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Die Alten kommen

Kurzgeschichten und Cartoons zu einem aktuellen Thema.

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Holm Roch<br />

<strong>Die</strong> <strong>Alten</strong> <strong>kommen</strong><br />

Kurzgeshihte ud Cartoos


Vorwort<br />

Zur Zeit wird in Deutschland heftig über den sogenannten<br />

„Flüchtlingsstrom“ debattiert. Bei genauerem<br />

Hinsehen erweist sich dieser „Strom“, allen<br />

Fernsehbildern zum Trotz, allerdings eher als bescheidenes<br />

Rinnsal, allenfalls als kleines Bächlein.<br />

Wenn wirklich 800 000 Flüchtlinge nach Deutschland<br />

<strong>kommen</strong>, sind das ein Prozent der Bevölkerung!<br />

Ganz anders sieht die Sache aus, wenn wir<br />

uns die Zunahme der <strong>Alten</strong> in unserer Gesellschaft<br />

anschauen. Zur Zeit sind ca. 22 Prozent der Deutschen<br />

60 Jahre und älter. Bald wird jeder Vierte zu<br />

dieser Bevölkerungsgruppe gehören. Das ist schon<br />

ein gewaltiger Zustrom!<br />

Gleichzeitig werden immer weniger Kinder geboren.<br />

<strong>Die</strong>ser „demografische Wandel wird allem<br />

Anschein nach weiter anhalten. Seine Folgen sind<br />

schon heute an vielen Stellen zu erleben. Ich wohne<br />

in einem Haus, das vor vierzig Jahren im Umfeld<br />

eines großen Neubaugebietes errichtet wurde.<br />

Wenn ich aus der Haustür trete, sehe ich gleich<br />

drei Sandspielplätze, in denen kein einziges Kind<br />

spielt. An ihrer Stelle erblicke ich jede Menge älterer<br />

Menschen, die sich abmühen, die viel zu steilen<br />

Treppen zwischen den Häuserzeilen zu überwin-


den. Und im Bus werden langsam die Stellplätze<br />

für Rollatoren knapp.<br />

Mit dem Älterwerden des Einzelnen und der Gesellschaft<br />

habe ich auf verschiedene Weise zu tun.<br />

Einmal bin ich selbst schon über 75 Jahre alt. Zum<br />

anderen war ich zehn Jahre lang im Seniorenbeirat<br />

unserer Stadt tätig. Da bekommt man aus erster<br />

Hand mit, wie ältere Menschen heute leben und<br />

mit welchen Themen und Problemen sie sich herumschlagen.<br />

Da ich gerne Kurzgeschichten schreibe, kommt<br />

auch dort das Thema Älterwerden immer mal wieder<br />

vor, ebenso wie in meinen Zeichnungen, die<br />

nun schon seit vielen Jahren die Seniorenbeilage<br />

unserer Tageszeitung, des Iserlohner Kreisanzeigers,<br />

beleben.<br />

In der vorliegenden Broschüre habe ich einige<br />

Kurzgeschichten und Cartoons zum Älterwerden<br />

zusammengestellt. Allen, denen sie in die Hände<br />

geraten, wünsche ich viel Vergnügen beim Lesen<br />

und beim Anschauen und natürlich auch beim unvermeidlichen<br />

Älterwerden.<br />

Iserlohn, im November 2015<br />

H.R.


<strong>Die</strong> <strong>Alten</strong> <strong>kommen</strong><br />

Wer immer noch nicht an den demografischen<br />

Wandel glaubt, sollte einfach mal die Volkshochschulprogramme<br />

der letzten zehn Jahre durchblättern.<br />

Was für eine Veränderung im Kursangebot!<br />

Waren früher noch viele Kurse auf ein jugendliches<br />

Publikum zugeschnitten, so wird heute fast<br />

nur doch die Rentnergeneration angesprochen.<br />

Kurse wie „Fit im Büro“, „Tippen für Tippsen“<br />

oder „Kampf dem Karriereknick“ sind völlig aus<br />

dem Angebot verschwunden.<br />

<strong>Die</strong>se neue Nachfrage ist kein Wunder. Es gibt<br />

einfach immer mehr Rentnerinnen und Rentner<br />

und viele davon nutzen die Zeit, die sie in Rentenalter<br />

haben, um Versäumtes nachzuholen. Typisch<br />

ist beispielsweise der über das Fernsehen als<br />

„Schnorchel-Kurt“ bekannt gewordene Kurt Hunsmann.<br />

In seiner Kindheit galt er als wasserscheu.<br />

Erst als er in Rente ging holte er das Seepferdchen<br />

nach und entwickelte sich langsam zum Tauchexperten.<br />

Heute bessert er seine Rente auf, indem er<br />

in untergegangenen Schiffen nach alten Münzen<br />

sucht.


Auch die Zwillinge Bernd und Bodo Lummermann<br />

sind so ein Beispiel. Früher galten beide als<br />

unmusikalisch, konnten kein einziges Instrument<br />

spielen. Heute begeistern sie tausende von Zuhörern<br />

indem sie eigene Werke vierhändig am Flügel<br />

vortragen. Kürzlich haben sie sogar beim Wettbewerb<br />

„Alter musiziert“ den zweiten Preis gewonnen.<br />

Oder nehmen wir als drittes Beispiel Hartmut<br />

Schopauer. Bis zur Rente besaß er keinen Führerschein<br />

(fuhr allerdings trotzdem mit seinem Wagen<br />

zur Arbeit). Heute fährt er einen Sattelschlepper<br />

und besitzt sogar den Zusatzschein für Gefahrguttransporte.<br />

Zweimal pro Woche bringt er Müll<br />

aus Neapel zur Verbrennungsanlage in Dortmund.<br />

Solche „Nachholer“ stellen einen Großteil der<br />

Kunden unserer Volkshochschulen. Oft geht es<br />

ihnen auch darum, die eigene Leistungsfähigkeit<br />

im vorgerückten Alter unter Beweis zu stellen.<br />

„Eigernordwand - kein Problem!“ ist für diese<br />

Gruppe ein attraktives Angebot.<br />

Ein weiterer Bereich dreht sich um Schönheit und<br />

Gesundheit im Alter. Angefangen hat alles damit,<br />

dass ein ganz normaler Gymnastikkurs unter einer


neuen Überschrift angeboten wurde. „Haltungskosmetik<br />

für aktive Seniorinnen und Senioren“.<br />

Das kam gut an und ermutigte dazu, weitere ausgefallene<br />

Angebote zu machen. Karmaschweben<br />

beispielsweise. Dabei wird mittels asiatischer Meditationstechniken<br />

eine wenige Millimeter starke<br />

Luftschicht zwischen Körper und Sitzunterlage<br />

erzeugt. Für Menschen, die ständig sitzen oder<br />

auch liegen ist das eine große Erleichterung. Auch<br />

die Kurse "Gesundes Lachen“, „Heilendes Weinen“<br />

und „Krückenbücken“ laufen gut.<br />

Sehr beliebt ist auch das „Quiztraining“ für Leute,<br />

die sich die ständigen Quizveranstaltungen im<br />

Fernsehen anschauen. Erst kürzlich hatte einer der<br />

Absolventen dieses Kurses ein besonderes Erfolgserlebnis.<br />

Bei der Frage „Ist eine Pommeranze<br />

(A) eine Frucht ähnlich wie eine Orange (B) eine<br />

juckende Hautverdickung an der linken Wade, (C)<br />

ein volkstümlicher Ausdruck für eine polnische<br />

Haushaltshilfe oder (D) ein ursprünglich aus Pommern<br />

stammender Getreidekäfer?“ wusste er sofort,<br />

dass C richtig ist, während sich die Prominenten<br />

am Bildschirm verzweifelt aufs Raten verlegten.<br />

Schade nur, dass man als klügerer Zuschauer<br />

nicht an den hohen Gewinnen - in diesem<br />

Fall 5000 Euro - beteiligt wird.


Eine weitere Abteilung des Seniorenangebotes bezieht<br />

sich auf Rechts- und Verbraucherberatung.<br />

„Erben und Enterben“ wird immer wieder gern<br />

gebucht, aber auch der Kurs „Lasst Blumen sprechen<br />

- Grabpflege für Angehörige“ ist beliebt. Der<br />

Andrang zu „Wir machen Millionäre - Lotto spielen<br />

leicht gemacht“ hat dagegen etwas nachgelassen.<br />

Nach wie vor beliebt sind auch Gesundheitsvorträge,<br />

wie der von Dr. Wohlgemut zum Thema „<strong>Die</strong><br />

Altersehe als verkehrsberuhigte Zone.“<br />

Natürlich gibt es auch Angebote, die nicht so gut<br />

laufen. So musste das „Rentner-Rodeo“, weil zu<br />

gefährlich, wieder aufgegeben werden. Auch das<br />

„S-Bahn-Surfen für Fortgeschrittene“ wurde gestrichen,<br />

weil die Versicherung nicht länger mitspielen<br />

wollte.<br />

Gut Essen und Trinken hält bekanntlich Leib und<br />

Seele zusammen. Da ist es nicht verwunderlich,<br />

dass auch spezielle Ernährungskurse von Älteren<br />

sehr gefragt sind. „Zahnlos glücklich“, „Spülpraxis<br />

und Spültheorie“, „Alter schützt vor Rohkost<br />

nicht“ oder „Pilzgerichte - ein einmaliges Erlebnis“<br />

sind zur Zeit die großen Renner.


<strong>Die</strong> erwähnten Entwicklungen gehen weiter, denn<br />

es werden ja immer mehr Menschen immer älter.<br />

Schauen sie doch einfach mal rein in die nächsten<br />

Programme. <strong>Die</strong> erhalten sie kostenlos in der<br />

Volkshochschule oder in ähnlichen Bildungseinrichtungen.


Wo habe ich nur früher die Zeit her<br />

genommen, auch noch arbeiten zu gehen?


„Ihr Gebiß sollten sie zwischen den Mahlzeiten<br />

im Hotelsafe verwahren. Meins ist mir in<br />

Mombasa gestohlen worden – schrecklich!“


„Und es wirkt tatsächlich wie<br />

ein Beta-Blocker?“


Ausgerechnet beim Ausflug nach Paris<br />

hatte ich meine Brille vergessen!


Zwischen Kraut und Krume<br />

- Alfons Krukenbrauck wird Achtzig -<br />

<strong>Die</strong> Bezeichnung „Heimatdichter“ hat er stets abgelehnt.<br />

Heimaterzähler würde er schon eher akzeptieren:<br />

Alfons Krukenbrauck aus Holsterheide,<br />

ein Erzähler von Rang und ein origineller noch<br />

dazu. <strong>Die</strong> Tiergeschichte hat er wiederbelebt und<br />

dabei sogar eine neue literarische Gattung geschaffen:<br />

<strong>Die</strong> ökologisch fundierte Tiertragödie. Während<br />

in der klassischen Tiergeschichte die Tiere<br />

einfach anstelle von Menschen agieren, werden sie<br />

bei Krukenbrauck zu wehrlosen Opfern der modernen<br />

Agrarwirtschaft.<br />

So befasst sich sein Erstlingswerk „Engstellen“ mit<br />

den Folgen der zunehmenden Bodenverdichtung<br />

durch moderne Agrarmaschinen. Hautnah erleben<br />

wir mit, wie bei der Mäusefamilie Fluschy regelmäßig<br />

die Teller aus dem Regal fallen, wenn oben<br />

wieder so ein schwerer Trecker über den Acker<br />

donnert. Außerdem werden ihre unterirdischen<br />

Gänge durch die Bodenverdichtung immer enger.<br />

So eng, dass am Ende der beleibte Mäuseopa nicht<br />

mehr zur Speisekammer kommt und jämmerlich<br />

verhungern müsste, würden seine 28 Mäuseenkel<br />

ihn nicht immer wieder freischaufeln.


Im Roman „Duftkeule“ schildert uns Krukenbrauck<br />

eindrucksvoll, wie die Beziehung zwischen<br />

den Tagpfauenaugen Sigmar und Angela, scheitert<br />

- ja scheitern muss - weil Güllegestank die Wirkung<br />

der für Schmetterlinge so wichtigen Sexualduftstoffe<br />

überdeckt. Da können die beiden unmöglich<br />

zueinander finden. Tragisches Ende einer<br />

großen Liebe!<br />

In seinem letzten Roman mit dem Titel „Erleuchtung“<br />

erfahren wir, wie Hamster Plusty durch<br />

einseitige Ernährung mit Genmais in eine tiefe Lebenskrise<br />

gerät, aus der ihn nur die Begegnung mit<br />

Swami Barandi und die Hinwendung zum Veganismus<br />

retten kann.<br />

Krukenbraucks erzählerisches Geschick, sein sicherer<br />

Stil, seine Liebe zur Heimat und seine agrarische<br />

Kompetenz sind mit zahlreichen Preisen und<br />

Ehrungen gewürdigt worden. Zuletzt hat er für sein<br />

Lebenswerk den renommierten „Goldenen Mümmelmann“<br />

der Hermann Löns Gesellschaft be<strong>kommen</strong>.


Weit über den Kreis der literarische Interessierten<br />

hinaus ist Krukenbrauck durch seine Auftritte bei<br />

Florian Silbereisens Volksmusikabenden, die als<br />

Fernsehübertragungen bis Alaska und Neuseeland<br />

zu sehen waren und überall begeisterte Anhänger<br />

fanden, bekannt geworden. Auch in der Boulevardpresse<br />

blieb er kein Unbekannter. Seit einiger Zeit<br />

hat ihm die BILD-Zeitung unter der Überschrift<br />

„Zwischen Kraut und Krume“ eine eigene Kolumne<br />

eingeräumt. Lesenswert!<br />

<strong>Die</strong>sem Text liegt eine Aufgabe zu Grunde. Es sollten<br />

die Worte „Erzähler“, „Fernsehübertragungen“, „Stil“<br />

und „Boulevard“ untergebracht werden.


Vielleicht sollte ich es doch mal mit Viagra probieren.


„In Djerba war das Bier zu warm<br />

und hier haben sie nicht mal Boys,<br />

die einem die Koffer tragen!“


Grüner Oktober<br />

Eigentlich wollte Kabunke nur ein paar Salatköpfe<br />

aus seinem Schrebergarten holen. Vor dem Eingangstor<br />

der Kleingartenanlage „Grüner Oktober“<br />

(bis zur Wende „Roter Oktober“) in Dresden-<br />

Gorbitz war die Hölle los. Ein paar hundert junge<br />

Leute strömten zum Eingang. Vergeblich versuchten<br />

zwei Polizisten, Ordnung in das Chaos zu bringen.<br />

Am Himmel kreiste ein Polizeihubschrauber.<br />

Auf seine Frage, was denn hier los sei, bekommt<br />

Kabunke die knappe Antwort: „Irgend so ein alter<br />

Knacker hat im Lotto gewonnen und spendiert<br />

Freibier.“ Kabunke flieht nach Hause und trifft<br />

dort auf seine Enkeltochter Debbie. <strong>Die</strong> ist ziemlich<br />

zerknirscht und gibt zu, ihm diesen Flashmob<br />

per Facebook auf den Hals gehetzt zu haben „Aber<br />

nur, weil du mich auf deinem Fernseher keine Pornos<br />

gucken lässt!“<br />

Während Kabunke Debbie zu trösten versucht, hört<br />

man im Hausflur kräftige Schritte. Es klingelt<br />

mehrmals an der Wohnungstür. Dann ertönt<br />

eine laute Stimme: „Polizei! Machen sie auf!“ Zögernd<br />

öffnet Kabunke die Tür. Draußen stehen<br />

zwei von Debbies Freunden und freuen sich tie-


isch über den gelungenen Scherz. Jetzt muss Kabunke<br />

aber doch noch ein paar Bierchen spendieren.


„Wenn wir wieder zu Hause sind,<br />

muss ich unbedingt den Gartenzaun<br />

reparieren.“


„Seit mein Mann die langen Flüge<br />

nicht mehr verträgt, gehen wir öfters<br />

mal hier essen.“


„Bali, Samoa, Hawaii – und das mit über 80!<br />

Ob wir etwas erben, ist ihnen egal.“


Weihnachten haben wir auf der Osterinsel verbracht.


Eventkultur<br />

Wenn man immer älter wird, steht auch immer<br />

öfters eine Beerdigung an. <strong>Die</strong> eigenen Eltern und<br />

Großeltern sind schon lange tot, jetzt <strong>kommen</strong> die<br />

Klassenkameraden und die Wohnungsnachbarn<br />

dran. Kürzlich hat es Opa Krause aus der Nachbarwohnung<br />

erwischt, den Mann, der mir jahrelang<br />

mit seinem Akkordeon auf den Wecker ging. Seine<br />

Caprifischer habe ich mir mindestens zweihundert<br />

Mal anhören müssen, durch die Wände meiner<br />

Wohnung nur leicht gedämpft. Nun ist damit endgültig<br />

Schluss und ich mache mich gut gelaunt auf<br />

den Weg zu seiner Beerdigung.<br />

<strong>Die</strong> Trauerhalle des städtischen Friedhof ist ziemlich<br />

voll. Vorn steht auf einem Podest der Sarg,<br />

davor das blaue Akkordeon. Links ein Kandelaber<br />

mit sieben großen Kerzen. Darunter liegen Kränze.<br />

Außerdem steht da noch ein Lesepult als Ersatz für<br />

die nicht vorhandene Kirchenkanzel. Rechts vom<br />

Sarg dann nochmal eine umfangreiche Blumendekoration<br />

und auf einer Staffelei ein Foto von Krause,<br />

das ihn in seinen besten Jahren zeigt. (Zuletzt<br />

hatte er längst nicht mehr so gut ausgesehen).


Ursprünglich sollte das blaue Akkordeon Krause<br />

mit ins Grab gegeben werden. Das verbietet aber<br />

die Friedhofsordnung. Nun bekommt es die Jugendmusikschule.<br />

In der ersten Bankreihe sitzen neben den nächsten<br />

Angehörigen jede Menge Enkel und Urenkel. Jetzt<br />

geht es los. <strong>Die</strong> Pfarrerin tritt ans Rednerpult,<br />

heißt uns herzlich will<strong>kommen</strong> und ruft noch einmal<br />

in Erinnerung, wozu wir herge<strong>kommen</strong> sind:<br />

„Wir wollen von Kurt Krause Abschied nehmen.“<br />

Dann bauen sich vorn die Enkel und Urenkel auf<br />

und die Anführerin, eine magersüchtige 17-Jährige<br />

erklärt, dass sie jetzt zur Erinnerung an ihren Opa<br />

und Uropa eins seiner Lieblingslieder singen werden.<br />

Natürlich die Caprifischer. Ich versuche weg<br />

zu hören. Danach singen wir alle aus den ziemlich<br />

zerschlissenen Liederbüchern noch ein Kirchenlied.<br />

Dann ist wieder die Pfarrerin dran. Sie predigt<br />

über den kinderlieben Jesus. So wie er die<br />

Kinder zu sich gerufen habe, genauso sollten auch<br />

wir für unsere Kinder und Enkel eine Will<strong>kommen</strong>skultur<br />

bereithalten. Opa Krause sei da ein<br />

großes Vorbild.


Am Ende der Predigt sorgt der kleine Michael, ein<br />

Urenkel des Verstorbenen, für einige Unruhe. Er ist<br />

nach vorn gekrabbelt und macht sich an dem etwas<br />

wackelig aufgestellten Foto von Krause zu schaffen.<br />

Gleich wird es umfallen. Alle halten wir die<br />

Luft an.<br />

Auch dafür weiß die Pfarrerin eine Lösung: Sie<br />

unterbricht kurzerhand ihre Ansprache, setzt sich<br />

zu Michael auf den Fußboden, redet begütigend auf<br />

ihn ein und schenkt ihm ein Bonbon. Das führt tatsächlich<br />

zum Erfolg und Michael lässt sich wieder<br />

zu seinen Geschwistern zurückbringen. Alle atmen<br />

wir auf und die Pfarrerin setzt ihre Ansprache fort.<br />

Danach sind nochmal die Kinder dran. <strong>Die</strong>smal<br />

haben sie einen Stapel bunter Zeichnungen dabei.<br />

Darauf sind Szenen mit Opa Krause zu sehen, die<br />

sie noch in guter Erinnerung haben. Zum Beispiel<br />

wie ihm mal im Schwimmbad die Badehose nach<br />

unten gerutscht ist. Jede Zeichnung wird hochgehalten,<br />

kurz erläutert und dann mit Tesafilm am<br />

Sarg befestigt. Es folgt noch ein Gebet und ein Kirchenlied.<br />

Dann spielt Krauses Enkel von seiner<br />

Schwester auf der Blockflöte begleitet auf seinem<br />

Keyboard die Titelmelodie aus Dr. Schiwago und<br />

dann laufen wir hinter dem Sarg her zum Grab.


Unterwegs bin ich noch etwas verwirrt von dieser<br />

Mischung aus Abschiedsfeier und Kindergeburtstag.<br />

Offensichtlich wandelt sich die Bestattungskultur,<br />

entfernt sich von der steifen Feierlichkeit<br />

und bewegt sich hin zum fernsehtauglichen Event.<br />

Demnächst werden die Trauergäste den Sarg gemeinsam<br />

mit Fingerfarben bemalen. Darauf freue<br />

ich mich jetzt schon, denn in Kunsterziehung hatte<br />

ich immer eine Zwei.


„Erst verbieten sie uns das Rauchen und<br />

dann wundern sie sich, dass wir immer<br />

länger leben!“


Wenn die Menschen sich anstelle von Kindern<br />

immer mehr von meiner Sorte anschaffen,<br />

werden sie bald ihre Renten aus der Hundesteuer<br />

finanzieren müssen.


So ein Briefkasten erfüllt gleich mehrere wichtige<br />

Aufgaben. Einmal nimmt er natürlich unsere Post<br />

entgegen. Mit seiner abblätternden Farbe und dem<br />

zunehmenden Rost erinnert er uns aber auch immer<br />

wieder an die eigene Vergänglichkeit.


Der Methusalem<br />

Auf den ersten Blick sieht Methusalem wie ein<br />

ganz normaler Spazierstock aus. Unten befindet<br />

sich eine etwa hüfthohe Röhre aus gebürstetem<br />

Aluminium, an die sich oben ein gebogener Handgriff<br />

anschließt. Ganz unten sehen wir, wie beim<br />

herkömmlichen Spazierstock, je nach Modell, entweder<br />

einen Gummi oder eine Metallspitze.<br />

Anders als ein Spazierstock ist Methusalem jedoch<br />

nicht aus Holz sondern aus Aluminium gefertigt<br />

und in seinem Inneren steckt, ähnlich wie bei einem<br />

Smartphone, eine Reihe elektronischer Bauteile.<br />

An der Vorderseite befindet sich der sog.<br />

Notrufknopf. Mit seiner Hilfe kann im Notfall von<br />

jedem Ort aus ärztliche Hilfe angefordert werden.<br />

Ein Beispiel: Herr Berghof (82) macht seinen täglichen<br />

Abendspaziergang im Stadtwald. Eine Gruppe<br />

von Steinpilzen verlockt ihn dazu, den offiziellen<br />

Waldweg zu verlassen. Er kommt immer weiter<br />

vom Weg ab, gerät schließlich in ein ausgetrocknetes<br />

Bachbett, bleibt an einer Wurzel hängen und<br />

bricht sich den Knöchel. Ein ziemlich ausweglose<br />

Situation, denn hier kommt heute niemand mehr<br />

vorbei und so kann auch niemand seine Hilferufe


hören. Aber er hat ja seinen Methusalem! An<br />

diesem betätigt er jetzt den Notrufknopf. In der<br />

Notrufzentrale wird das Signal aufgefangen. Mit<br />

Hilfe der mitgesendeten GPS-Daten wird der<br />

genaue Ort des Absenders ermittelt. Kurze Zeit<br />

später landet ein Rettungshubschrauber auf einer<br />

Waldlichtung nur wenig hundert Meter vom<br />

Unglücksort entfernt. Rettungsassistenten arbeiten<br />

sich durch das dichte Unterholz bis zu dem<br />

Verletzten vor, legen ihn auf eine Trage und<br />

bringen ihn zum Hubschrauber, der ihn in die<br />

nächste Unfallklinik befördert. Nach drei Wochen<br />

ist Berghof wieder völlig fit und kann seine<br />

Waldspaziergänge wieder aufnehmen, wobei<br />

er jetzt etwas mehr darauf achtet, nicht vom<br />

Weg abzu<strong>kommen</strong>. Vor allem aber achtet er<br />

darauf, seinen hilfreichen Methusalem immer<br />

dabei zu haben.<br />

Um Signale in umgekehrter Richtung, also hin<br />

zu Methusalem, zu befördern gibt es verschiedene<br />

Möglichkeiten. Akustische Signale <strong>kommen</strong><br />

über das Handynetz und anschließend über eine<br />

Bluetooth-Verbindung zum Hörgerät des Benutzers.<br />

Auf diesem Weg <strong>kommen</strong> z.B. Anrufe an.


Es ist aber auch möglich Musik abzuspielen, Radio<br />

zu hören oder sich Hörbücher vorlesen zu lassen.<br />

Optische Signale werden dagegen zu einer<br />

Spezialbrille befördert und dort in die Brillengläser<br />

eingeblendet. Auf diese Weise kann man sowohl<br />

Fernsehen als auch E-mails empfangen. <strong>Die</strong>s<br />

alles ist möglich, weil in Methusalem die komplette<br />

Technik eines Smartphones eingebaut wurde.<br />

Beim Modell Methusalem-Plus gibt es außerdem<br />

noch ein Sprachmodul. Mit diesem lassen sich<br />

über ein Bügelmikrofon einfache Befehle eingeben.<br />

Beispielsweise sorgt der Befehl „Haus sicher<br />

machen!“ dafür, dass die Home-Elektronik im eigenen<br />

Haus oder der eigenen Wohnung aktiviert<br />

wird. Ist die Haustür korrekt abgeschlossen? Ist<br />

der Herd aus und das Bügeleisen abgestellt? Sind<br />

alle Fenster geschlossen? Notfalls werden - sofern<br />

zu Hause die entsprechenden Hilfsaggregate installiert<br />

sind - alle diese Fehler automatisch behoben.<br />

Außerdem ist (auch beim Standardgerät) in den<br />

Handgriff des Methusalem eine Membrane eingebaut,<br />

die unsere Finger sanft streicheln oder auch<br />

aggressiv pieksen kann. Letzteres tut sie beispiels-


weise, wenn wir versuchen, eine Kreuzung zu<br />

überqueren, während die Fußgängerampel noch<br />

Rot zeigt. <strong>Die</strong>se Membrane kann uns auch helfen,<br />

ein bestimmtes Ziel zu erreichen. In unserem Methusalem<br />

ist nämlich auch ein Navi eingebaut. Der<br />

Befehl „Zur Dominikusstraße 19„ beispielsweise<br />

aktiviert dieses Gerät. Jetzt werden unsere Finger<br />

sanft gestreichelt, wenn wir uns in die richtige<br />

Richtung bewegen, während ein Abweichen vom<br />

direkten Kurs durch unangenehmes Pieksen korrigiert<br />

wird. So <strong>kommen</strong> wir immer direkt ans Ziel.<br />

Außerdem protokolliert der Methusalem unser<br />

Laufverhalten. Am PC können wir uns die tägliche<br />

Laufleistung über eine USB-Verbindung als Kurve<br />

anzeigen lassen. Oder wir lassen uns spezielle<br />

Trainingspläne von unserem Methusalem vorgeben.<br />

Heute ein Wandertag, der uns aufs Äußerste<br />

belastet, morgen dann ein Ruhetag, an dem wir uns<br />

wieder erholen.<br />

Es gibt auch schon spezielle Rezeptbücher, die<br />

unsere Ernährungsgewohnheiten mit dem persönlichen<br />

Bewegungsprofil koordinieren. Damit sind<br />

die Möglichkeiten unseres Methusalems aber noch<br />

lange nicht ausgeschöpft. Wir stehen erst am Anfang<br />

einer technologischen Entwicklung, die uns


nicht nur älter sondern auch glücklicher machen<br />

wird.<br />

Zu Zeit ist das Gerät noch relativ teuer. Das wird<br />

sich aber rasch ändern, sobald größere Stückzahlen<br />

produziert werden. In China soll bereits an einem<br />

Volksmethusalem gearbeitet werden.


Über den Verfasser<br />

Holm Roch wurde 1938 in Leipzig geboren. Der<br />

promovierte Theologe hat lange Zeit in der kirchlichen<br />

Erwachsenenbildung gearbeitet und auch einen<br />

Lehrauftrag für Sozialphilosophie und Sozialethik<br />

an einer Fachhochschule wahrgenommen.<br />

<strong>Die</strong> Lust am Zeichnen und am grafischen Gestalten<br />

hat ihn sein Leben lang begleitet, angefangen von<br />

dem frühen, unerfüllten Wunsch, Kunsterzieher zu<br />

werden, über eine vergebliche Bewerbung an der<br />

Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst bis<br />

zum Studium der Polygrafie. Als er später für die<br />

Erwachsenen- und Familienbildung der Westfälischen<br />

Kirche zuständig war, hat ihm das ständige<br />

Herumgekritzele über manche langweilige Sitzung<br />

hinweg geholfen.<br />

Seit ihm der sog. Ruhestand mehr Zeit dafür lässt,<br />

schreibt er ironisch getönte Kurzgeschichten und<br />

zeichnet Cartoons, die regelmäßig in der Tagespresse<br />

erscheinen. Außerdem hat er zahlreiche<br />

Rundfunksendungen moderiert und produziert.<br />

Zehn Jahre lang hat Holm Roch im Iserlohner Seniorenbeirat<br />

mitgearbeitet, zuletzt als dessen Vorsitzender.<br />

Mehr unter www.holm-roch.de


Hol Roh: <strong>Die</strong> Alte koe<br />

Iserloh <br />

© Alle Rehte a Text ud Zeihuge ei Verfasser

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