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Lilienthaler - Das Magazin 6-2023

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Amigurumi, japanische<br />

Häkelfiguren<br />

Hinsetzen und weiterhäkeln<br />

sphäre empfängt mich inmitten hunderter bunter Wollknäuel, die wunderbar<br />

den Straßenlärm schlucken und mir zuflüstern „Mach was<br />

Schönes aus mir“. Ebenso heiter begrüßt Heike Oetjen ihren Gast, dem<br />

es schon wieder in den Fingern kribbelt. Die Herrin über die kuscheligen<br />

Fasern hat seit 20 Jahren das Glück, ihr Hobby zum Beruf machen<br />

zu können: die ersten fünf Jahre in einem kleinen Wollgeschäft in<br />

Delmenhorst (35km hin, 35 km zurück) und seit Juni 2009 in Lilienthal,<br />

dort wo die nicht mehr ganz so jugendlichen Frauen noch ein Fahrradgeschäft<br />

samt Leihfahrrädern und eine Boutique für Dessous in Erinnerung<br />

haben. Und genau diese Altersgruppe ist es auch, die die<br />

Strickkünstlerin regelmäßig besucht. Und dann wird gefachsimpelt, in<br />

Fachzeitschriften geblättert, Erfahrungen ausgetauscht, nach Anregungen<br />

gesucht, Lösungen für Probleme gefunden und natürlich auch<br />

die passende Wolle für das nächste Lieblingsstück, auch mit Seide oder<br />

mit Leinen.<br />

Lieblingsstücke, das weiß Heike Oetjen, entstehen nicht aus Synthetischer<br />

Wolle. Wer so viele Stunden an einem Teil arbeitet, will natürlich<br />

eine gute, wenn nicht gar besondere Qualität. „Ich mache mir die<br />

Arbeit doch nicht, wenn das Material nicht gut ist“, gibt sie ihre Auffassung<br />

und auch die ihrer Kundinnen wieder. Außerdem steckt in jeder<br />

Masche Herzblut, selbst wenn vorm Fernseher gestrickt wird, oder<br />

Liebe, wenn das Gestrick verschenkt werden soll.<br />

Wenn man sich in der Sockenwollecke umschaut, gehen einem die<br />

Augen über - das reinste Sockengarnparadies! Heike Oetjen erinnert sich<br />

an „ein Pärchen, das hat sich immer Strümpfe gestrickt“. Ich versuche<br />

mir die Männerhände mit einem feinen Nadelspiel vorzustellen – aber<br />

(auch) Mann kann alles lernen.<br />

Ob sie auch Männer als Kunden habe? will ich wissen. Sie schmunzelt.<br />

„Ja, aber meistens kaufen die Wolle für ihre Frauen oder Freundinnen.<br />

Aber ich hatte mal eine Zeitlang einen jungen Mann, der hat sich einen<br />

Pullover nach dem anderen gehäkelt. Aber der ist wohl fortgezogen.“<br />

Und die jungen Frauen? Wenn ihnen ohne die Routine, die ihre<br />

Mütter und Großmütter noch besessen hatten, das Stricken zu langsam<br />

geht, geben oftmals zu schnell auf, hat sie beobachtet. Dabei gibt sie<br />

ihre Erfahrung gern weiter. Wenn jemand Rat und Hilfe braucht, hilft<br />

sie unkompliziert. Und das nehme ich der sympathischen Dame mit den<br />

silbergrauen Wellen sofort ab. Sie strickt in ihrem kleinen Reich im<br />

Rahmen ihrer Kapazitäten auch schon mal auf Bestellung, und das sind<br />

sicher keine Topflappen.<br />

Die Wollboutique ist eigentlich eine Oase mitten in Lilienthal, auch<br />

ohne klimpernde Nadeln strahlt sie ein entspannendes Flair aus.<br />

Hoffentlich noch ganz lange wünsche ich mir. Zufrieden und mit verschmitztem<br />

Lächeln antwortet Heike Oetjen: „Mal gucken, wie lange ich<br />

noch Lust habe“.<br />

Text & Fotos: Jutta-Irene Dehlwes-Grotefend<br />

<strong>Lilienthaler</strong> · 6 <strong>2023</strong> 77

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