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HANSA 04-2024

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SCHIFFFAHRT | SHIPPING<br />

»Vielen fehlt Basis-Wissen zum Seegerichtshof«<br />

Tomas Heidar ist neuer Präsident des Internationalen Seegerichtshofs. Im Interview spricht<br />

er exklusiv über Stärken und Herausforderungen des ITLOS, Geopolitik, seine Pläne sowie<br />

Hamburg als »perfekter Standort« und seine deutschen Heimatgefühle. Von Michael Meyer<br />

InSie sind seit einigen Monaten neuer Präsident des Internationalen<br />

Seegerichtshof mit Sitz in Hamburg. Haben Sie einen bestimmtes<br />

Ziel für Ihre Amtszeit bis 2026?<br />

Tomas Heidar: Eines meiner Hauptziele als Präsident ist es, den<br />

Gerichtshof international bekannter zu machen, unter anderem<br />

durch unsere umfassenden Programme zum Kapazitätsaufbau,<br />

die sowohl hier in Hamburg als auch anderswo auf der Welt stattfinden.<br />

Der ITLOS verfügt selbst nicht über finanzielle Mittel für<br />

diesen Zweck, aber Beiträge der Mitgliedstaaten ermöglichen es<br />

uns, solche Programme durchzuführen. Die jüngste Form des<br />

Kapazitätsaufbaus ist die – sehr erfolgreiche – Durchführung von<br />

Workshops für juristische Berater der Außenministerien der Mitgliedstaaten.<br />

Am wichtigsten ist es aber natürlich, die Qualität<br />

unserer Urteile und Gutachten zu gewährleisten.<br />

Mein Hauptaugenmerk liegt sozusagen darauf, die Isolation zu<br />

durchbrechen. Einige Staaten in verschiedenen Teilen der Welt<br />

fühlen sich unter Umständen isoliert und es mangelt dort bisweilen<br />

an Informationen über den Seegerichtshof. Ich bin sehr daran<br />

interessiert, mit ihnen in Kontakt zu treten, sie zu besuchen und<br />

Wissen über die Streitbeilegung im Seerecht, unsere Verfahren<br />

und die Möglichkeiten, die wir bei der Beilegung von Streitigkeiten<br />

bieten können, zu vermitteln. Für mich beschränkt sich die<br />

Arbeit nicht nur auf das Büro in Hamburg.<br />

Sie kennen die Institution schon länger, seit 2014 sind Sie Mitglied.<br />

Wie bewerten Sie die Wahrnehmung des Gerichtshofs im<br />

Allgemeinen?<br />

Heidar: Ich glaube, es gibt immer noch viele, bei denen es an<br />

grundlegenden Kenntnissen über den Gerichtshof mangelt, z.B.<br />

unter welchen Umständen er für die Behandlung von Fällen zuständig<br />

ist. ITLOS ist nicht das einzige Gericht im Bereich des<br />

Seerechts. Außerdem denken viele, der ITLOS befasse sich nur<br />

mit Streitfällen. Das ist nicht der Fall, denn er hat auch eine beratende<br />

Zuständigkeit.<br />

Welches spezielle Knowhow bringen Sie selbst ein?<br />

Heidar: Bevor ich zum ITLOS kam, war ich fast 20 Jahre lang<br />

Rechtsberater im Außenministerium von Island, einem Land, das<br />

mitten im Meer liegt. Entsprechend lag mein Schwerpunkt natürlich<br />

auf dem Seerecht, und ich war an der Aushandlung von Seegrenz-<br />

und Fischereiabkommen mit Nachbarländern beteiligt.<br />

Außerdem war ich für die Festlegung der äußeren Grenzen des<br />

Festlandsockels zuständig. Dies sind meine Spezialgebiete. Aber<br />

wenn man Richter wird, hat man natürlich mit allen möglichen<br />

Fällen im Bereich des Seerechts zu tun.<br />

Richter Heidar vor dem Gerichtssaal in Hamburg – »der perfekte Standort«<br />

Was genau lässt sich unter den Zuständigkeitsbereichen »Rechtsstreit«<br />

(Contentious jurisdiction) und »beratende Zuständigkeit«<br />

(Advisory jurisdiction) verstehen, die Sie erwähnten?<br />

Heidar: Ersteres ist die Zuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten<br />

zwischen Staaten, während die beratende Zuständigkeit es dem<br />

Gericht ermöglicht, auf Ersuchen beratende Stellungnahmen abzugeben.<br />

Solche Gutachten sind zwar nicht bindend, können aber<br />

dennoch eine gewisse Rechtswirkung haben, da sie als »authoritative<br />

statement« ein großes Gewicht haben.<br />

Dennoch: Die Urteile des ITLOS sind rechtskräftig und verbindlich,<br />

aber es gibt im internationalen Recht dafür keine Vollstreckungsbefugnis,<br />

kein »Enforcement«. Wie beurteilen Sie das?<br />

Heidar: Diese fehlende Vollstreckungsbefugnis ist für das Völkerrecht<br />

im Allgemeinen kennzeichnend und beschränkt sich<br />

nicht auf Gerichtsurteile. Im Gegensatz zum nationalen Recht<br />

gibt es im internationalen Recht keine internationale Polizei. Unsere<br />

Erfahrungen sind jedoch recht positiv, da die Staaten im Allgemeinen<br />

unsere Urteile befolgt haben.<br />

Wie erklären Sie sich das?<br />

Heidar: Die Frage ist, warum sich die Staaten im Allgemeinen dafür<br />

entscheiden, das Völkerrecht einzuhalten und sich in den internationalen<br />

Beziehungen an die Rechtsstaatlichkeit zu halten<br />

und nicht an die Herrschaft der Macht (»rule of power«) oder die<br />

Herrschaft der Gewalt (»rule of force«). Einer der Gründe ist wahrscheinlich<br />

das Eigeninteresse und die Möglichkeit der »Ver-<br />

© Meyer<br />

30 <strong>HANSA</strong> – International Maritime Journal <strong>04</strong> | <strong>2024</strong>

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