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Inspiration Nr 02- 2024

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Gipfeltreffen Nicole Niquille<br />

«In Nepal empfinde ich meine<br />

Behinderung viel weniger<br />

problematisch als zu Hause in<br />

der Schweiz.»<br />

Inklusion am Berg wird seit einigen Jahren<br />

immer mehr ein Thema – nicht nur<br />

an den höchsten Bergen, sondern auch in<br />

den Alpen. Was raten Sie Menschen mit<br />

Behinderung?<br />

Alles, was Gutes tut, ist positiv. Das gilt<br />

für Gehende und Behinderte. Und für Behinderte<br />

ist es besonders wichtig, einen<br />

Traum zu haben und ihm zu folgen. Es gibt<br />

immer Träume, die sich verwirklichen lassen.<br />

Nur wer seinen Weg geht, hinterlässt<br />

Spuren. Ein Nicht-Behinderter kann sich<br />

das tägliche Leben eines Behinderten nicht<br />

vorstellen. Da ist jeder Tag eine Herausforderung,<br />

wirklich jeder Tag. Deshalb sollten<br />

Menschen mit Behinderung es wahrmachen<br />

und einen kleinen Moment lang ihren<br />

Traum leben. Und wenn der Traum eben ist,<br />

irgendwie auf einen Berg zu gelangen, dann<br />

ist es eben das. Ich würde gerne wieder so<br />

eine Tour machen wie auf das Breithorn.<br />

Haben Sie schon eine konkrete Idee?<br />

Nein. Aber ich bin offen für Vorschläge.<br />

Wollen Sie da Vorbild sein? Die Schweizer<br />

Paraplegiker-Stiftung hat Sie vor einem<br />

Jahr für Ihr Lebenswerk ausgezeichnet.<br />

Wenn es helfen kann, bin ich gerne ein Vorbild.<br />

Ich will aber nicht im Rollstuhl sitzen,<br />

nur um ein Vorbild im Rollstuhl zu sein.<br />

Was stört Sie am meisten in Ihrem Alltag?<br />

Bauliche Probleme gibt es für mich nicht. Es<br />

stört mich nicht, wenn ich eine Treppe nicht<br />

hinaufsteigen kann. Mich stört der Umgang<br />

der anderen mit Behinderten. Zum Beispiel,<br />

wie man mich anschaut, wie man auf mich<br />

herunterschaut. Im Rollstuhl bin ich immer<br />

niedriger als andere. Das erlebe ich als Nachteil.<br />

Es gibt sogar Leute, die legen ihre Hand<br />

auf meinen Kopf und tätscheln ihn wie bei<br />

einem Kind. Dieses Verhalten stört mich. Als<br />

Mindestens einmal pro Jahr<br />

reist Niquille nach Nepal, wo<br />

sie ein Krankenhaus gegründet<br />

hat und es mit einer Stiftung<br />

unterstützt.<br />

Nicole Niquille<br />

Nicole Niquille, Jahrgang 1956, hielt<br />

1986 als erste Frau der Schweiz das<br />

Bergführerdiplom in Händen. Das<br />

Klettern hatte sie in den Gastlosen<br />

entdeckt. Schon bald war sie im<br />

Montblanc-Gebiet, stieg durch die<br />

Brenvaflanke und über den Frendopfeiler,<br />

am Trollryggen in Norwegen<br />

und sie unternahm gemeinsam mit<br />

ihrem damaligen Partner Erhard Loretan<br />

Expeditionen zum K2 und zum<br />

Mount Everest. Am 8. Mai 1994 war<br />

sie beim Pilzesammeln, als ein Stein<br />

sie am Kopf traf. Diagnose: Schädel-Hirn-Trauma.<br />

Besonders betroffen<br />

das Hirnareal, das für die<br />

Bewegung zuständig ist. Von einer<br />

auf die andere Sekunde war alles<br />

anders. Seitdem sitzt die Frau, die<br />

vorher immer in Bewegung war, im<br />

Rollstuhl. Nicole Niquille lässt sich<br />

davon nicht aufhalten. Voller Energie<br />

und Tatendrang legte sie die<br />

Wirtefachprüfung ab und eröffnete<br />

ein Restaurant. Und Nicole Niquille<br />

gründete eine Stiftung und baute ein<br />

Spital in Nepal auf. Regelmässig ist<br />

sie seither in dem Land im Himalaja<br />

unterwegs. Und noch immer findet<br />

sie auf Bergen ihr Glück.<br />

Fotos: Ephraim Bieri, Caroline Fink<br />

ich noch nicht im Rollstuhl sass, hat das nie<br />

jemand gemacht. Warum aber jetzt? Ich finde,<br />

dass, wie für andere auch, für Behinderte gelten<br />

sollte, ihnen ohne Vorurteile zu begegnen.<br />

Sie engagieren sich seit vielen Jahren für<br />

Menschen in den Bergen und für ihr Wohlergehen,<br />

nämlich für Menschen im Himalaja-Staat<br />

Nepal.<br />

Es gibt dort ein Krankenhaus, das ich gegründet<br />

habe.<br />

Wie kam das?<br />

Nach meinem Unfall führte ich ein Gasthaus.<br />

Ein Nepali arbeitete bei uns. Ang<br />

Gelu Sherpa, so heisst er, ist der Bruder<br />

der ersten Nepali, die den Gipfel des Mount<br />

Everest erreichte. Mit dem Erfolg am Everest<br />

und der Aufmerksamkeit wollte Pasang<br />

Lhamu Sherpa das Leben von Frauen<br />

und Kindern in ihrem Land verbessern.<br />

Jedoch starb sie beim Abstieg und konnte<br />

ihren Traum nie erfüllen.<br />

Das war im April 1993.<br />

Ich wollte dazu beitragen, dass ihre Fa-<br />

milie einen kleinen Teil ihres Traums<br />

verwirklicht sieht. Das Geld, das ich von<br />

meiner Unfallversicherung bekam, wollte<br />

ich für einen humanitären Zweck einsetzen.<br />

Und so entstand die Idee, in Lukla ein<br />

Spital zu bauen. Marco, mein Mann, und<br />

ich haben eine Stiftung gegründet. Jedes<br />

Jahr muss ich 500’000 Schweizer Franken<br />

dafür aufbringen. So viele private Spender<br />

zu finden, das ist eine Herausforderung;<br />

es ist ein harter Kampf. Aber wenn ich die<br />

glücklichen Gesichter in Nepal sehe, dann<br />

bin ich froh und weiss, dass der Einsatz<br />

sich lohnt.<br />

Sie fahren deshalb auch regelmässig nach<br />

Nepal.<br />

Richtig. Mindestens einmal pro Jahr.<br />

Nepal fällt uns nicht gerade als erstes Land<br />

ein, wenn es um Barrierefreiheit geht.<br />

Das dachte ich zunächst auch. Nach dem<br />

Unfall habe ich deshalb meinem Freund<br />

Pema Dorjee Sherpa geschrieben, ich würde<br />

nun nicht mehr nach Nepal reisen. Seine<br />

Antwort war: «Wenn du nicht mehr gehen<br />

kannst, dann tragen wir dich eben.» In Nepal<br />

empfinde ich meine Behinderung viel<br />

weniger problematisch als zu Hause in der<br />

Schweiz. Es gibt in Nepal wirklich immer<br />

eine Lösung. Wenn mein Mann Marco nicht<br />

mitkommen kann, dann begleitet mich eine<br />

Freundin. Sie bringt mich ins Bett und hilft<br />

mir auf der Toilette. Und zudem sind da drei<br />

Sherpas bei mir. Zwei, die mich tragen, und<br />

einer, der den Rollstuhl trägt.<br />

Das klingt abenteuerlich.<br />

Ich erinnere mich gut an eine Situation. Wir<br />

waren auf dem Weg nach Namche Bazar,<br />

dem Hauptort in der Everest-Region. Vor der<br />

grossen Brücke mussten wir warten, weil<br />

eine Pferde-Karawane die Brücke passierte.<br />

Und als die Pferde durch waren, gingen<br />

wir über die Brücke. Ein Träger trug mich.<br />

Es war ein bisschen windig an diesem Tag.<br />

Da kam uns ein Tourist entgegen und blaffte<br />

mich an: «Willst du sterben?» «Nein», antwortete<br />

ich. «Ich will genau das Gegenteil.<br />

Ich will leben.» Denn wenn man lebt, dann<br />

muss man auch Risiken eingehen, sonst<br />

existiert man nur.<br />

44<br />

PERFEKTION KENNT KEINE KOMPROMISSE.<br />

BIS INS KLEINSTE DETAIL OPTIMIERT.<br />

45<br />

VAJOLET GTX MID | MOUNTAINEERING<br />

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