genehmigtes Budget, so dass diesen<br />

Staaten keine Kosten im Zusammenhang mit dem Gericht entstehen,<br />

wenn sie Parteien in einem Streitfall sind, der dem Gericht<br />

vorgelegt wurde. Im Gegensatz dazu ist ein Schiedsgericht recht<br />

teuer, was zum Teil den bereits erwähnten Trend zur Verlagerung<br />

von Fällen zum ITLOS erklären mag.<br />

Ich möchte auch erwähnen, dass das Gericht zusätzlich zu seiner<br />

normalen Zuständigkeit, die auf der Wahl der Parteien beruht,<br />

eine besondere Zuständigkeit für drei besondere Kategorien<br />

von Fällen hat, unabhängig von einer Wahl der Parteien: Erstens<br />

Fälle bzgl. sofortiger Freilassung (»prompt releases«); Zweitens<br />

Fälle mit vorläufigen Maßnahmen bis zur Einsetzung eines<br />

Schiedsgerichts (»provisional measures cases«); und drittens<br />

Streitigkeiten über den Tiefseebergbau, die von der »Seabed Disputes<br />

Chamber« des Gerichts behandelt werden.<br />

Angesichts zunehmender geopolitischer Spannungen oder Kriegsaktivitäten,<br />

die sich auf auf See zutragen: Wirken sich derartige<br />

Präsident für drei Jahre<br />

gewählt – Wiederwahl möglich<br />

Der in Hamburg ansässige Internationale Seegerichtshof<br />

(ITLOS) hat im Oktober 2023 mit Tomas Heidar einen<br />

neuen Präsidenten gewählt. Zur Vizepräsidentin wurde<br />

Neeru Chadha aus Indien gewählt. Beide wurden für den<br />

Zeitraum 2023–2026 ernannt. Präsident Heidar ist seit<br />

2014 Mitglied des Gerichtshofs, er tritt die Nachfolge von<br />

Albert J. Hoffmann an. Gemäß dem Statut des Gerichts<br />

wird der Präsident für einen Zeitraum von drei Jahren gewählt<br />

und kann wiedergewählt werden. Er führt den Vorsitz<br />

in allen Sitzungen des Gerichts, leitet die Arbeit des<br />

Gerichts und überwacht seine Verwaltung. Der Präsident<br />

vertritt zudem den Seegerichtshof in seinen Beziehungen<br />

zu den Staaten und anderen Einrichtungen und ist verpflichtet,<br />

ständig am Sitz des Gerichtshofs in Hamburg zu<br />

wohnen.<br />

Seit 1996 gab es neun Präsidenten. Zu den Vorgängern<br />

von Richter Heidar gehört unter anderem auch der Deutsche<br />

Rüdiger Wolfrum zwischen 2005 und 2008.<br />

aktuelle Entwicklungen auf die Arbeit oder die Anerkennung von<br />

ITLOS-Urteilssprüchen durch die Staaten aus?<br />

Heidar: Wir haben uns mit mehreren Streitigkeiten zwischen<br />

Staaten befasst, die eine politische Dimension hatten. Wir sind jedoch<br />

ein Gericht, das sich ausschließlich mit rechtlichen Fragen<br />

befassen muss.<br />

Aber musste sich der Seegerichtshof nicht auch schon mit dem<br />

Festhalten von ukrainischen Marineschiffen durch Russland beschäftigen?<br />

Heidar: Die Ukraine hat beim Gerichtshof die Freilassung der<br />

Marineschiffe und der Soldaten an Bord, die von Russland festgenommen<br />

und festgehalten worden waren, durch die Anordnung<br />

von »provisional measures« beantragt. Der ITLOS ordnete<br />

die Freilassung der Schiffe und der an Bord befindlichen<br />

Soldaten dann auch an, und Russland ließ sie in angemessener<br />

Zeit frei. Der eigentliche Streit in der Sache zwischen der Ukraine<br />

und Russland wird nun von einem Schiedsgericht verhandelt.<br />

Was sind die meistverhandelten Themen am ITLOS?<br />

Heidar: In seiner 27-jährigen Geschichte wurden dem Gerichtshof<br />

32 Fälle vorgelegt. In den ersten zehn Jahren handelte es sich<br />

bei den meisten Fällen um so genannte Eilverfahren, d. h. um Fälle,<br />

in denen es um die sofortige Freilassung oder um vorläufige<br />

Maßnahmen ging, in der Regel im Zusammenhang mit dem Fest-<br />

<strong>HANSA</strong> – International Maritime Journal <strong>04</strong> | <strong>2024</strong><br />

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