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Vor dem Übergang zum Kurfürstentum Baden waren<br />
Truppen Napoleons, die auf dem Weg durchs Deutsche<br />
Reich waren, im Breisgau stationiert. Zwar hatten sie keinerlei<br />
Herrschafts- oder Besatzerrechte, doch sie hielten<br />
sich nicht immer daran.<br />
Ein Beispiel dafür ereignete sich am 15. März 1804, als<br />
die französischen Truppen Louis de Bourbon, Herzog von<br />
Enghien und Mitglied der gestürzten französischen Königsfamilie,<br />
zusammen mit anderen franz. Migranten aus<br />
Ettenheim entführten. Ohne Gerichtsverfahren und somit<br />
auch ohne die Chance einer Verteidigung wurde der<br />
Herzog eine Woche später im Schlossgraben von Vincennes<br />
erschossen. Wahrscheinlich war der Herzog während<br />
der Revolution in Frankreich in Abwesenheit verurteilt<br />
worden, so wie die meisten Familienmitglieder und andere<br />
hohe Adelige. In Freiburg war man betroffen, weil der<br />
Herzog eigentlich auf dem Weg in die Stadt war. Er wollte<br />
im Haus des Kaufmanns und Bankiers Heinrich Sautier<br />
Quartier nehmen. Danach waren Freiburgs EinwohnerInnen<br />
verunsichert und verängstigt, viele fürchteten jetzt<br />
wieder vermehrte Übergriffe durch das französische Militär.<br />
Zwar blieben diese aus, aber von ruhigen Zeiten konnten<br />
die BürgerInnen trotzdem nicht sprechen.<br />
Doch nicht nur die Franzosen haben in Freiburg Chaos<br />
hinterlassen, sondern natürlich auch die Vorderösterreicher.<br />
Vor allem im Armensektor musste die neue badische<br />
Regierung ein ziemliches Durcheinander übernehmen.<br />
Die vielen verschiedenen Stiftungen, die oftmals aneinander<br />
vorbei arbeiteten, hatte ich bereits in einem früheren<br />
Kapitel erwähnt. Schon Kaiserin Maria Theresia hatte ja<br />
gefordert, die Freiburger Stiftungen zusammenzulegen,<br />
was nun auch endlich erfolgt war. Doch im Zuge ihrer sozialen<br />
Reformen hatten die Kaiserin und später ihr Sohn<br />
Kaiser Joseph II. Freiburg zum Experimentierfeld auserkoren.<br />
Sämtliche neuen Reformansätze der damals vorderösterreichischen<br />
Regierung wurden zuerst in Freiburg<br />
ausprobiert, bevor man eine Ausdehnung auf das gesamte<br />
Reich in Erwägung zog.<br />
Da auch immer wieder neue Vorschläge gemacht wurden,<br />
wie man gerade die Armenfürsorge verbessern oder modernisieren<br />
kann, lief vieles durcheinander. Denn kaum<br />
war eine Reform bekannt gemacht und umgesetzt, kam<br />
schon die nächste Änderung. Auch bleibt zu bezweifeln,<br />
ob wirklich alle Ideen vernünftig waren. Fakt war aber, die<br />
Habsburger Regierung hat damals der Stadt, dem Rat und<br />
den BürgerInnen die Armenversorgung aus der Hand genommen<br />
und ihre Entscheidungen meist aus der Ferne<br />
getroffen. Zwar war das Freiburger Armenwesen in diesen<br />
Jahren finanziell am leistungsstärksten, doch fehlte wie<br />
gesagt eine einheitliche Struktur, von der aus die Armenpolitik<br />
der Stadt gesteuert werden konnte.<br />
Foto: Wikipedia<br />
Abb.: Die Hinrichtung des Herzogs von Enghien (Gemälde<br />
von Jean-Paul Laurens, 1873)<br />
Trotz allem muss man die Bestrebungen im Armenwesen<br />
der Stadt würdigen. Um den Jahrhundertwechsel herum<br />
betreuten die Institutionen der Stadt immerhin mehr<br />
als 300 bedürftige Menschen ständig. Das Vermögen der<br />
Stiftungen belief sich in jener Zeit auf etwa 200.000 Gulden.<br />
Doch all diese „positiven Zahlen“ dürfen nicht darüber<br />
hinwegtäuschen, dass die Freiburger Armenpolitik<br />
die Armut der Menschen nur linderte und nicht wirksam<br />
bekämpfte. Auch die Einstellung von Stadt und BürgerInnen<br />
gegenüber dem Thema Armut hatte sich inzwischen<br />
gewandelt. Früher war man der Meinung, die Armut wäre<br />
eher ein räumliches, regionales Problem und man könnte<br />
die Gesellschaft „von Armut reinigen“. Zu Beginn des<br />
19. Jahrhunderts betrachtete man die Armut dann als<br />
das was sie wirklich war: ein soziales Problem, das jedes<br />
einzelne Mitglied der Gesellschaft berührte! Mit dem Abschied<br />
der Habsburger kam die Armenpflege dann wieder<br />
zurück in städtische Hände. Die Stadt und einzelne Akteure<br />
der Armenfürsorge versuchten es nun mit Armutsprävention,<br />
die alle Armen erreichen sollte, unabhängig von<br />
Herkunft und Voraussetzungen.<br />
FREIeBÜRGER 12 | 2023 13