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MIXOLOGY ISSUE #118 - DAS COCKTAIL-PHANTOM

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<strong>DAS</strong><br />

<strong>COCKTAIL</strong><br />

6/ 2023 — 21. Jahrgang<br />

Einzelverkaufspreis: [D] 12,00 € — [A, LUX] 13,00 € — [CH] 14,00 CHF<br />

<strong>PHANTOM</strong><br />

DER EIGENARTIGE<br />

WEG DES SPANISCHEN<br />

BRANDY<br />

PLUS: Der beste Winzersekt<br />

PLUS: Die große Scotch-Analyse


AUF EIN GLAS MIT…<br />

»ICH HABE KAFFEE<br />

ANGEBOTEN«<br />

Christian Schroff musste einfach hinter<br />

die Bar, denn er lebt für seine Gäste.<br />

In seiner »OrientierBar« – meist kurz<br />

»O-Bar« – in Hofheim lebt er diesen<br />

Traum seit 2004. Ein ehrliches Gespräch.<br />

Darüber, wie es sich anfühlt, als Kaufmann<br />

in die Gastronomie zu kommen, warum<br />

die Provinz auch ihr Gutes hat und was<br />

ein Sex On The Beach damit zu tun hat.<br />

24


Mixology-Autor Gabriel Daun im<br />

Gespräch mit Christian Schroff in<br />

der »O-Bar«<br />

Text & Interview Gabriel Daun<br />

Fotos Michael Krug<br />

Mixology: Lieber Christian, im kommenden<br />

Jahr feiert ihr mit der »O-Bar« den 20. Geburtstag.<br />

Ihr könnt auf zwei bewegte Jahrzehnte<br />

zurückblicken. Wie ging das damals los?<br />

Christian Schroff: 2004 haben wir als OrientierBar<br />

angefangen. Das Konzept war zunächst,<br />

vermutlich noch als einer der ersten in<br />

Deutschland, Shisha, gute House Music und<br />

na ja, irgendwie Cocktails. Damals hatte ich<br />

überhaupt keinen Plan von Mixed Drinks.<br />

Du hattest keine Vorprägung, was Cocktails<br />

oder Bars anbetrifft?<br />

Überhaupt nicht! Ich bin gelernter Einzelhandelskaufmann,<br />

habe aber damals schon den<br />

Fotoladen in Frankfurt-Sachsenhausen, in dem<br />

ich als Filialleiter angestellt war, eher wie eine<br />

Gastronomie geführt. Es lief immer gute Musik,<br />

wir kannten die Leute, die zu uns kamen<br />

beim Namen, viele waren Stammkunden. Ich<br />

habe oft einen Kaffee angeboten, mich eben<br />

wie ein Gastgeber und weniger wie ein Verkäufer<br />

benommen. Ein Freund von mir hatte eine<br />

Pizzeria in Hattersheim, da habe ich dann hinter<br />

der Theke angefangen, Wein serviert und<br />

meine Leidenschaft für Service und die Arbeit<br />

am Gast entdeckt.<br />

Wie kam der Schritt zur eigenen Bar?<br />

In der Pizzeria habe ich meine heutige Frau<br />

und Mutter meiner beiden Kinder kennengelernt.<br />

Zu unserem ersten Date habe ich sie auf<br />

ein Essen bei mir in der WG eingeladen, ich<br />

erzählte ihr, wie gut mir die Gastronomie gefiel<br />

und dass es mein Traum sei, eine eigene Bar<br />

zu eröffnen.<br />

Eigentlich so ein Satz aus der Kategorie: »Was<br />

jeder Mann einmal im Laufe seines Lebens<br />

sagt« …<br />

Ganz genau! Ich weiß auch nicht, ob es ohne<br />

meine Frau dazu gekommen wäre. Sie bekräftigte<br />

mich darin, das zu machen. Wir fingen<br />

an Pläne zu schmieden und nach Locations zu<br />

suchen und dann wurde ein Laden in Hofheim<br />

frei.<br />

Dieser hier, in dem wir jetzt sitzen?<br />

Die Hälfte davon. Durch die Mitte des Raums<br />

verlief eine Wand. Die andere Hälfte war eine<br />

Schneiderei, die wir erst 2012 übernommen<br />

und einen Durchbruch gemacht haben. 2004<br />

habe ich mein ganzes Geld zusammengekratzt<br />

und losgelegt. Das Innendesign haben meine<br />

Frau und ich selbst gemacht. Natürlich passieren<br />

da auch Fehler. Vor allem, was Licht anbetrifft,<br />

würde ich mir mittlerweile immer jemanden<br />

dazuholen. Akustik ist auch so ein Thema.<br />

Von Drinks hatte ich wie gesagt ebenfalls null<br />

Ahnung. Ich dachte, eine Piña Colada wird<br />

mit Sprühsahne zubereitet. Mein erster ernsthafter<br />

Kontakt waren Steffen Lohr und Basti<br />

Heuser, die damals im Biancalani gearbeitet<br />

haben. Die ersten beiden Bartender, die<br />

ich kennengelernt habe, die das Thema richtig<br />

ernsthaft betrieben. Ich fühlte mich sofort<br />

abgeholt. Das war 2005, schätze ich. Ab dann<br />

bin ich zu jedem Workshop gegangen, der angeboten<br />

wurde, und nahm an möglichst vielen<br />

Wettbewerben teil, um so viel Austausch<br />

haben zu können, wie irgendwie ging. So habe<br />

ich meine Skills gesammelt.<br />

Du hast Hofheim also immer wieder verlassen<br />

müssen?<br />

Zumindest zeitweise. Ein echter Nachteil dieses<br />

Standorts ist der, dass sich keine Bar-Größen<br />

hierher verirren. Als Mitarbeiter schon<br />

einmal gar nicht. Deshalb war es die ganzen<br />

Jahre über schwierig für mich, einen Austausch<br />

mit jemandem im Alltagsgeschäft zu<br />

haben. Aber Kreativität entsteht ja nicht nur<br />

in einem Kopf. Oftmals ist es ein Team, das einen<br />

Drink entstehen lässt. Mehrere Köpfe, die<br />

unterschiedliche Expertisen einbringen.<br />

Wie sorgst du heute dafür, dass du gutes Personal<br />

bekommst, das deine Vision mit umsetzt<br />

und die Bar mitgestaltet und voranbringt?<br />

Das ist noch immer herausfordernd. In anderen<br />

kleineren Städten wie Bamberg ist das, glaube<br />

ich, leichter. Die extreme Nähe zu Frankfurt<br />

ist, was das anbetrifft, ein Problem für mich.<br />

Ich bilde eher Bartender aus, die dann, wenn<br />

das Interesse an Cocktails und Barkultur so<br />

richtig geweckt worden ist, schnell nach Frankfurt<br />

oder eine andere größere Stadt wechseln.<br />

Ich kann das aber auch nachvollziehen. Manchmal<br />

gibt es einen glücklichen Zufall und dann<br />

kommt jemand, der Bar »versteht«. Ich habe<br />

gerade wieder jemanden in Aussicht, mit dem<br />

ich mir mal wieder Bälle zuspielen kann – und<br />

darauf freue ich mich sehr. Wenn du immer<br />

nur alleine den Ball hochhalten musst, macht<br />

das irgendwann nicht mehr so viel Spaß. Ist<br />

doch viel schöner, mal rüberzukicken und sich<br />

gegenseitig ein bisschen anzufeuern. Die letzten<br />

Jahre ist bei mir aufgrund einiger privater<br />

Dinge die Kreativität ein wenig hinten runtergefallen.<br />

Stress ist der Tod jeder Kreativität,<br />

wenn man keine Muße hat, sich mal hinzusetzen.<br />

Aber das ist einfach so; es gibt so Zeiten<br />

im Leben, in denen du einfach so viel Energie<br />

für dein normales Leben brauchst, dass keine<br />

Energie für neue Konzepte, neue Drinks und<br />

so weiter übrigbleibt. Das ändert sich jetzt aber<br />

zum Glück wieder.<br />

Ich kann mir vorstellen, dass in einer kleineren<br />

Kreisstadt wie Hofheim nicht alles möglich ist,<br />

was in Millionenmetropolen scheinbar mühelos<br />

funktioniert.<br />

Klar, das ist ungleich schwerer. Daran arbeite<br />

ich seit 20 Jahren und werde noch weitere<br />

20 Jahre daran arbeiten, wenn es diese Bar<br />

so lange geben sollte. Ich nenne mich immer<br />

Vollsortimentler, ein Begriff, der aus dem Einzelhandel<br />

stammt, weil wir hier einfach diesen<br />

Spagat machen müssen. Als ich damals hier<br />

angefangen habe, Old Fashioneds zu rühren,<br />

gab es Leute, die sagten, ich hätte sie nicht<br />

alle. Saftgeschwängerte Cocktails waren zu<br />

dem Zeitpunkt im Umkreis von 20 Kilometern,<br />

eigentlich bis Frankfurt, noch gang und<br />

gäbe. Wir waren vielleicht alle ein bisschen<br />

übereifrig damals und haben den Leuten dann<br />

erzählt, sie sollten lieber Manhattans trinken.<br />

Aber bring mal einen vom Sex on the Beach<br />

zum Manhattan – komplett anderes Konzept!<br />

Ein paar Leute hat man aber schon damals damit<br />

abgeholt, denen hat das gefallen. Das habe<br />

ich mir nun über die Jahre aufgebaut. Ich habe<br />

25


STADTGESCHICHTEN<br />

HOCHAMT UND<br />

GOLIATHBARACKE<br />

Hamburg konnte den Autor dieser Zeilen<br />

bei seiner letzten intensiven Nachtrecherche<br />

als Stadt der Barkultur mit wenigen<br />

Ausnahmen und gemessen an einem<br />

Metropolenanspruch nicht überzeugen.<br />

Viel Ambition, wenig gelungene Umsetzung.<br />

Miserabler Service, hohe Fluktuation. Das<br />

ist allerdings über eine Dekade her. Inzwischen<br />

ist Neues hinzugekommen, das Stabilität,<br />

Substanz und Disruption im positiven<br />

Sinne verspricht. Ein Grund zu gründeln.<br />

Text Markus Orschiedt<br />

Hamburg vor zehn Jahren nachts. So manche<br />

Enttäuschung, nein: sehr viel Enttäuschendes<br />

für eine Stadt, in der man gerne säuft, wo Hirne<br />

leckschlagen, aber vor dem Absaufen noch<br />

rechtzeitig kalfatert werden. Das ganz große<br />

Elend bleibt jenseits der Reeperbahn meist<br />

aus. Alles geht schnell, und anders als in London<br />

oder Dublin fällt man hier nicht einfach<br />

um, man ist zu sehr in Bewegung, die Rolltreppen<br />

nicht so steil, das Hanseatische zu dominant.<br />

Hart am Wind durch die Nacht und<br />

die Bars segeln ist okay, Kentern was für Amateure<br />

und Landmenschenfremdlinge. Hier<br />

ist man schwankenden Grund gewöhnt, geht<br />

und benimmt sich eben ein wenig ger. Das ist geblieben, der »Löwe« – oder Le<br />

breitbeini-<br />

Lion, wie Unkundige sagen – ist geblieben, der<br />

damals wie heute die Kaufmannsehre in kreative<br />

Barkultur übersetzt. Am Spielbudenplatz<br />

ist man dabei, sich nach Sonnenuntergang in<br />

Rummelplatzbude umzubenennen und die<br />

Davidwache müsste eigenlich Goliathbaracke<br />

heißen. Überall Mannschaftswagen und Uniformierte<br />

in Hab-Acht, am Currywurststand<br />

ziehen dunkle Wolken vorbei. Gierige Insektenschwärme<br />

auf der Suche nach dem Nektar<br />

des Exzesses. Ohne Formation, eher wie geschlagene<br />

Armeen, sich aneinanderdrängend<br />

und murmelnd, in Seitenstraßen verschwindend.<br />

Wo kommen die alle unter, wer gewährt<br />

den Massen Barasyl? Ein angeschwollenes Anderes<br />

als vor zehn Jahren.<br />

Erst mal raus aus dem tobenden Nichts und<br />

weiter Witterung mit der Stadt aufnehmen.<br />

Luft atmen in der Heimstatt, der Vorhölle des<br />

Neoliberalismus. Es ist von dort in der Elbchaussee<br />

nur ein kleiner Schritt wieder zurück<br />

in sein Gegenteil, ins Biedermeier der Anarchie.<br />

Hafenstraße, steinerne Melancholie der<br />

Revolution gegen die bürgerlichen Elbchausseesümpfe<br />

und sozialdemokratische Luxusraumordnungsfantasien<br />

im Ratsherrenornat.<br />

Hafenrundfahrt mit Chaos-Sightseeing. Nun<br />

Kleinbürgergenossenschaft mit Soli vom Balkon<br />

und Elbblick. Gut so! Hinein ins Herz der<br />

globalen Finsternis. Ein guter Abend in Hamburg<br />

beginnt immer mit einem guten Drink in<br />

der Jahreszeiten Bar. Dafür gibt es fast eine<br />

Garantie. Zehn Jahre hin oder her.<br />

32


Foto: Julia Solonina via unsplash<br />

Die »Elphi« darf mitmachen, aber nur am Rande. Uns interessieren schließlich die Bars.<br />

33


42<br />

Illustrationen: Editienne


SPIRITUOSE<br />

ZWISCHEN.MALT.<br />

ZEIT.<br />

Seit der Zulassung von Agavenbrand-Fässern<br />

hört man wenig vom Scotch. Doch die Stille<br />

täuscht, denn die Single-Malt-Verkäufe<br />

brachen 2023 ein – an mehreren Fronten<br />

definiert sich zudem die Szene neu. Der<br />

malzige Jahresrückblick als Prognose.<br />

Text Roland Graf<br />

Schneller als ein neuer Whisky aus Schottland<br />

eingeschenkt ist, steht heute an der Bar eine<br />

Frage im Raum: Was kostet der? Denn während<br />

die Zahl der neuen Abfüllungen, die während<br />

der Pandemie auffällig und durchaus wohltuend<br />

für Sammler-Geldbörsen zurückgegangen<br />

ist, 2023 wieder Fahrt aufnahm, explodierten<br />

die Preise förmlich. Dass ein 15-jähriger Single<br />

Malt mittlerweile kaum unter dreistelligen<br />

Euro-Preisen zu haben ist, vergrätzt Maltheads<br />

zusehends. Zumindest jene, die noch mit diesem<br />

»Age Statement« als Synonym für Standardwhisky<br />

aufgewachsen sind. Zu viel und zu<br />

übertriebenen Preisen auf den Markt zu bringen,<br />

war in der bekannt zyklischen Geschichte<br />

des schottischen Whiskys aber noch nie ein gutes<br />

Rezept. Mittlerweile warnen selbst jene, die<br />

von diesem Geschäft gut leben, vor der doppelt<br />

hypertrophen Ausgabepolitik: »Brennereien<br />

müssen die Größe und Häufigkeit ihrer Abfüllungen<br />

sorgfältig abwägen, wenn sie Aktivitäten<br />

am Sekundärmarkt sehen möchten«, rät<br />

etwa Chris Dee. Sein 2000 gegründetes Start<br />

up Maltdaq ermöglicht wie auf einer Börse<br />

den Handel mit aktuell 15.000 Whiskys. Dee<br />

leitete davor die Single-Malt-Abteilung von<br />

Harrods, entsprechend fundiert sind seine<br />

Einschätzungen des Handels mit Scotch:<br />

»Wir sehen definitiv Anzeichen dafür, dass<br />

der Markt für Neuerscheinungen weniger prickelnd<br />

ist als noch vor einem Jahr.« Seine Betrachtung<br />

der »Wiederverkäufer« von Whisky,<br />

also jenem erwähnten »Sekundärmarkt«, mag<br />

sicher nicht die gesamte Szene beleuchten.<br />

Doch sie zeigt mit der bestechenden Logik des<br />

Kapitalismus, wo teure Ladenhüter produziert<br />

werden. »Obwohl ich nie geglaubt habe, dass<br />

wir uns in einer Blase befinden, denke ich,<br />

dass eine gewisse Preiskorrektur für bestimmte<br />

Brennereien unvermeidlich war«, fasst er mit<br />

britischem Understatement zusammen.<br />

WER SOLL DENN <strong>DAS</strong><br />

BEZAHLEN?<br />

Dee ist nicht allein mit seiner Einschätzung,<br />

dass Preiserhöhungen in Zeiten von hoher<br />

Inflation auch in Whisky-Clubs als Obszönität<br />

diskutiert werden dürfen. Sogar bei den<br />

Scotch-Versteigerungen ultrararer Flaschen<br />

spürt man neuerdings Zurückhaltung. Zwar<br />

liegt bei Noble & Co. in Edinburgh der Jahresbericht<br />

für alle 2023 beobachteten Auktionen<br />

noch nicht vor, doch der Whisky Intelligence<br />

Report October der Investmentberater<br />

spricht eine deutliche Sprache: »Die Durchschnittspreise<br />

von Januar bis Juli 2023 sind gegenüber<br />

Januar bis Juli des Vorjahres um 10 %<br />

gesunken. Bisher gibt es nur wenige Anzeichen<br />

für eine deutliche Erholung.« Klar hingegen<br />

deuten auch die offiziellen Zahlen der Scotch<br />

Whisky Association (SWA) für das erste<br />

Halbjahr 2023 auf einen steilen Preisanstieg<br />

hin – wenn man sie denn richtig liest. Denn<br />

tatsächlich fielen die schottischen Exporte<br />

dieses Jahr gegenüber der ersten 2022-Hälfte<br />

um satte 20 % geringer aus. Der Erlös dafür<br />

brachte den Whiskybrennern 2,57 Milliarden<br />

Pfund ein – und sank damit lediglich um<br />

3,6 %. »Weniger, aber besser trinken« stellt dafür<br />

eine Erklärung dar. Dass schlicht auch die<br />

Standardware deutlich teurer verkauft wurde<br />

eine andere, deutlich plausiblere. »Whisky is<br />

mostly a volume business«, erinnert dazu Chris<br />

Dee – das wirkliche Geld wird nicht mit Prestige-Bottlings<br />

gemacht, sondern mit den Basics.<br />

43


<strong>COCKTAIL</strong><br />

Spanischer Brandy fristet, so ehrlich muss<br />

man sein, ein vollkommen unberechtigtes<br />

Nischendasein innerhalb der historischen und<br />

aktuellen Bar- Literatur. Selbst Brandy Crusta<br />

und Brandy Alexander wurden mit Cognac<br />

entwickelt. Wieso blieb die mutmaßlich älteste<br />

moderne Spirituose Europas über Jahrhunderte<br />

barkulturell unbeachtet? Unser Autor<br />

zeichnet die schwierige Geschichte nach.<br />

COÑAC<br />

56


Text Armin Zimmermann<br />

Fotos Jule Frommelt<br />

Drink-Design Dominique M. Krauss<br />

DON RAPHAEL<br />

57


66


<strong>MIXOLOGY</strong> TASTE FORUM<br />

TALK<br />

ABOUT<br />

SEKT<br />

Text & Tastingleitung<br />

Maria Gorbatschova<br />

Illustration Constantin Karl<br />

Das Taste Forum macht kurz<br />

vor den Weihnachtstagen<br />

ernst: Nach vielen Jahren der<br />

Pause wird endlich wieder<br />

die aktuelle Landschaft von<br />

Sekt aus Deutschland und<br />

Österreich verkostet. Aufs<br />

Tableau kommen die beiden<br />

Stilistiken »Extra Brut« und<br />

»Brut Nature«. Dabei stellt<br />

unsere Runde fest: Distanzen<br />

zum Champagner sind<br />

immer noch vorhanden –<br />

aber nicht nur negative.<br />

Deutschland ist der weltweit größte Schaumweinmarkt:<br />

Der Durchschnittsdeutsche trinkt<br />

ganze 3,2 Liter pro Jahr, so viel wie nirgendwo<br />

anders. Während seit den 1950ern mit der Demokratisierung<br />

des Schaumweins vor allem<br />

günstige Sektmarken den Markt beherrschten,<br />

wächst in den letzten Jahren das Angebot hochwertiger<br />

Produkten nach Vorbild der Champagne.<br />

Es wird Zeit, sich mit dieser dynamischen<br />

Kategorie auseinanderzusetzen.<br />

Sekt haben wir einem regen Austausch zwischen<br />

der Champagne und Deutschland zu<br />

verdanken. Krug, Deutz, Roederer, Heidsieck,<br />

Mumm, Taittinger, Bollinger und viele andere<br />

Häuser gehen auf deutsche Einwanderer zurück.<br />

Die Sektproduktion wurde von Rückkehrern<br />

initiiert, die das in der Champagne erlernte<br />

Wissen mit nach Hause brachten.<br />

Etwa in den 1730ern begann in der Champagne<br />

die Schaumweinproduktion im größeren<br />

Stil, wenn auch der damalige (vermutlich trübe)<br />

Wein wesentlich weniger Kohlensäure hatte<br />

als heute. In Deutschland wird bereits 1783<br />

erwähnt, dass am Rhein moussierender Wein<br />

hergestellt wird. Die erste deutsche Sektkellerei<br />

gründete 1826 Georg Christian Kessler,<br />

der zuvor 20 Jahre lang bei Veuve Clicquot gearbeitet<br />

hatte. Aus der Champagne brachte er<br />

die Methode mit, die noch heute für höchste<br />

Qualität bei der Schaumweinproduktion steht:<br />

die méthode champenoise. Der Wein wird dafür<br />

zwei mal fermentiert. In der ersten Gärung<br />

stellt man einen Stillwein her. Dieser wird für<br />

eine zweite Fermentation mit einem Gemisch<br />

aus Wein, Zucker und Hefe, dem liqueur de<br />

tirage, in Flaschen gefüllt und fest verschlossen.<br />

Die Hefen konsumieren den Zucker und<br />

wandeln ihn in Alkohol um. Als Nebenprodukt<br />

entsteht CO2, das den Wein schäumen lässt.<br />

Wie lang der Wein auf der Hefe liegt, beeinflusst<br />

auch das Aroma. Typische Autolyse-Noten<br />

wie Brioche und Brot entstehen nach etwa<br />

18 Monaten. Im Anschluss wird die Hefe durch<br />

regelmäßiges Drehen der Flasche im Flaschenhals<br />

gesammelt, degorgiert und anschließend<br />

der Wein mit einem Korken verschlossen.<br />

Zwischen Traditionell und<br />

Tank…<br />

Nach dieser Methode wird auch Sekt hergestellt,<br />

man bezeichnet sie als »traditionelle<br />

Flaschengärung«. Es haben sich parallel dazu<br />

noch zwei weitere für Sekt zugelassene Verfahren<br />

entwickelt. Beim Transvasierverfahren<br />

wird die Gärung wie bei der traditionellen<br />

Methode in einer speziellen Gärflasche<br />

durchgeführt, die Klärung des Weines erfolgt<br />

jedoch nicht mittels Rütteln und Degorgieren,<br />

sondern durch eine Filtration nach Entleeren<br />

der Flaschen unter Kohlensäuredruck. Der<br />

Sekt wird anschließend im Drucktank dosiert<br />

und in neue Flaschen gefüllt. Weil die zweite<br />

Gärung des Sektes wie bei der traditionellen<br />

Flaschengärung in Flaschen stattfindet, darf<br />

der im Transvasierverfahren hergestellte Sekt<br />

als »Flaschengärung« deklariert werden.<br />

Die Tankgärung oder méthode charmat ist<br />

die kostengünstigste Methode, Schaumwein<br />

zu erzeugen. Die zweite Gärung findet in großen<br />

Drucktanks anstelle von Flaschen statt.<br />

Anschließend wird die Süße eingestellt und<br />

der Sekt nach Filtration unter Gegendruck mit<br />

technischem Kohlendioxid in die Flaschen<br />

abgefüllt. Wenn auf Sektflaschen kein Herstellungsverfahren<br />

angegeben wird, kann davon<br />

ausgegangen werden, dass der Sekt im Tank<br />

entstanden ist. Über 90% aller verkauften Sekte<br />

werden so hergestellt, vor allem günstige Qualitäten<br />

auf Basis wenig hochwertiger Weine.<br />

Während in der Tankgärung hergestellte Weine<br />

häufig recht süß sind, verkosten wir in traditioneller<br />

Flaschengärung hergestellte Sekte<br />

der Stile Brut Nature und Extra Brut. Dosage,<br />

auch liqueur d’expedition genannt, ist eine Mischung<br />

aus (Reserve-)Wein und Zucker, mit der<br />

nach dem Degorgieren die Flasche aufgefüllt<br />

wird. Die Dosage bewirkt im Idealfall eher das,<br />

was ein Dash Sirup in einem gut balancierten<br />

Cocktail vollbringt: mehr Komplexität, Harmonie<br />

und Tiefe, dazu mehr Mundgefühl. Im<br />

schlechtesten Fall versucht man mit viel Zucker<br />

schlechte Grundweine und Produktionsfehler<br />

zu überdecken. Zéro Dosage oder Brut<br />

Nature drückt aus, dass keine Dosage zugefügt<br />

wurde (es dürfen aber 0 bis 3 g Restzucker pro<br />

Liter im fertigen Sekt enthalten sein). Für einen<br />

Extra Brut dürfen höchstens 6 g Zucker<br />

pro Liter zugesetzt werden. Zum Vergleich: Bei<br />

der im Fall von Champagner als Standard-Sorte<br />

geläufigen Brut-Stilisitk dürfen es bis zu 12<br />

g sein. Und ein »trockener« oder mit Dry (frz.<br />

Sec) gekennzeichneter Sekt darf übrigens ganze<br />

32 g Zucker pro Liter enthalten.<br />

67


ALCHEMIST<br />

Der Kern von Sour Pression ist<br />

bestechend simpel: Man nutzt die<br />

Kraft, die durch die Ausdehnung von<br />

gefrierendem Wasser entsteht – und<br />

extrahiert so dichte Aromen<br />

72


FÜR MEHR UNTER<br />

NULL!<br />

Erneut kommt eine neue Arbeitstechnik aufs<br />

Tableau, die das Zeug zum Game Changer<br />

hat. Erneut geht es dabei um die Arbeit mit<br />

Tiefkühlung. Erneut wurde sie maßgeblich<br />

entwickelt von Iain McPherson aus Edinburgh.<br />

Unser Autor hat mit ihm gesprochen und gibt<br />

eine Einführung in eine Methode, die schnell<br />

Schule machen könnte: »Sous Pression«.<br />

Text Reinhard Pohorec<br />

Fotos Tim Klöcker & Katharina Klanke<br />

Temperatur ist eine heiße Sache, wenn es um<br />

wohlschmeckende Getränke am Tresen geht.<br />

In vielerlei Hinsicht. Wärme und Kälte eines<br />

Genussmittels üben starken Einfluss sowohl<br />

auf orthonasale wie retronasale Perzeption<br />

aus. Steigt der Wert am Thermometer nämlich,<br />

so werden mehr volatile Komponenten<br />

freigesetzt, die Geruchsintensität nimmt zu.<br />

Auch am Gaumen ist ein markanter Unterschied<br />

zwischen heiß und kalt zu bemerken.<br />

Dabei schwimmt der idealtypische Cocktail<br />

immer noch klirrend kalt in einer gefrosteten<br />

Glasschale, das Gros der servierten Weine ist<br />

von Frostbeulen gebeutelt. Einzig die ewig<br />

vernachlässigten (oder missverstandenen) verstärkten<br />

und versetzten Weine müssen bei 22<br />

Grad Raumtemperatur am Rückbuffet ihrem<br />

Oxidations-Tod entgegendünsten.<br />

Andererseits gilt es die Temperaturfrage zu<br />

berücksichtigen, wenn man einzelne Zutaten<br />

bewusst zu veredeln sucht. Jede Infusion, also<br />

der Auszug eines Feststoffes – Kräuter, Wurzeln,<br />

Rinden und Co. – in Alkohol, ist vornehmlich<br />

bedingt durch folgende Variablen: Menge und<br />

Mengenverhältnis, Alkoholgrad, Zeit, Druck<br />

und eben Temperatur. Oft spielt hierbei insbesondere<br />

das Erwärmen eine entscheidende<br />

Rolle, zumindest scheint es bei oberflächlicher<br />

Betrachtung für viele Anwender die am einfachsten<br />

zu justierende Stellschraube, wenn<br />

man die Infusion zu intensivieren versucht.<br />

Dabei verändert die Applikation von Hitze die<br />

Rohstoffe teils massiv. Besonders filigrane Lebensmittel<br />

weisen durch Erwärmung, insbesondere<br />

in Richtung Siedepunkt, gravierende Unterschiede<br />

in Textur, Duft und Geschmack auf.<br />

Kühlen Kopf bewahren<br />

Durch die Popularisierung von Sous Vide, also<br />

Auszügen unter Vakuum, begann die Barcommunity<br />

ihren mixologischen Werkzeugkasten<br />

wieder abzukühlen. Gerade da setzt ein radikal<br />

neues Konzept an, das Sous Vide auf den<br />

Kopf stellt und in ein frostiges Alternativszenario<br />

setzt: Sous Pression. Der kreative Geist<br />

dahinter sowie hinter Edinburghs führenden<br />

Bar-Konzepten wie dem Panda & Sons: Iain<br />

McPherson. Behutsam und stetig hat der<br />

Schotte sich selbst und seine Betriebe über die<br />

vergangenen Jahre international zu Bekanntheit<br />

geführt, mit viel harter Arbeit und innovativen<br />

Ideen. Letztere sind vornehmlich von<br />

McPhersons Ungeduld, Unzufriedenheit mit<br />

dem Status Quo und unaufhörlichem Erfindergeist<br />

befeuert. Ergänzend sei erwähnt, dass<br />

es dem Barunternehmer besonders die eisigen<br />

Tiefen der Unter-null-Temperaturwelt angetan<br />

haben. Wenig verwunderlich, war sein Vater<br />

doch im Eiscreme-Business tätig. So inskribierte<br />

sich auch der Sohn für den weltbekannten<br />

Science of Ice Cream-Kurs an der University<br />

of Reading, um in weiterer Folge an der nicht<br />

minder legendären Bologna Carpigiani Gelato<br />

University seine Fertigkeiten feinzuschleifen:<br />

Post-Graduate für Tiefkühlfetischisten.<br />

Die vielfältigen Eindrücke der Eiscreme<br />

verwebt McPherson mit dem Repertoire des<br />

kontemporären Bartendings. In seinem Cocktail-Labor<br />

als iterativem Nährboden entstand<br />

bereits 2019 die Technik Switching. Dabei<br />

wird der Wassergehalt einer alkoholischen<br />

Flüssigkeit gefroren, um sie als festes Eis abscheiden<br />

zu können. Der Schwund wird mit<br />

einer anderen liquiden Ingredienz ersetzt, beispielsweise<br />

einem geklärten Saft.<br />

Doch zurück zu Sous Pression. Im bekannten<br />

Sous-Vide-Verfahren ist das Vakuum für die intensive<br />

Extraktion der Aromen und Geschmäcker<br />

aus einem Feststoff verantwortlich. Bei<br />

Sous Pression macht man sich ebenfalls den<br />

Druck zunutze, um diese Qualitäten aus Kräutern,<br />

Früchten oder Wurzeln sprichwörtlich<br />

auszuwaschen.<br />

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