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frei.e.buerger38617
von frei.e.buerger38617 Mehr von diesem Publisher
07.02.2024 Aufrufe

Foto: Andreas Schwarzkopf / commons wikimedia / CC BY-SA 3.0 Abb.: Rotteck-Gymnasium Freiburg DAS SCHULSYSTEM AM GYMNASIUM G8, G9 oder doch etwas anderes? Die Debatte aus meiner Sicht Hallo, ich bin Ida und ich mache mein zweiwöchiges Sozialpraktikum hier beim FREIeBÜRGER. Ich gehe in die 10. Klasse auf dem Rotteck-Gymnasium. Ich habe mich gefragt, welches Thema mich im Moment beschäftigt, und bin ziemlich schnell auf mein Schulsystem gestoßen, an dem es noch einigen Verbesserungsbedarf gibt, wie ich finde. Bis 2015 wurde in fast allen Bundesländern die Schulform G8, also ein Abitur nach 12 Jahren, eingeführt. In vielen Bundesländern wurde diese Entscheidung inzwischen jedoch wieder rückgängig gemacht, allerdings nicht in Baden-Württemberg. Hier haben immer noch etwa 90 % der allgemeinbildenden Gymnasien das G8-Modell. Inzwischen ist eine hitzige Debatte darüber losgebrochen, ob die Gymnasien in Baden-Württemberg zu G9, also einem Abitur nach 13 Jahren, zurückkehren sollen. Es gab sogar einen Volksantrag, der, von Eltern gestartet, die Umstellung auf G9 fordert. Ich werde zwar vermutlich nicht mehr von einer möglichen Änderung betroffen sein, trotzdem habe ich bemerkt, dass das Thema bei mir an der Schule in letzter Zeit an Relevanz gewonnen hat. Doch was ist besser für uns SchülerInnen? G8, G9 oder vielleicht doch etwas ganz anderes? Zunächst einmal ist wichtig zu wissen, dass G8 damals nur eingeführt wurde, um Deutschland wettbewerbsfähiger zu machen und den Fachkräftemangel zu mindern. Denn wer früher mit der Schule fertig ist, so war die Überlegung, steigt früher in den Arbeitsmarkt ein und entlastet nebenbei auch noch die Sozialversicherungen. In der Realität funktioniert das Ganze allerdings nicht so gut, denn viele SchülerInnen gehen nach dem Abitur erst einmal auf Reisen oder nehmen sich ein Jahr frei, anstatt direkt zu arbeiten oder zu studieren. Das ist auch mein Plan, denn nach zwölf so stressigen Jahren braucht man erst mal eine Pause. Einer der größten Kritikpunkte am G8-System ist der Stress. Während man bei G9 durchschnittlich 29 Wochenstunden hat, sind es bei G8 im Durchschnitt 33, denn die gleiche Anzahl an Stunden muss in eine kürzere Schulzeit 18 FREIeBÜRGER 08/09 | 2023

gepackt werden. Und da in den jüngeren Jahrgangsstufen möglichst auf Nachmittagsunterricht verzichtet wird, führt das in späteren Jahren zu etwa 37 Wochenstunden, wie ich es habe. Empfohlen werden höchstens 36. Und zusammen mit Hausaufgaben und Lernen für Klassenarbeiten bleibt nachmittags nicht mehr viel Zeit, um andere Sachen zu machen, wie etwa Freunde zu treffen oder Hobbys nachzugehen. Schule soll uns aufs Leben vorbereiten. Aber wie geht das, wenn man vor lauter Lernen gar nicht mehr viel vom Leben mitbekommt? G8 verstärkt außerdem die Leistungsunterschiede. Gute SchülerInnen schreiben noch bessere Noten, schlechte SchülerInnen noch schlechtere. Dadurch verstärken sich Konkurrenzdenken und Leistungsdruck noch mehr, die vom Gymnasium, so scheint es mir, sowieso schon stark gefördert werden. Es wird vermittelt, dass gute Noten eine sehr wichtige Sache sind und eben auch das Gefühl, dass man mit schlechteren Noten „schlecht“ ist. Das zieht allerdings mehr das Selbstbewusstsein nach unten, als den Notenschnitt nach oben. Denn wir sind mehr als unsere Noten, jede/r von uns hat Talente und Schwächen, die man nicht in einer Zahl darstellen kann. Von G9 erhofft man sich die Lösung dieser Probleme – weniger Stress, mehr Freizeit. Die Oberstufe dauert hier drei statt zwei Jahre, falls Sie das Abi vor der Jahrhundertwende gemacht haben, erinnern Sie sich vermutlich noch daran. Mehr Zeit zum Lernen und zum Verstehen. Bei der Stoffmenge, die wir in der Schule lernen müssen, bleibt bei G8 keine Zeit zum Verstehen. Es geht nur noch darum, die Sachen für die Klassenarbeit auswendig zu lernen, danach vergisst man alles wieder. Es zu verstehen, die Mühe machen sich nicht mehr so viele. Die Grundlagen werden nicht gefestigt, sondern nur mit weiteren Themen und Informationen überschüttet. Die Universitäten beschweren sich schon seit längerem, dass die Allgemeinbildung fehlt. Indem die Defizite, auch noch aus der Corona-Zeit, oft einfach ignoriert werden oder keine Zeit bleibt, sie aufzuholen, wird dem nicht entgegengewirkt. Sogar Hitzefrei wurde gekürzt, weil wir wegen der Pandemie schon genug Unterricht verpasst hätten. Eine Umstellung auf G9 würde den Lehrplan wenigstens entzerren. Wenn wir schon beim Thema Lehrplan sind – werde ich die Verschiebung einer Sinus- oder Kosinusfunktion jemals in meinem Leben brauchen? Vermutlich nicht. Und auch ein Gedicht zu analysieren, muss ich nicht jedes Jahr wiederholen. Es könnten so viele Themen vom Lehrplan gestrichen werden, die vermutlich die meisten von uns nie mehr brauchen werden. Lernen funktioniert nur mit Motivation. Wenn mich ein Thema wirklich interessiert, dann arbeite ich gerne daran und habe auch Spaß dabei. Wie wäre es denn mal mit etwas sinnvollem Unterricht Abb.: Praktikantin Ida Foto: Ellen oder der Vermittlung sozialer Kompetenzen? In Finnland etwa gibt es die Fächer „Backen und Kochen“ und „Lebenskompetenzen“. Die Schule sollte ein Ort sein, wo man sich als Person weiterentwickeln kann und sich eine eigene Meinung zu diversen Themen bilden kann. Wir brauchen Diskussionen und Akzeptanz, Kompromisse und Toleranz, Argumentationen und Austausch. Wie soll eine Gesellschaft funktionieren, wenn uns schon in der Schule nur Gehorsam und Fleiß beigebracht werden? Gerade in gesellschaftlich kritischen Zeiten sind soziale Kompetenzen essenziell und helfen mehr als so manche mathematische Formel. Eine Verkürzung oder generelle Umstrukturierung des Lehrplans würde auch G8 plausibler machen und sowohl SchülerInnen als auch LehrerInnen entlasten. Vielleicht sollten wir uns einmal eine ganz grundsätzliche Frage stellen: Was soll Schule erreichen? Wollen wir eine möglichst akademische Bildung der Gesellschaft? Oder wollen wir die SchülerInnen gut auf ihre Zukunft vorbereiten? Foto: Felix Groteloh Ida FREIeBÜRGER 08/09 | 2023 19

Foto: Andreas Schwarzkopf / commons wikimedia / CC BY-SA 3.0<br />

Abb.: Rotteck-Gymnasium Freiburg<br />

DAS SCHULSYSTEM AM GYMNASIUM<br />

G8, G9 oder doch etwas anderes? Die Debatte aus meiner Sicht<br />

Hallo, ich bin Ida und ich mache mein zweiwöchiges<br />

Sozialpraktikum hier beim FREIeBÜRGER. Ich gehe in die<br />

10. Klasse auf dem Rotteck-Gymnasium. Ich habe mich<br />

gefragt, welches Thema mich im Moment beschäftigt,<br />

und bin ziemlich schnell auf mein Schulsystem gestoßen,<br />

an dem es noch einigen Verbesserungsbedarf gibt, wie<br />

ich finde.<br />

Bis 2015 wurde in fast allen Bundesländern die Schulform<br />

G8, also ein Abitur nach 12 Jahren, eingeführt. In vielen<br />

Bundesländern wurde diese Entscheidung inzwischen<br />

jedoch wieder rückgängig gemacht, allerdings nicht in<br />

Baden-Württemberg. Hier haben immer noch etwa 90 %<br />

der allgemeinbildenden Gymnasien das G8-Modell. Inzwischen<br />

ist eine hitzige Debatte darüber losgebrochen,<br />

ob die Gymnasien in Baden-Württemberg zu G9, also<br />

einem Abitur nach 13 Jahren, zurückkehren sollen. Es gab<br />

sogar einen Volksantrag, der, von Eltern gestartet, die<br />

Umstellung auf G9 fordert. Ich werde zwar vermutlich<br />

nicht mehr von einer möglichen Änderung betroffen sein,<br />

trotzdem habe ich bemerkt, dass das Thema bei mir an<br />

der Schule in letzter Zeit an Relevanz gewonnen hat. Doch<br />

was ist besser für uns SchülerInnen? G8, G9 oder vielleicht<br />

doch etwas ganz anderes?<br />

Zunächst einmal ist wichtig zu wissen, dass G8 damals<br />

nur eingeführt wurde, um Deutschland wettbewerbsfähiger<br />

zu machen und den Fachkräftemangel zu mindern.<br />

Denn wer früher mit der Schule fertig ist, so war die<br />

Überlegung, steigt früher in den Arbeitsmarkt ein und<br />

entlastet nebenbei auch noch die Sozialversicherungen.<br />

In der Realität funktioniert das Ganze allerdings nicht so<br />

gut, denn viele SchülerInnen gehen nach dem Abitur erst<br />

einmal auf Reisen oder nehmen sich ein Jahr frei, anstatt<br />

direkt zu arbeiten oder zu studieren. Das ist auch mein<br />

Plan, denn nach zwölf so stressigen Jahren braucht man<br />

erst mal eine Pause.<br />

Einer der größten Kritikpunkte am G8-System ist der<br />

Stress. Während man bei G9 durchschnittlich 29 Wochenstunden<br />

hat, sind es bei G8 im Durchschnitt 33, denn die<br />

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