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Mai_Ausgabe

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25. Jahrgang<br />

<strong>Mai</strong> 2023<br />

2,10 €, davon 1,- €<br />

für die VerkäuferInnen<br />

UNABHÄNGIGE STRASSENZEITUNG FÜR FREIBURG UND DAS UMLAND<br />

ZUR UNTERSTÜTZUNG VON MENSCHEN IN SOZIALEN NOTLAGEN<br />

INTERVIEW MIT OLAF SCHOLZ<br />

Niemand darf gegeneinander<br />

ausgespielt werden<br />

IM GESPRÄCH MIT...<br />

Thomas Becker von der Ombudsstelle<br />

für wohnungslose Menschen<br />

WOMEN IN THE DARK<br />

Aufruhr des Schweigens


INHALT<br />

3<br />

VORWORT<br />

23<br />

MITMACHSEITE<br />

4<br />

RECHT AUF STADT<br />

24<br />

BUCHTIPPS<br />

6<br />

900 JAHRE ARMUT IN FREIBURG<br />

25<br />

KOCHEN<br />

10<br />

INTERVIEW MIT OLAF SCHOLZ<br />

26<br />

SPORT<br />

13<br />

WOMEN IN THE DARK<br />

28<br />

KRIMI 35. FOLGE<br />

14<br />

IM GESPRÄCH MIT THOMAS BECKER<br />

30<br />

RÄTSEL<br />

18<br />

WER HAT AN DER UHR GEDREHT?<br />

31<br />

ÜBER UNS<br />

20<br />

ROLLENTAUSCH<br />

22<br />

VERKÄUFER JÜRGEN<br />

OHNE IHRE UNTERSTÜTZUNG<br />

GEHT ES NICHT<br />

Liebe LeserInnen,<br />

um weiterhin eine<br />

interessante Straßenzeitung<br />

produzieren und Menschen<br />

durch ihren Verkauf einen<br />

Zuverdienst ermöglichen<br />

zu können, benötigen<br />

wir Ihre Hilfe.<br />

Vielen Dank!<br />

Spendenkonto:<br />

DER FREIeBÜRGER e. V.<br />

IBAN: DE80 6809 0000 0002 4773 27<br />

BIC: GENODE61FR1<br />

Denken Sie bitte daran, bei einer Überweisung Ihren Namen<br />

und Ihre Anschrift für eine Spendenbescheinigung anzugeben.<br />

2<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023


Liebe LeserInnen,<br />

die Zeit schreitet unaufhaltsam voran. Wir haben bereits<br />

<strong>Mai</strong> und somit stehen wir nur noch einen Monat vor<br />

unserem 25. Geburtstag. Da frage ich mich doch schon<br />

wieder, wo die ganze Zeit hin ist... Aber das ist Zukunftsmusik,<br />

im Hier und Jetzt gestalten wir erst einmal diese<br />

<strong>Ausgabe</strong>.<br />

Und die möchte ich gleich zu Beginn für ein Dankeschön<br />

nutzen an eine nette Leserin, die mir ihre Karte für das<br />

Spiel SC Freiburg gegen Schalke 04 geschenkt hat. Da<br />

saß ich diesmal zwar als Schalker mitten unter Sportclub-Fans,<br />

aber ich hatte ganz nette Unterhaltung neben<br />

mir. Mehr vom Spiel gibt es natürlich im Sport... Auf diesem<br />

Weg also nochmals vielen Dank!<br />

In ein paar Tagen steht der 1. <strong>Mai</strong> ins Haus und angesichts<br />

der derzeitigen Lage und der Krisen in und außerhalb<br />

Deutschlands sollten wir den Kampf- und Feiertag der<br />

Werktätigen mal wieder nutzen, um für unsere Rechte<br />

auf die Straße zu gehen. Wer keine langen Protestmärsche<br />

mitmachen will, der kann den Tag auch auf dem<br />

Stühlinger Kirchplatz verbringen, dort wird wie in jedem<br />

Jahr allerlei geboten. Es gibt wie immer eine große Kundgebung<br />

mit anschließender Demo, es werden wie immer<br />

jede Menge Infostände zum 1. <strong>Mai</strong> da sein und für das<br />

leibliche Wohl ist natürlich auch gesorgt. Wir als Verein<br />

„DER FREIeBÜRGER“ werden übrigens auch mit einem<br />

Stand vertreten sein! Nun muss nur noch das Wetter<br />

mitspielen, doch an einem 1. <strong>Mai</strong> in Freiburg hat man da<br />

eigentlich meistens Pech. Egal, wenn Sie nichts Besseres<br />

zu tun haben, schauen Sie doch mal bei uns vorbei.<br />

Neulich hat es mich doch fast vom Stuhl gehauen, als ich<br />

aus der Zeitung erfuhr, dass in Deutschland die Lebensmittelpreise<br />

im vergangenen Jahr um mehr als 20 %<br />

gestiegen sind und dass die Profitgier der Lebensmittelproduzenten<br />

daran Schuld sei. Unglaublich! Natürlich<br />

liegt ein großer Teil der Preissteigerung an gestiegenen<br />

Rohstoff- und Energiepreisen, für die der Hersteller kaum<br />

etwas kann. Doch mehr als ein Drittel der letzten Preiserhöhung<br />

lässt sich damit nicht mehr erklären. Der Inflationsexperte<br />

Andy Jobst von Allianz Trade hat festgestellt:<br />

„Es scheint zunehmend Anzeichen für Gewinnmitnahmen<br />

zu geben...!“ Die deutschen Verbraucherzentralen<br />

gehen sogar noch einen Schritt weiter, indem sie sagen:<br />

„Manche Preissteigerungen bei Lebensmitteln sind weder<br />

gerechtfertigt noch nachvollziehbar!“ (BZ: 25.04.2023)<br />

Die Verbraucherzentralen empfehlen nun der Politik und<br />

dem Kartellamt, einen kritischen Blick auf Handel und<br />

Lebensmittelproduzenten zu werfen. Doch wird das reichen?<br />

Oder andersherum, was wird man tun? Der Handel<br />

schiebt die Schuld den Herstellern zu. Diese wiederum<br />

weisen die Schuld von sich und verweisen darauf, dass im<br />

Jahr 2022 die Gewinnmarge deutlich zurückgegangen sei.<br />

Doch wenn die nur zurückgegangen ist und nicht ganz<br />

weg, dann machen die Unternehmen doch immer noch<br />

Gewinn! Reicht denen das nicht? Scheinbar nicht, anders<br />

sind die Preise in Lebensmittelgeschäften und Supermärkten<br />

nicht zu erklären. Die führenden Großhändler<br />

in Deutschland, EDEKA und REWE, hatten ja schon damit<br />

begonnen, Marken von Erzeugern aus den Regalen zu<br />

nehmen, die die Preise ungerechtfertigt in die Höhe<br />

treiben. Leider war das nur eine Momentaufnahme, die<br />

Artikel sind inzwischen wieder erhältlich und die Preise<br />

sind immer noch ziemlich hoch. Haben sich die Regeln<br />

geändert oder war der Druck der großen Konzerne einfach<br />

zu hoch?<br />

Fakt ist, die Preise für Lebensmittel sind immer noch<br />

enorm hoch und das ist besonders für Menschen mit<br />

geringem Einkommen bzw. staatlichen Transferleistungen<br />

ein riesiges Problem. Und das wird tagtäglich größer.<br />

Je näher man auf den Monatsletzten zusteuert, umso<br />

schwieriger wird es, sich Lebensmittel leisten zu können.<br />

Da müssen Politik und Kartellamt endlich einschreiten!<br />

Einen kritischen Blick darauf werfen, kann da eben nicht<br />

mehr genügen. Es kann doch nicht sein, dass sich ein paar<br />

Konzerne über sämtliche Gesetze und vor allem über alle<br />

moralischen Regeln hinwegsetzen und an der Not eines<br />

Großteils der Bevölkerung verdienen. Da muss etwas passieren,<br />

und zwar jetzt und nicht, wenn der Krieg irgendwann<br />

einmal vorbei ist!<br />

So, das war es schon wieder, wir wünschen Ihnen viel<br />

Spaß mit der neuen <strong>Ausgabe</strong> und besuchen Sie uns doch<br />

am 1. <strong>Mai</strong> auf dem Stühlinger Kirchplatz!<br />

Carsten<br />

Anzeige<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023 3


FREIBURG – STADT FÜR ALLE?!<br />

ASYLBEWERBERLEISTUNGSGESETZ ABSCHAFFEN –<br />

WOHNUNGEN STATT LAGER<br />

Vor 30 Jahren, am 26. <strong>Mai</strong> 1993, wurde im Rahmen des sogenannten<br />

„Asylkompromisses“ nicht nur das Grundrecht<br />

auf Asyl ausgehöhlt, sondern auch das ausgrenzende<br />

Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) eingeführt. Obwohl<br />

das gesetzliche Existenzminimum für BezieherInnen<br />

von Bürgergeld (Hartz IV) bereits niedrig gerechnet wird<br />

und nicht für ein menschenwürdiges Leben ausreicht,<br />

erhalten Personen im AsylbLG noch weniger als das staatlich<br />

festgelegte Existenzminimum.<br />

Baden-Württemberg und insbesondere auch Freiburg<br />

stechen in diesen Debatten als Vorreiter der restriktiven<br />

Politik gegen AsylbewerberInnen heraus. So erließ das<br />

CDU-geführte Landesinnenministerium – ohne Druck der<br />

Bundesregierung – einen Erlass am 28.07.1980, welcher<br />

zur Folge hatte, dass ab dem 15.09.1980 Sammellager, Arbeitsverbot,<br />

Sachleistungsversorgung und Wohnsitzauflage<br />

eingeführt wurden. Die ersten Sammellager befanden<br />

sich zu dem Zeitpunkt in Konstanz, Tübingen, Donaueschingen<br />

und Karlsruhe. In Karlsruhe wurde zudem die<br />

„Zentrale Anlaufstelle für Flüchtlinge“ (ZASt) eingerichtet.<br />

Bis zu dem Zeitpunkt der Arbeitsverbote sorgten ca. 80 %<br />

der Asylsuchenden selbst für ihren Lebensunterhalt, was<br />

nun für viele nicht mehr möglich war. Baden-Württemberg<br />

ließ es sich ordentlich kosten, Asylsuchende von der<br />

Gesellschaft zu trennen, zu isolieren und zu unterdrücken.<br />

So überstiegen die anfallenden Kosten von durchschnittlich<br />

1.054 DM pro Kopf und Monat bei weitem den<br />

Sozialhilfesatz bei individuellem Wohnen.<br />

Auch in Freiburg wurde 1980 ein Sammellager installiert.<br />

Die BewohnerInnen bekamen keine Sozialhilfeleistungen<br />

mehr. Neben den genannten Punkten galt auch ein<br />

Kochverbot. Bis Ende 1987 gab es nur fertig gekochtes<br />

Essen. Danach Essenspakete. Dagegen gab es Protest. Im<br />

April 1988 wurde ein Hungerstreik von BewohnerInnen<br />

der Idingerstraße in Freiburg organisiert. Im selben Jahr<br />

scheiterte die Sammellager-Politik von Baden-Württemberg.<br />

1993 wurde in Freiburg dann ein „Modellprojekt“,<br />

ein Sammellager im Stadtteil Vauban, vom Land etabliert.<br />

Darin sollte ein Asyl-Schnellverfahren stattfinden. Es gab<br />

Demonstrationen, Haus- und Dachbesetzungen gegen<br />

das Lager. Wieder nur Fremdversorgung, Arbeitsverbot<br />

RECHT-AUF-STADT-NEWSLETTER<br />

Mit unserem RaS-Newsletter<br />

informieren wir einmal im Monat<br />

über „Recht auf Stadt“-Themen.<br />

Wer Infos will, einfach E-<strong>Mai</strong>l an:<br />

info@rechtaufstadt-freiburg.de<br />

Homepage: www.rechtaufstadt-freiburg.de<br />

Termine und Links<br />

- Aktuelle Termine: tacker.fr<br />

- Tipps für die sozialrechtliche Selbstverteidigung in<br />

Zeiten der Inflation gibt es bei der FAU:<br />

https://freiburg.fau.org<br />

und eine minimale Krankenversorgung. Die BewohnerInnen<br />

protestierten mit Sitz-, Hungerstreiks und Boykottaktionen.<br />

Ab 1993 galt dann bundesweit das Asylbewerberleistungsgesetz.<br />

2003 hat die Stadt Freiburg selbst ein<br />

Rechtsgutachten zum AsylbLG in Auftrag gegeben. Das<br />

Ergebnis: Eine Sachleistungsgewährung über einen Zeitraum<br />

von mehr als drei Monaten stellt nach verbreiteter<br />

Ansicht eine unzulässige Diskriminierung dar.<br />

Die Einrichtung der Landeserstaufnahmestelle in Freiburg<br />

ist ein Rückfall in die Politik der 1990er Jahre. 42 Jahre<br />

Lagerleben von Geflüchteten in Freiburg stehen für eine<br />

strukturelle Ausgrenzung von Menschen auf der Flucht.<br />

Mit dem AsylbLG wurden weitere Einschränkungen<br />

bei der medizinischen Behandlung und eine mögliche<br />

Verpflichtung zur gemeinnützigen Arbeit für 80 Cent/h<br />

eingeführt.<br />

Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag festgelegt,<br />

sie wolle das „Asylbewerberleistungsgesetz im Lichte der<br />

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiterentwickeln“.<br />

Für uns kann eine „Weiterentwicklung“ nur<br />

bedeuten, dass die Bundesregierung endlich aufhört,<br />

Menschen in ein Leben unter dem gesetzlich festgelegten<br />

Existenzminimum und in ein staatlich diktiertes<br />

Sachleistungssystem zu zwingen. Daher sagen wir:<br />

30 Jahre sind genug! Wir fordern die Abschaffung des<br />

Asylbewerberleistungsgesetzes!<br />

Am 26. <strong>Mai</strong> soll in Freiburg eine Demonstration stattfinden,<br />

auf asylbewerberleistungsgesetz-abschaffen.de kann<br />

ein offener Brief unterschrieben werden.<br />

4<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023


STADT-FÜR-ALLE-NACHRICHTEN (RÜCKBLICK VOM 15. MÄRZ BIS 15. APRIL)<br />

[FR] TOURISTIFIZIERUNG DES COLOMBIPARKS<br />

Die Umgestaltung des Colombiparks hat begonnen. Der<br />

Platz für Drogenabhängige wird von der östlichen auf die<br />

westliche Seite des Parks verlegt, obwohl es dort deutlich<br />

mehr AnwohnerInnen gibt. Das zeigt: Wenn AnwohnerInneninteressen<br />

mal quer zum Plan für eine tourismusfreundliche<br />

Clean City liegen, ignoriert die Stadt sie<br />

gerne. Hauptsache der Blick vom Colombi Hotel und dem<br />

Rotteckring wird nicht durch die soziale Realität gestört.<br />

Zudem nimmt die Kommerzialisierung des Parks durch<br />

den ausgedehnten Weihnachtsmarkt und Feierabendmärkte<br />

weiter zu. Aber wenn dann ein neuer Kinderspielplatz<br />

die Neugestaltung abrundet, kann doch niemand<br />

was gegen das Projekt haben? – Doch!<br />

[FR] SANIERUNG BREISACHER HOF<br />

Die Sanierung der ehemaligen Kasernenanlage Breisacher<br />

Hof durch die Freiburger Stadtbau hat begonnen. Wieder<br />

einmal erwartet die MieterInnen im Falle der Wiederkehr<br />

in die sanierten Wohnungen eine über die Jahre verteilte<br />

ordentliche Mieterhöhung. Unverständlich ist, dass bei<br />

der Sanierung von neun 5-Zimmer-Wohnungen vier wegfallen,<br />

obwohl gerade für größere Familien in Freiburg<br />

kaum Wohnraum zur Verfügung steht.<br />

ENERGIEWENDE SELBER MACHEN<br />

Eine Petition an den Bundestag, die das Quorum von<br />

50.000 Unterschriften locker überschritt, fordert eine<br />

erleichterte Installation von Balkonsolaranlagen. Bisher<br />

würden Netzbetreiber mit unsinnigen Vorgaben verunsichern<br />

und VermieterInnen/ EigentümerInnengemeinschaften<br />

Balkonsolaranlagen aus „optischen Gründen“<br />

ablehnen. Die Freiburger Stadtbau, so eine Forderung, solle<br />

ihre Häuser standardmäßig mit Balkonsolar bestücken.<br />

LEBENSMITTEL IMMER TEURER<br />

Lebensmittel werden immer teurer. Zwar liegt die Inflation<br />

im Gesamten im März bei immer noch extrem hohen<br />

7,4 %, nicht aber mehr, wie zuvor, bei 8,7 %. Doch gerade<br />

bei Nahrungsmitteln gab es noch mal einen rasanten<br />

Preisanstieg. Diese verteuerten sich im Vergleich zum<br />

Vormonat um 22,3 %. Molkereiprodukte und Eier wurden<br />

um 34,6 % teurer, Gemüse um 27,3 %, Brot und Getreideerzeugnisse<br />

um 23,8 %. Da man im Gegensatz zur Urlaubsreise<br />

oder dem Luxusprodukt aufs Essen nicht verzichten<br />

kann, trifft dieser Preisanstieg wieder einmal insbesondere<br />

ärmere Menschen, die oftmals nicht mehr wissen, wie<br />

sie über die Runden kommen sollen.<br />

VONOVIA-RAZZIA BESTÄTIGT FALSCHES<br />

ABRECHNUNGSSYSTEM<br />

Beim größten Wohnungsunternehmen Deutschlands,<br />

das auch in Freiburg rund 3.000 Wohnungen besitzt,<br />

fand im März eine Razzia statt. Vier Personen wurden in<br />

Untersuchungshaft genommen. Zwei Mitarbeiter aus<br />

dem mittleren Management des Wohnungskonzerns sollen<br />

nach WDR und SZ seit 2011 Zuwendungen im Wert von<br />

zusammen rund einer halben Million Euro angenommen<br />

haben. Im Raum steht, dass Bau- und Handwerksfirmen<br />

dafür Aufträge in Millionenhöhe zugeschanzt bekommen<br />

haben. Dabei geht es mutmaßlich um die Nebenkostenund<br />

die Modernisierungskostenabrechnung, die Grundlage<br />

für die Mieterhöhung nach Modernisierung sind. „Die<br />

Art und Weise, wie die Vonovia ihre Abrechnung darstellt,<br />

begünstigt Korruption“, so Knut Unger, kritischer Aktionär<br />

bei der Vonovia. MieterInnenvertreterInnen fordern schon<br />

lange transparente Abrechnungen und verlangen nach<br />

der Razzia sämtliche Modernisierungs- und Betriebskostenabrechnungen<br />

der letzten zehn Jahre zu überprüfen.<br />

„Was die Vonovia uns als Rechnungen präsentiert, das<br />

sind keine Rechnungen über die tatsächlichen Leistungen<br />

und damit wird dem Missbrauch und der Überhöhung<br />

Tür und Tor geöffnet.“<br />

[ZH] WALD STATT SCHUTT<br />

Unter dem Motto „Wald statt Schutt“ hatten AktivistInnen<br />

bei Zürich ein Waldstück besetzt. Die Besetzung wurde<br />

polizeilich geräumt. Im Rümlanger Wald sollen elf Hektar<br />

und ca. 6.000 Bäume einer Bauschutthalde weichen. In<br />

der Deponie Chalberhau werden Überreste von abgerissenen<br />

Gebäuden gelagert. In Zürich wurden in den<br />

Jahren 2021 und 2022 insgesamt etwa 3.000 Wohnungen<br />

abgerissen. Tendenz ist klar steigend. Auffallend sei, so<br />

die AktivistInnen, dass die „Lebensdauer“ einer Wohnung<br />

immer kürzer wird. Gebäude würden abgerissen, um<br />

neuere, teurere Luxushäuser hinzustellen. Zudem wird<br />

auf die katastrophale Klimawirkung von Beton aufmerksam<br />

gemacht. Die Herstellung von Beton und Zement<br />

verursache jährlich acht Prozent der globalen CO₂-Emissionen.<br />

Wald statt Schutt erklärt: „Es muss sofort damit<br />

aufgehört werden, neue Gebäude zu bauen, die nicht<br />

dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“<br />

[FR] KEIN GELD FÜR ANTIMILITARISTIN<br />

Das den Militaristen der Wilhelminischen Reichsgründung<br />

gewidmete „Siegesdenkmal“ wurde mit Pomp und<br />

finanziellem Aufwand an die Karlskaserne verlegt. Für<br />

eine bescheidene Gedenkstelle zur Erinnerung an Rosa<br />

Luxemburgs Rede gegen den 1. Weltkrieg vor tausenden<br />

Menschen im Stadtgarten reichte es auch im Freiburger<br />

Doppelhaushalt 2023/2024 wieder einmal nicht. Die<br />

Eine-Stadt-Für-Alle-Fraktion hatte einmalig 30.000 Euro<br />

beantragt.<br />

Weiterführende Links zu den Meldungen<br />

findet Ihr wie immer auf der Homepage<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023 5


Abb.: Französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789<br />

900 JAHRE ARMUT IN FREIBURG<br />

Armenwesen und Pflege in Freiburg (Teil 27)<br />

Foto: Wikipedia<br />

In der letzten <strong>Ausgabe</strong> beschrieb ich das (einstweilige)<br />

Ende von Krieg, Belagerungen und Zerstörung in Freiburg,<br />

die beginnenden Reformen der Habsburger in der<br />

Stadt und den wachsenden Unmut der Bevölkerung,<br />

der schließlich im „Freiburger Weiberkrieg“ gipfelte. In<br />

dieser Folge geht es weiter mit den Reformen und mit<br />

eventuellen Auswirkungen der Französischen Revolution<br />

im Breisgau.<br />

DIE STADT FREIBURG NACH KRIEGEN UND<br />

BELAGERUNGEN<br />

Nach all den Kriegen und der Zerstörung, nach Tod und<br />

Elend über viele Jahre, sah es in der Mitte des 18. Jahrhunderts<br />

ziemlich hoffnungslos aus in der Stadt. Es funktionierte<br />

fast nichts mehr, die Menschen waren verarmt<br />

und es gab kaum Nahrung. Man musste schon ein großer<br />

Optimist sein, um trotzdem in Freiburg zu bleiben. Ein<br />

Freiburger Stadtschreiber notierte am 3. April 1745:<br />

„...seint alle Häuser rings um die Statt, so nahe ahn der<br />

Fortification gelegen, totaliter ruiniert, vil die mehriste<br />

Gebäw mehr durch Sprengung als durch so harthe Belagerung<br />

undt Bombardierung erlitten.“ Das war wohl eine<br />

letzte Beschwerde an das französische Militär, das vor<br />

dem Abzug 1745 sehr viele Wohnhäuser zerstörte, als man<br />

die eigenen Festungsanlagen sprengte. Danach waren<br />

die Stadt und ihre BewohnerInnen zwar wieder frei, doch<br />

wieder einmal standen sie vor einer zerstörten Stadt und<br />

wieder einmal mussten sie von vorn beginnen.<br />

Angesichts der großen Zerstörungen hört es sich<br />

wahrscheinlich zynisch an, doch die Schleifung und der<br />

Abriss der Festungsanlagen war das beste, was Freiburg<br />

passieren konnte und das gleich in mehrfacher Hinsicht.<br />

Denn zum Festungsbau selbst, den nicht enden<br />

6<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023


wollenden Reparaturen vor, nach und vor allem während<br />

der Schlacht, wurden fast ausschließlich EinwohnerInnen<br />

Freiburgs herangezogen. Das fiel nun weg und war für<br />

die Stadt eine große Befreiung. Auch die ein Dreivierteljahrhundert<br />

andauernde Stellung der Stadt als Festung<br />

in vorderster Front war vorbei und das beendete für die<br />

Zivilbevölkerung ein Leben in ständiger Angst vor Drangsalierung,<br />

Ausbeutung durch die Besatzer und vor der<br />

Vernichtung von Hab, Gut und Leben. Außerdem hatten<br />

die starken Befestigungsanlagen eigentlich gar keinen<br />

wirklichen Nutzen für die Stadt selbst gehabt. Freiburg<br />

wurde trotzdem jedes Mal von den Feinden eingenommen,<br />

es dauerte halt etwas länger. Einen Nutzen davon<br />

hatten eher die hinter der Stadt Richtung Schwarzwald<br />

liegenden Gemeinden, die dadurch länger Zeit hatten,<br />

sich auf den nähernden Gegner vorzubereiten.<br />

Dagegen war der Schaden für die Bevölkerung doch<br />

immens, sie mussten Kriegshandlungen und Zerstörungen<br />

ertragen und ständig irgendwelche verwilderten<br />

Söldnerhaufen in ihrer Stadt erdulden. Dazu kam, dass<br />

die BürgerInnen von den Besatzungsmächten jederzeit<br />

zu allen möglichen Frondiensten herangezogen werden<br />

konnten oder ihre Grundstücke für militärische Zwecke<br />

entfremdet wurden. Auch die Kosten für den Festungsbau<br />

sowie den Unterhalt für das Militär musste die Stadt<br />

tragen. Dabei war es gleich, ob das französische Heer oder<br />

die vorderösterreichische Armee in Freiburg Quartier<br />

bezog, die Kosten wurden auf die Bevölkerung abgewälzt<br />

und auch dabei traf es die einfache Bevölkerung am<br />

härtesten. Denn die mussten in ihren engen Wohnungen,<br />

in denen sie selbst ja kaum genug Platz hatten, auch noch<br />

Soldaten unterbringen und diese natürlich auch versorgen.<br />

Und während Adel und der hohe Klerus davon meist<br />

verschont blieben, konnten sich vermögende BürgerInnen<br />

von der Einquartierung freikaufen.<br />

DER FREIBURGER STADTRAT UND DIE HABSBURGER<br />

Der „Freiburger Weiberkrieg“ von 1757 leitete, wie schon<br />

gesagt, den Sturz des Kreishauptmanns Christoph Anton<br />

von Schauenburg ein, doch er bewirkte noch mehr. Er versetzte<br />

die Obrigkeit in Angst. Die Herren merkten wohl,<br />

dass eine wütende Volksmenge eine Menge erreichen<br />

kann. Deshalb wurde kurz nach dem Aufstand, am 23. Juli<br />

1757, eine Bekanntmachung für künftige Ruhe- und Friedensstörer<br />

erlassen, nach der alle künftig „unnachsichtig<br />

in Eysen und Banden zu schließen, sogleich in gefangliche<br />

Verwahrung zu nehmen, über deren Müßhandlung gerichtliche<br />

Untersuchung thuen, sofort selbige nach dem Befund<br />

der Sache auf das ernsthafteste und das schärfeste, denen<br />

Rechten nach an gut oder ehren, ja beschaffener Dingen<br />

nach an Leib und Leben, anderen zum Abscheu abstrafen<br />

sollen!“ Die Obrigkeit wollte also auf Abschreckung<br />

setzen, um jeden Aufstand gleich im Keim zu ersticken.<br />

Abb.: Zeitgenössische Karikatur: Der Dritte Stand trägt<br />

den Klerus und den Adel<br />

Die vorderösterreichische Landesregierung war unterdessen<br />

weiterhin darum bemüht, ihren Einfluss in der Stadt<br />

zu vergrößern, sowohl politisch als auch wirtschaftlich<br />

und finanziell. Einen großen Schritt in diese Richtung<br />

machte man 1763, mit einer landesweiten Feststellung<br />

des Steuerfundus. Nun wurden auch der ländliche Besitz<br />

sowie der unmittelbare Grundbesitz von Adel und Geistlichkeit<br />

in die Besteuerung einbezogen.<br />

Dagegen begann sich dann aber auch Widerstand zu<br />

regen, doch es sollte noch schlimmer kommen. Auf<br />

kaiserliche Anordnung wurde ein „Landständige Konsess“<br />

(eine Ständevertretung) gebildet, der als gemeinsames<br />

Organ der Stände deren Geschäfte führen sollte. Das<br />

hört sich ganz schön an, war es aber letztlich für die<br />

Stände nicht. Jeder Stand konnte in diesem Gremium<br />

zwei Abgeordnete stellen, der Vorsitz aber wurde dem<br />

vorderösterreichischen Regierungspräsidenten übertragen.<br />

Somit hatte die Regierung auch auf dem Papier<br />

die Aufsicht über die ständischen Angelegenheiten. Das<br />

belastete die Beziehungen zwischen der Stadt Freiburg<br />

und der Landesregierung sehr, tat aber der Treue und<br />

der Verehrung der Freiburger Einwohnerschaft zum<br />

Haus Habsburg keinen Abbruch. Das zeigte sich immer<br />

wieder, bei bestimmten Anlässen. So zum Beispiel 1770,<br />

Foto: Wikimedia Commons<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023 7


Abb.: Der Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789. Gemälde von Bernard-René Jordan de Launay, 1789<br />

Foto: Bibliothèque nationale de France<br />

als Prinzessin Maria Antonia (die spätere Königin Marie<br />

Antoinette) auf ihrer Brautfahrt in Freiburg haltmachte.<br />

Überall in der Stadt und in der Umgebung wurde sie von<br />

jubelnden Mengen empfangen und Freiburg selbst war<br />

eine einzige Festbühne. Währenddessen setzte Kaiser Joseph<br />

II. das Werk seiner Mutter konsequent fort. Und wie<br />

seine Mutter störte auch er sich nicht daran, traditionelle<br />

Bindungen und historisch gewachsene Strukturen zu beseitigen,<br />

wenn es seinen Zwecken entsprach. Bald verlor<br />

Freiburg seine kommunalpolitische Autonomie komplett,<br />

1783 wurde die Stadtverfassung an die „Städteordnung<br />

für den Gesamtstaat“ angepasst. Der Bürgermeister war<br />

nun ein staatlicher Angestellter und musste, wie die<br />

übrigen Ratsmitglieder auch, juristisch gebildet sein.<br />

Gewählt wurde der Rat nun von den 12 Zunftmeistern, die<br />

allerdings selbst von jeglicher politischer Einflussnahme<br />

ausgeschlossen waren.<br />

Als Nächstes wurden Einfluss und Macht der Kirche<br />

beschränkt. Diese Veränderungen wirkten sich nun direkt<br />

auf das Leben der StadtbewohnerInnen aus. Der Kaiser<br />

selbst ordnete eine Reform der kirchlichen Praxis an, mit<br />

dem Ziel, sie auf Zweckdienlichkeit zu konzentrieren und<br />

die Kirche zu vernünftigem Handeln anzuhalten. Außerdem<br />

sollten Arbeitskräfte und Arbeitszeit eingespart<br />

werden. Joseph II. ließ unter anderem die prunkvollen<br />

Ausstattungen der Kirchen reduzieren, die Gottesdienstliturgie<br />

straffen und er ließ auch den Reliquienkult einschränken.<br />

Auch die Anzahl an kirchlichen Feiertagen, an<br />

Wallfahrten und Prozessionen sollte vermindert werden.<br />

Doch ganz widerspruchslos nahm die Bevölkerung<br />

das nicht hin, schließlich waren viele dieser religiösen<br />

Bräuche und Regeln seit Jahrhunderten Bestandteil<br />

des täglichen Lebens. Obwohl die Behörden zu strenger<br />

Überwachung der Reformen angehalten waren und auch<br />

teilweise empfindliche Geldstrafen beim Nichtbefolgen<br />

aussprachen, blieb ein großer Teil der Menschen bei ihren<br />

bisherigen kirchlichen Regeln und Bräuchen. Meistens<br />

hatten sie dabei auch die Geistlichen auf ihrer Seite, die<br />

die neuen Regelungen natürlich auch ablehnten. Auch<br />

als die Behörden dann beschlossen, die Gast- und Wirtshäuser<br />

an Sonn- und Feiertagen zu schließen, wussten<br />

8<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023


sich die Freiburger zu helfen. Nach den Gottesdiensten in<br />

ihren katholischen Kirchen gingen sie einfach in benachbarte<br />

evangelische Gemeinden wie z. B. Haslach oder<br />

St. Georgen, denn dort waren die Gasthäuser geöffnet.<br />

Auch kirchliche Feste und Feiertage wurden weiterhin<br />

würdig begangen, so wurden an Fronleichnam weiterhin<br />

die Straßen geschmückt und es fand auch eine große<br />

Prozession statt. Letztendlich ist hier die Obrigkeit an der<br />

Beharrlichkeit der Freiburger gescheitert, die ihre traditionelle<br />

Lebensweise behalten wollte. Nach ein paar Jahren<br />

sah man das wohl ein und die Regeln verschwanden<br />

stillschweigend wieder bzw. wurden nicht mehr beachtet.<br />

DIE FRANZÖSISCHE REVOLUTION UND IHR EINFLUSS<br />

AUF DIE FREIBURGER BEVÖLKERUNG<br />

Einige Wochen nach dem Sturm auf die Bastille 1789 in<br />

Paris drangen die ersten zögerlichen Freiheitsforderungen<br />

auch über den Rhein in das Herrschaftsgebiet der<br />

Habsburger. Die vorderösterreichische Regierung in Freiburg<br />

tat zwar so, als würde sie das völlig kaltlassen, doch<br />

getreu dem Motto „cantela superflua non nocet“, also<br />

auch übermäßige Vorsicht kann nicht schaden, verstärkte<br />

man überall die Wachposten und Patrouillen.<br />

Foto: Kunsthistorisches Museum Wien, Bilddatenbank.<br />

Ende September 1789 wurde in Oberrotweil am Kaiserstuhl<br />

ein erstes Flugblatt entdeckt und an die Regierung<br />

weitergeleitet. Das Schreiben konnte als Drohung, aber<br />

auch als Einladung zu Mitmachen verstanden werden:<br />

„Wollgedachte Nachtbarschaft, es wirt Eich zu wisen gethan,<br />

daß den 9ten Herbstmonat dises Jahrs Statt Freiburg<br />

mit den Bauren belägeret werten.“ Allerdings unterschied<br />

sich der Aufruf inhaltlich doch sehr von der Revolution in<br />

Frankreich. Denn Ziel des angekündigten Bauernaufstandes<br />

sollte sein: „wir wollen die vorige alte Rechte wieter<br />

haben, sowol geistlich als weltlichen Dingen.“<br />

Doch ganz als Unsinn konnte die Regierung diese Zeichen<br />

einer Revolte nicht abtun, denn in der nahen Ortenau<br />

hatte es schon eine erste Rebellion gegeben, an der mehr<br />

als 1.000 Bauern beteiligt waren. Es hat Regierung und<br />

Militär viel Mühe und Aufwand gekostet, die Lage dort<br />

wieder zu beruhigen.<br />

Abb.: Joseph II. um 1775 (Gemälde von Anton von Maron)<br />

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Ob Ausläufer der Revolution auch bis nach Freiburg<br />

kamen und was sie hier bewirken konnten, und wie es in<br />

dieser Zeit dem Spital und der Armenversorgung erging,<br />

lesen Sie im nächsten Heft.<br />

Ich bedanke mich beim Stadtarchiv Freiburg und Herrn<br />

Thalheimer, der Waisenhausstiftung, Gerlinde Kurzbach,<br />

Peter Kalchtaler und Dr. Hans-Peter Widmann.<br />

Carsten<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023 9


„NIEMAND DARF<br />

GEGENEINANDER<br />

AUSGESPIELT<br />

WERDEN“<br />

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)<br />

im Interview über Hilfen für Obdachlose,<br />

Geflüchtete und Migranten und dazu,<br />

was er Menschen rät, die bezahlbaren<br />

Wohnraum suchen<br />

Foto: B 145 Bild-00500306<br />

Interview: Peter Brandhorst, Holger Förster<br />

Herr Scholz, wir leben in einer innen- und außenpolitisch<br />

bewegten Zeit. Welche Priorität hat für Sie als Bundeskanzler<br />

die Unterstützung hilfebedürftiger Menschen in<br />

Deutschland?<br />

Es geht mir immer um Respekt und um Zusammenhalt.<br />

Der russische Überfall auf die Ukraine und seine Folgen<br />

belasten uns alle. Klar ist, dass die Ukraine die schlimmsten<br />

Folgen des Krieges zu bewältigen hat – aber auch bei uns<br />

wirkt sich das Kriegsgeschehen aus. Da reicht ein Blick auf<br />

die Energie- und Lebensmittelpreise. Richtig ist aber: Unser<br />

Land ist bisher deutlich besser durch diese schwierige Zeit<br />

gekommen als viele befürchtet haben. Es hat keine tiefgreifende<br />

Wirtschaftskrise gegeben und die Energieversorgung<br />

steht. Warum? Die Bundesregierung hat sich entschlossen<br />

gegen die Krise gestemmt. Wir haben mehrere Hilfspakete<br />

geschnürt und wichtige Reformen auf den Weg gebracht.<br />

Wir haben den Mindestlohn auf 12 Euro angehoben, das<br />

Wohngeld ausgeweitet, die Sozialversicherungsbeiträge<br />

für Geringverdiener abgesenkt und Kindergeld und Kinderzuschlag<br />

auf jeweils 250 Euro verbessert. Keine Bundesregierung<br />

der vergangenen Jahrzehnte hat die Situation<br />

von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit geringen<br />

Einkommen so stark verbessert wie die aktuelle Regierung.<br />

Das neue Bürgergeld hat die bisherige Grundsicherung für<br />

Arbeitssuchende abgelöst. Eine wichtige Reform.<br />

Was fühlen Sie, wenn Sie einer um Almosen nachfragenden<br />

Person auf der Straße begegnen? Wie verhalten<br />

Sie sich?<br />

Wenn Bürgerinnen und Bürger in Not sind, berührt mich<br />

das – gerade in einem so reichen Land wie Deutschland.<br />

Es ist gut, dass es niedrigschwellige Angebote gibt, um<br />

aus schwierigen Lebenslagen herauszukommen. Aber<br />

nicht alle finden den Zugang zu dieser Hilfe, aus ganz<br />

unterschiedlichen Gründen. Das müssen wir ändern. Und<br />

es ist gut, dass sich viele ehrenamtlich engagieren – zum<br />

Beispiel bei den Tafeln.<br />

Kinder aus armen Familien haben ungleich schlechtere<br />

Entwicklungsperspektiven als Kinder der Mittelschicht.<br />

In Familien mit vererbbarem Vermögen kumuliert der<br />

Wohlstand über die Generationen. Diese Entwicklung<br />

kann unsere Gesellschaft spalten und hat das Potential,<br />

die Demokratie zu gefährden. Wie bewerten Sie die<br />

Situation?<br />

Mit Kinderarmut dürfen wir uns nicht abfinden. Tun wir,<br />

wie gesagt, auch nicht. Gerade haben wir das Kindergeld<br />

auf einheitlich 250 Euro erhöht. Das ist die größte<br />

Kindergelderhöhung seit fast 30 Jahren. Dazu kommt<br />

der Kinderzuschlag für Familien mit geringem Einkommen,<br />

der ebenfalls auf maximal 250 Euro erhöht wurde.<br />

10<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023


Außerdem erarbeiten wir gerade das Konzept einer<br />

Kindergrundsicherung. Sie wird dafür sorgen, dass Hilfen<br />

hier automatisch bei den Kindern ankommen – ohne viele<br />

Extra-Anträge der Eltern. Und wir bauen die Ganztagsbetreuung<br />

aus, auch damit Eltern arbeiten gehen können<br />

und Jungen und Mädchen gut gefördert werden, unabhängig<br />

vom Elternhaus.<br />

Durch die Energiewende, die Digitalisierung und die<br />

aktuelle Preisentwicklung drohen Familien aus der<br />

Mittelschicht abzusteigen. Allein die Angst davor treibt<br />

Menschen an den Rand des demokratischen Spektrums.<br />

Was tun Sie dagegen?<br />

Die Zeiten sind nicht einfach. Viele Bürgerinnen und<br />

Bürger machen sich Sorgen. Ich teile aber die Prämisse<br />

ihrer Frage nicht. Gerade in den vergangenen Monaten<br />

hat sich doch gezeigt, dass trotz aller Ängste und Sorgen<br />

der Wut-Winter ausgeblieben ist und die Extremen keinen<br />

regen Zulauf erhalten haben. Das stimmt mich hoffnungsvoll.<br />

Denn es zeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger<br />

anerkennen, dass wir mit Politik Probleme entschlossen<br />

angegangen sind. Innerhalb von acht Monaten haben wir<br />

Deutschland unabhängig gemacht von russischem Gas,<br />

russischem Öl und russischer Kohle. In Rekordzeit haben<br />

wir Flüssiggas-Terminals an den norddeutschen Küsten<br />

errichtet, abgeschaltete Kraftwerke wieder ans Netz<br />

gebracht und neue Lieferwege etabliert. Ich nenne das<br />

„Deutschland-Tempo“. Und dieses Tempo wollen wir jetzt<br />

beim Klimaschutz nutzen. In etwas mehr als 20 Jahren<br />

wird Deutschland komplett klimaneutral und weiter ein<br />

starkes Industrieland sein. Der Bau von Windkrafträdern<br />

auf See und an Land und von Solaranlagen muss beschleunigt,<br />

die Industrieproduktion zu großen Teilen auf<br />

Strom umgestellt werden, die Netze müssen ertüchtigt<br />

werden. Dafür sind riesige Investitionen nötig, die neues<br />

Wachstum erzeugen mit vielen gut bezahlten Arbeitsplätzen.<br />

Zugleich geht es darum, unsere Gesellschaft und<br />

unsere Demokratie krisenfest zu machen. Dafür ist es<br />

wichtig, jenen Kräften entgegenzuwirken, die alles dafür<br />

tun, um Teile der Gesellschaft gegeneinander auszuspielen.<br />

Wenn wir uns zusammenhalten und uns unterhaken,<br />

haben Spaltung, Verschwörungserzählungen und Extremismus<br />

keine Chance.<br />

Warum wurde von der neuen Bundesregierung nicht<br />

die Chance ergriffen, ein bedingungsloses Grundeinkommen<br />

zu schaffen? Das Bürgergeld unterscheidet sich<br />

vom gescheiterten Hartz-IV-Grundansatz „Fördern und<br />

Fordern“ ja nicht.<br />

Das Bürgergeld unterscheidet sich an vielen Stellen vom<br />

bisherigen Arbeitslosengeld II – nicht nur, weil es mehr<br />

Geld gibt. Niemand ist davor gefeit, mal auf das Bürgergeld<br />

angewiesen zu sein. Dann geht es darum, dass die<br />

Gemeinschaft helfend zur Seite steht und keine Steine in<br />

den Weg gelegt werden. Und: Mit der zweiten Stufe des<br />

Bürgergelds, die zum 1. Juli startet, können sich Arbeitssuchende<br />

mehr auf Qualifizierung und Weiterbildung<br />

konzentrieren.<br />

Asylsuchende, Flüchtlinge aus Erdbeben- oder Kriegsgebieten,<br />

Migranten aus dem EU-Raum konkurrieren mit<br />

örtlichen Hilfebedürftigen um Ressourcen. Setzen Sie<br />

mehr auf Gleichbehandlung dieser Gruppen oder setzen<br />

Sie Prioritäten?<br />

Da darf niemand gegeneinander ausgespielt werden. Das<br />

ist das Geschäft der Populisten, und dem treten wir ganz<br />

entschieden entgegen. Unser Ziel ist ein ausgewogenes<br />

Angebot an effektiven Unterstützungsleistungen für jene,<br />

die schon immer hier leben, genauso wie für die, die bei<br />

uns Schutz suchen.<br />

In einer gemeinsamen Erklärung haben sich 2021 das<br />

EU-Parlament und die 27 Mitgliedsstaaten, also auch<br />

Deutschland, festgelegt, Obdachlosigkeit in der EU bis<br />

2030 abzuschaffen. Da steht der Bund in der Pflicht,<br />

auch wenn die Länder einen großen Teil der Umsetzung<br />

stemmen müssen. Ist das Ziel noch realistisch?<br />

Absolut. Auch im Koalitionsvertrag haben wir uns dazu<br />

bekannt, die Wohnungslosigkeit bis 2030 zu überwinden.<br />

Denn: Wohnen ist ein Menschenrecht. Dafür brauchen wir<br />

mehr Wohnungsbau – gerade im sozialen Bereich.<br />

Die Ampelkoalition hat sich zu Beginn der Legislatur<br />

zum Ziel gesetzt, jährlich 400.000 neue Wohnungen<br />

zu schaffen, davon 100.000 Sozialwohnungen. Inzwischen<br />

hat Bauministerin Klara Geywitz eingestanden,<br />

dass diese Zahlen weder für 2022 noch 2023 erreicht<br />

werden. Das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ geht<br />

von mehr als 700.000 fehlenden Wohnungen aus. Muss<br />

sich Deutschland auf Jahre großen Wohnungsmangels<br />

einstellen?<br />

Wir setzen uns ehrgeizige Ziele, und halten an ihnen fest,<br />

auch wenn das Bauen angesichts höherer Materialkosten<br />

und Fachkräftemangel gerade nicht einfacher geworden<br />

ist. Mit der Rekordsumme von 14,5 Milliarden Euro fördert<br />

die Bundesregierung bis 2026 den Bau neuer Sozialwohnungen.<br />

Und die Länder leisten auch noch ihren Beitrag.<br />

Der Wohnungsbau stagniert, gleichzeitig steigt der Bedarf<br />

an bezahlbarem Wohnraum. Was raten Sie jemandem,<br />

der aktuell bezahlbaren Wohnraum sucht?<br />

Wohnungssuche ist nicht einfach. Da gibt es kein Patentrezept.<br />

Wichtig zu wissen ist, dass das Wohngeld reformiert<br />

worden ist. Viel mehr Haushalte sind nun berechtigt,<br />

diese Unterstützung zu beziehen, statt 600.000<br />

Haushalte sind es nun zwei Millionen. Es gibt außerdem<br />

ein höheres Wohngeld und die steigenden Heizkosten werden<br />

berücksichtigt. Das Bundesbauministerium hat einen<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023 11


Wohngeld-Rechner auf seiner Homepage, mit dem sich<br />

ermitteln lässt, ob man für Wohngeld berechtigt ist.<br />

Laut einer Untersuchung der Bremer Gesellschaft für<br />

innovative Sozialforschung und Sozialplanung (GISS) sind<br />

materielle Ursachen ein Hauptgrund für Wohnungslosigkeit.<br />

80 Prozent der Betroffenen haben ihre Wohnung<br />

verloren, weil sie die Miete nicht zahlen können. Warum<br />

gibt es noch keine Instrumente wie Mietsicherungsfonds?<br />

Die Bundesregierung tut viel, um Mieterinnen und Mieter<br />

zu unterstützen. Mit der Mietpreisbremse zum Beispiel in<br />

Gegenden, wo der Wohnungsmarkt besonders angespannt<br />

ist. Die massive Förderung des sozialen Wohnungsbaus<br />

habe ich bereits erwähnt. Damit greifen wir Ländern und<br />

den Kommunen unter die Arme. Mit den Energie-Preisbremsen<br />

wirken wir hohen Preisen für Gas- und Strom<br />

entgegen. Und wir haben die Bedingungen verbessert, mit<br />

denen sich eine Stromsperre abwenden lässt – mit früheren<br />

Informationen und längeren Zahlungszeiträumen.<br />

Zehn Prozent der Menschen haben einen negativen<br />

Schufaeintrag. Wer mal die Miete oder seinen Handyvertrag<br />

nicht bezahlen konnte, hat kaum Aussicht, eine neue<br />

Unterkunft zu finden. Und wer Sozialgeld bezieht oder<br />

mit Suchterkrankungen oder psychischen Problemen zu<br />

kämpfen hat, auch nicht. Solange Vermieter am Markt<br />

auswählen können, entscheiden sie sich für den solventeren<br />

Bewerber. Könnte kommunal bewirtschafteter<br />

Wohnraum eine Lösung für hilfebedürftige Wohnungssuchende<br />

sein? Vielleicht durch Enteignung von Wohnungsunternehmen?<br />

Durch Enteignungen entstehen keine neuen Wohnungen,<br />

im Gegenteil. Mieterinnen und Mieter müssen durch ein<br />

faires Mietrecht auch vor unfairen Preissteigerungen<br />

geschützt werden. Aber, die Illusion zu verbreiten, dass<br />

man es bei einer wachsenden Bevölkerung mit heute völlig<br />

veränderten Lebensverhältnissen schaffen könnte, ohne<br />

neuen Wohnungsbau die hohe Nachfrage zu decken, halte<br />

ich für unverantwortlich. Wenn wir wollen, dass weiter in<br />

den Wohnungsbau investiert wird, müssen alle auf verlässliche<br />

Rahmenbedingungen setzen können. Das erreicht<br />

man nicht durch Diskussionen über Enteignungen, sondern<br />

nur durch ein kooperatives Miteinander. Deshalb gibt es<br />

beispielsweise das „Bündnis für bezahlbaren Wohnraum“,<br />

bei dem alle Seiten an einem Tisch zusammensitzen und<br />

Lösungen diskutieren.<br />

Themen? Durch welche Maßnahmen kann man diese<br />

Entwicklung stoppen?<br />

Das Wahlrecht ist ein wesentliches Element unserer<br />

Demokratie. Auch Personen ohne festen Wohnsitz sind<br />

wahlberechtigt und können an Wahlen teilnehmen. Was<br />

in Ihrer Frage mitschwingt, geht aber wohl in eine andere<br />

Richtung. Der Kampf gegen Armut und Wohnungsnot ist<br />

ein Kernanliegen meiner Politik. Ich setze mich mit all meiner<br />

Kraft dafür ein, die Rahmenbedingungen in unserem<br />

Land zu verbessern. Ich bin froh, dass unser Grundgesetz in<br />

aller Deutlichkeit von einem sozialen Bundesstaat spricht.<br />

Die Bundesregierung ist dem Wohl des ganzen Landes, aller<br />

Bürgerinnen und Bürger verpflichtet und nicht nur denen,<br />

die wählen gehen. Und die Wohlfahrtsverbände sind eine<br />

starke Stimme für hilfsbedürftige Menschen.<br />

Wird unsere Gesellschaft in zehn Jahren gerechter sein<br />

als heute?<br />

Meine Politik hat dieses Ziel. Mir geht es um den Respekt<br />

für jede und jeden Einzelnen, darum, dass unsere Gesellschaft<br />

zusammenhält, dass die Schere zwischen Arm und<br />

Reich nicht weiter auseinandergeht, dass wir die Gleichstellung<br />

der Geschlechter erreichen und dass niemand zurückgelassen<br />

wird.<br />

Ursprünglich hatte Bundeskanzler Olaf Scholz einem<br />

mündlich geführten Gespräch zugestimmt. Aus Termingründen<br />

musste das Interview auf Wunsch des Kanzlers<br />

dann aber doch schriftlich geführt werden.<br />

Wir danken dem Straßenmagazin HEMPELS e. V. aus Kiel<br />

für die Genehmigung zum Abdruck.<br />

In eigener Sache<br />

Hilfebedürftige Menschen gehen statistisch gesehen<br />

deutlich seltener zur Wahl. Nach einer Österreichischen<br />

Studie hat das auch damit zu tun, dass sie mit den<br />

staatlichen und kommunalen Einrichtungen mehr<br />

Reglementierung als Unterstützung verbinden. Welche<br />

Auswirkungen hat das auf die Priorisierung politischer<br />

12<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023


WOMEN IN THE DARK<br />

Aufruhr des Schweigens<br />

Foto: Franziska Greber<br />

WOMEN IN THE DARK ist ein von Franziska Greber 2016<br />

initiiertes internationales, transdisziplinäres und partizipatives<br />

Kunstprojekt gegen Diskriminierung und Gewalt.<br />

Weiße Blusen (in Indien waren es Schals), beschrieben mit<br />

rotem Permanentstift, sind das Medium, aus welchem<br />

Greber raumgreifende Installationen schafft. Auf den<br />

Kleidungsstücken haben die Frauen ihre Erfahrungen,<br />

Hoffnungen und Forderungen in Texten und Zeichnungen<br />

festgehalten – die Botschaften sind eindringlich und<br />

entfalten in der aus ihnen kreierten Installation eine ganz<br />

besondere Kraft. In enger Kooperation mit Frauen- oder<br />

Menschenrechts-Organisationen im jeweiligen Land wird<br />

das Projekt umgesetzt und der Schreibprozess von lokalen<br />

NGOs begleitet.<br />

Bisher beteiligen sich acht Länder: Simbabwe, China, Indien,<br />

Mauritius, Chile, die Seychellen, die Schweiz und seit<br />

2018 auch Deutschland mit 12 Bundesländern, rund 150<br />

Organisationen und 690 Frauen, die in rund 40 Sprachen<br />

Blusen zu Diskriminierung und Gewalt beschriftet haben.<br />

Die Ausstellungselemente in Deutschland sind, neben der<br />

120 m 2 großen Installation mit den 690 Blusen, ein Buch<br />

mit allen transkribierten Texten und der Übersetzung auf<br />

Deutsch, zwei Video- und eine Audio-Installation.<br />

Im Rahmen des DENKRAUM DEUTSCHLAND in der Pinakothek<br />

der Moderne in München und im Rathaus Rostock<br />

fanden erste Ausstellungen von „WOMEN IN THE DARK<br />

– aufruhr des schweigens“ in Deutschland statt. Vom<br />

09.05.-09.06.2023 wird die Ausstellung in Freiburg in der<br />

Meckelhalle (Sparkasse) zu sehen sein.<br />

Zur Künstlerin:<br />

Franziska Greber ist eine Schweizer Künstlerin. In ihrer<br />

langjährigen Arbeit und ihrer Tätigkeit als Psychotherapeutin<br />

hat sie sich mit genderbasierter Belästigung,<br />

Diskriminierung und Gewalt auseinandergesetzt und sich<br />

für Frauen- und Menschenrechte engagiert.<br />

Ihr künstlerisches Schaffen versteht sie als Kultur eines<br />

lebendigen und kritischen Diskurses. Dieser stellt die<br />

inhaltliche und strukturelle Grundlage für ihre Kunstprojekte<br />

dar. Kooperation und Partizipation sind Anker,<br />

die verschiedenen Medien wie Installationen, Fotografie,<br />

Video, Sound und Texte die Mittel ihrer künstlerischen<br />

Intervention.<br />

Freiburger Fachstelle Intervention gegen Häusliche<br />

Gewalt (FRIG)<br />

Rimsinger Weg 15a, 79111 Freiburg, Tel: 0761 – 89 73 520,<br />

info@frig-freiburg.de, www.frig-freiburg.de<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023 13


Caritas für Ehrenamtliche) mit meinem Team entwickelt<br />

und danach eine altehrwürdige Zeitschrift vollkommen zur<br />

„neuen caritas“ umgestaltet. In der Sozialpolitik war ich<br />

viel mit Gesetzgebungen befasst. Die Wohlfahrtsverbände<br />

werden um Stellungnahmen gefragt für alle Sozialgesetze.<br />

Angefangen hat das Ganze mit der Caritas-Armutsuntersuchung.<br />

In den ersten Wochen bei der Caritas 1989 kam der<br />

Generalsekretär zu mir und meinte: Ich habe sie benannt<br />

als Geschäftsführer einer Gruppe „Armutsdiskussion“ und<br />

die soll rausfinden, ob es Armut in Deutschland gibt oder<br />

nicht. Die CDU hatte zu dieser Zeit behauptet, es gebe keine<br />

Armut in Deutschland, es gebe ja die Sozialhilfe. Wir haben<br />

dann gemeinsam mit dem bekannten Armutsforscher<br />

Richard Hauser die bis heute einzige richtige empirische<br />

Untersuchung durchgeführt. An einem Stichtag haben wir<br />

4.000 Leute in den Beratungsstellen der Caritas mit einem<br />

65-seitigen Fragebogen befragt; so viel war notwendig, um<br />

rauszufinden, ob der oder die Ratsuchende Anspruch auf<br />

Sozialhilfe hat oder nicht. Und wenn sie Anspruch haben,<br />

ob sie ihn wahrnehmen oder nicht. Da kam raus, dass<br />

von sieben Leuten, die Anspruch hätten, nur vier ihn auch<br />

wahrnehmen. Nach dieser Entdeckung der verdeckten Armut<br />

ist die damalige Familienministerin Rönsch (CDU) am<br />

nächsten Tag ins Frühstücksfernsehen gegangen und hat<br />

gesagt: Ja, es gibt Armut in Deutschland.<br />

Foto: E. Peters<br />

IM GESPRÄCH MIT...<br />

Thomas Becker<br />

Die Ombudsstelle für wohnungslose Menschen (OfW) ist<br />

wieder komplett: Thomas Becker tritt die Nachfolge von<br />

Dieter Purschke an, der letztes Jahr leider unerwartet verstorben<br />

ist. Die Wahl fand in der Sitzung des Kuratoriums<br />

der Wohnungslosenhilfe am 16.03.2023 statt. Wir freuen<br />

uns, Ihnen „den Neuen“ heute vorstellen zu können.<br />

Herzlich willkommen, Thomas! Es freut uns, dass Du Dir<br />

Zeit genommen hast. Wie geht es Dir?<br />

Ganz gut. Ich bin froh und dankbar, dass ich bei Euch sein<br />

darf. Es geht ja darum, die Ombudsstelle für Wohnungslose<br />

(OfW) in Freiburg neu zu positionieren und bekannt zu<br />

machen.<br />

Erzähle uns bitte kurz, was Du bisher beruflich gemacht<br />

hast.<br />

Die letzten 33 Jahre war ich beim Deutschen Caritasverband<br />

in Freiburg tätig, habe angefangen als Chefredakteur der<br />

Zeitschriften. Ab 2003 wurde ich dann Bereichsleiter für Sozialpolitik<br />

und Medien. Gemeinsam mit einer Kollegin leitete<br />

ich auch den Lambertus-Verlag. Als Chefredakteur habe<br />

ich 1996 die Sozialcourage (Anm. d. Red.: Zeitschrift der<br />

Was hat Dir rückblickend am meisten Spaß gemacht?<br />

Gemeinsam mit engagierten Kolleginnen und Kollegen<br />

Neues zu entwickeln, wie z. B. Zeitschriften, das Leitbild in<br />

den 1990er-Jahren oder das Sozialmonitoring mit der Bundesregierung.<br />

Für dieses haben wir ein Gesprächsformat<br />

entwickelt, um regelmäßig halbjährlich über die Auswirkung<br />

von Hartz IV – jetzt Bürgergeld – zu sprechen. Und<br />

natürlich die Beratung von internationalen Caritas-Organisationen,<br />

wie sie tatsächlich eine Zivilgesellschaft aufbauen<br />

können, auch in den postsowjetischen Staaten wie Armenien<br />

oder Georgien oder in Albanien. Die letzten drei Jahre<br />

haben allerdings keinen Spaß gemacht, denn ich musste<br />

mit meinen KollegInnen einen schmerzhaften Einsparprozess<br />

durchziehen.<br />

Wie kamst Du dann zur OfW?<br />

Letztes Jahr bin ich in Rente gegangen und habe mir auf<br />

einer langen Fahrradtour an den Atlantik überlegt, was<br />

ich nun mache. Ich wurde schließlich aus dem Betroffenenkreis<br />

auf die Ombudsstelle angesprochen und vorgeschlagen,<br />

und zwar durch zwei Vorstandsmitglieder des<br />

FREIeBÜRGER, Ute Aschendorf und Carsten Kallischko. Nach<br />

reiflicher Überlegung habe ich mich entschlossen, mich<br />

zur Wahl zu stellen. Vorher konnte ich mich in Gesprächen<br />

bei der Stadt und einigen Trägern der Wohnungslosenhilfe<br />

versichern, dass eine strukturelle politische Arbeit der OfW<br />

auch gewollt ist. Die Freiburger OfW ist, soweit ich recherchiert<br />

habe, einzig in Deutschland.<br />

14<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023


Was willst Du persönlich in die OfW einbringen, wird sich<br />

etwas verändern?<br />

Verändern wird sich schon dadurch etwas, dass jetzt<br />

jemand neues dazukommt. Zusammen mit Hannelore<br />

Scheer und Carsten Kallischko sind wir drei ein gutes Team.<br />

Ich kann nur die Erfahrungen mitbringen, die ich habe,<br />

und mir liegen die Wohnungslosen am Herzen. Ich möchte<br />

ihnen helfen, mache das auch gerne. Und ich möchte natürlich<br />

schauen, ob das, was wir gesetzlich erreicht haben,<br />

auch tatsächlich vor Ort umgesetzt wird. Ich möchte mich<br />

bei strukturellen Problemen für Lösungen einsetzen. So gibt<br />

es z. B. wieder mehr Menschen, die keinen Krankenversicherungsschutz<br />

haben, weil Beitragsschulden aufgelaufen<br />

sind, die sie nicht bezahlen können. Es gibt viel zu tun.<br />

Wie schätzt Du die Betreuung und Versorgung der Obdachlosen<br />

in Freiburg ein?<br />

Wir haben in Freiburg ein vielfältiges und breit ausgebautes<br />

Angebot mit ganz vielen engagierten Leuten, Verbänden<br />

und Initiativen. Ich finde das unheimlich toll. Die Leute, die<br />

in dem Feld tätig sind, machen schon einen guten Job. Falls<br />

sich jemand nicht zurechtfindet in diesem System oder sich<br />

verheddert... Wir sind alle Menschen! Ja, dann sucht man<br />

nach Lösungen.<br />

Wie könnte die Zusammenarbeit der einzelnen Träger in<br />

der Wohnungslosenhilfe verbessert werden?<br />

Da habe ich bisher zu wenig Einblick. Ich kann nur aus meiner<br />

Erfahrung mit dem Kuratorium, das mich gewählt hat,<br />

sagen: Ich hatte das Gefühl, dass es sehr sachorientiert lief<br />

und ohne Animositäten oder so. Das lief partnerschaftlich.<br />

Ist der Wechsel von Hartz IV zum Bürgergeld ein Fortschritt?<br />

Ja! Erst mal gibt es mehr Geld. Und was z. B. nicht thematisiert<br />

wurde: Es gibt eine neue Regelung durch SBG II §16k<br />

zur „Ganzheitlichen Betreuung“ als Aufgabe des Jobcenters<br />

für Menschen mit multiplen Problemen. Neu ist auch,<br />

dass es ein offizielles Schlichtungsverfahren im Jobcenter<br />

gibt – und es gibt einiges mehr: das Schonvermögen wurde<br />

erhöht, die Sanktionen wurden gemildert. Es gibt also<br />

wirklich Fortschritte.<br />

Die EU und die Bundesregierung haben das Ziel ausgegeben,<br />

bis zum Jahr 2030 die Obdachlosigkeit in Europa zu<br />

beseitigen. Wie siehst Du das?<br />

Das ist unrealistisch. Es gibt Menschen, die nicht in einer<br />

Wohnung leben wollen, das muss man auch akzeptieren.<br />

Aber auf jeden Fall ist klar, dass wir zu wenig Wohnungen<br />

haben, vor allen Dingen zu wenig bezahlbare. Und dass<br />

Leute durch irgendwelche Wechselfälle des Lebens – Arbeit<br />

verloren, Scheidung, Krankheit – auf der Straße landen.<br />

Es gibt zwar Notunterkünfte, aber die Folgekette funktioniert<br />

nicht.<br />

Was sind Deine drei wichtigsten politischen Anliegen?<br />

Das Wichtigste ist zurzeit sicher Wohnraum für Menschen,<br />

die z. B. im Bürgergeld oder wohnungslos sind. Wohnraum<br />

muss bezahlbar und natürlich auch gleich von vornherein<br />

klimagerecht gebaut sein. Außerdem ist mir die Klimapolitik<br />

ein ganz wichtiges Politikfeld. Ich verstehe z. B. überhaupt<br />

nicht, wie so etwas Einfaches wie ein Tempolimit<br />

nicht eingeführt wird. Von wegen die Schilder sind zu teuer,<br />

ich lache mich tot. Und armutspolitisch: Wir gehen jetzt<br />

auf die Kindergrundsicherung zu und sie wäre der nächste<br />

Schritt, den wir wirklich brauchen, um die verdeckte Armut<br />

zu bekämpfen.<br />

Bezahlbaren Wohnraum gibt es in Freiburg so gut wie<br />

keinen mehr. Hast Du Ideen, die schnell und unbürokratisch<br />

bezahlbaren Wohnraum schaffen könnten?<br />

Man müsste Hilfestellung geben, dass Vermieter Wohnungslosen<br />

auch tatsächlich eine Wohnung zur Verfügung<br />

stellen. Das könnte z. B. so sein, dass die Stadt Mieterin ist.<br />

Wichtig ist, dass es noch mehr neue Wohngebiete gibt und<br />

man die 50 %-Quote für sozialen Wohnungsbau durchzieht.<br />

Da muss man intelligente Lösungen suchen.<br />

Was machst Du in Deiner Freizeit?<br />

Musik. Ich bin in zwei Chören und habe jetzt auch Blues<br />

Harp gelernt. Wenn ich ganz viel Zeit habe, dann male ich<br />

ein bisschen Aquarell. Und ich fahre sehr gerne Fahrrad.<br />

Worüber kannst Du lachen und was macht Dich wütend?<br />

Lachen kann ich z. B. über meine Enkel, wenn sie Späße<br />

machen. Wütend macht mich die internationale Lage, also<br />

die Machtpolitik der Erdoğans und Putins dieser Welt und<br />

der Krieg.<br />

Was ist für Dich der schönste Ort in Freiburg?<br />

Und welcher der hässlichste?<br />

Der schönste Ort ist für mich der Sternwald. Der unpassendste<br />

Ort ist ein paar hundert Meter entfernt, und zwar<br />

sind das die Neubauten, die vor Kurzem tief in den Lorettoberg<br />

hineingebaggert wurden, beispielsweise bis knapp<br />

an den historischen Hildaturm heran. Wie konnte so etwas<br />

erlaubt werden?<br />

Was wünschst Du Freiburg?<br />

Freiburg sieht sich ja gerne als Öko-Hauptstadt und ich<br />

fände es schön, wenn sie sich als Öko-Sozial-Hauptstadt<br />

profilieren würde, also ökologisch und sozial. Dafür gibt es<br />

allerdings noch einiges zu tun...<br />

Vielen Dank für das interessante Gespräch! Wir wünschen<br />

Dir für Dein neues Amt viel Erfolg und danken Dir<br />

für Dein ehrenamtliches Engagement.<br />

Oliver, Ekki & Conny<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023 15


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FREIeBÜRGER 05 | 2023 17


WER HAT AN DER UHR GEDREHT?<br />

Ist es wirklich schon so spät...?<br />

Foto: Gerd Altmann / Pixabay<br />

Bisher habe ich Ihnen in vier Teilen erzählt, wie sich der<br />

FREIeBÜRGER in den 25 Jahren seines Bestehens entwickelt<br />

hat. Heute komme ich damit zum Abschluss, denn<br />

im nächsten Monat steht ja das große Jubiläum schon<br />

an! Natürlich werden wir das Ereignis auch gebührend<br />

feiern, doch wie und wann, das soll vorerst noch unser<br />

Geheimnis bleiben...<br />

In der letzten Folge schrieb ich über unsere Ausflüge in<br />

die Kultur und endete damit, wie die Idee der Bettleroper<br />

entstand. Beim FREIeBÜRGER kam damals eine regelrechte<br />

Theaterhysterie auf. Denn kaum hatten wir bekannt<br />

gegeben, dass das Freiburger Theater und der FREIeBÜR-<br />

GER LaienschauspielerInnen sucht, die arbeitslos oder gar<br />

obdachlos sind, rannten die Interessenten sprichwörtlich<br />

unsere Türen ein. MitarbeiterInnen und VerkäuferInnen<br />

von uns, BesucherInnen der Tagesstätten für Wohnungslose,<br />

StraßenmusikerInnen, BettlerInnen und noch viele<br />

andere mehr wollten bei diesem Projekt mitmachen.<br />

Dieser Andrang hatte alle Erwartungen übertroffen. Nun<br />

nahm eines der größten Highlights in unserer Geschichte<br />

seinen Lauf...<br />

Als die Intendantin des Freiburger Theaters Barbara<br />

Mundel und der Regisseur Christoph Frick die Idee<br />

entwickelten, die Bettleroper in die heutige Zeit zu versetzen,<br />

hatten sie schon die Vorstellung, einige Rollen mit<br />

Betroffenen aus dem echten Leben zu besetzen. Es war<br />

nur noch offen, wie man an diese Menschen herankam.<br />

Bei einem zufälligen Treffen bei Radio Dreyeckland kamen<br />

Frau Mundel und ich ins Gespräch und da kam dann auch<br />

die Idee der Bettleroper auf den Tisch. Ich erklärte mich<br />

bereit, bei und über unsere Zeitung den „Schauspielernachwuchs“<br />

zu finden, der Rest ist Geschichte. Wie bereits<br />

erwähnt waren alle überrascht, dass sich freiwillig so viele<br />

Menschen fanden, die auf einer Bühne ihr eigenes, teils<br />

trauriges Schicksal, mitsamt den persönlichen Sorgen<br />

und Ängsten, die ein jeder hatte, darstellen wollten. Denn<br />

das war ja der eigentliche Plan, die Handlung des mehr<br />

als hundert Jahre alten Stücks ins moderne Freiburg<br />

zu holen, mit all den aktuellen Problemen, mit Hartz<br />

IV, mit akuter Wohnungsnot und mit der großen Angst<br />

vor einem sozialen Absturz. Doch die Vorfreude war bei<br />

allen riesig groß, auch die gelernten SchauspielerInnen<br />

waren gespannt auf dieses ungewöhnliche Theaterstück<br />

und freuten sich auf ihre neuen KollegInnen. Denn das<br />

Ganze hatte ja auch für die gestandenen Mimen etwas<br />

Neues, sie tauchten in eine ihnen bisher fremde Welt ein<br />

und mussten versuchen, diese nun zu verstehen. Ohne<br />

etwas vorwegzunehmen, kann ich sagen: Das ist ihnen<br />

18<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023


eeindruckend gelungen. Auch bei den Laien kam Überraschendes<br />

zutage. So hegten viele von ihnen schon länger<br />

den Traum, einmal Theater zu spielen. Dass auch unser<br />

„Chefchen“ Uli dazu gehörte, hat mich am meisten verdutzt,<br />

denn das war mir völlig neu. Der eine oder andere<br />

hat mal in einer Schulaufführung mitgespielt und wieder<br />

andere entdeckten ihre lange begrabene Liebe zu einem<br />

Instrument wieder. So hatte sich also eine bunte und<br />

völlig unterschiedliche Truppe zusammengefunden, um<br />

dem Theaterpublikum das Thema Armut nahezubringen.<br />

Dass dieses Projekt nicht zu den einfachsten gehören<br />

wird, war schon nach dem Kennenlernen und den ersten<br />

Proben klar. Schließlich hatte der größte Teil der werdenden<br />

DarstellerInnen noch nie auf einer so großen Bühne<br />

gestanden. Dazu kamen die individuellen Probleme, die<br />

ein jeder von ihnen mit sich trug. Einige hatten Suchtprobleme,<br />

andere eine chronische Krankheit und andere<br />

hatten permanente Schwierigkeiten mit irgendwelchen<br />

Ämtern. Umso erstaunlicher war es für mich zu sehen,<br />

wie Regisseur, BetreuerInnen und auch die „echten“<br />

SchauspielerInnen damit umgingen, den Betroffenen<br />

halfen und trotzdem ein echtes Ensemble auf die Bühne<br />

stellten. Denn das geschah am Ende. Nach endlosen<br />

Wochen der Proben kam die Bettleroper dann endlich zur<br />

Aufführung. Vor vollem Haus bestand die Mischung aus<br />

gelernten und LaienschauspielerInnen ihre Feuertaufe.<br />

Die ZuschauerInnen klatschten am Ende schier endlos,<br />

doch in die Begeisterung des Publikums mischte sich<br />

auch bald Betroffenheit. Das Stück hat gehalten, was es<br />

versprochen hat. Es hat aufgeweckt, es hat gezeigt, dass<br />

kaum jemand in der Gesellschaft vor dem sozialen Absturz<br />

geschützt ist. Es hat die Menschen zum Nachdenken<br />

gebracht! Und es hat gezeigt, dass auch obdachlose Menschen<br />

zu etwas fähig sind, wenn man ihnen die Chance<br />

dazu gibt! Das Stück war auf vier oder fünf Aufführungen<br />

angesetzt, die waren allesamt ausverkauft und es wurden<br />

noch einige Sondervorstellungen ins Programm genommen.<br />

Die Bettleroper am Freiburger Stadttheater war ein<br />

voller Erfolg und der FREIeBÜRGER war mittendrin!<br />

Das war, wie schon erwähnt, einer der ganz großen<br />

Höhepunkte in der Geschichte des FREIeBÜRGER, doch<br />

natürlich gab es eine Menge mehr in den vergangenen<br />

25 Jahren, wie Sie in den vorangegangenen vier Teilen<br />

lesen konnten. Für uns war und ist es wichtig, bei solchen<br />

Gelegenheiten auf uns und unsere Arbeit und natürlich<br />

auf die Motive für unsere Arbeit hinzuweisen. Das heißt:<br />

Armut öffentlich zu machen, und dafür war natürlich das<br />

Theater die sprichwörtlich richtige Bühne. Dafür gebührt<br />

natürlich Frau Mundel und Herrn Frick nochmals unser<br />

Dank! Natürlich kann ein einziges Theaterstück nicht<br />

ausreichen, um die Stadt über soziale Probleme aufzuklären,<br />

doch wir versuchen, jede sich bietende Möglichkeit<br />

zu nutzen, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Sei<br />

es nun an Info-Ständen über uns und unsere Arbeit, bei<br />

Demos oder bei Großkundgebungen wie z. B. gegen den<br />

Verkauf städtischer Wohnungen durch einen Ex-Oberbürgermeister<br />

oder gegen einen NPD-Aufmarsch 2002.<br />

Wir waren und sind dabei, zeigen Haltung und machen<br />

unsere Meinung deutlich! Bei solchen Gelegenheiten,<br />

aber auch beim Zeitungsverkauf, bin ich schon oft darauf<br />

angesprochen worden, dass unsere Haltung als Zeitung<br />

doch ziemlich weit links wäre. Nun gut, wenn wir als<br />

zu weit links von manchen LeserInnen wahrgenommen<br />

werden, weil wir, wie leider fast ausschließlich nur linke<br />

Parteien oder Gruppierungen, uns auch für mehr soziale<br />

Gerechtigkeit, mehr sozialen Wohnungsbau und ein Ende<br />

der Obdachlosigkeit einsetzen, dann sei es so... Diese drei<br />

Missstände in unserer Gesellschaft zu lösen steht beim<br />

FREIeBÜRGER auch mit an erster Stelle unserer Arbeit.<br />

In den vergangenen Jahren habe ich schon manchmal<br />

dagesessen und über uns und die 25 Jahre nachgedacht.<br />

Über die Anfänge der Zeitung, über die Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter, die beim FREIeBÜRGER waren, und über<br />

Schwierigkeiten und Erfolge, die wir hatten. Und irgendwie<br />

bin ich stolz auf das, was wir erreicht haben. Wir<br />

helfen mit, dass Obdachlose und Menschen in sozialen<br />

Notlagen ihren Alltag mit etwas mehr Würde gestalten<br />

können. Wir haben keine Häuser für Obdachlose bauen<br />

können, wir haben auch keine Menschen nachhaltig<br />

aus der Sucht befreien können und wir haben Freiburg<br />

auch nicht wirklich lebenswerter machen können. Aber<br />

wir haben jedem, der es möchte, jedem, der in Armut<br />

leben muss und daran etwas ändern möchte, die Chance<br />

gegeben, das zu tun! Nicht mehr, aber auch nicht weniger.<br />

Jeder Mensch, der begonnen hat, den FREIeBÜRGER<br />

zu verkaufen, hatte und hat die Möglichkeit, etwas<br />

Struktur in sein Leben zu bringen, sich etwas zusätzliches<br />

Geld zu verdienen und so den ersten Schritt zurück in<br />

ein „geregeltes Leben“ zu machen. Es gibt einige, die das<br />

gemacht haben, Schritt für Schritt weitergegangen sind<br />

und heute eine eigene, kleine Wohnung und einen Job<br />

haben. Natürlich haben wir nur Starthilfe gegeben, aber<br />

mehr wollen und können wir auch gar nicht tun. Und wir<br />

freuen uns über alle Menschen, die es schaffen, aus der<br />

Obdachlosigkeit herauszukommen. Und wenn wir dabei<br />

helfen konnten, freut es uns noch ein bisschen mehr!<br />

Wenn ich über unsere Ziele nachdenke, muss ich immer<br />

an Uli Herrmann denken. Der sagte einmal: „Unser Ziel<br />

muss es sein, uns selbst arbeitslos zu machen!“ Er hatte<br />

völlig recht, doch bis dahin haben wir noch jede Menge<br />

Arbeit! Auf die nächsten 25 Jahre...<br />

Carsten<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023 19


Foto: G.C. / Pixabay<br />

ROLLENTAUSCH<br />

Meine persönlichen Erfahrungen als Verkäuferin des FREIeBÜRGER<br />

Mein Schicksal beschenkte mich reichlich, als ich endlich,<br />

nach fast einem Jahr leidvollen Wartens, die Zusage vom<br />

Jobcenter bekam, dass mir ein Bildungsgutschein für die<br />

Weiterbildung in Manueller Lymphdrainage ausgestellt<br />

wird. Diese Weiterbildung ist für alle Physiotherapeuten<br />

und Medizinischen Masseure, egal ob männlich, weiblich<br />

oder divers, unabdingbar. Und wie es meine Vorherbestimmung<br />

ebenfalls wollte, fand meine Weiterbildung an<br />

der Földischule in Freiburg statt und ich bekam den letzten<br />

freien Platz. So machte ich mich also voller Vorfreude<br />

und positiver Aufregung auf den Weg vom wunderschönen<br />

Bodensee in den mystischen Schwarzwald. Natürlich<br />

musste ich die Gelegenheit nutzen und besuchte am<br />

Ende der ersten spannenden Unterrichtswoche Ekki, Oliver<br />

und Karsten in der Redaktion des FREIeBÜRGER. Schon<br />

länger hatte ich mit dem Gedanken gespielt, es auszuprobieren,<br />

wie sich das anfühlt, Straßenzeitungen zu verkaufen.<br />

Ich bekam von Karsten einen vorübergehenden Verkaufsausweis<br />

und zehn Exemplare.<br />

Als ich mich am 11. März, einem sonnigen Samstag, aufmachte,<br />

war ich ziemlich nervös. Ich stellte mich vor den<br />

Beckesepp in der Nägeleseestraße in Freiburg. In der<br />

ersten halben Stunde war nichts los. Mir kamen starke<br />

Zweifel, ob das etwas Gutes werden kann. Ich war selbst<br />

von mir überrascht, dass ich den Mut hatte, die Kundschaft<br />

direkt zu grüßen und anzusprechen, ob sie eine<br />

Zeitung kaufen möchten. Die Mehrheit grüßte freundlich<br />

zurück. Manche sagten mir, dass sie bereits eine <strong>Ausgabe</strong><br />

hätten, andere gaben mir aufmerksamerweise trotzdem<br />

Geld. Eine Kundin mittleren Alters fragte mich mitfühlend<br />

und direkt zugleich, ob ich obdachlos sei. Ich erzählte<br />

ihr, dass ich zwar eine Arbeitsstelle habe, doch keine Wohnung.<br />

Daraufhin wünschte sie mir alles Gute, dass eine<br />

Weiterbildung sich immer lohnt und dass ich eine junge,<br />

sympathische Frau sei. Als sie davonfuhr, winkte sie mir<br />

lächelnd zu. Was für eine aufbauende Begegnung für<br />

mich! Ein Kunde drückte mir später eilig eine Tafel Schokolade<br />

in die Hand, die ich jedoch nicht essen konnte, da<br />

ich laktosefreie Kost brauche. Ich schenkte die Tafel einem<br />

noch schüchternen kleinen Mädchen auf ihrem Roller,<br />

deren Mutter mir wohlgesonnen Münzen in den Becher<br />

warf. Nach einer Stunde hatte ich alle zehn Straßenzeitungen<br />

verkauft und war richtig zufrieden.<br />

Am 18. März stand ich wieder vor dem Beckesepp. Einer<br />

kräftigen Frau, die sich neben den Fahrradständer hinsetzte,<br />

bettelte und mich auf Spanisch ansprach, passte<br />

20<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023


es überhaupt nicht, dass ich meine Straßenzeitungen<br />

verkaufte. Da ich jedoch einen Verkaufsausweis hatte,<br />

konnte die Frau nicht viel machen. Der Tag war gemischt.<br />

Eine ältere, vornehm gekleidete und geschminkte Dame<br />

mit Fahrrad sagte zu mir beim Verlassen des Beckesepp,<br />

dass sie da drin (im Beckesepp) Leute suchen, da müsste<br />

ich nicht hier stehen. Puh, das musste ich erst kurz<br />

verdauen. Dann erklärte ich der Dame, dass es für wohnungs-<br />

und obdachlose Menschen arg schwierig sei, eine<br />

Arbeitsstelle anzunehmen. Denn dafür braucht es sämtliche<br />

Dokumente, die manche gar nicht mehr haben, sowie<br />

eine postalische Anschrift und ein Bankkonto. An die Antwort<br />

kann ich mich konkret nicht mehr erinnern. Solche<br />

vermeintlich gut gemeinten Ratschläge sind gegenüber<br />

Wohnungs- und Obdachlosen absolut kontraproduktiv<br />

und verurteilend. Eventuell kann die Person aufgrund<br />

einer psychischen oder körperlichen Einschränkung gar<br />

nicht mehr „ordentlich“ und „normal“ arbeiten gehen.<br />

Definitiv witziger war an diesem Tag meine ausgeübte<br />

Venengymnastik, wie wir sie im Unterricht gelernt hatten.<br />

Eine Kundin fragte mich deswegen: „Und was ist ihr<br />

Problem?“ Ich fing an, zu lachen. Ups, wie peinlich. So<br />

trüb wie das Freiburger Wetter war bedauerlicherweise<br />

mein letzter Verkaufssamstag am 25. März. Die kräftige<br />

Dame war wieder da und beleidigte mich dieses Mal übel<br />

auf Italienisch. Dann kam ein angetrunkener obdachloser<br />

Mann mit einer Flasche Wodka in der Hand zum Betteln<br />

dazu. Der Chefin vom Beckesepp wurde es verständlicherweise<br />

zu viel und sie bat mich, zu gehen. Ich schenkte ihrem<br />

sehr freundlichen Mitarbeiter, der die Polizei wegen<br />

der schimpfenden Frau rufen wollte, kostenlos ein Exemplar<br />

und machte mich geknickt auf den Rückweg. Das Geld<br />

habe ich spontan an die mir persönlich bekannten Organisationen<br />

gespendet. Einmal an die Bahnhofsmission in<br />

Husum, FreiRaum Hilfe für Frauen in Wohnungsnot und<br />

an den FREIeBÜRGER e. V.<br />

Ich finde, es kostet enorm viel Mut, sich hinzustellen und<br />

den FREIeBÜRGER zu verkaufen und habe großen Respekt<br />

vor allen, die das machen! Allen Personen, die bei mir eine<br />

Straßenzeitung gekauft haben, danke ich herzlich. Auch<br />

für die angenehmen Gespräche. Ein Dankeschön geht<br />

ebenfalls an den Becksepp für die Erlaubnis, dass Straßenzeitungen<br />

vor dem Geschäft verkauft werden dürfen.<br />

Rose Blue<br />

Anm. d. Red.: Liebe LeserInnen, falls jemand von Ihnen eine<br />

kleine Wohnung oder ein Zimmer im Raum Bodensee zu<br />

vermieten hat, bitte wenden Sie sich gerne<br />

an unsere Redaktion (0761-3196525).<br />

Vielen Dank!<br />

Der Mann unter der Brücke<br />

Frühmorgens, wenn ich ging hinaus,<br />

des Öft´ren ich ihn sah,<br />

schlafend lag er auf seiner Bank,<br />

die Augen zu, die Flaschen nah.<br />

Ich auf dem Weg zur Arbeit,<br />

gehetzt und halb im Schlaf,<br />

er stets noch friedlich schlummernd,<br />

wenn ich ihn zeitig traf.<br />

Egal zu welcher Jahreszeit,<br />

er wurde zur Konstante,<br />

es war als traf ich morgens stets<br />

eine alte Bekannte.<br />

Der Mann unter der Brücke<br />

gab auf uns alle Acht,<br />

auf unseren Arbeitswegen<br />

und später in der Nacht.<br />

„Hallo, wie geht´s? Wie war dein Tag?“,<br />

er stets jeden begrüßte<br />

und vielen dadurch nahm die Angst<br />

vor dunkler Brücken-Wüste.<br />

Vor kurzem kehrte ich zurück<br />

an jenen besonderen Ort,<br />

der Platz war leer, sein Hab und Gut, der Mann<br />

all´ das war fort.<br />

Was aus ihm wurde ich weiß es nicht,<br />

wo ist er wohl geblieben?<br />

Ich seh´ noch vor mir sein Gesicht,<br />

hoff´, dass er nicht vertrieben.<br />

„Hast du gewusst, Herr Brückenmann,<br />

dass ich dich manchmal still<br />

beneidet hab um deinen Tag,<br />

stets so wie man grad will?<br />

Vor allem aber, ich möcht´ dir sagen,<br />

dass du mir auf deiner Bank<br />

ein wichtiger Begleiter warst,<br />

hab´ dafür vielen Dank!“<br />

N. Streibel<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023 21


Engagiert für<br />

wohnungslose Menschen<br />

Sonntagstreffs<br />

im <strong>Mai</strong> 2023<br />

07.05.2023<br />

13 Uhr<br />

Katholische Hochschulgemeinde (KHG)<br />

Lorettostraße 24<br />

Straßenbahn 2 Richtung Günterstal<br />

Halt Lorettostraße<br />

Foto: E. Peters<br />

21.05.2023<br />

13 Uhr<br />

Evangelische Auferstehungsgemeinde<br />

Littenweiler<br />

Kappeler Straße 1<br />

Straßenbahn 1 Richtung Littenweiler<br />

Halt Laßbergstraße<br />

oder<br />

Zug S1/S11 Richtung Titisee<br />

Halt Bhf. Littenweiler<br />

VERKÄUFER JÜRGEN<br />

Ich bin Jürgen, verkaufe seit einigen Monaten die Straßenzeitung<br />

FREIeBÜRGER und freue mich, dass ich mich<br />

Ihnen hier kurz vorstellen kann. Ich bin geboren und<br />

aufgewachsen in Bad Krozingen in der Nähe von Freiburg.<br />

Dort habe ich auch eine kaufmännische Ausbildung abgeschlossen<br />

und viele Jahre in diesem Bereich gearbeitet.<br />

Ich bin mittlerweile Rentner und kann auf ein bisher sehr<br />

bewegtes Leben zurückblicken, in dem ein paar Sachen<br />

auch schräg abgelaufen sind. Auf die Freiburger Straßenzeitung,<br />

um meine Rente etwas aufzubessern, wurde ich<br />

über einen FREIeBÜRGER-Verkäufer aufmerksam. Mein<br />

Verkaufsplatz ist vor dem EDEKA Strecker in der Günterstalstrasse/Ecke<br />

Lorettostrasse in Freiburg. Dort verkaufe<br />

ich meist von Montag bis Samstag zwischen 9 und 18<br />

Uhr. Durch den Verkauf komme ich raus, knüpfe soziale<br />

Kontakte, denn den ganzen Tag faul in einem Zimmer hocken<br />

ist nichts für mich. Ich brauche die frische Luft und<br />

lange Spaziergänge, ich will ja physisch und psychisch<br />

gesund bleiben. Ich lebe zurzeit in einer Männer-WG für<br />

Wohnungslose, wünsche mir aber sehr eine eigene kleine<br />

Wohnung. Das wäre toll!<br />

MAI 2023<br />

WIRES & LIGHTS + MÄNGELEXEMPLAR<br />

MO, 1. I 20 H I POST-PUNK, SYNTH WAVE<br />

POSTMAN + THE BLUES AGAINST YOUTH<br />

DO, 4. I 20 H I MODERN FOLK, DIRTY BLUES‘N‘ROLL<br />

THE GEPPETTO PROJECT<br />

FR, 5. I 21 H I I DOOM-JAZZ, SLOWCORE, ELECTRONIC<br />

KAUFMANN FRUST<br />

DO, 11. I 20 H I POST PUNK<br />

LAWN CHAIR<br />

FR, 12. I 21 H I POST PUNK, INDIE<br />

SKULLCRUSHER II / KOOP: ARTIK<br />

SA, 13. I 14 H I INDOOR HEAVY METAL FESTIVAL<br />

IRNINI MONS + LOBSTER LOBSTER<br />

MO, 15. I 20 H I HARDCORE, ROCK FRANÇAIS, NOISEROCK<br />

THE BURNING HELL + JAKE NICOLL +<br />

STEVEN LAMBKE<br />

MI, 17. I 21 H I INDIE, ALTERNATIVE, FOLK, AMBIENT<br />

OUR PIECE OF PUNK + KNEIPE<br />

DO, 18. I 20 H I LESUNG UND SAMPLER HÖREN<br />

OIRO + DIE CIGARETTEN<br />

SA, 20. I 21 H I PUNK, PROBLEMKIND POP<br />

Anzeige<br />

Zum Schluss möchte ich mich noch auf diesem Wege bei<br />

meinen KundInnen für die tolle Unterstützung bedanken,<br />

sage bis ganz bald und bleiben Sie gesund!<br />

Ihr Jürgen<br />

VEREIN FÜR NOTWENDIGE KULTURELLE MASSNAHMEN e.V.<br />

HASLACHER STRASSE 25 | 79115 FREIBURG<br />

WWW.SLOWCLUB-FREIBURG.DE<br />

22<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023


MITMACHSEITE<br />

Lernen Sie uns kennen...<br />

• Diskutieren Sie mit uns<br />

• Erzählen Sie uns Ihre Geschichte<br />

• Schreiben Sie einen Artikel<br />

• Unterstützen Sie unsere Aktivitäten<br />

• Kommen Sie auf ein Käffchen vorbei<br />

Machen Sie mit!<br />

Sagen Sie es weiter!<br />

Wir freuen uns auf Sie...<br />

Ihr FREIeBÜRGER-Team<br />

Engelbergerstraße 3 – 0761/3196525 – info@frei-e-buerger.de<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023 23


Tom Lin<br />

„Die tausend Verbrechen des Ming Tsu“<br />

Suhrkamp Verlag<br />

ISBN 978-3-518-47284-2<br />

301 Seiten | 16 €<br />

C Pam Zhang<br />

„Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“<br />

Fischer Taschenbuch Verlag<br />

ISBN 978-3-596-70332-6<br />

352 Seiten | 14 €<br />

CHINESINNEN IM WILDEN WESTEN<br />

Buchtipps von utasch<br />

Im legendären Wilden Westen tauchen chinesische<br />

Einwanderer nur als Randfiguren beim Bau der Eisenbahn,<br />

als Arbeiter in Bergwerken oder Betreiber von<br />

Opiumhöhlen auf. Tragende Rollen spielen sie in den<br />

vorherrschenden Mythen nicht. Doch zwei junge in China<br />

geborene und in den USA lebende AutorInnen stellen nun<br />

Menschen chinesischer Herkunft in den Mittelpunkt ihrer<br />

Erzählungen über den Wilden Westen.<br />

Tom Wentao Lin schickt in seinem Roman einen Killer<br />

chinesischer Abstammung auf einen Rachefeldzug durch<br />

den Wilden Westen. Ming Tsu wurde als Waisenkind<br />

adoptiert und von seinem Vormund zum Auftragskiller<br />

ausgebildet. Er war so töricht, eine weiße Frau zu heiraten.<br />

Für die unerlaubte Mischehe wurde er zu zehn Jahren<br />

Zwangsarbeit bei der Central Pacific Railroad verurteilt.<br />

Wir schreiben das Jahr 1869 und Ming Tsu macht sich auf<br />

den Weg durch Nevada Richtung Kalifornien, um dort<br />

seine geliebte Frau zu finden. Sein Ruf als mordender Chinese<br />

eilt ihm voraus. Unterwegs spürt er all die Männer<br />

auf, die sein Glück zerstörten und liquidiert sie. Auf dem<br />

gefahrvollen Ritt begleitet ihn ein blinder Chinese, der<br />

den Tod vorhersehen kann. Als hilfreiche Gefährten erweisen<br />

sich auch die Mitglieder einer Schaustellertruppe, die<br />

echte Wunder vollbringen können. Gemeinsam reisen sie<br />

durch das erbarmungslose Land, in dem das Recht des<br />

Stärkeren gilt. „Die tausend Verbrechen des Ming Tsu“ ist<br />

ein blutiger, schräger und fesselnder Western mit fantastischen<br />

Elementen und ungewöhnlichen Figuren, der eine<br />

neue Perspektive auf den Wilden Westen eröffnet.<br />

Weniger blutig, aber ebenso außergewöhnlich ist der<br />

Roman „Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“ der Autorin<br />

C Pam Zhang. Sie erzählt die Geschichte von Sam und<br />

Lucy, die als Töchter chinesischer Einwanderer unter<br />

Armut und Diskriminierung leiden. Die Kinder ziehen mit<br />

der Leiche ihres Vaters auf der Suche nach einem Bestattungsplatz<br />

durch die Prärie. Dabei sind sie auch auf der<br />

Suche nach Heimat, ihrer Identität und Selbstverwirklichung.<br />

Beide tragen die Last der unerfüllten Träume ihrer<br />

Eltern. Der Vater war ein glückloser Goldgräber und die<br />

Mutter vom Heimweh nach China geplagt. Während die<br />

eigensinnige Sam ein ungebundenes Leben als Mann in<br />

der Wildnis führen möchte, sehnt sich Lucy nach Ordnung<br />

und Sauberkeit der Zivilisation. Gemeinsam ziehen sie<br />

gen Osten, wo sich die Wege der Schwestern trennen.<br />

Sam verwirklicht ihren Traum vom wilden Leben und Lucy<br />

lässt sich in Texas nieder. Als Sam nach einigen Jahren bei<br />

Lucy auftaucht, nimmt der Lauf beider Leben unerwartete<br />

Wendungen. „Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“ ist ein<br />

fesselnder und vielschichtiger Roman über die Entwicklung<br />

zweier Mädchen in einer feindlichen Welt. Der<br />

Roman ist auch ein Abgesang auf die Schönheit der Natur<br />

des Wilden Westens, die durch Ausbeutung und „Zivilisierung“<br />

zerstört wurde.<br />

Tom Wentao Lin und C Pam Zhang erweitern den Mythos<br />

vom Wilden Westen, indem sie „ihresgleichen“ aus dem<br />

Schatten ins Licht rücken und bemerkenswerte neue<br />

Geschichten über bislang ausgegrenzte Menschen<br />

erzählen.<br />

24<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023


SAUERAMPFERSUPPE<br />

Foto: E. Peters<br />

Herzlich willkommen auf unserer Kochseite!<br />

Kennen Sie das auch? Damals als Kind auf den Wiesen gespielt<br />

und hier und da auch mal etwas vom Wiesen-Sauerampfer<br />

genascht, der beim Verzehr ein Ziehen im Unterkieferbereich<br />

auslöste? Daran kann ich mich noch gut<br />

erinnern... Sauerampfersuppe gab es bei mir Zuhause jedoch<br />

nie. Dabei ist der Sauerampfer aufgrund seines hohen<br />

Vitamin-C-Gehaltes sehr gesund. Wegen seines sauren<br />

Geschmacks in der Küche kann er Zitrone oder Essig<br />

ersetzen, bildet die saure Komponente in Gerichten und<br />

passt hervorragend zu Fisch. Doch auch in Salaten, Soßen,<br />

Suppen und als Gemüsebeilage findet das Wildkraut Verwendung.<br />

Selbst einen Tee kann man mit getrockneten<br />

Sauerampferblättern zubereiten. Sehr wichtig ist jedoch,<br />

dass man niemals zu viel Sauerampfer verwendet, denn<br />

die darin vorhandene Oxalsäure und die Alkalisalze wirken<br />

in großen Dosen giftig...! Erntezeit ist von <strong>Mai</strong> bis in<br />

den Juli hinein. Wir kochen Ihnen diesen Monat eine leckere<br />

Sauerampfersuppe mit Knoblauch-Croûtons.<br />

Zutaten für 4 Personen:<br />

400 g Kartoffeln (mehligkochend), 1 Lauchstange, 1 Zwiebel,<br />

2 Bund (200 g) Sauerampfer, 4 EL Rapsöl, 1 Liter Gemüsebrühe,<br />

1 TL Zitronensaft, 150 g Sahne, 3 Scheiben Toastbrot,<br />

20 g Butter, 2 Knoblauchzehen<br />

Zubereitung:<br />

Die Kartoffeln putzen, schälen und grob würfeln. Den<br />

Lauch waschen und in grobe Ringe schneiden. Dann die<br />

Zwiebeln pellen und ebenfalls grob schneiden. Jetzt den<br />

Sauerampfer unter fließendem Wasser waschen, abtropfen<br />

lassen und zur Seite legen.<br />

Als nächsten Schritt das Rapsöl in einem großen Topf erhitzen.<br />

Die Kartoffeln, den Lauch und die Zwiebeln hineingeben<br />

und anschwitzen. Mit der Gemüsebrühe auffüllen<br />

und aufkochen. Die Brühe für 25 Minuten bei mittlerer<br />

Hitze köcheln lassen und mit einem Pürierstab fein pürieren.<br />

Jetzt den Zitronensaft, die Sahne und den Sauerampfer<br />

hineingeben und abermals fein pürieren.<br />

Für die Croûtons die Butter in einer Pfanne schmelzen,<br />

den zerdrückten Knoblauch und das in Würfel geschnittene<br />

Toastbrot dazugeben. Bei mittlerer Hitze die Brotwürfel<br />

etwas bräunen und auf Küchenkrepp abtropfen lassen.<br />

Jetzt die Sauerampfersuppe in tiefen Tellern anrichten<br />

und mit den Croûtons garnieren.<br />

Guten Appetit!<br />

Oliver & Ekki<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023 25


durchzusetzen und zu bleiben. Oder der Videoschiedsrichter,<br />

der eigentlich erfunden wurde, um in strittigen<br />

Situationen zu entscheiden, ob der Ball im Tor war oder<br />

nicht. Kurz darauf kamen noch die Abseitsentscheidungen<br />

dazu und dann schon bald der Rest vom Regelwerk.<br />

Der Schiedsrichter läuft eigentlich nur noch als Staffage<br />

auf dem Platz herum. Fällt ein Tor, dann überprüft der unsichtbare<br />

Mann im Videokeller erst einmal, ob man das<br />

zählen darf oder ob eine Straftat beim Erzielen des Treffers<br />

vorlag. Die Szene wird sich dann gefühlte 100-mal angeschaut,<br />

bis endlich eine Entscheidung getroffen wird.<br />

Etwa fünf Minuten nachdem das Tor gefallen ist dürfen<br />

die Fans dann endlich ihren Jubelschrei ausstoßen, den<br />

sie schon eine Weile im Mund hatten. Oder eben auch<br />

nicht!<br />

Hallöchen, liebe Sportfreunde,<br />

der <strong>Mai</strong> ist da und mit ihm doch (hoffentlich!) bald schönes<br />

Wetter! Mit den wärmeren Temperaturen verlagert<br />

sich auch der Sport wieder nach draußen. Die Leichtathletiksaison<br />

ist eröffnet, die Radsportler quälen sich schon<br />

über Berge und Landstraßen und die Volleyballer treiben<br />

sich wieder an Stränden herum.<br />

Ausgenommen natürlich die FußballerInnen, denn die<br />

spielen ja schon die ganze Zeit an der frischen Luft. Aber<br />

wer weiß, wie lange noch? Denn bei dem, was in den letzten<br />

Jahren im Fußball alles geändert wurde, kann mich<br />

eigentlich nichts mehr schocken. Nehmen wir doch mal<br />

die Spielerwechsel. Früher durfte jede Mannschaft zwei<br />

Spieler wechseln und dann war Schluss. Hat sich danach<br />

noch einer verletzt, dann war das halt Pech und die mussten<br />

mit einem Mann weniger spielen. Die einzige Chance<br />

war dann die, dafür zu sorgen, dass beim Gegner auch<br />

einer runtermusste. Aber heute dürfen die fünf Spieler<br />

pro Match austauschen und die nutzen das auch gnadenlos<br />

aus. Dabei geht doch jeder Spielfluss verloren! Wenn<br />

in einem eingespielten Team fünf Akteure gewechselt<br />

werden, dann spielen die doch auch völlig anders. Bis die<br />

fünf neuen sich eingefügt haben, ist das Spiel vorbei! Eingeführt<br />

wurde diese Regelung während der Coronapandemie<br />

und selbst da habe ich das nicht verstanden. Weil<br />

die Spieler während des Lockdowns nicht richtig trainieren<br />

könnten und nicht richtig fit wären, könnten nicht<br />

alle über die volle Zeit spielen und so müsse man häufiger<br />

wechseln. Was für ein Quatsch! Wenn ein Spieler nicht fit<br />

ist, dann spielt er gar nicht! Wenn er aber aufläuft, muss<br />

er in der Lage sein, 90 Min. durchzuhalten! Das ist sein<br />

Job, dafür kassiert er Millionen. Und obwohl Corona jetzt<br />

schon eine Weile vorbei ist, scheint sich diese Regelung<br />

Auch bei eventuellen Handspielen oder bei Fouls im oder<br />

am Strafraum mischt der sich inzwischen ein, sodass<br />

auch Elfmeterentscheidungen in der Regel etwa fünf Minuten<br />

dauern. Und trifft der eigentliche Schiri so eine<br />

Strafstoßentscheidung mal eigenmächtig, kann man fast<br />

darauf wetten, dass sich das Kellerkind wieder meldet<br />

und die Entscheidung überprüfen lässt! Da hat sich doch<br />

der legendäre Sepp Herberger schwer geirrt, als er vor vielen<br />

Jahren behauptete: „Ein Spiel dauert 90 Min.!“ Unter<br />

100 läuft da kaum noch was. Ich kann mich erinnern, dass<br />

es bei der vergangenen WM ein Vorrundenspiel gab, in<br />

dem es eine Nachspielzeit von 22 Min. gab. In der ersten<br />

Halbzeit! Es ist eben nichts mehr so, wie es einmal war.<br />

Auch Gastfreundschaft gibt es im Fußball nicht mehr. Vor<br />

ein paar Tagen war ich nach langer Zeit mal wieder in einem<br />

Stadion, in der Europa-Park Arena nämlich. Schalke<br />

04 war zu Gast und was soll ich sagen, die Hausherren<br />

schossen bereits in der 6. Min. das 1:0, obwohl doch<br />

jeder deutlich sehen konnte, dass die Schalker Mannschaft<br />

noch damit beschäftigt war, sich das Badnerlied ins<br />

Deutsche übersetzen zu lassen! Und auch danach schossen<br />

sie immer wieder auf das Gästetor, obwohl die Schalker<br />

ohne Torwart angetreten waren. Fairplay geht anders!<br />

Dafür haben aber die Knappen jede Menge Gastgeschenke<br />

mitgebracht und so verloren meine Schalker das Spiel,<br />

fast ohne Gegenwehr, auch folgerichtig. Da es eigentlich<br />

überhaupt keinen Grund zum Jubeln gab für mich,<br />

kam ich das einzige Mal in meinem Leben nicht heiser<br />

aus dem Stadion... Aber von der neuen Arena des Sportclubs<br />

war ich doch positiv überrascht. Na klar, es ist nicht<br />

die Schalke - Arena, aber trotzdem ganz gut. Es gab jede<br />

Menge Verpflegungsstände, sodass man im Stadion echt<br />

weder verhungern noch verdursten muss. Und da es so<br />

viele Stände sind, hält sich auch die Wartezeit in Grenzen.<br />

Und obwohl das Spiel ausverkauft war, hatte ich nie<br />

das Gefühl, in einer Menschenmenge zu ersticken. Da hat<br />

man beim Bau mal mitgedacht! Für meine Schalker wird<br />

26<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023


Abb.: Thomas Tuchel wäre der erste Bayern-Coach seit mehr als zehn Jahren, der keine Trophäe gewinnen kann.<br />

Foto: Heiko Becker / REUTERS<br />

es nach der Klatsche hier in Freiburg natürlich schwer, die<br />

Klasse zu halten. Die Gegner in den verbleibenden fünf<br />

Spielen stehen alle in der oberen Tabellenhälfte.<br />

Aber während ich bei den Schalkern schon zu Saisonstart<br />

wusste, dass es schwer wird in der Bundesliga zu bleiben,<br />

erleben die Bayern in München wohl ihr schlimmstes<br />

Saisonende seit einer Ewigkeit. Die könnten doch am<br />

Ende tatsächlich komplett ohne Titel dastehen. Ich bin<br />

jetzt zu faul, in meinen Bayern-Jahrbüchern zurückzublättern,<br />

wann es das zuletzt gab, aber es ist sehr, sehr<br />

lange her. Und das Schöne ist, die können die Schuld nicht<br />

auf jemand anderes abwälzen, nein die haben das ganz<br />

allein verbockt! Im März waren sie in allen drei Wettbewerben<br />

noch vertreten und hatten die Chance, mal wieder<br />

das Triple zu holen. Dann schmeißen die den Nagelsmann<br />

als Trainer raus und holen Tuchel und von da an<br />

geht alles den Bach runter. Wahrscheinlich hat irgendwer<br />

im Vorstand einen Grund gehabt, den Nagelsmann zu<br />

feuern, obwohl der Vorstand bei seiner Verpflichtung ja<br />

von einem Langzeitprojekt sprach. Aber warum holt man<br />

Tuchel? Was hat der bisher gewonnen? Mit <strong>Mai</strong>nz ist er<br />

mal A-Jugend-Meister geworden, Respekt! Den Titel in der<br />

Champions League hatte Chelsea nicht ihm zu verdanken,<br />

denn er kam ja erst in der Rückrunde der Saison. Und<br />

sonst? Ansonsten kam er überall hin als Nachfolger von<br />

Klopp und ist dann ohne Erfolg wieder gegangen! Und in<br />

München kommt der mir gerade vor, als wäre er dauerhaft<br />

bekifft. Erst fliegen sie im DFB-Pokal gegen Freiburg<br />

raus, dann gegen Manchester in der Champions League<br />

und nun haben sie auch noch die Führung in der Liga vergeigt.<br />

Und Tuchel redet in jeder Pressekonferenz davon,<br />

wie toll das Spiel seiner Mannschaft gerade war! Das ist<br />

doch nicht normal! Und was macht Nagelsmann? Der<br />

braucht auf jeden Fall nix kiffen, der ist gerade sowieso<br />

gut drauf!<br />

Zum Schluss noch was weniger Schönes: Ernst Huberty ist<br />

verstorben! Im Alter von 96 Jahren starb der Erfinder der<br />

Sportschau Bundesliga. Samstag für Samstag um 18 Uhr<br />

begrüßte er „sein“ Publikum vor dem Fernseher zum Bundesligareport.<br />

Ich kann mich noch erinnern, dass ich als<br />

Kind, mit meinem Vater und später auch allein, gespannt<br />

vor der Glotze saß und auf Hubertys Kommentare wartete.<br />

Ich weiß gar nicht, wie oft er für die ARD bei einer WM<br />

oder EM dabei war, aber an manche Spiele erinnere ich<br />

mich noch. Nun ist seine Fußballzeit vorbei!<br />

Das war es für heute, beim nächsten Mal gibt es vielleicht<br />

schon die ersten Entscheidungen!<br />

Carsten<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023 27


Kontakt: www.schemske.com<br />

FOLGE 35<br />

Wieder einmal fuhr Wolf Hammer nach Freiburg-Ebnet.<br />

Didi, eigentlich Wolf-Dieter von Grillenstein, Antiquitäten-Händler<br />

und Exmann von Wolfs Freundin Annabell,<br />

hatte ihn angerufen. „Du weißt doch noch, meine Einweihungsparty<br />

für das neu umgebaute Schloss, da hast<br />

du Annabell sehr geholfen.“ Wolf wartete ab. Didi war<br />

ein längst vergessener Jugendfreund, der ihn erst spät<br />

‚wiederentdeckt‘ hatte. Außerdem, neigten Exmänner<br />

nicht dazu, auf die neuen Freunde ihrer Frau eifersüchtig<br />

zu sein? Dennoch hatte Wolf zugesagt, ihn am Abend zu<br />

besuchen.<br />

Schon oft war er aus Freiburg herausgefahren in Richtung<br />

der Täler, die sich auf die Höhen des Schwarzwaldes<br />

schlängeln. Überraschend flach waren die Wiesen,<br />

eigentlich Schwemmland, topfeben durch die Unmenge<br />

an Kieseln, die von der Dreisam aus den Schluchten des<br />

Gebirges herabgeführt wurden, und die das einstmals<br />

tiefe Tal eben aufgefüllt hatten.<br />

Jedes Mal hatte es ein anderes Wetter gegeben, wenn er<br />

aus der Stadt herauskam. Und wenn er es als angenehm<br />

empfunden hatte, war es blitzschnell umgeschwenkt,<br />

graue Wolken, die sich im Dahinrasen schwarz verfärbten.<br />

Dieses Mal war der Himmel blau, nur unten, nahe<br />

dem Horizont, breitete sich ein schmaler Streifen aus, in<br />

einem blass leuchtenden Türkis. Nach dem Aussteigen<br />

schaute er lange zum Himmel, bis das Türkis langsam ins<br />

Abendrot wechselte. Wolf parkte den Maybach an genau<br />

dem Platz, auf dem Annabells Citroën geparkt hatte.<br />

Beim Fußmarsch zu Didis denkmalgeschütztem Schlösschen<br />

überlegte er, was Didi gemeint hatte, als er ihn<br />

anrief, aber er kam zu keinem Ergebnis. Didi kam ihm<br />

schon entgegen, er musste aus einem der oberen Fenster<br />

Ausschau nach ihm gehalten haben, und grüßte ihn<br />

freundschaftlich.<br />

In dem repräsentativen Saal im ersten Stock setzten sie<br />

sich an einen der niedrigen Tische, die mit Raumteilern,<br />

eigentlich waren es Pflanzkübel mit hochgewachsenen<br />

Bambusbüschen, abgeteilt waren. Didi hatte Coq au Vin<br />

gekocht, Hähnchen in Rotweinsauce. Er servierte dazu<br />

Côte-d'Or-Rotwein, den er auch in den Schmorsud gegeben<br />

hatte. Über Annabell sagte Didi zunächst nichts.<br />

Zwischen den Bissen schwiegen sie.<br />

Wolf dachte an den Musikmanager, auch mit ihm hatte<br />

es ein solches Schweigen gegeben. Mitch hatte ihm bei<br />

seinem letzten Besuch in der Schwarzwaldklinik seine<br />

Arbeit gezeigt. „Ich lese nichts mehr, ich schreibe“, hatte<br />

er erklärt. Dann setzten sie sich an Mitchs Schreibtisch.<br />

Der kleine Klapprechner war an einen großen Monitor<br />

angeschlossen. Leise fuhr das Gerät hoch.<br />

Mitchs Laptop hatte keine Systemklänge, die waren abgestellt.<br />

Wolf sah ihm über die Schulter. Der Musikmanager<br />

arbeitete mit einem Word-Programm. Er öffnete<br />

ein Dokument. Mitchs Vorbild für sein Hypertext-Dokument<br />

war die Encyclopaedia Britannica, die 1768 zuerst<br />

erschienen war. „Seit 2012 erscheint sie in digitaler Form“,<br />

hatte Mitch erklärt. „Eigentlich könnte ich auch einfach<br />

in der Wikipedia nachschlagen. Aber suche dort mal nach<br />

einem Freiburger Blues-Musiker!“, sagte er leise. Wolf sah<br />

ihn fragend an. Mitch begann zu erzählen.<br />

„Ich habe am Anfang, es war etwa 1986, einen Laptop<br />

mit Windows 1.0-Desktop benutzt. Das Gerät hat mich<br />

damals zweitausend Dollar gekostet. Plus Flug nach New<br />

York. Aber es hatte ein Programm mit der Dateiendung<br />

28<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023


*.crd, das heißt Card. Ich speicherte meine Stichworte damit<br />

auf Disketten, und schon hatte ich eine Datenbank.<br />

Es war nicht so leicht, die Daten später auf WIN 10 zu<br />

übertragen.“ Mitch sah Wolf an, der nickte. „Verstehe.“<br />

Mitch fuhr fort. „Jetzt arbeite ich ganz einfach mit Word.<br />

Ich setze aber Anker. Das sind Verweise auf andere Artikel.<br />

Die Stichworte sind alphabetisch geordnet und jeder<br />

Eintrag hat Verweise. Also wenn zum Beispiel Arno, der<br />

Drummer, noch bei einer anderen Freiburger Band spielt,<br />

ist er auch dort zu finden, und dort wiederum ist ein Verweis<br />

auf die andere Band. Alles hängt mit allem zusammen.<br />

Ganz einfach.“<br />

Daran musste Wolf denken, als er sein Glas mit Didis<br />

Rotwein erhob. Didi prostete ihm zu und sagte: „Ich mache<br />

mir Sorgen um Annabell. Sie ist sehr exponiert, eine<br />

öffentliche Person.“ Wolf überlegte. Annabell war gefährdet,<br />

das war klar. „Personenschutz?“, fragte er. „Der kostet<br />

ein paar Hundert Euro am Tag, das kann ich mir nicht<br />

leisten.“ Wolf dachte nach. Alles hängt mit allem zusammen.<br />

Didi war nicht nur ein Schamane, sondern auch ein<br />

sehr undurchsichtiger Geschäftsmann. „Hast du Freunde?“,<br />

fragte Wolf.<br />

Wolf dachte dabei an Sir Davis, seinen Auftraggeber. Didi<br />

kannte ihn auch und hatte ihm mal mit einer nicht geringen<br />

Summe ausgeholfen. Die damalige Notlage von Sir<br />

Davis schien mit der Musikmafia zusammenzuhängen.<br />

Was wäre, wenn es die echte Mafia war, die sich ein neues<br />

Geschäftsfeld erobern wollte?<br />

„Gibt es in Freiburg eine Mafia?“, wollte Wolf wissen. „Ja,<br />

aber das sind keine Freunde“, sagte Didi. Wolf schaute ihn<br />

an. „Aber halt, nun ja, also, ja, ich habe Verbindungen.“<br />

Wolf überlegte. „Und wenn du deine Freunde um Hilfe<br />

fragst?“ Didi haute seine Gabel in den zarten Hähnchenschenkel,<br />

dass die Soße spritzte. „Damit mache ich sie nur<br />

auf ein neues Geschäftsfeld aufmerksam.“<br />

Mit solchen Leuten in Kontakt zu kommen war möglich,<br />

aber sie wieder loszuwerden? War Didi in gefährliche Machenschaften<br />

verstrickt? Wollte er deshalb Wolfs Hilfe?<br />

Ging es wirklich nur um Annabell? Didis und Annabells<br />

Tochter Susi, genannt SuSi-DeLuCiA, oder Juicy Lucy, wie<br />

sie im Internet hieß, war mindestens ebenso gefährdet.<br />

Sie hatte aber einen ganzen Tross von Girls um sich,<br />

sowie den Fahrer ihrer Limo, beruhigte er sich. Der auch<br />

manchmal an fremden Mischpulten Regler verschob.<br />

Wolf dachte nach.<br />

In der Schwarzwaldklinik hatte er den echten Musikmanager<br />

etwas Privates gefragt. „Wie kam es eigentlich zu<br />

deinem Hörsturz?“ Leise sagte Mitch: „Das weiß ich nicht<br />

mehr genau. Hab ich wohl verdrängt. Also gut. Es war ein<br />

Reggae-Konzert in Emmendingen. Ich wollte bloß den<br />

Sänger was fragen, da bin ich zu nahe an die PA gekommen.<br />

Ich hätte es mir ja denken können, aber man ist zu<br />

abgelenkt. Als ich auf meinem Weg zur Bühne beim Zelt<br />

fürs Mischpult vorbeikam, habe ich den Mischer nur von<br />

hinten gesehen. Lederjacke, Stiernacken, hochrasierte<br />

Frisur, oben etwas mehr. Auch die um ihn herum stehenden<br />

Leute hätten mir verdächtig vorkommen müssen.<br />

Wenn ich es nicht so eilig gehabt hätte, zur Bühne zu<br />

kommen! Wenn ich mir das überlege! Die Höhen wirkten<br />

gequetscht, krisselig, aber durch die überlauten Bässe fiel<br />

mir das erst im Nachhinein auf. Fahrlässig – was sage ich<br />

da – bösartig, wie der die Höhen aufgedreht hatte. Am<br />

Abend spürte ich ein Klingeln, nach einer Woche dachte<br />

ich, nanu, ist das Klingeln noch nicht weg, dann brach ich<br />

zusammen. Den Rest kennst du ja.“<br />

Immer wieder gerieten die Roadies und die Tonmischer<br />

ins Zentrum von Wolfs Aufmerksamkeit, nur um in derselben<br />

Sekunde wieder vergessen zu werden. Es sind die<br />

Künstler, die uns interessieren. Beim nächsten Besuch in<br />

der Schwarzwaldklinik würde er Mitchs wunderbare Datenbank<br />

genauer befragen. Vielleicht genügte es schon,<br />

einfach Mitch zu befragen.<br />

Didi weckte ihn aus seinem Gedanken: „Noch einen<br />

Wein?“ Wolf schüttelte den Kopf. Langsam wurde es<br />

Zeit, auch Didi genauer zu befragen. Warum hatte er ihn<br />

eingeladen? Den Grund dazu hatte er nur gestreift, aber<br />

nicht genau erklärt, was ihm Sorgen bereitete. Wusste<br />

Didi mehr, als er zugab?<br />

- Fortsetzung folgt -<br />

NEU!<br />

www.schemske.de<br />

Wolf-Hammer-Krimi<br />

als Audiobook<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023 29


WIR WERDEN DIE NUSS SCHON KNACKEN!<br />

WORTSPIELRÄTSEL<br />

von Carina<br />

Fett umrandete Kästchen stellen den jeweiligen Lösungsbuchstaben des endgültigen<br />

Lösungswortes dar und zwar von oben nach unten gelesen. Sind pro Einzellösung mehrere<br />

Kästchen fett umrandet, sind diese Buchstaben identisch! Alles klar? Na dann viel Spaß!<br />

Zur Beachtung: Ä/Ö/Ü = AE/OE/UE und ß = SS<br />

Palim-Palim!<br />

Wohnen sollte grundsätzlich ein Menschenrecht sein, denn es hat unmittelbare Auswirkungen<br />

auf die Lebensqualität von uns allen. Aber es entwickelt sich zum gesellschaftspolitischem<br />

Mega-Thema in Sachen Knappheit und Kostenexplosion, nicht zuletzt auch durch die<br />

Klima-Veränderungen. Viele Investoren profitieren in dieser immer mächtiger werdenden<br />

Branche, die für die meisten zunehmend unbezahlbar wird und deshalb ist es in unserer<br />

Redaktion ein äußerst wichtiges Dauer-Thema: Die Grundlage hierfür ist diesmal das<br />

Thema Bauen – Erbauliches Gelingen!<br />

1. Ein Bratgerät für ein Hausteil<br />

2. Ein HiFi-Gerät für Wetterverhalten<br />

3. Eine Tierbehausung für Tonträger<br />

4. Ein Baustoff-Schimpfwort<br />

5. Ein Kellner-Projektil<br />

6. Ein Untergeschoss mit Getränk<br />

7. Ein BH-Teil für eine Tierbehausung<br />

8. Eine Begrenzung für den Waidmann<br />

9. Eine Party-Auszeichnung<br />

10. Ein Philosophen-Baustoff<br />

Lösungswort:<br />

Zu gewinnen für das korrekte Lösungswort:<br />

1.- 3. Preis je ein Gutschein unserer Wahl<br />

UND:<br />

Im Dezember 2023 wird von ALLEN korrekten<br />

Einsendungen ein zusätzlicher Gewinner gezogen,<br />

der eine besondere Überraschung erhält!<br />

Einsendeschluss<br />

ist der 30. <strong>Mai</strong> 2023<br />

(es gilt das Datum des Poststempels bzw. der E-<strong>Mai</strong>l)<br />

E-<strong>Mai</strong>ls NUR mit Adressen-Angabe. Unsere Postanschrift finden Sie<br />

im Impressum auf Seite 31. Teilnahmeberechtigt sind alle, außer die<br />

Mitglieder des Redaktionsteams. Wenn es mehr richtige Einsendungen als<br />

Gewinne gibt, entscheidet das Los. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />

Lösungswort der letzten <strong>Ausgabe</strong>: AUGENHOEHE<br />

bestehend aus den folgenden Einzellösungen:<br />

1. SAMENBANK 2. BRUSTKORB<br />

3. AUGENSTERN 4. KREUZWIRBEL 5. GENDARM<br />

6. KNOCHENMARK 7. BOTENSTOFF<br />

8. EIERSTOCK 9. OHRLAEPPCHEN 10. KNIEFALL<br />

Gewonnen haben (aus 75 korrekten Einsendungen):<br />

B. Schneider, Freiburg<br />

D. Chojniak, Freiburg<br />

H. Malter, Freiburg<br />

HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH !<br />

Die Gewinner werden schriftlich benachrichtigt.<br />

30<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023


ÜBER UNS<br />

Seit Jahren geht in unserer Gesellschaft die Schere zwischen<br />

Arm und Reich weiter auseinander. Besonders durch die<br />

Agenda 2010 und die damit verbundenen Hartz IV-Gesetze<br />

wurden Sozialleistungen abgesenkt. Die Lebenshaltungskosten<br />

steigen jedoch von Jahr zu Jahr. Viele Menschen kommen<br />

mit den Sozialleistungen nicht mehr aus oder fallen schon<br />

längst durch das ziemlich löchrig gewordene soziale Netz.<br />

Und heute kann jeder von Arbeitslosigkeit bedroht sein.<br />

Vereine und private Initiativen versuchen die Not, in welche<br />

immer mehr Menschen kommen, zu lindern und die Lücken<br />

im System zu schließen. Es gibt unterschiedliche nichtstaatliche<br />

Einrichtungen wie z. B. die Tafeln, welche sich um diese<br />

ständig wachsende Bevölkerungsgruppe kümmern. Oder<br />

eben die Straßenzeitungen wie der FREIeBÜRGER.<br />

In unserer Straßenzeitung möchten wir Themen aufgreifen,<br />

welche in den meisten Presseerzeugnissen oft zu kurz oder<br />

gar nicht auftauchen. Wir wollen mit dem Finger auf Missstände<br />

zeigen, interessante Initiativen vorstellen und kritisch<br />

die Entwicklung unserer Stadt begleiten. Wir schauen aus<br />

einer Perspektive von unten auf Sachverhalte und Probleme<br />

und kommen so zu ungewöhnlichen Einblicken und<br />

Ansichten. Damit tragen wir auch zur Vielfalt in der lokalen<br />

Presselandschaft bei.<br />

Gegründet wurde der Verein im Jahr 1998 von ehemaligen<br />

Wohnungslosen und deren Umfeld, deshalb kennen die<br />

MitarbeiterInnen die Probleme und Schwierigkeiten der<br />

VerkäuferInnen aus erster Hand. Ziel des Vereins ist es, dass<br />

Menschen durch den Verkauf der Straßenzeitung sich etwas<br />

hinzuverdienen können, sie durch den Verkauf ihren Tag<br />

strukturieren und beim Verkaufen neue Kontakte finden<br />

können. Wir sind eine klassische Straßenzeitung und geben<br />

unseren VerkäuferInnen die Möglichkeit, ihre knappen finanziellen<br />

Mittel durch den Verkauf unserer Straßenzeitung<br />

aufzubessern. 1 € (Verkaufspreis 2,10 €) pro <strong>Ausgabe</strong> und das<br />

Trinkgeld dürfen unsere VerkäuferInnen behalten.<br />

Es freut uns zum Beispiel sehr, dass sich einige wohnungslose<br />

Menschen über den Verkauf der Straßenzeitung eine neue<br />

Existenz aufbauen konnten. Heute haben diese Menschen<br />

einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz und eine<br />

Wohnung. Der FREIeBÜRGER unterstützt also Menschen<br />

in sozialen Notlagen. Zu unseren VerkäuferInnen gehören<br />

(ehemalige) Obdachlose, Arbeitslose, GeringverdienerInnen,<br />

RentnerInnen mit kleiner Rente, Menschen mit gesundheitlichen<br />

Problemen, BürgerInnen mit Handicap u. a. Unser Team<br />

besteht derzeit aus fünf MitarbeiterInnen. Die Entlohnung<br />

unserer MitarbeiterInnen ist äußerst knapp bemessen und<br />

unterscheidet sich aufgrund der geleisteten Arbeitszeit und<br />

Tätigkeit. Dazu kommt die Unterstützung durch ehrenamtliche<br />

HelferInnen. Leider können wir durch unsere Einnahmen<br />

die Kosten für unseren Verein, die Straßenzeitung und Löhne<br />

unserer MitarbeiterInnen nicht stemmen. Daher sind wir<br />

auch in Zukunft auf Unterstützung angewiesen.<br />

SIE KÖNNEN UNS UNTERSTÜTZEN:<br />

• durch den Kauf einer Straßenzeitung oder<br />

die Schaltung einer Werbeanzeige<br />

• durch eine Spende oder eine Fördermitgliedschaft<br />

• durch (langfristige) Förderung eines Arbeitsplatzes<br />

• durch Schreiben eines Artikels<br />

• indem Sie die Werbetrommel für unser<br />

Sozialprojekt rühren<br />

Helfen Sie mit, unser Sozialprojekt zu erhalten und weiter<br />

auszubauen. Helfen Sie uns, damit wir auch in Zukunft<br />

anderen Menschen helfen können.<br />

Impressum<br />

Herausgeber: DER FREIeBÜRGER e. V.<br />

V.i.S.d.P: Oliver Matthes<br />

Chefredakteur: Uli Herrmann († 08.03.2013)<br />

Titelbild: MAUSA Vauban in Neuf-Brisach<br />

Layout: Ekkehard Peters<br />

An dieser <strong>Ausgabe</strong> haben mitgearbeitet:<br />

Carsten, Carina, Conny, Ekki, H. M. Schemske,<br />

Karsten, Oliver, Recht auf Stadt, Rose Blue, utasch<br />

und Gastschreiber<br />

Druck: Freiburger Druck GmbH & Co. KG<br />

Auflage: 5.000 | Erscheinung: monatlich<br />

Vereinsregister: Amtsgericht Freiburg | VR 3146<br />

Kontakt:<br />

DER FREIeBÜRGER e. V.<br />

Engelbergerstraße 3<br />

79106 Freiburg<br />

Tel.: 0761 / 319 65 25<br />

E-<strong>Mai</strong>l: info@frei-e-buerger.de<br />

Website: www.frei-e-buerger.de<br />

Öffnungszeiten: Mo. - Fr. 12 - 16 Uhr<br />

Mitglied im Internationalen Netzwerk<br />

der Straßenzeitungen<br />

Der Nachdruck von Text und Bild (auch nur in Auszügen) sowie<br />

die Veröffentlichung im Internet sind nur nach Rücksprache<br />

und mit der Genehmigung der Redaktion erlaubt. Namentlich<br />

gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung<br />

der Redaktion wieder.<br />

Die nächste <strong>Ausgabe</strong> des FREIeBÜRGER erscheint am:<br />

01.06.2023<br />

1. und 2. Mittwoch im Monat um 14 Uhr:<br />

Öffentliche Redaktionssitzung<br />

FREIeBÜRGER 05 | 2023 31


Zwischen dem 20. und 26. <strong>Mai</strong> findet in Freiburg<br />

und anderen Städten eine Aktionswoche<br />

für die Abschaffung des ausgrenzenden Asylbewerberleistungsgesetzes<br />

(AsylbLG) statt.<br />

Obwohl das gesetzliche Existenzminimum für<br />

Bezieher*innen von Bürgergeld (Hartz IV) bereits<br />

niedrig gerechnet wird und nicht für ein<br />

menschenwürdiges Leben ausreicht, erhalten<br />

Personen im AsylbLG noch weniger als das<br />

staatlich festgelegte Existenzminimum. Gleichzeitig<br />

gibt es Einschränkungen bei der medizinischen<br />

Behandlung und eine mögliche Verpflichtung<br />

zur gemeinnützigen Arbeit für 80<br />

Cent/h. Eng verknüpft mit diesem auf Abschreckung<br />

von Schutzsuchenden zielenden<br />

Gesetz ist die Unterbringung in Sammellagern.<br />

In Freiburg steht die Landeserstaufnahmestelle<br />

in der Müllheimer Straße für diese Politik. Auch<br />

wenn es durch die Abschottung des Lagers nicht<br />

einfach ist, an Berichte von Bewohner:innen zu<br />

kommen, versucht Radio Dreyeckland seit Jahren,<br />

einen kritischen Blick auf die Zustände<br />

hinter dem Zaun zu werfen. Insbesondere bei<br />

unserer Geflüchtetensendung Our Voice<br />

kommen immer wieder Betroffene selber zu<br />

Wort. Bei Radio Dreyeckland gewöhnen wir uns<br />

nicht an den ras-sistischen Normalzustand,<br />

blicken weiter kritisch auf die LEA und begleiten<br />

z. B. journalistisch die Demo für eine<br />

Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes<br />

am 26. <strong>Mai</strong>.<br />

rdl.de/tag/asylbewerberleistungsgesetz<br />

Wie sozial werden die neuen Baugebiete?<br />

In Freiburg werden demnächst die Grundlagen für neue Stadtquartiere<br />

gelegt. Neben dem größeren Baugebiet Kleineschholz im Stühlinger,<br />

für das sich zahlreiche Projekte des Mietshäuser Syndikats<br />

interessieren, die aber aktuell aufgrund der steigenden Baukosten<br />

und der Zinsentwicklung vor kaum stemmbaren finanziellen Herausforderungen<br />

stehen, wird der Gemeinderat auch über die Höhe in<br />

Zähringen debattieren. Dort steht die Offenlage des Bebauungsplans<br />

an. Private Investoren kaufen sich immer wieder billig von der Verpflichtung,<br />

sozialen Wohnungsraum zu schaffen, frei. Gerade<br />

deshalb wäre es bei Gebieten, in denen die Stadt die volle Kontrolle<br />

hat wichtig, dass sozialer Wohnungsbau die oberste Priorität hat. In<br />

einer Stadt wie Freiburg, in der über die Hälfte der Bevölkerung<br />

Anrecht auf einen Wohnberechtigungsschein hätte, es aber kaum<br />

mehr sozialen Wohnungsraum gibt, sind 50 % beim Neubau nicht<br />

ausreichend. In Gebieten wie den ökologisch wertvollen<br />

Streuobstwiesen in Zähringen lässt sich eine Bebauung ohne einen<br />

sozialen Mehrwert nicht rechtfertigen. Wir werden die Entwicklungen<br />

genau beobachten. rdl.de/tag/sozialer-wohnungsbau<br />

Jeden 1. Mittwoch des<br />

Monats: 12-13 Uhr<br />

im Mittagsmagazin<br />

'Punkt 12'<br />

Hört, Macht, Unterstützt Radio Dreyeckland: 102,3 Mhz - Stream: rdl.de/live - 0761/31028

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