Lilienthaler - Das Magazin 6-2023
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Schenken<br />
„Wenn ich bloß wüsste, was ich Oma schenken soll!“<br />
„Ich freue mich schon auf Tims große Augen, wenn er mein Geschenk, einen selbst<br />
gestrickten Schal, auspackt!“<br />
„Meine Freundin hat doch schon alles, der kann man gar nichts mehr schenken...“<br />
„Mama will als Geschenk, dass wir lieb sind – wie doof.“<br />
„Danke für das selbstgemalte Bild!“<br />
„Immer nur Parfum! Und wieder die falsche Marke!“<br />
„Pädagogisch sinnvoll muss es schon sein, und bitte bloß nichts aus Plastik!“....<br />
Ja, das Schenken – eine wundervolle zwischenmenschliche Geste, die manchmal so<br />
schwierig und manchmal so einfach sein kann!<br />
Geschenke können beglücken oder beschämen, sie machen dankbar oder wütend, sie<br />
werden auf ewig bewahrt oder wandern in den nächsten Mülleimer, sie kitten Freundschaften<br />
oder sie besiegeln Feindschaften – woran liegt es, dass Geschenke glücken<br />
– oder missglücken?<br />
Joachim Ringelnatz wusste dazu zu sagen:<br />
„Schenke groß oder klein,<br />
aber immer gediegen.<br />
Wenn die Bedachten die Gaben wiegen,<br />
sei dein Gewissen rein.<br />
Schenke herzlich und frei,<br />
schenke dabei, was in dir wohnt<br />
an Meinung, Geschmack und Humor,<br />
so dass die eigene Freude zuvor<br />
dich reichlich belohnt.<br />
Schenke mit Geist, ohne List.<br />
Sei eingedenk, dass dein Geschenk<br />
du selber bist.“<br />
Der Schriftsteller empfiehlt hier nicht nur großzügige Herzenswärme<br />
und Zuneigung, sondern auch Persönlichkeit<br />
und Nachdenklichkeit, wobei sich erstere auf den Schenkenden,<br />
und zweitere auf den zu Beschenkenden bezieht.<br />
Den größten Erfolg hat ein (auch noch so kleines) Geschenk,<br />
wenn in ihm etwas von beiden, dem Schenkenden<br />
und dem Beschenkten, über den man nachgedacht hat, enthalten<br />
ist. Dann zeigen sich Freundschaft, Zuneigung,<br />
Nähe, Verständnis, Liebe.<br />
Eine sinnige literarische Empfehlung ist das Gedicht von<br />
Ringelnatz bestimmt, aber - wie schwierig ist das in der<br />
Umsetzung? Auch wenn man sich den Kopf zerbricht, findet<br />
man trotz des riesigen Angebotes in unseren Konsumtempeln<br />
nicht das, was man dieser Person gerne schenken<br />
möchte. Immaterielles, wie z.B. „Zeit schenken“, könnte in<br />
unserer hektischen Welt manchmal die wertvollere Alternative<br />
sein! Und ist es nicht herzlos, ein Geschenk – auch<br />
jenseits des eigenen Geschmacks - zu missachten? Hier sei<br />
an den Spruch erinnert, der an Höflichkeit und Anstand des<br />
Beschenkten appelliert: „Einem geschenkten Gaul schaut<br />
man nicht ins Maul!“<br />
Bei allen passenden wie unpassenden Präsenten von den<br />
Liebsten und Freunden sollte man nicht vergessen, dass,<br />
so hat es ein unbekannter Verfasser einmal formuliert, „ein<br />
großes, ein sehr großes Geschenk darin besteht, so angenommen<br />
zu werden, wie man ist“! Oh, wie wahr!<br />
<strong>Das</strong>s Sie für dieses Weihnachtsfest noch die richtigen Geschenke<br />
finden werden, wird mit vielen Vorschlägen in diesem<br />
Heft hoffentlich erleichtert. Bevor man die Angelegenheit<br />
verkompliziert, sei Ihnen noch ein humorvoller und<br />
treffender Tipp von Wilhelm Busch mit auf die Familienweihnachtsfeier<br />
gegeben: „Eine Tante, die Gutes mitbringt,<br />
ist besser als der Onkel, der bloß Klavier spielt!“<br />
Und eine befreundete Großmutter hat mir vor einiger Zeit<br />
aus ihrem Erfahrungsschatz eine weise Verhaltensregel für<br />
das Weihnachtsfest mit Kindern und Enkelkindern vermittelt,<br />
die da lautet: schenken - schlucken – schweigen. Wer<br />
weiß, ob hier das Schenken nicht sogar die einfachste<br />
Übung ist?<br />
In diesem Sinne viel Freude beim Schenken<br />
wünscht Ihnen Ihre Cornelia von Enden<br />
34 <strong>Lilienthaler</strong> · 6 <strong>2023</strong>