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Auf dem Holzstuhl nimmt nun eine ältere Dame mit ernstem<br />
Blick und einem feinen, tannengrünen Anzug Platz.<br />
Sie beginnt sofort zu erzählen, dass sie gar nicht in die<br />
Hölle gehört, da sie einem Obdachlosen einen Euro gegeben<br />
hat. Satan runzelt verärgert die Stirn. Einen Euro, wie<br />
überaus gütig. Soll das ein Witz sein? Falls ja, Satan mag<br />
schlechte Witze überhaupt nicht. Auf Satans Informationsblatt<br />
steht, dass die ältere Frau ihren Kunden Dispokredite<br />
angeraten hatte, die mit hohen Zinsen verbunden<br />
sind, obwohl es deutlich bessere Optionen gegeben hätte.<br />
Wie Satan diese Art von gedankenlosen und profitorientierten<br />
Menschen aufrichtig verabscheute! Für ihn<br />
definitiv ein Fall für die Hölle. Dann doch viel lieber der<br />
kleine Junge mit der pfiffigen Zahnlücke von heute Morgen,<br />
der seinen strengen Mathelehrer, vor dem er Angst<br />
hatte, am Pult festgeklebt hatte. Satan hatte das an seine<br />
jungen Jahre als frecher (B)engel erinnert und er hatte<br />
den Jungen natürlich nicht in die Hölle überwiesen. Satan<br />
nimmt einen Schluck süßen Baumwurzelkaffee aus seiner<br />
gruseligen Tasse und atmet tief durch.<br />
Als Nächstes setzt sich eine zierliche, sehr schlanke, Mitte<br />
dreißigjährige Frau mit Löchern in der Jeans und frecher<br />
Kurzhaarfrisur. „Hallo Satan“, grüßt sie freundlich. „Ich<br />
gehöre in die Hölle!“ Satan ist total überrascht und möchte<br />
erstaunt wissen, warum. Soweit er weiß, hat sich die<br />
Kleine bisher nichts zuschulden kommen lassen, im Gegenteil.<br />
„Ich bin seit einem Jahr wohnungslos und finde<br />
trotz intensiver Suche keine Wohnung oder ein Zimmer“,<br />
antwortet sie niedergeschlagen. Satan spürt, wie in ihm<br />
eine leise Traurigkeit hochkommt. Er kann sich ein Leben<br />
ohne seine flauschige Höhle nicht vorstellen. Er fasst<br />
sich und entgegnet überzeugt: „Obdachlosigkeit ist kein<br />
Verbrechen!“ „Aber ich habe letztes Jahr fünf Brötchen bei<br />
meinem Minijob, der Tafel in Tönning, gestohlen.“ „Das<br />
zählt nicht! Die Brötchen waren vom Tafeltag übrig und<br />
wären sonst an die Tiere verfüttert worden“, stellt Satan<br />
strikt klar. „Außerdem, so steht es in meiner Akte, warst<br />
du in einer absoluten Notsituation und hattest starken<br />
Hunger. Tut mir leid, dein Leben ist bisher tadellos, auch<br />
wenn du es so nicht siehst, deshalb ist die Hölle für dich<br />
definitiv ausgeschlossen“, sagt Satan entschlossen. „Aber<br />
ich...“<br />
Auf einmal wird die Höhle von einem wohltuenden Licht<br />
und Wärme erfüllt. Es duftet köstlich nach Weihnachten.<br />
„Feierabend, Satan Luzifer, nun wird gefeiert“, ruft ein<br />
großer Mann mit angenehmer Stimme und feinem,<br />
langem, dunklem Haar. Es ist Jesus. „Nenne mich nicht<br />
immer Satan Luzifer“, grummelt Satan. Jesus lächelt<br />
amüsiert. „Was ist hier eigentlich los?“, möchte die ältere<br />
Frau im Anzug wissen. „Jedes Jahr zu Weihnachten laden<br />
wir für Satan Menschen ein, um ihnen die Möglichkeit<br />
zu geben, ihr Handeln zu ändern, sich selbst besser zu<br />
akzeptieren oder ihnen Hoffnung zu schenken“, antwortet<br />
Jesus ihr. Dabei schenkt er dem kleinen Jungen mit<br />
der Zahnlücke, dem Vielleicht-Weihnachtsmann und der<br />
jungen Frau warme Blicke. „Bevor als letztes eben die Hölle<br />
kommt. Oder der Raum des ewigen Friedens“, erklärt<br />
Jesus. „Blödsinn“, meint die ältere Frau. „Ich habe meine<br />
Arbeit immer gut gemacht. Selbst schuld, wer sein Leben<br />
nicht auf die Reihe bekommt!“ Sie schnappt sich ihre teure<br />
Handtasche und stolziert davon.<br />
Jesus schaut ihr bedrückt nach, bis Satan ihm vorsichtig<br />
seine dunkle Hand auf die Schulter legt. „Komm', Jesus,<br />
heute ist dein Ehrentag. Dein Geburtstagskuchen wartet.“<br />
Und so sitzen der kleine Junge, der Eventuell-Weihnachtsmann,<br />
die junge Frau, Jesus, Satan und alle anderen Gäste<br />
glücklich und dankbar zusammen.<br />
Und wie einst vor vielen Jahren thront hoch oben im funkelnden<br />
Himmelszelt der leuchtende Stern von Betlehem<br />
und verkündet die hoffnungsvolle Weihnachtszeit.<br />
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