15.02.2024 Aufrufe

MIXOLOGY ISSUE #119 - DER MIZUWARI

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

AUF EIN GLAS MIT …<br />

BRU<strong>DER</strong><br />

UND BAUER<br />

Hubert Peter hat nichts dagegen<br />

kopiert zu werden. Den meisten Kollegen<br />

werde es nur schnell zu mühsam, eine<br />

Bar-Karte auf Wildsammlungen aufzubauen.<br />

Der Gründer des Wiener<br />

»Bruder« hingegen setzt den nächsten<br />

Schritt: Die eigene Landwirtschaft krönt<br />

das fünfte Bestandsjahr. Ein Gespräch<br />

über Wanderungen und Wahnsinn.<br />

Text & Interview Roland Graf<br />

Fotos Max Lottmann<br />

24


Jetzt sei er also auch »für Wiener Verhältnisse<br />

ein alter Hund«, wie Hubert Peter zur Begrüßung<br />

lacht. Der 35-Jährige meint damit aber<br />

nicht sich selbst, sondern die fünf Jahre des<br />

Bruder, den er von Anbeginn weg mit Lucas<br />

Steindorfer als Küchenchef und partner in<br />

crime führt. Gemeinsam hat man in der Windmühlgasse<br />

im 6. Wiener Bezirk eine der ungewöhnlichsten<br />

Bars des Landes etabliert. An<br />

manchen Tagen gehen hier mehr Naturweine<br />

und Wermut pur als Cocktails über den Tresen,<br />

hinter dem sich die »Plutzer« stapeln. Die imposanten<br />

Glasballons sind quasi das Kapital<br />

der Bar, die haltbar gemachte Essenz aus der<br />

Botanisiertrommel des Hubert Peter.<br />

Kurze Stationen in längst verblichenen Lokalen<br />

wie »Die Au«, »Kussmaul«, der famosen »Barrikade«<br />

in der gescheiterten Wiener Markthalle<br />

und dem Pop-up »Rien« haben seine Idee<br />

der weitgehend autarken Bar vorgeformt. Mit<br />

Steindorfer kam ab dem Rien ein echter Bruder<br />

(daher weht der Wind!) im Geiste dazu.<br />

Oder, wie es der Vorarlberger in Wien formuliert:<br />

»Der Wahnsinn ist mit uns mitgewachsen.«<br />

Dass Huber Peter ein eher stiller Star in<br />

der österreichischen Szene ist, bedeutet nicht,<br />

dass er nicht viel zu sagen hätte. Witziges und<br />

Wesentliches. Manchmal sogar in einem Satz.<br />

Mixology-Autor Roland Graf schrieb mit.<br />

<strong>MIXOLOGY</strong>: Lieber Hubert, das Konzept des<br />

»Bruder« war an deinen ersten Stationen noch<br />

nicht so klar umrissen. Ab wann wusstest du,<br />

dass es jetzt passt?<br />

Hubert Peter: Experimentell waren wir wohl<br />

immer. Aber damit ist dann mit der Selbständigkeit<br />

auch das Forageing dazugekommen.<br />

Das Interesse war immer da bei mir, aber im<br />

»Kussmaul« hätte ich ja nicht einmal die Zeit<br />

dafür gehabt. Ein bisschen was gab es schon im<br />

»Rien« und hier war das dann klar, dass es ganz<br />

in diese Richtung geht.<br />

Forageing bedeutet auch zeitliche Flexibilität<br />

– die Kirschblüte wartet ja nicht auf dich. Wie<br />

teilt man sich das ein?<br />

Na ja, an sich geht sich das heute sogar besser<br />

aus. Wir sind ja auch als Team im Bruder gewachsen<br />

und gut aufgestellt mit heute neun<br />

Leuten. Angefangen haben wir zu dritt. Dadurch<br />

ist das heute auch gesettled. Wir haben<br />

eine Viertagewoche, womit du drei Tage die<br />

Möglichkeit hast zu sammeln und etwas zu<br />

verarbeiten. Dazu haben wir mittlerweile auch<br />

viele Kontakte geknüpft, wo man uns entgegenkommt<br />

und sagt: »Ich habe das im Garten,<br />

pflücke es und bring’s dir vorbei – und hol mir<br />

gleich ein Menü bei dir.«<br />

Das Sammeln im Wald reicht aber nicht, du<br />

gehst aktuell einen Schritt weiter …<br />

Ich habe mich in den letzten Jahren richtiggehend<br />

weitergebildet, weil mich das Thema so<br />

sehr interessiert hat. Und ich will das auch in<br />

Zukunft machen. Seit 1. Januar 2024 bin ich daher<br />

ganz offiziell eingetragener Landwirt und<br />

habe in Vorarlberg zwei Hektar mit Sträuchern<br />

bzw. als Streuobstwiese bepflanzt. Das ist natürlich<br />

für einen Ort wie unseren von Vorteil,<br />

wenn du genau das anbaust, was du brauchst.<br />

Und weiters stehen da zwei Leute – in meinem<br />

Fall Vater und Mutter – dahinter, die beide in<br />

der Sache interessiert und vor Ort sind. Das ist<br />

sicher noch ein Schritt mehr in die Richtung,<br />

mit dem man in der Sache ernster werden<br />

kann. Und vor allem auch mehr »Stock« für die<br />

Bar zur Verfügung hat.<br />

Die Zutaten sind das eine. Wie aber läuft die<br />

Rezeptentwicklung bei dir? Suchst du Pflanzen<br />

für eine bereits vorhandene Idee oder geben die<br />

Funde die Drinks vor?<br />

Normalerweise erstellen wir zuerst ein Produkt<br />

und davon ausgehend dann verschiedene<br />

Rezepte. Also wenn wir sehen, dass Sachen<br />

funktionieren, versuchen wir sie fix in ein Programm<br />

hineinzuziehen. Wenn eine Zutat in einem<br />

Drink funktioniert, geht das dann ja auch<br />

im Austausch. Dann kommt also z. B. je nach<br />

Saison Rhabarber wieder raus und wird durch<br />

eine andere saure Zutat ersetzt. So bleibt man<br />

auch immer kreativ, wenn man etwas Neues<br />

entdeckt und das dann einbaut im Cocktail.<br />

Das ist ja eigentlich ein unendliches Thema.<br />

Zugleich versuchen wir das in einer Menge<br />

zu produzieren, dass das auch als Cocktail ein<br />

oder zwei Monate auf der Karte sein kann. Und<br />

für das kommende Jahr organisiert man das<br />

dann so, dass man wieder genug davon hat –<br />

oder eventuell sogar mehr. Wenn du da einmal<br />

anfängst, kommst du auf viele kleine Details<br />

drauf: Eine Tanne schmeckt eben je nach Jahreszeit<br />

komplett unterschiedlich. Da muss man<br />

genau schauen, wann man erntet.<br />

Schau, schau – und wann erntet man idealerweise?<br />

Für mich ist der Frühsommer eigentlich die<br />

beste Jahreszeit, weil dann die Säfte schon richtig<br />

drinnen sind und die Bäume für den Geschmack<br />

auch bereits etwas Sonne abbekommen<br />

haben. Wenn du oft Tannen schneidest,<br />

merkst du auch den Unterschied ganz deutlich:<br />

Wie viel Geschmack und Power da schon drinnen<br />

ist – das ist ganz anders als im Winter!<br />

Das bedeutet natürlich auch einen großen<br />

Aufwand beim Haltbarmachen?<br />

Ja, wobei wir das für unsere Drinks recht simpel<br />

gestalten. Mir machen meistens einen Ansatz<br />

(= Mazerat der Wildzutaten; Anm. d. Red.)<br />

und schauen dann, dass wir immer genug vorrätig<br />

haben. Die vier Signature Cocktails wechseln<br />

wir sehr oft, also einen pro Woche. Die<br />

Longdrinks bleiben dafür immer gleich. Das<br />

geht sich von der Kühlfläche perfekt aus. Denn<br />

jeder Cocktail mehr wäre logistisch schon wieder<br />

schwierig. Aber ich habe auch immens viel<br />

konserviert, das eventuell auch als Ersatz fungieren<br />

kann. Wir haben außerdem begonnen,<br />

Holunderblüten zum richtigen Zeitpunkt zu<br />

ernten und zu konservieren. Die werden schön<br />

flach einvakuumiert und gefroren. Das ist von<br />

Vorteil – wenn ich im Winter etwas Florales<br />

brauche, kann ich in die Tüte greifen und hab’<br />

das parat. Vom Platz und Energiefaktor her ist<br />

das nicht so eine große Sache, sofern gut präpariert<br />

wurde. Das bedient auch den dekorativen<br />

Aspekt, der mir schon wichtig ist. Dass da<br />

nicht nur ein Drink steht, sondern auch was<br />

Bissfestes.<br />

Im Bruder habe ich immer das Gefühl, dass<br />

auch das Thema Cocktail-Pairing zum Essen<br />

funktioniert, das ansonsten praktisch immer<br />

scheitert. Woran liegt das?<br />

Im Endeffekt muss man sich jeden Tag auf die<br />

Gäste einstellen und herausfinden, was deren<br />

Ziel ist. Wollen die am Ende einfach nur betrunken<br />

sein, dann haben wir natürlich genug<br />

Alkohol da, um diesen Durst auch zu stillen<br />

[lacht]. Dann gibt es wieder eher kulinarisch<br />

Interessierte, die vielleicht weniger Alkohol,<br />

aber viele kleine Sachen probieren möchten.<br />

Daher hat die Getränkebegleitung bei uns<br />

mehrere Zweige. Das steuert dann der jeweilig<br />

Verantwortliche für die Station, also ich oder<br />

Lucas. Da kann man mehrere Abkürzungen<br />

nehmen oder ausweiten. Einen unserer drei<br />

Kombuchas bauen wir immer ein, den machen<br />

wir ebenso selbst wie unser Bier, das auch eine<br />

leichtere Option ist. Oder den hausgemachten<br />

Cider, der auch auf der vorsichtigen Seite ist.<br />

Das hat sich aber erst entwickelt. Denn wir<br />

haben gesehen, dass wir eben verschiedene<br />

Charaktere unter den Gästen haben. Wenn ich<br />

eine Männer-Truppe habe, dann haben wir genug,<br />

um die zu »entschärfen«. Da haben wir<br />

auch schon Schnaps-Türme gebaut. Und wenn<br />

dann in einem Glas kein Likör, sondern Absinth<br />

ist, dann ist die Geschichte auch schnell<br />

wieder entschärft [lacht].<br />

25


STADTGESCHICHTEN<br />

UN<strong>DER</strong>STATEMENT<br />

UND ALTAR<br />

Bei Bern denkt man an die Arkaden-Meilen<br />

oder Politik, nicht an Barkultur. Diese ist<br />

beinahe ganz in Berner Händen, von Understatement<br />

gezeichnet und präsentiert<br />

sich, wie der Hauptstadtfluss Aare die<br />

Stadt hufeisenförmig umschlingt: tiefgründig,<br />

anziehend und mitreißend. Hier<br />

wird sogar mancher Altar zum Tresen. Wir<br />

brechen auf zu unserem ersten Besuch<br />

der Bundesstadt und bereuen nichts.<br />

Text Mia Bavandi<br />

32


Foto: Alexander Jaquemet<br />

Trinken unter dem Kirchendach. In Bern derzeit möglich.<br />

33


COCKTAIL<br />

<strong>MIZUWARI</strong><br />

TATSACHEN<br />

Er ist noch immer der große<br />

Unbekannte – der Mizuwari.<br />

Dabei ist er sinnlich, geistig und<br />

von hoher Exzellenz. Er zeigt<br />

exemplarisch das Wesen der<br />

japanischen Barkultur auf. Und:<br />

Er hat einen fast vergessenen<br />

Ursprung in Paris und im Kino.<br />

Oder nicht? Ein Ausflug zu<br />

Ludwig Wittgenstein und dem<br />

Unter schied zwischen Dingen<br />

und Tatsachen, Japanese Bartending<br />

und Fine à l’eau.<br />

Text Markus Orschiedt<br />

Fotos Jule Frommelt<br />

Drink-Design Nadine Page<br />

In den vergangenen Tagen ist ein Video in den sozialen<br />

Medien aufgetaucht, das viel über die Art und Weise aussagt,<br />

wie Japaner Ästhetik in ein Ordnungssystem übersetzen.<br />

Wie eine Materialisierung des Geistigen in praktischer<br />

Schönheit stattfindet. Es drückt sich ein Respekt vor der<br />

materiellen und immateriellen Welt aus, eine natürliche<br />

kulturelle Exzellenz. Dies misszuverstehen und daraus eine<br />

unausgegorene, esoterisch-ideologische Suppe zu kochen,<br />

ist die Spezialität westlicher Propheten gegen den eigenen,<br />

abgelehnten Rationalismus und oft reaktionär. Eine hoffnungslos<br />

überzeichnete Spiritualität wird gegen die Vernunft<br />

des modernen okzidentalen Menschen in Stellung<br />

gebracht. Unterkomplexer, gegenkultureller Schamanismus.<br />

Manches davon wird auch bei der Erforschung des Mizuwari<br />

( 水 割 り, »mit Wasser geschnitten«) zur Sprache kommen. Jenem<br />

großen Unbekannten, der wie kaum ein anderer für die<br />

japanische Barkultur steht.<br />

Auf einem Flughafen herrscht eine Art organisiertes Chaos.<br />

Hektik trifft auf System und beides steht unter dem Diktat<br />

des Faktors Zeit. Kamerabilder eines australischen Flughafens<br />

zeigen das Entladen eines Koffertransporters einer gerade<br />

gelandeten Maschine. Es muss schnell gehen, die Taschen<br />

und Cases werden in großer Eile auf das Gepäckband geworfen,<br />

schlagen gegen dessen Wand. Jedes zehnte Gepäckstück<br />

springt wieder herunter und landet meist im Innenkreis des<br />

Förderbandes. Der Rest bleibt völlig ungeordnet auf dem<br />

Band liegen und ist auf dem Weg zum wartenden Fluggast.<br />

Gegenschnitt japanischer Flughafen: Auch hier werden die<br />

Koffer von der Ladefläche auf das Band geworfen. Dort aber<br />

steht ein Mitarbeiter mit einem Pufferwerkzeug, das aussieht<br />

wie ein Miniatursitzpolster. Er verhindert, dass die Gepäckstücke<br />

wieder vom Förderband springen oder irgendwo anschlagen,<br />

aufspringen oder beschädigt werden. Mit einem weiteren<br />

42


STRAWBERRY/<br />

LAPSANG<br />

Silverleaf, London (adaptiert)<br />

2 cl Nikka Coffey Malt<br />

2 cl Port Charlotte Islay Whisky<br />

8 cl Erdbeer-Lapsang- Souchong-<br />

Infusion<br />

GARNITUR: Erdbeer-Fruchtleder,<br />

Erdbeer-Gel, Fenchelblüte<br />

S<br />

T<br />

R<br />

A<br />

W<br />

B<br />

E<br />

R<br />

R<br />

Y<br />

/<br />

L<br />

A<br />

P<br />

S<br />

A<br />

N<br />

G<br />

43


TRINKWELT<br />

NACKT<br />

IM<br />

EINKLANG<br />

70


Das glücklichste Land der<br />

Welt stemmt seinen hoch<br />

besteuerten Alkohol mit<br />

Tagesfahrten nach Estland,<br />

ist am liebsten nackig und<br />

schweigt. Finnland, das ist<br />

Saunalandschaft, Skifahrermekka<br />

und Scholle des<br />

Sima und Salmiakkiwodka.<br />

Text Juliane E. Reichert<br />

Illustrationen Inga Israel<br />

Bei Günther Jauch wäre das in der Gegend<br />

der 2000-Euro-Frage: Wozu gehört Finnland<br />

– Skandinavien, Baltikum, Fennoskandinavien<br />

oder Baltinavien? Letzteres gibt es nicht,<br />

zu Skandinavien gehört lediglich der äußerste<br />

Nordwesten des Landes und das zum Baltikum<br />

zugehörige Estland ist Finnland vor allem in<br />

der finno-ugrischen Sprache und Kultur verwandt.<br />

Dann ist da noch die 1340 Kilometer<br />

lange Grenze zu Russland, also die Außengrenze<br />

von Schengen-Raum und der Europäischen<br />

Union. Die richtige Antwort wäre B, Fennoskandinavien:<br />

Das ist eine Bezeichnung für die<br />

nordeuropäische Halbinsel, die aus Finnland –<br />

daher Fenno – und der skandinavischen Halbinsel,<br />

Karelien und Kola besteht.<br />

Daher ist es sowohl sprachlich als auch kulturell<br />

spannend dort oben.<br />

In deutschen Ohren klingen die skandinavischen<br />

und baltischen Sprachen oft herzig und<br />

irgendwie … gemütlich. Das geht wortwörtlich<br />

beim dänischen hyggelig los, beim dänischnorwegischen,<br />

fröhlichen Frühstück namens<br />

frokost weiter, findet aber gewiss in einer finnischen<br />

Lebensphilosophie namens Kalsarikännit<br />

ihren Klimax. Sie bezeichnet das Trinken<br />

von Alkohol zu Hause – in Unterwäsche; und<br />

ist durch Covid über weitere Episoden der<br />

Pandemie zum internationalen modus operandi<br />

geworden. Selbst die altehrwürdige BBC<br />

griff diesen Begriff einmal auf, unter wortwörtlicher<br />

Übersetzung: Pantsdrunk. Finnland,<br />

eine Wiege der Weltkultur.<br />

Die flüssige Form des<br />

Saunierens<br />

Manchmal wollen die Finnen aber auch komplett<br />

nackt trinken und unter Menschen gehen.<br />

Das geschieht durchaus. Dann gehen sie<br />

gemeinsam in die Sauna. Rund 5,6 Millionen<br />

Einwohner sind es gerade und um die 3,3 Millionen<br />

Saunen gibt es. Anlässe sind Wochenund<br />

Feiertage jedweder Tageszeit. Es gibt für<br />

den Finnen keinen Grund, nicht zu saunieren,<br />

ob in privaten Gefilden oder als Party,<br />

ob öffentlich oder in kleiner Runde, wie beispielsweise<br />

ein Business-Meeting. Das kann im<br />

Wechsel von Dampf und Eiswasser durchaus<br />

problemlos fünf Stunden gehen, muss man<br />

eben können. Zusätzlich erschwerend gestaltet<br />

sich in der physischen Kondition das alkoholische<br />

Trinken in der Sauna. Für das deutsche<br />

Regelwerk des Saunierens unwegdenkbar ist<br />

die Empfehlung, dort auf Alkohol zu verzichten.<br />

In Finnland ist das hingegen eher so eine<br />

Sache wie zweimal die Woche staubsaugen:<br />

Wäre vermutlich gut, macht bloß niemand.<br />

Jedenfalls hat die Bubenbande der finnischen<br />

Spirituosen-Marke Kyrö aus Isokyrö, bestehend<br />

aus Miika Lipiäinen, Mikko Koskinen,<br />

Kalle Valkonen, Miko Heinilä und Jouni<br />

Ritola herzlich anschaulich gezeigt, wie das<br />

funktioniert. In einer klassischen finnischen<br />

Sauna, nackig und bloß mit Birkenreisig bekleidet,<br />

sitzen sie dort und überlegen sich, dass<br />

es – trotz der Unmengen an Roggenbestand im<br />

Land – keinen Roggenwhisky gibt. Oder besser<br />

gesagt gab. Denn 2012 entschied sich die Truppe<br />

zum Whiskymachen, und wie bei so vielen<br />

Schnapsmachern begann es in der elterlichen<br />

Garage des heutigen Head Distillers Valkonen.<br />

Es wurde gebrannt, der Moonshine zum<br />

Tasting bei der London Whisky Show eingeschleust,<br />

Feedback verarbeitet und besser gebrannt.<br />

Als der Whisky dann endlich im Fass<br />

war, ging’s ran an den Gin, in der Zwischenzeit<br />

gab es noch eine Pandemie, daher einen<br />

Haufen »Hand Desi«, etliche Fassreifungen für<br />

den Whisky und ein Kyröbier. Sauna macht ja<br />

bekanntlich agil.<br />

Doch auch vor und neben Kyrö gibt es andere<br />

Spirituosen in Finnland – für die Sauna ist das<br />

traditionellerweise Jaloviina, das befindet sich<br />

im Existenzmodus irgendwo auf der Linie zwischen<br />

klarer Getreidespirituose und Cognac.<br />

Klingt komisch, ist es auch und findet in dieser<br />

Form weltweit keinen Vergleich. Den Weinbrandverschnitt<br />

gibt es in den Qualitäten von<br />

0 bis 3, wobei auf dem Weg nach oben der Anteil<br />

des Cognacs steigt. Im Zweiten Weltkrieg<br />

hatte man die Kategorie 0 eingeführt – man<br />

kann sich ausrechnen, was das für den Cognacanteil<br />

bedeutet. Entstanden ist es seinerseits<br />

im Jahr 1932 und somit direkt nach dem finnischen<br />

Alkoholverbot. Sympathischerweise<br />

wollte das Getränk – wenn auch in Bernsteinfarbe<br />

und obligatorischem Holzkorken ähnlich<br />

– dem Cognac nie hinterherrennen; ganz im<br />

Gegenteil, das maßgebliche Klientel des Jaloviina<br />

sind Rockbands, Jäger und Studis. Da<br />

gibt es beispielsweise den Javoliina Hanki, den<br />

man als Shot trinkt und der mit Pfefferminze<br />

und Fichte versehen ist. Quasi die flüssige<br />

Form der Sauna.<br />

Auf einen Breakfast Club<br />

in der Bar Mate<br />

Diese bricht – nach erhöhter Einnahme – auch<br />

das Eis des letzten schweigenden Finnen.<br />

Denn es ist mehr als ein Klischee: Die Finnen<br />

schweigen einfach lieber als dass sie sprechen.<br />

Oder es fehlt ihnen, angesichts ihrer 15 Deklinationsfälle,<br />

vor dem dritten Drink einfach der<br />

Mut dazu. Das ist natürlich Quatsch (Finnisch:<br />

hölynpöly.) Allein an der finnischen Marke<br />

Kyrö lässt sich die Wortgewandtheit des skandinavischen<br />

Baltikums – oder umgekehrt – ablesen:<br />

»Nimm deine Gurke aus meinem Gin«<br />

titeln deutschlandweit Plakate und die Message<br />

ist deutlich. Es geht um das Pure, Raue,<br />

Reine. Also eigentlich nicht um das Gemixte<br />

– wie etwa dem in Finnland erfundenen Molo-<br />

71


BACK TO BASICS<br />

DIE SECHS WICHTIGSTEN DRINK-TYPEN <strong>DER</strong> WELT<br />

TEIL 1: PUNCH<br />

FLOWING<br />

BOWLS!<br />

WILLKOMMEN ZURÜCK! IN DIESEM<br />

JAHR WOLLEN WIR UNS SECHS<br />

DRINK- GATTUNGEN WIDMEN, DIE<br />

FÜR UNSERE PROFESSION AK-<br />

TUELL ALS BESON<strong>DER</strong>S WICHTIG<br />

ERACHTET WERDEN. DEN ANFANG<br />

SOLL DABEI EINE KATEGORIE MA-<br />

CHEN, DIE AUF DEN ERSTEN BLICK<br />

VIELLEICHT ÜBERHAUPT NICHT<br />

MO<strong>DER</strong>N ANMUTET, AN <strong>DER</strong> AUF-<br />

GRUND IHRES STILS ABER DEN-<br />

NOCH KEIN WEG VORBEIFÜHRT.<br />

Text Gabriel Daun<br />

74


Illustration: Editienne


MIXO ON THE ROAD<br />

DUNKELBLAU<br />

IN ROT<br />

Am Ende des Tages ist das<br />

»Camparino« in Mailand auch<br />

nur eine Bar. Natürlich stimmt<br />

das nicht. Das Camparino<br />

ist eine ganz besondere Bar,<br />

vielleicht die italienische<br />

Bar überhaupt. Und ganz<br />

besonders am Ende des Tages,<br />

wenn der Abend kommt.<br />

Eine Liebeserklärung.<br />

78


Text & Fotos Konstantin Arnold<br />

Es ist immer schwierig, wenn man sich eine<br />

Zeit nicht gesehen hat und dann erzählen<br />

muss, wie etwas war. Oft hängt die Seele noch<br />

da, wo die Geschichte nicht spielt. Anders ist<br />

es, wenn man mit diesem Menschen schon an<br />

diesen Orten gewesen ist, dann hat die Seele<br />

in ihm ein Zuhause. Lissabon, Antibes, Zürich<br />

und nun auch noch Mailand. Man fragt sich<br />

im Zug natürlich, ob es sinnvoll ist, nur für ein<br />

paar Negronis und ein Treffen nach Mailand<br />

zu fahren, aber wenn man die Seen sieht und<br />

die ersten Inseln, auf denen wir gern unsere<br />

Sommer verbrachten, denkt man das nicht<br />

mehr. Seit Menschen reisen, sind sie von dieser<br />

Region begeistert. Altgediente römische Legionäre<br />

verlebten hier ihren Lebensabend. Flaubert<br />

hielt die Inseln für den sinnlichsten Ort<br />

der Welt, sogar der Orient Express hielt damals<br />

in Stresa. Hier schafften Künstler, unter Palmen<br />

und voller Pasta, endlich einmal nichts zu<br />

schaffen. Remarque hatte irgendwo ein Haus,<br />

das mit allen Fenstern zum See sah. Die Dörfer<br />

sind schön, die Gipfel weiß und die Sehnsüchte<br />

der Menschen spiegeln sich in den Wellen<br />

wider, die manchmal blau und meistens grün<br />

sind. Man sagt, die Toten leben hier noch in<br />

den Wolken weiter und befruchten als Regen<br />

die Frauen, und Stendhal schrieb, wer zufällig<br />

Herz und Hemd besitzt, verkaufe es, um am<br />

Lago Maggiore zu leben. Am Ende des Sees<br />

kam der Zug plötzlich zum Stehen.<br />

Man behielt uns für ein paar Stunden im Zug,<br />

bis man sagte, dass es nicht weitergehe. Wegen<br />

eines Unwetters wäre wohl ein Baum auf die<br />

Gleise gefallen. Hunderte Menschen standen<br />

am Bahnhof und wussten nicht weiter. Die Gesichter<br />

verzweifelt. Die Menschen mussten ja<br />

irgendwo hin. Ich nur Negronis trinken. Umso<br />

länger das hier dauert, desto besser werden die.<br />

Ich setzte mich neben einen alten Mann mit<br />

Zigarre, Stil und Grandezza, der nicht sonderlich<br />

gestresst aussah, sondern als würde er sich<br />

auch lieber mit Problemen rumschlagen, die es<br />

nicht gibt. Er hatte jenes Gefühl, für das ich extra<br />

bis Mailand musste, irgendwie schon hier.<br />

Eine Art natürliche Lebensstilverlängerung<br />

ging von ihm aus. Manchmal sagte der Mann irgendwas<br />

und fluchte, wenn denn ein Taxi kam<br />

und sich manche wie wilde Tiere verhielten.<br />

Ich sagte Si, Si. Er bot mir einen Zigarillo an,<br />

und so saßen wir da eine Weile, schweigend, in<br />

gleichfarbigen Anzügen mit Hut und Billett in<br />

der Brusttasche, zwischen all den schreienden<br />

Leuten. Rauchen ist tödlich, ich weiß, aber<br />

ohne das Rauchen wären wir an diesem Tag<br />

nicht mehr nach Mailand gekommen. Denn<br />

nach der Zigarre sagte er, kommen Sie, fahren<br />

Sie mit mir. Ich fragte, wie? Er sagte, das ist<br />

schon okay, sein Chauffeur wäre jeden Augenblick<br />

da. Er hätte nur darauf warten müssen,<br />

bis der von Mailand hier sei.<br />

Nur noch raus aus der Tür,<br />

am Leonardo vorbei<br />

Wir fuhren am frühen Abend in die Stadt und<br />

die Stadt war zerstört. Überall lagen Bäume<br />

rum auf Autos und Gleisen. Ich nahm mir<br />

ein Zimmer im Mandarin hinter der Scala,<br />

auch wenn das ein raumschiffmäßiges Hotel<br />

ist, aber keins ist so nahe. Man muss nur noch<br />

aus der Tür, rechts an der Scala und links am<br />

Leonardo3 vorbei und die Galleria bis zum<br />

Ende runter. Dann ist man da, das Camparino,<br />

gleich rechts, am besten Ort auf der Welt,<br />

um nach so einem Tag zu sitzen und in einer<br />

italienischen Zeitung zu blättern, deren Nachrichten<br />

man nicht versteht. Dazu Campari. Bis<br />

heute steht das Zeug weltweit für das Lebensgefühl<br />

nach getaner Arbeit oder ausgefallenen<br />

Zügen. Die geheimen Kräuter, zu einem Bitter<br />

gemixt, sind jene Basiszutat für gute Drinks<br />

und ein gelungenes Leben. Trotz des hektischen<br />

Treibens regiert ein Gleichgewicht, das<br />

»Am<br />

Leonardo<br />

vorbei« ist<br />

in Mailand<br />

vieles ...<br />

nur eine Bar ausstrahlt, die seit 1915 gleichgeblieben<br />

ist. Gegründet von Gaspare Campari,<br />

getischlert von Eugenio Quarti, geschmiedet<br />

von Alessandro Mazzucotelli und gemalt<br />

von Angelo d’Andrea, hat sie nichts von<br />

ihrer Schönheit verloren, im Gegenteil, alle<br />

wirklich schönen Dinge werden schöner mit<br />

der Zeit. Ein Aperitif ist ja nicht nur ein Drink,<br />

sondern jener Moment, der ihn umgibt, und<br />

das Bewusstsein, dass am Ende sowieso alles<br />

gut wird und daher nie egal ist, was man zu<br />

den Problemen trinkt. Das ist Campari. Eine<br />

Leichtigkeit im Umgang mit den Dingen des<br />

Lebens, gegen die man sich zu oft wehrt.<br />

Nichts von seiner Schönheit verloren –<br />

das Camparino<br />

79

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!