Wurzel_23_12_low_ES
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WURZEL
DAS POSITIVE MONATSMAGAZIN FÜR DEN OBERAARGAU
Nr. 37 – 12/2023
Bauplan der
Seele
Christophe Saillen erklärt,
wie Holos mit Kerngeometrie
Menschen und Firmen
entwickeln kann.
MATHIAS
FLÜCKIGER
Der Biker ist
nach einer
skandalösen
Dopingsperre
zurück im
Wettkampf.
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2 WURZEL 12 / 2023
EDITORIAL / INHALT
40
Liebe Leserin,
lieber Leser
Grenzwerte zeigen uns Grenzen auf.
Was darunter ist, geht in Ordnung, was
darüber ist, ist zu viel. Zwar gibt es
Grenzwerte, die immer wieder überschritten
werden, vielleicht, weil wir sie
allzu ehrgeizig festgelegt haben. Vielleicht
aber auch, weil wir etwas gar
sorglos damit umgehen.
Keinen Grenzwert überschritten hat
Mathias Flückiger. Zwar hatte er eine
Substanz in seinem Körper, die da nicht
sein sollte, die aber in der festgestellten
Menge in jeden Körper gelangen kann,
wenn zum Beispiel ein konsumiertes Lebensmittel
damit kontaminiert war. Die
gefundene Menge war 13 Mal (!) kleiner
als der definierte Grenzwert, also als die
Menge, die erlaubt gewesen wäre. Der
Mountainbiker aus dem Oberaargau befand
sich 2022 in der Form seines Lebens.
Er galt als Topfavorit für die bevorstehenden
Rennen um die Europa- und
die Weltmeisterschaft. Doch er wurde
gesperrt und die Sperre wurde kommuniziert.
Öffentlich gemacht. Mathias
Flückiger wurde also nicht nur um die
Chance seines Lebens gebracht, sondern
auch an den Pranger gestellt. Im Gespräch
mit WURZEL sagt er, was sich damit
alles für ihn verändert hat.
Die Sperre gegen Mathias Flückiger
wurde längst aufgehoben. Er hat auch
schon wieder gewonnen. Unter anderem
das Weltcuprennen in Andorra. Es geht
also wieder aufwärts.
Wir wünschen Ihnen, liebe Leserin,
lieber Leser, besinnliche Weihnachten
und einen guten Start ins 2024.
26 18
04 CHRISTOPHE SAILLEN
Der Unternehmer erklärt,
wie Holos mit Kerngeometrie
Menschen und Firmen
entwickeln kann.
14 ENERGIE-BLOG
Fachkräftemangel, Ausbildung
und zahlbare Solarenergie:
Das treibt die
Energiebranche 2024 um.
16 GASTRONOMIE
Was die Gastronomie
über die Festtage bietet
und ein Wettbewerb zum
Gewinnen.
18 HANS-ULRICH HERZIG
Wie ein Verdingbub als
Spitzenkoch die Welt eroberte.
24 AUTO + MOTO NEWS
Angebote und Neuheiten
aus der Region rund um
Autos und Motorräder.
26 DER WETTERSCHMÖCKER
«Chnebu Hans» Tanner aus
Eriswil sagte das Wetter
erstaunlich genau voraus.
32 GEMEINSAM FEIERN
In Langenthal gibt es ein
Weihnachtsfest für alle, die
sonst allein wären.
34 PANSCHEN UND DOPEN
Bauern und Sportler haben
mehr gemeinsam, als man
denkt. Eine Satire.
36 HANDWERK + BAU PROFIS
Unsere Spezialisten für
Handwerk und Bau aus der
Region für die Region.
38 WUSSTEN SIE SCHON
Von Windeln, Riesenrädern
und den Vorteilen eines gewährten
Gefallens.
40 MATHIAS FLÜCKIGER
Nach einer skandalösen
Doping-Sperre fährt er wieder
erfolgreich Mountainbike-Rennen.
47 IN EIGENER SACHE /
IMPRESSUM
Die Seite für unsere
Leserinnen und Leser.
Viel Spass beim Lesen
Ihr Bruno Wüthrich
WURZEL 12 / 2023 3
CHRISTOPHE SAILLEN – HOLOS
Christophe Saillen
schöpft Kraft aus
fernöstlicher
Kampfkunst.
4 WURZEL 12 / 2023
Mit Kern-
geometrie
zum Bauplan
der Seele
Mit Kerngeometrie finden Menschen und
Firmen heraus, wer sie sind und wo ihre
Kraft liegt. Erfinder Christophe (Stöfu) Saillen
erklärt, wie das geht.
TEXT: BRUNO WÜTHRICH; FOTOS: MARCEL BIERI
WURZEL 12 / 2023 5
CHRISTOPHE SAILLEN – HOLOS
Ein winziger Tisch, drum herum
drei Stühle, ein paar
Gestelle und ein modernes
Zeichenpult, das ist der Firmensitz
von Holos in Roggwil.
Christophe Saillen ist
einfach eingerichtet. Einzig
die Bilder an der Wand mit den geometrischen
Figuren geben einen Hinweis darauf,
um was es hier geht. Der Kaufmann
mit Berufsmatura, Bewegungskünstler,
Kung-Fu- und Tai-Ji Quan-Lehrer hat sich
in der Linde eingerichtet, um Menschen
und Firmen weiterzuentwickeln. Kerngeometrie
nennt er seine selbst entwickelte
Methode. Damit führt er seine Kundinnen
und Kunden zur Selbsterkenntnis
und zeigt ihnen, wo ihre Kraft liegt.
WURZEL: Sie sagen, die Kampfkunst
habe ihr ganzes Leben verändert. Wie
kommen Sie zu dieser Aussage?
Christophe Saillen: Meinen ersten Kontakt
zur Kampfkunst hatte ich in der 9.
Klasse an der REOSCH (ressourcenorientierte
Schule Bern/die Red.). Das war bereits
Kung Fu. Mein Lehrer war damals
schon Lianzhen Jing, der auch später immer
mein Lehrer war. Aber damals war
ich noch nicht bereit.
Woran lag das?
Mein Leidensdruck war damals noch nicht
gross genug, um daraus auszusteigen.
Was sprechen Sie da an?
Bis in mein viertes Schuljahr war ich gefühlt
der König der Klasse. Dann wurde
ich gestürzt und die ganze Klasse wandte
sich gegen mich. Verstehen Sie mich rich-
«Nach meiner abgestürzten
Phase mit
Passivität und Kiffen
gab es für mich
ein paar Jahre lang
nur noch Training.
Bis ich dann meine
Frau kennenlernte.»
tig, ich war daran nicht unbeteiligt. Aber
trotzdem fiel ich deswegen in eine tiefe
Identitätskrise, aus der ich lange nicht
herausfand.
Wie fanden Sie heraus?
Durch die Kampfkunst fand ich wieder
zurück auf den Weg zu meiner Identität.
Können Sie diesen Weg etwas beschreiben?
Nach meiner abgestürzten Phase mit Passivität
und Kiffen gab es für mich ein paar
Jahre lang nur noch Training. Bis ich
dann meine Frau Maira kennenlernte.
Beim Training?
Nein, das war auf dem Jakobsweg, auf
welchem ich ebenfalls zu mir selber zurückfinden
wollte. Ich war zu einem Zeitpunkt
allein unterwegs, zu dem nicht
viele andere Menschen unterwegs waren.
Und ich sah Spuren, denen ich wie verbissen
folgte. Bis ich die drei Frauen, zu
denen die Spuren gehörten, auf der Höhe
von Fribourg überholte. Von da weg waren
die drei hinter mir her.
Mit Kern -
geometrie geht
Christophe Saillen
Problemen auf den
Grund.
6 WURZEL 12 / 2023
Was war Ihr Ziel?
Aus heutiger Sicht war das Ziel meine
Frau. Was ich damals aber noch nicht
wusste, denn ich kannte sie ja noch nicht.
Eigentlich war aber der Weg das Ziel. Dieser
Weg hätte mich, wenn ich ihn zu Ende
gegangen wäre, nach Santiago del Compostella
geführt. Aber ich wollte nicht bis
dorthin, denn für mich war der Weg das
Ziel. Das ist auch heute noch so.
Erzählen Sie die Geschichte zu Ende.
Ich bin also einen ganzen Tag diesen drei
Frauen hinterhergejagt, um dann wie ein
Höseler, aber äusserlich ganz cool, an ihnen
vorbeizulaufen. Beinahe wäre ich
also an meinem Glück vorbeigelaufen
und hätte Maira nie kennengelernt. Ich
hatte einen Stock dabei, mit dem ich jonglierte,
und eine dieser drei Frauen
schloss sich mir an. Wir waren gemeinsam
bis Genf unterwegs, wobei wir uns
recht gut kennenlernten. Zwei der drei
Frauen machten den ganzen Jakobsweg
in der Schweiz, sie starteten von Konstanz
und marschierten bis nach Genf, wo sich
dann unsere Wege trennten. Es war der
letzte Blick, der alles veränderte.
Wie wichtig ist die Kampfkunst immer
noch in Ihrem Leben?
Sie ist immer noch Quelle der Freude und
Kraft für mich. Ich trainiere immer noch
ca. acht Stunden pro Woche. Als unsere
Zwillinge zur Welt kamen, konnte ich eine
Zeitlang nicht mehr ins Dojo. Aber ich
trainierte zuhause.
Zwillinge verändern natürlich alles.
So ist es. Zumal meine Frau eine postnatale
Depression hatte und beide Kinder
sogenannte Schreikinder waren. Damals
noch stärker als heute sprach man aber
nicht darüber. Wir waren deshalb allein
mit dieser Situation und mussten uns selber
helfen. Glücklicherweise war ich in
der Lage, meine Frau zu unterstützen,
was auch dank unserer Eltern möglich
war. Letztendlich lernten wir viel aus dieser
Situation.
Was haben sie gelernt?
Ich glaube, wenn wir nur ein Kind gehabt
hätten, wäre ich wohl gegangen. Dann
hätten wir unser Kind als getrennte Eltern
betreut. Aber mit Zwillingen waren
wir gezwungen, diese Krise gemeinsam
zu bewältigen. Dass wir da zusammengehalten
haben, hat bei uns später zu
einer Nähe und einer Kraft geführt, die
immer weiter angewachsen ist und bis
heute besteht. Das zeigt einfach, wie
Die Geburt seiner Zwillinge veränderte alles.
ZUR PERSON
Christophe Saillen
Christophe (Stöfu) Saillen (36) gelernter
Kaufmann mit Berufsmatura
hat ein bewegtes Berufsleben
hinter sich, das er jetzt nützt und
in seine Beratungsfirma Holos
einbringt.
Holos bringt Menschen mit der
Kerngeometrie-Methode zur
Selbsterkenntnis und in die Wirksamkeit
ihres Potentials. Die Firma
stellt ihre Dienste sowohl Privatpersonen
als auch Firmen zur
Verfügung.
Stöfu Saillen ist verbunden im
Herzen, lebt mit seiner Partnerin
Maira Trachsel in Roggwil. Das
Paar ist Eltern von drei Kindern,
den Zwillingen Rita und Wakanda
(11) und Andreas (5).
www.holos.one
wichtig es ist, auch Krisen gemeinsam zu
bewältigen. Für mich hat diese Phase
vieles verändert.
Was hat sich verändert?
Ich war dank meinen Eltern, die uns finanziell
unterstützten, in der Lage, nicht
zu arbeiten und zuhause zu bleiben, um
meiner Frau beizustehen. Diese Phase war
für mich sehr wichtig, denn ich merkte,
dass ich zwar in der Krise war, aber Lösungen
finden konnte. Ich konnte meiner
Frau helfen, gleichzeitig eine enge Bindung
zu unsern Kindern aufbauen, befasste
mich mit der Naturheilkunde und
begann, geometrische Formen zu zeichnen.
Mehr und mehr merkte ich, dass ich
mein Leben selber gestalten konnte. Das
hat mich sehr weitergebracht. Aber das
war nicht das Einzige.
Was war denn noch?
Ich stieg wieder in die Berufswelt ein als
Hot Dog Verkäufer bei Ikea.
Moment mal. Haben Sie nicht Kaufmann
gelernt?
Doch das habe ich. Sogar mit Berufsmatura.
Aber ich brauchte damals schnell
einen Job und ich habe ja auch vorher
nicht auf meinem erlernten Beruf gearbeitet.
Das hatte auch damit zu tun, dass
ich bisher gar nicht wusste, was ich eigentlich
wollte.
Was war denn bei Ikea?
Die Arbeit war sehr monoton. Aber in einer
Pause und bei meinen Kung-Fu-Übungen
auf dem Dach hatte ich so etwas wie
eine Vision. Es war eine, denn eine andere
Erklärung oder Beschreibung habe ich
nicht. Ich sah in Kreisen vor mir meine
Familie, die Partnerschaft, meine Kinder,
die Freunde und meine Berufung. Ich sah
und fühlte, dass es möglich ist, all diese
Felder gleichberechtigt zu bestellen. Mir
wurde klar, dass ganzheitliche Entwicklung
möglich ist. Nach einer Viertelstunde
musste ich wieder an die Arbeit, aber dieses
Bild liess mich fortan nicht mehr los.
Was machte das mit Ihnen?
Knapp einen Monat später kündigte ich
meine Stelle, weil ich naiverweise den
Eindruck hatte, ich könne nun meine Vision
gleich in die Tat umsetzen.
Sie wollen mir aber nicht erklären, dies
sei gelungen?
WURZEL 12 / 2023 7
CHRISTOPHE SAILLEN – HOLOS
Ich hing stundenlang in meinem Büro
herum und wusste nicht, was ich machen
soll. Im Grunde wartete ich auf die Erleuchtung,
die natürlich nicht kam.
Schliesslich führte der Weg dann zum
RAV, wo ich einen Workshop für den Eintritt
in die Selbständigkeit besuchte. Im
Nachhinein kann ich sagen, dass auch
diese Phase für meine Entwicklung sehr
wichtig war, auch wenn sich herausstellte,
dass es für meine Selbständigkeit
noch viel zu früh war. Deswegen bewarb
ich mich dann beim Coop Tell als Magaziner.
So konnten Sie wenigstens Ihre Familie
ernähren.
Genau, ich verdiente nun wieder Geld.
Aber meine Vision, mein Projekt, liess
mich nicht mehr los. Ich fand einen ersten
Namen für meine Firma, gab auch vereinzelt
Kurse und führte erste Beratungsgespräche.
Aber ich hatte kein ganzheitliches
Angebot. Mir fehlte noch der Plan.
Schon immer war mir klar, dass mir Menschen
wichtig sind, und ich merkte, dass
ich meine Vision nur umsetzen kann, indem
ich andere Menschen fördere. Das
war es, was mich fortan antrieb. Ich dachte
viel über Identität und damit auch über
den Oberaargau als Region nach.
Was ist bei Ihren Gedanken über den
Oberaargau herausgekommen?
Die Identität des Oberaargaus ist nicht
vorhanden. Man fühlt sie nicht. Und irgendwie
wird sie auch nicht gesucht. Man
ist wie in einer Warteschlaufe.
Wie kommen Sie zu diesem Schluss?
Ich habe die Identität gesucht und sie
nicht gefunden. Ich machte seinerzeit bei
Coop bei einem Projekt mit, bei dem es
vordergründig um Kommunikation, hintergründig
aber um Identität, auch um
die des Oberaargaus ging. Da habe ich
mich intensiv damit befasst. Es ist doch
so, dass der Oberaargau gleich ans Emmental
angrenzt. Landschaftlich bestehen
zwischen dem Oberaargau und dem
Emmental keine grossen Unterschiede.
Die Hügel im Emmental sind etwas höher.
Damit hat es sich. Landschaftlich gesehen.
Aber bezüglich Identität bestehen
gewaltige Unterschiede. Im Emmental
merkt man sie gut, die Identität der Emmentaler.
Ich weiss das, weil ich knapp
ein Jahr da gelebt habe. Hier im Oberaargau
ist keine spürbar. Mit der Verwaltungsreform
hat man die Huttwiler, die
Eriswiler und die Wyssacher, die zuvor
eine starke Emmentaler-Identität hatten,
«Identitätskrisen
haben immer mit
einer Kern-Verletzung
zu tun.»
dieser beraubt. Diese Ortschaften sind
seither praktisch entwurzelt. Huttwil war
seinerzeit noch das Blumenstädtchen im
Emmental. Und heute?
Was denken Sie, ist der Grund dafür,
dass man im Oberaargau keine Identität
hat?
Die genaue Antwort könnte ich Ihnen
nach einer Analyse liefern, die ich im Rahmen
der Kerngeometrie erstellen würde.
Aber Sie haben doch sicher eine Vermutung?
Aus meiner eigenen Erfahrung weiss ich,
dass Identitätskrisen immer mit einer
Kern-Verletzung zu tun haben. Wenn der
Oberaargau ein Mensch wäre, würde ich
ihn jetzt fragen: Wer bist du? Was möchtest
du? Wo liegt dein Potential? Weil
diese Fragen automatisch die Verletzung
sichtbar machen.
Jetzt ist aber der Oberaargau kein
Mensch.
Das hat mir nur als Beispiel gedient. Aber
auch der Oberaargau muss als Region zumindest
eine Kernverletzung haben. Weshalb
hat diese Region denn diesen Namen?
Ausserhalb dieser Region wissen
doch neun von zehn Schweizerinnen und
Schweizern nicht, wo der Oberaargau
liegt und dass wir zum Kanton Bern gehören.
Der Grund hierfür liegt in der Vergangenheit
und offenbar findet sich niemand
bereit, diese mal auf die Identität
hin zu analysieren und aufzuarbeiten.
Haben Sie einen Ausweg aus dieser
oberaargauischen Identitätskrise?
8 WURZEL 12 / 2023
Nach einer genauen Analyse hätte ich
dies sehr wohl. Diese ist derzeit noch
nicht erstellt. Aber das Thema interessiert
mich sehr.
Sie erwähnten zuvor den Begriff «Kerngeometrie».
Das habe ich noch nie gehört.
Was haben Sie damit gemeint?
Das hat mit meiner Firma «Holos» zu tun.
Vereinfacht gesagt ist es eine Möglichkeit,
die angelegte Kraft im Menschen oder
auch in Firmen auf einer tieferen Ebene
zu erfassen und zu verstehen. Die Kerngeometrie
ist Instrument von Holos für
die ganzheitliche Potentialarbeit.
Könnten Sie dies etwas ausführen?
Kein Mensch ist gleich wie der andere.
Dies erkennen wir ja schon rein äusserlich.
Die Kerngeometrie interessiert
Kerngeometrie: Der Bauplan der Seele.
«Kerngeometrie ist eine
Möglichkeit, die angelegte
Kraft im Menschen oder
einer Firma auf einer tieferen
Ebene zu verstehen.»
WURZEL 12 / 2023 9
CHRISTOPHE SAILLEN – HOLOS
sich für die geistige und seelische Struktur
des Menschen.
Aber weshalb Geometrie?
Das Wort setzt sich zusammen aus den
Teilen «Geo», was aus dem Griechischen
Erde sowie «Metrie», gleichbedeutend
mit Erd- oder Landmessung bedeutet.
Hinter jedem Leben ist eine geometrische
Grundform enthalten, wie zum Beispiel
in einer Blüte oder in der Hand eines
Menschen. Mit der Kerngeometrie macht
Holos den Bauplan der Seele sichtbar.
Ein grosses Wort.
Das stimmt. Aber die Kerngeometrie ist
ein mächtiges Instrument und hat eine
tiefe psychologische Wirkung.
Wie das?
Falsche Frage. Viel wichtiger ist, was dabei
heraus kommt.
Was kommt dabei heraus?
Es kommt heraus, dass Menschen und
Firmen aus ihren Potenzialen heraus beginnen,
wirksam zu sein.
Mit seiner Firma
«Holos» bietet
Christophe Saillen
Beratungen an.
Will heissen?
Wer seine Identität lebt und seine Bedürfnisse
kennt, handelt echt. Das heisst, ein
Taugenichts handelt als Taugenichts, weil
dies seine Aufgabe ist. Es geht dabei
schliesslich um Ganzheitlichkeit. Und darin
hat jeder seinen Platz.
Sie sagen Ganzheitlichkeit…
…das bedeutet, dass man die Diversität
von uns allen berücksichtigt. Es geht also
nicht darum, den Taugenichts und den
Macher gegeneinander auszuspielen,
sondern dafür zu sorgen, dass jeder an
seinem Platz sein Potenzial einbringt.
Weil nämlich auch ein sogenannter Taugenichts
einen gleichwertigen Wert für
die Gesellschaft hat.
Sie hatten auch Phasen, in denen Sie
ein Taugenichts waren.
Ja, das habe ich erlebt. Und ich weiss, wie
es sich anfühlt, ein Taugenichts zu sein.
Ich weiss aber auch, wie es ist, dies leben
zu dürfen, ohne dass dies von irgendwem
negativ bewertet wird. Maira stand sogar
in dieser Situation hinter mir, wie sie immer
hinter mir steht. Das ist das grösste
Geschenk, das eine Person einer anderen
machen kann.
«Ich weiss, wie es
ist, ein Taugenichts
zu sein. Ich weiss
aber auch, wie es ist,
dies leben zu dürfen,
ohne dass es von
irgendwem negativ
bewertet wird.»
Sie sprechen viel von Potenzial.
In dieser krisenbehafteten Zeit geht es
darum, auch mal von unseren Möglichkeiten,
also von unserem Potenzial und
der Freude zu sprechen. Bei der Potenzialarbeit
geht es darum, herauszufinden,
wer man ist und was man möchte. Was ist
unser Ding? Was ist unser Geschenk für
die Welt? Dies sind die Fragestellungen
hinter der Potenzialarbeit. Oder anders
ausgedrückt: Was kannst du für dich tun
und was tust du gleichzeitig für die Welt?
Also nicht nur Egoismus?
Erst wenn wir wissen, was unsere tatsächlichen
Bedürfnisse sind, können wir
10 WURZEL 12 / 2023
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Vivaldi: Cum deredit
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WURZEL 12 / 2023 11
CHRISTOPHE SAILLEN – HOLOS
«Hol dir deine
Liebsten ins Boot,
damit du krisenfest
wirst.»
«Wir arbeiten
mit Firmen, die ihr
Personal in Richtung
ganzheitlicher,
potenzialorientierter
Unternehmenskultur
entwickeln
wollen.»
unseren grösstmöglichen Beitrag für die
Allgemeinheit und für die Welt leisten.
Wir dürfen uns also durchaus in einer
zentralen Rolle oder als Hauptdarsteller
sehen, allerdings natürlich nicht auf eine
arrogante oder abgehobene Weise.
Zu was führt dies?
Dies führt zu einer Orientierung des Umfeldes,
das dann weiss, woran es ist. Das
ist die Grundlage von guten Beziehungen.
Wenn wir unser Potenzial kennen, was
machen wir damit?
Es ist nicht kompliziert. Dann geht es darum,
sein Herz in die Hand zu nehmen
und es zu tun. So, wie ich es dank Maira
tun durfte.
Aber so haben Sie es doch gemacht und
sind auf dem RAV gelandet.
Da haben Sie recht. Aber genau darum
weiss ich, wovon ich spreche. Deshalb sage
ich: Hol deine Liebsten mit ins Boot,
damit du krisenfest bist. Denn Herausforderungen
gehören dazu, weil sich Kernverletzungen
und Kernpotenzial gerne
die Hand geben. Man lernt dabei, dass
Krisen sich immer mehr zu Nebeneffekten
entwickeln.
Sie erwähnten vorher mehrmals Ihre
Firma «Holos». Was gibt es dazu zu sagen?
Holos ist die logische Antwort auf meine
Würstchen-Vision bei Ikea. Auch hier, ohne
Maira würde es diese Firma nicht geben.
Sie hat viel zur Entwicklung von
Holos beigetragen. Jetzt haben wir den
Plan und auch die Kompetenz, wie Potenziale
in die Wirkung gebracht werden.
Auf unternehmerischer Ebene arbeiten
wir mit Firmen, die ihr Personal in Richtung
ganzheitlicher, potenzialorientierter
Unternehmenskultur entwickeln, was zu
einer holistischen Organisation führt.
Damit haben wir jetzt eine Idee, wie
Sie auf diesen Firmennamen gekommen
sind.
Holos ist der griechische Name für «Ganz».
Demzufolge heisst holistisch «ganzheitlich».
Und auch hier sind wir wieder bei
meiner Eingebung, derzufolge ganzheitliche
Entwicklung möglich ist.
Ganzheitlich fängt bei Ihnen, wenn ich
Sie richtig verstanden habe, in der Familie
an.
Völlig richtig, denn bei Maira und mir ist
der Spruch, hinter einem starken Mensch
steckt ein anderer starker Mensch, eben
beidseitig zu verstehen.
Sie meinen damit, dass auch Sie Ihrer
Frau gelegentlich den Rücken stärken.
Es ist die logische Folge von Holos, dass
auch sie ihr Potenzial auslebt. Sprich per
Anfang dieses Jahres in der Gründung
Ihres eigenen Keramikstudios an der gleichen
Adresse wie Holos. Sie befindet sich
aber mit Ihrer Firma erst im Aufbau.
12 WURZEL 12 / 2023
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1. Worauf legt die Bernerland Bank
den Fokus?
G Schöne Schaufenster
B Komplizierte Abläufe
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2. Auf welchen Social-Media-Kanälen
ist die Bernerland Bank aktiv?
Ü Instagram, Facebook, LinkedIn
A TikTok, Snapchat
E Auf keinen
3. Die Bernerland Bank ist eine ...
L Grossbank
R Regionalbank
N Neobank
4. Wie viel Zins wirft das Sparkonto 1
der Bernerland Bank per 1. Juli 2023
ab?
L 1,1 %
E 1,25 %
R 1 %
5. Welcher Werbeträger ist seit dem
1. Mai 2023 für die Bernerland Bank
im Einsatz?
I Bus
S Zug
T Heissluftballon
Die Bernerland Bank geht «
6. Wie lauten die Namen unserer
Bankpakete für Privatkundinnen und
Privatkunden?
S Jung, Solo, Zäme
M Classic, Comfort, Premium
C Bronze, Silber, Gold
7. An welchem Standort befindet sich
der Hauptsitz der Bernerland Bank?
T Langnau i.E.
I Sumiswald
H Huttwil
1 2 3 4 5 6 7
». Kommen Sie mit?
So nehmen Sie teil
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WURZEL 12 / 2023 13
DER CLEVERGIE ENERGIE-BLOG: RÜCKBLICK UND AUSBLICK
Was bewegt die
Energiebranche
im Moment?
Stromknappheit, Teuerung und Fachkräftemangel:
Das war das 2023. Die
Solarlehre, effiziente Planung und
gesetzliche Anpassungen: So wird 2024.
TEXT: LUKAS MEISTER; FOTOS: JOËL JAKOB & ZVG
Die Medien waren in den vergangenen
2 Jahren mit Energiethemen
voll und kaum ein Thema
war derart präsent im täglichen
Newsfeed. Die Nachfrage nach Energieprojekten
dementsprechend hoch. Wo
man hinschaut, stehen Baugerüste für die
Montage von PV-Anlagen und der Anzeiger
ist voller Baugesuche für Wärmepumpen.
War dies eine einmalige Sache oder
wie geht es weiter?
Zum ersten Mal in der Geschichte der
Photovoltaik wurden Komponenten im
vergangenen Jahr teurer; bis anhin sind
sie eigentlich immer nur günstiger geworden.
Die Gründe dafür liegen auf der
Hand: Weltweit ist die Nachfrage nach
erneuerbarer Energie geradezu explodiert.
Die Hersteller von Komponenten
hatten monatliche Bestelleingänge zu verzeichnen,
die praktisch die Kapazität eines
ganzen Jahres ausfüllten. Wechselrichter,
Batteriespeicher und Wärmepumpen waren
über Monate kaum lieferbar, die Lieferfristen
teilweise länger als ein Jahr.
Auf der Gegenseite hat sich das Thema
Stromknappheit etwas beruhigt, die
schlimmsten Befürchtungen sind nicht
eingetreten. Aber ist denn nun wieder alles
beim Alten? Wir wagen einen Ausblick
ins 2024.
FACHKRÄFTEMANGEL:
WIRD DER MONTEUR BALD
TEURER ALS DER ARZT?
Die Liefersituationen für Materialien entspannen
sich auf dem Markt zunehmend.
Gerade im Energiesektor ist eine Beruhigung
spürbar. Auch die Preissituation
entspannt sich zunehmend. Und dennoch
geht die Realisierung von Energieprojekten
noch eher schleppend vorwärts.
Limitierende Faktoren sind die
qualifizierten Mitarbeiter, welche sich
die Hände schmutzig machen. Rohre
montieren, Gestelle anschrauben, Kabel
verlegen, Steue rungen in Betrieb nehmen.
Betrachtet man die sogenannte Sanierungsrate
der Haustechnik – also wie
lange es geht, bis Bauteile ersetzt werden
– so ist diese Sanierungsrate für die Ziele
der Energiepolitik noch viel zu niedrig.
Gute Handwerker werden zum Glück
wieder viel mehr geschätzt, und im warmen
Büro verdient man nicht mehr zwingend
per se den höheren Lohn. Gerade
im Bereich der Photovoltaikanlagen gilt
es zusätzlich zu beachten, dass im Moment
praktisch nur Neuinstallationen
getätigt werden. Service, Unterhalt und
Ersatz von Anlagen, die in die Jahre gekommen
sind, kommen erst noch auf die
Branche zu. Erste PV-Anlagen kommen
in ein Alter, in dem sich ein Ersatz beispielsweise
der Solarmodule lohnen
könnte. Für diese Arbeiten wird jedoch
eine hohe Qualifizierung von Fachkräften
nötig sein, doch woher nehmen und
nicht…
DIE LEHRE KOMMT!
…stehlen? Nein, ausbilden heisst die Devise.
Inhaltlich ein sehr spannender Beruf
mit viel Abwechslung und nichts für Stubenhocker,
bietet der «Solarinstallateur
EFZ» eine Perspektive in einem dynamischen
und zukunftsweisenden Geschäftsfeld.
Lernende Solarinstallateur:innen
können ab Herbst 2024 einen Beruf erlernen,
den es bisher gar nicht gab. Die
ganze Branche stellte sich in den vergangenen
Jahren aus Quereinsteigern zusammen.
Dass es nun eine Berufslehre
gibt, bei der man von Grund auf die Anforderungen
an eine Gebäudehülle, elektrische
Grundlagen sowie technisches
Knowhow erlernt, bildet einen Meilenstein
in der Generationenaufgabe Energiewende.
Im Kanton Bern werden mehrere
Firmen Lehrstellen in diesem Gebiet
anbieten, auch die Firma clevergie ag in
Wyssachen.
14 WURZEL 12 / 2023
Ab Herbst 2024
startet die neue
Berufslehre
«Solarinstallateur:in
EFZ».
Mit einer Drohne werden Bilder aufgenommen und mit geeigneter
Software zu einem 3D-Modell zusammengefügt. So können Gebäude
Zenti metergenau vermessen werden.
NEUE TRENDS UND TECHNIK
MIT SICHERHEIT SCHLAGKRÄFTIGER
Woher weiss man eigentlich, wie gross ein
Dach ist? Ob vier oder fünf Solar module
Platz finden ist manchmal eine Frage von
Zentimetern. Mussten früher unter Lebensgefahr
auf dem Dach Masse aufgenommen
werden, geschieht dies heute
mit Drohne. Mit einer herkömmlichen
Drohne können zwischen 30 und 100 Bilder
von einer Liegenschaft erstellt und mit
intelligenter Software ausgewertet werden.
Diese Grundlagen ermöglichen es,
eine möglichst hohe Planungssicherheit.
Die Vorfertigung auf einer guten Datenbasis
ermöglicht es, Arbeitsschritte in der
Werkstatt zu erledigen, die früher auf der
Baustelle gemacht wurden. So ist es in der
Zwischenzeit möglich, z. B. Aluprofile bereits
fertig zugeschnitten mitzunehmen,
ohne dass Frässpäne mühsam aus dem
Kundengarten zusammengesaugt werden
müssen. Die Vorarbeiten durch eine hohe
Vorfertigung spart Kapazitäten auf der
Montage und macht die Profis auf dem
Bau schlagkräftiger – und sicherer.
LEG:
EINE HALBE LIBERALISIERUNG DES
STROMMARKTS?
National- und Ständerat haben in der vergangenen
Amtsdauer ein Paket verabschiedet,
in welchem die Grundlage für
sogenannte LEG geschaffen wird. LEG
bedeutet «Lokale Elektrizitäts-Gemeinschaft».
Diese sieht vor, dass Strom innerhalb
einer Region ausgetauscht werden
kann. Voraussichtlich ab 2026 wird man
sich somit mit anderen Produzenten oder
auch Verbrauchern in einer definierten
Region zusammenschliessen und Strom
tauschen können. Hierzu wird man das
öffentliche Verteilnetz nutzen können, die
Energie jedoch nicht zwingend vom lokalen
Energieversorger abnehmen müssen.
Auch überschüssige Energie kann mit diesem
Modell an andere Verbraucher als
den lokalen Energieversorger verkauft
werden. Bleibt zu hoffen, dass diese LEG,
wenn sie schon gleich heissen wie die englischen
Beine, die Energiewende auch in
grossen Schritten vorwärts bringen und
die gesetzlichen Regulatorien nicht mit
Stolpersteinen gespickt werden.
WURZEL 12 / 2023 15
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verpasst und steuerte gleich drei Mal die offizielle Hymne bei, was
ihr den Titel «Königin der Street Parade» einbrachte.
DJ Tompsohn wie SebDell haben in Zusammenarbeit mit
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ARMADA veröffentlicht und achten auf qualitative Mixe und
Produktionen. Tompsohn ist zudem noch Event Manager und hat
mit seiner Firma MONARCH GmbH schon etliche grosse Bühnen
gebaut , wie Streetparade (Bürkliplatz, ALLINEED Andrea Oliva)
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WURZEL 12 / 2023 17
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Dienstag & Mittw
HANS-ULRICH HERZIG
Wie ein
Verdingbub
die Welt
erobert
Als Verdingbub im gotthelfschen Sinn
mag sich Hans-Ulrich Herzig (81)
nicht bezeichnen. Denn nach einer
schwierigen Jugend machte er sich
international als Chefkoch und Unternehmer
einen grossen Namen.
TEXT: KLAUS ZAUGG; FOTOS: MARCEL BIERI/ZVG
Wir treffen uns im geschichtsträchtigen
Landgasthof
zum Bären in
Sumiswald. Hier steht
ein runder Tisch, dessen
eiserner Rahmen aus der Pestzeit des 13.
Jahrhunderts stammt, die Jeremias Gotthelf
in einem Stück Weltliteratur (Die
schwarze Spinne) so eindringlich verewigt
hat. An diesem Tisch sollen sich die
letzten Männer von Sumiswald, etwa
zwei Dutzend, zum Totenmahl versammelt
haben.
Wir nehmen nicht an diesem sagenumwobenen
Tisch Platz. Es geht ja um eine
erfreuliche Geschichte. Hans-Ulrich Herzig
ist als Bürger von Speicher eigentlich
Appenzeller. Sein Vater war Posthalter in
Speicher. Aber schon sein Berner Dialekt
verrät, dass er eben auch tiefe Wurzeln im
Emmental hat. Und er bestätigt: «Die
Kontakte mit dem Emmental habe ich immer
gepflegt.» Nach der Trennung seiner
Eltern 1948 nimmt ihn seine Mutter aus
dem Appenzellerland fort und mit ins
Emmental und hier verbringt er seine ers-
ten Schuljahre. Im legendären Schulhaus
Gmünden beim Lehrerehepaar Hans und
Liseli Baumgartner, wohin die Kinder
rund um die Lüdernalp zur Schule gehen.
Er unterrichtet die Oberschule, sie die
Unterschule. Legendäre Hartholzpädagogen.
«Bösi Cheibe» seien das gewesen und
Schläge habe es in der Schule schon mal
gegeben erzählt Hans-Ulrich Herzig mit
Schalk in den Augen. In der Schule habe
er sich auch mal erfolgreich gewehrt, als
man ihn auf dem Pult vor der Klasse «ausschmieren»
wollte. Die Strenge hatte ihre
Ursache wohl nicht nur in purer Bosheit
des tüchtigen und im Grunde wohlmeinenden
Lehrerpaares. Hans-Ulrich Herzig
erzählt: «Damals gab es noch Schulberichte
und in einem hat es bei mir unter
dem Stichwort «Betragen» geheissen:
Süchel und saufrech.»
DREI STUNDEN ZUM EINKAUFEN
Um 16 Uhr senkte sich im Winter über der
Lüderen die Nacht herab und wenn sich
die Schülerinnen und Schüler auf dem
Heimweg machten, war tiefe Dunkelheit.
Hans-Ulrich
Herzig darf auf eine
beeindruckende
Karriere zurückblicken
– trotz schwierigem
Start.
Er habe den zweitlängsten Schulweg gehabt.
Vom Schulhaus auf 800 Metern
heim auf eine Höhe von 1200 Metern.
Mehr oder weniger ein Aufstieg wie von
Luthern hinauf auf den Napf. Fünf Viertelstunden
habe der Heimweg schon in
Anspruch genommen. «Wenn ich pressiert
habe.» Zum Glück seien damals noch
zehn Wochen Sommerferien Brauch gewesen.
Die Buben wurden für die Arbeit
auf den Höfen gebraucht. Hin und wieder
wird er nach Langnau zum Einkaufen losgeschickt.
«Drei Stunden waren das zu
Fuss, der Rückweg etwas länger.» Im Bären
zu Langnau habe es für 2 Franken und
50 Rappen Zmittag gegeben: Brot,
18 WURZEL 12 / 2023
«Zwischendurch hat Hans-
Ulrich Herzig auf einer BSA
Trident 750 ein paar Rennen
um die offene Klasse
in der Schweizer Töffmeisterschaft
bestritten.»
WURZEL 12/ 2023 19
HANS-ULRICH HERZIG
Der ehemalige
Verdingbub ist
ein preisgekrönter
Koch.
Seine Wahlheimat
ist Kanada – mit dem
Emmental ist er aber
stark verbunden.
Suppe und Sirup. Im Rucksack habe er
dann gut und gerne 20 Kilo heimgeschleppt
und wegen des Rucksackes sei er
von den anderen Kindern ausgelacht worden.
«Und heute sind Rucksäcke schwer
in Mode. So ändern halt die Zeiten.»
KOCH IN DEN BESTEN HÄUSERN
Nach dem frühen Tod seiner Mutter – sie
verstirbt im Alter von nur 36 Jahren –
wird er von einer Tante in Egnach im
Thurgau aufgenommen. Hier lebt er auf
einem Bauernhof mit viel Obstanbau. Die
zwei letzten Schuljahre kommt er
schliesslich in eine Privatschule. Von der
Post im appenzellischen Speicher auf ein
Heimwesen bei der Lüdernalp, anschliessend
ins Obstland Thurgau, sodann in die
Metzgerlehre nach Thalwil im Züribiet
und für die Kochlehre nach Basel. «Ich
war gut im Zeichnen und wollte eigentlich
Bauzeichner werden. Aber da hat es
geheissen, im Büro zu sitzen sei nichts für
mich, ich sollte einen richtigen Beruf erlernen.»
Und so wird er eben zuerst Metzger
und dann Koch.
Sozusagen nebenbei geht es in die
Flliegerabwehr-RS nach Emmen: Früh
lernt Hans-Ulrich Herzig sich dort zurechtzufinden,
wo er eben hinkommt.
Nach 500 Diensttagen wird er 1967
Wachtmeister und Küchenchef im Regimentsstab.
Zwischendurch hat er auf einer
BSA Trident 750 ein paar Rennen um
die offene Klasse in der Schweizer Töffmeisterschaft
bestritten. Über einen 2.
Platz sei er aber nie hinausgekommen.
Diese BSA war eine echte Höllenmaschine,
die schnellste überhaupt, die es in den
1960er Jahren zu kaufen gab. Gut 60 PS
und mehr als 200 km/h Spitzengeschwindigkeit.
Erst die Honda 750 CB Four war
dann zu Beginn der 1970er Jahre noch
schneller. Aber das nur nebenbei.
Aus dem Jungkoch wird 1968 erstmals
ein Chefkoch in der heutigen Edelherberge
Excelsior in Arosa. Er hat ein Team mit
zehn Köchen zu führen. Das ist, wie man
weiss, nicht gerade einfach. Es heisst ja,
viele Köche verderben den Brei. Er ist erst
25 Jahre alt. Aber er kann sich durchsetzen
und es folgen Chefstellen im Grand
Hotel Brunnen, im Kongresszentrum Davos,
im Waldhaus in Sils-Maria, im Grand
Hotel Locarno und im Grand Hotel Vereina
in Klosters: Er kommt über Saisonstellen
entweder im Winter oder im Sommer,
davon die meisten als Küchenschef.
Anfang Mai 1974 fliegt er via Montréal
nach Toronto – und hier kommt er am Ort
20 WURZEL 12 / 2023
Hans Ulrich
Herzig war
Captain der
kanadischen
Koch-Nationalmannschaft.
Hans-Ulrich Herzig hat in den besten Häusern gekocht.
seiner Bestimmung an. Nach weiteren
Lehr- und Wanderjahren an Kanadas Ostküste
wird er zum Executive Chef im
Prince Hotel in Toronto berufen. Ein Kongresshotel
der Luxusklasse mit über 400
Zimmern und Suiten, mehreren Restaurants
und Bankett-Sälen mit über 2500
Plätzen. Nun ist er Chef über ein Heer von
80 Köchen. Köchinnen – so erzählt er –
seien immer die Ausnahme gewesen. Ein
Angebot, ins Beverly Hills Hotel nach Hollywood
zu wechseln, lehnt er kurz darauf
ab. «Weil ich in Toronto schon ein wenig
heimisch geworden war.»
Etwas mehr als 29 Jahre – vom 1. Oktober
1978 bis zum 30. April 2007 – wird
er nun im Prince Hotel in Toronto bleiben,
schalten und walten. «Ich bin eigentlich
nicht ausgewandert, sondern
hängen geblieben.» Dabei hatte er ge-
plant, nach zwei Jahren wieder in die
Schweiz zurückzukehren. Längst ist Kanada
seine zweite Heimat geworden,
nach 30 Jahren hat er sich in Kanada
einbürgern lassen.
Der Bub, der einst oben bei der Lüderenalp
barfuss zur Schule ging, führt nun
«Was bei den Lehrern
als «sau frech»
galt, ist in Tat und
Wahrheit die Fähigkeit
auf Leute zuzugehen
und mit ihnen
umzugehen.»
den Gastrobereich in einem der besten
Hotels der Welt. Was beim Lehrerehepaar
Baumgartner noch als «saufrech» galt, ist
in Tat und Wahrheit die offene Art, die
Fähigkeit auf Leute zuzugehen und mit
Leuten umzugehen und die zupackende
Dynamik, die den einstigen Lausbuben
weit bringen werden. Wie man so schön
sagt im Emmental: Es sind eben nicht immer
die schlechtesten Früchte, woran die
Wespen nagen.
ESSEN FÜR DIE GRÖSSEN DER WELT
Ihm obliegen die gesamten Einkäufe für
das Luxushotel und die machen im Jahr
zwischen drei und vier Millionen Dollar
aus. So knüpft er in der Geschäftswelt
Beziehungen weit über Toronto hinaus.
Aus der Schweiz hat er die hohen Qualitätsstandards
nach Kanada mitge-
WURZEL 12/ 2023 21
HANS-ULRICH HERZIG
bracht und setzt sie auch hier durch.
Hans-Ulrich Herzig wird Captain der kanadischen
Koch-Nationalmannschaft
und kommt zu ganz grossen Auftritten:
1987 ist er für das Buffet beim kanadischrussischen
Kulturtreffen «Rendez-vous
1987» in Quebec verantwortlich – mit
zwei Partien einer NHL-Auswahl gegen
die Sowjets als Höhepunkt. Unter anderem
kümmert er sich im Laufe der Jahre
auch mal beim WEF in Davos und bei den
G7- und G20-Gipfeltreffen um das Abschluss-Bankett.
VOM CHEFKOCH ZUM UNTERNEHMER
Nach und nach zeigt sich, dass Schweizer
Produkte in Kanada sehr begehrt sind.
1997 gründet er eine Importfirma: «H.U.H
Imports». Nach und nach lässt er Schweizer
Produkte in eigenen Containern, palett-
ja tonnenweise einfliegen: Glasierte
Maroni, Senffrüchte, Kirsch, um die 30
Sorten Käse, Mohrenköpfe, Schokolade.
Die Kundschaft besteht nicht nur aus
Heimwehschweizern. Auch die Kanadierinnen
und Kanadier wissen seine Importware
zu schätzen. Nach der Pensionierung
2007 kümmert er sich ausschliesslich
um seine Handelsfirma, die er 2020 neuen
Besitzern übergibt. 2021 zieht er sich
im Alter von 78 Jahren ganz aus dem Geschäft
in den Ruhestand zurück. Seither
hat er mehr Zeit, um seine alte Heimat
noch öfters zu besuchen. Mehr als 60mal
sei er hin- und hergeflogen und eine besondere
Beziehung hat er zum Schwingen
im Allgemeinen und zum Schwingklub
Sumiswald im Speziellen. In Kanada vermisse
er das gemütliche Beisammensein,
die Stammtischkultur. «Die Farmer fahren
manchmal drei Stunden hin und drei
Stunden zurück, um mal zusammen ein
Bier zu trinken.» Da weiss er die helvetische
Kultur um so mehr zu schätzen.
EHRENMITGLIED DES SCHWINGKLUBS
Weil Hans-Ulrich Herzig soeben Ende Oktober
grad da war, haben die Sumiswalder
das Datum ihrer Hauptversammlung
kurzerhand geändert. Damit der freundliche
Gast aus Kanada – er ist auch Ehrenmitglied
des Klubs – dabei sein kann. Oft
logierte er während seiner Besuche auf
der Lüderenalp – und hat hier im Laufe
der Zeit die Granden des Schwingklubs
Sumiswald kennen gelernt. Obschon er
ennet dem Atlantik lebt, hat er stets die
vielen Kontakte in der Schwingerszene
«Mehr als 60 Mal
besuchte er die
Schweiz. Eine ganz
besondere Beziehung
hat er noch
heute zum Schwingklub
Sumiswald.»
gepflegt und besucht regelmässig Feste.
Grosse wie das «Eidgenössische», aber
auch kleinere wie den Kemmeribodenoder
den Hallen-Schwinget in Grünen-
Sumiswald. Für den Schwingklub Sumiswald
hat er 1992 eine grosse Holzstatue
in der Form eines Indianers gespendet,
einen Wanderpreis der jährlich dem «Bösesten»
des Klubs übergeben wird. Immer
wieder alimentiert er den Gabentempel
der Schwingfeste und für Unspunnen hat
er eine Treichel gespendet und sich sehr
darüber gefreut, dass Steven Moser (er
belegte Rang 5b) die Ehrengabe gewählt
hat: Steven Mosers Grossmutter ist Kanadierin.
Schwing-Fan
Hans-Ulrich Herzig
spendet immer
wieder Preise für
die Gaben -
tempel.
22 WURZEL 12 / 2023
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66, WURZEL 12 / 2023 25
HISTORY: «CHNEBU HANS» TANNER
Wetter-Prophet
Hans Tanner,
genannt «Chnebu
Hans».
Vom Wetter, von Wölfen
und «reudigen» Katzen
Die «Muotathaler Wetterschmöcker» sind landesweit
bekannt. Hingegen ist längst vergessen, dass auch der
Oberaargau einst einen legendären Wetter-Propheten
hatte. Hans «Chnebu Hans» Tanner aus Eriswil.
TEXT: KLAUS ZAUGG FOTOS: MARCEL BIERI
26 WURZEL 12 / 2023
Sogar die Königin
von England soll jeweils
ein Exemplar
des Wetterberichts
bestellt haben.
Zu meinen frühesten Kindheitserinnerungen
in den
1960er-Jahren gehören
die Wetterberichte vom
«Chnebu Hans». So hiess
Johann Tanner im Volksmund.
Woher die Bezeichnung
«Chnebu» kam, wusste ich nicht. Er
galt als kauziger, eigenwilliger Bauer,
war mit seinen Arbeiten immer im Rückstand
und grub die Kartoffeln manchmal
erst im November aus. Er soll auch ein
begabter Viehzüchter gewesen sein und
einmal einen «bsungerbar» schönen Muni
mit den allerhöchsten Bewertungen
gehabt haben. So gingen jedenfalls die
Legenden.
Seine Wetterberichte brachte er, wenn
ich mich noch richtig erinnere, jeweils im
Januar für einen Franken unter die Leute.
Ehrfürchtig lauschte ich als kleiner Bub,
wenn der Vater am Abend, wenn es draussen
schon dunkel war, daraus vorlas. Es
ging nicht nur um das Wetter im kommenden
Jahr. Eingestreut waren auch
seltsame Rezepte gegen allerlei Ungemach
und Prophezeiungen allgemeiner
Art. Ich erinnere mich noch gut, dass er
jedes Jahr irgendwo die Warnung einstreute
«die Wölfe werden näher kommen.»
Dieses Untier war mir aus Märchen
wohlbekannt und ich fürchtete mich in
dunklen Winternächten mehr vor «Chnebu
Hanses» näherkommenden Wölfen als
vor dem Samichlaus.
Solche Wetterberichte hatten vor 50
Jahren eine viel grössere Bedeutung als
heute. Das Wissen um die Wetterentwicklung
war, ist und bleibt für jeden
Bauern wichtig. Auch mein Vater konsultierte
in der Brattig («Der hinkende
Bot») den hundertjährigen Kalender.
Also die Aufzeichnungen des Wetters
vor hundert Jahren. Ein Aberglaube besagt,
dass sich das Wetter alle hundert
Jahre wiederholt. Auf Radio Beromünster
gab es schon in den 1960er-Jahren
In diesem Haus wohnte «Chnebu Hans».
einen Wetterbericht. Recht hilfreich war
die Messung des Luftdruckes. In jedem
Bauernhaus hing ein Barometer, das
Luftdruckveränderungen anzeigte. Warum
jeweils beim Ablesen unter dem Gerät
an die Wand geklopft wurde, weiss
ich nicht. Durchaus hilfreich waren Naturbeobachtungen.
Aus Wolkenbildung,
Abendrot, tief fliegenden Schwalben
und der Windrichtung liessen sich
durchaus Rückschlüsse auf die Wetterentwicklung
ziehen. Und schliesslich
gab es eben den Wetterbericht vom
«Chnebu Hans». Ich denke, alles in allem
waren kluge Bauern damals ungefähr
gleich gut über das kommende Wetter
im Bilde wie heute.
Ich weiss nicht, wie ernst die Zeitgenossen
die Wetterberichte vom «Chnebu
Hans» genommen haben. Damals hat es
geheissen, die Königin von England bestelle
jeweils auch ein Exemplar. Das hat
mich natürlich tief beeindruckt. Ob die
Queen tatsächlich Post aus Eriswil bekommen
hat, lässt sich inzwischen nicht
mehr nachprüfen.
WURZEL 12 / 2023 27
HISTORY: «CHNEBU HANS» TANNER
Wetterbericht 1971
Hier nun Auszüge aus einem der legendären
Wetterberichte aus dem Jahr 1971.
Abschrift nach Original «für die Verbreitung
in Europa, Nordamerika und Asien,
ausgenommen der höchste Norden und
die periodischen Regengebiete wie Indien,
Südafrika, Spanien usw.»
ALLGEMEINES
«Innerhalb der drei Erdteile wird es irgendwo
genau stimmen. Es ist also nicht
gesagt, dass gerade die kleine Schweiz
herhalten muss. Vor- und Rückverschiebungen
von einigen Tagen, neblig und
trüb sowie etwas Niederschlag muss man
in Kauf nehmen. Mondjahr gibt ein Kornjahr,
aber dennoch des Bauern Totjahr.
Naturkatastrophen etwas geringer als
auch schon. Für Hochgebirgsrouten günstig
bis Mitte August. Mageres Futter- und
schlechtes Honigjahr. Anstatt heuen können
wir dieses Jahr nur heilen. Wer im
Juli noch einen Brunnen hat, kann sich
«von» schreiben!
Auf sandigen Böden wird das Getreide
notreif werden. Die Milch wird etwa um
ein Drittel gedrosselt. Der Bauer sollte an
Strassenböschungen viele Eichen pflanzen.
Wenn es einmal mit den Kaffeebohnen
hapern sollte, so wäre Eichelkaffe
besser als kein Bohnenkaffee. Dank der
tiefgehenden Wurzeln schaden sie dem
Lande nicht, und etwas Holz zum Bauen
wäre erdbebensicherer als nur Mauern.
Äpfel werden klein bleiben oder abfallen.
Und viele Bäume werden dürr. Birnen
werden besser geraten wegen den tiefgehenden
Wurzeln. Nur die höchsten Alpen
werden noch einen Nutzen bringen. Alpen
mit kleinen Brunnen können gar
nicht bestossen werden.
Feinhäutige Bauern, Metzger, Schmiede
und Klauenschneider werden unter
der Katzenreude leiden, welche man von
den Tieren mit bestem Dank erhalten hat.
Nofloh hilft nicht. Das beste Mittel dagegen
ist Galmitol-Flüssigkeit aus den
Kriegsbeständen vom Lüdi in Huttwil
(vermutlich meinte er das Heilmittel Calmitol
– die Red.). Bei den Tieren hat man
guten Erfolg, wenn man das Reudengift
mit einem Läppchen einreibt. Während
dem Einreiben wird die Katze wild und
möchte rückwärts Reissaus nehmen.
Nach ein paar Stunden kommt sie schmeichelnd
zu mir und möchte schon wieder
eine zweite Behandlung haben.»
Von Monat zu Monat
Wir haben in kursiv das tatsächliche Wetter
1971 den Prognosen gegenübergestellt. Diese
Wetterdaten stammen vom Bundesamt
für Meteorologie und Klimatologie).
Hans Tanner wohnte
etwas ausserhalb von Eriswil.
JANUAR
«Vom 12. an mässig kalt unter leichtem
Ostwind. Kleine Brunnen werden einfrieren.
Vom 16. an etwas milder, trübe, wenig
oder gar kein Neuschnee. Mässig kalt
bis Ende.»
So war das Wetter im Januar tatsächlich:
Der Januar war deutlich zu trocken. Monatsanfang
kalt und niederschlagsfrei, gegen
Mitte meist bewölkt, gegen Ende bedeckt,
aber niederschlagsfrei.
Nahezu präzise Prognose!
FEBRUAR
«Sehr kalt bei schwachem Ostwind. Die
Wölfe werden näher kommen. Vom 9. an
etwas neblig, dann wieder schön bis am
Ende. Sehr trocken.»
So war das Wetter im Februar tatsächlich:
Insgesamt war der Februar deutlich zu nass
mit Temperaturen leicht über der Norm.
Leichte Schneefälle zu Beginn, ab Mitte bis
25. Schneefälle in der ganzen Schweiz.
Da lag «Chnebu Hans» etwas daneben.
MÄRZ
«Anfangs etwas neblig, dann wieder heiter,
kühl bis kalt unter schwachem Ostwind,
trocken, Niederungen neblig. Nach
der Mitte leicht bewölkt und etwas trübe
bis am Ende. Früher Frühling.»
So war das Wetter im März tatsächlich: Zu
kalt und zu trocken. Ein Azorenhoch beeinflusste
das Wetter bis Mitte Monat, erst ab
19. Niederschläge in der ganzen Schweiz.
Ab 25. wieder schön und trocken.
Durchaus gute Prognose!
APRIL
«Anfang noch heiter, dann trübe, aber
wahrscheinlich noch trocken. Kühl bei
schwacher Bise. Zweite Hälfte schön, trocken
und warm. Nachtfrostgefahr. Gefährlich
für die Kirschen und das Fleischtrocknen
in Rauchküchen.»
So war das Wetter im April tatsächlich: Zu
warm und zu trocken. Ab Mitte Monat Ende
des schönen Wetters, starke Abkühlung.
Ab 22. sinkt die Schneefallgrenze sogar bis
1500 Meter, nur geringe Niederschläge.
Erstaunlich gute Prognose!
MAI
«Fortdauer des schönen Tauwetters, dafür
Nachtfröste, dann etwas neblig. Vom
13. an wieder schön und trocken. Am Ende
neblig in den Niederungen.»
So war das Wetter im Mai tatsächlich:
Überdurchschnittlich viel Regen und zu wenig
Sonne. Bis zum 5. sinkt die Schneefallgrenze
auf 1500 Meter. Kalt und regnerisch.
13. und 14. Gewitter. Bis 21. bedeckt
und leichte Niederschläge. Ab 26. setzen
wieder Niederschläge ein mit Neuschnee.
Na ja, da lag «Chnebu Hans» daneben.
28 WURZEL 12 / 2023
Sizilien - eine Kreuzfahrt zur Königin des Mittelmeers
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Mittwoch, 20. März, bis Donnerstag, 28. März 2024
18.Nov.
2.Dez.
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20.Jan.
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08. Dez. Bere și Tutun
20. Jan. Beyond Distopia / Nasty Cupid
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02. März Days of Ruin / Comaniac
09. März The Hunt / Unexpected fall
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06. Apr. Zleeping Elephants / Back Bone
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WURZEL 12 / 2023 29
HISTORY: «CHNEBU HANS» TANNER
JUNI
«Anfangs noch schön und trocken, dann
etwas neblig, heiss und schwül bei Föhneinfluss.
Von der Mitte an wieder schön
und trocken bis am Ende.»
So war das Wetter im Juni tatsächlich: Kühl
und zu nass. In der ersten Hälfte immer
wieder Gewitter, am 9., 10. und 11 örtlich
Hagel, dann allmähliche Wetterbesserung.
Die Juni-Prognose ging in die Hose.
Eriswil. «Chnebu
Hans» machte nicht
nur Prognosen für das
lokale Wetter, sondern
für die ganze
Welt.
JULI
«Anfangs noch schön und trocken. Gegen
die Mitte schwül durch Südwind. Der Apfelwein
und das Bier könnten noch ausgehen.
Zweite Hälfte etwas kühler durch
leichten Ostwind. Am Ende leicht bewölkt,
aber noch trocken. Die halbe Welt
wird nur noch rot aussehen.»
So war das Wetter im Juli tatsächlich: Zu
warm und zu trocken. Am 12. Gewitter mit
ergiebigen Niederschlägen und örtlichem
Hagel. Ab 14. wieder schön und warm. Ab
17. Gewitter, ab 21. schön und warm, am
27. und 28. Gewitter, dann bis Ende sonnig.
Sehr gute Prognose!
AUGUST
«Noch keine Aussicht auf Regen. Die Kartoffeln
werden leiden. Leicht bewölkt im
Norden, schön und trocken. Um den 15.
etwas Gewitter möglich, um den 18.
schwere Gewitter, wahrscheinlich ohne
Hagel. Dann wieder leicht bewölkt, mehr
trocken als nass.»
So war das Wetter im August tatsächlich:
Etwas zu kühl und zu nass.Während des
ganzen Monats immer wieder Gewitter, oft
mit Sturmböen und örtlichem Hagelschlag,
im Bernbiet mit Böen von bis zu 90 km/h.
Da lag der «Chnebu Hans» mit seiner Prognose
gar nicht so weit daneben.
SEPTEMBER
«Schwere Gewitter von Südwesten. Vom
5. an wieder trocken und schön mit
schwachem Ostwind. Zeitweise etwas
trübe. Um den 18. Gewitter, wolkig und
heiss. Gegen Ende wieder schön, trocken
und warm.»
So war das Wetter im September tatsächlich:
Überdurchschnittlich warm und trocken.
Zwischendurch Gewitter. Am 17. erste
Reifbildung. Ab dem 24. setzten leichte
Niederschläge ein. Vom 27. bis 29. gab es
ebenfalls Niederschläge.
Na ja, das war wohl eine Fehlprognose.
OKTOBER
«Schön, heiss und trocken. Vom 9. an
kühl unter Ostwind. Schön und trocken
bis Ende. Viele Nachtfröste.»
So war das Wetter im Oktober tatsächlich:
Zu warm und deutlich zu trocken. Bis 12.
ein Hoch über Mitteleuropa, dann stärker
Temperaturrückgang mit Schneefall bis
800 Meter. Ab 19. bis Monatsende wieder
schön und trocken.
Steigerung! Diese Prognose ist gut.
NOVEMBER
«Schön und mild, leicht bewölkt, aber trocken.
Von der Mitte an mässig kalt. Gegen
Ende wieder milder, schön und trocken.
Um den 21. ziemlich bewölkt. Etwas vom
ewigen Schnee möglich.»
So war das Wetter im November tatsächlich:
Etwas zu kühl und zu feucht. Bis 8.
schön bei überdurchschnittlich hohen Temperaturen,
schwachen Winden und viel Nebel
mit einer Obergrenze von 800 Metern.
Ab 8. Temperaturrückgang und ergiebige
Niederschläge mit Schneefall bis 600 Meter
und stürmischer Bise (Tief über Skandinavien).
Nach einer kurzen Wetterberuhigung
ab 17. erneut ergiebige Niederschläge und
Bildung der ersten Schneedecke im Mittelland.
Vom 24. bis 27. mit Bise vorwiegend
sonnig mit ganztätigem Nebel bis etwa
1000 Meter.
Keine sehr gute Prognose.
DEZEMBER
«Heiter und mild, zeitweise etwas leicht
bewölkt, schön, mild und trocken.
Schlechter Wintersport. Grüne Weihnachten.»
Und so war das Wetter im Dezember tatsächlich:
Vor allem in der Höhe mild und
insgesamt überall sehr trocken. Bis 11. immer
wieder Niederschläge bei einer Schneefallgrenze
zwischen 400 und 1000 Metern.
Dann bis zum Ende des Monats mild,
manchmal trüb, hin und wieder etwas Niederschlag.
Wiederum recht gute Prognose und tatsächlich
gab es eine grüne Weihnacht.
War «Chnebu Hans»
ein guter Wetterfrosch?
Johann Tanners Prognosen waren durchaus
gut, die Trefferquote war eindeutig
höher als etwa heute bei den «Muotathaler
Wetterschmöckern». Und auch eine
Prognose, die eigentlich nichts mit dem
Wetter zu tun hat, ist eingetroffen: Die
Wölfe sind tatsächlich nähergekommen.
Ganz so wie es der er im Februar 1971
vorausgesagt hat. Diese Wolfsmahnung
hat er praktisch jedes Jahr immer wieder
mahnend in seine Wetterberichte eingestreut.
Er war der Mann, der die Wölfe
kommen sah. Dabei war es in den 1960erund
1970er-Jahren eigentlich unvorstellbar,
dass je wieder Wölfe wild bei uns
herumstreifen könnten.
Literatur
• Dorfgeschichte Eriswil
• Witterungsberichte Schweiz 1971 des Bundesamtes
für Meteorologie und Klimatologie
30 WURZEL 12 / 2023
70%
60%
40%
27. NOVEMBER BIS
29. DEZEMBER 2023
TOTAL
LIQUIDATION
NUR GEGEN BARZAHLUNG KEIN UMTAUSCH
30%
50%
40%
60%
30%
INFOLGE GESCHÄFTSAUFGABE
70% 40%
50%
60%
60%
50%
Ettiswilerstrasse 41 | 6130 Willisau | 041 972 7 107
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WURZEL 12 / 2023 31
WEIHNACHTEN GEMEINSAM
Gemeinsam
statt einsam
In Langenthal organisieren HiLa (Hilfe
Langenthal) und die reformierte Kirche
ein Weihnachtsfest für alle, die alleine
feiern müssten. Das Projekt wird
unterstützt durch die katholische
Kirche und die Stadt.
TEXT: BRUNO WÜTHRICH; FOTOS: MARCEL BIERI, ADOBE STOCK/DC STUDIO
Zusammen ist man weniger allein.
Gerade zur Weihnachtszeit kann
Einsamkeit bedrückend sein. Wer
in dieser Zeit nicht allein bleiben
möchte, muss dies in Langenthal nicht
mehr. Denn wir feiern gemeinsam. Am
24. Dezember 2023 treffen wir uns von
18.30–21.30 Uhr zu einem festlichen
Nachtessen mit Weihnachtsliedern am
Flügel und mit Rahmenprogramm im Forum
Geissberg der reformierten Kirche in
Langenthal (siehe Karte in der Box).
Der Anlass ist offen für alle, die alleine
sind oder sich einsam fühlen, ganz egal,
wer oder was du bist und was der Grund
für deine Einsamkeit ist. Du bist willkommen.
Wer nicht selber fahren kann, soll
uns dies mitteilen. Du wirst abgeholt und
wieder heimgebracht.
Über vierzig Helferinnen und Helfer
stehen bereit, um dir einen schönen, be-
32 WURZEL 12 / 2023
aemejnsam
hnachtsfeier
sinnlichen und unvergesslichen Weihnachtsabend
zu bereiten.
Anmeldung & Spenden
Organisiert wird der Anlass durch Hi-
La (ein Projekt des gemeinnützigen Vereins
der freien evangelischen Gemeinde
«Weihnachten gemeinsam» Anmeldung:
Weihnachtsfeier mit festlichem Via untenstehenden QR-Code
FEG Langenthal) und die reformierte Kirche
Langenthal.
Sabine Woodtli
Essen und Rahmenprogramm oder über folgende Adresse:
Wer möchte, kann den Anlass mit einer
Spende unterstützen. Das geht am
Zeit: 18.30–21.30 Uhr
E-Mail: sabine.woodtli@
Datum: 24. Dezember 2023 Tel: 0629165095,
einfachsten über den QR-Code in der
Ort: Forum Geissberg,
kirche-langenthal.ch
Box. Mit deiner Spende hilfst du mit, dass
Geissbergweg 6
die Kosten für diesen Anlass im Rahmen
4900 Langenthal
aemejnsam
bleiben. Nicht vergessen, den Grund für
die Spende anzugeben: Gemeinsam
Weihnachten.
Den QR-Code für die Anmeldung,
V<5>/: l!li • ;
oder wenn es dir lieber ist, die E-Mail-
Adresse oder eine Telefonnummer ■■ findest
du auch in der Box. Anmelden
Spenden:
• FEGLangenthal
Via untenstehenden QR-Code
kannst du dich bis zum 17. Dezember
Weihnachtsfeier
GemeinnOUigerVerein
derFEGLangentllal
oder über folgendes Bankkonto:
2023.
CH62 0900 0000 4900 2547 3
mit festlichem Essen Evang. Kirchgemeinde Langenthal
Geissbergweg 6
und Rahmenprogramm
4900 Langenthal
*
Zusätzliche Info angeben: «Spende
Weihnachten gemeinsam»
CH62 0900 0000 4900 2547 3
Konto / Zahlbar an
Empfangsschein
Zahlteil
Konto / Zahlbar an
Evang.Kirchgemeinde Langenthal
CH62 0900 0000 4900 2547 3
Evang.Kirchgemeinde Langenthal
Geissbergweg 6
Geissbergweg 6
4900 Langenthal
4900 Langenthal
Zusätzliche Informationen
Zahlbar durch (Name/Adresse)
reformierte
■
Spende Weihnachten gemeinsam
Zahlbar durch (Name/Adresse)
Kirche Langenthal
festlichem Essen
Rahmenprogramm
zember 2023, 18.30-21.30 Uhr, Forum Geissberg
II
eldung (nach Möglichkeit): Sabine Woodtli, Sozialdiakonie
062 916 50 95, Mail: sabine.woodtli@kirche-langenthal.ch
astoralraum stadtlangenthal
beraargau
24. Dezember 2023, 18.30-21.30 Uhr, Fo
Anmeldung (nach Möglichkeit): Sabine Woodtli, Sozi
Tel: 062 916 50 95, Mail: sabine.woodtli@kirche-lang
•....·
Währung
CHF
Betrag
1!/p..
d
Währung
CHF
Betrag
WIRD UNTERSTÜZT DURCH:
Annahmestelle
1
aemejnsam
unterstützt durch: ■"l li Oberaargau
■ 11 Pastoralraum stadtlangenthal
■■
• FEGLangenthal
GemeinnOUigerVerein
derFEGLangentllal
nachtsfeier
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Rahmenprogramm
zember 2023, 18.30-21.30 Uhr, Forum Geissberg
eldung (nach Möglichkeit): Sabine Woodtli, Sozialdiakonie
062 916 50 95, Mail: sabine.woodtli@kirche-langenthal.ch II
Gemeinsam
Weihnachten feiern
in Langenthal: Alle
sind willkommen.
storalraum stadtlangenthal
beraargau
■■
• FEGLangenthal
GemeinnOUigerVerein
derFEGLangentllal
V<5>/: l!li • ;
Sabine Woodtli und Manuel Glanzmann organisieren den Anlass.
WURZEL 12 / 2023 33
SATIRE
Der Autor Klaus
Zaugg auf der
Suche nach dem
Wasser in der
Milch(chante).
Was Bauern und Sportler
miteinander verbindet
Was Doping im Sport, ist Milchpanschen in der Landwirtschaft.
Der Sportler verliert, wenn er erwischt wird, auch seine
Ehre. So wie ein Landwirt wegen Wasser in der Milch.
TEXT: KLAUS ZAUGG; FOTOS: MARCEL BIERI
34 WURZEL 12 / 2023
Um es etwas salopp zu formulieren:
Kontrollen über Kontrollen,
Formulare und Journale ausfüllen,
wie ein Häftlimacher aufpassen,
dass administrativ alles seine
Ordnung hat, gehören zum Alltag eines
Sportstars und eines Bauern. Der Sportler
oder die Sportlerin müssen zudem, weil
sie oft in der Öffentlichkeit stehen, auch
noch darauf achten, was sie sagen. Der
Bauer oder die Bäuerin dürfen wenigstens
am Stammtisch nach Lust und Laune
polemisieren. Sofern sie eine alte Weisheit
missachten, die sagt, als Bauer verdiene
man nur dann richtig Geld, wenn
man angeschriebene Häuser und Säcke
meide. Pinten gehören zu den angeschriebenen
Häusern, mit den Säcken
sind teure Futter- und Düngemittel gemeint.
Aber das nur nebenbei.
Wie der von den «Dopingfahndern»
überwachte Sportstar muss auch der
Landwirt mit unangemeldeten Kontrollen
rechnen. Um es wiederum ein wenig polemisch
zu formulieren: Was beim Spitzensportler
die Entnahme und die Kontrolle
des Blutes und des Urins, das ist
beim Bauern die Milchprobe. Unter anderem
wird überprüft, ob mit Wasser nachgeholfen
worden ist. Jeremias Gotthelf
beschreibt in einem Stück Weltliteratur
(Die Käserei zur Vehfreude), wie es den
Vehfreudigern ergangen ist, als sie, auf
den eigenen Vorteil bedacht, bald einmal
die Milch mit Wasser panschten. Die Folge:
Der Käse genügte den Qualitätsanforderungen
der Käsehändler nicht mehr
und die Vehfreudiger machten sich zum
Gespött. Tatsächlich erschwert Wasser in
der Milch das Käsen ganz erheblich.
DIE SUCHE NACH DEM WASSER
Kann es sein, dass es einem Bauer ergehen
könnte wie Mathias Flückiger, der in
einer Kontrolle mit einer minimalen Menge
einer Substanz hängen bleibt, die offensichtlich
ohne sein Wissen in seinen
Körper geraten ist und zu keinerlei Steigerung
der Leistungsfähigkeit führt? Wäre
die Welt noch so rein und einfach wie
am ersten Sonntag nach der Schöpfung,
könnten wir sagen: Nein. Ganz sicher
nicht. Selbst schuld, wer dopt, selbst
schuld, wer auf dem Weg zur Käserei oder
zur Milchannahmestelle am Brunntrog
vorbeigeht. Punkt. Aber so einfach ist es
eben nicht. Nicht einmal bei uns, wo die
Welt eigentlich nach wie vor eine heile ist.
Oder wenigstens fast.
Ich erinnere mich an einen ganz besonderen
Fall, der sich noch im letzten
Jahrhundert in einer Gemeinde im Gotthelfland
zugetragen hat und in den ich
damals Einblick hatte. Hier eine Kurzfassung:
Bei der Kontrolle wird Wasser in der
Milch eines hoch angesehenen Bauern
festgestellt. Eigentlich nur eine winzige
Menge. Aber eben: Wasser. Sozusagen
das Doping der Milchwirtschaft. Von der
Gemeinde aus wird nun eine Stallprobe
angeordnet und gemacht. Direkt im Stall
wird eine weitere Milchprobe entnommen
und versiegelt und ins Labor geschickt.
Wenn nun diese Milch keine Spuren
von Wasser aufweist, dann muss vorher
irgendwo auf dem Weg zur Käserei
die Milch gepanscht worden sein. Es ist
sozusagen eine B-Probe wie sie auch bei
Dopingfällen nach einem ersten positiven
Befund gemacht wird. Bis zu diesem Zeitpunkt
weiss ausser dem betroffenen
Landwirt, den Milchkontrolleuren und
den darin involvierten Gemeindebehörden
niemand von der Angelegenheit. Das
ist der Unterschied zum «Fall Flückiger»,
der nach der ersten Probe bereits in die
Öffentlichkeit gelangt ist und voreilige
Sanktionen mit dem entsprechenden
Ehrverlust des Mountainbikers nach sich
gezogen hat.
Die zweite Probe ergibt das genau gleiche
Resultat wie die erste: Wasser in der
Milch. Ein Rätsel. Denn eigentlich ist für
alle klar, dass hier die Milch nicht gepanscht
worden ist. Schon deshalb nicht,
«Endlich wird das
Rätsel gelöst: In der
Melkanlage verblieben
vom Ausspülen
Wasserrückstände
und gelangten so in
die Milch.»
weil die Menge Wasser viel zu gering ist.
Schliesslich und endlich wird das Rätsel
gelöst. In der Melkanlage blieben beim
Ausspülen Wasserrückstände in den Leitungen
und gelangten so in die Milch. Ein
Bauer, der nach bestem Wissen und Gewissen
und mit allergrösster Sorgfalt das
Milchgeschirr gereinigt und kontrolliert,
der alle Vorschriften beachtet hat und der
vom Milchpanschen so weit entfernt ist
wie der Papst vom Heiraten, ist völlig unschuldig
in ein Verfahren geraten. In ein
Verfahren, das unter Umständen zu einem
Ehrverlust über Generationen hätte führen
können. Die Milch zu panschen ist in
der bäuerlichen Kultur ein ähnlich schlimmes
Vergehen wie Doping im Sport.
Da bleibt als Erkenntnis nur die Erweiterung
einer alten Weisheit, die da lautet:
Vor Gericht und auf hoher See sind wir in
Gottes Hand. Diese Redewendung meint,
dass man dem Schicksal auf Gedeih und
Verderb ausgeliefert ist. Auf hoher See
weiss man nie, was auf einen zukommt
und vor Gericht ist es ebenso. Diese Redewendung
bedarf einer Erweiterung: Vor
Gericht, bei der Doping- und Milchprobe
sowie auf hoher See sind wir in Gottes
Hand. Mathias Flückiger dürfte zustimmend
nicken.
WURZEL 12 / 2023 35
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WURZEL 12 / 2023 37
WUSSTEN SIE SCHON
WUSSTEN
SIE SCHON?
1
WOHER KOMMT DIESER AUSDRUCK
«Schief gewickelt»?
Wenn schon nicht schief, so ist es zumindest
ziemlich schräg. So kommt dies zumindest
rüber. Mit «schief gewickelt»
meinen wir, dass jemand falsch informiert
ist und sich irrt. Dabei kommt das
«Gewickelt» tatsächlich vom Wickeln der
Babys. Aber nicht ganz so, wie dies heute
üblich ist bei Kindern, die noch keine Toilette
benützen können.
Der Hintergrund ist ein mittelalterlicher
Brauch. Ammen wickelten damals
Säuglinge vom Hals bis zu den Zehen in
Tücher ein, so fest, dass sich diese nicht
mehr bewegen konnten. Damit wurden
sie ruhig gestellt. Die Bandagen hielten
sie für nötig, um den Körper des kleinen
Kindes zu formen. Damalige Mediziner
glaubten, die Arme und Beine der Neugeborenen
seien so zart, dass sie mit Binden
oder Windeln an den Körper gefesselt
werden müssten, damit sie nicht verfallen
oder sich verformen. Über viele Monate
wurden Kinder deshalb immer wieder
stramm verpackt.
Dass einige der so gewickelten Kinder
später Haltungsschäden entwickelten,
liegt quasi auf der Hand. Belegt sind zum
Beispiel Probleme mit den Hüftgelenken.
Heute wissen wir, dass ausgerechnet die
damals vielgepriesene Bandagierung dafür
verantwortlich war. Damals aber
glaubte man, die Ammen hätten die Tücher
aus Ahnungslosigkeit falsch angelegt
und das Kind schief gewickelt.
38 WURZEL 12 / 2023
GUT FÜR DIE SYMPHATIE:
Jemanden um einen
Gefallen bitten
FOTOS: ADOBE STOCK: REDDISH/ROBERT KNESCHKE/JUULIJS
Studien in den USA und Japan haben gezeigt, dass diejenigen,
die um einen Gefallen gebeten wurden, sympathisch
finden, wer danach gefragt, bzw. gebeten hat. Ist das, weil
wir finden, dass uns die andere Person sympathisch finden
muss, weil sie uns sonst nicht gefragt hätte? Das kann sein.
Aber es gibt noch andere Erklärungen.
Wer uns um Hilfe bittet, muss uns wohl für besonders
freundlich und kompetent halten. Wir sehen also in der Bitte
ein verstecktes Kompliment, und mögen die Person, die es
uns gemacht hat. Die dritte Möglichkeit ist schon etwas komplizierter:
menschliche Gesellschaften funktionieren oft
nach dem Gesetz der «Reziprozität». Also nach der Regel
«Wie du mir, so ich dir». Wer uns um Hilfe bittet, tut dies
stillschweigend mit dem Versprechen, «ich werde mich eines
Tages dafür revanchieren». Man macht damit sozusagen
Schulden bei uns. Das fühlt sich gut an. Wir mögen die Hilfesuchenden,
weil wir darauf bauen können, dass sie eines
Tages für uns da sein werden, wenn wir in Not geraten.
2
NICHT DIE SCHWEIZER:
Wer hat das Riesenrad
erfunden?
Wer hats erfunden? Diesen Spruch verwendet man gerne in
der Schweiz. Aber für die Riesenräder müssen wir ihn jemand
anderes verwenden lassen. George Ferris konstruierte
für die Weltausstellung in Chicago von 1893 das erste moderne
Riesenrad. Die Auftraggeber hofften, dass sich das
Bauwerk mit dem für die Weltausstellung in Paris von 1889
eröffneten Eifelturm messen könnte. Das Werk des Ingenieurs
für Eisenbahntechnik und Brückenbau aus Pittsburgh
war 80,5 Meter hoch und verfügte über 36 Gondeln für jeweils
60 Personen. Ferris hinterliess damit einen derart bleibenden
Eindruck, dass «Riesenrad» im englischsprachigen
Raum bis heute «Ferris Wheel» heisst.
Ferris Riesenrad wurde bei der Weltausstellung von 1904
in St. Louis, Missouri, erneut aufgebaut und danach mangels
Käufern verschrottet. Das Prinzip ist jedoch deutlich älter als
Ferris Wheel. Der Engländer Peter Mundy berichtete 1620
aus dem bulgarischen Philippopolis (heute Plowdiw) von
einem Konstrukt aus Holz mit Sitzen für Kinder, das mit Muskelkraft
angetrieben wurde.
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WURZEL 12 / 2023 39
MATHIAS FLÜCKIGER
«Ich bin nicht
mehr der Gleiche
wie vorher»
Olympischer Silberheld, WM-Medaillengewinner und
dann zu Unrecht als Doping-Sünder an den Pranger gestellt:
Nicht viele Sportler haben solche Höhen und Tiefen erlebt
wie der Mountain-Biker Mathias Flückiger.
TEXT: KLAUS ZAUGG, BRUNO WÜTHRICH; FOTOS: MARCEL BIERI
Der «Fall Mathias Flückiger» beschäftigt
unsere Sportwelt. Voreilig
und unter Missachtung der
Reglemente ist er des Dopings
bezichtigt und gesperrt worden. Inzwischen
ist diese Sperre aufgehoben worden
und der Leimiswiler fährt wieder erfolgreich
Rennen.
WURZEL: Gibt es noch Interviews mit
Ihnen ohne das Thema Doping?
Mathias Flückiger: Jein. Während der
Saison schon. Da ging es ja endlich um
das Wesentliche, den Sport. Und sonst
meistens um die Frage, wie ich das alles
überstanden habe, und nicht um das Thema
Doping, die inzwischen allen klar ist.
Interessiert haben vor allem die Umstände,
die so ein Vorwurf ausgelöst haben.
Wie haben Sie es überstanden?
Die ganze Geschichte ist noch nicht überstanden.
Juristisch ist der Fall nach wie
vor nicht abgeschlossen. Es ist ein Irrsinn,
der trotz der im Dezember 2022 aufgehobenen
Sperre andauert. Obwohl es bei
mir nie eine positive Probe gegeben hat.
Warum dann dieser Irrsinn?
Man hat irgendetwas entdeckt, aber in so
geringer Menge, dass es nach den Regeln
der WADA (die Welt-Doping Behörde –
die Red.) kein Doping sein kann. Daraus
haben die zuständigen Stellen bei uns
einen Dopingfall gewoben, der ein Leben
zerstören kann. Die Werte waren so tief,
dass es weltweit nur drei Labors gibt, die
überhaupt dazu in der Lage sind, diese
Werte zu erfassen. Die Dosis hätte mindestens
13mal höher sein müssen, um
überhaupt ein Verfahren zu rechtfertigen.
Dazu kommt, dass ein Verfahren nach
klar definierten Regeln ablaufen muss.
Neun von zehn Regeln sind in meinem
Fall nicht beachtet worden.
Also ungefähr so, wie wenn jemand
noch nie Alkohol getrunken hat, in einer
Polizeikontrolle mit 0,001 Promille
hängen bleibt und trotzdem sein Billett
vorübergehend abgeben muss?
Schwierig, hier einen Vergleich zu ziehen.
Aber ja, es hat was.
Dann ist klar, warum Sie in zweiter Instanz
freigesprochen wurden und die
Sperre im Dezember aufgehoben worden
ist. Warum ist der Irrsinn trotzdem
nicht zu Ende?
Die zweite Instanz hat mich nicht «frei»
gesprochen. Sie will ja den Fall selber
noch gar nicht beurteilen, sie hat mir aber
recht gegeben, dass die erste Instanz also
die SSI (Swiss Sport Integrity – die
Schweizer Dopingbehörde – die Red.) ihren
Job ja gar nicht gemacht und mich
ohne jegliche Fairness einfach angeklagt
hat. Wie schon erwähnt, die SSI hat sich
an ein Regelwerk der WADA zu halten,
das zwingend vorschreibt, wie ein Fall
abgearbeitet werden muss. Von den
Mathias
Flückiger kann
wieder Rennen
gewinnen.
40 WURZEL 12 / 2023
ZUR PERSON
Mathias Flückiger
Geboren am: 27. September 1988
Aufgewachsen in: Ochlenberg
Wohnhaft in: Leimiswil BE
Erlernter Beruf: Baumaschinenmechaniker
GRÖSSTE ERFOLGE:
– Weltmeister U23 Cross Country
2010
– 1. Rang Gesamt World Cup U23
2010
– 3. Rang WM Saalfelden AUT 2012
– 6. Rang Olympiade in Rio de
Janeiro BRA 2016
– 1. Rang Gold Trophy HC Bad
Säckingen GER 2017
– 1. Rang Bike The Rock HC
Heubach GER 2017
– 2. Weltmeisterschaften im Cross
Country 2019
– 2. Weltmeisterschaften im Cross
Country 2020
– 3. Europameisterschaften im
Cross Country 2020
– Silbermedaille Olympia im Cross
Country 2021
– 2. Weltmeisterschaften im Cross
Country 2021
– 6 Weltcupsiege (6 Cross Country,
4 Short Track, zuletzt im August
2023 in Andorra) sowie mehrere
weitere Podestplätze.
WURZEL 12 / 2023 41
MATHIAS FLÜCKIGER
«Ich habe
ein gutes Gewissen
– aber ein schlechtes
Gefühl.»
zehn Punkten dieses Regelwerkes sind
nur ein oder zwei beachtet worden. Dieses
Regelwerk wurde geschaffen, weil es
schon vielen Athleten so wie mir ergangen
ist: Sie wurden verdächtigt, obwohl
sie sauber waren. Man hat herausgefunden,
dass diese Substanz, die bei mir gefunden
worden ist, durch verunreinigtes
Essen oder durch von Pilz befallenem
Getreide entstehen kann. Zum Teil sogar
erst im Körper, in der Blase, oder noch
perfider, erst im Probefläschchen.
…und diese erste Instanz hat sich nach
wie vor nicht dazu aufraffen können,
den Fehler einzugestehen und Sie vollumfänglich
freizusprechen und den
Fall damit abzuschliessen?
Das ist eigentlich so. Das war unser Vorschlag:
Sagt sorry, im Rückblick sehen
wir, dass wir Fehler gemacht und Mathias
Flückiger fälschlicherweise des Dopings
bezichtig haben, wir wollen daraus lernen
und dafür sorgen, dass so etwas nie
mehr vorkommen kann. Aber sie tun zumindest
so, als wäre alles korrekt gelaufen.
Ich verstehe es nicht, denn aus Fehlern
kann man lernen und besser werden.
Fehler werden halt einfach gemacht. Ich
wünsche mir, dass die Beteiligten mal die
Grösse haben und das so sagen können.
Es wäre auch für sie ein Gewinn.
Wahrscheinlich glauben die Verantwortlichen
nach wie vor, sie könnten
diese Sache einfach aussitzen.
Wenn Sie das so sagen, kann ich Ihnen
nicht widersprechen.
Der Grund liegt auf der Hand: Den Fehler
einzugestehen könnte juristische
Folgen haben: Sie müssten für das
Fehlurteil entschädigt werden. Also
lieber aussitzen.
Für dieses Fehlurteil und seine Folgen
entschädigt zu werden, ist natürlich
schwierig. Wir sind ja nicht in den USA.
Aber die entstandenen Schäden, die dieses
Verfahren mit sich zieht, muss mal
jemand bezahlen.
«Für dieses Fehlurteil
und seine Folgen entschädigt
zu werden, ist
schwierig. Aber die
entstandenen Schäden,
die dieses Verfahren
nach sich zieht, muss
mal jemand bezahlen.»
Wie viel Geld haben Sie durch dieses
Fehlurteil verloren?
Es geht auch um die Rufschädigung und
da ist eine Summe schwierig zu beziffern.
Dazu kommt eine Unsicherheit: Ich weiss
nach wie vor nicht, wie es zu dieser Verunreinigung
gekommen ist…
…also wie diese Substanz in ihren Körper
gelangt ist…
…richtig. Man wird es mit ziemlicher Sicherheit
nie herausfinden. Es geht ja
nicht um ein Medikament als Ursache,
das ich nun meiden müsste. Ich schwebe
irgendwie ständig in Gefahr, weil ich die
Ursache nicht kenne. Möglicherweise
kommt die Verunreinigung durch den Genuss
von Fleisch. Ich esse deshalb seither
praktisch kein Fleisch mehr. Auch weil
man nie ganz sicher sein kann, woher das
Fleisch stammt. Vieles deutet aber auch
darauf hin, dass es von einem Pilz kommen
könnte. Weizen, Mais oder Hafer
können davon befallen sein. Weil dieser
Pilzbefall für die Gesundheit meistens unbedenklich
ist, besteht zu wenig Wissen
darüber wie dieser Pilz in Lebens- oder
Futtermittel gelangen kann.
Wenn wir auf Ihren Fall zurückblicken,
dann könnte man fast zum Verschwörungstheoretiker
werden und sagen:
Da hat jemand versucht, Sie fertigzumachen.
Es mag sein, dass mein Fall Stoff für Verschwörungstheorien
liefert. Aber ich
schliesse eine Verschwörung gänzlich
aus. Wenn es jemand tatsächlich darauf
angelegt hätte, mich fertigzumachen,
dann hätte man eine viel höhere Dosis
eingesetzt und die Werte wären viel, viel
höher, damit das Ganze tatsächlich wie
Doping aussehen würde.
Es ist alles wahrscheinlich – um es populistisch
zu formulieren – durch eine
Verkettung von Fehlern, Fehlverhalten
und Eitelkeiten zustande gekommen.
Einfach dumm gelaufen und Sie sind
ohne eigenes Verschulden in diese Sache
geraten?
Ja, so können Sie es formulieren. Ich habe
ein gutes Gewissen, aber nach wie vor ein
ungutes Gefühl.
Haben Sie Sponsoren durch den Fall
verloren?
Meine langjährigen Sponsoren sind mir
treu geblieben. Aber weil ich in der zweiten
Hälfte der Saison 2022 nicht mehr
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WURZEL 12 / 2023 43
MATHIAS FLÜCKIGER
fahren konnte, habe ich Prämien und die
Zahlungen meines Teams verloren. Ich
konnte die WM 2022 auf einer Strecke
nicht fahren, die auf mich zugeschnitten
war und wo ich bereits Rennen gewonnen
hatte.
Sie galten als WM-Favorit.
Das ist so. Ob ich denn tatsächlich Weltmeister
geworden wäre, bleibt offen.
Aber Fakt ist: Ich bin um die Chance gebracht
worden, Weltmeister zu werden…
…und ein WM-Titel hätte erhebliche
Auswirkungen auf ihren Marktwert gehabt.
Werden Sie nach Abschluss des
Verfahrens juristisch gegen die Verantwortlichen
vorgehen?
Diese Frage kann ich nicht abschließend
beantworten. Ich habe ein Interesse daran,
dass diese ganze Angelegenheit beendet
und nicht noch durch juristische
Auseinandersetzungen in die Länge gezogen
wird. Damit ich mich nicht mehr
weiter mit dieser Sache beschäftigen
muss. So gesehen könnte ich mich eventuell
auch mit einer Entschuldigung zufrieden
geben. Aber meine Aufwendungen
müssten mir natürlich erstattet
werden. Es ist, wie wenn jemand eine
Beule ins Auto gemacht hat, die ausgebessert
werden muss. Dafür müssen die
Verursacher bezahlen. Ich kann – wie
schon gesagt – Ihre Frage, ob die Sache
ein juristisches Nachspiel haben wird,
nicht beantworten. Ich will einfach, dass
es vorbei ist und mein Umfeld und ich
uns nicht mehr mit dieser ganzen Angelegenheit
beschäftigen müssen, die negative
Energien kostet.
Es geht um die Kosten für Ihre Verteidigung.
Wie hoch sind die?
Etwa das Zweieinhalbfache eines durchschnittlichen
Jahreseinkommens in der
Schweiz – bis heute. Ich bin froh, dass ich
auf mein Erspartes zurückgreifen konnte.
Und was ist mit Schmerzensgeld?
Eine lange gerichtliche Auseinandersetzung
um Schmerzensgeld ist nicht in meinem
Sinne. Ich will vorwärtsschauen und
das, was ich aus der ganzen Sache gelernt
habe, mitnehmen. Ich will keine Energien
mit der Vergangenheitsbewältigung verschwenden
und ich will keine Rache.
Aber die ganze Angelegenheit sollte dann
schon durch eine unabhängige Instanz
intern aufgearbeitet werden
Sozusagen eine «PUK Flückiger»…
…Sie können es nennen, wie Sie wollen.
Also doch eine Retourkutsche?
Nein, ganz und gar nicht. Aber wenn diese
Geschichte für mich gut ausgeht, dann
geht sie für jemand anderen nicht gut aus,
denn wir können nicht einfach zur Tagesordnung
übergehen. Nach solchen Geschehnissen
muss gehandelt und darüber
diskutiert werden, dass so etwas in unserem
Land NIE wieder einem Sportler passieren
darf. Unsere Institutionen und Reglemente
sind gut, aber die Frage ist, wie
alles im Einzelnen umgesetzt wird. Da
muss man halt den Finger drauf halten.
Ob es nun für die Betroffenen unangenehm
ist oder nicht. Das, was mir passiert
ist, ist unangenehmer. Viele in unserem
Sport sind beunruhigt, nicht nur ich. Deshalb
braucht es für die Wiederherstellung
des Vertrauens eine Aufarbeitung.
Solange das nicht der Fall ist und alles
beim Alten bleibt, ist eine weitere Zusammenarbeit
mit der SSI eine Herausforderung.
Um es salopp zu sagen:
Die Rettung für die Dopingfahnder
wäre ja, wenn Sie tatsächlich erwischt
würden, dann könnten alle sagen:
Seht ihr, der Flückiger.
Das ist definitiv so. Ich kann ja nicht auswählen
mit wem ich zusammenarbeiten
will. Ich muss mit der SSI weiterhin kooperieren.
Genau mit dieser Institution,
die diese Misere unter anderem zu ver-
«Man hätte mir
nichts schlimmeres
antun können.»
44 WURZEL 12 / 2023
HINTERGRUND
Der Dopingfall Mathias Flückiger
Am 18. August 2022 erhielten
Mathias Flückiger und Swiss Cycling
(der Radsport-Verband) Bescheid
über eine positive Dopingprobe mit
der anabolen Substanz Zeranol anlässlich
seines Schweizer Meistertitels
am 5. Juni 2022 in Leysin.
Mathias Flückiger wurde daraufhin
einen Tag vor dem geplanten Start
zur Europa-Meisterschaft in München
provisorisch gesperrt.
Von Beginn weg lief in diesem Fall
einiges schief. Weder hätte diese
Sperre öffentlich kommuniziert werden
dürfen, noch hätte die nationale
Antidoping-Agentur Swiss Sport Integrity
(SSI) gegenüber Fahrer und Radverband
von einer positiven Probe
sprechen dürfen.
Die entdeckte Kleinstmenge der
Substanz Zeranol von 0,3 Nanogramm
pro Milliliter liegt nämlich um
ein Vielfaches unterhalb eines
Schwellenwertes ab dem ein Test automatisch
positiv gewertet wird. Im
Fall des Olympiazweiten lautet der
korrekte Begriff ein «atypischer Befund»
und erfordert vertiefte Abklärungen.
Zudem hätte vor diesen
Abklärungen gemäss den Verfahrensrichtlinien
der Sportler
zwingend angehört werden
müssen. Was nicht geschah.
Die Disziplinarkammer des
Schweizer Sports hat am 18.
Dezember 2022 aufgrund dieser
Ungereimtheiten die provisorische
Sperre aufgehoben
und die Dopingbehörde angewiesen,
das Verfahren den Regeln
entsprechend durchzuführen.
Noch immer ist der Fall nicht abgeschlossen.
Der Entscheid, ob der
nächste Schritt ein Freispruch und
damit der Abschluss des Falles oder
ob das Verfahren weitergezogen
wird, ist noch nicht gefallen.
Mehrere Antidoping-Experten halten
Mathias Flückiger insbesondere
auch deshalb für unschuldig, weil eine
unangekündigte Trainingskontrolle
sechs Tage vor der SM einen negativen
Befund ergab. Dies sei ein starkes
Indiz dafür, dass Zeranol mittels
Lebensmittel-Kontamination in den
Körper des Mountainbikers gelangte.
Der erste Sieg nach der Sperre
an der Bike Revolution Serie.
«Nach diesen Geschehnissen
muss
gehandelt werden,
damit so etwas
in unserem Land
NIE wieder einem
Sportler passiert.»
antworten hat. Mit den gleichen Verantwortlichen,
die zig Fehler im Verfahrensablauf
gemacht haben. Wie soll ich
da ein gutes Gefühl haben, wenn ich getestet
werde? Zum einen sind es die Fehler,
die gemacht worden sind, zum andern
was daraus entstanden ist. Das alles
wird für die SSI vermutlich Konsequenzen
haben. Das Bewusstsein, dass ich dann
ja der Grund für diese Konsequenzen sein
werde, macht mir sehr Angst.
Wir sind von unserer ersten Frage etwas
abgekommen: Wie haben Sie das
alles überstanden? Was haben Sie daraus
gelernt?
Das sind gute Fragen, die ich nicht in einem
Satz beantworten kann. Ein wichtiger
Punkt: Ich habe eine Erfahrung machen
müssen, die vielen zum Glück
erspart bleibt: Die Erfahrung, wie es ist,
alles verloren zu haben, in der Öffentlichkeit
an den Pranger gestellt zu werden –
und noch vieles mehr.
Sie wissen nun wenigstens, was sie
aushalten können.
Ja, so ist es. Ich musste erfahren, was es
heisst, eine solche Krise zu überstehen.
Am Anfang stand die Verzweiflung. Mein
Leben schien zu Ende und ich wagte es
nicht einmal mehr einzukaufen. Es ging
nicht nur darum, dass meine ganze Leidenschaft,
alles, wofür ich jahrelang gelebt
habe, weggebrochen ist…
…man hat Ihren Lebensinhalt zerstört…
…ja, so können wir es sagen. Aber es ging
um viel mehr: Die ganze Sache ist ja von
der Öffentlichkeit nicht als Schicksalsschlag
wahrgenommen worden. Sondern
als gerechte Strafe für eine Verfehlung
meinerseits: Der Depp hat alle beschissen.
Statt Mitleid oder Mitgefühl nur Verachtung.
Die verlorene Ehre des Mättu
Flückiger.
Ja, so war es. Man hätte mir nichts
Schlimmeres antun können. Es hat mich
tief getroffen, zu erfahren, wie schnell
und wie gnadenlos man in der Öffentlichkeit
verurteilt wird. Und wie eine Beschuldigung
erhoben wird, ohne Rück-
sicht auf die Konsequenzen und Folgen
für die betreffende Person.
Aber zumindest die Verantwortlichen,
die diese Sache losgetreten haben, hätten
wissen müssen, welche Folgen die
voreilige Doping-Behauptung haben
wird.
Das ist so. Alle wussten, dass durch den
vorschnellen Schritt an die Öffentlichkeit
eine Krisensituation ausgelöst wird. Eigentlich
gehört zu gutem Krisenmanagement,
dass man eine Sache erst einmal
überschläft und dann eine so schwerwiegende
Entscheidung trifft. Wäre das so
gehandhabt worden, wäre das alles nicht
passiert. Die betreffenden Personen sagen,
die ganze Sache sei auch für sie
schwierig gewesen.
Zynismus pur.
Das haben Sie gesagt.
Sie haben einmal gesagt, Sie hätten
Suizid-Gedanken gehabt.
Zumindest sah ich keine Zukunft für mich.
Ich war extrem am Limit. Ich habe ein
WURZEL 12 / 2023 45
MATHIAS FLÜCKIGER
sehr gutes Umfeld und bin gut vernetzt.
Wäre das nicht der Fall, wäre ich vielleicht
nicht mehr hier. Ich bin ehrlich, ich kann
einfach nicht aufs Maul hocken. Das ist
manchmal nicht einfach für die Beteiligten,
aber alle wissen, woran man bei mir
ist, und das hat mir geholfen. Die, die mich
kennen, haben mir immer geglaubt.
Sie sagten, Sie hätten sich nicht einmal
mehr getraut, einzukaufen zu gehen.
Wann wagten Sie sich wieder in die Öffentlichkeit.
Zwei Wochen lang habe ich mich nicht
mehr unter die Leute gewagt.
Wo haben Sie sich aufgehalten?
Zuerst an einem sicheren Ort und dann
bei meiner Freundin. Nach und nach habe
ich mich wieder hervorgewagt. Ich ging
dorthin, wo ich mich schon immer wohl
gefühlt habe: In den Wald und habe Bike-
Trails gepflegt. Aber wenn ich mit meiner
Freundin im Auto unterwegs war, habe
ich, wenn wir irgendwo angehalten haben,
die Kapuze über den Kopf gezogen,
damit mich niemand erkennt.
Und wie lange dauerte es, bis Sie sich
wieder an die Öffentlichkeit wagten?
Sechs oder sieben Wochen lang trainierte
ich nicht mehr und anfänglich habe ich
mir fürs Training den Dress meines Bruders
ausgeliehen, um nicht erkannt zu
«Während den
Sommerferien ist
meine Leidenschaft
zurück gekehrt.»
werden. Ich wusste ja nicht einmal, ob es
überhaupt weitergehen, ob ich je wieder
Rennen fahren würde. Aber dann ist mir
klargeworden, dass es weitergehen wird,
dass es eine Chance gibt, und ich habe mir
gesagt: Fertig mit dem Versteckspiel. Ich
habe ja schlussendlich alles richtig gemacht.
Vorerst habe ich geschwiegen und
mich nicht öffentlich erklärt. Aus Prinzip
auch. Weil ich ja nichts Verbotenes getan
hatte und es nichts zu rechtfertigen gab.
Ich habe die Kraft gefunden zu sagen:
Warum mich verstecken? Ich laufe nicht
davon. Sonst müsste ich bis an mein Lebensende
dieser Situation davonlaufen
und auf meine Leidenschaft verzichten.
Das würde ich mir nie verzeihen. Meine
Rückkehr lässt sich in drei Phasen unterteilen.
Wahrscheinlich ist das bei jeder
Krise ähnlich.
Können Sie uns diese Phasen erklären?
Am Anfang steht eine tiefe Traurigkeit.
Alles, wofür man jahrelang gelebt hat,
scheint für immer verloren. Dann folgen
Trotz und Wut und daraus die Motivation:
Ich zeige es allen. Das hat mir Energie
gegeben und mich durch den letzten Winter
und im Frühjahr durch die ersten Rennen
getragen. Physisch war ich bereits im
Frühjahr wieder in bester Verfassung und
mit meinem harten Grind war ich dazu in
der Lage, in die Top Ten zu fahren. Aber
die Leidenschaft war noch nicht da, um
Rennen gewinnen zu können. Ich spürte,
dass irgendetwas fehlt und dass ich so
nicht mehr lange durchhalten würde. Ich
musste wieder lernen, in allem einen Sinn
zu sehen und mich auch an kleinen Dingen
zu freuen. Während der Sommerpause
sind die Leidenschaft und die Freude
zurückgekehrt und es ist, als habe sich ein
Knoten gelöst.
Aber ganz ist ja die ganze Sache nicht
abgeschlossen. Auch wenn es nur eine
Formsache scheint: Der finale Freispruch
steht noch aus.
Solange die Angelegenheit nicht ganz abgeschlossen
ist, trage ich weiterhin einen
Rucksack mit mir herum. Aber ich habe
gelernt, mit diesem Rucksack zu leben
und mich auf den Augenblick, die Gegenwart
zu konzentrieren und nicht ständig
dem Erfolg hinterherzurennen.
Ist der Mathias Flückiger nach allem,
was passiert ist, womöglich besser als
der frühere Mathias Flückiger?
Ich bin nicht mehr der gleiche wie vorher.
Zu wissen, was ich alles auszuhalten vermag,
gibt mir innere Ruhe, Selbstvertrauen
und Gelassenheit. Nach der Verletzung
im Sommer (Bänderriss am Daumen – die
Red.) ist die Welt für mich nicht mehr zusammengebrochen.
Ihr Fall ist zwar noch nicht abgeschlossen
und der finale Freispruch steht
noch aus. Aber die Sperre ist aufgehoben
worden, Sie durften diese Saison
wieder Rennen fahren und einer Fortsetzung
ihrer Karriere steht nichts
mehr im Wege. Ihr nächstes grosses
Ziel dürften die Olympischen Spiele im
nächsten Jahr in Paris sein?
Das ist so.
Die Schweiz hat für die Rennen bei den
Olympischen Spiele zwei Plätze. Eigentlich
müssten die zwei Fahrer für
Paris nominiert werden, die nächste
Saison bis zu den Olympischen Spielen
die besten Resultate herausgefahren
haben. Aber zwingend ist das nicht und
bei der Nominierung für Paris haben
auch Leute mitzureden, die für Ihren
Fall Verantwortung tragen. Könnte es
sein, dass Sie zwar sportlich mindestens
die Nummer zwei sein werden,
aber womöglich die sportliche Nummer
drei nominiert wird?
Nein, das kann ich mir nach allem, was
passiert ist, nicht vorstellen. So ein Schritt
würde niemand verstehen und käme in
der Öffentlichkeit nicht gut an.
46 WURZEL 12 / 2023
IN EIGENER SACHE
Leserbriefe
Viel Geld in den Sand gesetzt
Im Artikel «Der harte Kampf um die
Bahn» («Wurzel» 11/23)steht: «Langenthal
weigert sich 1886 als einzige
Gemeinde, sich am Huttwilbahnprojekt
zu beteiligen.»
Obgenannter Artikel hat mein Interesse
geweckt. 1867–1891 war Hans
Herzog Gemeindepräsident von Langenthal.
1873 hat die Gemeinde
250 000 Franken in das Nationalbahnprojekt
investiert. 1878 kam der
Konkurshammer. Viel Geld wurde in
den Sand gesetzt. Auch ein möglicher
Grund, dass sich Langenthal 1886
nicht am Huttwilbahnprojekt beteiligen
mochte.
Ich habe 62 Jahre an der Herzogstrasse
in Langenthal gewohnt. Im
Laufe der Zeit habe ich gemerkt, dass
der Namengeber nicht General Herzog
ist, sondern Hans Herzog aus Langenthal.
Eine Gedenktafel auf dem Friedhof
erinnert an ihn. Er hat der Gemeinde
das Land vor seinem Wohnhaus
geschenkt, mit der Auflage, dort
die neue Markthalle zu bauen. Die Erschliessungsstrasse
hat den Namen
Herzogstrasse gekriegt.
Als ich der Geschichte von Langenthals
Herzogstrasse nachging, tauchte
ich in spannende vergangene Zeiten
ein. Der Artikel im «Wurzel» liess
mich erneut eintauchen. Vielen Dank!
Beste Grüsse
Samuel Ludes
IMPRESSUM
Frank Kaeser dichtet
Brückenbauerinnen
So manches schaut oft einfach aus,
doch manches fordert auch heraus.
Es will uns öfters mal brüskieren,
manchmal muss man was riskieren.
Tränen hat man im Gesicht,
es klappte mal was wieder nicht.
Schmerzen kennt man zur Genüge,
des Öftern hört man eine Lüge.
Sorgen drücken dich vielleicht,
das Leben fällt nicht immer leicht.
Die Arbeit geht nicht recht voran,
Zweifel gibt es ab und an.
Man fragt dann sicher nicht
vergebens,
des Öftern nach dem Sinn
des Lebens.
Ich denke, wer das Leben meistert,
ist des Öftern auch begeistert.
In diesem Sinne alles Gute,
hab zum Leben etwas Mute.
Zum Leben braucht es sicher Mut,
ein König, wer es meistern tut.
Gewinnerin oder Gewinner des WURZEL-
Wettbewerbs aus der letzten Ausgabe:
Erika Ruch, Lotzwil Teilnehmerzahl (gesamt): 482
Herausgeber: WURZEL Verlag GmbH, Schultheissenstrasse 2A,
4950 Huttwil, Tel. 062 530 41 26, info@wurzel.ch, www.wurzel.ch
Redaktion: Bruno Wüthrich, Klaus Zaugg (freier Mitarbeiter),
Marcel Bieri (freier Mitarbeiter) | Geschäftsleitung: Sebastian Wüthrich
Kundenberatung: Nick Hafner, Alice Travaglini | Layout: tnt-graphics AG,
www.tnt-graphics.ch | Auflage: 43 500 Exemplare | Erscheinung:
monatlich | Druck: Swissprinters AG, 4800 Zofingen | Versand: Die Post
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WURZEL 12 / 2023 47
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