220926Wellerbuch lay 1
Anlässlich seines 77. Geburtstages hat Alexander Weller, gebürtiger Holländer - inzwischen Tiroler - 77 Begegnungen mit besonderen Menschen in seinem Lebenslauf und seiner jeweiligen Umgebung aufgeschrieben. Das Buch kostenlos an Freunde, Interessierte - ausgegeben. Für eine Spende zugunsten der Gambrinusfreunde, die damit Menschen denen es nicht so gut geht hilft. Stand: Dezember 2023 waren EUR 4.555,00 zusammengekommen. Ein rundum gelungenes Projekt.
Anlässlich seines 77. Geburtstages hat Alexander Weller, gebürtiger Holländer - inzwischen Tiroler - 77 Begegnungen mit besonderen Menschen in seinem Lebenslauf und seiner jeweiligen Umgebung aufgeschrieben. Das Buch kostenlos an Freunde, Interessierte - ausgegeben. Für eine Spende zugunsten der Gambrinusfreunde, die damit Menschen denen es nicht so gut geht hilft. Stand: Dezember 2023 waren EUR 4.555,00 zusammengekommen. Ein rundum gelungenes Projekt.
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BESO NDERE BEGEGN UN GEN
¯MIJNHEER GERARD.
GERARD MONTFROY †
Unsere Nummer 140
25. Februar 1960. Breda, Provincie Noord-Brabant. Unser
„Zweit-Nachbar", „Mijnheer Verheugen“, war Vertreter
bei Peugeot. Bestens informiert über das PKW-Geschehen
in der Stadt, informierte er meinen Vater, dass bei der Firma
„Ambi“ Autozubehör ein Lehrling gesucht wurde. Diese Information
resultierte in einer Beendigung meiner geliebten Tier- und
Tierfutter-Aktivitäten am Freitag und dem Beginn bei unlebendigen
Verkaufsgegenständen am darauffolgenden Montag.
Diese Spontanität war gewiss nicht meiner Verbundenheit zu
Autozubehör geschuldet, denn davon hatte ich absolut keine
Ahnung, weder von Autos und schon gar nicht von Zubehör,
sondern ich hatte vielmehr keinen großen Drang mehr, mich mit
Engelhaar und Kleintieren zu beschäftigen (sie dazu Willemse
Christiaan). Meinen neuen Chef, „Mijnheer Gérard Montfroy“,
hatte ich mir als rauchenden Automechaniker im Unterhemd und
speckiger Arbeitskluft mit öligen Händen vorgestellt.
Vor- und Nachname deuteten auf einen französischen
Ursprung hin. Das könnte stimmen, musste es aber nicht. Er
war schlichtweg eine ungewöhnlich gepflegte Erscheinung.
Konnte als Filmschauspieler durchgehen. Etwa 40 Jahre, um
die 1,75 m groß, dunkler Typ, schwarze Haare, Geheimratsecken,
mittelschlank, blütenweißes zugeknöpftes langärmliges
Van-Laack-Hemd, knallrote Krawatte mit hüpfenden weißen
Pferdchen und gebügelte blaue Hose. Seine Füße steckten in
sorgfältig geputzten braunen Schuhen, und das ganze „Montfroy-Paket“
umhüllte ein blassblauer Designer-Arbeitsmantel
mit dunkelblauem Kragen und ebensolchem Gürtel. Am auffälligsten
war aber ein Goldzahn rechts oben.
Ich war überrascht und stand ein wenig neben meinen
nicht allzu intensiv geputzten Schuhen! Nicht nur mein Chef
war ein Unikat, auch die ganze Umgebung war außergewöhnlich.
Nichts Gebrauchtes oder Öliges! Im hell beleuchteten, ca.
100 m² großen Raum war absolut ALLES blitzsauber. Das Verkaufspult,
mit Artikelkatalog, Rechner, Rechenblock und Kassa
bestückt, fast leer. Die drei übereinander platzierten Regale
hatten nur die halbe Höhe der Räumlichkeit und die Artikel am
obersten Regal waren mit kurzer Leiter leicht erreichbar.
Hier sah man keine unverpackten oder gebrauchten
Einzelteile, sondern nur sauber verpackte neue Verkaufsartikel,
wie Deichselbox, Radkappen, Sicherungen, Scheinwerfer,
Schrauben aller Art, Warndreiecke, Seilwinden, Ladungssicherungen,
Batterieladegeräte, etc., etc.
Das Ganze wirkte auf mich steril, wie ein Zahnlabor! Hier
herrschte Ordnung! Der Kontrast zwischen den eintretenden
Mechanikern und der ganzen Umgebung, inklusive „Mijnheer
Gérard“ war filmreif, fast unrealistisch. Herr Gérard entpuppte
sich als äußerst angenehmer Zeitgenosse. Freundlich, geduldig,
zuvorkommend, den Kunden, aber auch mir gegenüber.
Es war ganz deutlich, hier arbeitete jemand, der seinen
Beruf liebte und daher gerne hilfsbereit auch die dümmste,
von ahnungslosen Hobbymechanikern gestellte Frage in aller
Ruhe beantwortete. Ein Großteil der Kunden waren keine
Profis, sondern begeisterte Freizeit-Autobastler. Das Niveau
der Käufer dezent und angenehm, froh und dankbar, das gewünschte
Teil ergattert zu haben.
Vielleicht war das der Grund, so ahnte ich, für Herrn
Gérards außergewöhnliches Verhalten: Die Kunden brachten
freiwillig ihr Geld zu ihm und gingen zufrieden wieder nach
Hause! Die Zentrale von „Ambi“, Kürzel für „Automobil“, befand
sich in Amsterdam.
Unser System konnte einfacher nicht sein: Sämtliche täglich
verkauften Artikel wurden abends in Amsterdam nachbestellt,
so dass wir immer eines am Regal und eines im Keller auf
Lager hatten. Meine Aufgabe bestand aus a) Amsterdamer
Waren der zuliefernden Spedition entgegenzunehmen, zu
kontrollieren und im Keller ordnungsgemäß zu platzieren, und
b) nach Bedarf die Regale im Verkaufsraum nachzufüllen und
vor allem sauber zu halten. Natürlich durfte ich am Verkaufspult
stehend, ebenfalls im Designer-Verkaufsmantel, bei Beratungsgesprächen
zuhören. Ich stand dabei, nickte bei Bedarf
professionell und besorgte, vom Lager oder aus dem Keller,
die erforderlichen Artikel.
Mijnheer Gérard hätte mich noch gerne behalten, denn
wir hatten uns, nach einem Jahr Tätigkeit, inzwischen zu einem
gut eingespielten Team entwickelt, dennoch verabschiedete
ich mich, selbstverständlich in aller Freundschaft, von Herrn
Gérard, was er sehr bedauerte. Der Grund meiner Kündigung
war, dass die Pläne meines Vaters, eine „Weller-Farm“ für uns
zu realisieren, immer mehr Gestalt annahmen.
Angedacht war, Vaters Hobby zu frönen und zur gleichen
Zeit für mich eine Lebensgrundlage zu kreieren.
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