Kappedeschle_2024
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NARRIZELLA RATOLDI 1841 E.V. DE KAPPEDESCHLE <strong>2024</strong> 21<br />
Die Radolfzeller Aach<br />
Von Bruno Epple. Vorgetragen im Narrenspiegel 1964.<br />
Die Aach klagt:<br />
ach, ach, ich nin die arme Aach<br />
und trage Kummer, leide Schmach,<br />
kein Mensch vernimmt mein Klagen,<br />
man klärt nicht, sonden duskutiert<br />
und proklamiert und projektiert,<br />
und ich muss alles tragen.<br />
Ich bin verschmäht und bin veracht',<br />
zur Putzfrau hat man mich gemacht,<br />
mein Wasser klar wird trüber,<br />
soll schlucken, was das stinkt und gärt<br />
und durch die Röhren niederfährt,<br />
ich sterbe noch darüber.<br />
Ach, ach, ich bin die arme Aach<br />
und sufze kümmerlich dahin,<br />
erst wenn ich einst gestorben bin,<br />
dann weinen sie mir alle nach,<br />
ach, ach, ich arme Aach.<br />
Die Aach erzählt:<br />
So hört, ihr Leute, die schöne Geschichte,<br />
die ich euch von alten Zeiten berichte.<br />
Vor mehr als vielen tausend Jahr'<br />
mein Vater der Bodenseekönig war.<br />
Als König mächti, stark und hehr,<br />
regierte er über das Schwäbiche Meer.<br />
Tief unten stand der Königspalast,<br />
funkelnd von Muscheln, Perlen und Glast.<br />
Da spielten wir Töchter, Prinzessinen fein,<br />
ich war die Jüngste, sein Herzängelein,<br />
mich liebte er zärtlich, ich erfreute den Mut<br />
des alten Königs so treu und gut.<br />
Als wir, herangeblüht an Jahren,<br />
wunderschöne Jungfrauen waren,<br />
da spürte der Vater sein Ende kommen.<br />
Wir waren an den Thron gekommen<br />
und weinten vor Kummer, mir brach schier das Herz,<br />
so sehr ergriff mich des Abschieds Schmerz.<br />
Da sagte mein Vater: „Der Tod will mich holen,<br />
der Bodensee sei euch anbefohlen,<br />
hütet ihn treu, mit einigem Sinn,<br />
wenn ich nicht mehr der König bin.<br />
Und weil ich doch bald sterben muss,<br />
soll erben jede einen Fluss,<br />
der ihr allein soll abgehören,<br />
keiner soll hier ihre Herrschaft stören.‟<br />
Und er vergabte Fluss und Bach<br />
einer jeden Tochter der reihe nach.<br />
Rasch war verschenkt und zugeteilt,<br />
doch hatte der Vater sich übereilt:<br />
für mich, die Jüngste – er sah traurig umher –<br />
für die liebste Tochter blieb nichts mehr,<br />
kein Flüsschen, kein Bach, kein Brunnen klar<br />
mehr übrig für sein Herzängelein war …<br />
„Ich hab' es gefunden, sprach er, mein Töchterlein,<br />
der Donaunix wird mir behilflich sein,<br />
der mächtige Herrscher der Zwerge und Elfen<br />
wird dir zu einem Erbe verhelfen.”<br />
Und er half. Zweitausend Zwerge, die gruben<br />
Höhlen und Gänge und Brunnenstuben,<br />
trieben Schächte, durchbohrten den Stei<br />
von der Donau weit in Hegau hinein,<br />
werkten und wühlten bei Tag und bei Nacht,<br />
da hatten sie das Wunder vollbracht,<br />
da gurgelt hervor an erhabener Stelle<br />
Donauwasser als mächtige Quelle.<br />
Der Donaunix hielt, was er versprach,<br />
ich hatte meine so liebe Aach.<br />
Sie raucht talab, durch Wiese und Feld,<br />
erfreut die kleine Hegauwelt,<br />
treibt Mühlen, legt sich den Kegeln zu Füßen,<br />
wo stolze Burgen herniedergrüßen,<br />
spielt mit Anmut dahin und kählet die Glut<br />
der vulkanreichen Landschaft mit ihrer Flut,<br />
blüht heran als eine schöne Braut,<br />
die auf den Tag ihrer Hochzeit schaut,<br />
denn ihr harret der junge Rhein,<br />
mit ihm soll sie vermählet sein.<br />
Sie eilt, ihm in den Arm zu fließen,<br />
der süßen Liebe zu genießen.<br />
Ihr Brautbett ist der Zellersee.<br />
Hier feiern sie seit eh und je<br />
unablässig Hichzeitstag<br />
und keiner vom andern sich trennen mag.<br />
Vom Glück gesegnet immerdar<br />
umtummelt sie der Kinder Schar:<br />
Fische … tausenfältig, tausendfach<br />
schwärmen aus dem Schlafgemach,<br />
spielen hell voll Daseinslust<br />
ihrer Mutter um die Brust …<br />
Die Aach klagt:<br />
ach, ach, ich bin die arme Aach<br />
und trage Kummer nun und Schmach,<br />
sie gehen mir ans Leben.<br />
Mit Gift geschwängert und Gestank,<br />
siech ich dahin, im Herzen krank,<br />
wer wird mir Hilfe geben?<br />
Zu Schmutz und Müll, zu Schlamm und Kot<br />
kommt eine bitterwehe Not:<br />
sie wollen mich begraden.<br />
Sie neiden mir den freien Lauf<br />
und zwängen eine Bahn mir auf<br />
gefühllos, ohne Gnaden.<br />
Bis tief ins Herz bin ich erschreckt,<br />
ich sehe mich schon graggestreckt,<br />
zerstückelt und beschnitten.<br />
Kein Fluss mehr, bald bin ich Kanal,<br />
eintönig, seelenlos und schmal,<br />
muss euch ums Leben bitten!<br />
Ach, ach, ich bin die arme Aach<br />
und trage Kummer, leide Schmach,<br />
mein Leben geht zu Ende.<br />
Ich flehe euch um Hilfe an,<br />
weil ich mir selbst nicht helfen kann:<br />
Ach, reicht mir eure Hände!<br />
Berthold Hepfer hat diese Rede von Bruno<br />
Epple im Fundus seines Großvaters gefunden.<br />
Wahrscheinlich war sie als eine der<br />
ersten Narrenschelten von Bruno Epple gedacht,<br />
die er im Narrenspiegel vorgetragen<br />
hat.<br />
Bruno Epple als <strong>Kappedeschle</strong> im Narrenspiegel.<br />
Die ersten Narrenschelten schrieb<br />
Bruno Epple und trug sie auch selbst<br />
als <strong>Kappedeschle</strong> im Narrenspiegel<br />
vor.<br />
Ihm folgte Henning Knolle. Dessen<br />
Schelten wurden geschrieben von<br />
einem tollen Trio: Roswitha Guhl-Paulus,<br />
Uli und Wolfgang Riegelsberger.<br />
Thomas Burth trug vier Jahre die Narrenschelte<br />
vor und hat sie auch selbst<br />
geschrieben.<br />
Dann folgte Wolfgang Schirpf. Zweimal<br />
trug er Schelten vor, die ebenfalls<br />
von Roswitha Guhl-Paulus, Uli und<br />
Wolfgang Riegelsberger geschrieben<br />
wurden.<br />
1983 trug Wolfgang Schirpf eine selbst<br />
getextete Narrenschelte vor.<br />
1984 schrieb Bruno Epple noch einmal<br />
eine Schelte und trug sie im Narrenpiegel<br />
vor.<br />
Ab 1985 schrieb bis <strong>2024</strong> Lothar Rapp<br />
die Narrenschelten und hat sie auch<br />
selbst im Narrenspiegel vorgetragen.