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Warum ist das so kompliziert?<br />

Der englische Psychoanalytiker Roger Money-Kyrle hat<br />

einmal gesagt, dass es ein Zeichen von seelischer Gesundheit<br />

sei, den Unterschied erkennen zu können<br />

zwischen dem, was wir uns wünschen, und dem, was<br />

wir brauchen. Das trifft auch auf Verliebte zu. »Das<br />

Fatale an der Partnerwahl ist, dass die Entscheidungen<br />

nicht im Frontalhirn getroffen werden, sondern auf einer<br />

emotional gefärbten Ebene im limbischen System«,<br />

sagt Eckhard Roediger, Neurologe, Paartherapeut und<br />

Leiter des Instituts für Schematherapie in Frankfurt. In<br />

uns herrsche ein Codierungssystem, das blitzschnell<br />

sortiert: Freund, Feind, mag ich, mag ich nicht, kann<br />

ich riechen oder nicht. »Die emotionale und körperliche<br />

Anziehung ist sehr animalisch. Sie sagt allerdings nichts<br />

darüber, wer einem wirklich guttut.«<br />

Was uns anzieht, lernen wir oft sehr früh. Um all<br />

die sozialen Prozesse gleich parat zu haben, die uns als<br />

Mensch später ausmachen, bräuchten wir ein so großes<br />

Gehirn, dass unser Kopf nicht mehr durch den Geburtskanal<br />

passen würde. Wir kommen also zu früh auf die<br />

Welt, unfertig und verletzlich. Dann saugen wir wie ein<br />

Schwamm alles auf, was uns umgibt. Was unser Umfeld<br />

– oft die Mutter, der Vater – denkt, wie es lebt und liebt,<br />

bildet sich direkt in uns ab, gräbt sich ein in unser junges<br />

Hirn: Haben wir uns aufgehoben gefühlt? Wurde uns<br />

die Panik genommen vor dem plötzlichen Ausgeliefertsein<br />

in der Welt? Was wir in dieser Phase kennenlernen,<br />

wird unsere erste Vorstellung von Liebe prägen. Auch<br />

wenn das nicht immer gut für uns ist.<br />

Um im späteren Leben zu erkennen, wer uns wirklich<br />

guttut, müssen wir eine Lektion von Eckhard Roediger<br />

lernen: »Auch das Gegenteil von Guttun kann stimulieren<br />

und reizen. Damit müssen wir leben. Das ist Teil<br />

unserer Existenz.« Wenn Wollen und Brauchen immer<br />

dasselbe wären, dann gäbe es viel weniger Menschen<br />

mit Übergewicht oder Drogenproblemen. Und seltener<br />

Beziehungsdramen. Sein nüchterner Rat: »Wir müssen<br />

lernen, einen Ausgleich zu finden zwischen dem, was<br />

der Kopf gut findet, und dem, was der Bauch will.«<br />

Was ist das eigentlich: guttun?<br />

Mäeutik heißt eine Gesprächstechnik, deren Entwicklung<br />

Platon seinem Lehrer Sokrates zuschreibt. Bei<br />

dieser Technik erläutert nicht ein Redner einem anderen<br />

eine Erkenntnis, sondern er bringt das Gegenüber<br />

durch Fragen dazu, selbst auf den Gedanken zu kommen.<br />

Den Namen Mäeutik soll Sokrates’ Mutter vorgeschlagen<br />

haben, die Hebamme war. Sie verglich die<br />

Technik mit einer Geburt: Mithilfe des Lehrers werde<br />

die Einsicht vom Lernenden selbst geboren. Mäeutik<br />

ist das altgriechische Wort für die Hebammenkunst.<br />

Ulrike Geppert-Orthofer sagt: »Menschen, die einen<br />

dazu bringen, aus sich heraus zu erkennen, was einem<br />

guttut, das sind auch die, die einem guttun. Das sind die,<br />

die einen ernst nehmen und die einen so sein lassen, wie<br />

man ist.« Geppert-Orthofer ist Präsidentin des Deutschen<br />

Hebammenverbands und hat jahrelang selbst Frauen bei<br />

der Geburt begleitet. Eine Geburt sei natürlich eine<br />

Grenzsituation. Im Laufe dieses elementaren Ereignisses

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