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Schöpferisch kommunizieren - Aufbruch in eine neue Dimension des Denkens

Schöpferisch kommunizieren beginnt mit einem Denken in Resonanz zur schöpferischen Natur. In einer Zeit, in der die ökonomisch getriebene Technik droht, unsere Lebensgrundlage zu zerstören, wird es erforderlich, das Denken zu reflektieren, das in diese Sackgasse der menschlichen Evolution geführt hat. TD Petzold bleibt nicht bei dieser Metareflexion stehen, sondern ordnet auf dem Hintergrund eines neuen umfassenden Verständnisses von Information und Energie schöpferische Denkweisen wie Logiken des Informierens. Daraus folgert er Kommunikationsweisen, mit denen wir unsere gesunde Entwicklung in der Zukunft bewusst und kokreativ mitgestalten können – in Resonanz mit unseren Umwelten.

Schöpferisch kommunizieren beginnt mit einem Denken in Resonanz zur schöpferischen Natur.
In einer Zeit, in der die ökonomisch getriebene Technik droht, unsere Lebensgrundlage zu zerstören, wird es erforderlich, das Denken zu reflektieren, das in diese Sackgasse der menschlichen Evolution geführt hat.
TD Petzold bleibt nicht bei dieser Metareflexion stehen, sondern ordnet auf dem Hintergrund eines neuen umfassenden Verständnisses von Information und Energie schöpferische Denkweisen wie Logiken des Informierens. Daraus folgert er Kommunikationsweisen, mit denen wir unsere gesunde Entwicklung in der Zukunft bewusst und kokreativ mitgestalten können – in Resonanz mit unseren Umwelten.

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Theodor Dierk Petzold<br />

Schöpferisch <strong>kommunizieren</strong><br />

<strong>Aufbruch</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>neue</strong> <strong>Dimension</strong> <strong>des</strong> <strong>Denkens</strong><br />

Wie Wirkung aus dem Nichts kommt<br />

und Menschlichkeit ansteckend ist.


Wie Geist <strong>in</strong> die Realität kommt<br />

Zeitlosigkeit<br />

Möglichkeitsraum<br />

Geist<br />

Information<br />

Vergangenheit<br />

Zukunft<br />

Ursache Erfahrungssraum Wirkung<br />

Jetzt<br />

Resonanz


Schöpferisch <strong>kommunizieren</strong>


Theodor Dierk Petzold<br />

Schöpferisch <strong>kommunizieren</strong><br />

<strong>Aufbruch</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>neue</strong> <strong>Dimension</strong> <strong>des</strong> <strong>Denkens</strong>


Würdigung und Danksagung<br />

Hier möchte ich die Teilnahme von Menschen an e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen<br />

also kokreativen Prozess würdigen. Ich kann nicht wirklich sagen, wessen<br />

Beitrag <strong>in</strong> diesem historischen und biografisch-geme<strong>in</strong>samen Werdeprozess<br />

zu welchem Ergebnis geführt hat. Waren es mehr möglicherweise<br />

unbewusste Anteile von Begegnungen, die wesentliche Anregungen<br />

gegeben haben? In diesem Entstehungszusammenhang haben<br />

ganz viele an diesen Themen gearbeitet und damit <strong>in</strong>direkt an diesem<br />

Buch mitgewirkt. Deshalb ersche<strong>in</strong>t es merkwürdig, wenn ich da als<br />

e<strong>in</strong>ziger Autor zeichne. Dies zeichnet somit wohl für me<strong>in</strong>e alle<strong>in</strong>ige<br />

Verantwortlichkeit <strong>des</strong> Geschriebenen aber nicht für me<strong>in</strong>e alle<strong>in</strong>ige<br />

Urheberschaft. So will ich den vielen danken, die bewusst und unbewusst<br />

im Informationsaustausch dazu beigetragen haben, dass dieses<br />

Buch so geschrieben wurde, wie Sie es jetzt hier lesen können.<br />

E<strong>in</strong>e wichtige Rolle <strong>in</strong> den letzten 20 Jahren haben die jährlichen<br />

Symposien für Salutogenese und die Herausgabe der Zeitschrift DER<br />

MENSCH und der damit verknüpfte kollegiale Austausch mit vielen<br />

Autor<strong>in</strong>nen, Referent<strong>in</strong>nen und Teilnehmenden gespielt. Als Personen<br />

waren dabei <strong>in</strong>sbesondere Ottomar Bahrs als Mitherausgeber von DER<br />

MENSCH, Nadja Lehmann im häufigen Gedankenaustausch, Rolf Bastian<br />

als Mitdenker <strong>in</strong> dieser ganzen Thematik, sowie Eberhard Göpel <strong>in</strong><br />

Projektkooperationen und <strong>in</strong> den letzten Jahren Mona Siegel als Mitarbeiter<strong>in</strong><br />

im Zentrum für Salutogenese <strong>in</strong> vielen Gesprächen und Karl-<br />

He<strong>in</strong>z Wehkamp <strong>in</strong> unserem »Club of Amrum« wichtig. Ihnen allen sei<br />

herzlich für ihre Anregungen und Beiträge gedankt.<br />

Um über diese schwierigen Themen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Austausch zu kommen,<br />

hatte ich 2017 unter dem Titel »Schöpferische Kommunikation« bereits<br />

e<strong>in</strong>en ersten Entwurf zu diesem Buch als »work <strong>in</strong> progress« veröffentlicht.<br />

Zu dieser Diskussion haben schriftlich konstruktiv beigetragen:<br />

Sonja Weißbacher, Silke Neubauer-Beisler, Falk Fischer, Alexandra<br />

Peters-Forstreuter: Vielen Dank!<br />

Mona Siegel sei besonders für viele konkrete, kritisch konstruktive<br />

Anregungen beim <strong>in</strong>haltlichen Lektorat gedankt. Für das professionelle<br />

Lektorat danke ich Dunja Reule<strong>in</strong>, für das Layout und die e<strong>in</strong>fühlsame<br />

und ästhetische Gestaltung der Grafiken Margit Stüber.<br />

5


Inhalt<br />

Zur E<strong>in</strong>stimmung 9<br />

Überblick 11<br />

Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und<br />

Information 15<br />

1.1 Reflexion über Placebowirkungen 16<br />

1.2 Information und Kommunikation 22<br />

1.3 Sender-Empfänger-Modell und Grundkommunikation 31<br />

1.4 Reflexion und Metareflexion 39<br />

1.5 Heilsame Erfahrungen beim Arzt 50<br />

1.6 Zusammenfassung 56<br />

Wie spielen Information und Energie zusammen? 59<br />

2.1 Information und Energie als Grundentitäten allen Dase<strong>in</strong>s 60<br />

2.2 Informieren und Resonanz 71<br />

2.3 Information und Energie <strong>in</strong> Wechselbeziehung 81<br />

2.4 Zusammenfassung 87<br />

Wie geht Gestaltbildung? 89<br />

3.1 Die täglichen Nachrichten <strong>in</strong>formieren nicht nur uns 90<br />

3.2 Das Attraktionspr<strong>in</strong>zip 96<br />

3.3 Attraktionspr<strong>in</strong>zip und die <strong>Dimension</strong>en der Zeit 109<br />

3.4 Schöpferische Selbstorganisation 119<br />

3.5 Zusammenfassung 129<br />

6<br />

Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen 131<br />

4.1 Kausales und analogisches Denken 132<br />

4.2 Informierende Analogiken <strong>des</strong> Schöpferischen 140<br />

4.3 Systemisches Denken – Zusammenhangslogiken 150<br />

4.4 Komplexes Denken führt zur Integration 163<br />

4.5 Heuristik – Lösungslogiken 175<br />

4.6 Zusammenfassung 179


Schöpferisch kooperieren zur gesunden<br />

Kulturentwicklung 183<br />

5.1 Was ist heilsam? 185<br />

5.2 Gesunde Entwicklung als Kokreation? 189<br />

5.3 E<strong>in</strong>e reflexive Gesundheitswissenschaft? E<strong>in</strong>e Vision 198<br />

5.4 Auf dem Weg zu e<strong>in</strong>er globaleen und schöpferischen Ethik 202<br />

Anhang<br />

Glossar 213<br />

Literatur 231<br />

Index 239<br />

7


Zur E<strong>in</strong>stimmung<br />

Reflexionen beim Morgenspaziergang<br />

Während me<strong>in</strong>es Spaziergangs heute Morgen den Helleberg rauf<br />

und runter färbte sich der Himmel h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Wolkenbank<br />

über dem Horizont im Osten hell und orange. Vorzeichen <strong>des</strong> Sonnenaufgangs.<br />

Zum Westen h<strong>in</strong> war der Himmel noch mehr dunkel<br />

als blau mit vere<strong>in</strong>zelten Sternen. Das Licht der aufgehenden Sonne<br />

zog me<strong>in</strong>en Blick magisch an. Die Grenzenlosigkeit <strong>des</strong> Kosmos gab<br />

me<strong>in</strong>em Denken und Fühlen etwas Lösen<strong>des</strong>. Beruhigen<strong>des</strong>. Stimmiges.<br />

Gedankenloses.<br />

Erst nach e<strong>in</strong>er ganzen Weile kamen Gedanken auf, und mir<br />

wurde klar, dass die Sonne gar nicht aufgehen wird. Ne<strong>in</strong> heute<br />

nicht. Schon seit über vierhundert Jahren nicht mehr. Sie bleibt<br />

ganz ruhig an ihrem Platz stehen. Denn spätestens seit Kopernikus,<br />

Kepler und Newton wissen wir, dass unser Standort auf der Erde<br />

sich am Morgen der Sonne zuwendet. Es ist also nicht die Sonne,<br />

die aktiv am Morgen aufgeht. In Bezug zur Erde ist sie stabil ruhend<br />

an ihrem Ort, während die Erde sich um ihre eigene Achse und die<br />

Sonne dreht.<br />

Wenn ich mit diesem Wissen dann heute Morgen Richtung Osten<br />

schaue, wird mir schw<strong>in</strong>delig. E<strong>in</strong> ebenso altes wie stabiles Weltbild<br />

– vermutlich Jahrtausende altes – löst sich auf. Die Sonne geht gar<br />

nicht auf. Sie ist noch nie aufgegangen. Das war e<strong>in</strong>e Täuschung,<br />

die sich bis heute <strong>in</strong> unserer Sprache festgesetzt hat. Die Sprache<br />

drückt nicht unsere aktuellen, immerh<strong>in</strong> schon über 400 Jahre alten<br />

Erkenntnisse aus (erste Dokumente über e<strong>in</strong> heliozentrisches Weltbild<br />

gibt es sogar schon aus 300 v. Chr.), sondern beharrt auf e<strong>in</strong>er<br />

Täuschung, die mir Stabilität und Konsistenz im Denken und im<br />

Leben <strong>in</strong> der Sprache gibt – womöglich weil sie mich als Mittelpunkt<br />

der Wahrnehmung und Wahrheit bestätigt. Wenn ich diese Täuschung<br />

der Sprache loslasse, wenn ich aus diesem Leben <strong>in</strong> der<br />

Sprache aussteige, wird mir schw<strong>in</strong>delig. Das Denken muss sich neu<br />

organisieren, e<strong>in</strong>e <strong>neue</strong> Kohärenz f<strong>in</strong>den. Die Sonne geht heute<br />

nicht auf. Die Erde unter mir dreht sich nach Osten und damit heute<br />

Morgen der Sonne entgegen. Immer mehr – bis zum Mittag. Jeden<br />

9


Zur E<strong>in</strong>stimmung<br />

Tag immer wieder. Deshalb wird es im Osten heller und heller – bis<br />

zum Sonnenersche<strong>in</strong>en. Dann ist sie sichtbar. Dann s<strong>in</strong>d wir der<br />

Sonne zugewandt. Am Abend geht sie nicht unter. Das gleiche Spiel.<br />

Me<strong>in</strong> Standpunkt auf der Erde dreht sich weg von der Sonne. Wir<br />

können sie nicht mehr sehen. Wie sollen wir den Moment benennen,<br />

der uns an schönen Abenden immer wieder so fasz<strong>in</strong>iert? So<br />

viele Gefühle s<strong>in</strong>d an die Worte »Sonnenaufgang« und »Sonnenuntergang«<br />

geknüpft. Diese Gefühle s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs eigentlich dem<br />

beachtenswerten Phänomen geschuldet – nicht dem Wort, mit dem<br />

wir es verknüpfen und <strong>kommunizieren</strong>. Wenn ich e<strong>in</strong> anderes Wort<br />

dafür suche, fällt es mir schwer, e<strong>in</strong>es zu f<strong>in</strong>den, dass nicht der<br />

Sonne die Aktivität zuschreibt. Me<strong>in</strong> ganzes Denken und Fühlen<br />

hängt an der Sonne – im Außen. Als das denkende und fühlende<br />

»Ich« b<strong>in</strong> ich das unreflektierte Zentrum me<strong>in</strong>er Wahrnehmung.<br />

Dabei vergesse ich, wo ich stehe: auf der sich drehenden Erde.<br />

Jetzt ist allerd<strong>in</strong>gs erstmal Morgen, me<strong>in</strong>e Gefühle und Gedanken<br />

s<strong>in</strong>d kosmisch – mit dem Kosmos <strong>in</strong> Resonanz verbunden und mit<br />

allen, die heute Morgen e<strong>in</strong> ähnliches H<strong>in</strong>wenden zur Sonne erleben<br />

können. Die sprachlichen Begriffe können dieses kosmische<br />

Denken und Fühlen unterbrechen und e<strong>in</strong>schränken, wenn sich<br />

me<strong>in</strong> Denken <strong>in</strong> Worten abspielt – nicht im Erleben von Phänomen.<br />

Der Sonnenaufgang ist täglich neu und anders wie auch wiederkehrend.<br />

Gut – ich fühle die Erde unter me<strong>in</strong>en Füßen und atme die frische<br />

Luft. Für diese elementaren Lebensvorgänge brauche ich die Worte<br />

nicht.<br />

Aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er halben Stunde treffe ich Kolleg<strong>in</strong>nen 1 , um mit ihnen<br />

über unsere Zukunft auf diesem Planeten zu sprechen. F<strong>in</strong>den wir<br />

e<strong>in</strong>e Sprache, <strong>in</strong> der wir wissenschaftliche Erkenntnisse und<br />

menschliches Erleben stimmig verb<strong>in</strong>den können?<br />

10<br />

1 Um den Geschlechtern <strong>in</strong> der Sprache halbwegs gerecht zu werden, ohne den Schreib- und Lesefluss<br />

zu sehr zu verkomplizieren, verwende ich im Weiteren im S<strong>in</strong>gular entsprechend der bislang<br />

üblichen Schreibweise die männliche Form, es sei denn, es handelt sich explizit um e<strong>in</strong>e Frau, und<br />

im Plural immer die weibliche Form, es sei denn, es handelt sich ausschließlich um Männer


Zur E<strong>in</strong>stimmung<br />

»›Vor der Frage: Was können wir tun? sollte der Frage nachgegangen<br />

werden: Was können wir denken?‹ Das Denken neu durchdenken …<br />

darauf käme es an <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit voller Ungewissheiten …«<br />

Joseph Beuys und Bernhard von Mutius (2004, S. 15)<br />

Überblick<br />

Wir Menschen stehen heute vor der großen Herausforderung, als<br />

Menschheit zur verantwortungsbewussten Mitgestalter<strong>in</strong> der Biosphäre<br />

und Erde im Anthropozän zu werden. Wir können diese<br />

Herausforderung sowohl als Chance für e<strong>in</strong>e große Er<strong>neue</strong>rung und<br />

Entwicklung nehmen als auch als Bedrohung unseres Überlebens.<br />

Für bei<strong>des</strong> – unser Überleben und unsere Entwicklung – gilt es mit<br />

dem Schöpfungspr<strong>in</strong>zip der Natur zu kooperieren.<br />

Dazu braucht es e<strong>in</strong>en doppelten Abschied von alten Vorstellungen:<br />

erstens, dass e<strong>in</strong> Gott vor langer Zeit <strong>in</strong> sechs Tagen die Natur<br />

(für uns) erschaffen hat; und zweitens, dass die Natur mathematisch<br />

exakt zu berechnen und technisch zu beherrschen sei, ohne<br />

sie und damit uns selbst zu zerstören. Statt<strong>des</strong>sen können wir das<br />

schöpferische Pr<strong>in</strong>zip der Natur verstehen lernen, um mit ihr kreativ<br />

zu kooperieren – ggf. mit <strong>neue</strong>n Wissenschaften.<br />

Welche Art zu denken kann uns dabei helfen? Welches wissenschaftliche<br />

Denken passt zum evolutionären Schöpfungspr<strong>in</strong>zip der Natur?<br />

Diese Frage beschreibt unsere zugrundeliegende Suche nach<br />

e<strong>in</strong>er <strong>neue</strong>n Art der Verarbeitung der vielen Informationen, die wir<br />

heute haben und täglich neu bekommen. Unsere bewusste Informationsverarbeitung<br />

– unser Denken – soll verträglich se<strong>in</strong> sowohl<br />

mit unserem Zusammenleben als auch für unsere gesunde Entwicklung<br />

<strong>in</strong> der Natur, <strong>in</strong> der Biosphäre. Unser Denken soll förderlich<br />

für das Leben se<strong>in</strong>.<br />

Informationsverarbeitung f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> uns und zwischen uns statt<br />

– implizit und explizit, nonverbal und verbal. Kommunikation<br />

bedeutet Austausch von Informationen und verändert unser Leben.<br />

Unsere Informationsverarbeitung schließt e<strong>in</strong>e Bewertung e<strong>in</strong> und<br />

ist im Pr<strong>in</strong>zip schon e<strong>in</strong> kreativer Vorgang, weil sich zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t im<br />

11


Zur E<strong>in</strong>stimmung<br />

12<br />

Gehirn etwas verändert. So ersche<strong>in</strong>en folgende Fragen als Schlüsselfragen:<br />

Was s<strong>in</strong>d Informationen? Wie können Informationen schöpferisch wirksam<br />

werden?<br />

Informationen, das was wir <strong>in</strong> der Innenperspektive »Geist« nennen,<br />

wird von den Naturwissenschaften häufig als Produkt von<br />

Materie verstanden, als Ergebnis elektromagnetischer Verschaltungen<br />

von Neuronen. Hier sehen wir Information wie Geist als Komplement<br />

zu Energie wie Masse. Jede geformte Materie hat beide<br />

Aspekte: Sie besteht aus <strong>in</strong>formierter Masse.<br />

Leben kreiert ständig <strong>neue</strong> Formen. Schöpferisch <strong>in</strong>formieren ist<br />

uns Lebewesen <strong>in</strong>härent. Schöpferisch zu <strong>kommunizieren</strong>, bedeutet<br />

für uns Menschen, uns unseren systemischen Zielen anzunähern<br />

– letztendlich e<strong>in</strong>er mehrdimensionalen Kohärenz. Gesunde Entwicklung,<br />

<strong>in</strong>dividuell, sozial, kulturell und geistig, wird im Mite<strong>in</strong> -<br />

ander und <strong>in</strong> komplexen Wechselbeziehungen zur Umgebung vollzogen.<br />

Leben ist von Beg<strong>in</strong>n an komplex. Unser lebendiges Denken<br />

ist e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> die Komplexität <strong>des</strong> Lebens auf der Erde – es ist<br />

Teil der Biosphäre, e<strong>in</strong> Teil ihrer Informationsverarbeitung. Wir s<strong>in</strong>d<br />

mit unserem Wahrnehmen, Denken und Reflektieren evolutionär<br />

auf diese Komplexität e<strong>in</strong>gestellt.<br />

In welcher Weise wirken Information und Energie sowie Geist und<br />

Masse mite<strong>in</strong>ander? Welche Rolle spielen die Informationen von Religion,<br />

Wissenschaft und Ethik?<br />

In unserer schöpferischen Kommunikation s<strong>in</strong>d wir zutiefst<br />

menschlich und unersetzlich. Schöpferische Kommunikation als<br />

zentrale und wesentliche Eigenschaft <strong>des</strong> Lebendigen und <strong>in</strong>sbesondere<br />

<strong>des</strong> Menschen lässt sich wissenschaftlich begründen und<br />

weiterentwickeln mit:<br />

1. E<strong>in</strong>er transdiszipl<strong>in</strong>ären, <strong>in</strong>tegrierenden Informationstheorie, <strong>in</strong><br />

der Information und Energie die beiden großen komplementären<br />

Grundentitäten aller Realität s<strong>in</strong>d.<br />

2. E<strong>in</strong>em systemischen Verstehen der grundlegenden Beziehungen<br />

zwischen Systemen als Resonanz und damit dynamisch<br />

und <strong>in</strong>formierend.


Überblick<br />

3. Dem Verstehen der Evolution als <strong>in</strong>formierenden, kokreativen<br />

Prozess <strong>in</strong> Richtung komplexerer Ordnung.<br />

4. Den Erkenntnissen zur Gestaltbildung <strong>in</strong> der Chaos- und Komplexitätsforschung,<br />

<strong>in</strong>sbesondere dem Attraktionspr<strong>in</strong>zip.<br />

5. E<strong>in</strong>e Weiterentwicklung von heuristischen gesellschaftlichen<br />

Gestaltungsprozessen mithilfe e<strong>in</strong>er Metareflexion unserer<br />

Lebens- und Denkweisen.<br />

Inhaltsübersicht<br />

Mit diesem Buch wollen wir 2 e<strong>in</strong>en Beitrag zu den Grundlagen e<strong>in</strong>er<br />

zukunftsfähigen Gesundheits-, Kommunikations- und Informationswissenschaft<br />

leisten. Ziel ist zu zeigen, wie Kommunikation e<strong>in</strong><br />

schöpferisches Pr<strong>in</strong>zip <strong>in</strong> der Natur ist und wie wir sie bewusst<br />

schöpferisch anwenden können. Damit wollen wir auch zeigen, wie<br />

Kommunikation heilsam, d. h. salutogen, wirken kann. Gesunde<br />

Entwicklung ist e<strong>in</strong> kokreativer Prozess. Für e<strong>in</strong>e Entwicklung der<br />

Gesundheitswissenschaften brauchen wir verb<strong>in</strong>dende Meta-Theorien,<br />

Ideen, Vorstellungen und womöglich Modelle, wie gesunde<br />

Entwicklung geschieht und mitgestaltet werden kann. Mit diesem<br />

Buch wollen wir den Diskurs dazu anregen. Natur- und Geisteswissenschaften<br />

können dabei zusammenf<strong>in</strong>den und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesundheitswissenschaft<br />

<strong>in</strong>tegriert werden.<br />

Im ersten Abschnitt wird das Thema schöpferisch <strong>kommunizieren</strong><br />

besonders anhand von Beispielen aus dem Gesundheitsbereich<br />

reflektiert. Was bedeuten Kommunikation und Information? Den<br />

Begriff Information def<strong>in</strong>ieren wir so, dass er sowohl technischen,<br />

naturwissenschaftlichen als auch lebens- und geisteswissenschaftlichen<br />

Perspektiven gerecht wird.<br />

Gibt es e<strong>in</strong>e systemische kohärente Grundkommunikation? Bildet<br />

e<strong>in</strong>e systemische Kohärenz unseren Maßstab für unsere Bewertung<br />

von Ereignissen?<br />

2 »Wir« s<strong>in</strong>d, wenn es sich auf die Schreiber bezieht, Rolf Bastian und Theodor Dierk Petzold. Wir<br />

haben von Beg<strong>in</strong>n an das gesamte Werk geme<strong>in</strong>sam konzipiert und immer wieder im Austausch<br />

bearbeitet. Daraus s<strong>in</strong>d jetzt mehrere Bücher entstanden, die letztlich jeder von uns alle<strong>in</strong><br />

geschrieben hat. So ist dieses Buch von TD Petzold. Rolf Bastian ist Autor <strong>des</strong> Buches »Übergänge<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong> anderes Leben« (2022).<br />

13


Zur E<strong>in</strong>stimmung<br />

Im zweiten Abschnitt gehen wir der Frage nach, wie die beiden großen<br />

komplementären Entitäten Energie und Information zusammenspielen.<br />

E<strong>in</strong>e Anerkennung von Information als grundlegende,<br />

zur Energie komplementäre abstrakte Entität allen Dase<strong>in</strong>s führt<br />

zu e<strong>in</strong>er <strong>neue</strong>n lebenswissenschaftlichen Sicht auf das Weltgeschehen<br />

e<strong>in</strong>schließlich unserer gesunden Entwicklung. Wenn wir Information<br />

als e<strong>in</strong>en zugrunde liegenden Aspekt jeder Realität und ihre<br />

Kommunikation als Resonanzphänomen verstehen, lösen sich viele<br />

Probleme und auch sche<strong>in</strong>bare Widersprüche im Diskurs um die<br />

Informationstheorie wie von alle<strong>in</strong>.<br />

Wie geht Gestaltbildung? Diese Frage führt im dritten Abschnitt<br />

zum schöpferischen Attraktionspr<strong>in</strong>zip, das aus den Erkenntnissen<br />

der Chaos- und Komplexitätsforschung abgeleitet wird. Grundlegend<br />

bleibt dabei e<strong>in</strong> Verstehen der Wirklichkeit als Resonanz auf<br />

Informationen. In der Qu<strong>in</strong>tessenz ergibt sich daraus e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>faches<br />

Metamodell e<strong>in</strong>er mehrdimensionalen Selbst- und Stimmigkeitsregulation<br />

<strong>des</strong> Menschen. Dieses gilt womöglich auch ganz allgeme<strong>in</strong><br />

für lebende Systeme.<br />

Welche Art und Weise zu denken ist nachhaltig mit dem Leben<br />

kompatibel und entspricht unseren reflektierten Alltagserfahrungen?<br />

Im vierten Abschnitt reflektieren wir unsere Denkweisen und<br />

Arten von Schlussfolgerungen – unsere Logiken. Dabei f<strong>in</strong>den wir<br />

e<strong>in</strong>e Integration von analogischem und kausallogischem Denken im<br />

schöpferisch komplexen Denken. Dazu s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sbesondere Logiken<br />

<strong>des</strong> Informierens von Bedeutung. Zur Mitgestaltung der Zukunft<br />

können <strong>in</strong>tentional heuristische Lösungslogiken hilfreich se<strong>in</strong>.<br />

Im letzten Abschnitt rückt mit der Frage nach gesunder gesellschaftlicher<br />

Entwicklung das schöpferische Metasubjekt <strong>in</strong> den<br />

Fokus. Wie können wir geme<strong>in</strong>sam kokreativ e<strong>in</strong> gutes Leben im<br />

Anthropozän mitgestalten? Wie kann e<strong>in</strong>e Gesundheitswissenschaft<br />

<strong>in</strong>tegrative Aufgaben übernehmen? Welche Rolle spielen<br />

Religion, Wissenschaften und Ethik bei der Leitung kultureller und<br />

globaler Entwicklung?<br />

14


»Man kann nicht nicht <strong>kommunizieren</strong>.«<br />

Paul Watzlawick<br />

»Mit zunehmender Komplexität, Zentralisierung und – im Fall <strong>des</strong><br />

Menschen – Optimierung <strong>des</strong> Nervensystems wächst das<br />

Bewusstse<strong>in</strong> <strong>in</strong> der L<strong>in</strong>ie <strong>des</strong> Menschen an bis zu dem Punkt,<br />

an dem es sich se<strong>in</strong>er selbst bewusst wird.<br />

Wie bei Wasser, das man auf 100 °C erwärmt, f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong> Phasen -<br />

übergang statt: Bewusstse<strong>in</strong> reflektiert über sich selbst.«<br />

John Hands (2017, S. 587)<br />

Grundlegende Reflexionen über<br />

Kommunikation und Information<br />

15


Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und Information<br />

Möglicherweise ersche<strong>in</strong>t es für manchen Leser verwunderlich,<br />

wenn hier zum E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> das Thema »schöpferisch <strong>kommunizieren</strong> –<br />

Mensch-Se<strong>in</strong> neu denken« die Placeboforschung reflektiert wird. Dabei<br />

gehen die Forscher<strong>in</strong>nen der Frage nach, wie Medikamente e<strong>in</strong>e<br />

Heilwirkung zeigen können, auch wenn sie ke<strong>in</strong>en Wirkstoff be<strong>in</strong>halten.<br />

Dies wird häufig als »Sche<strong>in</strong>behandlung« bezeichnet. Mit<br />

dieser Benennung kommt implizit der Glaube zum Ausdruck, dass<br />

e<strong>in</strong>e echte, wahre Behandlung ausschließlich der Wirkstoff sei.<br />

Demgegenüber gehe ich hier davon aus, dass alles, was heilsam ist,<br />

echt und wahr ist – auch wenn es dem Behandler nicht bewusst ist.<br />

Dann können wir aus e<strong>in</strong>er Reflexion der Placeboforschung unsere<br />

Kenntnisse darüber erweitern, was wirklich heilsam ist.<br />

1.1 Reflexion über Placebowirkungen<br />

16<br />

Dazu ist es hilfreich, sowohl beim Wirkstoff als auch bei der wirkstofffreien<br />

Placebowirkung von heilsamen Informationen zu sprechen.<br />

Im ersten Fall werden diese auf dem Wege <strong>des</strong> Wirkstoffs, also<br />

stoffgebunden, und im zweiten Fall auf anderem Weg oder auf beiden<br />

Wegen zum Patienten kommuniziert. Derartige Placebomediz<strong>in</strong><br />

soll <strong>in</strong> etwa bei 20 bis zu 90 Prozent aller Fälle wirken (B<strong>in</strong>gel 2006).<br />

Bei Sche<strong>in</strong>operationen zur Behandlung e<strong>in</strong>er Arthrose am Knie<br />

konnte <strong>in</strong> der Wirkung ke<strong>in</strong> Unterschied zur echten Operation festgestellt<br />

werden (Jütte et al 2010 S. 38). Sche<strong>in</strong>operationen können<br />

die größte Placebowirkung haben.<br />

Was hat der Placeboeffekt mit schöpferischer Kommunikation zu<br />

tun? Durch die Wirkung von Placebo wird deutlich, dass nicht nur<br />

der Wirkstoff wirkt, sondern noch andere Aspekte der Arzt-Patient-<br />

Kommunikation heilsam s<strong>in</strong>d. Heilung ist e<strong>in</strong> komplexer schöpferischer<br />

und kommunikativer Vorgang.<br />

Diese Erkenntnis hat womöglich weitreichende Konsequenzen<br />

für unser wissenschaftlich-mediz<strong>in</strong>isches Denken: Wenn Gesundung<br />

nicht nur das Ergebnis materiell-kausaler Behandlung ist –<br />

was wirkt dann Heilung kreierend?


Reflexion über Placebowirkungen<br />

Die übliche Forschung <strong>in</strong> der Mediz<strong>in</strong> basiert auf der Beobachtung<br />

von Patient<strong>in</strong>nen als Objekten e<strong>in</strong>er physischen Behandlung. Dabei<br />

wird das verabreichte Mittel <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Wirkung auf den Patienten<br />

bzw. e<strong>in</strong>es se<strong>in</strong>er Organe untersucht.<br />

Die Placeboforschung untersucht nun die Wirkung von etwas,<br />

das im Rahmen <strong>des</strong> materialistischen, analytischen und kausallogischen<br />

<strong>Denkens</strong> <strong>in</strong> der pharmazeutischen und technischen Mediz<strong>in</strong><br />

nicht wirken dürfte. In der Versorgungsforschung <strong>in</strong> Bezug auf<br />

kommunikative, psychotherapeutische, pflegerische und ähnliche<br />

Interventionen spricht man von »nicht-medikamentösen, nichttechnischen<br />

Interventionen.« 3 Offenbar hat diese Mediz<strong>in</strong>wissenschaft<br />

noch ke<strong>in</strong>en Begriff für das, was neben Arzneimitteln und<br />

Technik noch wirksam ist, sodass sie es nur per Ausschluss<br />

bezeichnen kann. Diese Wirkweise sche<strong>in</strong>t demnach so weit außerhalb<br />

<strong>des</strong> wissenschaftlich-mediz<strong>in</strong>ischen <strong>Denkens</strong> zu se<strong>in</strong>, dass sie<br />

noch nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en Namen hat. Charakteristisch für diese<br />

Sichtweise der mediz<strong>in</strong>ischen Forschung ist auch, dass sie nur auf<br />

die Art der Intervention schaut und der Patient ke<strong>in</strong>e aktive und<br />

qualitative Rolle spielt, sondern nur e<strong>in</strong>e statistische, verme<strong>in</strong>tlich<br />

»objektive«.<br />

Was ist aus Sicht der Mediz<strong>in</strong>wissenschaft das ansche<strong>in</strong>end<br />

Geheimnisvolle, das <strong>in</strong> der Verborgenheit wirkt? Diesem Verborgenen<br />

4<br />

werden von verschiedenen Seiten unterschiedliche Namen<br />

gegeben: E<strong>in</strong>bildung, Geist, Glaube, Beziehung, Kommunikation,<br />

Suggestibilität, Erwartungshaltung u. a. m. In diesen Antworten<br />

werden schon zwei unterschiedliche Blickrichtungen deutlich:<br />

a. die auf den Patienten schauen (E<strong>in</strong>bildung, Glaube, Suggestibilität,<br />

Erwartungen), und<br />

b. die auf das blicken, was von außen zum Patienten gelangt<br />

(Beziehung, Informationen, Kommunikation).<br />

Allgeme<strong>in</strong> können wir für diese beiden Aspekte <strong>in</strong> allen therapeutischen<br />

Interventionen sagen, dass<br />

3 Das IQWIG hatte zusammen mit dem Gesundheitsforschungsrat GFR <strong>des</strong> BMBF das 6. Diskussionsforum<br />

zur »Nutzenbewertung nicht-medikamentöser und nicht-technischer ›NMNT‹-Interventionen«<br />

am 31. 1. 2013 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> mit prom<strong>in</strong>enter Besetzung veranstaltet (s. Petzold 2013 f).<br />

4 Vgl. a. »Über die Verborgenheit der Gesundheit« von Gadamer 1993.<br />

17


Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und Information<br />

a. der Patient etwas sucht und erwartet, wenn er zum Arzt geht,<br />

und dann se<strong>in</strong>e Resonanz auf die Informationen zeigt, die<br />

b. von außen, u. a. vom Arzt zu ihm kommen. Diese Informationen<br />

können mehr oder weniger stoffgebunden se<strong>in</strong>.<br />

Der Unterschied zwischen Arzneimittel und Placebo ist, dass wir<br />

bei der Placebowirkung <strong>in</strong> der Regel ke<strong>in</strong>e gezielte und stoffliche<br />

(messbare) Intervention haben, sondern e<strong>in</strong>e den Beteiligten bisher<br />

mehr oder weniger unbewusste, implizit heilsame Information. Die<br />

Untersuchung <strong>des</strong> Wirkzusammenhangs wird e<strong>in</strong>facher und weniger<br />

mysteriös, wenn wir auf die Wirksamkeit von Informationen<br />

schauen und diese <strong>in</strong> unsere wissenschaftlichen Überlegungen und<br />

Denkmodelle e<strong>in</strong>beziehen. Auch die Wirkung von Medikamenten<br />

beruht zum größten Teil auf der spezifischen Information, die <strong>in</strong><br />

ihren chemischen Verb<strong>in</strong>dungen gebunden ist. Diese nennen wir<br />

entsprechend stoffgebundene Informationen, die stoffliche Veränderungen<br />

auslösen sollen. Dieser Vorgang ist zum großen Teil e<strong>in</strong>e<br />

chemische Kommunikation <strong>des</strong> Mittels mit dem Körper. E<strong>in</strong> Placebo<br />

hat diese stoffgebundene Information nicht. Folglich müssen dabei<br />

andere Informationen heilsam <strong>in</strong>formierend 5 wirken. Am Heilungsvorgang<br />

s<strong>in</strong>d andere Informationen und Informationswege be -<br />

teiligt.<br />

Für die weiteren Überlegungen seien zunächst die zentralen<br />

Begriffe Kommunikation und Information kurz geklärt: Informieren<br />

»Information ist Information, weder<br />

Energie noch Materie!« Norbert Wiener,<br />

der Begründer der Kybernetik<br />

kommt von late<strong>in</strong>isch <strong>in</strong>formare – Ge -<br />

stalt geben, Form bilden. E<strong>in</strong>e Information<br />

ist – ganz allgeme<strong>in</strong> verstanden –<br />

etwas, was e<strong>in</strong>er Energie (= Masse, z. B. 1 kg) e<strong>in</strong>e Form gibt, geben<br />

kann bzw. gegeben hat. Wenn die Masse e<strong>in</strong>e Form hat (z. B. Zucker<br />

ist), ersche<strong>in</strong>t sie uns als Materie. Materie ist <strong>in</strong>formierte Masse und<br />

drückt Information aus. Je<strong>des</strong> Atom, Molekül und natürlich auch<br />

18<br />

5 Obwohl diese Forschung noch im Anfangsstadium steckt, zeigt sie schon beachtliche Ergebnisse.<br />

So haben Forscher<strong>in</strong>nen herausgefunden, dass »… e<strong>in</strong> bedeutsamer Anteil der positiven Wirkungen<br />

auf die Symptomatik e<strong>in</strong>es Patienten auf behandlungsunspezifische Faktoren zurückzuführen<br />

[ist] [also nicht auf die Mittel, Anm. TDP] … Diese können e<strong>in</strong>en wichtigen Beitrag zur Steigerung<br />

der positiven Wirkung jeder therapeutischen Intervention (= Placeboeffekt) leisten. Sie können<br />

aber auch systematisch zur M<strong>in</strong>derung e<strong>in</strong>es Behandlungseffektes oder zu unspezifischen<br />

Nebenwirkungen führen (= Noceboeffekt)«. (http://placeboforschung.de/de)


Reflexion über Placebowirkungen<br />

Medikament hat se<strong>in</strong>e ganz spezifische Information, die <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en<br />

Eigenschaften zum Ausdruck kommt. Mit dieser Information kann<br />

es <strong>in</strong> Wechselwirkung, <strong>in</strong> Resonanz, mit anderen Atomen gehen.<br />

Dabei verändert es se<strong>in</strong>e Information, also auch se<strong>in</strong>e Eigenschaften.<br />

Wenn Informationen als Daten auf e<strong>in</strong>em Computer gespeichert<br />

werden, formen sie dort die Verschaltungen auf der Festplatte.<br />

Wenn Informationen als Signale über unsere S<strong>in</strong>nesorgane zum<br />

Gehirn kommen, gestalten sie dort neuronale Verb<strong>in</strong>dungen und<br />

Muster. Das Gehirn und unser ganzer Organismus s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> hochkomplexes,<br />

Informationen verarbeiten<strong>des</strong> System. Jede Genesung<br />

ist e<strong>in</strong> (Neu-)Informieren von Energie im Körper und damit e<strong>in</strong><br />

schöpferischer Akt.<br />

Kommunizieren kommt von late<strong>in</strong>isch communicare, was bedeutet<br />

»geme<strong>in</strong>sam tun, mitteilen«. Mitteilen bedeutet auch, jemanden<br />

bzw. etwas zu <strong>in</strong>formieren. Dabei resoniert der Kommunikationspartner<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Eigenschw<strong>in</strong>gungsfähigkeit. Kommunikation gilt<br />

ganz allgeme<strong>in</strong> def<strong>in</strong>iert als Resonanz, als Austausch und Übertragung<br />

von Information – das kann mehr <strong>in</strong> nur e<strong>in</strong>e Richtung gehen oder<br />

mehr geme<strong>in</strong>sam dialogisch se<strong>in</strong>.<br />

Informieren von Patient<strong>in</strong>nen<br />

Für viele Mediz<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen erschien die Placebo- und Nocebowirkung<br />

6 als Vodoo-Zauber oder Mysterium – auf jeden Fall als etwas,<br />

das man lieber nicht h<strong>in</strong>terfragt –, möglicherweise, weil es zu viele<br />

der kulturellen Denkmuster <strong>in</strong>frage stellen wür de, wie z. B.: Was<br />

man nicht messen kann, das gibt es nicht. Dabei können wir die<br />

Wirkweise ganz e<strong>in</strong>fach sehen: Es geht bei den meisten heilsamen<br />

Wirkungen um die von Informationen. Diese können an die spezifische<br />

Chemie <strong>des</strong> Arzneimittels gebunden se<strong>in</strong>, an Worte oder<br />

andere implizite Mitteilungen <strong>des</strong> Behandlers und im Organismus<br />

<strong>des</strong> Patienten von diesem gebildet werden. Manche Medikamente<br />

6 Noceboeffekte kommt von von late<strong>in</strong>isch nocere »schaden«, nocebo »ich werde schaden«. Damit<br />

s<strong>in</strong>d unbeabsichtigte Schädigungen u. a. durch Medikamente, Beipackzettel und ärztliche Interventionen<br />

wie auch Unbekanntes geme<strong>in</strong>t.<br />

19


Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und Information<br />

20<br />

werden im Stoffwechsel <strong>des</strong> Patienten erst zum tatsächlichen Wirkstoff<br />

bzw. zum Stoff, der unerwünschte Nebenwirkungen hervorruft.<br />

Ganz analog kann es mit nicht stofflich gebundenen Informationen<br />

geschehen. Wieder können wir unterscheiden zwischen den<br />

gesendeten Informationen, wie dem Medikament, bzw. dem<br />

gesprochenen Wort oder impliziten zwischenmenschlichen Informationen,<br />

und dem, was der Patient damit und daraus macht.<br />

Manche Wirkung von Placebo im Patienten lässt sich heute neurophysiologisch<br />

schon recht gut verfolgen. So hat man z. B. erkannt,<br />

dass e<strong>in</strong> Placebo bei Schmerzen e<strong>in</strong>e Wirkkette auslösen kann, die<br />

e<strong>in</strong>em Opioid gleicht. Und diese Opioid-Wirkung kann genauso wie<br />

beim echten Opioid durch Naloxon verh<strong>in</strong>dert werden, das die<br />

Opioid-Rezeptoren blockiert. Das Placebo können wir dabei als<br />

symbolischen Informationsträger, hier für e<strong>in</strong> echtes Opioid oder<br />

Auslöser für die Ausschüttung körpereigener Opioide, verstehen.<br />

Dafür, dass und wie diese Information beim Patienten helfend<br />

ankommt, konnten zwei »psychologische Hauptmechanismen«<br />

identifiziert werden: »… die Erwartungshaltung als auch assoziative<br />

Lernprozesse.« (placeboforschung.de).<br />

Das bedeutet, dass der Patient <strong>in</strong> der Lage ist, sich aus e<strong>in</strong>em<br />

Angebot von (potentiell heilsamen) Informationen solche herauszusuchen,<br />

die ihm persönlich helfen – ggf. auch Informationen<br />

kreativ zu transformieren, sodass sie ihm helfen. Dazu hat der<br />

berühmte Kardiologe Bernard Lown (2004, S. 111) e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>drucksvolles<br />

Beispiel berichtet – für ihn damals e<strong>in</strong> »Wunder«. Bei e<strong>in</strong>er Visite<br />

hatte er am Bett e<strong>in</strong>es Patienten, <strong>des</strong>sen Tod aufgrund e<strong>in</strong>er Herzerkrankung<br />

<strong>in</strong> den nächsten Tagen erwartet wurde, gesagt, se<strong>in</strong>e<br />

Kolleg<strong>in</strong>nen sollten doch mal den »Galopp« <strong>des</strong> Herzens anhören<br />

(was e<strong>in</strong> Symptom für die Schwere der Erkrankung war). Dem<br />

Patienten g<strong>in</strong>g es nach dieser Visite deutlich besser, er konnte sogar<br />

aus dem Krankenhaus entlassen werden. Er berichtete e<strong>in</strong> halbes<br />

Jahr später bei der nächsten Konsultation, »Ich dachte mir, wenn<br />

me<strong>in</strong> Herz noch zu e<strong>in</strong>em kräftigen Galopp fähig sei, könnte ich ja<br />

gar nicht im Sterben liegen. Und von Stund’ an g<strong>in</strong>g’s bergauf mit<br />

mir. Sehen Sie, Herr Doktor, es war gar ke<strong>in</strong> Wunder. Der Geist


Reflexion über Placebowirkungen<br />

hat den Körper bezwungen«. Für e<strong>in</strong>e derartige selbstregulativtransformatorische<br />

Informationsverarbeitung s<strong>in</strong>d offenbar die<br />

Erwartungshaltung und assoziative Lernprozesse hilfreich.<br />

Im Umkehrschluss könnte das bedeuten, dass der Patient er -<br />

krankte, weil er nicht mehr <strong>in</strong> der Lage war, aus den Informationen<br />

der Umgebung diejenigen für sich nutzbar zu machen, die se<strong>in</strong>er<br />

gesunden Entwicklung dienten. In diesem Fall könnte es die Information<br />

<strong>des</strong> Vertrauens <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Herzkraft gewesen se<strong>in</strong>. Vielleicht<br />

gab es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Umgebung Resignation <strong>in</strong> Bezug auf Herzkraft. Vielleicht<br />

auch war diese Information von Vertrauen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Umgebung<br />

vorhanden, er aber zu der Zeit nicht <strong>in</strong> der Lage, mit dieser<br />

heilsam <strong>in</strong> Resonanz zu gehen. Es tauchen also die Fragen auf: Was<br />

konnte ihn befähigen, die heilsame Information »Vertrauen <strong>in</strong> me<strong>in</strong><br />

Herz« für sich zu nutzen? Wie funktioniert se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>formationsverarbeitende<br />

Selbstregulation, die dieses Vertrauen sowohl <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Fühlen und Körper als auch <strong>in</strong> Außenbeziehungen umsetzt? Welche<br />

Rolle spielt die E<strong>in</strong>stellung <strong>des</strong> Arztes?<br />

Ist die Erwartung e<strong>in</strong>er positiven Entwicklung etwas Ähnliches<br />

wie der Glaube <strong>des</strong> Bl<strong>in</strong>den, zu dem Jesus gesagt hat: »De<strong>in</strong> Glaube<br />

hat dir geholfen.« (Lukas 18, 42)? Interessanterweise bedeutet das<br />

late<strong>in</strong>ische Wort »Placebo« im Deutschen »Ich werde gefallen«. So<br />

ist vielleicht schon mit der Bezeichnung <strong>des</strong> Phänomens implizit<br />

e<strong>in</strong> wichtiger Wirkfaktor genannt: Der Glaube oder die Erwartung,<br />

dass ich dem größeren Ganzen gefalle, dass ich dazugehöre und<br />

bed<strong>in</strong>gungslos geliebt werde – im Beispiel <strong>des</strong> Herzpatienten: dass<br />

me<strong>in</strong> Herz kräftig genug zum Leben ist. Diese Erwartung wäre dann<br />

e<strong>in</strong> wesentlicher Gesundheitsfaktor für die <strong>in</strong>dividuelle gesunde<br />

Entwicklung. Es ist vermutlich die gleiche Erwartung, mit der e<strong>in</strong><br />

K<strong>in</strong>d zur Welt kommt: dass es bed<strong>in</strong>gungslos geliebt wird und dazugehört.<br />

Daraus ergibt sich die Frage, welche Rolle Beziehungen und<br />

e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>es Gefühl von Verbundenheit für unsere gesunde Entwicklung<br />

spielen.<br />

Dazu fällt mir e<strong>in</strong> Experiment e<strong>in</strong>, das Friederich II. zugeschrieben<br />

wird: Er ließ Säugl<strong>in</strong>gen Nahrung geben, ohne dass mit ihnen<br />

gesprochen und ihnen andere menschliche Zuwendung gegeben<br />

21


Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und Information<br />

werden durfte. Sie starben. Könnte es sich ähnlich (wenn auch nicht<br />

so tödlich) mit Medikamenten verhalten, wenn diese gänzlich abgelöst<br />

von positiv erlebter zwischenmenschlicher Beziehung gegeben<br />

werden? Kommt es dann häufiger zu Noceboeffekten? Hat etwa e<strong>in</strong><br />

tiefes Gefühl von E<strong>in</strong>samkeit E<strong>in</strong>fluss auf die Wirkung von Medikamenten?<br />

So lehrt uns die Placeboforschung, den Blick zum e<strong>in</strong>en auf die<br />

Kommunikation, auf die Übertragung von bedeutsamen Informationen,<br />

zu richten und zum anderen auf die Resonanzfähigkeit <strong>des</strong><br />

Patienten.<br />

1.2 Information und Kommunikation<br />

»Zuerst kommt die Information, alles andere folgt später […] Je<strong>des</strong> ›Es‹ –<br />

je<strong>des</strong> Teilchen, je<strong>des</strong> Kraftfeld und selbst das Raum-Zeit-Kont<strong>in</strong>uum –<br />

leitet se<strong>in</strong>e Funktion, se<strong>in</strong>e Bedeutung und se<strong>in</strong>e Existent … aus Bits ab.«<br />

Wheeler (zit. n. Gleick 2011, S. 386)<br />

22<br />

In der Mitte <strong>des</strong> letzten Jahrhunderts hat Claude Shannon (1948)<br />

e<strong>in</strong>e mathematische Informationstheorie aufgestellt, die für viele<br />

technische Datenübertragungen zweckmäßig war und ist. Sie wurde<br />

als klassische Informationstheorie gefeiert mit der großen Hoffnung<br />

und Erwartung, dass damit e<strong>in</strong>e <strong>neue</strong> Informations- und Kommunikationswissenschaft<br />

begründet und der vere<strong>in</strong>heitlichenden ausschließlich<br />

energiebezogenen Physik gegenübergestellt werden<br />

könnte. Viele waren sich e<strong>in</strong>ig, dass es sich bei Informationen um<br />

etwas anderes handelt als Materie und Energie, die Gegenstand von<br />

Physik und Chemie s<strong>in</strong>d. Diese Hoffnung ist allerd<strong>in</strong>gs bei den meisten<br />

recht schnell verflogen, da Shannons Theorie nur den quantifizierbaren<br />

Aspekt von Informationen ohne Rücksicht auf ihre Bedeutung<br />

erfasste. So fand das Wichtigste an der Information, ihre <strong>in</strong>formierende,<br />

muster- und gestaltbildende Bedeutung (der qualitative<br />

Aspekt), ke<strong>in</strong>e Berücksichtigung <strong>in</strong> der klassischen Informations -<br />

theorie. Das hat dazu geführt, dass heute viele Wissenschaftler<strong>in</strong>nen<br />

bei Information ausschließlich an Bits denken.


Information und Kommunikation<br />

Damit ist diese klassische Informationstheorie e<strong>in</strong>e für die technische<br />

Signalübermittlung pragmatische Quantifizierung von Informationen,<br />

aber ke<strong>in</strong>e Theorie darüber, was Information ist und wie<br />

sie gestaltbildend wirken kann.<br />

Die <strong>neue</strong>re »algorithmische Informationstheorie« versucht das<br />

Dilemma der Quantifizierung versus Qualität <strong>in</strong> Bezug auf Informationsgehalt<br />

mathematisch zu lösen, <strong>in</strong>dem sie Zahlenfolgen auf ihre<br />

Regelhaftigkeit analysiert und diese <strong>in</strong> Algorithmen zusammenfasst.<br />

Dabei s<strong>in</strong>d Algorithmen der Versuch, die Regeln e<strong>in</strong>er Information<br />

durch e<strong>in</strong>e mathematische Information (Funktion) darzustellen.<br />

Je umfangreicher die zur Beschreibung e<strong>in</strong>er Zahlenfolge<br />

erforderlichen Algorithmen s<strong>in</strong>d, <strong>des</strong>to größer ist der Informationsgehalt<br />

der Zahlenfolge. Für unterschiedlich lange und komplizierte<br />

Texte ergibt das plausible Resultate, aber immer noch ke<strong>in</strong>e Aussage<br />

über die Bedeutung. Allerd<strong>in</strong>gs führt es zu dem sche<strong>in</strong>baren<br />

Paradoxon, dass e<strong>in</strong>e zufällige und damit chaotische Zahlenfolge<br />

den höchsten Informationsgehalt hat. E<strong>in</strong>e solche Zahlenfolge zeigt<br />

ke<strong>in</strong>e Regelhaftigkeit, und es gibt somit auch ke<strong>in</strong>en Algorithmus,<br />

der ihre Abfolge vere<strong>in</strong>fachend beschreiben könnte. Nach dieser<br />

Theorie hat das Chaos den höchsten Informationsgehalt, wobei die<br />

Information selbst aber nicht als Ordnung erkennbar ist. Obwohl<br />

dies paradox ersche<strong>in</strong>t, f<strong>in</strong>den wir hier womöglich e<strong>in</strong>e mathematische<br />

Brücke zum Informationspotential (Ordnungspotential) <strong>des</strong><br />

Chaos – wenn wir es dynamisch sehen. Wir können dieses als<br />

mathematischen Beweis dafür nehmen, dass im Chaos die größte<br />

mögliche Menge an Information vorhanden ist – möglicherweise<br />

weitgehend losgelöst von Materie und <strong>des</strong>halb gen unendlich. Das<br />

gäbe e<strong>in</strong> ganz <strong>neue</strong>s Verständnis auch von Entropie.<br />

Viel näher am Wesen der Information s<strong>in</strong>d wir aber auch mit der<br />

algorithmischen Informationstheorie noch nicht. Dazu braucht es<br />

u. E. als Erstes die Bereitschaft, die materialistisch-kausal-analytische<br />

Denkgewohnheit zu verlassen sowie das eigene und auch wissenschaftliche<br />

Denken zu reflektieren. Unser Denken ist e<strong>in</strong> <strong>in</strong>formationsverarbeitender<br />

Vorgang. Wenn wir diesen reflektieren, können<br />

wir womöglich viel über das We sen von Information erfahren.<br />

23


Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und Information<br />

Unser Denken ist e<strong>in</strong> <strong>in</strong>formationsver -<br />

arbeitender Vorgang. Wenn wir diesen<br />

reflektieren, können wir womöglich viel<br />

über das Wesen von Information erfahren.<br />

So zeigen sich im Gehirn das Streben und die Suche nach Kohärenz<br />

7 , nach Übere<strong>in</strong>stimmungen. Auf der Grundlage von Ähnlichkeiten,<br />

also Analogien, werden ähnliche Informationsmuster aktiviert.<br />

Daraus können wir die Hypothese<br />

ableiten, dass dieses analogische<br />

Funktionieren <strong>in</strong> Resonanz und Beziehung<br />

zu natürlichen Veränderungs-<br />

wie Informationsverarbeitungsprozessen stattf<strong>in</strong>det und nicht nur<br />

e<strong>in</strong>e Exklusivität menschlichen <strong>Denkens</strong> ist.<br />

E<strong>in</strong>er umfassenden Informationstheorie können wir uns womöglich<br />

durch e<strong>in</strong>e Reflexion <strong>des</strong> eigenen subjektiven – wie auch <strong>des</strong><br />

kulturell-wissenschaftlich geprägten – <strong>Denkens</strong> annähern. Dabei<br />

werden analogische Denkweisen e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielen.<br />

Was ist Information?<br />

Um den historischen Kontext der hier folgenden Ausführungen zu<br />

vergegenwärtigen, sei die Geschichte dieser Erweiterung <strong>des</strong> wissenschaftlichen<br />

<strong>Denkens</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kurzen Exkurs skizziert und<br />

reflektiert.<br />

Das Denken der Menschen <strong>in</strong> den hochzivilisierten Ländern ist<br />

sehr stark von den ma terialistisch-analytisch-quantifizierenden<br />

Naturwissenschaften, <strong>in</strong>sbesondere ihrer Leitwissenschaft Physik,<br />

und den Erfolgen der Technik geprägt. Im Rahmen dieses neuzeitlich-naturwissenschaftlich<br />

geprägten <strong>Denkens</strong> gibt es <strong>in</strong> der Welt<br />

nur Energie, die sich <strong>in</strong> wenigen sogenannten Grundkräften (auch<br />

Wechselwirkungen – meist werden vier genannt: Gravitation, Elektromagnetismus,<br />

schwache und starke Wechselwirkung) als Bauste<strong>in</strong>e<br />

aller Ersche<strong>in</strong>ungen zeigt. Aus Sicht der klassischen Physik<br />

treiben diese Grundkräfte kurz nach dem Urknall ihr im Pr<strong>in</strong>zip<br />

berechenbares Spiel, das im Laufe der Ausdehnung und Abkühlung<br />

<strong>des</strong> Universums zu allen Ersche<strong>in</strong>ungen geführt hat, die wir heute<br />

beobachten (Lesch 2008; Hansch u. Haken 2016). So haben angeblich<br />

24<br />

7 »Kohärenz« ist e<strong>in</strong> Begriff, der heute <strong>in</strong> vielen Wissenschaften e<strong>in</strong>e zunehmende Rolle spielt und<br />

Zusammenhalt und Stimmigkeit bedeutet. Antonovsky hat diesen Begriff schon früh verwendet,<br />

um den Kern <strong>des</strong>sen zu benennen, was er für e<strong>in</strong>e gesunde Entwicklung <strong>des</strong> Menschen, für »Salutogenese«,<br />

als bedeutsam empfand.


Information und Kommunikation<br />

auch alle Lebewesen ihre Ursache <strong>in</strong> diesen physikalischen Grundkräften.<br />

Dieses Denken hat das Energiezeitalter geprägt und zur<br />

Beherrschung und Verwendung von extremen Energiemengen<br />

geführt – <strong>in</strong>sbesondere leider auch zu zerstörerischen Zwecken.<br />

Im vergangenen Jahrhundert war der Herrschaftsanspruch der<br />

Naturwissenschaften und <strong>in</strong>sbesondere der Physik noch ungebrochen.<br />

Wenige herausragende Wissenschaftler<strong>in</strong>nen wie Albert E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong><br />

haben proklamiert, dass wir »e<strong>in</strong> <strong>neue</strong>s Denken brauchen«.<br />

Max Born hielt es immerh<strong>in</strong> für möglich, »dass man später, z. B. im<br />

Zusammenhang mit den Lebensvorgängen etwas ganz Neues f<strong>in</strong>den<br />

wird …« (Born, 1966, S. 144, zit. n. Simonyi, 1995, S. 466). David<br />

Bohm sprach von e<strong>in</strong>er »impliziten Ordnung« (1990).<br />

Der Chemiker und Mikrobiologe Friedrich Cramer, der bis 1995<br />

Direktor <strong>des</strong> Max-Planck-Instituts für experimentelle Mediz<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

Gött<strong>in</strong>gen und an der Genforschung seit Beg<strong>in</strong>n <strong>in</strong> den 1950er-Jahren<br />

be teiligt war, beschrieb um die<br />

Jahrtausendwende dann schon weitergehend<br />

e<strong>in</strong>e allmähliche Ablösung der<br />

»Physik als Leitwissenschaft der Naturwissenschaften<br />

durch Biologie und<br />

Mediz<strong>in</strong>« (s. Zitat 1997). Er stellte zum<br />

Abschluss se<strong>in</strong>es Lebenswerks das<br />

Phänomen der Resonanz <strong>in</strong> den Fokus<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er »Weltresonanz-Theorie« (1996). Mit Resonanz s<strong>in</strong>d Wechselbeziehungen<br />

bezeichnet, und damit s<strong>in</strong>d wir wieder beim Thema<br />

Kommunikation und Information.<br />

»In den letzten Jahren haben sich – auch<br />

von der wissenschaftlichen Öffentlichkeit<br />

unbemerkt – e<strong>in</strong>ige grundlegende Para -<br />

digmenwechsel vollzogen, die damit<br />

zusammenhängen, dass die Physik als Leitwissenschaft<br />

der Naturwissenschaften allmählich<br />

abgelöst wird durch Biologie und<br />

Mediz<strong>in</strong>. Das lässt sich, im weitesten S<strong>in</strong>ne,<br />

unter dem Stichwort Chaostheorie zusammenfassen.«<br />

Friedrich Cramer (1997)<br />

Lebenswissenschaftler<strong>in</strong>nen gehen von grundlegend anderen<br />

Erfahrungen aus als Physiker<strong>in</strong>nen und Chemiker<strong>in</strong>nen: E<strong>in</strong> leben<strong>des</strong><br />

System (z. B. e<strong>in</strong>e Zelle) kann wachsen, heilen und sich vermehren<br />

und ist existentiell auf se<strong>in</strong>e Umgebung angewiesen. Es kann<br />

Energie und Materie aus e<strong>in</strong>er Umgebung verstoffwechseln.<br />

In der Geschichte der Mediz<strong>in</strong> prallen die Denkweisen immer<br />

wieder aufe<strong>in</strong>ander, die wir schon zu Beg<strong>in</strong>n dieses Kapitels bei der<br />

Placeboforschung erkennen konnten: e<strong>in</strong>e analytisch-materialis -<br />

tische, kausallogische und e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>formierende, ganzheitliche, ana-<br />

25


Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und Information<br />

logische. So ist me<strong>in</strong>e ärztliche Sicht zum e<strong>in</strong>en geprägt von der<br />

naturwissenschaftlich-analytisch bemühten Mediz<strong>in</strong> und zum<br />

anderen von dem alltäglichen praktischen Umgang mit ganzen und<br />

bewussten Menschen, mit autonomen, komplexen Systemen und<br />

deren Veränderungen. Tausende von Erkrankungs- und Genesungsverläufen<br />

geben Beispiele komplexer Interaktionen und damit<br />

Informationsaustausch zwischen e<strong>in</strong>em Patienten und se<strong>in</strong>en<br />

nächsten Mitmenschen, se<strong>in</strong>em Körper und se<strong>in</strong>en Emotionen und<br />

Gedanken, se<strong>in</strong>en Lebensgewohnheiten und Arzneimitteln sowie<br />

auch mit mir bzw. anderen Therapeut<strong>in</strong>nen. Im Verlauf der Jahrzehnte<br />

ärztlicher Tätigkeit als beobachtender und reflektierender<br />

Akteur waren immer beide Aspekte präsent: der materielle und der<br />

geistige, der analytische und der ganzheitliche. Da der materielle<br />

durch die mediz<strong>in</strong>ische Forschung und Industrie schon e<strong>in</strong>seitig<br />

stark vertreten ist, habe ich me<strong>in</strong> Interesse mehr den geistigen<br />

Aspekten, den Informationen und der Kommunikation zugewendet.<br />

Hier existieren noch große ungenutzte Ressourcen für unsere<br />

gesunde Entwicklung.<br />

Was geschieht mit Informationen beim Kommunizieren?<br />

26<br />

Der e<strong>in</strong>gangs und auch anderswo immer wieder zitierte Satz von<br />

Paul Watzlawick »Man kann nicht nicht <strong>kommunizieren</strong>« mit der<br />

doppelten Verne<strong>in</strong>ung be<strong>in</strong>haltet auch – positiv formuliert –: Leben<br />

heißt <strong>kommunizieren</strong> und resonieren. Leben bedeutet, Informationen auszutauschen.<br />

Dann <strong>kommunizieren</strong> wir sogar im Schlaf – durch das<br />

Atmen mit unserer Umgebungsluft, durch Schwitzen oder Frieren<br />

mit unserer Bettdecke, durch Schnarchen möglicherweise auch mit<br />

unserem (Bett-)Nachbarn.<br />

Wenn Kommunikation immer e<strong>in</strong> wechselseitiger Vorgang ist,<br />

dann kommuniziert die Bettdecke auch mit mir (Wärmeaustausch),<br />

ebenso die Luft <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Schlafzimmer (Gas- und Bakterienaustausch<br />

u. a.), und womöglich auch der Nachbar durch das Atmen<br />

derselben Luft oder ggf. auch verbal, wenn ich (zu laut) schnarche.<br />

Kommunizieren kann außer durch Worte und Gesten durch unseren<br />

Stoffwechsel sowie e<strong>in</strong>fach unser Dase<strong>in</strong> chemisch und physikalisch


Information und Kommunikation<br />

durch Geruchsstoffe und Strahlung mit unserer Umgebung stattf<strong>in</strong>den.<br />

Dabei ist me<strong>in</strong> Organismus meistens <strong>in</strong> der Lage, die Informationen<br />

der Umgebung derart zu verarbeiten, dass er so darauf resonieren<br />

– also sich e<strong>in</strong>stellen – kann, dass es gut für ihn ist.<br />

Demnach ist Kommunikation e<strong>in</strong> grenzenloses Gebiet, das jede<br />

Form und <strong>Dimension</strong> der Interaktion und Wechselwirkung und <strong>des</strong><br />

Informationsaustauschs und ihrer Verarbeitung betrifft – wie sie<br />

von der Physik und Chemie über die Lebens- bis zu den Sozial- und<br />

Geisteswissenschaften beforscht werden. Sowohl Elementarteilchen,<br />

Atome, Moleküle und Gestirne als auch E<strong>in</strong>zeller, Pflanzen,<br />

Tiere und Menschen <strong>kommunizieren</strong> unter- und mite<strong>in</strong>ander. Das<br />

Universum kommuniziert – auch mit uns.<br />

Was tauschen wir da ständig aus? Was machen Informationen<br />

im Alltag?<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n habe ich schon e<strong>in</strong>e kurze Def<strong>in</strong>ition gegeben. Was das<br />

alles bedeutet, können wir <strong>in</strong> unserem alltäglichen Gebrauch <strong>des</strong><br />

Wortes reflektieren. Im allgeme<strong>in</strong>en Sprachgebrauch wird Information<br />

oft als Nachricht oder Auskunft verstanden, wie z. B. Tourist-<br />

Information oder bei der Bahn der Info-Stand. Ausgehend von dieser<br />

Wortbedeutung erhalten wir Zugang zu e<strong>in</strong>em tieferen und allgeme<strong>in</strong>eren<br />

Verständnis dieses Wortes, wenn wir uns etwa den<br />

Vorgang mit der Bahn-Info genauer anschauen. Auch bei dieser<br />

Information (ob durch e<strong>in</strong>e Person oder e<strong>in</strong>e Handy-App) geht es<br />

um Kommunikation. Wenn wir e<strong>in</strong>e Auskunft über e<strong>in</strong>e Zugverspätung<br />

e<strong>in</strong>es Anschlusszugs von 25 M<strong>in</strong>uten erhalten, wird unser<br />

Gehirn und Gefühl <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>neue</strong> Form gebracht: Eben waren wir<br />

noch entspannt und wohlgelaunt auf Reise. Jetzt bewirkt diese<br />

Information, dass wir <strong>in</strong> Spannung geraten, schnell nach e<strong>in</strong>em<br />

anderen Anschlusszug Ausschau halten, uns vielleicht noch ärgern,<br />

dass die Bahn es nicht fertigbr<strong>in</strong>gt, zuverlässig zu se<strong>in</strong>, und wir<br />

dann unser Verhalten den <strong>neue</strong>n Fahrtzeiten entsprechend anpassen,<br />

mit dem wartenden Partner am Ziel telefonieren usw. E<strong>in</strong>e<br />

kle<strong>in</strong>e Information kann große Auswirkungen haben.<br />

Diese oft erfahrene Bedeutung von Information – dass sie Energie<br />

<strong>in</strong> Bewegung, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Richtung und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Form br<strong>in</strong>gen kann –<br />

27


Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und Information<br />

28<br />

steckt schon <strong>in</strong> der ursprünglichen Bedeutung <strong>des</strong> Wortes: e<strong>in</strong>e<br />

Form geben, gestalten. Informieren ist also e<strong>in</strong> schöpferischer Akt.<br />

Umso wichtiger ersche<strong>in</strong>t es, dass wir uns darüber bewusst werden,<br />

was wir da ständig kreieren. Und was über die Medien unablässig<br />

kreiert wird. Und wie wir damit verantwortlich umgehen wollen<br />

und können.<br />

Jetzt mögen e<strong>in</strong>ige e<strong>in</strong>wenden, dass es ja nicht die Information über<br />

die Verspätung <strong>des</strong> Zuges sei, die e<strong>in</strong>e solche Wirkung auslöst, sondern<br />

die Tatsache an sich. Dem wäre zu antworten: Information<br />

wird hier so weit verstanden, dass jede Tatsache auch e<strong>in</strong>e Information<br />

ist, also Information e<strong>in</strong> Aspekt jeder Tatsache. Weiter hat<br />

der Fahrgast <strong>in</strong> dem Moment der Information über die Zugverspätung<br />

meist nicht die Möglichkeit, diese Information auf ihren Wahrheitsgehalt<br />

h<strong>in</strong> zu prüfen. Die Auswirkung der Information <strong>in</strong> ihm<br />

bleibt die gleiche, ob dah<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>e Tatsache steckt oder ob es e<strong>in</strong><br />

Irrtum oder e<strong>in</strong>e freie Erf<strong>in</strong>dung ist (zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t <strong>in</strong> dem Mo ment).<br />

Informationen zeigen Wirksamkeit.<br />

Es gibt bis heute ke<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong> anerkannte Def<strong>in</strong>ition von<br />

Information, sondern e<strong>in</strong>e mathematisch-technische (die syntaktische<br />

8 ), e<strong>in</strong>e geisteswissenschaftliche (die semantische) und e<strong>in</strong>e pragmatische.<br />

Während die syntaktische Def<strong>in</strong>ition die Information durch verschiedene<br />

Rechenschritte für die Datenübertragung und Speicherung<br />

analysiert und aufbereitet (unabhängig von ihrer Bedeutung<br />

und vom Empfänger), macht die semantische Def<strong>in</strong>ition e<strong>in</strong>e Information<br />

gänzlich vom Empfänger abhängig – die Information erhält<br />

erst durch den Empfänger ihre (Be-)Deutung. Dabei hat e<strong>in</strong>e Information<br />

sowohl für den Sender als auch für den Empfänger e<strong>in</strong>e<br />

Bedeutung, selbst wenn diese unterschiedlich se<strong>in</strong> kann. Und drittens<br />

hat die Information e<strong>in</strong>e Bedeutung für die Beziehung zwischen<br />

Sender und Empfänger. Informationen gestalten die Qualität<br />

8 »Syntaktische Information ist e<strong>in</strong> Maß für die kürzeste Codierung e<strong>in</strong>er Nachricht, ist quantifizierbar,<br />

braucht ke<strong>in</strong>en Empfänger, steckt objektiv <strong>in</strong> der Nachricht, ist bestimmt durch Alphabet,<br />

Auftrittswahrsche<strong>in</strong>lichkeiten se<strong>in</strong>er Zeichen. Semantische Information bezeichnet die<br />

Bedeutung e<strong>in</strong>er Nachricht für den Empfänger. Sie ist nicht quantifizierbar, braucht e<strong>in</strong>en Empfänger<br />

und entsteht erst bei ihm und ist bestimmt durch die Bedeutung für den Empfänger.«<br />

(Rechenberg 2003, S. 320)


Information und Kommunikation<br />

von Beziehungen (z. B. zwischen mir und der Bahn oder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Partnerschaft). Die Information steht zwischen Sender und Empfänger<br />

und verb<strong>in</strong>det diese.<br />

Für die Kommunikation s<strong>in</strong>d diese drei Aspekte von Information<br />

sowie deren Kohärenz wichtig. Die Kohärenz oder Inkohärenz der<br />

drei Aspekte, also wie die Bedeutung für Sender, Empfänger und die<br />

Beziehung übere<strong>in</strong>stimmen, hat womöglich e<strong>in</strong>e nachhaltigere Wirkung<br />

als e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelaspekt. So ist für unsere weitere Beziehung im<br />

Beispiel zur Bahn wichtig, ob die Informationen mit der Tatsache<br />

übere<strong>in</strong>stimmen. Trifft der Zug tatsächlich um 25 M<strong>in</strong>uten später<br />

e<strong>in</strong>?<br />

In der Deutung, die der Empfänger der Information gibt, bekommt<br />

diese die mehr oder weniger bewusste Bedeutung für ihn. Damit<br />

formt die Information den Empfänger. Dieser Aspekt der Wirkung<br />

auf den Empfänger von Information wird »Pragmatik« ge nannt.<br />

Information ist <strong>in</strong> der Lage zu wirken, wenn sie mit Energie <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />

kommt, wie wir am Beispiel der Zugverspätung <strong>in</strong> uns<br />

selbst spüren konnten.<br />

Mit dieser Wirkung von Informationen s<strong>in</strong>d drei Begriffe eng verknüpft:<br />

Kommunikation, Interaktion und Beziehung. Sie bezeichnen<br />

jeweils etwas zwischen e<strong>in</strong>zelnen Menschen oder allgeme<strong>in</strong>er<br />

zwischen Systemen. Die Unterschiede ihrer Bedeutung sehe ich<br />

dar<strong>in</strong>, dass wir bei Kommunikation auf den Austausch von Informationen<br />

und damit auf die wechselseitige Dynamik, die Resonanzen<br />

zwischen Individuen schauen. Bei Beziehung betrachten wir mehr<br />

die verb<strong>in</strong>denden Informationen, die Muster zwischen zwei oder<br />

mehr Individuen.<br />

Mit Interaktion fokussieren wir mehr auf die aufe<strong>in</strong>ander bezogenen<br />

Aktivitäten der Individuen als auf deren durch Zeichen vermittelte<br />

Informationen. So bezeichnen die drei Begriffe Beziehung,<br />

Kommunikation und Interaktion drei Qualitäten von Verb<strong>in</strong>dungen<br />

von Systemen. Mit Information ist jeweils das h<strong>in</strong>ter der Beziehung<br />

Liegende und <strong>in</strong> der Kommunikation das Mitgeteilte bzw. das e<strong>in</strong>e<br />

Interaktion Prägende geme<strong>in</strong>t. Information ist e<strong>in</strong>e abstrakte Entität,<br />

die nur über Eigenschaften von Materie, Signale, Zeichen und<br />

29


Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und Information<br />

30<br />

Aktivitäten <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung tritt. Wir beschäftigen uns beim Thema<br />

Information also mit etwas sehr Abstraktem, das nicht angefasst<br />

und nur <strong>in</strong>direkt beobachtet werden kann, wohl aber wirksam ist.<br />

Wir reflektieren hier das Abstrakte selbst, das Geistige, das Bewusstse<strong>in</strong>.<br />

Wir können uns als Resonanz<strong>in</strong>strumente für Informationen verstehen.<br />

In e<strong>in</strong>er derartigen Reflexion sehen wir uns <strong>in</strong> Resonanz z. B.<br />

zur Quelle der Intuition. Unsere Resonanz gibt der Information Deutung<br />

und Ausdruck – im weitesten S<strong>in</strong>ne: Form. Als Empfänger e<strong>in</strong>er<br />

Botschaft resonieren wir mit e<strong>in</strong>er Sendung aus der Vergangenheit.<br />

In und mit unserer Resonanz gestalten wir die Zukunft mit.<br />

Kommunizierte Information hat damit zum e<strong>in</strong>en den Aspekt, Mitteilung<br />

über Erfahrungen und ihre Deutung zu se<strong>in</strong> (rückblickend), und zum<br />

anderen den zukunftsorientierten Aspekt von mitgestaltendem Informieren,<br />

von qualitativ Wirksamwerden.<br />

Diese beiden unterscheidbaren Aspekte treten zusammen auf:<br />

Auch die Information e<strong>in</strong>er Zugverspätung, also e<strong>in</strong>er Mitteilung,<br />

hat e<strong>in</strong>e gestaltende Wirkung auf den Empfänger und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Rückkopplung (wie me<strong>in</strong>en Ärger) hoffentlich auch auf das Bahnsystem.<br />

Über diese gestaltende Wirkung s<strong>in</strong>d sich Medienwissenschaftler<strong>in</strong>nen<br />

sowie Nachrichtenagenturen und Doku-Filmemacher<strong>in</strong>nen<br />

wohl bewusst. Dieser gestaltende Aspekt der Kommu -<br />

nikation f<strong>in</strong>det besonders <strong>in</strong> der Werbung und Politik gezielte,<br />

manipulative Anwendung. Dies ist der sogenannte pragmatische<br />

Aspekt der Information. In der wissenschaftlichen Betrachtung und<br />

Theoriebildung von Kommunikation wird er außerhalb der Medienwissenschaften<br />

kaum beachtet (Burkart 2007). Dabei ist er für die<br />

Bildungs- und Gesundheitswissenschaften von größter Bedeutung<br />

(Petzold u. Lehmann 2011; Schnabel u. Bödeker 2012). In der Placeboforschung<br />

kommen wir mit diesem pragmatischen Aspekt jetzt<br />

explizit auch wissenschaftlich <strong>in</strong> Kontakt.<br />

Hier schlagen wir e<strong>in</strong>e Def<strong>in</strong>ition für Information vor, die ihre<br />

verschiedenen Bedeutungsanteile (sowohl syntaktisch als auch<br />

semantisch und pragmatisch) e<strong>in</strong>schließt und die Grundlage der<br />

weiteren Ausführungen ist:


Information und Kommunikation<br />

Information ist e<strong>in</strong>e abstrakte Entität, die Energie/Masse e<strong>in</strong>e Form<br />

geben kann oder gegeben hat und die von dieser Form dann <strong>in</strong><br />

ihrer Ersche<strong>in</strong>ung ausgedrückt wird. Information kommt durch<br />

Resonanz aus der Abstraktheit via Schw<strong>in</strong>gungsmustern <strong>in</strong><br />

Materie. Information bezeichnet aus e<strong>in</strong>er Beobachterperspektive<br />

das, was aus e<strong>in</strong>er Innenperspektive (Introspektion) Geist<br />

genannt wird.<br />

Information wird durch Signale übermittelt. Diese Zeichen können<br />

digitalisiert und quantifiziert werden. Um e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Zeichen<br />

gesendete Information zu verstehen, bedarf es e<strong>in</strong>er h<strong>in</strong>reichenden<br />

Kohärenz von Sender und Empfänger.<br />

1.3 Sender-Empfänger-Modell und<br />

Grundkommunikation<br />

Wenn zwei Seen oder auch Reagenzgläser mite<strong>in</strong>ander verbunden<br />

s<strong>in</strong>d, sagen Naturwissenschaftler<strong>in</strong>nen, dass diese mite<strong>in</strong>ander<br />

<strong>kommunizieren</strong>. Sie wollen damit ausdrücken, dass sie mite<strong>in</strong>ander<br />

<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung stehen. Wenn zwei Systeme <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung s<strong>in</strong>d,<br />

kann man davon ausgehen, dass sie mite<strong>in</strong>ander Informationen<br />

austauschen, also <strong>kommunizieren</strong>. Daher sprechen wir schon von<br />

<strong>kommunizieren</strong>, wenn wir nur e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung wahrnehmen können<br />

und womöglich (noch) gar ke<strong>in</strong>en Fluss von Informationen. Es<br />

genügt schon die Möglichkeit zum Austausch, dass wir e<strong>in</strong>en solchen<br />

annehmen und von Kommunikation sprechen. Mit diesem<br />

Gedanken verlassen wir bereits das gängige Sender-Empfänger-<br />

Modell, wie es heute als Grundlage für die meisten Kommunikationstheorien<br />

dient. Wenn e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zwischen zwei Systemen<br />

besteht, liegt es außerdem nahe, dass sie Teilsysteme e<strong>in</strong>es größeren<br />

Systems s<strong>in</strong>d und bei genauer Betrachtung auch Informationen<br />

übertragen werden.<br />

Damit wir mite<strong>in</strong>ander als Sender und Empfänger <strong>kommunizieren</strong><br />

können, müssen wir bereits e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung und etwas<br />

Geme<strong>in</strong>sames haben, wie der Volksmund weiß: »Auf e<strong>in</strong>er Wellen-<br />

31


Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und Information<br />

länge se<strong>in</strong>.« Damit me<strong>in</strong>e Worte <strong>in</strong> diesem Buch von Ihnen verstanden<br />

werden können, müssen wir e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Sprache sprechen.<br />

Das ist verknüpft mit e<strong>in</strong>em ähnlichen H<strong>in</strong>tergrundwissen.<br />

E<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Sprache kann im übertragenen S<strong>in</strong>ne bedeuten,<br />

e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tentionale oder emotionale Verbundenheit zu haben bzw.<br />

von der gleichen Gattung zu se<strong>in</strong> (wie jeweils Menschen, Affen,<br />

Pferde, Hunde usw.) bzw. über e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Schw<strong>in</strong>gungsfähigkeit<br />

auf Sprache zu verfügen – auch auf geschriebene Worte –<br />

oder auf Schallwellen, Licht oder andere physikalische Energien.<br />

Das, was wir geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> »Kommunikation« nennen, basiert also auf<br />

e<strong>in</strong>er vorhandenen zugrunde liegenden Verbundenheit, e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>samkeit,<br />

die als Grundkommunikation zu sehen ist. Diese Grundkommunikation<br />

ist e<strong>in</strong> Aspekt der Kohärenz e<strong>in</strong>es Systems. Da wir<br />

»nicht nicht <strong>kommunizieren</strong>« können, s<strong>in</strong>d wir immer verbunden<br />

– schon bevor es e<strong>in</strong>e Unterscheidung von Sender und Empfänger<br />

gibt. In der physikalischen Welt könnte dies dem universellen<br />

Higgs-Feld entsprechen, dem von Physiker<strong>in</strong>nen ähnliche Eigenschaften<br />

zugesprochen werden und für das das berechnete Elementarteilchen<br />

»Higgs-Boson« 2012 im Teilchenbeschleuniger CERN<br />

nachgewiesen wurde.<br />

Kommunikation <strong>in</strong> Lebensdimensionen<br />

32<br />

Kommunikation entsteht also nicht erst, wenn e<strong>in</strong> Subjekt – entweder<br />

bewusst oder unbewusst – etwas »sendet«, das von e<strong>in</strong>em<br />

Empfänger aufgenommen wird. Unser Umfeld bis h<strong>in</strong> zum Kosmos<br />

ist ständig <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung und voller Informationen, und es hängt<br />

von unserer Resonanzfähigkeit ab, ob wir sie aufnehmen oder nicht<br />

und wie wir sie aufnehmen und verarbeiten – bewusst oder unbewusst,<br />

<strong>in</strong>dividuell oder als Gruppe, ohne oder mit Hilfsmitteln.<br />

So können wir uns mit unseren Nahen oft ganz ohne Worte verstehen.<br />

Wir kennen uns und wissen, was der andere braucht, schon<br />

wenn wir ihn sehen. In unserem Beruf bei der Arbeit kennen wir<br />

die abgesprochenen oder vertraglichen Regeln, nach denen die<br />

Kooperation organisiert ist. Jeder hat <strong>in</strong> der Arbeitsteilung se<strong>in</strong>e<br />

Rolle. Das ist die Basis für das Funktionieren <strong>des</strong> Systems.


Sender-Empfänger-Modell und Grundkommunikation<br />

Im globalen Zusammenhang gibt es Grundsätze <strong>des</strong> Menschlichen,<br />

wie Ethik und Verantwortungsbewusstse<strong>in</strong>, auf denen Begegnungen<br />

aufbauen, bevor wir versuchen, uns sprachlich zu verständigen<br />

und die Beziehung zu regeln.<br />

Dadurch, dass jeder e<strong>in</strong> Teil größerer Systeme ist, nimmt er auch<br />

teil an den Informationen der Kohärenz und Grundkommunikation<br />

se<strong>in</strong>er Übersysteme 9 . Dadurch entsteht so etwas wie e<strong>in</strong> Mitwissen<br />

von Teilsystemen an ihren Übersystemen.<br />

System-/Lebensdimensionen<br />

Jede Systemdimension hat ihre charakteristische Kohärenz und Resonanzfähigkeit<br />

Erde, Sonnensystem u. a. Übersysteme<br />

Kultur<br />

Familie<br />

Individuum<br />

Autonomes Streben<br />

nach Kohärenz und<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den<br />

Emotional stimmige Beziehungen<br />

Sprache, Normen, Werte, Vorstellungen<br />

Abbildung 1: Kohärenz <strong>in</strong> Lebensdimensionen – holarchisches Modell der Rahmung unseres<br />

Dase<strong>in</strong>s. Je<strong>des</strong> Individuum steht im Mittelpunkt se<strong>in</strong>er Weltbeziehungen. Im Inneren <strong>kommunizieren</strong><br />

se<strong>in</strong>e Organe überwiegend physikalisch-chemisch. Mit se<strong>in</strong>en nahen Mitmenschen<br />

im sozialen Übersystem kommuniziert es zu 80 bis 100 Prozent direkt s<strong>in</strong>nlich, also<br />

non verbal. In se<strong>in</strong>en kulturellen Bezugssystemen wird die Kohärenz wesentlich durch<br />

Zeichen systeme wie Sprache und Geld hergestellt. In der globalen Lebensdimension ist die<br />

Kohärenz transkulturell, metasprachlich – geistig, abstrakt.<br />

9 Mit dem Blick auf die Kohärenz als Kommunikation <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em System kommen wir zum systemischen<br />

Verständnis von Kommunikation, wie Niklas Luhmann es ausgeführt hat (1987). Allerd<strong>in</strong>gs<br />

verwenden wir hier andere Begriffe. Für die »Kommunikation als Merkmal sozialer Systeme« bei<br />

Luhmann sprechen wir von der Kohärenz sozialer Systeme. Den Akt <strong>des</strong> Kommunizierens lassen<br />

wir bei den Teilsystemen, <strong>in</strong> diesem Fall bei den Menschen.<br />

33


Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und Information<br />

Mit diesen Beispielen s<strong>in</strong>d Systemdimensionen von Kommunikation<br />

charakterisiert, <strong>in</strong> denen wir leben: Lebensdimensionen, wie<br />

sie <strong>in</strong> der Abbildung 1 skizziert s<strong>in</strong>d. Dabei s<strong>in</strong>d die jeweils größeren<br />

Systemdimensionen, welche kle<strong>in</strong>ere Ganze, weniger komplexe,<br />

e<strong>in</strong>schließen, als übergeordnete Ganze zu verstehen. So hat Arthur<br />

Köstler (1984) den Begriff Holarchie geprägt: e<strong>in</strong>e Ordnung von<br />

Ganzheiten, <strong>in</strong> denen es e<strong>in</strong>e Top-down- und e<strong>in</strong>e Bottom-up-Kommunikation<br />

gibt. E<strong>in</strong> jeweils übergeordnetes System wird als Übersystem<br />

bezeichnet.<br />

Kommunikation und Kooperation <strong>in</strong> Übersystemen<br />

Über-Übersystem<br />

Kohärenz<br />

Übersystem<br />

Kohärenz<br />

S 1 S 2<br />

Kooperation<br />

Kooperation<br />

S 3<br />

Kooperation<br />

34<br />

Abbildung 2: Die Kommunikation und Kooperation der Teilsysteme f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> der Kohärenz<br />

<strong>des</strong> Übersystems statt. Dadurch wird diese Kohärenz hergestellt und aufrechterhalten. Sie<br />

kann auch <strong>in</strong> Resonanz zu e<strong>in</strong>em Über-Übersystem stattf<strong>in</strong>den und dann zur konstruktiven<br />

und kreativen Veränderung <strong>des</strong> Übersystems beitragen.<br />

Z. B. K<strong>in</strong>der als Teilsysteme (hier: S1, S2 usw.) e<strong>in</strong>er Familie (= Übersystem) <strong>kommunizieren</strong><br />

und kooperieren unter der Maßgabe ihrer Eltern als Vertreter ihres Übersystems. Diese Maßgabe<br />

wie etwa Regeln s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Top-down-Aspekt der Kooperation, die Resonanz der K<strong>in</strong>der<br />

darauf <strong>in</strong> ihrem Fühlen, Denken und Handeln ist der Bottom-up-Aspekt. Wenn die K<strong>in</strong>der<br />

dann <strong>in</strong> der Schule und Ausbildung mit Regeln der Kultur <strong>in</strong> Resonanz gehen, gestalten sie<br />

die Kommunikation <strong>in</strong> der Familie mit.Das Wohl der K<strong>in</strong>der ist also e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e dynamische<br />

mehrdimensionale Kommunikation.


Sender-Empfänger-Modell und Grundkommunikation<br />

In diesen Lebensdimensionen suchen wir unsere mehrdimensionale<br />

Kohärenz: <strong>in</strong> uns wie auch die stimmige Zugehörigkeit zur<br />

Geme<strong>in</strong>schaft, Kultur und anderen Ganzen. Diese Kohärenz ist e<strong>in</strong><br />

Soll-Zustand für unsere Selbstregulation. Wir können sie durch<br />

e<strong>in</strong>e geeignete Kommunikation immer wieder aktualisieren, wenn<br />

sie uns verloren gegangen ersche<strong>in</strong>t. Oft genügt e<strong>in</strong> bewusstes Erleben<br />

der stimmigen impliziten Grundkommunikation. In Familien ist sie<br />

unter anderem <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er mitfühlenden fürsorglichen Zuwendung<br />

wie auch e<strong>in</strong>er bed<strong>in</strong>gungslosen Annahme die Regel.<br />

Um diesen Aspekt impliziter Kommunikation im Gesundheitswesen<br />

zu erforschen, müssten wir therapeutische Beziehungen<br />

untersuchen und nicht nur e<strong>in</strong>zelne Interventionen – also im Fall<br />

<strong>des</strong> Herzpatienten von Dr. Lown die ganze Beziehung, also die Resonanzfähigkeit<br />

<strong>des</strong> Patienten sowie die expliziten und impliziten<br />

Informationen <strong>in</strong> der Umgebung. Dazu gehören u. a. der Glaube <strong>des</strong><br />

Patienten an den Chefarzt, die möglicherweise fürsorgliche Zugewandtheit<br />

von Dr. Lown und auch das Wort »Galopp«.<br />

Unterschiedliche Kommunikationsweisen<br />

E<strong>in</strong> Forschungs<strong>des</strong>ign könnte z. B. von e<strong>in</strong>er Hypothese für e<strong>in</strong>e<br />

optimale Annäherung <strong>des</strong> Patienten an se<strong>in</strong> attraktives Gesundheitsziel<br />

ausgehen (wie etwa gesund alt werden) und das Zusammenspiel<br />

der variablen Faktoren untersuchen. Dann g<strong>in</strong>ge es nicht ausschließlich<br />

darum, die Wirksamkeit e<strong>in</strong>es Arzneimittels zu be -<br />

weisen, sondern Möglichkeiten zu f<strong>in</strong>den, dass der Patient gesund<br />

wird, sich se<strong>in</strong>em Ziel annähert – mit und ohne Arzneimittel. 10<br />

Bei diesen Untersuchungen könnte man die Selbstregulation<br />

(s. Kap. 3.4) e<strong>in</strong>schließlich der motivationalen E<strong>in</strong>stellungen (s. Kap.<br />

1.4 S. 59 ff.) berücksichtigen.<br />

10 Bei Interventionsstudien mit verbalen Interventionen müsste man berücksichtigen, ob die Stu -<br />

dienteilnehmer<strong>in</strong>nen aus dem Annäherungs-, Kohärenz- oder Abwendungsmodus heraus bewerten<br />

und handeln. Angenommen, 50 Prozent der teilnehmenden Menschen s<strong>in</strong>d grundlegend<br />

(genotypisch und phänotypisch) im Annäherungsmodus stärker und 50 Prozent im Abwendungsmodus,<br />

so kann die Forschung ggf. ke<strong>in</strong> signifikantes Ergebnis zeigen, obwohl jede dieser<br />

Gruppen für sich untersucht e<strong>in</strong>e hochsignifikante Wirkung gezeigt haben könnte. Bei geme<strong>in</strong>samer<br />

Betrachtung kann sich die Wirkung statistisch ausgleichen. (s. S. 59 ff. u. 64)<br />

35


Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und Information<br />

Hier zur Kontrastierung zwei mögliche, unterschiedliche Dialoge<br />

von Ärzt<strong>in</strong>nen mit Herrn Plume. Herr Plume ist 54 Jahre alt und<br />

kam mit folgenden Messdaten, die von der Mediz<strong>in</strong>ischen Fachangestellten<br />

vorab erhoben wurden, <strong>in</strong>s Sprechzimmer <strong>des</strong> Arztes:<br />

178 cm groß, Gewicht 86 kg, Blutdruck nach wiederholter Kontrolle<br />

165/95 mmHg. Als hypothetisches attraktives Gesundheitsziel nehmen<br />

wir »gesund alt werden« an.<br />

In den folgenden praxisnah konstruierten Beispielen s<strong>in</strong>d die<br />

Erkenntnisse der Neuropsychologie über motivationale E<strong>in</strong>stel -<br />

lungen und ihr Zusammenhang mit der Blutdruckregulation verarbeitet.<br />

1. Arzt-Gesprächsweise<br />

36<br />

A1 Guten Tag, Herr Plume. Ihr Blutdruck ist deutlich zu hoch. Dagegen müssen<br />

wir auf jeden Fall was tun, ansonsten kriegen Sie womöglich früh<br />

e<strong>in</strong>en Schlaganfall oder Herz<strong>in</strong>farkt. Wir werden auch noch Ihr Blut und<br />

Herz untersuchen, um eventuelle weitere Risikofaktoren zu f<strong>in</strong>den.<br />

Ich rate Ihnen aber jetzt schon, Ihren Lebensstil zu ändern und e<strong>in</strong>en<br />

Blutdrucksenker zu nehmen, zunächst <strong>in</strong> ziemlich niedriger Dosierung,<br />

da s<strong>in</strong>d die Nebenwirkungen seltener. Wenn der Blutdruck nicht auf vernünftige<br />

Werte kommt, können wir die Dosis bei Bedarf noch erhöhen.<br />

Das Medikament kann etwas müde machen und auch die Libido verm<strong>in</strong>dern.<br />

Lesen Sie sich den Beipackzettel bitte aufmerksam durch und nehmen<br />

Sie die Tablette auf jeden Fall regelmäßig morgens zum Frühstück.<br />

Haben Sie noch Fragen?<br />

P Wie lange muss ich denn die Pillen nehmen?<br />

A1 Stellen Sie sich darauf e<strong>in</strong>, dass Sie sie lebenslang nehmen müssen. Bluthochdruck<br />

ist e<strong>in</strong>e chronische Erkrankung, die nicht besser wird, sondern<br />

mit dem Alter eher schlechter.<br />

P Kann ich selbst noch was gegen den Blutdruck machen?<br />

A1 Ja, Ihren Lebensstil ändern. Sie müssen acht Kilogramm abnehmen und<br />

jeden Tag m<strong>in</strong><strong>des</strong>tens 30 M<strong>in</strong>uten Sport machen.<br />

P Hm.<br />

A1 Wir müssen den Blutdruck regelmäßig kontrollieren, zu Beg<strong>in</strong>n alle vier<br />

Wochen. Wenn Sie sich e<strong>in</strong> Messgerät kaufen und zu Hause selbst mes-


Sender-Empfänger-Modell und Grundkommunikation<br />

sen, sollten Sie das öfter tun und aufschreiben und dann nach vier<br />

Wochen wieder herkommen. Dann können wir sehen, ob die Dosis<br />

reicht. Sie können sich das Rezept vorne abholen und auch e<strong>in</strong>en Term<strong>in</strong><br />

für die Blutentnahme und das EKG.<br />

Wollen wir das so machen?<br />

P1 Ja, wenn es se<strong>in</strong> muss. Dann kaufe ich mir e<strong>in</strong> Messgerät und komme <strong>in</strong><br />

vier Wochen wieder. Auf Wiedersehen.<br />

2. Arzt-Gesprächsweise<br />

A2 Guten Tag Herr Plume. Was führt Sie zu mir? Was kann ich für Sie tun?<br />

P Guten Tag, Herr Doktor. Ich wollte mich mal durchchecken lassen – ob ich<br />

noch was für me<strong>in</strong>e Gesundheit tun kann.<br />

A2 Haben Sie e<strong>in</strong> Ziel <strong>in</strong> Bezug auf Ihre Gesundheit?<br />

P Ich möchte gerne bis zum Rentenalter me<strong>in</strong>en Beruf ausüben und danach<br />

so fit se<strong>in</strong>, dass ich mit me<strong>in</strong>er Frau noch was Schönes unternehmen kann.<br />

A2 Haben Sie schon an bestimmte Aktivitäten gedacht, die Sie machen<br />

wollen, um fit zu bleiben?<br />

P Ich habe mal überlegt, ob ich irgende<strong>in</strong>en Sport machen könnte, oder<br />

Gewicht abnehmen …<br />

A2 Das s<strong>in</strong>d gute Ideen. Das würde sich auch auf Ihren Blutdruck positiv<br />

auswirken, der etwas zu hoch ist. Oder haben Sie sich gerade hier aufgeregt<br />

– vor me<strong>in</strong>em weißen Kittel?<br />

P Eigentlich nicht – jedenfalls nicht, dass ich das gemerkt habe.<br />

A2 Haben Sie auf der Arbeit oder zu Hause Stress gehabt?<br />

P Nicht besonders – alles normal.<br />

A2 Haben Sie <strong>in</strong> letzter Zeit an Gewicht zu- oder abgenommen?<br />

P Im letzten Jahr habe ich etwa fünf Kilo zugenommen. Ich habe mit Rauchen<br />

aufgehört.<br />

A2 Gut, dass Sie mit dem Rauchen aufgehört haben. Sie haben ja schon<br />

gesagt, dass Sie womöglich Sport treiben wollen. Regelmäßige Bewegung<br />

hat auf ganz viele Organfunktionen e<strong>in</strong>e positive Wirkung: die<br />

Durchblutung aller Organe wird besser, das Denkvermögen wird erhöht,<br />

der Blutdruck geht runter – <strong>in</strong>sgesamt gesehen e<strong>in</strong>e positivere Wirkung<br />

als Standardmedikamente wie Betablocker –, auch für das seelische<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den ist regelmäßige Bewegung förderlich.<br />

37


Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und Information<br />

P Ja, das hat mir me<strong>in</strong>e Frau auch schon mal gesagt, dass Sport gut ist. Sie<br />

geht regelmäßig joggen. Vielleicht sollte ich das auch machen.<br />

A2 Womöglich nehmen Sie dabei auch gleich etwas Gewicht ab, was auch<br />

noch gut wäre.<br />

P E<strong>in</strong> paar Kilo wären nicht schlecht – wenn ich me<strong>in</strong> Gewicht von vor e<strong>in</strong>em<br />

Jahr wieder hätte …<br />

A2 Wann und wie oft wollen Sie mit dem Joggen anfangen?<br />

P Gleich morgen kaufe ich mir Jogg<strong>in</strong>g-Schuhe …<br />

A2 Um lange fit zu bleiben, ist es gut, wenn man jeden Tag m<strong>in</strong><strong>des</strong>tens<br />

e<strong>in</strong>e halbe Stunde – besser e<strong>in</strong>e ganze Stunde – sich sportlich bewegt.<br />

Wenn Sie abnehmen wollen und der Blutdruck runtergehen soll, eher<br />

mehr. Das sollte e<strong>in</strong>e Bewegung se<strong>in</strong>, die Ihnen auch Freude macht:<br />

schnell Gehen, Joggen, Tanzen, Radfahren – was machen Sie gerne? Was<br />

die Ernährung betrifft, wollen wir erst noch die Blutwerte untersuchen,<br />

dann können Sie sich gerne e<strong>in</strong>gehend von der Ernährungsberater<strong>in</strong><br />

Frau Home beraten lassen.<br />

P Ich wollte gerne mit me<strong>in</strong>er Frau zusammen joggen gehen.<br />

A2 Schön, da wünsche ich Ihnen viel Freude. Wenn Sie den Blutdruck selbst<br />

kontrollieren wollen, kaufen Sie sich e<strong>in</strong> Gerät und notieren die Messergebnisse.<br />

In vier Wochen sehen wir uns wieder – dann können Sie<br />

berichten.<br />

38<br />

Reflexion der Gespräche<br />

Im ersten Gespräch wird das Gesundheitsziel von Herrn Plume<br />

nicht deutlich. Primär geht es darum, den Blutdruck und andere<br />

Risikofaktoren auszuschalten. Der Arzt fokussiert nur diese Abwendungsziele.<br />

Aus dieser E<strong>in</strong>stellung heraus ergibt sich der Gesprächsverlauf.<br />

Im zweiten Gespräch wird Herr Plume explizit nach se<strong>in</strong>em Ziel<br />

gefragt. Der Umgang mit Risikofaktoren ist diesem Ziel untergeordnet.<br />

Die geme<strong>in</strong>same Intentionalität von Patient und Arzt: »gesund<br />

alt werden« bestimmt den Gesprächsverlauf; sie liegt diesem<br />

zugrunde.<br />

Die Intentionalität der Kooperationspartner ist e<strong>in</strong> wichtiger<br />

Aspekt der Grundkommunikation, der maßgeblich für den Verlauf


Sender-Empfänger-Modell und Grundkommunikation<br />

<strong>des</strong> Dialogs und der Kooperation ist. Weitere Aspekte der Gespräche<br />

werden unter verschiedenen Gesichtspunkten <strong>in</strong> späteren Kapiteln<br />

1.4, 4.2 und 4.5 reflektiert.<br />

1.4 Reflexion und Metareflexion<br />

»Es stellt sich letztlich heraus, dass Information e<strong>in</strong> wesentlicher Grundbauste<strong>in</strong><br />

der Welt ist. Wir müssen uns wohl von dem naiven Realismus,<br />

nach dem die Welt an sich existiert, ohne unser Zutun und unabhängig<br />

von unserer Beobachtung, irgendwann verabschieden.«<br />

Anton Zeil<strong>in</strong>ger (2001)<br />

Die Reflexion der eigenen und metasubjektiven 11 Denkweise kann<br />

uns helfen, Gesetzmäßigkeiten von Informationen zu verstehen,<br />

die sich <strong>in</strong> unserem Denkvorgang als <strong>in</strong>formationsverarbeitendem<br />

Prozess zeigen. Damit beziehen wir die semantische Bedeutungserteilung<br />

und pragmatische Wirkung e<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e umfassende Informationstheorie<br />

ist ke<strong>in</strong>e Theorie über e<strong>in</strong> messbares Objekt (wie es dem<br />

alten Denken entsprechen würde und wie Shannon es gesucht<br />

hatte), sondern e<strong>in</strong>e Annäherung an grundlegende Erkenntnis durch<br />

Reflexion von möglichen Zusammenhängen, <strong>in</strong> denen das menschliche<br />

Subjekt e<strong>in</strong> Resonanzkörper ist. Bei dieser Metareflexion f<strong>in</strong>den sowohl<br />

Analogien Beachtung als auch materialistisch-analytische Forschungsergebnisse<br />

aus der ersten Beobachterperspektive. So haben<br />

wir oben bei der Wirkung von Medikamenten sowohl deren direkte<br />

chemische Wirkung als auch die E<strong>in</strong>stellung wie Erwartungshaltung<br />

<strong>des</strong> Patienten und die Kommunikation <strong>des</strong> Arztes <strong>in</strong> Betracht<br />

genommen. Diese Reflexion ist damit e<strong>in</strong>e Beobachterperspektive<br />

2. Ordnung (vgl. Luhmann 1987) und damit e<strong>in</strong>e Metareflexion. Damit<br />

diese Metareflexion die Qualität und den Status von Wissenschaft<br />

erhalten kann, muss sie <strong>in</strong>tersubjektiv kommuniziert und metativ<br />

11 Mit Metasubjekte s<strong>in</strong>d hier Gruppen ab zwei <strong>in</strong>dividuellen Subjekten geme<strong>in</strong>t bis h<strong>in</strong> zu Völkern<br />

und der Menschheit. Hier ist besonders Bezug genommen auf die Denkweise, die von der jeweiligen<br />

kulturellen Ingroup geprägt ist.<br />

39


Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und Information<br />

40<br />

(s. u.) geordnet werden. Wissenschaft heißt im Ur sprung: Ordnung<br />

<strong>des</strong> Wissens.<br />

Der Weg zu e<strong>in</strong>er zukunftsfähigen Gesundheitswissenschaft<br />

sowie e<strong>in</strong>er umfassenden und gleichermaßen differenzierten Kommunikations-<br />

und Informationstheorie be <strong>in</strong>haltet den <strong>in</strong>tersubjektiven<br />

Austausch über die Reflexion der Inter aktionen zwischen uns<br />

menschlichen Subjekten sowie mit anderen Systemen. Im Fokus<br />

steht dabei die Frage nach dem gestaltbildenden Zusammenwirken<br />

von In formationen und Energien, die <strong>in</strong> wechselseitigen Prozessen<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen prägen. Durch e<strong>in</strong>en reflektierenden Austausch <strong>in</strong><br />

»… dass die Wahrheit wohl e<strong>in</strong>em Diamant<br />

zu vergleichen wäre, <strong>des</strong>sen Strahlen<br />

nicht nach e<strong>in</strong>er Seite gehen, sondern<br />

nach vielen.«<br />

Goethe an Eckermann 11. 3. 1828<br />

Wahrheit: »E<strong>in</strong>e nur ist für alle da, doch<br />

siehet sie jeder verschieden, / Dass es<br />

E<strong>in</strong>es doch bleibt, macht das Verschiedene<br />

wahr.«<br />

Goethe <strong>in</strong> Tabulae votivae 29 (bei<strong>des</strong><br />

zit. nach Dobel 1991)<br />

e<strong>in</strong>em Metasubjekt wie e<strong>in</strong>er Arbeitsgruppe,<br />

e<strong>in</strong>em Kongress oder e<strong>in</strong>er<br />

Fakultät, über die jeweils wirksamen<br />

Informationen und Energien können<br />

metative E kenntnisse gefunden werden<br />

– Annäherungen an die Wahrheiten<br />

und Wirksamkeiten von Informationen.<br />

Metativ bezeichnet Erkenntnisse<br />

<strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mehrerer<br />

Menschen, also e<strong>in</strong>es Metasubjekts, das größer ist als e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnes<br />

Individuum und <strong>des</strong>sen Erkenntnisse damit wahrsche<strong>in</strong>licher s<strong>in</strong>d<br />

(Petzold 2001; 2017 b). Die moderne Erkenntnistheorie ist sich klar<br />

darüber, dass es ke<strong>in</strong>e absolute Objektivität im S<strong>in</strong>ne von Neutralität,<br />

Wahrheit und Allgeme<strong>in</strong>gültigkeit geben kann. Deshalb wird<br />

objektiv entweder umdef<strong>in</strong>iert oder gelegentlich durch <strong>in</strong>tersubjektiv<br />

ersetzt. Das ändert aber nichts am allgeme<strong>in</strong>en Sprachverständnis,<br />

sondern schafft zwei unterschiedliche Begriffs- und Verständniswelten.<br />

Die Bedeutung von metativ entspricht der von der modernen<br />

Erkenntnistheorie geforderten Bedeutung von objektiv und<br />

<strong>in</strong>tersubjektiv. Metativ soll <strong>in</strong> den Wissenschaften objektiv ablösen,<br />

um aus der Dichotomie von entweder subjektiv oder objektiv verknüpft<br />

mit dem Missverständnis von entweder falsch oder wahr/richtig/neutral<br />

auszusteigen. Metativ bezeichnet e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ter- und metasubjektive,<br />

offene Annäherung an Wahrheit. Wenn auch <strong>in</strong>tersubjektiv<br />

im wissenschaftstheoretischen Kontext etwas Ähnliches


Reflexion und Metareflexion<br />

bedeuten soll wie metativ, so ist der Neologismus metativ präziser<br />

und fordert e<strong>in</strong>e Angabe <strong>des</strong> erkennenden Subjekts, wie beispielsweise<br />

e<strong>in</strong>er Expert<strong>in</strong>nengruppe oder e<strong>in</strong>er Fakultät. Damit werden<br />

der H<strong>in</strong>tergrund und die Relation e<strong>in</strong>er metativen Erkenntnis transparent.<br />

Ist digitale oder analoge Kommunikation komplexer?<br />

Zur Frage der Komplexität von analoger und digitaler Kommunikation<br />

gibt es <strong>in</strong> den Kommunikationswissenschaften und Theorien<br />

widersprüchliche Aussagen. So möchte ich hier die Begriffe neu klären<br />

und korrigieren, wie sie Watzlawick <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em »vierten metakommunikativen<br />

Axiom« formulierte: »Menschliche Kommunikation<br />

bedient sich digitaler und analoger Modalitäten. Digitale Kommunikationen<br />

haben e<strong>in</strong>e komplexe und vielseitige logische Syntax, aber e<strong>in</strong>e auf<br />

dem Gebiet der Beziehungen unzulängliche Semantik. Analoge Kommunikationen<br />

dagegen besitzen dieses semantische Potential, ermangeln aber<br />

der für e<strong>in</strong>deutige Kommunikationen erforderlichen Syntax.« (Watzlawick<br />

1990, S. 68).<br />

Dieses »Axiom« hat bis heute zu dem folgenreichen Irrtum<br />

geführt, dass digitale Kommunikation komplexer sei als analoge.<br />

Dazu muss zunächst e<strong>in</strong>mal klargestellt werden, dass komplex im<br />

heutigen Verstehen pr<strong>in</strong>zipiell etwas Unbestimmtes hat. Da digitale<br />

Kommunikation aber, wie Watzlawick richtig schreibt, e<strong>in</strong>deutig ist:<br />

letztlich entweder 1 oder 0, kann sie nicht wirklich komplex se<strong>in</strong>.<br />

Zweitens f<strong>in</strong>det die sprachliche und damit digitalisierbare Kommunikation<br />

auf der Basis der analogen Kommunikation statt, auf der<br />

Basis von gelebter und lebendiger Beziehung und Resonanz. Ohne<br />

diese subjektive und metativeGrundlage wäre Sprache bedeutungslos<br />

und damit ke<strong>in</strong> Kommunikationsmittel – genauso wenig wie<br />

Zahlen.<br />

Reflektiert müsste Watzlawicks viertes Axiom heißen: Auf der<br />

Grundlage von analoger Kommunikation und Beziehung ermöglicht digitale<br />

Kommunikation zwischen Menschen e<strong>in</strong>en konservierbaren und differenzierteren<br />

Austausch von Informationen. Auch digitalisierte Sprache<br />

hat ihre Bedeutung <strong>in</strong> der Beziehung zum Erleben. Sie bleibt immer <strong>in</strong> Ver-<br />

41


Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und Information<br />

b<strong>in</strong>dung mit der analogen Kommunikation – getrennt von dieser verliert<br />

sie vollständig ihre Komplexität und ihren S<strong>in</strong>n.<br />

Reflexionsebenen<br />

In Gesundheitswissenschaften wie <strong>in</strong> Heilungsprozessen spielt das<br />

Reflektieren e<strong>in</strong>e besonders wichtige Rolle, weil das Aufrechterhalten<br />

<strong>des</strong> Lebens wie auch se<strong>in</strong>e Weitergabe und Entwicklung äußerst<br />

komplexe und sensible Vorgänge s<strong>in</strong>d. Diese können durch verschiedenste<br />

E<strong>in</strong>flüsse gestört werden. Heute wird der Mensch selbst<br />

zur größten Bedrohung se<strong>in</strong>es Lebens – auch <strong>des</strong>halb braucht es<br />

dr<strong>in</strong>gend e<strong>in</strong>e Metareflexion se<strong>in</strong>er selbst. So ist e<strong>in</strong>e Reflexion der<br />

Annäherung an die eigene Stimmigkeit: Habe ich mich me<strong>in</strong>em Soll-<br />

Zustand angenähert? e<strong>in</strong> ständiger Bestandteil unseres Lebens (s. a.<br />

Selbstregulation <strong>in</strong> Kap. 3.4). Diese Reflexion f<strong>in</strong>det sowohl <strong>in</strong> jedem<br />

E<strong>in</strong>zelnen statt als auch bei Verantwortlichen <strong>in</strong> unseren Übersys-<br />

Systemisches Evolutionsmodell<br />

Bewertungen <strong>in</strong> Lebensdimensionen<br />

Lebensdimension<br />

Stimmigkeit<br />

Kohärenz<br />

Attraktiva<br />

4. Globale E<strong>in</strong>heit –<br />

ethisches und evolutives Bewerten<br />

Verantwortungsbewusstse<strong>in</strong><br />

Entwicklung<br />

3. Kultur –<br />

explizites Bewerten und Urteilen nach Regeln, Gesetzen<br />

und Moral, mental und verbal<br />

2. Soziale Geme<strong>in</strong>schaft –<br />

Emotionen als Ausdruck von Bewertung sozialer Interaktionen<br />

und Beziehungen<br />

1. Organismus –<br />

Bewegung als Bewertung im S<strong>in</strong>ne autonomer Selbstregulation<br />

0. Materielle Wechselwirkungen –<br />

Resonanz und Kohärenz führen zur <strong>neue</strong>n Emergenz<br />

42<br />

Abbildung 3: Die unterschiedlichen Bewertungsmaßstäbe <strong>in</strong> den Reflexionsebenen entsprechen<br />

Bewertungen <strong>in</strong> den Lebensdimensionen im systemischen Evolutionsmodell.


Reflexion und Metareflexion<br />

temen für ihre Teilsysteme, wie bei Eltern für die K<strong>in</strong>der, bei Ärzt<strong>in</strong>nen<br />

für ihre Patient<strong>in</strong>nen, und sollte <strong>in</strong> den Gesundheitswissenschaften<br />

<strong>in</strong> noch größerem Ausmaß für größere Kollektive geschehen,<br />

bei der WHO für die ganze Menschheit.<br />

Gesunde Entwicklung ist, wie das Leben überhaupt, ke<strong>in</strong> fixer<br />

objektiver Zustand, sondern e<strong>in</strong> ständiger und kreativer Vorgang.<br />

Dieser wird von Individuen autonom <strong>in</strong> Wechselbeziehung mit<br />

ihren Übersystemen, von der Familie bis zur Biosphäre und dem<br />

Kosmos, reguliert. Deshalb steht für uns <strong>in</strong> den Gesundheitswissenschaften<br />

das Subjekt mit se<strong>in</strong>er Autonomie und all se<strong>in</strong>en Be -<br />

dürfnissen, Bef<strong>in</strong>dlichkeiten und Äußerungen im Zentrum der<br />

Reflexion. Die Entwicklung der Subjekte kann dabei aus verschiedenen<br />

Perspektiven mit unterschiedlichen Kriterien reflektiert werden.<br />

Entsprechend der Lebensdimensionen unterscheiden wir hier<br />

vier Reflexions- und Integrationsebenen. Diese f<strong>in</strong>den im Gehirn<br />

analoge Regulationsebenen (vgl. »Persönlichkeitsebenen« bei Roth<br />

2019; »Ich-<strong>Dimension</strong>en« bei Petzold 2021). Der Organismus bilanziert<br />

(als e<strong>in</strong>fachste Form der Reflexion) ständig, ob se<strong>in</strong>e Aktivi -<br />

täten zur Annäherung an se<strong>in</strong>e Soll-Werte geführt haben (1. Reflexionsebene).<br />

Schon e<strong>in</strong> Säugl<strong>in</strong>g lernt bald, dass se<strong>in</strong>e organismische Stimmigkeit<br />

(auch Wohlbef<strong>in</strong>den, Satt-se<strong>in</strong> und Geborgenheit) von der<br />

Kooperation mit Bezugspersonen (meist der Mutter) abhängt. Er<br />

bilanziert se<strong>in</strong> Bef<strong>in</strong>den als Ergebnis dieser sozialen Kooperation.<br />

Das Ergebnis se<strong>in</strong>er Reflexion kommuniziert er mit dem Ausdruck<br />

se<strong>in</strong>er Emotionen wie Lächeln, Schreien oder We<strong>in</strong>en. 12 Emotionen<br />

zeugen also von e<strong>in</strong>er Bilanzierung und Bewertung sozialer Interaktionen.<br />

Diese 2. Reflexionsebene f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er beobachtbaren<br />

<strong>in</strong>tersubjektiven Kommunikation Ausdruck (nach Roth [2019] <strong>in</strong> der<br />

mittleren limbischen Ebene). Eltern agieren <strong>in</strong> dieser Beziehungsdimension<br />

<strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktiv mit ihren K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> der Regel angemessen,<br />

allerd<strong>in</strong>gs Verantwortung übernehmend, wenn sie fürsorglich wie<br />

12 Ausführlich wird die Rolle der Emotionen im Rahmen der Bedürfniskommunikation beschrieben<br />

<strong>in</strong> Petzold 2013, 2021.<br />

43


Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und Information<br />

44<br />

möglicherweise auch herausfordernd mit ihnen umgehen. Wenn es<br />

<strong>in</strong> dieser Beziehung zu e<strong>in</strong>er Übere<strong>in</strong>stimmung zwischen K<strong>in</strong>d und<br />

Bezugsperson kommt, ist hier die erste metative Erkenntnis <strong>in</strong> der<br />

geme<strong>in</strong>samen Bewertung der Bedürfniskommunikation gefunden,<br />

z. B. <strong>in</strong> der geme<strong>in</strong>samen Me<strong>in</strong>ung, dass das K<strong>in</strong>d zufrieden ist bzw.<br />

Hunger hat.<br />

Schon mit drei Jahren beg<strong>in</strong>nt das K<strong>in</strong>d, se<strong>in</strong>e Bilanzierungen <strong>in</strong><br />

der 2. Reflexionsebene, die <strong>in</strong> Emotionen Ausdruck fand, zu reflektieren<br />

und verbal über se<strong>in</strong>e Emotionen zu <strong>kommunizieren</strong>. Es<br />

kann nach und nach se<strong>in</strong>e Gefühle benennen und die sozialen<br />

Beziehungsrollen ansprechen. Diese Reflexion wird auch »Mentalisieren«<br />

genannt. Dar<strong>in</strong> sehen wir den Beg<strong>in</strong>n der 3., der kulturellen<br />

Reflexionsebene (Großhirnr<strong>in</strong>de). Diese ist wesentlich von Normen<br />

und Werten wie auch Gesetzen und Ritualen der Kultur geprägt –<br />

heute zunehmend von Erkenntnissen der Wissenschaften. In dieser<br />

kulturellen Reflexion werden die emotionalen Beziehungen <strong>in</strong> den<br />

Familien unter dem Maßstab der Erwachsenen reflektiert – also<br />

sehr häufig unter moralisch normativen wie auch ökonomischen<br />

Kriterien. In der verbalen Kommunikation werden die Wahrnehmungen,<br />

Erkenntnisse und Bewertungen explizit gemacht. Wenn<br />

man hier im <strong>in</strong>tersubjektiven Austausch explizit zu e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen<br />

Wahrheit gefunden hat, ist dies e<strong>in</strong>e metative Erkenntnis<br />

im Leben <strong>in</strong> der Sprache, <strong>in</strong> der kulturellen Lebensdimension. Als<br />

Erwachsene können wir dann genauer angeben, wer das Metasubjekt<br />

<strong>des</strong> Erkennens ist: e<strong>in</strong>e Stammtischrunde, e<strong>in</strong>e Expert<strong>in</strong>nengruppe,<br />

e<strong>in</strong>e Fakultät, e<strong>in</strong>e Kirche oder Sekte oder die globale Wissenschaftsgeme<strong>in</strong>de.<br />

Die heute noch am meisten verbreitete Reflexion geschieht<br />

anhand der moralisch oder normativ geprägten Fragestellung: Habe<br />

ich was falsch oder richtig gemacht? B<strong>in</strong> ich gut oder böse (wie auch schuldig)?<br />

Immer häufiger werden dazu auch Kategorien der Psychopathologie<br />

als Kriterien der Reflexion genommen: B<strong>in</strong> ich depressiv?<br />

Oder gar e<strong>in</strong> Narzisst? In diesem Gebrauch der Sprache zeigt sich die<br />

normative Bedeutung der Mediz<strong>in</strong>. Eltern befolgen heute gerne die<br />

Empfehlungen von Pädagog<strong>in</strong>nen und professionellen Ratgeber<strong>in</strong>-


Reflexion und Metareflexion<br />

nen, früher waren es die Vorschriften der Religionen. Die verschiedenen<br />

Maßgaben hatten meistens als Ziel, mit der »Aufzucht« der<br />

K<strong>in</strong>der der Gesellschaft der Erwachsenen brauchbaren Nachwuchs<br />

zu bescheren. Heute wird das daran deutlich, dass viele Eltern sich<br />

schon im K<strong>in</strong>dergartenalter ihrer K<strong>in</strong>der Sorgen darüber machen,<br />

ob diese später e<strong>in</strong>en Beruf bekommen, und <strong>des</strong>halb wollen, dass<br />

ihre K<strong>in</strong>der möglichst schon vor der Schule lesen, schreiben und<br />

rechnen lernen.<br />

An diesem Beispiel wird womöglich schon deutlich, wie wichtig<br />

e<strong>in</strong>e Reflexion der kulturellen Normen, Werte und Praktiken unter<br />

e<strong>in</strong>em <strong>neue</strong>n, übergeordneten Maßstab ist. Wir brauchen e<strong>in</strong>e Metativität<br />

<strong>des</strong> transkulturellen Metasubjekts, e<strong>in</strong>e Metareflexion unter dem<br />

Maßstab e<strong>in</strong>er gesunden Entwicklung möglichst aller Menschen, der<br />

Evolution <strong>des</strong> guten Lebens <strong>in</strong> der Biosphäre. Das wäre die 4., die<br />

global-geistige Reflexionsebene. In dieser globalen Di mension können<br />

die <strong>in</strong>dividuellen, sozialen und kulturellen Maß stäbe möglichst<br />

System-/Lebensdimensionen<br />

Globale <strong>Dimension</strong>/Metakontexte<br />

Ethisch und global entwicklungsorientiert<br />

Kulturelle Dimenion<br />

Normativ, moralisch und ökonomisch<br />

Soziale <strong>Dimension</strong><br />

Emotional, zwischenmenschlich<br />

Individuum<br />

Bedürfnisse<br />

Kohärenz<br />

Direkte Kommunikation<br />

Vermittelte Kommunikation<br />

Reflexive Metakommunikation<br />

Abbildung 4: Entsprechend der System-/Lebensdimensionen (s. Abb. 1) entstehen Reflexionsebenen<br />

und Bewertungen von Menschen und Situationen.<br />

45


Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und Information<br />

46<br />

stimmig <strong>in</strong>tegriert werden. So können auch kulturell geprägte moralische<br />

Urteile unter den Kriterien von global ethischen Pr<strong>in</strong>zipien<br />

reflektiert werden.<br />

Zu dieser global-entwicklungsorientierten Ebene gehört auch<br />

e<strong>in</strong>e Metareflexion der Wissenschaften und Professionen, wie es <strong>in</strong><br />

diesem Buch häufiger Thema ist. Die 4. Reflexionsebene impliziert<br />

e<strong>in</strong>e <strong>neue</strong> Art der Wertschätzung und Anerkennung <strong>des</strong> Subjekts <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er autonomen Resonanz zu se<strong>in</strong>en Übersystemen. Subjekte wie<br />

auch Metasubjekte s<strong>in</strong>d kokreative Agent<strong>in</strong>nen der gesunden Entwicklung<br />

wie auch der kulturellen Evolution. Für die Gesundheitswissenschaften<br />

schließt diese Reflexion die Fragestellungen e<strong>in</strong>:<br />

Was ist heilsam? Und: Wie können wir uns kokreativ entwickeln?<br />

(s. Stephan 2005; Petzer 2016).<br />

Wenn wir das wissenschaftlich arbeitende Subjekt und se<strong>in</strong>e<br />

Beziehungen reflektieren, relativieren sich wohl viele angeblich<br />

oder verme<strong>in</strong>tlich objektive und randomisierte Studien und erweisen<br />

sich nicht nur als Doppelbl<strong>in</strong>d-, sondern sogar Dreifachbl<strong>in</strong>dstudien<br />

(entschuldigen Sie bitte das Wortspiel).<br />

Dazu sei kurz aus e<strong>in</strong>em Gespräch mit e<strong>in</strong>em emeritierten Professor<br />

der Gynäkologie berichtet während e<strong>in</strong>er langen geme<strong>in</strong>samen<br />

Taxifahrt zum Flughafen nach Wien – nach e<strong>in</strong>em Kongress<br />

der Österreichischen Gesellschaft für Psychoonkologie. Ich hatte<br />

ihm etwas von me<strong>in</strong>er Arbeit zur Salutogenese und Selbstheilungsfähigkeit<br />

erzählt und dass ich glaube, dass e<strong>in</strong> autonomes Gefühl<br />

für Stimmigkeit e<strong>in</strong> wichtiger Indikator für e<strong>in</strong>e gute Prognose auch<br />

bei Krebserkrankungen sei. Daraufh<strong>in</strong> berichtete er von se<strong>in</strong>en<br />

Arzneimittelforschungen mit Frauen, die an Brustkrebs erkrankt<br />

waren. Er sagte, dass er glaube, e<strong>in</strong> gutes Gespür dafür zu haben,<br />

welche Frauen gute Aussichten auf e<strong>in</strong>e Gesundung bei Krebs hätten.<br />

Diese habe er besonders gerne <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Studien aufgenommen.<br />

So habe er auch immer statistisch signifikante Behandlungserfolge<br />

mit Chemotherapeutika gehabt.<br />

Durch derartige Reflexion können wir verstehen, warum verme<strong>in</strong>tlich<br />

objektive Studien zu e<strong>in</strong> und demselben Medikament oft<br />

sehr unterschiedliche Ergebnisse liefern.


Reflexion und Metareflexion<br />

Die quantitative materialistische Wissenschaft ist bislang mehr<br />

oder weniger erfolglos bemüht, diese Bias genannten <strong>in</strong>dividuellen<br />

und systemischen E<strong>in</strong>flüsse auszuschalten.<br />

Vielleicht wäre der bessere<br />

Weg, diese E<strong>in</strong>flüsse möglichst reflektiert<br />

e<strong>in</strong>zubeziehen und regelrecht<br />

positiv zu kultivieren: je besser unterschiedliche salutogene Faktoren<br />

zusammenwirken, <strong>des</strong>to besser das Ergebnis für die Patient<strong>in</strong>nen.<br />

13 Dazu bräuchte es allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e andere Leitmotivation als<br />

ausschließlich die »objektiv beweisen zu wollen, dass e<strong>in</strong> chemisches<br />

Arzneimittel wirkt«. Mit e<strong>in</strong>er anderen Leitmotivation wie etwa »<strong>in</strong>s -<br />

gesamt e<strong>in</strong> möglichst gutes Ergebnis für den Patienten zu erreichen«, er -<br />

geben sich e<strong>in</strong> anderes Verständnis von Kooperation und <strong>neue</strong> Forschungs<strong>des</strong>igns.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs braucht es dafür Menschen und Institutionen,<br />

die daran Interesse haben – e<strong>in</strong> anderes als lediglich<br />

Profit<strong>in</strong>teresse.<br />

Bewertungen und drei motivationale E<strong>in</strong>stellungen<br />

Neue Forschungs<strong>des</strong>igns hängen von der<br />

Leitmotivation ab, z. B.: »<strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong><br />

möglichst gutes Ergebnis für den Patienten<br />

zu erreichen«.<br />

Wir bewerten alle Informationen, die uns unsere S<strong>in</strong>nesorgane liefern,<br />

auch und letztlich unter den drei Aspekten, ob sie bedrohlich,<br />

attraktiv aufbauend oder <strong>in</strong>different stimmig für uns und unsere Familie,<br />

unsere Gesellschaft und die Menschheit wie auch Biosphäre<br />

s<strong>in</strong>d. Diese drei grundlegenden Qualitäten liegen unserer Deutung<br />

und Bewertung von Informationen natürlich und subjektiv<br />

zugrunde und s<strong>in</strong>d dem Leben <strong>in</strong>härent. Wir brauchen sie, um uns<br />

<strong>in</strong> unserer Umwelt gesund entwickeln zu können. Diese Deutung<br />

kann dem Lebewesen ke<strong>in</strong>e Masch<strong>in</strong>e oder mathematische Formel,<br />

ke<strong>in</strong> Algorithmus, abnehmen. Sie ist eng verknüpft mit unserer<br />

Eigenverantwortung für unser Leben, mit unserer Selbstregulation<br />

und der Mitverantwortung für unsere Mitwelt – letztlich die Biosphäre.<br />

Dafür gibt es ke<strong>in</strong>e objektive Sicht, wohl aber metative<br />

Ansichten. Leben kann nur subjektiv und vorwärts gelebt werden.<br />

Bewertungen werden vorgenommen im Vergleich zu <strong>in</strong>neren Soll-<br />

13 In diesem S<strong>in</strong>ne hat Ronald Grossarth-Maticek (1999) Gesundheitsfaktoren und ihre Synergie -<br />

effekte untersucht.<br />

47


Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und Information<br />

Zuständen, zu erwarteten und angenommenen bzw. erhofften Wirkungen<br />

(vgl. Erwartung beim Placeboeffekt und Attraktionspr<strong>in</strong>zip<br />

Kap. 3.2).<br />

Aus unserer Bewertung von Informationen resultieren unterschiedliche<br />

Beziehungen und Handlungen. Entweder wird unser<br />

Abwendungssystem (auch »Vermeidungssystem« 14 ) angeregt und<br />

wir versuchen, die Gefahr abzuwenden (fliehen, kämpfen oder totstellen).<br />

Oder unser Annäherungssystem wird durch attraktive, aufbauende<br />

Informationen angeregt, und wir s<strong>in</strong>d motiviert, uns <strong>in</strong><br />

Richtung <strong>des</strong> positiv erlebten Annäherungsziels zu bewegen. Oder<br />

wir haben ke<strong>in</strong> aktuelles Bedürfnis und die Umgebung und Innenwelt<br />

ersche<strong>in</strong>en stimmig, dann können wir <strong>in</strong> unserem Kohärenzmodus<br />

15 gelassen entspannen und <strong>in</strong> Ruhe überlegen, für welches<br />

s<strong>in</strong>nvolle Ziel wir aktiv werden wollen. Diese drei Verhaltensweisen:<br />

abwenden, annähern sowie gelassen se<strong>in</strong> und frei entscheiden, sollen<br />

gut zusammenspielen, damit wir möglichst gut leben können.<br />

Leben braucht alle drei Motivationen und E<strong>in</strong>stellungen.<br />

Positive Kohärenz- und Annäherungsziele, die dem Leben implizit<br />

s<strong>in</strong>d, wie z. B. Wohlbef<strong>in</strong>den, Autonomie, Freiheit, Frieden, Wohlstand,<br />

Liebe und Verbundenheit, E<strong>in</strong>heit der Menschheit u. a. m.,<br />

<strong>in</strong>formieren uns gänzlich anders als Informationen über Krankheiten,<br />

Terrorakte und Aufrüstung, die unsere Ängste und damit unser<br />

Abwendungssystem aktivieren.<br />

48<br />

14 Das Abwendungssystem wird <strong>in</strong> der deutschsprachigen Literatur meist »Vermeidungssystem«<br />

genannt. Es gibt aber gute Gründe, das im Englischen »aversion« oder »avoidance-system«<br />

genannte System hauptsächlich mit Abwendungssystem zu übersetzen, da es nicht nur für Vermeidung,<br />

sondern auch für z. B. Verteidigungskampf zuständig ist: entweder sich oder die<br />

Gefahr abwenden.<br />

15 In der Suchtforschung wird e<strong>in</strong> drittes motivationales System beschrieben (Grawe 2004; Panksepp<br />

2008; Esch 2017; Roth 2019), das <strong>in</strong> der englischsprachigen Fachliteratur mit »lik<strong>in</strong>g« charakterisiert<br />

wird, allerd<strong>in</strong>gs noch ke<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>heitlichen Namen hat. In Bezug auf se<strong>in</strong>e übergeordnete<br />

Funktion, für Kohärenz zu sorgen, nennen wir es <strong>in</strong> der SalKom® Kohärenzsystem. Dieses<br />

Motivationssystem ermöglicht es uns u. a., auf e<strong>in</strong>e Lust versprechende Handlung zu verzichten,<br />

gegenüber e<strong>in</strong>er Droge »Ne<strong>in</strong>« zu sagen und auch entsprechend zu handeln. Dieses Kohärenzstreben<br />

»lik<strong>in</strong>g!« ist also e<strong>in</strong>e Motivation, die der Dopam<strong>in</strong> gesteuerten Annäherungsmotivation<br />

und wohl auch der Abwendungsmotivation bei gesunden Menschen übergeordnet ist. Sie ist mit<br />

maßgeblichen Kohärenzzielen verbunden, die unsere kognitive Bewertung (»lik<strong>in</strong>g«) steuern und<br />

e<strong>in</strong>e Affektkontrolle ermöglichen.<br />

Das Kohärenzsystem befähigt uns dazu, unser Annäherungs- und Abwendungsverhalten zu<br />

<strong>in</strong>tegrieren, auszurichten und zu kontrollieren. Das Kohärenzsystem realisiert die neuropsychische<br />

E<strong>in</strong>stellung der Ruhe im Kohärenzmodus.


Reflexion und Metareflexion<br />

Dabei kann e<strong>in</strong>e Bedrohung ebenso wie e<strong>in</strong>e Verlockung auch durch<br />

andere Menschen wie durch Sprach- oder Bildernachrichten <strong>in</strong>szeniert<br />

werden. Das hat sich die Werbung schon lange zunutze<br />

gemacht. Auch <strong>in</strong> der Politik wird es<br />

manipulativ angewendet. So wurde<br />

2003 durch die Information von angeblichen<br />

Massenvernichtungswaffen im<br />

Irak e<strong>in</strong> bedrohliches Szenario entworfen,<br />

um e<strong>in</strong>en Krieg zu beg<strong>in</strong>nen. Bedrohliche Informationen, wie<br />

z. B. über gefährliche Krankheiten – aktuell zum Corona-Virus –,<br />

regen beim Menschen das motivationale Abwendungssystem an<br />

(Grawe 2004; Elliot 2008; Petzold 2014, 2021). Es entsteht das Gefühl<br />

von Angst, und man strebt danach, die Gefahr oder sich abzuwenden.<br />

Mit derlei Informationen lassen sich Menschen besonders<br />

schnell zu bestimmten Me<strong>in</strong>ungen und Handlungen manipulieren,<br />

weil es für sie sehr wichtig ist (wie für alle Lebewesen), dass sie <strong>in</strong><br />

Sicherheit leben können.<br />

Technik und Objekte können Befehle ausführen,<br />

aber sie s<strong>in</strong>d nicht <strong>in</strong> der Lage,<br />

Verantwortung zu übernehmen und das<br />

Subjekt <strong>des</strong> Lebens zu achten. Gutes Leben<br />

und gesunde Entwicklung s<strong>in</strong>d subjektiv<br />

und metativ.<br />

Wenn wir uns sicher fühlen, können wir uns wieder unseren<br />

attraktiven Kohärenz- und Annäherungszielen zuwenden. Die<br />

Kohärenzziele <strong>des</strong> Lebens geben dem Abwenden von Gefahren<br />

überhaupt erst den S<strong>in</strong>n. Abwenden von Gefahren wie auch Überleben<br />

macht nur S<strong>in</strong>n, wenn es etwas Schützenswertes gibt. Das<br />

Kohärenzsystem ist den beiden anderen langfristig übergeordnet.<br />

Es sche<strong>in</strong>t so, als würde über das Kohärenzsystem die <strong>in</strong>dividuelle<br />

Kohärenz mit der <strong>des</strong> Übersystems abgeglichen. So ist S<strong>in</strong>nhaftigkeit<br />

im Kohärenzsystem geortet, und der Zustand der Gelassenheit<br />

wird erreicht <strong>in</strong> Stimmigkeit mit der Umgebung. Annäherungs- und<br />

Abwendungssystem sorgen h<strong>in</strong>gegen für das <strong>in</strong>dividuelle Leben<br />

und Überleben und die Weitergabe <strong>des</strong> Lebens. Heilung und Ganzwerden<br />

s<strong>in</strong>d somit Aspekte <strong>des</strong> Kohärenzsystems, <strong>in</strong>tegrative Vorgänge.<br />

E<strong>in</strong>e heilsame Erfahrung regt das Kohärenzsystem an und<br />

wird auch <strong>in</strong> dieser E<strong>in</strong>stellung als solche gefühlt. Allerd<strong>in</strong>gs ist das<br />

Kohärenzsystem eng mit dem Annäherungssystem verschaltet und<br />

daher nicht immer klar von diesem zu unterscheiden. So s<strong>in</strong>d wohl<br />

bei heilsamen Erfahrungen beide Systeme zusammen aktiv.<br />

49


Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und Information<br />

In den beiden beispielhaften Arzt-Patient-Gesprächen mit Herrn<br />

Plume war der Fokus <strong>des</strong> zweiten Arztes primär auf die Lösung, das<br />

Ziel gesunde Entwicklung, gerichtet, und erst sekundär auf das im<br />

Wege stehende Problem, das beim ersten Arzt im Fokus stand.<br />

Neuropsychologisch blieb der zweite Arzt im Kohärenz- und An -<br />

näherungsmodus, während der erste überwiegend im Abwendungsmodus<br />

kommunizierte. Dieser versuchte mit kausallogischen<br />

Ar gumenten, Herrn Plume zur Compliance <strong>in</strong> Bezug auf die Me di -<br />

kamentene<strong>in</strong>nahme zu bewegen. Der zweite verfolgte e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same<br />

heuristisch-kreative Annäherung an e<strong>in</strong>e gesunde Lebensweise.<br />

1.5 Heilsame Erfahrungen beim Arzt?<br />

50<br />

Wenn e<strong>in</strong> Mensch sich krank und gestört fühlt, hat er <strong>in</strong>nerlich<br />

se<strong>in</strong>e Antennen für Informationen aktiviert, die ihm e<strong>in</strong>e Annäherung<br />

an Gesundheit ermöglichen sollen. In diesem suchenden und<br />

offenen Zustand für heilsame Informationen sitzt er dem Arzt gegenüber.<br />

Der Patient ist <strong>in</strong> dieser Situation suggestibler als im Alltag.<br />

Er erwartet <strong>in</strong> der Regel heilsame Informationen und vertraut<br />

dem Arzt.<br />

Der Arzt se<strong>in</strong>erseits hat als berufliche Aufgabe, dem Patienten<br />

Wege zur Gesundung wie zum gesunden Leben aufzuzeigen, was<br />

e<strong>in</strong>er heilsamen Erfahrung gleichkommt. Gesundheit ist e<strong>in</strong> Kohärenz-<br />

und Annäherungsziel und folglich mit dem dopam<strong>in</strong>ergen<br />

System <strong>des</strong> Gehirns verknüpft (Panksepp 2008). Möglicherweise<br />

s<strong>in</strong>d <strong>des</strong>halb »die dopam<strong>in</strong>ergen Prozesse mit Placeboantworten<br />

oder placeboähnlichen Phänomenen <strong>in</strong> verschiedenen Systemen <strong>in</strong><br />

Verb<strong>in</strong>dung zu br<strong>in</strong>gen.« (Placeboforschung.de).<br />

Bluthochdruck tritt dagegen nicht so oft im Annäherungsmodus<br />

auf, sondern häufiger im Zusammenhang e<strong>in</strong>er Aktivierung <strong>des</strong><br />

Abwendungssystems, <strong>des</strong> Stressmodus. Dieses spr<strong>in</strong>gt an, wenn<br />

e<strong>in</strong> Mensch e<strong>in</strong>e Situation als bedrohlich bewertet. Diese Bewertung<br />

muss nicht bewusst se<strong>in</strong>, kann vielmehr emotional auf der 2. Refle-


Heilsame Erfahrungen beim Arzt?<br />

xionsebene se<strong>in</strong> und damit die vegetative Regulation noch direkter<br />

erreichen. So könnte als Folge frühk<strong>in</strong>dlicher Schmerzerfahrung<br />

beim Arzt e<strong>in</strong> sogenannter Weißkittelhochdruck entstehen. Die<br />

Folge e<strong>in</strong>er derartigen, bedrohlich empfundenen Information ist<br />

e<strong>in</strong>e Aktivierung <strong>des</strong> Sympathikotonus. Für den Weg aus dem Stress<br />

braucht es dann e<strong>in</strong>en Orientierungswechsel <strong>in</strong> den Annäherungsmodus<br />

und/oder Kohärenzmodus. Solange wir gegen den Stress<br />

kämpfen, bleiben wir im Abwendungsmodus. Das Gespräch soll<br />

immer auf die geme<strong>in</strong>same Attraktiva fokussieren, auf gesunde<br />

Entwicklung, auf e<strong>in</strong>e heilsame Erfahrung.<br />

Der Allgeme<strong>in</strong>arzt John Scott beschreibt im ersten umfassenden<br />

Handbook of Systems and Complexity <strong>in</strong> Health (Scott 2013, S. 257–277),<br />

wie positiv sich e<strong>in</strong>e ärztliche Konsultation auf die Genesung <strong>des</strong><br />

Patienten auswirkt, wenn dieser dabei e<strong>in</strong>e »heilsame Erfahrung«<br />

sucht und f<strong>in</strong>det. Er geht davon aus, dass Patient<strong>in</strong>nen ihren Attraktiva<br />

folgen, beim Arzt e<strong>in</strong>e »heilsame Erfahrung« zu machen.<br />

Was macht e<strong>in</strong>e heilsame Erfahrung aus, die e<strong>in</strong> Patient beim<br />

Behandler sucht?<br />

Mit der Frage nach e<strong>in</strong>er heilsamen Erfahrung lenken wir den Blick<br />

auf das subjektive Erleben, auf attraktive Gesundheitsziele, auf die<br />

Motivation und Ressourcen – auf den ganzen Menschen. Die Informationen,<br />

die e<strong>in</strong> Patient zur Gesundung braucht, s<strong>in</strong>d oft sehr<br />

komplex – viel komplexer als nur die e<strong>in</strong>es Arzneimittels oder e<strong>in</strong>er<br />

Operation. Dieser Komplexität können therapeutische Beziehungen<br />

eher gerecht werden.<br />

E<strong>in</strong>e heilsame Erfahrung kann se<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong> Patient sich bei der<br />

Beratung wohlfühlt, gehört, verstanden und ernst genommen, es<br />

kann e<strong>in</strong> gutes Gespräch oder e<strong>in</strong>e Behandlung, wie auch e<strong>in</strong>e Operation<br />

se<strong>in</strong>. Es kann auch se<strong>in</strong>, dass der Patient fühlt, dass der Therapeut<br />

ihn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Aspekt se<strong>in</strong>es Dase<strong>in</strong>s erkennt, den er selber<br />

unterdrückt, missachtet oder abgespalten hat – e<strong>in</strong>em Aspekt, der<br />

ihm gar nicht angenehm ist. Aber se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Ahnung vom Heilse<strong>in</strong>,<br />

von Ganzse<strong>in</strong> sagt ihm, dass es heilsam se<strong>in</strong> könnte, diesen<br />

vom Therapeuten gesehenen Aspekt zu beachten, dass ggf. auch<br />

e<strong>in</strong>e »bittere Mediz<strong>in</strong>« heilsam se<strong>in</strong> kann.<br />

51


Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und Information<br />

E<strong>in</strong>e heilsame Erfahrung ist, so können wir verallgeme<strong>in</strong>ern, e<strong>in</strong>e<br />

Erfahrung, die e<strong>in</strong>e Annäherung <strong>des</strong> Patienten an Gesundse<strong>in</strong><br />

ermöglicht. Diese Erfahrung als Schritt zur gesunden Entwicklung<br />

kann gleichzeitig Ziel und Weg se<strong>in</strong>.<br />

Für den Patienten kann das Ziel klar und konkret se<strong>in</strong>, dass er<br />

dies und jenes tun können möchte, häufiger aber ist es unkonkret,<br />

wie sich wohl- oder gesund fühlen. Dann ist das Ziel wie beim allgeme<strong>in</strong>en<br />

Ziel Gesundheit komplex und somit mehr e<strong>in</strong>e diffuse<br />

Ahnung als konkret (s. a. »Verborgenheit der Gesundheit« von Gadamer<br />

1993). Bis er sich se<strong>in</strong>er Attraktiva deutlich spürbar annähert,<br />

se<strong>in</strong>en Soll-Zustand erreicht, muss er manchmal geduldig (engl.:<br />

patient) se<strong>in</strong>. Gesund kann mehrere konkrete Ersche<strong>in</strong>ungen haben,<br />

wie Entspannung, Sport, Arbeit, Lust, S<strong>in</strong>nhaftigkeit u. a. Der Arzt,<br />

der mit ihm dazu kooperiert, muss e<strong>in</strong>e ähnliche Vorstellung von<br />

gesund für den Patienten haben, um ihm das zu ermöglichen.<br />

Mediz<strong>in</strong> im Abwendungskampf oder zur Annäherung?<br />

Die moderne wissenschaftliche Mediz<strong>in</strong> hat sich im Ma<strong>in</strong>stream<br />

dem Kampf gegen Krankheiten gewidmet und damit – motivational<br />

gesehen – e<strong>in</strong>em Abwendungsziel verschrieben. Bei vielen Infektionskrankheiten<br />

sowie bei e<strong>in</strong>igen Tumorleiden war und ist sie<br />

damit erfolgreich – <strong>in</strong>sbesondere wenn diese Abwehraktionen e<strong>in</strong>gebettet<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong> übergeordnetes Streben nach positiver Gesundheit.<br />

Nach e<strong>in</strong>er antibiotischen Bekämpfung von Krankheitserregern<br />

gel<strong>in</strong>gt es dem Organismus manchmal leichter, gesund zu<br />

werden. Die Mediz<strong>in</strong> ist auf den Kampf gegen Krankheiten ausgerichtet.<br />

Die daraus resultierende Haltung und Beziehung ist, den<br />

Patienten als (Kampf-)Schauplatz der Behandlung zu sehen. Wenn<br />

bei derartigen Interventionen e<strong>in</strong>e grundlegende Intentionalität zur<br />

Gesundung erhalten bleibt, kann e<strong>in</strong>e Kooperation zwischen<br />

Behandler und Patient gel<strong>in</strong>gen. Wenn diese allerd<strong>in</strong>gs gänzlich <strong>in</strong><br />

Vergessenheit geraten ist, kommt es eher zum Nicht-Kooperieren. 16<br />

52<br />

16 In der Mediz<strong>in</strong> ist das e<strong>in</strong> größeres Problem, weil die Patient<strong>in</strong>nen die verschriebenen Medikamente<br />

nicht nehmen und wird unter Non-Compliance und Non-Adherence thematisiert (Petzold<br />

u. Lehmann 2009).


Heilsame Erfahrungen beim Arzt?<br />

Weil diese zugrunde liegende Intentionalität zur Gesundung letztlich<br />

ausschlaggebend für e<strong>in</strong>e heilsame Kooperation ist, kultivieren<br />

wir diese <strong>in</strong> der Salutogenese. Indem wir von Beg<strong>in</strong>n an den Fokus<br />

auf die Gesundung <strong>des</strong> Patienten legen, ordnen sich alle Maßnahmen<br />

– auch e<strong>in</strong>greifende Behandlungen wie Operationen, Antibiotika<br />

usw. – explizit diesem Ziel unter. Der Fokus ist auf die Autonomie<br />

(Grossarth-Maticek 2003) oder »Die Melodie <strong>des</strong> eigenen<br />

Lebens« (LeShan u. Büntig 2010) gerichtet. Dadurch erleben wir viel<br />

häufiger heilsame Erfahrungen, mehr Eigenbeteiligung der Patient<strong>in</strong>nen<br />

und oft ganz <strong>neue</strong> Lösungen.<br />

Der weltbekannte amerikanische Psychoonkologe Leshan hat<br />

schon <strong>in</strong> den 1960er-Jahren folgende Erfahrung gemacht: Nachdem<br />

er die für jeden Arzt und Psychotherapeuten leitenden Fragen<br />

grundlegend veränderte, erlebte er bei den schwer krebskranken<br />

Patienten 50 Prozent Remissionen (zu vorher null) – zum Teil Langzeit-Remissionen.<br />

Er hatte nicht mehr die leitenden Fragen im<br />

H<strong>in</strong>terkopf: »1. Was ist die Krankheit (= Diagnose)? 2. Was ist die<br />

Ur sache der Krankheit? 3. Was können wir gegen die Krankheit<br />

machen?«, sondern: »1. Was ist gesund am Patienten? (›What is<br />

right with you?‹)« und »2. Was kann der Patient (und können wir)<br />

tun, damit es ihm besser geht?« Das schließt e<strong>in</strong>greifende Behandlungen<br />

nicht aus.<br />

Um die heilsame Wirksamkeit e<strong>in</strong>es solchen Vorgehens mit e<strong>in</strong>er<br />

salutogenetischen Orientierung auf Kohärenz- und Annäherungsziele<br />

empirisch zu erforschen, könnte folgen<strong>des</strong> Forschungs<strong>des</strong>ign<br />

umgesetzt werden. Man geht von e<strong>in</strong>er Hypothese für e<strong>in</strong>e optimale<br />

Annäherung <strong>des</strong> Patienten an se<strong>in</strong> attraktives Gesundheitsziel<br />

aus und untersucht das Zusammenspiel mehrerer Faktoren, wie es<br />

im Beispiel vom zweiten Arzt praktiziert wurde (s. S. 49 f). Bei diesen<br />

Untersuchungen würde die Selbstregulation e<strong>in</strong>schließlich der<br />

motivationalen E<strong>in</strong>stellungen e<strong>in</strong>bezogen werden.<br />

Subjekt-Objekt-Beziehung<br />

Unsere moderne, technisch geprägte Zivilisation beruht wesentlich<br />

auf den Erfolgen der Naturwissenschaften und Technik. Diese<br />

53


Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und Information<br />

Art naturwissenschaftlichen <strong>Denkens</strong> geht von e<strong>in</strong>er neutralen<br />

Objektivität der Forscher<strong>in</strong>nen aus, die auf e<strong>in</strong>er Trennung von<br />

lebendem Subjekt Mensch und messbarem Objekt Natur beruht.<br />

»Wer Leben<strong>des</strong> erforschen will, muss sich<br />

am Leben beteiligen.«<br />

Viktor von Weizsäcker<br />

Dabei wird die Rückwirkung dieses<br />

<strong>Denkens</strong> auf die Natur e<strong>in</strong>schließlich<br />

uns Menschen ausgeblendet. Aus dieser<br />

Sicht haben Wissenschaftler<strong>in</strong>nen »objektive« Naturgesetze<br />

gefunden, die Techniker zum Bau von Masch<strong>in</strong>en anwenden – bis<br />

h<strong>in</strong> zu Robotern. Diese Erfolge – verknüpft mit Macht über Natur<br />

und Menschen – schienen implizit auch dieser naturwissenschaftlichen<br />

Denkweise recht zu geben. Menschen konnten und können<br />

mithilfe der Technik ihr Leben sicherer und mit mehr Wohlstand<br />

gestalten und länger leben. Ärmere Menschen leben im Durchschnitt<br />

deutlich kürzer. Die naturwissenschaftlich und technisch<br />

führenden Nationen s<strong>in</strong>d auch die reichsten. So wird heute kaum<br />

e<strong>in</strong>er gerne auf diese Erfolge verzichten wollen. Und die ärmeren<br />

Was ist die Motivation <strong>des</strong> Metasubjektes<br />

Wissenschaft?<br />

dass es ihnen da durch besser gehen möge.<br />

Völker streben nach diesen modernen<br />

Errungenschaften <strong>in</strong> der Hoffnung,<br />

Durch die Fakten der Umwelt- und Klimaforschung ist jetzt allerd<strong>in</strong>gs<br />

vielen deutlich geworden, dass diese Erfolgsrechnung der<br />

Naturwissenschaften ohne unseren Wirt gemacht wurde. So stellt<br />

sich hier wieder die Frage, ob die Art <strong>des</strong> technischen und naturwissenschaftlichen<br />

<strong>Denkens</strong> als kulturelle Leitorientierung noch<br />

zukunftsfähig ist.<br />

Metareflexion <strong>des</strong> Subjekts <strong>in</strong> Resonanz<br />

54<br />

In dieser historischen Epoche, dem Anthropozän, haben die Menschen<br />

erstmalig die Macht, ihre Lebensgrundlage auf der Erde zu<br />

zerstören oder zu e<strong>in</strong>em guten Leben h<strong>in</strong> zu kultivieren. Spätestens<br />

angesichts der Erderwärmung müssen wir gewahr werden, dass<br />

wir nicht getrennt von der Natur, sondern nur als Teil von ihr und<br />

verbunden mit ihr leben können, selbst wenn wir <strong>in</strong> der Großstadt<br />

wohnen und Fast Food im Supermarkt kaufen. Wir s<strong>in</strong>d untrennbare<br />

Bestandteile der Natur, der Biosphäre. Wir s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> untrennba-


Heilsame Erfahrungen beim Arzt?<br />

rer Beziehung zur Erde und Biosphäre, solange wir leben – selbst<br />

wenn viele sich ihr gefühlsmäßig entfremdet haben. Die Klimakrise<br />

weist uns heute wieder auf diese alte Selbstverständlichkeit<br />

h<strong>in</strong>.<br />

So ist unsere aktuelle große Lebensfrage – ganz besonders für die<br />

Jüngeren: Wie können wir die Zukunft gestalten – geme<strong>in</strong>sam <strong>in</strong><br />

Kooperation mit Mitmenschen und der Biosphäre?<br />

Wer s<strong>in</strong>d wir <strong>in</strong> welchen Zusammenhängen? Wie bekommen wir<br />

Mitwissen von dem, was gut für uns alle ist? Welche Ziele s<strong>in</strong>d<br />

aktuell s<strong>in</strong>nvoll? Und wie können wir uns geme<strong>in</strong>sam den attraktiven<br />

Zielen annähern?<br />

Für die Zukunft brauchen wir ansche<strong>in</strong>end andere als religiöse<br />

und moralische Kriterien zur Reflexion. Wie können wir als Menschen<br />

<strong>in</strong> und mit unserer Umwelt zusammenwirken, um geme<strong>in</strong>sam<br />

e<strong>in</strong> gutes Leben zu führen? 17<br />

Das bedeutet auch, dass wir die naturwissenschaftliche Sichtweise<br />

von verme<strong>in</strong>tlicher und beanspruchter Objektivität als e<strong>in</strong>e<br />

Art von Beziehung der Wissenschaftler<strong>in</strong>nen zur Natur erkennen.<br />

Es ist nur selten e<strong>in</strong>e Liebesbeziehung, meistens e<strong>in</strong>e analytisch<br />

zerteilende und damit positive Beziehungen zerstörende, entfremdende.<br />

So ist die wissenschaftlich-analytische Subjekt-Objekt-<br />

Beziehung überwiegend e<strong>in</strong>e Täter-Opfer-Beziehung und ke<strong>in</strong>eswegs<br />

e<strong>in</strong>e neutrale, sondern e<strong>in</strong>e verleugnende.<br />

Wenn wir diese Beziehung zwischen Täter und Opfer ignorieren,<br />

nicht spüren oder verne<strong>in</strong>en (vielleicht weil sie uns unangenehm<br />

oder bedrohlich ist oder unmoralisch ersche<strong>in</strong>en würde oder weil<br />

die Forscher<strong>in</strong>nen ihre Subjektivität nicht zugeben dürfen), können<br />

sich solche Täter-Opfer-Beziehungen im Raum der Ignoranz<br />

unbemerkt und ungeh<strong>in</strong>dert ausbreiten – ähnlich wie die Zerstörung<br />

der Natur durch die Technik sich über viele Jahrzehnte bis<br />

Jahrhunderte ausgebreitet hat.<br />

17 Zu dieser Frage haben wir <strong>in</strong> Heft 57 von Der Mensch 2018 aus ethischer Sicht e<strong>in</strong>ige Aspekte zur<br />

Grundlegung e<strong>in</strong>er globalen Ethik zur Kooperation zusammengetragen (»Zeit für globale Ethik«<br />

(2018) Der Mensch Heft 57, s. a. www.globale-ethik-blog.net).<br />

55


Grundlegende Reflexionen über Kommunikation und Information<br />

Um all diese Beziehungen angemessen zu <strong>in</strong>tegrieren, brauchen<br />

wir e<strong>in</strong>e Meta- oder Rahmentheorie und e<strong>in</strong> Rahmenmodell für<br />

gesunde Entwicklung, für gutes Leben, <strong>in</strong> dem wir uns selbst als<br />

aktiv Mitgestaltende im Weltgeschehen erleben und reflektieren<br />

können. E<strong>in</strong> Rahmenmodell, <strong>in</strong> dem all unsere subjektiven Gefühle,<br />

Gedanken, Intuition und Handlungen e<strong>in</strong>en angemessenen Platz<br />

haben – auch unangenehme wie Ängste, Entfremdung, Ablehnung,<br />

Täter-Opfer-Beziehungen u. a. m. Zur Theoriebildung brauchen wir<br />

angemessene Begriffe. Wir brauchen e<strong>in</strong>e Kultivierung von <strong>in</strong>teraktiven<br />

und kokreativen Metasubjekten.<br />

1.6 Zusammenfassung<br />

56<br />

Kommunikation ist def<strong>in</strong>iert als Austausch (auch: Übertragung) von<br />

Informationen. Informationen s<strong>in</strong>d abstrakte Entitäten, die Energien<br />

und Masse <strong>in</strong>formieren, gestalten, e<strong>in</strong>e Qualität geben. Jeder<br />

Unterschied, den wir wahrnehmen und erleben können, legt Zeugnis<br />

ab von der Existenz von Informationen.<br />

Resonanz ist die Antwort e<strong>in</strong>es Systems auf Informationen, etwa<br />

auf Signale aus se<strong>in</strong>er Umgebung bzw. nichtlokale Informationen.<br />

In der Resonanz e<strong>in</strong>es Menschen zeigt sich se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle Verarbeitung<br />

der empfangenen Informationen. Heilung ist e<strong>in</strong>e komplexe<br />

Resonanz auf stoffgebundene und stoffungebundene Informationen<br />

– e<strong>in</strong> kokreativer Vorgang. Dabei spielt das Subjekt e<strong>in</strong>e<br />

entscheidende Rolle.<br />

Als Grundlage für Informationsaustausch wie Kommunikation<br />

ist e<strong>in</strong>e Kohärenz und Verbundenheit erforderlich, e<strong>in</strong>e Grundkommunikation,<br />

wie z. B. e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Sprache oder noch allgeme<strong>in</strong>er<br />

womöglich unter Menschen die Menschlichkeit.<br />

Für schöpferische wie heilsame Kommunikation s<strong>in</strong>d die Subjekte<br />

entscheidend. Für wissenschaftliche Erkenntnisse wird der<br />

Begriff objektiv durch metativ ersetzt. Dies ist der erkenntnistheo -<br />

retischen Reflexion geschuldet, dass es nur <strong>in</strong>tersubjektiv ab ge -<br />

stimmte Erkenntnisse e<strong>in</strong>es Metasubjekts geben kann. Je um -<br />

fassender e<strong>in</strong> Metasubjekt, <strong>des</strong>to wahrsche<strong>in</strong>licher ist die Wahrheit


Zusammenfassung<br />

se<strong>in</strong>er Erkenntnisse. Dabei gibt es dimensionale Unterschiede der<br />

Reflexion und Integration. E<strong>in</strong>e Metareflexion der Beobachterperspektive<br />

und sprachlichen Kommunikation führt zu e<strong>in</strong>em weiteren<br />

wichtigen Entwicklungsschritt der Gesundheitswissenschaften<br />

und br<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>en Beitrag zum guten Leben und zur Lösung der großen<br />

Probleme der Menschheit. E<strong>in</strong> metareflexives Bewusstse<strong>in</strong> ist<br />

e<strong>in</strong> aktueller Entwicklungsschritt. Im Zuge der konstruktivistischen<br />

Aufklärung reflektieren wir unsere eigene Wahrnehmung und<br />

unser Denken <strong>in</strong> Resonanz zu unseren Umwelten. Wir reflektieren,<br />

dass der Mensch als Subjekt nicht getrennt von e<strong>in</strong>er verme<strong>in</strong>tlich<br />

objektiven Welt ist und gar nicht anders kann, als die Welt aus se<strong>in</strong>er<br />

Sicht und mit se<strong>in</strong>en Konstruktionen wahrzunehmen – sowohl<br />

als <strong>in</strong>dividuelle Subjekte als auch als kollektive Metasubjekte.<br />

Der heutige Abschied vom Glauben an e<strong>in</strong>e »objektive« Wahrheit<br />

der Naturwissenschaften ist womöglich e<strong>in</strong> ähnlich bedeutsamer<br />

Bewusstse<strong>in</strong>sschritt, wie der Abschied vom Geozentrismus vor<br />

500 Jahren. Wir reflektieren uns selbst als wahrnehmende, fühlende<br />

und denkende Subjekte im Zentrum unserer mehrdimensionalen<br />

Welt – als Teilsysteme größerer Ganzheiten.<br />

57


»Im Anfang war das Wort<br />

und das Wort war bei Gott<br />

und das Wort war Gott.<br />

Im Anfang war es bei Gott.<br />

Alles ist durch das Wort geworden<br />

und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.«<br />

Johannesevangelium 1<br />

»Je mehr Energie vorhanden ist, <strong>des</strong>to flotter schnellen die Bits. Die<br />

vier Elemente Erde, Luft, Feuer und Wasser bestehen letztlich alle aus<br />

Energie. Die unterschiedlichen Formen, die sie annehmen, werden<br />

jedoch von Information bestimmt. Damit irgendetwas geschieht, ist<br />

Energie nötig. Um zu spezifizieren, was geschieht, ist Information<br />

nötig.«<br />

Seth Lloyd (2006, zit. n. Gleick 2011, S. 385)<br />

Wie spielen Information und Energie<br />

zusammen?<br />

59


Wie spielen Information und Energie zusammen?<br />

In den Wissenschaften ist oft die Rede davon, wie Informationen<br />

»entstehen« oder »erzeugt« werden (S<strong>in</strong>ger 2004; Burkart 2007; Rau<br />

2013). Die Prämisse dieser Aussagen möchten wir allerd<strong>in</strong>gs h<strong>in</strong>terfragen:<br />

Können Informationen (verstanden als zugrunde liegende<br />

»Laut Quantenmechanik wird die Information<br />

möglicherweise niemals vernichtet.«<br />

Gleick (2011, S. 389)<br />

abstrakte Entitäten) überhaupt entstehen<br />

oder erzeugt werden? Oder können<br />

Informationen nur ersche<strong>in</strong>en,<br />

sich realisieren oder realisiert werden, oder transformiert werden,<br />

wie z. B. e<strong>in</strong> Gedanke formuliert werden kann? Dann liegt <strong>in</strong> der<br />

Mitteilung e<strong>in</strong>e Realisierung der Information. Signale und Zeichen<br />

können erzeugt werden. Sie repräsentieren Informationen. Wenn<br />

wir Informationen als abstrakte Entitäten synonym wie Geist verstehen<br />

– komplementär zu Energie und Masse –, können wir sie<br />

nicht erzeugen oder vernichten, sondern nur umformen, ausdrücken,<br />

<strong>kommunizieren</strong> und <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung br<strong>in</strong>gen – als schöpfe -<br />

rischen Akt. Auch Energie kann, wissenschaftlich gesehen, nicht<br />

erzeugt, sondern nur umgeformt und nutzbar gemacht werden. 18<br />

2.1 Information und Energie als<br />

Grundentitäten allen Dase<strong>in</strong>s<br />

E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> hat die Formel gefunden, nach der Energie = Masse x Lichtgeschw<strong>in</strong>digkeit<br />

zum Quadrat ist (E = mc²). Aus dieser epochalen<br />

Erkenntnis haben viele gemacht: »Alles ist Energie.« Richtig daran<br />

ist, dass an allem, was Masse hat, auch Energie beteiligt ist – also<br />

an allem, was wir s<strong>in</strong>nlich beobachten und messen können. Beobachtbare<br />

Materie betrachten wir folglich als geformte Masse/<br />

Energie. Dann ist Energie/Masse e<strong>in</strong>e Grundentität aller Wirklichkeit.<br />

Um diese <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Form zu br<strong>in</strong>gen, bedarf es allerd<strong>in</strong>gs noch<br />

etwas anderem: Information. Information ist dann die zur Energie<br />

komplementäre abstrakte Grundentität. Diese Erkenntnis wird von<br />

Physiker<strong>in</strong>nen und Informatiker<strong>in</strong>nen immer wieder bezweifelt<br />

(vgl. Gleick 2011, S. 385 ff.) und ist noch wenig verbreitet. Da ihre<br />

60<br />

18 So müsste es analog zum Energieerhaltungssatz so etwas wie e<strong>in</strong>en Informationserhaltungssatz<br />

geben – allerd<strong>in</strong>gs wohl nicht für geschlossene Systeme, sondern universell (vgl. Gleick 2011).


Information und Energie als Grundentitäten allen Dase<strong>in</strong>s<br />

Bedeutung für unser ganzes Leben, für unser <strong>in</strong>tegratives Denken<br />

und <strong>in</strong>tegrierende Wissenschaften fundamental ist, sei sie hier<br />

noch an e<strong>in</strong>igen Beispielen ausgeführt.<br />

Die Energie = Masse dieses Buchs lässt sich ziemlich objektiv mit<br />

se<strong>in</strong>em Gewicht von, sagen wir, 322 Gramm bestimmen. Die Information<br />

der Zeichen und Wörter dieses Buchs können wir als Daten<br />

<strong>in</strong> Bits quantifizieren und speichern: 3008 KB. Wenn die Zeichen<br />

von Menschen gelesen werden, nehmen die damit verknüpften In -<br />

formationen <strong>in</strong> jedem Leser e<strong>in</strong>e andere Gestalt an <strong>in</strong> Form von Verschaltungen<br />

im Gehirn, von <strong>in</strong>neren Bildern und Vorstellungen, und<br />

entfalten so ihre Wirkung. Diese Gestaltbildung können wir nicht<br />

quantifizieren und auch nicht vorhersagen. Sie hat Qualitäten, die<br />

sich von Leser zu Leser unterscheiden und trotzdem ähnlich se<strong>in</strong><br />

können. Wir wissen nicht e<strong>in</strong>mal, wie viele Leser<strong>in</strong>nen diese Informationen<br />

verarbeiten. Die Information <strong>des</strong> Buchs ist etwas grundlegend<br />

anderes als die Energie <strong>des</strong> Buchs.<br />

Wenn ich auf me<strong>in</strong>em Smartphone über die Bahn-App die Information<br />

erhalte, dass me<strong>in</strong> Zug und alle Anschlusszüge pünktlich<br />

s<strong>in</strong>d, ist die Bahn heute gut, und ich kann ganz entspannt me<strong>in</strong>e<br />

Reise genießen. Wenn ich dagegen die Nachricht erhalte, dass<br />

e<strong>in</strong>ige Züge Verspätung haben, komme ich ggf. <strong>in</strong> Unruhe, und die<br />

Bahn bekommt e<strong>in</strong>e schlechte Bewertung. Dabei kann die jeweilige<br />

Informationsmenge beider Nachrichten (die Anzahl der Bits und<br />

auch die syntaktische Information) identisch se<strong>in</strong>. Auf den Inhalt<br />

kommt es an, auf die Information und me<strong>in</strong>e Bewertungskriterien:<br />

»Gute Qualität« bedeutet <strong>in</strong> diesem Fall, wenn die tatsächlichen<br />

Ankunftszeiten mit dem Fahrplan übere<strong>in</strong>stimmen, wenn Ist gleich<br />

Soll ist – e<strong>in</strong>e Kohärenz zwischen Fahrplan und Realität besteht.<br />

Als e<strong>in</strong> weiteres Beispiel für das Zusammenspiel von Information<br />

und Energie mag der Fußball dienen. Schon se<strong>in</strong>e Form reizt me<strong>in</strong>en<br />

kle<strong>in</strong>en Enkel mit 18 Monaten, mit dem Fuß dagegen zu kicken.<br />

Es entsteht e<strong>in</strong>e Beziehung zwischen dem Ball und ihm (und ihm<br />

und mir). Er läuft h<strong>in</strong>terher und schießt immer wieder … Mit dem<br />

Fußtritt gibt er dem Ball nicht nur e<strong>in</strong>en energetischen Bewegungsimpuls,<br />

sondern auch e<strong>in</strong>e Richtung. In der Richtung zeigt sich <strong>in</strong>s-<br />

61


Wie spielen Information und Energie zusammen?<br />

besondere die Information <strong>des</strong> Schusses. Mit mehr Übung gel<strong>in</strong>gt<br />

es ihm immer besser, den Ball <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e gewünschte Richtung zu<br />

kicken. So macht bei e<strong>in</strong>em hochklassigen Fußballspiel die Präzision<br />

der Schüsse e<strong>in</strong>en qualitativen Unterschied zwischen Spielern<br />

aus. Nicht alle<strong>in</strong> die Anzahl der Schüsse <strong>in</strong> Richtung Tor und deren<br />

Stärke (= Energie) s<strong>in</strong>d entscheidend, sondern mehr noch die Ge -<br />

nauigkeit – das Tor bzw. die Lücke zwischen Pfosten und Torwart<br />

muss getroffen werden, damit e<strong>in</strong> Tor erzielt wird. Die Information,<br />

die der Stürmer dem Ball gibt, ist letztlich entscheidend für e<strong>in</strong>en<br />

Treffer – vorausgesetzt, dass der Impuls ausreichend kräftig und<br />

zielgerichtet ist.<br />

Zufall, Gott und Naturgesetze<br />

62<br />

Trotz Albert E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong>s bahnbrechender Erkenntnis, dass Energie<br />

gleich Masse ist, ist e<strong>in</strong> Kilo Blei nicht dasselbe wie e<strong>in</strong> Kilo Federn.<br />

Quantitativ physikalisch s<strong>in</strong>d ihre Energien gleich. Aber auch wenn<br />

ihre Massen und damit Energien gleich s<strong>in</strong>d, unterscheiden sie sich<br />

ganz besonders <strong>in</strong> der Form und Qualität. Blei und Federn verkörpern<br />

unterschiedliche Informationen. Viele Naturwissenschaftler<strong>in</strong>nen<br />

erklären dies im Rahmen <strong>des</strong> kausal-materialistischen<br />

Denkschemas und Weltbilds als Folge unterschiedlicher Chemie,<br />

Entstehungsgeschichte, B<strong>in</strong>dungsverhalten der Atome und Ersche<strong>in</strong>ung<br />

von Elementarteilchen. Bei den jeweiligen Begriffen hören sie<br />

auf, weiter zu fragen, wie die Unterschiede <strong>in</strong> die Welt der Energie<br />

kommen, <strong>in</strong> der alle Masse gleich Energie ist, und <strong>in</strong> der nach dem<br />

2. Hauptsatz der Thermodynamik geschlossene Systeme der Unordnung,<br />

»Entropie« (dem »universellen Wärmetod«) zustreben. Was<br />

macht die Qualität der Elementarteilchen, der Atome und Moleküle,<br />

der B<strong>in</strong>dungen usw. aus? Wie wird aus Energie e<strong>in</strong>mal Blei und e<strong>in</strong><br />

anderes Mal Federn?<br />

Viele Wissenschaftler<strong>in</strong>nen antworten auf die Frage nach dem<br />

Ursprung der Unterschiede der Ersche<strong>in</strong>ungen, dass sie die Folge<br />

<strong>des</strong> Zufalls seien, der zufälligen ungleichen Verteilung von Energie.<br />

Auch das Wort Zufall hat e<strong>in</strong>e Information nicht nur für uns selbst,<br />

sondern auch für unsere Beziehungen zum Beobachteten und <strong>des</strong>-


Information und Energie als Grundentitäten allen Dase<strong>in</strong>s<br />

sen Beziehungen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Umgebung. Zufall bezeichnet die Nicht-<br />

Wahrnehmung e<strong>in</strong>er Kausalität und von Beziehung überhaupt zwischen<br />

e<strong>in</strong>em zufälligen Phänomen und se<strong>in</strong>er Umgebung. Wo Zufall<br />

herrscht, gibt es ke<strong>in</strong>en (erkennbaren) Beziehungszusammenhang.<br />

Zufall hat implizit die Bedeutung von Beziehungslosigkeit.<br />

Zufall ersetzt <strong>in</strong> den Wissenschaften häufig die Rolle, die <strong>in</strong> Religionen<br />

Gott als Schöpfer hat. Vielleicht hat E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> diesen Zusammenhang<br />

implizit angesprochen, als er sagte: »Gott würfelt nicht.«<br />

»Die physikalische Forschung hat klipp und klar bewiesen, dass zum<br />

M<strong>in</strong><strong>des</strong>ten für die erdrückende Mehrheit der Ersche<strong>in</strong>ungsabläufe, deren<br />

Regelmäßigkeit und Beständigkeit zur Aufstellung <strong>des</strong> Postulats der allgeme<strong>in</strong>en<br />

Kausalität geführt haben, die geme<strong>in</strong>same Wurzel der beobachteten<br />

strengen Gesetzmäßigkeit – der Zufall ist.« Erw<strong>in</strong> Schröd<strong>in</strong>ger<br />

1922, z. n. Eigen (1993, S. 80/81).<br />

Bei allem <strong>in</strong>f<strong>in</strong>iten Fragen nach e<strong>in</strong>er letzten Ursache oder e<strong>in</strong>em<br />

Ursprung kommen wir zum Schluss, dass es neben der Energie, aus<br />

der unser Universum besteht, noch die abstrakte komplementäre<br />

Grundentität der Information geben muss, die diese Energie formt.<br />

Sie macht den Unterschied und ersche<strong>in</strong>t u. a. <strong>in</strong> Naturgesetzen.<br />

Was ist e<strong>in</strong> Naturgesetz?<br />

E<strong>in</strong> entscheidender und hilfreicher Schritt zur Reflexion der Naturgesetze<br />

ist die Erkenntnis, dass alle mathematischen Formeln und<br />

weitergehend alle Naturgesetze vom<br />

Wesen her Informationen repräsentieren.<br />

Dabei s<strong>in</strong>d die Formulierungen<br />

Ilya Prigog<strong>in</strong>e und Isabelle Stengers<br />

(1993, S. V) bezeichnen die Frage »Was ist<br />

e<strong>in</strong> Naturgesetz?« als »das älteste Problem<br />

der Physik«.<br />

nicht die Gesetze selbst, sondern Resonanzen<br />

unserer menschlichen Denk- und Vorstellungsfähigkeit auf<br />

die <strong>in</strong> unserer Umgebung vorhandenen Musterbildungen. Es s<strong>in</strong>d<br />

unsere menschlichen Formulierungen von Informationen aus der<br />

Kohärenz unserer Teil- und Übersysteme. Sie geben Auskunft über<br />

die Regeln und Muster der Verteilung der Energie – wie sie uns<br />

ersche<strong>in</strong>en. Diese Regeln wie die Information der Naturgesetze<br />

machen den Unterschied. So mag es verständlich ersche<strong>in</strong>en, dass<br />

Naturwissenschaftler<strong>in</strong>nen das, was sie immer suchen und womit<br />

63


Wie spielen Information und Energie zusammen?<br />

64<br />

sie ständig arbeiten – die Naturgesetze –, als Letztes reflektieren<br />

Fragt e<strong>in</strong> Techniker e<strong>in</strong>en Psychologen:<br />

»Können Sie mir bitte mal <strong>in</strong> drei Sätzen<br />

erklären, was die Seele ist?«<br />

Antwortet der Psychologe: »Gerne – wenn<br />

Sie mir <strong>in</strong> drei Sätzen erklären, was Elek -<br />

trizität ist.«<br />

und somit <strong>in</strong> gewissem S<strong>in</strong>ne betriebsbl<strong>in</strong>d s<strong>in</strong>d. Ihre offizielle Aufgabe<br />

war und ist noch immer, sich<br />

explizit vor allem mit äußeren Objekten<br />

zu beschäftigen und nicht mit<br />

der Reflexion ihrer Tätigkeit und <strong>des</strong><br />

Wesens ihrer Ergebnisse. E<strong>in</strong>e derartige<br />

Reflexion betrachten viele bisher als Aufgabe der Philosophie. Wünschenswert<br />

ist mehr Reflexion auch <strong>in</strong> den E<strong>in</strong>zelwissenschaften,<br />

um mehr E<strong>in</strong>gebundenheit <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Ganzes zu erreichen.<br />

Wenn wir jetzt versuchen, das Wesen von Naturgesetzen, etwa<br />

die Qualität e<strong>in</strong>er letztendlichen Wechselwirkung, zu erfassen, also<br />

beispielsweise der elektromagnetischen, be g<strong>in</strong>nt e<strong>in</strong> <strong>neue</strong>s Denken<br />

– e<strong>in</strong>e Reflexion von e<strong>in</strong>er Metaebene, e<strong>in</strong>e Reflexion <strong>des</strong> klassischen<br />

naturwissenschaftlichen <strong>Denkens</strong> und der Wissenschaftskultur<br />

und von deren Ergebnissen. Physiker<strong>in</strong>nen haben mathe -<br />

matische Gleichungen als Naturgesetze konstruiert. Die Quanten<br />

folgen offenbar unter experimentellen Bed<strong>in</strong>gungen den Informationen<br />

der Naturgesetze <strong>in</strong> Form der gefundenen mathematischen<br />

Wellengleichungen. Das Wesen dieser Naturgesetze ist Information,<br />

das der Gleichungen e<strong>in</strong>e konstruierte Zeichensprache. Diese Informationen<br />

strukturieren Energien und br<strong>in</strong>gen Elementarteilchen <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e geordnete B<strong>in</strong>dung (vgl. Gleick 2011, S. 385 f). Sie halten die<br />

Energien <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Form zusammen.<br />

Entsprechend den physikalischen Gesetzen der Thermodynamik<br />

hat Energie von sich aus e<strong>in</strong>e expansive, zentrifugal zerfallende<br />

»Bei der Quantenmechanik g<strong>in</strong>g es schon<br />

immer um Information; die Physikergeme<strong>in</strong>de<br />

hat das nur vergessen.«<br />

Fuchs (2002, zit. n. Gleick 2011, S. 386)<br />

Tendenz (s. 2. Hauptsatz der Thermodynamik; Entropie). Diese Tendenz<br />

wird dann deutlich, wenn man<br />

e<strong>in</strong> System aus se<strong>in</strong>em Zusammenhang,<br />

aus se<strong>in</strong>en Übersystemen isoliert,<br />

wie es Physiker <strong>in</strong> Experimenten<br />

tun. So gilt der Entropiesatz verallgeme<strong>in</strong>ert nur für vollständig<br />

»geschlossene« (= isolierte) Systeme, die bisher noch ke<strong>in</strong> Mensch<br />

beobachtet hat – weil sie pr<strong>in</strong>zipiell nicht beobachtbar s<strong>in</strong>d, wie wir<br />

seit der Quantenphysik wissen.


Information und Energie als Grundentitäten allen Dase<strong>in</strong>s<br />

Energie und Information als Grundaspekte unserer Realität<br />

Information macht aus chaotischer Energie (formloser Masse)<br />

geformte Materie, unterschiedliche Systeme. Informationen be -<br />

stimmen die Qualität – auch von unterschiedlichen Energiearten<br />

wie Wärme, Bewegung, B<strong>in</strong>dung usw. Selbst <strong>in</strong> unterschiedlichen<br />

Mengen (Quantität) von Energie steckt e<strong>in</strong>e Information.<br />

Zur Verdeutlichung s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der folgenden Tabelle 1 beispielhaft<br />

e<strong>in</strong>ige Aspekte von Information und Energie komplementär gegenübergestellt,<br />

wie sie <strong>in</strong> der Realität zusammen auftreten.<br />

Wissen -<br />

schafts -<br />

gebiet<br />

All -<br />

geme<strong>in</strong><br />

Physik<br />

Chemie<br />

Biologie<br />

Anthropologie/<br />

Kultur<br />

Geisteswissenschaften<br />

Aspekte der Energie<br />

Zentrifugal – Bewegung/Kraft;<br />

Quantität von Masse; Druck,<br />

Wärme, Strahlung<br />

Masse; Dynamik; Stärke der<br />

Wechselwirkung, Stärke der<br />

Grundkräfte; Energie, Kraft;<br />

Amplitude der Wellen<br />

B<strong>in</strong>dungsenergie; Masse der<br />

Atome<br />

Energieumsatz und -bilanz<br />

der Lebewesen; Bewegung;<br />

Nahrung; männlich<br />

Energieverbrauch, -umsatz<br />

und -ressourcen; Mobilität,<br />

Ökonomie, Technik<br />

Wirkung<br />

Aspekte der Information<br />

Zentripetal – Ruhe/Attraktion;<br />

Richtung; Naturgesetze;<br />

Regeln, Muster, Qualität aller<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen; Mathematik<br />

Wesen/Qualität der Grundkräfte;<br />

Ordnung; B<strong>in</strong>dung; Frequenz<br />

und Muster von Wellen;<br />

Fourier-Transformation<br />

Eigenschaften der Elemente,<br />

Atome und Moleküle;<br />

Synthese; B<strong>in</strong>dungsqualität<br />

Genetik; Synthese von<br />

Bio molekülen; Formbildung;<br />

Wachstum, Vermehrung;<br />

weiblich<br />

Zeichensysteme; Sprache;<br />

Kommunikation; Bilder,<br />

Muster, Ideen(-geschichte),<br />

Wissenschaften,<br />

Vorstellungen, Gesetze<br />

Idee, Inhalt, Bedeutung<br />

Tabelle 1: Aspekte der Realität unter den Kriterien von Energie und Information.<br />

65


Wie spielen Information und Energie zusammen?<br />

In der beobachtbaren Welt s<strong>in</strong>d ansche<strong>in</strong>end Energie und Information<br />

immer vere<strong>in</strong>t. Wir können D<strong>in</strong>ge nur unterscheiden, wenn sie<br />

e<strong>in</strong>e Information haben, sonst wären sie vollständig e<strong>in</strong>s mit ihrer<br />

Umgebung, und wir können sie nur beobachten, wenn sie genug<br />

Energie haben, um <strong>kommunizieren</strong>d zu wirken. In jeder Materie (=<br />

geformte Masse) ersche<strong>in</strong>en Energie und Information gee<strong>in</strong>t. So<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> unserer Realität Information und Energie zwei unterschiedliche<br />

Aspekte jeder Ersche<strong>in</strong>ung.<br />

Zur Qualität, zur Information, gehören alle Formen, Eigenschaften,<br />

Muster und Regeln wie auch Mathematik und Naturgesetze<br />

sowie <strong>in</strong> Kulturen besonders die Werte und Normen, Sprachen,<br />

Gesetze, alle Zeichensysteme und Künste.<br />

Zur quantifizierbaren Energie gehören die Masse, alle physikalischen<br />

Arten von Energie und Kraft, Wärme, Druck, Bewegung und<br />

Strahlung. In Kulturen ist es besonders das Geld, die Ökonomie, die<br />

überwiegend dem energetischen Aspekt entspricht (wobei Geld<br />

allerd<strong>in</strong>gs auch e<strong>in</strong> Zeichensystem für den Tausch von Gütern ist).<br />

In der Wechselbeziehung zwischen Energie und Information<br />

sche<strong>in</strong>t die allgeme<strong>in</strong>e Regel zu gelten, dass Energie attrahierenden<br />

Informationen folgt – zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t <strong>in</strong> unseren alltäglichen Erfahrungsbereichen.<br />

So folgt Energie wo möglich Gedanken wie auch<br />

Wie folgt Energie Informationen? unsere Aufmerksamkeit. Deshalb sollten<br />

wir stets – nicht nur bei Geld –<br />

danach fragen: Welchen Gedanken, Motiven, Ideen, Intentionen soll<br />

die Energie folgen? Woh<strong>in</strong> geht me<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit? E<strong>in</strong>er Profitmaximierung<br />

oder allgeme<strong>in</strong>em Wohlbef<strong>in</strong>den und Entwicklung<br />

der Menschheit? E<strong>in</strong> Physiker und CEO e<strong>in</strong>er Hightechfirma, die <strong>in</strong><br />

ihrem Produktbereich auf dem Weltmarkt mit Abstand führend ist<br />

– z. T. durch se<strong>in</strong>e Erf<strong>in</strong>dungen –, erzählte mir, dass e<strong>in</strong> solcher<br />

Erfolg nicht primär durch kluge kaufmännische Marktstrategien zu<br />

erreichen sei, sondern durch die Qualität der Produkte und Kundenkontakte.<br />

Information ist auch <strong>in</strong> der Industrie attraktiv für<br />

Energie. In diesem Zusammenhang s<strong>in</strong>d auch die Erfolge der werteorientierten<br />

Unternehmensführung nach Richard Barrett (2016) zu<br />

66 verstehen. Er vollzog mit den Mitarbeiter<strong>in</strong>nen (besonders <strong>in</strong> Füh-


Information und Energie als Grundentitäten allen Dase<strong>in</strong>s?<br />

rungspositionen) e<strong>in</strong>e standardisierte Reflexion über ihre Werte<br />

und Motivation. Diese wurden dann nach Bewusstse<strong>in</strong>sebenen der<br />

Motivation geordnet. Die derart geführten Unternehmen wurden<br />

erfolgreicher. Wenn das Energiepr<strong>in</strong>zip über das Informationspr<strong>in</strong>zip<br />

gestellt wird, tendiert das System längerfristig zum Chaos, wie<br />

es der Entropiesatz, der 2. Hauptsatz der Thermodynamik be -<br />

schreibt.<br />

Y<strong>in</strong> und Yang als Information und Energie<br />

Auch die taoistische Weltsicht von Y<strong>in</strong> und Yang kann als Sicht auf<br />

diese Komplementarität verstanden werden, wobei Y<strong>in</strong> dem attraktiven<br />

ruhenden Aspekt von Information entspricht und Yang dem<br />

dynamischen Aspekt der Energie. Energie ist zentrifugal (bis explosiv)<br />

und erzeugt Dynamik (»männlich«). Information ist attraktiv<br />

für Energie (zieht sie an, wirkt also zentripetal, empfangend »weiblich«)<br />

und kann <strong>in</strong>formieren, wenn sie Resonanz f<strong>in</strong>det. (Ruhe;<br />

Weisheit; vgl. a. Aristoteles: Ruhe und Seele [ca. 350 v. Chr.–1969]).<br />

Information und Energie bilden zusammen Muster und Formen<br />

<strong>in</strong> fraktalen <strong>Dimension</strong>en<br />

Abbildung 5: Das Zusammenwirken von Y<strong>in</strong> und Yang gibt die Beziehung von Information<br />

und Energie treffend wieder. Sie bilden zusammen je<strong>des</strong> s<strong>in</strong>guläre System, je<strong>des</strong> Teilchen wie<br />

e<strong>in</strong>e stehende Welle, reflektiert am Kreis und als Fraktal <strong>des</strong> Kreises.<br />

67


Wie spielen Information und Energie zusammen?<br />

In diesem Y<strong>in</strong>/Yang-Symbol wird das Zusammenwirken von Information<br />

und Energie wunderbar dargestellt. Das Zusammenspiel<br />

f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> der Welle wieder, die beide Aspekte trennt und gleichzeitig<br />

verb<strong>in</strong>det. Der s<strong>in</strong>guläre Kreis hält bei<strong>des</strong> zusammen. Diesen<br />

f<strong>in</strong>den wir <strong>in</strong> jeder Entität wieder – als selbstähnliches Fraktal.<br />

Naturwissenschaftliche Grundlagen<br />

Information ist mehr als nur e<strong>in</strong> Info-Stand auf dem Bahnhof oder<br />

e<strong>in</strong>e Bahn-App auf dem Handy. Information offenbart sich als e<strong>in</strong>e<br />

abstrakte universelle Entität, die zu ihrer Ersche<strong>in</strong>ung Energie<br />

braucht, diese <strong>in</strong>formiert und somit die Beziehung zwischen Systemen<br />

und damit deren Qualität gestaltet.<br />

Auf dem Weg der kulturellen Evolution vom Energiezeitalter zum<br />

Informationszeitalter suchen wir Antworten auf die Frage, wie<br />

diese Grundbauste<strong>in</strong>e der Wirklichkeit zue<strong>in</strong>ander f<strong>in</strong>den, verbunden<br />

s<strong>in</strong>d und zusammenwirken.<br />

In Übere<strong>in</strong>stimmung mit dem physikalischen Wissen, das Wellen<br />

wie auch Wellengleichungen grundlegend für alle Ersche<strong>in</strong>ungen<br />

sieht, sehen wir <strong>in</strong> Wellen beide Aspekte: Energie vor allem <strong>in</strong> der<br />

Amplitude und Information primär <strong>in</strong> der Frequenz, also <strong>in</strong> Wellenlängen<br />

und Mustern sowie <strong>in</strong> Wellenformationen.<br />

Wellen wie schw<strong>in</strong>gende Teilchen/Quanten können jeweils auf<br />

bestimmte Informationen resonieren. David Bohm bezeichnete diesen<br />

Gedanken oder dieses Phänomen als »implizite Ordnung«<br />

(1990). So können womöglich auch schw<strong>in</strong>gungsfähige Elementarteilchen<br />

im Gehirn, Herzen oder Bauch mit nichtlokalen Informationen<br />

resonieren.<br />

Mathematische Grundlagen<br />

68<br />

Für viele (wenn nicht alle) Resonanzersche<strong>in</strong>ungen hat der Mathematiker<br />

J. B. Joseph Fourier die Fourier-Analyse, -Transformation<br />

und -Synthese entwickelt. Diese geht davon aus, dass sich sämtliche<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> der Natur als Schw<strong>in</strong>gungen mathematisch<br />

darstellen lassen. Die mathematischen Grunde<strong>in</strong>heiten der Natur<br />

s<strong>in</strong>d nach dem Fourier-Kalkül harmonische Oszillatoren. Mithilfe


Information und Energie als Grundentitäten allen Dase<strong>in</strong>s<br />

der Fourier-Transformationen werden heute viele Signalübertragungstechniken<br />

entwickelt. Um die wesentliche Information (z. B.<br />

die Melodie e<strong>in</strong>es Musikstücks) zu übertragen, müssen das Frequenzmuster<br />

und die aufe<strong>in</strong>ander bezogene Verteilung der Energie<br />

<strong>in</strong> diesem Muster, also die Form, erhalten bleiben. Die Amplitude<br />

und Phase kann z. B. verstärkt werden (= mehr Energie).<br />

Auch aus dieser Übertragung von Mustern wird deutlich, dass wir<br />

den Aspekt der Information <strong>in</strong> der Physik besonders <strong>in</strong> der Frequenz<br />

der Schw<strong>in</strong>gungen sowie dem Verteilungsmuster der Energie<br />

<strong>in</strong> den unterschiedlichen Frequenzen f<strong>in</strong>den. Und hier bei den Frequenzmustern<br />

kann Spezifität und Resonanz entstehen, wenn e<strong>in</strong><br />

System mit passender Schw<strong>in</strong>gungsfähigkeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong> entsprechen<strong>des</strong><br />

Schw<strong>in</strong>gungsfeld gerät. Das besagt gleichzeitig, dass wir alle<br />

Schw<strong>in</strong>gungen, für die wir nicht resonanzfähig s<strong>in</strong>d bzw. ke<strong>in</strong>e entsprechenden<br />

Indikatoren haben, nicht wahrnehmen können. Es<br />

könnten also theoretisch noch verschiedenste Schw<strong>in</strong>gungsmuster<br />

existieren, von denen wir nichts ahnen, weil wir für sie nicht resonanzfähig<br />

s<strong>in</strong>d (Spuk- und Traumwelten …).<br />

Gesundheitswissenschaften und Information?<br />

Schon die Quantenphysik und weiter die moderne Komplexitätsforschung<br />

sowie die Entwicklung und Anerkennung der Lebenswissenschaften<br />

führen heute allmählich dazu, e<strong>in</strong>e derartige grundsätzliche<br />

Ergänzung zur gleichmacherischen, ke<strong>in</strong>e Unterschiede<br />

kennenden Energie zu suchen, zu f<strong>in</strong>den<br />

und auch immer mehr anzuerkennen:<br />

die Information. Die Information<br />

»Wer über die Welt Platos meditiert, weiß,<br />

daß die Welt durch Bilder bestimmt wird.«<br />

Heisenberg (1996, S. 287)<br />

macht den Unterschied zwischen krank und gesund, zwischen aufbauend<br />

und schädigend. Information macht Bewertung und Qualität<br />

aus. Deshalb spielen Qualitätsentwicklung und -management<br />

<strong>in</strong> der Mediz<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e große Rolle. Energie kann zum Aufbau wie auch<br />

zur Zerstörung verwendet werden. Entscheidend ist die Information.<br />

Für Gesundheitswissenschaften wie die Mediz<strong>in</strong> ist die Arbeit<br />

mit Informationen e<strong>in</strong>e Voraussetzung für ihren Erfolg. Was wir<br />

hier aus e<strong>in</strong>er Beobachterperspektive <strong>des</strong>kriptiv als Information<br />

69


Wie spielen Information und Energie zusammen?<br />

70<br />

bezeichnen, ist synonym mit dem <strong>in</strong>trospektiv verstandenen Be -<br />

griff Geist, wie er <strong>in</strong> vielen Ersche<strong>in</strong>ungsweisen <strong>in</strong> den Geisteswissenschaften<br />

be zeichnet wird. So können mit der hier dargestellten<br />

Sicht auf Information und Energie auch Natur- und Geisteswissenschaften<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e explizit sich ergänzende und verständige Beziehung<br />

kommen und die verbreitete Dichotomie h<strong>in</strong>ter sich lassen.<br />

Diese gestaltbildende Entität Information ist natürlich nicht neu.<br />

Sie wurde bereits von Platon als »Idee« bezeichnet, von Aristoteles<br />

wurde sie als »causa f<strong>in</strong>alis« und »causa formalis« verstanden, die<br />

zusammen aus unserer heutigen Sicht den »causae materialis et<br />

efficiens« komplementär zugeordnet werden können. Diese Urentität<br />

Geist oder Information wird <strong>in</strong> den Geisteswissenschaften und<br />

e<strong>in</strong>igen Gesundheitswissenschaften wie besonders <strong>in</strong> den Kommunikationswissenschaften<br />

kultiviert. Allerd<strong>in</strong>gs wird dabei ihre maßgebliche,<br />

gesundheitsbildende, evolutive, lebensförderliche sowie<br />

existentielle Bedeutung noch nicht wirklich gebührend gewürdigt.<br />

Hier liegt noch e<strong>in</strong>e große, zum Teil ungenutzte Ressource.<br />

In den Gesundheitswissenschaften, zu denen ich <strong>in</strong>sbesondere<br />

auch die Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong> zähle, wurden bisher nur wenige<br />

Methoden entwickelt und kaum anerkannt, die die Bedeutung<br />

von Informationen als Zielwerte, etwa Soll-Zustände, kultivieren (s.<br />

»Positive Gesundheit« von Machteld Huber <strong>in</strong> den Niederlanden;<br />

»Goal-sett<strong>in</strong>g«, Petzold 2020, 2021). Dazu sollten explizit heuristische<br />

Methoden zum F<strong>in</strong>den von Gesundheit <strong>in</strong> den Gesundheitswissenschaften<br />

erprobt und weiterentwickelt werden (s. Abschnitte<br />

4 und 5). E<strong>in</strong>e Reflexion naturwissenschaftlicher Methoden und<br />

Denkweisen kann dabei hilfreich se<strong>in</strong>.<br />

Es ist jetzt die Zeit gekommen, diese geistig-<strong>in</strong>formative Entität<br />

explizit als wirksame <strong>in</strong> das Denken <strong>in</strong> den modernen Lebenswissenschaften<br />

e<strong>in</strong>zuführen. Zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t ist sie e<strong>in</strong>e Grundlage der<br />

Gesundheits- und Kommunikationswissenschaft. Dadurch er -<br />

sche<strong>in</strong>t die Welt, wie z. B. auch der Placeboeffekt, leichter verständlich<br />

und stimmiger, und es ergeben sich viele <strong>neue</strong> Möglichkeiten<br />

auch partizipativer Forschung mit geme<strong>in</strong>samer Anwendung und<br />

Evaluation.


Information und Energie als Grundentitäten allen Dase<strong>in</strong>s<br />

So möchte ich hier e<strong>in</strong>en Anfang wagen, unser Wissen über die<br />

Wirksamkeit von Informationen für die Gesundheitswissenschaften<br />

s<strong>in</strong>nvoll zu ordnen, also wissenschaftlich zu verarbeiten. Wie<br />

<strong>in</strong> Abschnitt 1 schon angeführt, s<strong>in</strong>d dafür die geeigneten Begriffe<br />

wichtig. Die Welt der Informationen können wir nicht mit den<br />

Begriffen und der Logik der energetischen Wirkkausalität beschreiben<br />

und ordnen. Im ersten Kapitel hatte ich schon neben der Information<br />

die Begriffe Kommunikation, Resonanz, Beziehung und<br />

Analogie e<strong>in</strong>geführt. Diese sollen hier noch e<strong>in</strong>gehender behandelt<br />

werden.<br />

2.2 Informieren und Resonanz<br />

»Resonanz ist das, ›was die Welt im Innersten zusammenhält‹. Alles,<br />

von den kle<strong>in</strong>sten Bauste<strong>in</strong>en der Materie bis zu den Weiten <strong>des</strong> Universums<br />

– und damit auch Körper und Geist <strong>des</strong> Menschen, die Gesellschaft<br />

und die Beziehungen der Menschen untere<strong>in</strong>ander –, steht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Wechselwirkung,<br />

die sich als Resonanz, als aufe<strong>in</strong>ander abgestimmte Schw<strong>in</strong>gung,<br />

beschreiben lässt.«<br />

Friedrich Cramer 1997, U4<br />

Resonanz verstehen wir wie <strong>in</strong> der Akustik wertneutral. Resonanz<br />

ist e<strong>in</strong> wissenschaftlicher Begriff, der e<strong>in</strong>en Zusammenhang, e<strong>in</strong>e<br />

Interaktion und Wechselbeziehung beschreibt. Im Folgenden werden<br />

beispielhafte Resonanzphänomene <strong>in</strong> unterschiedlichen Wissenschaften<br />

dargelegt, um dem Leser zu vergegenwärtigen,<br />

dass Resonanz überall vorhanden<br />

»Die Welt ist Klang.«<br />

Joachim Ernst Berendt (1996)<br />

ist, dass wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Welt schw<strong>in</strong>gend bewegter Systeme leben (s. a.<br />

»Allgeme<strong>in</strong>e Resonanztheorie«, Cramer 1996; Berendt 1996; Petzold<br />

2000 b; Rosa 2016). Mit e<strong>in</strong>em Verstehen als Resonanzen lernen wir,<br />

unsere Welt dynamisch zu sehen. Dabei können wir jedem System<br />

<strong>in</strong> Beziehung se<strong>in</strong>e Freiheit zugestehen, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Eigenschw<strong>in</strong>gungsfähigkeit<br />

auf Informationen <strong>in</strong> der Umgebung zu antworten.<br />

71


Wie spielen Information und Energie zusammen?<br />

72<br />

Resonanz und Beziehungen<br />

Informieren ist Resonanz erzeugen. Informieren von Lebewesen<br />

soll diesen – im Unterschied zum <strong>in</strong>strumentellen Informieren von<br />

Materie – ihre autonome Freiheit der Selbstregulation lassen. Damit<br />

e<strong>in</strong>e Information bei e<strong>in</strong>em Empfänger auch wirksam ankommt,<br />

muss dieser <strong>in</strong> Resonanz gehen. Resonanz bedeutet Mitkl<strong>in</strong>gen/-<br />

schw<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> der Eigenschw<strong>in</strong>gungsfähigkeit. Resonanz wird angeregt.<br />

Bei technischen Systemen, wie präzisen Antennen und Handys,<br />

kann die Resonanz exakt berechnet und manipuliert werden. Komplexe<br />

lebende Systeme haben letztlich e<strong>in</strong>e komplexe, nicht l<strong>in</strong>ear<br />

berechenbare Freiheit, <strong>in</strong> Resonanz zu gehen. Diese ist eventuell im<br />

Rahmen statistischer Wahrsche<strong>in</strong>lichkeiten vorhersagbar, aber<br />

nicht <strong>in</strong>dividuell.<br />

Resonanz ist der zugrunde liegende Vorgang beim Informieren<br />

wie Kommunizieren – also auch bei jeder Form von Kreativität.<br />

Beim Kommunizieren s<strong>in</strong>d Sender und Empfänger <strong>in</strong> Resonanz.<br />

Resonanz ist dort möglich, wo ähnliche Schw<strong>in</strong>gungen, Wellen von<br />

ähnlicher Frequenz und Wellenlänge und Muster vorkommen. In<br />

der Frequenz und Wellenlänge von Schw<strong>in</strong>gungen zeigt sich ihr<br />

Informationsaspekt. Das bezieht auch Wellenlängen mit e<strong>in</strong>, die<br />

e<strong>in</strong>fache Vielfache vone<strong>in</strong>ander s<strong>in</strong>d, wie z. B. <strong>in</strong> der Musik die Obertöne.<br />

Im Volksmund spricht man von »auf gleicher Wellenlänge<br />

se<strong>in</strong>« als Voraussetzung dafür, dass man mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> Resonanz,<br />

<strong>in</strong> Beziehung, geht. Dieser Spruch ist auch wissenschaftlich zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t<br />

metaphorisch zutreffend. Wenn Systeme auf e<strong>in</strong>er ähnlichen<br />

Wellenlänge s<strong>in</strong>d, können ihre Phasen ane<strong>in</strong>ander gekoppelt se<strong>in</strong>,<br />

d. h., sie können kohärent mite<strong>in</strong>ander verbunden se<strong>in</strong> als Voraussetzung<br />

für Resonanz. Kohärent bedeutet stimmig, zusammenhaltend.<br />

Wellen können sich durch Überlagerung (Interferenz) sowohl verstärken<br />

als auch abschwächen und auslöschen. Resonanz wie Kommunikation<br />

kann also <strong>in</strong> verschiedene Richtungen wirken: Stimmungen,<br />

Impulse, Ideen etc. stärken, korrigieren oder stören. Resonanz<br />

ist schöpferisch.<br />

Ziel für Lebewesen ist e<strong>in</strong>e aufbauende Kommunikation, stimmige<br />

Verbundenheit im Innen und Außen. Wir streben danach, <strong>in</strong>


Informieren und Resonanz<br />

e<strong>in</strong>e positive (= aufbauende) Resonanz zu kommen – uns etwa mit<br />

Gesundheit anzustecken wie der Herzpatient von Dr. Lown – und<br />

womöglich bei anderen e<strong>in</strong>e aufbauende Resonanz anzuregen (vgl.<br />

Bauer 2005; Boss<strong>in</strong>ger u. Eckle 2008; Petzold 2000 b, d, 2014, 2021).<br />

Die ganze Kette von Informationsübermittlungen folgt ihren<br />

eigenen (Ana-)Logiken (s. Abschnitt 4), die sich nicht ursächlich, ausschließlich<br />

mit physikalisch-chemischen Vorgängen, erklären lassen,<br />

obwohl sie physikalisch-chemische Medien und Gesetze nutzen.<br />

Es sche<strong>in</strong>t so, dass Informationen (Muster, Qualitäten, Programmierungen,<br />

Worte, Regeln usw.) das Verhalten der Energie/<br />

Masse bestimmen. Diese Gesetzmäßigkeiten, die Naturgesetze können<br />

wir als übergeordnete Informationen, als maßgebliche, ordnende<br />

Meta<strong>in</strong>formationen e<strong>in</strong>es Energiemeeres reflektieren – als<br />

Aspekte der Grundkommunikation <strong>des</strong> Universums, die nichtlokal<br />

vorhanden s<strong>in</strong>d. Diese Grundkommunikation im Universum soll<br />

aus physikalischer Sicht durch das Higgs-Feld hergestellt se<strong>in</strong>.<br />

Das Verhalten folgt vor allem bei Lebewesen nicht e<strong>in</strong>em l<strong>in</strong>earen<br />

Ursache-Wirkungs-Pr<strong>in</strong>zip, weil Lebewesen autonom selbstregulierte<br />

Systeme mit relativer Entscheidungsfreiheit s<strong>in</strong>d. D. h., Lebewesen<br />

können <strong>in</strong> ihrer eigenen, ganzheitlich regulierten Schw<strong>in</strong>gungsfähigkeit<br />

resonieren. Jeder Empfänger reagiert anders auf dieselbe<br />

Information. Lebende Empfänger entscheiden im Rahmen<br />

ihrer Selbstregulationsfähigkeit darüber, wie sie Informationen verarbeiten<br />

und was sie daraus machen. Es gibt oft nur e<strong>in</strong>en Wahrsche<strong>in</strong>lichkeitsbezug<br />

zwischen Information und Resonanz, zwischen<br />

ähnlichen Phänomenen, und ke<strong>in</strong>e l<strong>in</strong>eare Kausalität. Bei<br />

militärischen Befehlen oder staatlich verordneten Maßnahmen<br />

sehen die Reaktionen von Soldat<strong>in</strong>nen bzw. Bürger<strong>in</strong>nen darauf bei<br />

oberflächlicher Betrachtung l<strong>in</strong>ear kausal aus. Bei genauerem H<strong>in</strong>sehen<br />

s<strong>in</strong>d jedoch selbst bei ähnlichem Verhalten große <strong>in</strong>dividuelle<br />

Unterschiede zu erkennen. Diese können im Verlauf dynamischer<br />

persönlicher wie auch politischer Entwicklungen zu gänzlich<br />

verschiedenem Verhalten führen.<br />

Beziehung ist im Wesentlichen Information, also Muster die<br />

zusammenpassen und so Verknüpfung und Resonanz hervorrufen.<br />

73


Wie spielen Information und Energie zusammen?<br />

Wie viel Energie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Beziehung fließt, hängt davon ab, wie<br />

viel Aufmerksamkeit ich ihr, der betreffenden Information, gebe.<br />

»Energy flows, where attention goes«, soll Milton Erickson gesagt<br />

haben.<br />

Resonanz <strong>in</strong> Wissenschaften<br />

74<br />

In der Kommunikation ist Resonanz die Antwort e<strong>in</strong>es Empfängers,<br />

der damit gleichzeitig zum Sender wird. Ob die Antwort sichtbar<br />

oder hörbar ist, bewusst gewollt oder implizit ist, ist dafür gleichgültig.<br />

Wenn wir Kommunikation als Resonanz verstehen, wird klar,<br />

dass empfangen, ohne zu senden nicht geht. Allerd<strong>in</strong>gs können wir<br />

e<strong>in</strong>e empfangene Botschaft vor dem Senden transformieren, um sie<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er anderen Frequenz oder e<strong>in</strong>em anderen Kanal zu senden.<br />

Das Senden kann zeitverzögert und kaum beobachtbar geschehen.<br />

In der e<strong>in</strong>seitig ersche<strong>in</strong>enden medialen Massenkommunikation<br />

müssen wir <strong>des</strong>halb die Resonanzen der Leser<strong>in</strong>nen bzw. Zuhörer<strong>in</strong>nen<br />

bzw. Zuschauer<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> Betracht ziehen, die ggf. zeitverzögert<br />

und <strong>in</strong> anderen Beziehungen (z. B. Familie, Beruf) zum Ausdruck<br />

kommen. Sie können auch auf Umwegen unvorhersehbar<br />

wieder <strong>in</strong> die kulturelle <strong>Dimension</strong> zurückkommen – z. B. <strong>in</strong> den<br />

sozialen Medien, bei Wahlen oder Demonstrationen. Auch sogenannte<br />

Zivilisationskrankheiten ersche<strong>in</strong>en <strong>in</strong> dieser Sichtweise als<br />

– freilich unerwünschte – Resonanz auf Konsumwerbung für Süßigkeiten<br />

oder Tabakwaren bzw. Stress und anderes. All das gehört zu<br />

Resonanzphänomenen <strong>in</strong> der Kommunikation.<br />

Der Soziologe Hartmut Rosa hat 2016 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em viel beachteten<br />

Buch Resonanz – E<strong>in</strong>e Soziologie der Weltbeziehung Resonanz positivistisch<br />

als aufbauende Beziehung der »Entfremdung« gegenübergestellt.<br />

So erfreulich se<strong>in</strong>e Beschreibung unserer Weltbeziehungen<br />

als Resonanz ist, so bedauerlich ist, dass er diesen Begriff nur für<br />

positive Beziehungen verwendet. In e<strong>in</strong>em reflektierten wissenschaftlichen<br />

Verständnis ist auch »Entfremdung« wie jede menschliche<br />

Regung e<strong>in</strong>e Weise von menschlicher Resonanz auf bestimmte<br />

Situationen und Bed<strong>in</strong>gungen und darf ke<strong>in</strong>eswegs aus unserem<br />

sozialen, kulturellen und globalen Leben ausgeblendet oder all -


Informieren und Resonanz<br />

geme<strong>in</strong> diskrim<strong>in</strong>iert werden. Auch Entfremdung ist von e<strong>in</strong>em<br />

Metastandpunkt aus reflektiert e<strong>in</strong>e Art von Beziehung.<br />

Resonanz tritt nicht nur <strong>in</strong> der Kommunikation von Lebewesen<br />

auf, sondern ist e<strong>in</strong> universelles Phänomen, das <strong>in</strong> allen <strong>Dimension</strong>en<br />

der Wirklichkeit zur Musterbildung führt. Um diesen für Kommunikation<br />

grundlegenden Vorgang zu veranschaulichen, seien<br />

hier noch e<strong>in</strong>ige Beispiele aus den Naturwissenschaften angeführt.<br />

Der <strong>in</strong>formierende Vorgang der Resonanz wird von modernen<br />

Physiker<strong>in</strong>nen bei Elementarteilchen als »Glücksfall« bei der Entstehung<br />

von Kohlenstoff und Sauerstoff<br />

im heißen Stern (als Schritt <strong>in</strong> der<br />

materiellen Evolution) beschrieben: »Die Existenz e<strong>in</strong>er Resonanz<br />

im Kohlenstoffkern ist e<strong>in</strong> erstaunlicher Glücksfall … Dieses außerordentlich<br />

glückliche, für unsere eigene Existenz nötige doppelte<br />

Zusammentreffen, läuft im Wesentlichen auf e<strong>in</strong>e zahlenmäßige<br />

Übere<strong>in</strong>stimmung (also Analogie! Anm. TDP) zwischen den Werten<br />

jener Naturkonstanten h<strong>in</strong>aus, die die Lage der Energieniveaus und<br />

Resonanzen <strong>in</strong> den Kohlenstoff- und Sauerstoffkernen bestimmen.«<br />

19 (s. Barrow 1993).<br />

Ordnende Felder<br />

Aus dem Bereich der Physik ist das Muster e<strong>in</strong>es Magnetfelds mit<br />

se<strong>in</strong>en Feldl<strong>in</strong>ien auch im ursprünglichen S<strong>in</strong>n <strong>des</strong> Wortes e<strong>in</strong>e<br />

Information: Es formt die Anordnung von z. B. Eisenspänen <strong>in</strong> der<br />

Umgebung <strong>des</strong> Magneten. Die Eisenspäne richten ihre Lage nach<br />

dem Magnetfeld im dreidimensionalen physikalischen Raum aus.<br />

Diese Information ist durch e<strong>in</strong>e mathematische Gleichung be -<br />

schrieben.<br />

Resonanz und Interferenz s<strong>in</strong>d Muster und<br />

Formen bildend.<br />

Bei e<strong>in</strong>er Messung (e<strong>in</strong>er Resonanz e<strong>in</strong>es Mess<strong>in</strong>struments im<br />

Magnetfeld) zeigt sich e<strong>in</strong>e vorher verborgene Information <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Fähigkeit zur Interaktion. Die nicht sichtbare Information <strong>des</strong> Magnetfelds<br />

<strong>in</strong>formiert, also gestaltet das Mess<strong>in</strong>strument bzw. die<br />

19 John D. Barrow war Professor für Astronomie an der University of Sussex. Dieser Text stammt<br />

aus e<strong>in</strong>er Überarbeitung e<strong>in</strong>er Vorlesung im Commonwealth Center 1991 <strong>in</strong> Sens, Eberhard<br />

(Hrsg.), 1993, S. 58 ff.<br />

75


Wie spielen Information und Energie zusammen?<br />

Eisenspäne. Holz- oder Kupferspäne gehen nicht <strong>in</strong> Resonanz auf<br />

die Information <strong>des</strong> Magnetfelds. Dieses Bild von den Eisenspänen<br />

im Magnetfeld, das wohl jeder aus dem Schulunterricht kennt, soll<br />

uns hier als physikalische Metapher für <strong>in</strong>formierende Kommunikation<br />

und Resonanz von Materie dienen. Interessant dabei ist<br />

auch, dass Physiker für dieses Phänomen den Begriff <strong>des</strong> Fel<strong>des</strong><br />

gewählt haben <strong>in</strong> Analogie zu den Saatreihen e<strong>in</strong>es bearbeiteten<br />

Stück Lan<strong>des</strong>, <strong>in</strong> denen Samen aufgehen, sich also zunächst<br />

unsichtbare Informationen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er aufbauenden Beziehung sichtbar<br />

entfalten – die Saat aufgeht. Die schöpferische Information <strong>des</strong><br />

Fel<strong>des</strong> wird <strong>in</strong> der Resonanz der Eisenspäne Realität und Wirklichkeit.<br />

Das Magnetfeld ist der Ordner oder auch Attraktor für die<br />

Eisenspäne. Hier f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>e direkte Resonanz statt. Hier können<br />

wir e<strong>in</strong>e Analogie zu Photonen sehen, die auf e<strong>in</strong>e Fotoplatte treffen<br />

und mit Molekülen e<strong>in</strong>e Reaktion e<strong>in</strong>gehen. Auch dies können wir<br />

als Resonanz der Photonen mit der Information der Wellengleichung<br />

verstehen. In Analogie zu dieser Feldersche<strong>in</strong>ung hat Rupert<br />

Sheldrake (1997) allgeme<strong>in</strong> von e<strong>in</strong>em morphogenetischen Feld<br />

gesprochen, das gewisse Ähnlichkeiten mit e<strong>in</strong>em virtuellen Informationsraum<br />

hat.<br />

Außer den elektromagnetischen und noch (m<strong>in</strong><strong>des</strong>tens) drei<br />

anderen Grundkräften der Wechselwirkungen kennt die moderne<br />

Quantenphysik noch e<strong>in</strong> besonderes Resonanzphänomen bei Elementarteilchen:<br />

die Verschränkung.<br />

Systemische Verschränkung und Resonanz<br />

76<br />

Nehmen wir als Beispiel e<strong>in</strong> Elektronenpaar, das aus se<strong>in</strong>em Sytem<br />

vone<strong>in</strong>ander getrennt wurde. Die Teile s<strong>in</strong>d noch über e<strong>in</strong>e beliebige<br />

Distanz auch von Tausenden von Kilometern mit der Information<br />

ihres sogenannten Sp<strong>in</strong>s (<strong>in</strong> etwa die Drehrichtung) verbunden<br />

»verschränkt«: Der Sp<strong>in</strong> <strong>des</strong> e<strong>in</strong>en Teilchens verändert sich gleichzeitig,<br />

wenn Physiker<strong>in</strong>nen den Sp<strong>in</strong> <strong>des</strong> anderen verändern – und<br />

zwar ohne zeitliche Differenz (<strong>in</strong>stantan, also synchron und damit<br />

schneller als mit Lichtgeschw<strong>in</strong>digkeit, treffender: unabhängig<br />

von Geschw<strong>in</strong>digkeit und Raum und Zeit – <strong>in</strong> der Gegenwart, im


Informieren und Resonanz<br />

Moment). E<strong>in</strong>e Zeitdifferenz wäre wie bei allen anderen bekannten<br />

Wegen der Signalübertragung erforderlich, denn Signale können, wie<br />

wir seit E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> wissen, nicht schneller als mit Lichtgeschw<strong>in</strong>digkeit<br />

übertragen werden. Deshalb hat E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> von »spukhafter Fernwirkung«<br />

gesprochen, als quantenmechanische Gleichungen dieses<br />

Phänomen aufgrund von Berechnungen vorhergesagt hatten (EPR-<br />

Paradoxon; Bell-Theorem; Superpositionspr<strong>in</strong>zip: vgl. a. Wikipedia<br />

»Quanten<strong>in</strong>formation«; Zeil<strong>in</strong>ger 2001; Gleick 2011).<br />

Diese Informationsübertragung bei verschränkten Teilsystemen<br />

weist e<strong>in</strong>e weitere Besonderheit auf: Offenbar ist ke<strong>in</strong>e physikalisch<br />

messbare Energie beteiligt, sondern nur die Information der Sp<strong>in</strong>-<br />

Richtung, der Orientierung der Energie. Diese Orientierung der Energie<br />

(bei den Elementarteilchen die Richtung <strong>des</strong> Sp<strong>in</strong>s) ersche<strong>in</strong>t als<br />

»spukhaft« metaphysische Kohärenz <strong>des</strong> zuvor vere<strong>in</strong>ten Systems.<br />

Nun ist es denkbar, dass genau e<strong>in</strong>e solche Verschränkung von<br />

Elementarteilchen (oder etwas Ähnliches) e<strong>in</strong>en wesentlichen<br />

Aspekt der Kohärenz und Kommunikation<br />

auch lebender Systeme ausmacht.<br />

Was braucht es, dass Lebewesen verschränkte<br />

Elementarteilchen (wie z. B.<br />

Photonen oder Elektronen) mite<strong>in</strong>ander<br />

austauschen, um e<strong>in</strong> verschränkt<br />

kohärentes System zu kreieren? Entsteht<br />

Verschränkung möglicherweise<br />

als Grundlage bei der Bildung von<br />

Familien und genetischer Verwandtschaft<br />

und/oder anderen na hen Beziehungen?<br />

Denkbar wäre etwa e<strong>in</strong>e Kettenreaktion<br />

von e<strong>in</strong>er Änderung <strong>des</strong><br />

Sp<strong>in</strong>s h<strong>in</strong> zur Änderung von Clusterbildungen<br />

oder/und <strong>des</strong> B<strong>in</strong>dungsverhaltens<br />

von Atomen und weiter zur Änderung der Struktur komplexer<br />

chemischer Verb<strong>in</strong>dungen und biochemischer Prozesse h<strong>in</strong> zu<br />

Gedanken mit folgenden Handlungen (vgl. Mikrotubuli von Penrose<br />

1995; Eccles 1994).<br />

Der Nobelpreisträger für Physiologie und<br />

Neurowissenschaftler John C. Eccles be -<br />

schreibt das Zusammenwirken von Geist<br />

und Gehirn als die Interaktion e<strong>in</strong>es »im -<br />

materiellen, geistigen Fel<strong>des</strong>« auf die Fe<strong>in</strong>strukturen<br />

<strong>in</strong> den Synapsen: »Im Anschluss<br />

an Margenau (1984) sagen wir, dass die<br />

Interaktion zwischen Geist und Gehirn<br />

e<strong>in</strong>em Wahrsche<strong>in</strong>lichkeitsfeld der Quan -<br />

tenmechanik analog sei, e<strong>in</strong>em Feld, das<br />

weder Masse noch Energie besitzt und dennoch<br />

im mikroskopischen Maßstab e<strong>in</strong>e<br />

Wirkung hervorrufen kann. Genauer gesagt:<br />

die mentale Konzentration, die bei Intentionen<br />

oder planmäßiger Überlegung auftritt,<br />

kann durch e<strong>in</strong>en Prozess, der den Wahrsche<strong>in</strong>lichkeitsfeldern<br />

der Quantenmechanik<br />

analog ist, neurale Ereignisse bewirken.«<br />

John C. Eccles (1994, S. 303)<br />

77


Wie spielen Information und Energie zusammen?<br />

78<br />

Wir Menschen nutzen die unterschiedlichen physikalischen Kommunikationskanäle<br />

– bewusst und unbewusst. Wir nutzen die visuellen<br />

Möglichkeiten (elektromagnetischen Wellen) durch Zeigegesten,<br />

Rauch- und andere Zeichen wie Buchstaben u. Ä.; wir nutzen<br />

Schallwellen bei akustischer Kommunikation, wie beim Sprechen,<br />

technische elektromagnetische Wellen <strong>in</strong> modernen Telekommunikationsanlagen<br />

usw. sowie seit Kurzem die o. g. Verschränkung<br />

von Elementarteilchen <strong>in</strong> Quantencomputern. Vielleicht nutzen<br />

auch wir diese erst jetzt bekannten physikalischen Wege der Kommunikation<br />

schon lange, ohne es selbst zu wissen? Möglicherweise<br />

spielt diese Art von synchroner Resonanz mite<strong>in</strong>ander verschränkter<br />

Teilchen <strong>in</strong> der Natur e<strong>in</strong>e viel größere Rolle, als wir bislang wissen<br />

konnten? Das wäre nicht ganz unwahrsche<strong>in</strong>lich, denn wie<br />

sollte <strong>in</strong> der Mikrowelt etwas vorkommen, was nicht auch <strong>in</strong> der<br />

Makrowelt Auswirkungen und Analogien zeigt?<br />

Möglicherweise ist mit der »spukhaften Fernwirkung« (E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong>)<br />

der verschränkten Elementarteilchen der physikalische Kern davon<br />

entdeckt worden, was die <strong>in</strong>formierende Kohärenz besonders<br />

lebender Systeme ausmacht. Wird die Kohärenz e<strong>in</strong>es Systems<br />

durch Verschränkung <strong>in</strong> Materie übertragen (z. B. bei »Teleportation«,<br />

Zeil<strong>in</strong>ger 2001)? Möglicherweise – vielen Erfahrungen entsprechend<br />

– funktionieren Systeme auf der Makroebene ganz analog<br />

wie verschränkte Elementarteilchensysteme: Wenn man die<br />

mite<strong>in</strong>ander gekoppelten Teilsysteme vone<strong>in</strong>ander trennt und bei<br />

dem e<strong>in</strong>en etwas verändert, verändert sich synchron etwas bei dem<br />

anderen, solange dieses resonanzfähig, also <strong>in</strong> Kohärenz bleibt.<br />

Wenn es <strong>in</strong> die Kohärenz e<strong>in</strong>es anderen Systems übergeht, kann es<br />

dadurch zur Kohärenz <strong>des</strong> ersten dekohärent werden – ganz analog<br />

den Elementarteilchen <strong>in</strong> Quantencomputern. Von solchen Erfahrungen<br />

gibt es viele Berichte, besonders aus systemischen Therapien<br />

und auch Experimenten, allerd<strong>in</strong>gs nur wenige mit randomisierter<br />

experimenteller Beweiskraft und Genauigkeit (Cardena<br />

2018), <strong>in</strong>sbesondere was die Synchronizität angeht (Sheldrake 1997;<br />

Mayer u. Hausner 2015). Dabei bleibt die Frage nach der Entstehung<br />

derartig kohärenter Systeme offen.


Informieren und Resonanz<br />

Kommunikationskanäle und S<strong>in</strong>nesorgane<br />

Die Physik lehrt uns, dass die meisten unserer s<strong>in</strong>nlichen Wahrnehmungen<br />

letztlich auf elektromagnetischen Wellen beruhen, selbst<br />

die Schallwellen und mechanische Tastimpulse werden von der<br />

Physik auf elektromagnetische Wechselwirkungen zurückgeführt.<br />

Wenn wir diese hier dennoch unterscheiden, so <strong>des</strong>halb, weil die<br />

konkreten Ersche<strong>in</strong>ungsformen der elektromagnetischen Wechselwirkungen<br />

sehr unterschiedlich s<strong>in</strong>d und demzufolge auch die<br />

Rezeptorzellen, die mit den Ersche<strong>in</strong>ungsformen resonieren können<br />

(Sehzellen, Hörzellen, Riech- und Geschmackszellen usw.).<br />

Diese bilden unterschiedliche Kommunikations- und Informationskanäle<br />

und damit Resonanzwege. Bei der Weiterleitung der S<strong>in</strong>nesreize<br />

zum Gehirn und der Verarbeitung im Gehirn ersche<strong>in</strong>en all<br />

diese Resonanzen <strong>in</strong> den Nervenzellen wieder deutlicher als elektromagnetische<br />

Vorgänge. Letztlich allerd<strong>in</strong>gs wird der ganze<br />

Mensch berührt, kommt <strong>in</strong> Resonanz – über jeden der unterschiedlichen<br />

Kommunikationskanäle – mehr oder weniger. Die e<strong>in</strong>zelnen<br />

Resonanzen konvergieren zu e<strong>in</strong>em Ganzen.<br />

Wir können mithilfe unserer verschiedenen S<strong>in</strong>nesorgane, die<br />

jeweils spezielle Resonanzfähigkeiten haben, verschiedene Informationen<br />

e<strong>in</strong> und <strong>des</strong>selben Objekts wahrnehmen: E<strong>in</strong> Stück Würfelzucker<br />

etwa ist weiß und würfelähnlich, schmeckt süß und ist<br />

hart. Obwohl all diese Eigenschaften physikalisch gesehen von elektromagnetischen<br />

Feldern bestimmt werden und mathematisch als<br />

Oszillator beschrieben werden können, haben wir dafür unterschiedliche<br />

S<strong>in</strong>nesorgane. Diese s<strong>in</strong>d im Lauf der Evolution entstanden<br />

und haben wohl die Funktion, dass wir unsere Umgebung so<br />

wahrnehmen, wie es für unser (Über-)Leben erforderlich und für<br />

unser gutes Leben, für un sere Entwicklung zu immer mehr Komplexität,<br />

s<strong>in</strong>nvoll und hilfreich war und evtl. noch ist.<br />

Unser Gehirn funktioniert zielgerichtet. Es sucht nach aufbauenden<br />

Informationen (wie Nahrung, Partner usw.) und nimmt Bedrohungen<br />

wahr. Die S<strong>in</strong>nesorgane haben sich als Ausstülpungen <strong>des</strong><br />

Zentralen Nervensystems entwickelt. Demnach ist ihre Resonanzfähigkeit<br />

zweckorientiert geprägt.<br />

79


Wie spielen Information und Energie zusammen?<br />

In der Wahrnehmung wird die komplexe Information <strong>des</strong> Beob -<br />

achteten automatisch reduziert. Zunächst können wir nur die<br />

»Lebende Systeme verdanken sich evolutionären<br />

Prozessen. Ihre Funktionen s<strong>in</strong>d<br />

<strong>des</strong>halb zielorientiert.«<br />

Wolf S<strong>in</strong>ger (2004, S. 112)<br />

Informationen aus, damit wir die Übersicht<br />

und Handlungsfähigkeit erhalten.<br />

Informationen wahrnehmen, für die wir<br />

empfänglich s<strong>in</strong>d. Dann filtert unser<br />

Zentralnervensystem schon jede Men ge<br />

E<strong>in</strong> Photon hat nahezu unendlich viele Möglichkeiten <strong>des</strong> Er -<br />

sche<strong>in</strong>ens, bevor es beobachtet wird. Wenn es mit e<strong>in</strong>em anderen<br />

System <strong>in</strong>teragiert (= beobachtet wird), hat es nur noch e<strong>in</strong> Bit Information.<br />

Aus diesen quantenphysikalischen Erkenntnissen wird<br />

deutlich, dass die Reduktion von Information auf dem Wege aus<br />

dem Möglichkeitsraum <strong>in</strong> die Realität pr<strong>in</strong>zipiell gilt.<br />

Bleibt die Frage, wie wir – unser Gehirn, Herz oder als Ganzes<br />

oder auch als Kollektiv – <strong>in</strong> Resonanz zu Informationen aus dem<br />

unendlichen Möglichkeitsraum gehen können?<br />

Für Informationen, die für e<strong>in</strong>e Kohärenz der Evolution gesorgt<br />

haben (s. a. Konvergenz), muss es <strong>in</strong> Organismen resonanzfähige<br />

Strukturen geben. Womöglich ist es die Kohärenz der Ganzheit, die<br />

als noch abstrakte Antenne die Informationen übermittelt. Diese<br />

Die Informationssphäre <strong>in</strong> Beziehung zur Realität<br />

Zeitlosigkeit<br />

Möglichkeitsraum<br />

Attraktiva<br />

Kohärenz<br />

Vergangenheit<br />

Reale Informationssphäre<br />

Zukunft<br />

Erfahrungsraum<br />

Jetzt<br />

Resonanz<br />

80<br />

Abbildung 6: Aus dem nichtlokalen Möglichkeitsraum ersche<strong>in</strong>en Möglichkeiten durch Resonanz<br />

<strong>in</strong> der Realität – so entsteht die Zukunft.


Informieren und Resonanz<br />

attrahiert dann weitergehend e<strong>in</strong>e Übere<strong>in</strong>stimmung von Hirn und<br />

Herz. Mit unserer Wahrnehmung bewerten wir Situationen unter<br />

der Maßgabe dieser Kohärenz. Daraus erfolgt dann unsere jeweilige<br />

motivationale E<strong>in</strong>stellung, um die Situation <strong>in</strong> Richtung Kohärenz<br />

mitzugestalten (s. S. 59 ff.).<br />

2.3 Information und Energie <strong>in</strong><br />

Wechselbeziehungen<br />

In unserer erfahrbaren Wirklichkeit können wir immer nur e<strong>in</strong><br />

Mehr oder Weniger <strong>des</strong> e<strong>in</strong>en oder anderen Aspektes von Information<br />

und Energie wahrnehmen. Sie schließen sich nicht aus, sondern<br />

ergänzen sich wie Y<strong>in</strong> und Yang im Taoismus, wie Welle und<br />

Teilchen <strong>in</strong> der Quantenphysik, wie Ort und Impuls <strong>in</strong> der Heisenbergschen<br />

Unschärferelation.<br />

Wenn wir e<strong>in</strong>e Idee haben, e<strong>in</strong>e vage Ahnung oder e<strong>in</strong>e Intuition,<br />

ist das wohl überwiegend der Informationsaspekt. Je abstrakter das<br />

Denken, <strong>des</strong>to weiter entfernt es sich von Materie und Energie.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs braucht unser Gehirn viel Energie wie Glukose zum Denken.<br />

Informationsverarbeitung attrahiert Energie. Wenn uns e<strong>in</strong>e<br />

Idee begeistert oder e<strong>in</strong>e Ahnung ke<strong>in</strong>e Ruhe lässt, kommt noch<br />

mehr Energie zur Information. Sie br<strong>in</strong>gt uns <strong>in</strong> Bewegung.<br />

Sprachliche Kommunikation ist energiesparende Informationsübermittlung.<br />

Die Informationen e<strong>in</strong>es Buches oder e<strong>in</strong>er Festplatte<br />

im Computer s<strong>in</strong>d immens. Dabei s<strong>in</strong>d sie mit relativ wenig Energie<br />

verknüpft, wenn man es mit Rauchzeichen, Gebärdensprache oder<br />

Ähnlichem vergleicht.<br />

Andersherum ist es beim Geld. Es hat relativ wenig Information<br />

im Verhältnis zu Energie – jedenfalls gilt das für Münzgeld und die<br />

Menge, die wir für Geld kaufen können.<br />

Charakteristisch für den Informationsaspekt s<strong>in</strong>d Tätigkeiten wie<br />

wahrnehmen, bewerten, unterscheiden, empf<strong>in</strong>den, denken, reflektieren,<br />

fühlen (die Qualität <strong>des</strong> Gefühls, nicht die Intensität), und<br />

Qualitäten wie Ideen, Ideale, Gedanken, Wissen, Weisheit, Glauben,<br />

Bewusstse<strong>in</strong>, Unterbewusstse<strong>in</strong>, Vertrauen, Verantwortung, Beziehung,<br />

Kommunikation …<br />

81


Wie spielen Information und Energie zusammen?<br />

82<br />

Charakteristisch für den Energieaspekt s<strong>in</strong>d Tätigkeiten wie bewegen,<br />

handeln, atmen, essen, schwitzen, arbeiten und Ähnliches,<br />

und Qualitäten wie Kraft, Stärke, Dynamik, Unruhe, Impuls, Menge,<br />

Materie, Intensität (auch von Gefühlen), Interaktion, Er schöpfung,<br />

Wärme, Gewicht (s. a. Tab. 1 S. 77).<br />

Der Informationsaspekt <strong>in</strong> Beziehungen<br />

Es wird heute immer mehr von Beziehung gesprochen, nicht nur <strong>in</strong><br />

der Partnerschaft, Familie, Psychotherapie und Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong><br />

(»Beziehungsmediz<strong>in</strong>«), schon Gregory Bateson hat im Blick auf das<br />

Beziehungen werden wie Kommunikation<br />

von Informationen geprägt.<br />

»Dazwischen« und die »dynamischen<br />

Relationen« Alternativen zum analytischen<br />

und materiellen Denken gesehen. Auch <strong>in</strong> der naturwissenschaftlichen<br />

Komplexitätsforschung s<strong>in</strong>d Forscher<strong>in</strong>nen um e<strong>in</strong>e<br />

(Meta-)Beziehung zu den Beziehungen bemüht.<br />

Wenn wir e<strong>in</strong>en anderen Menschen als bedrohlich für uns bewerten<br />

(z. B. weil er von uns etwas will, was wir nicht geben wollen),<br />

versuchen wir uns zu schützen, uns zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t gefühlsmäßig abzugrenzen,<br />

vorsichtig zu se<strong>in</strong>, ihn eher zu meiden oder uns von ihm<br />

abzuwenden. Wenn wir uns aber <strong>in</strong> der Lage fühlen, diese Bedrohlichkeit<br />

zu handhaben, ggf. zu kontrollieren, können wir mit e<strong>in</strong>em<br />

Gefühl von Stärke mit ihm <strong>in</strong> Kontakt treten und evtl. e<strong>in</strong>e ge -<br />

wünschte Beziehung aufnehmen, bei der die wahrgenommene<br />

Bedrohlichkeit nur e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle spielt. E<strong>in</strong>e Beziehung<br />

wird jeweils von den Informationen aller Beziehungspartner<strong>in</strong>nen<br />

gestaltet. Dies gilt nicht nur für den Menschen, sondern ganz allgeme<strong>in</strong>.<br />

Beziehungen können <strong>in</strong> unterschiedlichen Lebensdimensionen<br />

e<strong>in</strong>e unterschiedliche Qualität bekommen. So wird unsere Beziehung<br />

zu e<strong>in</strong>em Apfel von se<strong>in</strong>en Informationen wie se<strong>in</strong>er äußeren<br />

Form und Farbe, se<strong>in</strong>er <strong>in</strong>neren Beschaffenheit sowie se<strong>in</strong>em<br />

Geschmack, se<strong>in</strong>er Kerne u. a. m. geprägt. Diese Informationen entstehen<br />

durch das Zusammenspiel se<strong>in</strong>er Teile, Zellen und Moleküle.<br />

Das ergibt <strong>in</strong> unserer menschlichen Wahrnehmung und Bewertung<br />

die Information <strong>des</strong> Apfels. Für uns Menschen ist neben se<strong>in</strong>em


Information und Energie <strong>in</strong> Wechselbeziehungen<br />

Geschmack se<strong>in</strong> Wert als Nahrungsmittel e<strong>in</strong>e wichtige Infor -<br />

mation. Diese se<strong>in</strong>e Informationen <strong>in</strong> unserer Wahrnehmung prägen<br />

unsere Beziehung zum und Interaktion mit dem Apfel. Unsere<br />

Wahrnehmung von Informationen <strong>des</strong> Apfels verstehen wir als<br />

unsere Resonanz auf den Apfel. Dabei ist unsere Wahrnehmung <strong>des</strong><br />

Apfels von unseren Bedürfnissen und unserer motivationalen E<strong>in</strong>stellung<br />

geprägt (»Wahrnehmung ist <strong>in</strong>tentional«, Schiepek 2004).<br />

Wenn wir gerade Hunger haben, nehmen wir ihn anders wahr und<br />

entfalten e<strong>in</strong>e andere Beziehung zu ihm (essen ihn), als wenn wir<br />

satt s<strong>in</strong>d.<br />

Die Information der Kerne <strong>des</strong> Apfels als Samen spielt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Interaktion mit der Erde die größere Rolle. Diese prägt die Beziehung<br />

zwischen Apfel und Erde. In dieser Beziehung kann e<strong>in</strong> <strong>neue</strong>r<br />

Baum wachsen. Erst diese Beziehung zwischen Apfel und Erde<br />

br<strong>in</strong>gt das Potential der Information <strong>des</strong> Kerns <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung. Im<br />

Wort Wirk-sam-keit kommt das Pr<strong>in</strong>zip der Wirkweise von Informationen<br />

zum Ausdruck: Sie hat e<strong>in</strong>e »Neigung zum Wirken«<br />

bedeutet das Suffix »-sam«. Wie e<strong>in</strong> Same b<strong>in</strong>det sie Energie und Materie<br />

aus der Umgebung und entfaltet sich. Die Information ist attraktiv<br />

für unserer Energie und formt diese zu e<strong>in</strong>em <strong>neue</strong>n Baum.<br />

Diese Beziehung zwischen Apfelkern und Erde ist wieder für jene<br />

Menschen wichtig, die Apfelbäume vermehren möchten. Im Kultivieren<br />

der Apfelbäume geht der Mensch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Metabeziehung: Er<br />

erkennt die Beziehung zwischen Apfel, Kern, Baum und Erde und<br />

entfaltet e<strong>in</strong>e gestaltende Beziehung zu dieser Beziehung, <strong>in</strong>dem<br />

er bestimmte Kerne auswählt und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e vorbereitete Erde br<strong>in</strong>gt. 20<br />

Information wird realisiert <strong>in</strong> Beziehung, durch Kommunikation,<br />

durch Resonanz – im ersten Beispiel dadurch, dass wir den Apfel<br />

ernten, essen, riechen und schmecken, im zweiten, dass die Kerne<br />

<strong>in</strong> der Erde keimen.<br />

So können wir schon drei Arten von schöpferischer Resonanz,<br />

von Wechsel- und Zusammenwirken von Information und Energie<br />

20 In »Drei entscheidende Fragen« (Petzold 2021) ist dieses Bewusstse<strong>in</strong> als der 3. Lern dimension<br />

zugehörig beschrieben; Bateson (1996) nennt dies die 2. Lernebene, <strong>in</strong> der der Kontext der s<strong>in</strong>nlichen<br />

Beziehung erkannt und gestaltet wird.<br />

83


Wie spielen Information und Energie zusammen?<br />

unterscheiden, die <strong>in</strong> den nächsten Kapiteln noch weiter ausgeführt<br />

werden:<br />

1. e<strong>in</strong>e direkte Resonanz (wie <strong>in</strong> der Akustik, Wellenphysik und<br />

Chemie)<br />

2. e<strong>in</strong>e systemische, ganzheitliche Resonanz autonomer Systeme<br />

mit e<strong>in</strong>er komplexen transformierenden Antwort (auf z. B. s<strong>in</strong>nliche<br />

Reize)<br />

3. e<strong>in</strong>e Resonanz <strong>in</strong> rückkoppelnder Dynamik von autonomen<br />

Systemen auf attraktive Informationen (wie beim Keimen von<br />

Samen oder Wachsen und Entwickeln von Menschen).<br />

Beziehungsmuster<br />

84<br />

Je nachdem, wie wir Informationen aus unserer Umgebung bewerten,<br />

resultieren unterschiedliche Beziehungen zwischen uns und<br />

dem bewerteten Objekt bzw. Mitmenschen oder allgeme<strong>in</strong>: den Systemen.<br />

Zu diesen Bewertungen ziehen wir unterschiedliche Maßstäbe<br />

heran, die ggf. je nach motivationaler E<strong>in</strong>stellung schnell<br />

wechseln können. Letztlich ist womöglich der evolutionäre Maßstab<br />

der Kohärenz maßgeblich.<br />

Die Information e<strong>in</strong>er Beziehung – auch e<strong>in</strong>er zwischenmenschlichen<br />

– erweist sich als Kommunikations- und Beziehungsmuster.<br />

In e<strong>in</strong>er Beziehung spielen sich Kommunikationen und Interaktionen<br />

verlässlich nach e<strong>in</strong>em Muster ab. Diese werden uns oft erst<br />

bewusst, wenn sie unangenehm werden, etwa wenn ich mich<br />

immer wieder ärgere, wenn me<strong>in</strong> Kollege zu spät zur Verabredung<br />

kommt. Auf die Information <strong>des</strong> Zu-spät-Kommens reagiere ich mit<br />

Ärger, also mit e<strong>in</strong>em fixen emotionalen Beziehungsmuster. Die<br />

Kommunikationsmuster können allerd<strong>in</strong>gs auch unbewusst und<br />

implizit ablaufen. Als Menschen können wir sehr viele unterschiedliche<br />

Reaktions- und Beziehungsmuster haben, körperliche, emotionale,<br />

gedankliche und Glaubensmuster.<br />

Im Lauf der Evolution hat die Komplexität der Resonanzfähigkeit<br />

und die Anzahl der Beziehungsmöglichkeiten zugenommen und<br />

nimmt noch zu. Die Reflexion <strong>des</strong> subjektiven Erlebens der Beziehung<br />

ist e<strong>in</strong>e derartige Erweiterung der Beziehungsmöglichkeiten.


Information und Energie <strong>in</strong> Wechselbeziehungen<br />

Wenn wir unsere Beziehungen als uns verb<strong>in</strong>dende oder auch<br />

gefühlt trennende Informationen reflektieren (je nach unserer<br />

Bewertung), entfalten wir e<strong>in</strong> Metabewusstse<strong>in</strong> <strong>in</strong> Bezug zu unserem<br />

üblichen Bewusstse<strong>in</strong>. Im Alltagsbewusstse<strong>in</strong> identifizieren wir<br />

uns mit der jeweils aktuellen und gefühlten Resonanz. Dieses Indirekter-gefühlter-Beziehung-Se<strong>in</strong><br />

ist e<strong>in</strong> dimensional anderer Ich-<br />

Zustand als der <strong>des</strong> mental reflektierten Über-der-Beziehung-Se<strong>in</strong>s<br />

(s. Beispiel vom Apfel). Dabei müssen wir die Beziehung nicht verlassen,<br />

wohl aber unser Bewusstse<strong>in</strong> umstellen und reflektieren.<br />

Wir können <strong>in</strong> diesem Bewusstse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>neue</strong> Art von Beziehung<br />

kreieren. Möglicherweise hat Hegel diesen Prozess mit »Entfremdung«<br />

geme<strong>in</strong>t, <strong>in</strong> dem wir uns auf e<strong>in</strong>er Ebene von uns selbst distanzieren<br />

und somit fremder werden, um auf e<strong>in</strong>er anderen wieder<br />

näher zu kommen, also die Fremdheit wieder auflösen. »… <strong>in</strong>dem<br />

er das Entfremdete zu Gedanken verwandelt und so zu sich zurückführt.«<br />

(Hegel <strong>in</strong> Ästhetik 1, 24; zit. n. Ritter 1972, S. 514).<br />

Wie können kle<strong>in</strong>e Informationen grosse Energien bewegen?<br />

Durch Resonanz werden analoge Informationen übertragen. Diesen<br />

Informationen kann Energie folgen.<br />

Bei der Placebowirkung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Schmerztherapie resoniert der<br />

Organismus mit spezifischen schmerzl<strong>in</strong>dernden chemischen<br />

Reaktionen auf die implizite oder explizite Information, dass das<br />

Placebo schmerzl<strong>in</strong>dernd wirken soll.<br />

Die Stoffwechselenergie folgt der heilsamen<br />

Information. Der Herzpatient von Dr. Lown resonierte auf das<br />

Wort »Galopp« (und womöglich noch andere, implizite Botschaften)<br />

mit e<strong>in</strong>er deutlichen Stärkung se<strong>in</strong>er Herzleistung sowie Besserung<br />

se<strong>in</strong>es aus ärztlicher Sicht <strong>in</strong>fausten Zustands. E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Information<br />

f<strong>in</strong>det große – nicht vorhersehbare – Resonanz.<br />

»Das rechte Wort zur rechten Zeit kann<br />

Wunder bewirken.« Volksweisheit<br />

Wenn man im therapeutischen Alltag e<strong>in</strong>mal auf diese Resonanzphänomene<br />

aufmerksam geworden ist und zutreffende Be -<br />

zeichnungen dafür hat, die diese Phänomene kommunizierbar<br />

machen, kann man sie ständig und überall beobachten. So ist es<br />

nur verständlich, dass Kolleg<strong>in</strong>nen dabei s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>e »resonanzba-<br />

85


Wie spielen Information und Energie zusammen?<br />

sierte Mediz<strong>in</strong> RbM« der evidenzbasierten EbM gegenüber oder zur<br />

Seite zu stellen (s. Ebell 2017).<br />

Warum manche Menschen eher auf die Information von unerwünschten<br />

Nebenwirkungen als auf die der erwünschten Wirkungen<br />

resonieren, kann sowohl am Empfänger oder Sender als auch<br />

an den Rahmenbed<strong>in</strong>gungen liegen. Dabei spielen die drei motivationalen<br />

E<strong>in</strong>stellungen wahrsche<strong>in</strong>lich e<strong>in</strong>e große Rolle. Verbal<br />

kommunizierte Informationen können durch implizite wie emotionale<br />

Informationen und auch durch Kontext<strong>in</strong>formationen überlagert<br />

werden. So gesehen, ist das Feld <strong>des</strong> heilsamen Informierens<br />

e<strong>in</strong> sehr sensibles und weites.<br />

Etwas Charakteristisches an <strong>in</strong>formationenbasierten Interventionen<br />

ist, dass ihr Aufwand im Verhältnis zur Wirkung kle<strong>in</strong> ist.<br />

Das hat dazu geführt, dass sie häufig gar nicht als Intervention<br />

wahrgenommen werden. So hat Milton Erickson schon davon<br />

berichtet, dass die aus se<strong>in</strong>er Sicht wirksamsten Interventionen<br />

häufig von den Patient<strong>in</strong>nen gar nicht als solche bewusst erlebt<br />

wurden. E<strong>in</strong>fache Informationen können weitreichende und komplexe<br />

Folgen haben.<br />

Dies Phänomen kann man leider auch zum Negativen beobachten.<br />

E<strong>in</strong> extremes Beispiel dafür war der Irakkrieg. Die (gelogene)<br />

Nachricht über Massenvernichtungswaffen 21 im Irak führte 2003<br />

dazu, dass Millionen Menschen den völkerrechtswidrigen Krieg der<br />

USA und e<strong>in</strong>er »Koalition der Willigen« gegen den Irak befürworteten;<br />

dass zigtausende als Soldaten <strong>in</strong> den Krieg zogen, hunderttausende<br />

Menschen töteten und selbst das Risiko <strong>des</strong> To<strong>des</strong> auf sich<br />

genommen haben. Die Folge war e<strong>in</strong>e weitere Destabilisierung der<br />

Region, e<strong>in</strong> Erstarken islamistischer Terroristen und weitere Kriegshandlungen<br />

mit e<strong>in</strong>em Flüchtl<strong>in</strong>gsstrom auch nach Deutschland.<br />

So können Informationen heute die Welt gestalten. Selbst wenn es<br />

Fake News, Falsch-Informationen, Lügen, s<strong>in</strong>d. Wirken tun sie dennoch<br />

– allerd<strong>in</strong>gs auch doppelt: Denn die Information, dass die<br />

Information gelogen war, wirkt auch – ggf. später.<br />

86<br />

21 Der damalige US-Außenm<strong>in</strong>ister der Bush-Regierung Powell hat sich für diese Falschmeldung<br />

2013 öffentlich entschuldigt.


Information und Energie <strong>in</strong> Wechselbeziehungen<br />

Welche heilsamen Informationen brauchen die Menschen heute,<br />

damit sich ihr Leben zum guten Leben entfaltet? Dazu mehr im<br />

nächsten Abschnitt.<br />

2.4 Zusammenfassung<br />

Information und Energie s<strong>in</strong>d die beiden Grundentitäten aller Wirklichkeit,<br />

<strong>des</strong> Universums – soweit wir es annehmen können. Damit<br />

ist Information (als Synonym für Geist) die große gestaltbildende<br />

und damit komplementäre, abstrakte Grundentität zur Energie, wie<br />

Y<strong>in</strong> und Yang <strong>in</strong> der taoistischen Philosophie, wie das Ruhende und<br />

das Bewegende bei Aristoteles. Auch Naturgesetze und ihre Repräsentation<br />

<strong>in</strong> mathematischen Formeln können wir als Informationen<br />

reflektieren. Energie gibt die Dynamik, Information/Geist die<br />

Qualität.<br />

Praktisch bedeutet es heute, dass wir unsere Aufmerksamkeit<br />

noch stärker auf Qualität und Information richten müssen, wenn<br />

wir die Zukunft zum Guten mitgestalten wollen.<br />

Information wird durch Resonanz übertragen. Dies ist der<br />

ursprüngliche schöpferische Vorgang. Resonanz ist der Grundvorgang<br />

von Kommunikation. So s<strong>in</strong>d alle Kommunikationen kokreative<br />

Prozesse.<br />

Resonanzmuster machen Beziehungen aus.<br />

Drei Arten von Resonanz werden unterschieden:<br />

1. Direkte Resonanz<br />

2. Resonanz selbstregulierter Subjekte<br />

3. Attraktiv <strong>in</strong>formierende Resonanz (wie Samen)<br />

Informationen als Inhalt von Kommunikation <strong>in</strong>formieren, also<br />

prägen Beziehungen und gestalten somit auch die Empfänger mit.<br />

87


»Die von selbst wachsende Saat<br />

Und er sprach: Das Reich Gottes ist so,<br />

wie wenn e<strong>in</strong> Mensch Samen aufs Land wirft<br />

und schläft und steht auf Nacht und Tag;<br />

und der Same geht auf und wächst, ohne dass er’s weiß.<br />

Denn die Erde br<strong>in</strong>gt von selbst Frucht ...«<br />

Markus 4, ,26-28<br />

»Gegenwärtig vollziehe sich, so der US-amerikanische Physiker und<br />

Nobelpreisträger Robert Betts Laughl<strong>in</strong> (2009, S. 122), e<strong>in</strong> epistemologischer<br />

Wandel <strong>in</strong> den Naturwissenschaften: der Abschied vom Zeitalter<br />

<strong>des</strong> Reduktionismus. Es gehe nicht mehr darum, die Natur <strong>in</strong><br />

immer kle<strong>in</strong>ere Teile zu zerlegen und deren Verhalten zu studieren.<br />

Vielmehr richte sich der Blick nun auf das ›kollektive Ganze‹, auf die<br />

Selbstorganisation der Natur.«<br />

Tatjana Petzer (2016, S. 22)<br />

Wie geht Gestaltbildung?<br />

89


Wie geht Gestaltbildung?<br />

Wenn es sich <strong>in</strong> diesem Kapitel um Gestaltbildung dreht, so ist<br />

damit ganz allgeme<strong>in</strong> die Bildung von Mustern, Formen, Ordnungen<br />

wie auch lebendigen Gestalten geme<strong>in</strong>t. Dabei wird ke<strong>in</strong> grundsätzlich<br />

Unterschied zwischen Gestaltbildung <strong>in</strong> unserer Vorstellung<br />

und der Gestaltbildung <strong>in</strong> der äußeren Realität gemacht –<br />

beide werden <strong>in</strong> Resonanz mite<strong>in</strong>ander gesehen. Sie s<strong>in</strong>d zwar<br />

unterschiedlich aber nicht getrennt vone<strong>in</strong>ander. So ist <strong>in</strong>formierende<br />

Resonanz wie schon im vorigen Kapitel beschrieben, e<strong>in</strong><br />

grundlegender Vorgang von Gestaltbildung. Arten von Gestaltbildung<br />

seien hier noch weiter untersucht und beschrieben. Sie bilden<br />

die Grundlage bewussten Mitgestaltens.<br />

90<br />

3.1 Die täglichen Nachrichten <strong>in</strong>formieren<br />

nicht nur uns<br />

Die meisten Menschen lassen sich über aktuelle politische oder<br />

Im Subjekt bekommen die Informationen<br />

ihre Bedeutung.<br />

andere Ereignisse mittels Rundfunk, Fernsehen oder Zeitung <strong>in</strong>formieren.<br />

Die ursprüngliche Bedeutung<br />

<strong>des</strong> Wortes <strong>in</strong>formieren wird durch die<br />

Hirnforschung wieder deutlich: Unser Gehirn wird durch die Informationen<br />

<strong>in</strong> den Nachrichten tatsächlich geformt. Jede Information,<br />

die unser Gehirn erreicht, verändert dieses, aktualisiert alte<br />

oder schafft <strong>neue</strong> Schaltmuster zwischen den Neuronen und br<strong>in</strong>gt<br />

es so <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>neue</strong> aktuelle Form. Hirnforscher sprechen von der<br />

»Plastizität« = Formbarkeit <strong>des</strong> Gehirns – e<strong>in</strong>e Resonanz auf Kommunikation<br />

(Fuchs 2010; S<strong>in</strong>ger 2002; Roth 2003; Hüther 2004; Spitzer<br />

2007). Hier wird Ordnung <strong>in</strong>s Chaos der Gehirnströme gebracht<br />

bzw. e<strong>in</strong>e alte Ordnung zerstört und Chaos produziert oder e<strong>in</strong><br />

<strong>neue</strong>s Muster hergestellt. Der lebendige Organismus resoniert <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er aktuellen Schw<strong>in</strong>gungsfähigkeit auf äußere Informationen.<br />

So bekommen die Informationen im Subjekt ihre Bedeutung.<br />

Bevor die Informationen aus den Nachrichten Sie als den Konsumenten,<br />

Leser, Hörer bzw. Zuschauer erreichen und <strong>in</strong>formieren,<br />

haben sie die Druckerfarbe <strong>in</strong> den Zeitungen <strong>in</strong>formiert bzw. den<br />

Nachrichtensprecher und se<strong>in</strong>e Sprache bis h<strong>in</strong> zu den Schw<strong>in</strong>gun-


Die täglichen Nachrichten <strong>in</strong>formieren nicht nur uns<br />

gen der Lautsprecher Ihres Radios bzw. Fernsehers. Dieselben Informationen<br />

h<strong>in</strong>terlassen unterschiedlich geformte Spuren, je nach<br />

dem Medium und System, das sie <strong>in</strong>formieren. Die Druckerfarben<br />

<strong>in</strong> der Druckmasch<strong>in</strong>e reagieren auf die Informationen der Signale<br />

berechenbar. Was die Informationen dann <strong>in</strong> Ihrem Kopf anstellen,<br />

ist eher nicht vorhersagbar. Wenn Sie z. B. die Information erhalten<br />

haben, dass <strong>in</strong> Bergamo <strong>in</strong> Norditalien die Krankenhäuser und Krematorien<br />

mit an Corona-Virus-Erkrankten bzw. Verstorbenen überfüllt<br />

s<strong>in</strong>d – was geschieht <strong>in</strong> Ihnen? Es werden bei den meisten<br />

Menschen mehr als nur e<strong>in</strong> paar Hirnw<strong>in</strong>dungen <strong>in</strong>formiert. Sie<br />

bekommen evtl. Angst, fühlen sich hilflos, beg<strong>in</strong>nen zu analysieren<br />

oder ihren Kopf zu schütteln. Sie machen irgendjemanden oder<br />

irgendetwas für die Toten verantwortlich; sagen ihre Reise nach Italien<br />

oder <strong>in</strong> andere Gefahrenzonen ab oder, oder, oder … E<strong>in</strong>e Information<br />

löst womöglich e<strong>in</strong>e Kette von Resonanzen aus, von Informationen<br />

und neuronalen Reaktionen und <strong>in</strong>nersystemischer<br />

Kommunikation, die jeweils Körperfunktionen gestalten. Die Resonanz,<br />

die e<strong>in</strong>e Information f<strong>in</strong>det, hängt von dem System ab, auf<br />

das sie trifft.<br />

Wenn wir über die <strong>in</strong> uns entstehenden Bedeutungen verbal<br />

<strong>kommunizieren</strong>, suchen wir mit unseren Kommunikationspartner<strong>in</strong>nen<br />

e<strong>in</strong>e Abstimmung, ob wir über sprachliche Formulierungen<br />

unsere jeweils subjektiven Deutungen zusammenbr<strong>in</strong>gen können.<br />

So kommen wir zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tersubjektiven bzw. metativen Deutung.<br />

Diese metative Deutung ist im Grunde gleichbedeutend mit metativer<br />

Er kenntnis.<br />

Vorstellungen <strong>in</strong>formieren e<strong>in</strong> Möbelstück<br />

Es ist für uns Menschen alltägliche Erfahrung: Wir bekommen e<strong>in</strong>e<br />

Information, entwickeln e<strong>in</strong>e Vorstellung, und dann setzen wir<br />

diese <strong>in</strong> die Tat um. Ich denke daran, etwas zu essen, dann suche<br />

ich mir etwas und esse es – wenn die Zeit und Gelegenheit dazu da<br />

s<strong>in</strong>d. Das Bedürfnis und der Gedanke waren die Ausgangs<strong>in</strong>formationen,<br />

denen dann die Energie gefolgt ist, die den Körper <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

gerichtete Bewegung zur Nahrung gebracht und diese dem Körper<br />

91


Wie geht Gestaltbildung?<br />

92<br />

e<strong>in</strong>verleibt hat. Die Nahrung wird dann im Körper umgewandelt:<br />

zunächst zerkle<strong>in</strong>ert und zersetzt und dann verstoffwechselt; entstehende<br />

Teile werden für andere aufbauende Körperprozesse verwendet<br />

– die nächste kreative Informierung von Energie. Dabei<br />

spielt außer der Energie auch die Information der Nahrung e<strong>in</strong>e<br />

große Rolle.<br />

Für uns Menschen ist Gestaltbildung der alltäglichste und natürlichste<br />

Vorgang, der allerd<strong>in</strong>gs meist unbewusst erfolgt und nicht<br />

immer schöpferisch, sondern auch oft genug gleichzeitig zerstörerisch<br />

ist – wie beispielsweise beim Essen die Nahrung zerstört wird.<br />

E<strong>in</strong> anderes Beispiel: Ich wünsche mir e<strong>in</strong>en Tisch, an dem ich mit<br />

me<strong>in</strong>en Freund<strong>in</strong>nen sitzen und essen kann. Ich bitte e<strong>in</strong>en Tischler,<br />

mir e<strong>in</strong>en zu bauen. Der Tischler br<strong>in</strong>gt dazu getrocknete Holzbretter<br />

und Kanthölzer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>neue</strong> Form, die e<strong>in</strong>en Tisch ausmacht.<br />

Der Tisch hat se<strong>in</strong>e, für uns bedeutsame Form also vom Tischler<br />

bekommen. Diese Informierung veranlasst uns jetzt, mit dem Tisch<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andere Beziehung zu treten als mit den Rohbrettern. Wir<br />

setzen uns jetzt an ihn zum Essen. Zusätzlich hat der Tisch noch<br />

viele andere Informationen, zum Beispiel se<strong>in</strong> Material betreffend.<br />

Das Holz für den Tisch ist durch das Bearbeiten zu dem <strong>in</strong>formiert<br />

worden, was er geworden ist. Der Tischler hatte dazu e<strong>in</strong>e Vorstellung<br />

und viele Lernerfahrungen vorweg, die se<strong>in</strong> Gehirn <strong>in</strong>formiert<br />

hatten. All diese Lernerfahrungen waren kommunikative Erfahrungen<br />

– sowohl haptischer und visueller als auch verbaler Art. Sie<br />

haben dazu geführt, dass der Tischler den Tisch fertigen konnte.<br />

Ausgangspunkt für diesen Gestaltungsvorgang war e<strong>in</strong> von mir<br />

geäußerter Wunsch e<strong>in</strong>es attraktiven Bil<strong>des</strong> von e<strong>in</strong>em Tisch, an<br />

dem ich mit Freund<strong>in</strong>nen sitzen, essen und spielen kann.<br />

Das Gehirn ist e<strong>in</strong> komplexer Informationsempfänger, -sammler,<br />

-verwerter und -sender. Es ist sowohl <strong>in</strong> der Lage, wahrgenommene<br />

und gelernte Informationen zu verarbeiten und weiterzugeben, als<br />

auch Vorstellungen zu entwickeln, die Bilder <strong>in</strong> die Zukunft projizieren<br />

oder Bilder aus e<strong>in</strong>er möglichen Zukunft antizipieren. Das führt dazu,<br />

dass der Mensch <strong>in</strong> der Lage ist, mithilfe se<strong>in</strong>es Vorstellungsvermögens<br />

kreativ tätig zu se<strong>in</strong>, die Zukunft bewusst mitzugestalten.


Die täglichen Nachrichten <strong>in</strong>formieren nicht nur uns<br />

Was bedeutet es, Bilder aus e<strong>in</strong>er möglichen Zukunft zu antizipieren?<br />

Und was hat das möglicherweise mit der Zielorientierung <strong>des</strong><br />

Gehirns zu tun? Die Zielorientierung<br />

unseres Gehirns bedeutet, dass es nach<br />

Möglichkeiten sucht, den Soll-Zustand<br />

<strong>des</strong> Orga nismus immer wieder her -<br />

zustellen (größtmögliche Stimmigkeit<br />

(vgl. Antonovsky 1997; Grawe 2004; Petzold 2013, 2014, 2021) – dass<br />

wir uns also diesem Zustand annähern. Das Gehirn ist <strong>in</strong>formiert<br />

von <strong>in</strong>neren Bildern attraktiver Soll-Zustände, z. B. wie wir satt s<strong>in</strong>d,<br />

uns wohlfühlen, tief schlafen können, <strong>in</strong> stimmiger Beziehung zu<br />

unseren nächsten Mitmenschen s<strong>in</strong>d, zu anderen Völkern, zur Erde<br />

usw. Diese attraktiven Soll-Zustände (kurz: Attraktiva) s<strong>in</strong>d unsere<br />

<strong>in</strong>neren Ziele, und wir streben danach, sie <strong>in</strong> unserer Umgebung zu<br />

erreichen. Insofern s<strong>in</strong>d es gegenwärtige Informationen für die Zukunft.<br />

Zur Annäherung an diese s<strong>in</strong>d wir ständig auf der Suche nach Möglichkeiten<br />

und versuchen, unsere Umgebung entsprechend zu<br />

gestalten. So bef<strong>in</strong>den wir uns mit unserer Umgebung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

ständigen dialogischen Gestaltungsprozess, der mitgeprägt ist von<br />

den Informationen unserer gegenwärtigen Attraktiva und den<br />

Bed<strong>in</strong>gungen unserer In- und Umwelt. Diese Attraktiva s<strong>in</strong>d demnach<br />

zu verstehen als Möglichkeiten der Zukunft, die wir antizipieren<br />

können. Vorstellungen, auch Visionen u. Ä. zeigen die Gegenwart<br />

von Möglichkeiten der Zukunft. Attraktiva attrahieren unsere<br />

Ideen und Selbstregulation (s. Abb. 6a, S. 107).<br />

In Bezug auf unsere physischen Bedürfnisse handeln wir oft<br />

direkt unseren Bedürfnissen entsprechend »aus dem Bauch<br />

heraus«, um unseren Soll-Zustand zu erreichen. Solche Soll-Zu -<br />

stände wie Ziele s<strong>in</strong>d z. B. genügend Sauerstoff zu atmen, warm<br />

und satt zu se<strong>in</strong>, Vere<strong>in</strong>igung mit unserem Sexpartner, das Leben<br />

weitergeben usw. Diese Art der zielorientierten Selbstregulation f<strong>in</strong>den<br />

wir auch bei Tieren. Diese Bedürfnisse s<strong>in</strong>d direkt mit dem<br />

Lustsystem, e<strong>in</strong>em »want<strong>in</strong>g« im Gehirn verknüpft (dopam<strong>in</strong>ergen<br />

System; Annäherungssystem, s. Kap. 1.4, S. 59 ff.; Grawe 2004; Elliot<br />

2008; Petzold 2021).<br />

Diese attraktiven Soll-Zustände (kurz:<br />

Attraktiva) s<strong>in</strong>d unsere <strong>in</strong>neren Ziele, und<br />

wir streben danach, sie <strong>in</strong> unserer Umgebung<br />

zu erreichen. Insofern s<strong>in</strong>d es<br />

gegenwärtige Informationen zum Mitgestalten<br />

der Zukunft.<br />

93


Wie geht Gestaltbildung?<br />

94<br />

Wenn wir hier von Vorstellungsvermögen und Vorstellungen sprechen,<br />

so me<strong>in</strong>en wir im Unterschied zu diesem »want<strong>in</strong>g«, das stärker<br />

mit physiologischen Soll-Zuständen verknüpft ist, mehr<br />

bewusste <strong>in</strong>nere Bilder wie auch unsere Intuition. Diese entspr<strong>in</strong>gen<br />

nicht so häufig den physiologischen Soll-Werten, sondern mehr<br />

auch sozialen, kulturellen, globalen und geistigen Attraktiva. Sie<br />

br<strong>in</strong>gen uns nicht direkt, quasi automatisch zum Handeln, sondern<br />

eher <strong>in</strong>direkt über die Zwischenstation e<strong>in</strong>er gefühlt freien Entscheidung.<br />

Wir entscheiden uns ständig, welchen nächsten Schritt<br />

wir zur Annäherung an das Ziel, den Soll-Zustand, gehen wollen.<br />

Diese freie Entscheidungsfähigkeit sche<strong>in</strong>t mehr mit e<strong>in</strong>er<br />

Gehirnfunktion verknüpft zu se<strong>in</strong>, die von Neuropsycholog<strong>in</strong>nen/<br />

-therapeut<strong>in</strong>nen im Englischen »lik<strong>in</strong>g« genannt wird und bei<br />

Suchtpatienten mehr oder weniger außer Betrieb gesetzt ist<br />

(s. Grawe 2004). Im Deutschen nenne ich sie Kohärenzmotivation.<br />

Mit unserem Vorstellungsvermögen gehen wir e<strong>in</strong>e <strong>neue</strong> – <strong>in</strong>direktere<br />

– Beziehung zur Umgebung e<strong>in</strong>. Die Fähigkeit dazu zeigt<br />

sich schon bei e<strong>in</strong>em zwölf Monate alten Säugl<strong>in</strong>g, der mit dem<br />

F<strong>in</strong>ger auf e<strong>in</strong>en von der erwachsenen Bezugsperson gesuchten<br />

Gegenstand zeigt, um diesem zu helfen. Er kommuniziert damit<br />

über Drittes, zu dem er ke<strong>in</strong>en eigenen Bedürfnisbezug hat. Nach<br />

Tomasello (2010, 2020 u. a.) ist diese Kooperationsfähigkeit die<br />

Grundlage der Sprachentwicklung <strong>des</strong> Menschen.<br />

Sprache <strong>in</strong> der Kultur dient zunächst zum Kommunizieren zu<br />

geme<strong>in</strong>samen Aktionen, also zur Kooperation. Zum Kooperieren<br />

teilen wir Beobachtungen mit sowie deren Zusammenhänge und<br />

damit auch zeitliche Abfolgen von Veränderungen. In dieser Be -<br />

wusstse<strong>in</strong>sdimension <strong>des</strong> Lebens <strong>in</strong> der Sprache ist der erwähnte<br />

Tisch entstanden – e<strong>in</strong>e kulturelle Kreation. Der Tischler ist – so<br />

gesehen – e<strong>in</strong> Vermittler zwischen abstrakten Informationen wie<br />

Tischfunktion und der Materie Holz: Er handelt von der Vorstellung<br />

zum Tisch.<br />

Dabei beschäftigt er sich bewusst mit anderen Kausalitäten, wie<br />

den mechanistisch ursächlichen Beziehungen zwischen Sägen und<br />

Schleifen und der Form <strong>des</strong> Holzes, zwischen Leim und Zusammen-


Die täglichen Nachrichten <strong>in</strong>formieren nicht nur uns<br />

halt der Teile u. Ä. Erst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Reflexion <strong>des</strong> Subjekts kann er den<br />

Zusammenhang zwischen se<strong>in</strong>en Vorstellungen und dem fertigen<br />

Tisch erkennen. Unsere kulturellen Aktivitäten dienen der Mitgestaltung<br />

der Welt. Dabei folgt unsere Energie unseren Gedanken.<br />

Kommunikation ist der <strong>in</strong>formierende Vorgang, bei dem e<strong>in</strong>e<br />

möglicherweise bis dato verborgene, <strong>in</strong>trospektiv »Geist« genannte,<br />

Information Materie formt, Energiefluss ausrichtet, wie e<strong>in</strong> Same<br />

keimt und mithilfe von Energie aus der Umgebung e<strong>in</strong>en Tisch bzw.<br />

Apfelbaum formt. In der Kommunikation (auch schon bei e<strong>in</strong>er<br />

Beobachtung) realisiert sich Information mehr oder weniger.<br />

Wie weit imag<strong>in</strong>ierte, ausgerichtete Vore<strong>in</strong>stellungen, z. B. die<br />

von e<strong>in</strong>em gesund lebenden Menschen, auch therapeutische Beziehungen<br />

prägen und damit Auswirkungen auf die gesunde Entwicklung<br />

von Patient<strong>in</strong>nen haben, ist e<strong>in</strong>e Forschungsfrage. Vorstellbar<br />

und sogar wahrsche<strong>in</strong>lich ersche<strong>in</strong>t es – u. a. als sogenannter Placeboeffekt.<br />

Die Informationssphäre <strong>in</strong> Beziehung zur Realität<br />

Zeitlosigkeit<br />

Möglichkeitsraum<br />

Attraktiva<br />

Kohärenz<br />

Vergangenheit<br />

Vorstellungen<br />

Zukunft<br />

Erfahrungsraum<br />

Jetzt<br />

Resonanz<br />

Abbildung 6a: Aus dem nichtlokalen Möglichkeitsraum ersche<strong>in</strong>en Möglichkeiten durch<br />

Resonanz <strong>in</strong> der Realität – so entsteht die Zukunft.<br />

95


Wie geht Gestaltbildung?<br />

3.2 Das Attraktionspr<strong>in</strong>zip<br />

96<br />

Betrachten wir das Chaos auf dem Pausenhof e<strong>in</strong>er Schule. Je<strong>des</strong><br />

der durche<strong>in</strong>ander-wirbelnden Schulk<strong>in</strong>der hat <strong>in</strong> der Pause se<strong>in</strong>e<br />

eigenen Attraktiva: Das e<strong>in</strong>e hat Hunger und isst se<strong>in</strong> Pausenbrot,<br />

e<strong>in</strong> anderes will mit Freund<strong>in</strong>nen spielen, das dritte will sich<br />

schnell bewegen und austoben, etwas ältere möchten sich über ihre<br />

gegengeschlechtlichen Attraktiva austauschen usw. Bei dermaßen<br />

vielen unterschiedlichen Attraktiva entstehen chaotische Bewegungen.<br />

Durch das Kl<strong>in</strong>gelzeichen wird das Chaos der freien Bewegung<br />

jäh beendet, und die K<strong>in</strong>der haben e<strong>in</strong>er Diszipl<strong>in</strong> <strong>des</strong> Unterrichts<br />

zu folgen, die auf e<strong>in</strong>e andere Art e<strong>in</strong>e möglicherweise auch attraktive<br />

Seite hat: Wissen zu erfahren und e<strong>in</strong>e langfristige Chance, zur<br />

Kultur dazuzugehören, möglicherweise sogar Erfolg und Anerkennung<br />

<strong>in</strong> der Kultur zu f<strong>in</strong>den. Die K<strong>in</strong>der bewegen sich wieder an<br />

die geordneten Plätze <strong>in</strong> ihrer Klasse. Das Schulhof-Chaos ist durch<br />

e<strong>in</strong>e übergeordnete Kohärenz geordnet.<br />

Wenn etwas e<strong>in</strong>e Form hat, ist es bereits <strong>in</strong>formiert. So steht<br />

Information als Ordnung komplementär zum Chaos. Wenn wir <strong>in</strong><br />

idealisierten Entweder-oder-Kategorien denken, ersche<strong>in</strong>en Information<br />

und Chaos als sich ausschließende Gegensätze. Im Chaos<br />

s<strong>in</strong>d Energie und Information weit ause<strong>in</strong>ander. Dabei hat das Chaos<br />

nach der algorithmischen Informationstheorie den größten Informationsgehalt<br />

(s. S. 35). Real f<strong>in</strong>den wir allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> jedem beobachtbaren<br />

Chaos auch Formen. Je<strong>des</strong> beobachtbare Chaos ist e<strong>in</strong> Chaos<br />

von Sandkörnern oder Staubpartikeln, Wellen, Tropfen, von K<strong>in</strong>dern<br />

usw. Jeweils beobachten wir geformte Teilchen, die sich zue<strong>in</strong>ander<br />

chaotisch verhalten.<br />

In der modernen Komplexitätsforschung s<strong>in</strong>d die Erkenntnisse<br />

der Chaosforschung e<strong>in</strong>bezogen (Sturmberg u. Mart<strong>in</strong> 2013; Bircher<br />

2019; Füllsack 2011; Thurner et al. 2018), wie auch der Begriff <strong>des</strong><br />

»Attraktors«. Attraktor bezeichnet e<strong>in</strong>en End- oder Zwischenzustand<br />

e<strong>in</strong>es dynamischen Systems. So s<strong>in</strong>d z. B. zwei lebende Zellen<br />

der Attraktor für e<strong>in</strong>e Zellteilung. Dieser Attraktor ist sehr komplex<br />

und kann <strong>des</strong>halb nur annäherungsweise berechnet werden (Kauff-


Das Attraktionspr<strong>in</strong>zip<br />

man 1991). Für Berechnungen von Wetterveränderungen wird heu -<br />

te der sogenannte Lorenz-Attraktor herangezogen. Dieser seltsame<br />

Attraktor bildet die mathematisch-statistische Regelhaftigkeit h<strong>in</strong>ter<br />

dem Wetterchaos ab.<br />

Damit ist e<strong>in</strong> solcher komplexer Attraktor die attraktive Information<br />

h<strong>in</strong>ter der Ersche<strong>in</strong>ung. Sie ist nicht begrenzt auf e<strong>in</strong> Sturmtief<br />

über Deutschland, sondern nichtlokal attraktiv für alle Wetterer -<br />

eignisse – egal ob über Russland oder der Karibik, heute oder übermorgen.<br />

Attraktoren können ansche<strong>in</strong>end nichtlokal vorhanden se<strong>in</strong>. Ob<br />

und wann sie wirksam werden, hängt dann von resonanzfähigen<br />

Entitäten ab, wie beim Wetter die Luft- und Feuchtigkeitsströmungen<br />

– ansche<strong>in</strong>end ganz analog wie Naturgesetze, z. B. dass e<strong>in</strong> Ma -<br />

gnetfeld resonanzfähige Agenten wie e<strong>in</strong>e Kompassnadel braucht,<br />

um se<strong>in</strong>e Wirkung zu entfalten.<br />

Chaosforscher<strong>in</strong>nen haben den zeitlichen Verlauf von dynamischen<br />

Systemen beobachtet. Dabei fanden sie heraus, dass manche<br />

Systeme, die zunächst chaotisch erschienen, irgendwann zu e<strong>in</strong>er<br />

relativ stabilen Ordnung gefunden hatten. Diese Dynamik heißt<br />

»determ<strong>in</strong>istisches Chaos«. In dieser Dynamik sche<strong>in</strong>t es e<strong>in</strong>e<br />

implizite Beziehung zwischen Information (Ordnung) und Chaos zu<br />

geben. In dem, was uns als Chaos ersche<strong>in</strong>t, sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e verborgene<br />

Information zu stecken, die sich nach e<strong>in</strong>er gewissen Zeit <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er <strong>neue</strong>n Ordnung zeigt – z. B. immer wieder <strong>in</strong> unterschiedlichen<br />

Wolkenmustern am Himmel oder e<strong>in</strong>e heile Haut bei Wunden.<br />

Ob es auch e<strong>in</strong> nicht determ<strong>in</strong>istisches Chaos gibt oder ob es nur<br />

e<strong>in</strong>e Frage der Beobachtungsdauer und <strong>des</strong> Kontextes ist, wann und<br />

wie sich aus e<strong>in</strong>em Chaos <strong>neue</strong> Ordnungen bilden, ist e<strong>in</strong>e offene<br />

Frage. Da Ordnung die Folge von Informationen ist, wird es immer<br />

wieder Ordnung geben, wenn es im Universum Information gibt –<br />

was wir annehmen.<br />

Wenn wir von der Evolution komplexer geordneter Systeme wie<br />

uns Lebewesen als Tatsache ausgehen, ersche<strong>in</strong>t zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t auf der<br />

Erde die Bildung von geordneten dynamischen Strukturen aus dem<br />

Chaos <strong>in</strong> den letzten vier Milliarden Jahren nicht als Frage <strong>des</strong> Glau-<br />

97


Wie geht Gestaltbildung?<br />

bens, sondern als evidente Wirklichkeit. Leben ersche<strong>in</strong>t als natürlicher<br />

Beweis e<strong>in</strong>es noch nicht erkannten und nicht formulierten<br />

Naturgesetzes der Negentropie, der Emergenz von komplexer Ordnung.<br />

Ganz analog erleben wir tagtäglich, wie attraktive Ideale und<br />

Soll-Zustände wie Gesundheit unsere Aktivitäten leiten. Diese<br />

attraktiven Ziele haben wir bis zum 11. Symposium zur Salutogenese<br />

2019 <strong>in</strong> Anlehnung an die Chaosforschung »Attraktoren«<br />

genannt. Durch verbreitetes Unverständnis und Kritik an diesem<br />

Begriff s<strong>in</strong>d wir <strong>in</strong> der Folge aus zwei Gründen dazu übergegangen,<br />

sie jetzt »Attraktiva« zu nennen. Zum e<strong>in</strong>en habe ich den Anspruch<br />

an e<strong>in</strong>e mathematische Formulierung dieser handlungsleitenden<br />

attraktiven Ziele aufgegeben und erfahre derartige mathematische<br />

Ambitionen eher als Ablenkung vom Mitgestalten der Zukunft<br />

durch Antizipation jeweils aktueller Attraktiva. Zum anderen passt<br />

die semantische Bedeutung der Endung »-tor« nicht zur <strong>in</strong>haltlichen<br />

Bedeutung <strong>des</strong> Begriffs (s. Fußnote) 22 . So beschäftigen wir uns<br />

hier bei gesunder Entwicklung vor allem mit Wegen der Annäherung<br />

an diese attrahierenden Ziele Attraktiva.<br />

Wundheilung<br />

Als e<strong>in</strong> Beispiel für das Attraktionspr<strong>in</strong>zip möchte ich hier die<br />

Wundheilung anführen. Unter dem Mikroskop würden wir chaotisch<br />

ersche<strong>in</strong>ende Bewegungen der verschiedenen Blut- und Gewebezellen<br />

im Wundgebiet sehen. Wenn wir die Atome und Moleküle<br />

sehen könnten, wäre das Chaos wohl noch größer. Und trotzdem<br />

wird die Wunde nach kurzer Zeit geschlossen, und nach e<strong>in</strong>igen<br />

Tagen ist sie verheilt. Für diese sehr komplexe Leistung <strong>des</strong> Haut-<br />

98<br />

22 Die Endung »-tor« <strong>in</strong> »Attraktor« bezeichnet e<strong>in</strong>e aktive und männliche Qualität, dies trifft<br />

jedoch auf das bezeichnete Phänomen der attraktiven Informationen nicht wirklich zu. Die<br />

Information dieses attraktiven Zustands ist als abstrakte, womöglich nichtlokale Größe <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em virtuellen Mög-lichkeitsraum zu denken (vergl. Peitgen, Jürgens u. Saupe 1992, 1994; Petzold<br />

2000; Kriz 2017). Attraktor bezeichnet e<strong>in</strong>e abstrakte Information, die e<strong>in</strong>en mehr oder<br />

weniger stabilen Zustand e<strong>in</strong>es dynamischen Systems kennzeichnet. Sie ist als ruhende, durch<br />

Attraktivität wirkende Information zu verstehen, ähnlich dem »unbewegten Beweger« bei Aristoteles.<br />

Deshalb und weil diese Informationen sich <strong>in</strong> Bezug auf Menschenleben <strong>in</strong> ihrer Komplexität<br />

e<strong>in</strong>er Berechenbarkeit pr<strong>in</strong>zipiell entziehen, nennen wir diese <strong>in</strong> der salutogenen Kommunikation<br />

»Attraktiva«.


Das Attraktionspr<strong>in</strong>zip<br />

gewebes samt Blut und Zwischenzellflüssigkeit wäre e<strong>in</strong>e Erklärung<br />

alle<strong>in</strong> durch physikalische und biochemische Gesetze nach heutigem<br />

Kenntnisstand nicht möglich. E<strong>in</strong>e attrahierende Steuerung<br />

und Regulation der Wundheilung durch <strong>in</strong>formierende Attraktiva<br />

ersche<strong>in</strong>t unter den aktuellen Erkenntnissen der Naturwissenschaften<br />

noch die wahrsche<strong>in</strong>lichste Erklärung. Das würde bedeuten,<br />

dass die Bestandteile <strong>des</strong> Hautgewebes <strong>in</strong> Resonanz mit der<br />

Attraktiva heile Haut wären. Ihre dynamischen Beziehungen untere<strong>in</strong>ander<br />

entfalten sich zielgerichtet auf die Attraktiva h<strong>in</strong>. Sie<br />

gehen B<strong>in</strong>dungen e<strong>in</strong>, die letztlich e<strong>in</strong>e heile Haut gestalten. Die<br />

Attraktiva, hier die Information der heilen Haut, ist <strong>in</strong> der Wunde<br />

gegenwärtig als deren mögliche Zukunft. Für die verschiedenen<br />

Phasen der Wundheilung wären Unter-Attraktiva maßgeblich (s. a.<br />

Petzold 2000 c, d). Dabei können die Zellen und Moleküle im Wundgebiet<br />

und noch weiter gehend bei Bedarf im ganzen Organismus<br />

auf störende E<strong>in</strong>flüsse angemessen reagieren. Sie funktionieren<br />

nach dem Pr<strong>in</strong>zip der Selbstregulation: In unterschiedlichen Zeit<strong>in</strong>tervallen<br />

bilanziert das System, ob durch die Aktivitäten der Teile<br />

die Wundheilung sich ihren Attraktiva angenähert hat. Je nach dem<br />

Ergebnis der Bilanzierung werden noch weitere erforderliche Systeme<br />

aktiviert, um den Heilungsverlauf <strong>in</strong> Richtung Attraktiva heile<br />

Haut fortzusetzen. Wenn z. B. der Verletzte sich zu viel bewegt und<br />

die Wunde immer aufreißt, wird se<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit und mehr<br />

Schonung gefordert. Wenn Bakterien <strong>in</strong> die Wunde gekommen s<strong>in</strong>d,<br />

wird das Immunsystem aktiviert.<br />

In den chaotischen Bewegungen e<strong>in</strong>zelner Teile können wir die<br />

Ordnung nicht erkennen. Wenn wir aber die Attraktiva kennen, wissen<br />

wir, welche Ordnung die Teile im Übergang kooperierend<br />

anstreben (s. a. Bastian 2021). Wir können e<strong>in</strong>e Attraktiva als implizites<br />

Ordnungspotential <strong>des</strong> Chaos verstehen bzw. erahnen.<br />

Chaos ist e<strong>in</strong> dynamischer Zustand, e<strong>in</strong> Übergang, <strong>in</strong> dem die<br />

Energie nur relativ wenig <strong>in</strong>formiert, also wenig <strong>in</strong> Beziehung ist.<br />

Ansche<strong>in</strong>end s<strong>in</strong>d Energie und Information noch relativ ungebunden,<br />

mit fast unendlich vielen Möglichkeiten, als Ordnungspotential<br />

<strong>des</strong> Chaos.<br />

99


Wie geht Gestaltbildung?<br />

100<br />

Ganzheit als Attraktion?<br />

Wie wir bei der Reflexion der Wundheilung schon sehen konnten,<br />

streben die Bewegungen der Teilsysteme e<strong>in</strong>es lebenden Organismus<br />

zur Heilung, also zum Ganzen.<br />

Für diese Fähigkeit lebender Systeme sehe ich ihre komplexe<br />

»In der lebendigen Natur geschieht nichts,<br />

was nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Verb<strong>in</strong>dung mit dem<br />

Ganzen stehe, ...« Goethe (1793, S. 12)<br />

Information der Ganzheit als maßgeblich. Diese Information Ganzheit,<br />

von der Teil<strong>in</strong>formationen <strong>in</strong> den<br />

Genen gespeichert s<strong>in</strong>d, kommuniziert<br />

derart mit der Umgebung <strong>des</strong> Systems,<br />

dass sie so viel andere Energie und Materie anzieht und <strong>in</strong> das System<br />

aufnimmt und verstoffwechselt, dass dieses wachsen und sich<br />

teilen kann. Der Physik-Nobelpreisträger Erw<strong>in</strong> Schröd<strong>in</strong>ger (1983)<br />

hat von Lebewesen als »Ordnungsmühlen« gesprochen, die nicht<br />

nur die Energie absorbieren, sondern auch die Kohärenz <strong>des</strong> Sonnenlichts<br />

<strong>in</strong> eigene strukturelle und funktionelle Ordnung umwandeln.<br />

Ihre Ganzheit hat dann die Funktion e<strong>in</strong>es »Ordners«, wie sie<br />

Hermann Haken (1991, 2004) für komplexe Dynamiken beschreibt.<br />

Diese transformiert Informationen der Kohärenz <strong>des</strong> Sonnenlichts<br />

für den eigenen Strukturaufbau.<br />

Die Ganzheit, die mehr Informationen hat als ihre Teile zusammen,<br />

ist als solche nicht messbar. Sie ist abstrakt und komplex.<br />

Messbar s<strong>in</strong>d jeweils nur Teilaspekte <strong>des</strong> Ganzen, wie z. B. das<br />

Gewicht, die Strahlung u. a. m. Trotzdem ist die Ganzheit zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t<br />

von lebenden Systemen evident. Im Ganzen ist die für das System<br />

maßgebliche Information verkörpert. Die Ganzheit e<strong>in</strong>es Systems<br />

ist der <strong>in</strong>formierende Ursprung und das Ganze die Folge se<strong>in</strong>es<br />

Zusammenhalts, se<strong>in</strong>er Kohärenz.<br />

Die Ganzheit ist e<strong>in</strong>e systemische Attraktiva für die Teilsysteme.<br />

In der Komplexitätsforschung werden die Teilsysteme <strong>des</strong>halb<br />

häufig als »Agenten« bezeichnet. Das Attraktionspr<strong>in</strong>zip gilt für<br />

lebende Prozesse gesunder Entwicklung wohl allgeme<strong>in</strong>, es wird <strong>in</strong><br />

Heilungsprozessen besonders deutlich. So hat vor 100 Jahren schon<br />

der Neurologe und Psychiater Kurt Goldste<strong>in</strong>, e<strong>in</strong> Mitbegründer<br />

der Gestaltpsychologie und -theorie, bei Heilungsvorgängen nach<br />

Gehirnverletzungen im Ersten Weltkrieg immer wieder betont und


Das Attraktionspr<strong>in</strong>zip<br />

dargestellt, wie diese nur im Gesamtzusammenhang <strong>des</strong> Organismus<br />

verstanden werden können (1934/2014).<br />

»Goldste<strong>in</strong> hat somit <strong>in</strong> geradezu visionärer Weise dafür argumentiert,<br />

dass das Gehirn (wie auch der Organismus <strong>in</strong>sgesamt, von dem das<br />

Gehirn e<strong>in</strong> untrennbarer Teil ist) e<strong>in</strong>er i. a. S. systemischen Betrachtungsweise<br />

bedarf. Doch obwohl diese Sichtweise <strong>in</strong> den letzten Jahren an Bedeutung<br />

gewonnen hat (Sprons, 2009), orientieren sich auch heute noch große<br />

Teile der Hirnforschung an mechanistischem Denken. Dies ist umso bedauerlicher,<br />

als die Systemwissenschaften aufgrund ihrer Anwendbarkeit auf<br />

unterschiedlichste Gegenstandsbereiche bzw. Erklärungsebenen gerade für<br />

die <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Neurowissenschaften die notwendige Integrationskraft<br />

haben können.« (Jäcke, 2010), Stefan Frisch (2014, S. 157).<br />

Seit der Antike gibt es schon diese unterschiedlichen Richtungen<br />

<strong>in</strong> der Mediz<strong>in</strong>: Die e<strong>in</strong>e, die den Körper als Masch<strong>in</strong>e sieht und<br />

diese analysiert, <strong>in</strong> Teile zerlegt und reparieren will, und die andere,<br />

die im Menschen e<strong>in</strong>en Organismus sieht, der nach Heilung, nach<br />

Ganzse<strong>in</strong> strebt, und dem die Mediz<strong>in</strong> bei diesem Streben helfen<br />

soll. Selbst René Descartes ist <strong>in</strong> der letzten se<strong>in</strong>er Schriften zu<br />

e<strong>in</strong>er ganzheitlichen systemischen Sichtweise <strong>des</strong> Menschen und<br />

se<strong>in</strong>er Seele gekommen (Descartes 1649, S. 51). 23 Offenbar hängen<br />

diese Sichtweisen nicht vom Wissensstand ab, denn es gibt sie<br />

schon seit über 2000 Jahren. So ist es naheliegend, dass der Ur -<br />

sprung dieser Sichtweisen <strong>in</strong> der Natur der Angelegenheit und <strong>in</strong><br />

uns Menschen selbst liegt, wie es dem Resonanzpr<strong>in</strong>zip entspricht.<br />

E<strong>in</strong>e neuropsychologische Erklärung dafür wäre, dass die jeweilige<br />

Sichtweise von der zugrunde liegenden motivationalen E<strong>in</strong>stellung<br />

(s. Kap. 1. 4, S. 59 ff.) abhängt, <strong>in</strong> der wir auf unsere Umwelt re -<br />

sonieren: Mediz<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen, die im Abwendungsmodus motiviert<br />

s<strong>in</strong>d, »gegen Krankheiten kämpfen«, neigen zum Zerteilen wie Analysieren<br />

und kausallogischem Denken. Ärzt<strong>in</strong>nen, die mehr im<br />

Kohärenzmodus motiviert s<strong>in</strong>d, neigen mehr zu e<strong>in</strong>em ganzheitlichen<br />

Verstehen und schauen auf die dynamische Selbstheilungs-<br />

23 Decartes beschreibt <strong>in</strong> »Von der Leidenschaft der Seele« S. 51 was ihre unteilbare Ganzheit<br />

bedeutet. Mit dem Begriff Seele beschreiben viele Autoren e<strong>in</strong>e ähnliche Funktion für den Menschen,<br />

wie ich sie hier abstrakte Ganzheit nenne.<br />

101


Wie geht Gestaltbildung?<br />

102<br />

fähigkeit <strong>des</strong> ganzen Menschen. Kurt Goldste<strong>in</strong> war wohl e<strong>in</strong>er der<br />

zweiten Gruppe, <strong>in</strong>dem er selbst bei Hirnschädigungen durch Verletzungen<br />

die funktionelle Bezogenheit zum ganzen Menschen herstellte.<br />

Unser Gehirn ist bei allen S<strong>in</strong>nese<strong>in</strong>drücken bestrebt, die e<strong>in</strong>zelnen<br />

Signale zu e<strong>in</strong>em s<strong>in</strong>nvollen Gesamtbild zusammenzufügen,<br />

also zu gestalten. Das ist zielgerichtete Informationsverarbeitung.<br />

Wahrnehmung ist damit e<strong>in</strong> im Grunde schon gestalterischer Vorgang.<br />

In den heutigen Neurowissenschaften wird <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />

davon gesprochen, dass das Gehirn nach Kohärenz, Übere<strong>in</strong>stimmung<br />

und Stimmigkeit strebt (»Konsistenz« bei Grawe 2004;<br />

Hüther 2019; Fuchs 2010). Dieses Streben ist Grundlage von gesunden<br />

Funktionen wie auch von Heilungsprozessen. Zur Zeit der Entstehung<br />

der sog. Gestalttheorie vor 100 Jahren gab es noch ke<strong>in</strong>e<br />

Chaos- und Komplexitätsforschung und auch die Kybernetik und<br />

Synergetik waren noch nicht bekannt. So können wir heute das <strong>in</strong><br />

der Geschichte der Mediz<strong>in</strong> h<strong>in</strong>reichend und immer wieder<br />

beschriebene Phänomen differenzierter und mit <strong>neue</strong>n Begriffen<br />

als Attraktionsvorgang oder allgeme<strong>in</strong>er Attraktionspr<strong>in</strong>zip be -<br />

schreiben. Ganzheit sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e zentrale Attraktiva für den Organismus<br />

zu se<strong>in</strong>.<br />

In der systemischen Familientherapie ist es heute fast schon<br />

selbstverständliches täglich Brot, dass auch Familien nach Vollständigkeit<br />

streben (Elsner 2015; Heucke 2018). Für sie ist allerd<strong>in</strong>gs die<br />

hier dargestellte Theorie <strong>des</strong> Attraktionspr<strong>in</strong>zips neu.<br />

Ganzes und Vollständigkeit s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> unserem Leben trivial – wir<br />

erleben bei<strong>des</strong> alltäglich. Wir können gar nicht anders, als ganz und<br />

tatsächlich (= wahr) <strong>in</strong> der Welt se<strong>in</strong>.<br />

Selbst Völker sche<strong>in</strong>en nach Vollständigkeit zu streben – denken<br />

Sie an die spontane Freude vieler Menschen bei der Wiederverei -<br />

nigung Deutschlands 1989. Auch die Menschheit strebt danach,<br />

zusammenzuf<strong>in</strong>den – trotz aller Berührungsängste, Fremdenfe<strong>in</strong>dlichkeit<br />

und Egoismen.<br />

Das Phänomen der Ganzheit e<strong>in</strong>es Systems bedeutet auch, dass<br />

dieses zusätzlich zu den Informationen aller Bestandteile noch


Das Attraktionspr<strong>in</strong>zip<br />

eigene Informationen und Qualitäten zeigt. Die Teile agieren im<br />

Rahmen <strong>des</strong> Ganzen, um die Kohärenz <strong>des</strong> Ganzen mitzugestalten.<br />

Hier<strong>in</strong> zeigt sich e<strong>in</strong>e Bottom-up-Dynamik<br />

auch <strong>in</strong> kulturellen und sogar globalen<br />

Systemen. Dieses Verständnis<br />

vom Menschen ist zwar nicht neu, aber<br />

ersche<strong>in</strong>t heute angesichts der Kommerzialisierung<br />

und Digitalisierung<br />

<strong>des</strong> Ge sundheitswesens wichtiger<br />

denn je. In der Kunst hat Joseph Beuys<br />

mit se<strong>in</strong>er »sozialen Plastik und Skulptur« diesen Umstand schon<br />

1967 thematisiert.<br />

Komplexe Systeme und das Attraktionspr<strong>in</strong>zip<br />

»We cannot have complete knowledge of complex systems; we can only<br />

have knowledge <strong>in</strong> terms of a certa<strong>in</strong> framework. There is no stepp<strong>in</strong>g<br />

outside of complexity …« Paul Cilliers (2013, S. 36).<br />

»Die Information, die im Gesamtsystem<br />

verfügbar ist, übersteigt bei Weitem die<br />

Information, die sich ergäbe, wenn man<br />

die <strong>in</strong> den Komponenten enthaltene<br />

Information summierte. Der Grund dafür<br />

ist, dass zusätzliche Information <strong>in</strong> den<br />

spezifischen Relationen gespeichert ist,<br />

die das Zusammenwirken der Komponenten<br />

bestimmen.«<br />

Wolf S<strong>in</strong>ger (2004, S. 112)<br />

Was ist e<strong>in</strong> komplexes System?<br />

Zunehmend gibt es <strong>in</strong> allen Bereichen Spitzenwissenschaftler<strong>in</strong>nen,<br />

die sich der Herausforderung <strong>des</strong> Umgangs mit der Komplexität<br />

(Petzer 2016; Hansch und Haken 2016; Sturmberg a. Mart<strong>in</strong> 2013;<br />

Bircher 2019; Thurner, Hanel, Klimek 2018; Füllsack 2011 u. v. a.) <strong>in</strong><br />

den Lebenswissenschaften stellen und nach <strong>neue</strong>n Denklösungen<br />

suchen. Die Annäherung an Komplexität mit e<strong>in</strong>em ausschließlich<br />

materialistisch-analytischen Denken ersche<strong>in</strong>t heute nicht möglich.<br />

E<strong>in</strong>ige Wissenschaftler<strong>in</strong>nen und viele Esoteriker<strong>in</strong>nen führen<br />

dazu gerne die Quantenphysik an, um e<strong>in</strong>e Brücke von der Physik<br />

zu den Lebens- und Geisteswissenschaften bis h<strong>in</strong> zur Spiritualität<br />

zu schlagen. Die Quantenphysik bietet uns Denkmöglichkeiten zum<br />

Umgang mit Wahrsche<strong>in</strong>lichkeiten und zur Realisierung von nichtlokalen<br />

Möglichkeiten sowie von Quanten<strong>in</strong>formationen wie bei<br />

der Verschränkung. Sie gibt uns aber ke<strong>in</strong> Denkmodell zum Ver -<br />

stehen von komplexen ganzen Systemen <strong>in</strong> mehrdimensionalen<br />

Beziehungen. Sie ist ke<strong>in</strong> Allheilmittel für unser Denken, auch<br />

103


Wie geht Gestaltbildung?<br />

wenn sie wichtige Anstöße zur Erweiterung unseres Weltbilds geliefert<br />

hat. Die Quantentheorie hat das alte, enge materialistisch-physikalische<br />

Weltbild geöffnet für e<strong>in</strong> freieres Denken und zeigt uns<br />

immer wieder, dass wir mit freieren Gedanken gar nicht gegen<br />

naturwissenschaftliche Pr<strong>in</strong>zipien verstoßen. Dies ist auch e<strong>in</strong><br />

Grund dafür, dass ich hier gelegentlich Quantenphysiker zitiere,<br />

denn das Denken vieler <strong>in</strong>telligenter Menschen ist heute noch <strong>in</strong><br />

dem Regeldenken der Physik verhaftet, das sie <strong>in</strong> der Schule gelernt<br />

haben und das <strong>in</strong> vielen Techniken erfolgreiche Anwendung f<strong>in</strong>det.<br />

Um Komplexität zu erfassen, braucht es e<strong>in</strong>en ganzheitlichen<br />

systemischen Ansatz. In e<strong>in</strong>er systemischen Sichtweise (Systemtheorie)<br />

spielt die Ganzheit e<strong>in</strong>e zentrale Rolle.<br />

Üblicherweise werden als Kriterien für komplexe Systeme ge -<br />

nannt: Wechselwirkungen, Zirkularität, Unvorhersehbarkeit, Mehrdimensionalität,<br />

Selbstorganisation u. a. Manfred Füllsack (2011)<br />

nennt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em »Lehrbuch« noch »gleichzeitige Ungleichzeitigkeiten«,<br />

um das Dilemma der Gegenwart zwischen Vergangenheit der<br />

Beobachtung und dem gegenwärtigen Werden der Zukunft zu<br />

beschreiben.<br />

E<strong>in</strong> wichtiger Aspekt von Komplexität lässt sich an komplexen<br />

Zahlen verdeutlichen. Komplexe Zahlen haben außer reellen Zahlen<br />

0, 1, 2, 3 usw. noch e<strong>in</strong>en imag<strong>in</strong>ären Anteil. 24 E<strong>in</strong>e imag<strong>in</strong>äre<br />

E<strong>in</strong>heit ist i = Wurzel aus –1; reell gibt es diese Zahl als Menge nicht.<br />

Sie existiert nur <strong>in</strong> der Imag<strong>in</strong>ation, ist also von gänzlich abstrakter<br />

Natur. Analog ist e<strong>in</strong> System als komplex zu bezeichnen, wenn es<br />

e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation aus Realität und imag<strong>in</strong>ierter (vorgestellter; nicht<br />

zählbarer, nicht physisch reeller) Information ist. In der Mathematik<br />

spricht man bei imag<strong>in</strong>ären Zahlen auch von der »Erweiterung<br />

<strong>des</strong> Körpers (der reellen Zahlen)«. Analog dazu ist der Begriff komplexe<br />

Systeme zu verstehen als Er weiterung von beobachtbaren<br />

messbaren Systemen um funktionelle, abstrakte und imag<strong>in</strong>ierte<br />

Zusammenhänge. Diese können nichtl<strong>in</strong>eare und nichtlokale dyna-<br />

104<br />

24 Gottfried Wilhelm Leibniz nannte sie 1702 e<strong>in</strong>e fe<strong>in</strong>e und wunderbare Zuflucht <strong>des</strong> menschlichen<br />

Geistes, be<strong>in</strong>ahe e<strong>in</strong> Zwitterwesen zwischen Se<strong>in</strong> und Nichtse<strong>in</strong> (Wikipedia: Komplexe_Zahl).


Das Attraktionspr<strong>in</strong>zip<br />

mische Entwicklungen be<strong>in</strong>halten, die allerd<strong>in</strong>gs sehr wohl im<br />

wirksamen Zusammenhang mit realen Phänomenen stehen.<br />

Unsere Logiken und Konstrukte <strong>in</strong> Zeichensystemen können<br />

grundsätzlich nur Annäherungen an die Komplexität wirklicher<br />

Systeme se<strong>in</strong> (vgl. Gödel-Theorem 25 ). Deshalb können wir angesichts<br />

von komplexen lebenden Systemen <strong>in</strong> Demut denken und <strong>in</strong><br />

der Lage se<strong>in</strong>, mit e<strong>in</strong>er Rest-Ungewissheit umzugehen. Ungewissheit<br />

erfordert Vertrauen – das ist im Zusammenhang mit gesunder Entwicklung<br />

e<strong>in</strong> wichtiges alltägliches Thema, das <strong>in</strong> der Corona-Krise<br />

für sehr viele Menschen deutlich geworden ist – auch und ganz<br />

besonders für Wissenschaftler<strong>in</strong>nen.<br />

Kohärenz von komplexen Systemen<br />

Die Kohärenz komplexer Systeme hat zwei unterschiedliche As -<br />

pekte: (1) Die realen, historisch entstandenen B<strong>in</strong>dungen, Beziehungen,<br />

die das System aktuell beobachtbar zusammenhalten.<br />

Diese entsprechen dem Beobachteten, dem Ausdruck, der Qualität<br />

und dem ganzen System. Wenn die Wahrnehmung dieser Realität<br />

<strong>in</strong> unser Bewusstse<strong>in</strong> kommt, ist sie schon Vergangenheit. Und (2)<br />

die gegenwärtigen Attraktiva, denen das System sich (immer wieder)<br />

anzunähern trachtet. Dies ist der imag<strong>in</strong>ierte wie imag<strong>in</strong>äre Teil<br />

<strong>des</strong> Systems und betrifft se<strong>in</strong>e Entwicklung <strong>in</strong> die Zukunft. Attraktiva<br />

s<strong>in</strong>d Annäherungs- und Kohärenzziele, für Menschen beispielsweise<br />

Ideale, die e<strong>in</strong>e dynamische Annäherung anregen. Die Ko -<br />

operationen der Teilsysteme dienen diesen Attraktiva (s. a. Füllsack<br />

2011).<br />

Auf zwei Beispiele bezogen bedeutet dies: Die Kohärenz e<strong>in</strong>er<br />

Fußballmannschaft besteht aktuell (1) aus geübten spielerischen<br />

25 Der Gödelsche Unvollständigkeitssatz ist e<strong>in</strong>er der wichtigsten Sätze der modernen Logik.<br />

Genauer werden zwei Unvollständigkeitssätze unterschieden. Der erste Unvollständigkeitssatz<br />

besagt, dass es <strong>in</strong> h<strong>in</strong>reichend starken widerspruchsfreien Systemen immer unbeweisbare Aussagen<br />

gibt. Der zweite Unvollständigkeitssatz besagt, dass h<strong>in</strong>reichend starke widerspruchsfreie<br />

Systeme ihre eigene Widerspruchsfreiheit nicht beweisen können.<br />

Durch diese Sätze ist der Mathematik e<strong>in</strong>e pr<strong>in</strong>zipielle Grenze gesetzt: Nicht jeder mathematische<br />

Satz kann aus den Axiomen e<strong>in</strong>es mathematischen Teilgebietes (zum Beispiel Arithmetik,<br />

Geometrie und Algebra) formal abgeleitet oder widerlegt werden.<br />

In der Wissenschaftstheorie und <strong>in</strong> anderen Gebieten der Philosophie zählt der Satz zu den<br />

meist rezipierten der Mathematik (Gödel 1931).<br />

105


Wie geht Gestaltbildung?<br />

106<br />

und persönlichen Beziehungen sowie den Rollen, die mit den Positionen<br />

bei der Mannschaftsaufstellung verknüpft s<strong>in</strong>d. Ihr attraktives<br />

Ziel (2) ist, das Spiel zu gew<strong>in</strong>nen. Die geme<strong>in</strong>same Attraktiva<br />

das Spiel gew<strong>in</strong>nen motiviert die Spieler<strong>in</strong>nen zu ihren Bewegungen<br />

auf dem Platz. Diese s<strong>in</strong>d auch stark abhängig von den Aktivitäten<br />

<strong>des</strong> Gegners und <strong>des</strong> Wetters und <strong>in</strong>sgesamt nicht vorhersehbar,<br />

sondern chaotisch – selbst wenn e<strong>in</strong>zelne Spielzüge geübt s<strong>in</strong>d und<br />

logisch ersche<strong>in</strong>en. Da jeder kle<strong>in</strong>e Spielzug von vorhergehenden<br />

und gegenwärtigen Bewegungen auch der Mitspieler<strong>in</strong>nen abhängt<br />

– der eigenen wie denen der gegnerischen Mannschaft –, gibt es<br />

hier ke<strong>in</strong>e l<strong>in</strong>earen Ursachen. Selbst bei Kenntnis aller Bed<strong>in</strong>gungen<br />

wäre es nicht möglich, die nächsten 30 Sekunden genau vorherzusagen.<br />

Das Gew<strong>in</strong>nen <strong>des</strong> Spiels erfordert e<strong>in</strong>e besonders gelungene<br />

Kohärenz und Resonanz der Spieler<strong>in</strong>nen.<br />

Bei der Wundheilung gehören zur Kohärenz (1) die Gewebestruktur<br />

und die genetischen Funktionen der e<strong>in</strong>zelnen Zellarten sowie<br />

der Bestandteile <strong>des</strong> Bluts und der Interzellularräume und auch das<br />

E<strong>in</strong>gebettetse<strong>in</strong> <strong>in</strong> den ganzen Organismus und daraus folgende<br />

Verhaltensweisen (z. B. Ruhigstellung, Bewegungen). Nach e<strong>in</strong>er<br />

Verletzung folgen die Teilsysteme (2) der Attraktiva der heilen (kohärenten)<br />

Haut. Die Zellen und anderen Bestandteile <strong>des</strong> Bluts und<br />

Gewebes sorgen für Wundheilung. Die Attraktiva der Wundheilung<br />

ist <strong>des</strong>halb komplex, weil die Haut schon e<strong>in</strong> lebendiges, sehr komplexes<br />

Gebilde ist, mehrschichtig und vielfältig dynamisch vernetzt.<br />

Der Heilungsvorgang kann sehr chaotische Wege gehen und sich<br />

immer <strong>neue</strong>n Umgebungsbed<strong>in</strong>gungen (verme<strong>in</strong>tlichen Ursachen<br />

von Störungen) anpassen – Kälte, Wärme, Dehnung, Druck, Bakterien<br />

usw. (vgl. Goldste<strong>in</strong> 1934). Das Resultat wird meistens ähnlich<br />

se<strong>in</strong> – also weitgehend determ<strong>in</strong>iert: e<strong>in</strong>e durchlässig verschlossene,<br />

annähernd heile Haut – wenn auch mit e<strong>in</strong>er Narbe.<br />

Dieser funktionale Zusammenhang von Attraktiva und Realität<br />

ist <strong>in</strong> den meisten Fällen mehr von Wahrsche<strong>in</strong>lichkeiten geprägt<br />

als von l<strong>in</strong>earen Kausalitäten mit fixen Determ<strong>in</strong>anten. Das ist e<strong>in</strong><br />

Grund dafür, dass Fußballspiele spannend s<strong>in</strong>d. In komplexen<br />

dynamischen Systemen steht die Kohärenz e<strong>in</strong>es Systems <strong>in</strong> enger


Das Attraktionspr<strong>in</strong>zip<br />

Verknüpfung mit der komplexen Attraktiva se<strong>in</strong>er Ganzheit. So<br />

kommt es zur Zielgerichtetheit <strong>in</strong> Prozessen lebender Systeme.<br />

Dann nimmt die metaphysische, komplexe Information e<strong>in</strong>e physische<br />

Gestalt an.<br />

Deshalb ist die Resonanz und Kommunikation der Teilsysteme –<br />

wie der Fußballspieler<strong>in</strong>nen bzw. der Zellen und Biomoleküle <strong>in</strong> der<br />

Haut – zugleich Ausdruck und Schöpfung der Kohärenz ihrer Übersysteme<br />

wie der Mannschaft bzw. dem Organismus – zugleich Wirkung<br />

und Grund.<br />

Diese beiden Aspekte, das Gewordene und das Werdende, f<strong>in</strong>den<br />

bei gesunder Entwicklung Beachtung. Gesundheitswissenschaften<br />

sollen diese explizieren: Bed<strong>in</strong>gungs-/Kausallogik und Heuris -<br />

tik/Analogik (s. Abschtitt 4). Für die Praxis – <strong>des</strong> Fußballspiels<br />

ebenso wie für Gesundheitsarbeit – bedeutet das, dass das kohärente<br />

und kreative Zusammenspiel geübt werden kann. Die Teil -<br />

systeme können, <strong>in</strong> Resonanz mit dem<br />

Aus Dase<strong>in</strong> und Se<strong>in</strong>-Wollen wird Werden.<br />

Ziel, ihre Fähigkeit zur Kooperation <strong>in</strong><br />

jeweils e<strong>in</strong>er Rolle tra<strong>in</strong>ieren. Für den Gesundheitsbereich können<br />

sich Gruppen zur gesunden Entwicklung bilden, die geme<strong>in</strong>sam für<br />

ihr Wohlbef<strong>in</strong>den üben. Dies kann <strong>in</strong> Selbsthilfegruppen zur gesunden<br />

Entwicklung praktiziert werden wie auch <strong>in</strong> moderierten Gruppen<br />

zur Rehabilitation sowie zur Prävention.<br />

Chaos als Übergang<br />

Heute bef<strong>in</strong>den wir uns nach Ansicht vieler reflektierender Menschen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em großen Übergang (»Great Transformation« [Polanyi<br />

1978; s. a. Bastian 2021]) mit täglichen chaotischen Aspekten, gesellschaftlich<br />

wie auch bio- und atmosphärisch. Es ist demnach e<strong>in</strong><br />

Übergang <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e bewusste globale Kohärenz – der Ganzheit der<br />

Menschheit und Biosphäre und deren Mitgestaltung. Diese vom<br />

Menschen wesentlich geprägte globale Umwelt f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> der<br />

Bezeichnung Anthropozän wieder – als verantwortungsvolle Aufgabe.<br />

Was können wir tun, wenn wir uns gefühlt oder reflektiert <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em solchen Übergang bef<strong>in</strong>den?<br />

107


Wie geht Gestaltbildung?<br />

Wenn wir unser Leben wie unsere Entwicklung über längere Zeit<br />

geradl<strong>in</strong>ig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Ordnung zw<strong>in</strong>gen wollten, würden wir nicht nur<br />

den Entwicklungsprozess stören und womöglich beh<strong>in</strong>dern, sondern<br />

paradoxerweise die Gefahr e<strong>in</strong>es Übergangs <strong>in</strong> e<strong>in</strong> größeres<br />

Chaos erhöhen. So ist die sog. Herzratenvariabilität e<strong>in</strong> guter Indikator<br />

für e<strong>in</strong>e gut funktionierende vegetative Regulation, während<br />

e<strong>in</strong> starrer Herzrhythmus oft e<strong>in</strong> Vorstadium e<strong>in</strong>er absoluten<br />

Arrhythmie ist. Sehr autoritär geführte Systeme kommen leichter<br />

und extremer <strong>in</strong>s Chaos als offenere. E<strong>in</strong>em starren lebenden System<br />

droht e<strong>in</strong> schnellerer Untergang im Chaos. Deshalb ist Komplexität<br />

der gefürchtete Dämon der Technik.<br />

Konsequenzen dieser Erkenntnis der Komplexitätsforschung<br />

s<strong>in</strong>d erstens Offenheit für die Wirksamkeit abstrakter Informationen,<br />

für Intuition und Inspiration aus übergeordneten Attraktiva,<br />

und zweitens Respekt vor und Vertrauen <strong>in</strong> die Eigendynamik der Entwicklung<br />

von K<strong>in</strong>dern und Menschen im Allgeme<strong>in</strong>en, selbst wenn<br />

sie noch so merkwürdige Wege gehen. »Man kann niemanden zu<br />

se<strong>in</strong>em Glück zw<strong>in</strong>gen«, weiß der Volksmund. Aufbauend <strong>in</strong>formierende<br />

Kommunikation zw<strong>in</strong>gt nicht, sie gewährt dem Empfänger<br />

die Freiheit, autonom zu resonieren. So können die Ergebnisse der<br />

Chaosforschung unseren Respekt vor der Autonomie je<strong>des</strong> Mitmenschen<br />

wissenschaftlich begründen. Die Autonomie entfaltet sich<br />

durch erfolgreiche Bedürfniskommunikation. Deshalb ist es angebracht,<br />

immer wieder nach se<strong>in</strong>en wichtigsten Wünschen, Anliegen,<br />

Stimmigkeit und Bedürfnissen zu fragen: »Was ist dir bedeutsam?«<br />

(s. Petzold, 2021).<br />

Wenn wir uns gleichzeitig <strong>in</strong>nerlich bewegen lassen und für orientierende<br />

Annäherungs- und Kohärenzziele (also für Informationen,<br />

die aus Attraktiva kommen) öffnen, haben wir e<strong>in</strong>e gute<br />

Chance, zu e<strong>in</strong>er <strong>neue</strong>n Stimmigkeit und Orientierung im Leben zu<br />

f<strong>in</strong>den.<br />

108


Das Attraktionspr<strong>in</strong>zip und die <strong>Dimension</strong>en der Zeit<br />

3.3 Attraktionspr<strong>in</strong>zip und die <strong>Dimension</strong>en<br />

der Zeit<br />

In unserem Alltagsbewusstse<strong>in</strong> teilen wir die Zeit e<strong>in</strong> <strong>in</strong> Vergan -<br />

genheit, Gegenwart und Zukunft. Davon ist die Gegenwart am kürzesten.<br />

Genau genommen gibt es sie gar nicht. Wie lange dauert die<br />

Gegenwart? In dem Moment, <strong>in</strong> dem wir beg<strong>in</strong>nen, über die Gegenwart<br />

nachzudenken, ist sie schon vorbei. Die Gegenwart kennt<br />

ke<strong>in</strong>e Dauer. Sie ist zeitlos. Sie ist unendlich kurz, so kurz, dass es<br />

sie als physikalische Zeit gar nicht gibt, sie gleich null ist. So erleben<br />

wir das Paradox, dass <strong>in</strong> der Gegenwart die Zeitlosigkeit, die Unendlichkeit,<br />

gegenwärtig ist. Wenn wir diese erkenntnistheoretische<br />

und philosophische Aussage e<strong>in</strong>mal als wirkliches Phänomen nehmen<br />

– d. h. wir nehmen an, dass es wirklich e<strong>in</strong>e Se<strong>in</strong>s-<strong>Dimension</strong><br />

der Zeitlosigkeit gibt, e<strong>in</strong>e Bewusst-se<strong>in</strong>s-<strong>Dimension</strong>, <strong>in</strong> der es<br />

ke<strong>in</strong>e messbare Zeitdauer gibt (wie bei der Quantenreaktion der<br />

Verschränkung), dann können wir gerade <strong>in</strong> der Gegenwärtigkeit,<br />

also <strong>in</strong> jedem Moment, e<strong>in</strong>e Brücke zu dieser <strong>Dimension</strong> f<strong>in</strong>den<br />

(s. Abb. 7). Das mag für manchen Leser recht philosophisch oder gar<br />

esoterisch abgehoben kl<strong>in</strong>gen. Wenn nicht Quantenphysiker die<br />

Die Informationssphäre <strong>in</strong> Bezug zur Zeit<br />

Zeitlosigkeit/Ewigkeit<br />

Möglichkeitsraum<br />

Naturgesetze<br />

Attraktiva<br />

Kohärenz<br />

Vergangenheit<br />

Zukunft<br />

Jetzt<br />

Gegenwart<br />

Resonanz<br />

Abbildung 7: Information und Zeit: Im zeitlosen Moment der Gegenwart können wir <strong>in</strong> Resonanz<br />

gehen mit Informationen aus dem zeitlosen Möglichkeitsraum, mit Attraktiva.<br />

109


Wie geht Gestaltbildung?<br />

110<br />

Möglichkeit e<strong>in</strong>er negativen Zeitrichtung e<strong>in</strong>räumten (Zeil<strong>in</strong>ger<br />

2001) und die oben genannten EPR-Experimente nicht die Gleichzeitigkeit<br />

verschränkter Elementarteilchenreaktionen bewiesen<br />

hätten, könnte man es als solches abtun. Aber die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit,<br />

dass diese philosophischen Überlegungen wissenschaftliche<br />

Erkenntnisse nach sich ziehen und Bestätigung schon gefunden<br />

haben und noch weitere f<strong>in</strong>den werden, ersche<strong>in</strong>t ziemlich groß.<br />

Auf jeden Fall geben die schon vorhandenen Erkenntnisse uns<br />

e<strong>in</strong>e Vorstellung von der Brücke <strong>des</strong> <strong>in</strong>dividuellen Wahrnehmens<br />

<strong>in</strong> der Gegenwart h<strong>in</strong> zur zeitlichen Nichtlokalität von Attraktiva.<br />

Diese bilden e<strong>in</strong>en Möglichkeitsraum für die Zukunft, e<strong>in</strong>e im<br />

Ursprung vollständig virtuelle Informationssphäre. In Relation dazu<br />

ersche<strong>in</strong>en das Internet und Bücher als reale Informationssphäre<br />

– möglicherweise als Brücken für uns zur vollständig virtuellen<br />

Informationssphäre. Über diese Brücken können gegenwärtige<br />

Attraktiva die Zukunft mitbestimmen. Sie geben den dynamischen<br />

Vorgängen auf der Erde e<strong>in</strong>e Richtung, ganz analog zu Regelgrößen<br />

<strong>in</strong> der Kybernetik.<br />

Attraktionspr<strong>in</strong>zip und Teleologie<br />

In der Philosophie und den exakten Wissenschaften wurde und<br />

wird immer wieder e<strong>in</strong>e teleologische Sichtweise diskutiert – oft<br />

antagonistisch. In Naturwissenschaften wird sie überwiegend abgelehnt<br />

und sogar diskrim<strong>in</strong>iert. In den Lebenswissenschaften wird<br />

sie zunehmend <strong>in</strong> Erwägung gezogen bzw. schon anerkannt. Dabei<br />

»Der Zug der Zukunft ersche<strong>in</strong>t stärker als<br />

der Schub der Vergangenheit.«<br />

Leonhard Euler (1707–1783)<br />

spielt e<strong>in</strong> unterschiedliches Verständnis<br />

<strong>des</strong> Begriffs Teleologie e<strong>in</strong>e erheb -<br />

liche Rolle. Teleologie bedeutet auf<br />

Zweck und/oder Ziel gerichtet. Unter Zweck verstehen wir etwas, das<br />

e<strong>in</strong>en festen, recht konkreten Bezug hat, nämlich e<strong>in</strong>en Zweck für<br />

irgendjemanden oder irgendetwas. Ziel kann alles Mögliche se<strong>in</strong>, es<br />

kann auch nur e<strong>in</strong> Verweis <strong>in</strong> die Zukunft se<strong>in</strong>, wie beispielsweise<br />

zu sagen: Das Ziel e<strong>in</strong>es jeden Lebens ist der Tod. Biolog<strong>in</strong>nen sehen<br />

<strong>des</strong>halb den Tod e<strong>in</strong>es Lebewesens als fixen, sogenannten Nullpunkt-Attraktor,<br />

der für alle gleichermaßen gilt. Es bekäme e<strong>in</strong>e


Das Attraktionspr<strong>in</strong>zip und die <strong>Dimension</strong>en der Zeit<br />

ganz andere Bedeutung zu sagen: Der Zweck e<strong>in</strong>es jeden Lebens ist<br />

der Tod. Den Zweck muss jemand bestimmen, er ist also vielmehr<br />

e<strong>in</strong>e subjektive Absicht mit relativ kurzfristigen Erfolgen. In der<br />

Teleologie-Diskussion wird er <strong>des</strong>halb auch gerne mit e<strong>in</strong>er sub -<br />

jektiven Intention zusammengebracht, wie z. B. bei der Zweckorientierung<br />

e<strong>in</strong>er Handlung. Für die Selbstregulation, zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t von<br />

Menschen, wird e<strong>in</strong>e teleologische Sicht heute weitgehend angenommen.<br />

Wenn wir bei dem Wort Ziel bleiben, kann das sehr viel weiter<br />

verstanden werden als Zweck. Dann können wir sagen: E<strong>in</strong>e Bewegung<br />

wie auch e<strong>in</strong>e Gestaltbildung kann e<strong>in</strong> Ziel verfolgen – auch<br />

wenn wir das Ziel nicht erkennen und gar ke<strong>in</strong>en Zweck oder S<strong>in</strong>n<br />

dar<strong>in</strong> sehen. Das Ziel e<strong>in</strong>er Gestaltbildung könnte se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e Gestalt<br />

<strong>in</strong> der Gestalt <strong>in</strong> der Gestalt … zu werden. E<strong>in</strong> Ziel könnte auch<br />

rückbezüglich se<strong>in</strong>: e<strong>in</strong>e Rückkehr zum Ursprung. Um dieses Missverständnis<br />

von konkretem Zweck und möglicherweise unbekanntem<br />

Ziel <strong>in</strong> der Diskussion um e<strong>in</strong>e teleologische Sichtweise<br />

zu umgehen bzw. die Sichtweise zu präzisieren, ersche<strong>in</strong>t es an -<br />

gebracht, von e<strong>in</strong>em Attraktionspr<strong>in</strong>zip zu sprechen, wenn wir<br />

beschreiben wollen, dass dynamische Vorgänge sich auf e<strong>in</strong>e At -<br />

traktiva, e<strong>in</strong> vorbestehen<strong>des</strong> Annäherungsziel h<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er möglichen<br />

Zukunft selbst organisieren. Das gilt besonders für Lebewesen.<br />

E<strong>in</strong>e Attraktiva kann sowohl völlig unbekannt im Verborgenen liegen<br />

als auch e<strong>in</strong> attraktives konkretes Ziel oder eigener Zweck se<strong>in</strong>.<br />

E<strong>in</strong>e Attraktiva ist e<strong>in</strong>e hypothetisch angenommene, mehr oder<br />

weniger komplexe Information im Möglichkeitsraum, der sich e<strong>in</strong><br />

dynamisches System annähert – ggf. chaotisch und nicht vorhersehbar,<br />

ggf. auch direkt ausgerichtet. Das Verhalten <strong>des</strong> Systems<br />

geschieht also <strong>in</strong> Resonanz auf die Information e<strong>in</strong>er möglicherweise nichtlokalen<br />

Attraktiva.<br />

Mit der Erkenntnis der Möglichkeit der Nichtlokalität lösen wir<br />

auch den Disput um die Teleologie seit Anaxagoras, Heraklit, Platon<br />

und Aristoteles, ob es sich um e<strong>in</strong>e transzendente oder immanente<br />

Zielbestimmung handele. Diesen Widerspruch können wir heute<br />

auflösen, <strong>in</strong>dem wir die Beziehung zwischen Innen und Außen,<br />

111


Wie geht Gestaltbildung?<br />

112<br />

zwischen transzendent und immanent wie zwischen kle<strong>in</strong>em und<br />

großem Ganzen als Resonanz von Systemen verstehen. Dabei kann<br />

e<strong>in</strong>e attraktive Ziel<strong>in</strong>formation womöglich auch nichtlokal se<strong>in</strong>.<br />

Über Resonanz können wir mit allem verbunden und gleichzeitig<br />

autonom se<strong>in</strong>. Die Information kann <strong>in</strong> allem vorhanden se<strong>in</strong>.<br />

Mit der Benennung e<strong>in</strong>es solchen Attraktionspr<strong>in</strong>zips möchte ich<br />

e<strong>in</strong>e teleologische Sichtweise von unterschiedlichen subjektivistischen<br />

Deutungen befreien und sie erweitern und präzisieren für<br />

lebenswissenschaftliche Bereiche. Mit Attraktionspr<strong>in</strong>zip ist ausdrücklich<br />

nicht geme<strong>in</strong>t, dass wir Menschen immer den Zweck oder<br />

das Ziel erkennen können, und schon gar nicht, dass wir dieses<br />

immer selbst bestimmen können – erst recht nicht für die Evolution.<br />

Wohl aber, dass alle selbstorganisierenden Vorgänge sich letztlich<br />

ihren Attraktiva annähern – auch wenn diese nicht bewusst<br />

oder nicht zu messen s<strong>in</strong>d.<br />

Aus diesem Verständnis der Selbstorganisation wird dann allerd<strong>in</strong>gs<br />

die letztendlich bestimmende Rolle <strong>des</strong> Subjekts deutlich. Das<br />

Subjekt kann und muss immer wieder mit se<strong>in</strong>en Attraktiva <strong>in</strong><br />

Resonanz gehen. Jeder Mensch macht dies implizit ständig und ab<br />

und zu auch bewusst. Auch Kollektive wie Familien, Geme<strong>in</strong>schaften<br />

und Gesellschaften agieren als Metasubjekte <strong>in</strong> Resonanz zu<br />

ihren Attraktiva. Wenn das nicht mehr funktionierte, würden die<br />

Menschen aufhören zu leben und sich zu entwickeln. Diese Resonanzfähigkeit<br />

können und sollen wir kultivieren. Möglichkeiten<br />

dazu s<strong>in</strong>d u. a. Achtsamkeit, Meditation und Reflexion – heute<br />

besonders auch geme<strong>in</strong>sam (s. a. Salutogenese Symposium 2019 <strong>in</strong><br />

Der Mensch, Heft 58, 2019).<br />

Wenn wir beg<strong>in</strong>nen, unser eigenes Handeln, Fühlen, Kommunizieren<br />

und Denken zu reflektieren, können wir die enge Begrenztheit<br />

der klassischen materialistischen Kausallogik erkennen und<br />

unsere Logiken erweitern (Abschnitt 4).<br />

Das beg<strong>in</strong>nt schon beim Reflektieren so e<strong>in</strong>facher technischer<br />

Regelsysteme wie e<strong>in</strong>er Heizung. Die von uns je nach Wärmebedarf<br />

am Thermostat e<strong>in</strong>es Heizkreislaufs e<strong>in</strong>gestellte Temperatur – e<strong>in</strong>e<br />

Informierung <strong>in</strong> Analogie zu unserem Wohlbef<strong>in</strong>den – veranlasst


Attraktionspr<strong>in</strong>zip und die <strong>Dimension</strong>en der Zeit<br />

die Funktion <strong>des</strong> Heizungssystems und wird zur maßgeblichen Größe<br />

für se<strong>in</strong>e l<strong>in</strong>eare Steuerung. Diese erfolgt dann nach kausallogischen<br />

Regeln. Nachdem unsere Ziel<strong>in</strong>formation von außen (durch<br />

das übergeordnete System Mensch) e<strong>in</strong>gegeben wurde, ist sie dem<br />

System immanent.<br />

In der Temperaturregulation unseres Körpers ist es e<strong>in</strong> im Tagesverlauf<br />

variabler attraktiver Sollwert der Temperatur, dem viele Körperfunktionen<br />

dienen. Wann und wo diese Attraktiva während der<br />

Evolution <strong>in</strong> den Organismus übernommen wurde und <strong>in</strong> welchem<br />

Zusammenhang dies mit dem Biotop stand, <strong>in</strong> dem unsere Vorgänger<strong>in</strong>nen<br />

damals lebten, wollen wir hier nicht weiter verfolgen. In<br />

gewissen Grenzen können wir mithilfe unserer Imag<strong>in</strong>ation diesen<br />

Sollwert verändern (s. Autogenes Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, Meditation u. a.).<br />

Bei e<strong>in</strong>er systemischen Betrachtungsweise von Lebewesen er -<br />

sche<strong>in</strong>t es so, dass Informationen der Attraktiva nicht nur aus der<br />

eigenen Ganzheit, sondern auch aus e<strong>in</strong>em übergeordneten System<br />

herrühren, aus der attraktiven und <strong>in</strong>formierenden Kohärenz von<br />

Übersystemen. Das stimmt mit der biologischen These adaptiver<br />

lebender Systeme übere<strong>in</strong>, die sich ihrem Übersystem anpassen<br />

wollen.<br />

Evolutionärer Überlebenskampf und e<strong>in</strong>e Beschleunigung<br />

<strong>des</strong> Lebens?<br />

Immer wieder führen Protagonist<strong>in</strong>nen der Wettbewerbsideologie<br />

zur Legitimation e<strong>in</strong>en angeblich evolutionären Kampf ums Überleben<br />

als natürliche Grundlage für die Richtigkeit vernichtender<br />

ökonomischer Konkurrenzkämpfe <strong>in</strong>s Feld – oft implizit mit e<strong>in</strong>em<br />

Verweis auf das angeblich <strong>in</strong>dividuelle Selektionspr<strong>in</strong>zip der Evolution.<br />

Es gibt allerd<strong>in</strong>gs auch e<strong>in</strong>en anderen, e<strong>in</strong>en förderlichen Wettbewerb,<br />

der die Entfaltung von Fähigkeiten und das Geschäft belebt.<br />

Das ist eigentlich der normale Wettbewerb und sollte nicht mit e<strong>in</strong>er<br />

Selektion <strong>in</strong> Zusammenhang der Evolution gebracht werden.<br />

Im Kampf ums Überleben ist das neuropsychische Abwendungssystem,<br />

unser Stressmodus, angeschaltet. Dies treibt uns an, mögliche<br />

Bedrohungen möglichst schnell abzuwenden. Wenn Wettbe-<br />

113


Wie geht Gestaltbildung?<br />

114<br />

werb existentiell gesehen wird wie <strong>in</strong> der Evolution oder wie bei<br />

Cowboys, wenn sie sich um e<strong>in</strong>e Frau duelliert haben oder <strong>in</strong> der<br />

heutigen kapitalistischen Konkurrenz auf dem Markt, dann geht es<br />

ums Überleben. In e<strong>in</strong>em nicht aufhörenden Wettbewerb ums Überleben<br />

entfaltet sich e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nerlich getriebene Notwendigkeit, immer<br />

schneller zu reagieren – im Glauben, dass damit die Chancen auf<br />

e<strong>in</strong> Überleben steigen würden. Wohl gemerkt: Diese Dynamik entsteht<br />

aus der psychophysischen Selbstregulation, wenn wir glauben,<br />

dass wir nur dann zur menschlichen Zukunft dazugehören,<br />

also nicht evolutionär selektiert werden, wenn wir die Bedrohung<br />

durch Konkurrent<strong>in</strong>nen abwenden. So formuliert »Ray Kurzweil, der<br />

Director of Eng<strong>in</strong>eer<strong>in</strong>g bei Google und wohl der weltweit führende<br />

Futurist« es als »Tatsache […], dass sich die Geschw<strong>in</strong>digkeit der Veränderung<br />

selbst beschleunigt«. (Simmons 2021).<br />

Viele Menschen <strong>in</strong>terpretieren äußere Vorgänge auf dem unbewussten<br />

H<strong>in</strong>tergrund ihrer psychophysischen E<strong>in</strong>stellung, <strong>in</strong> der sie<br />

die Situation erlebt und mitgestaltet haben. Der motivationale<br />

Modus ist ausschlaggebend für die E<strong>in</strong>stellung <strong>des</strong> Stoffwechsels,<br />

Das Subjekt – auch Metasubjekt – mit<br />

se<strong>in</strong>er Resonanzfähigkeit ist der Moter der<br />

Evolution.<br />

<strong>des</strong> Wahrnehmens und Fühlens sowie<br />

<strong>des</strong> <strong>Denkens</strong>. Das führt auch dazu,<br />

dass anderen Menschen im ähnlichen<br />

motivationalen Modus diese Interpretationen plausibel und logisch<br />

ersche<strong>in</strong>en. So schreibt auch Matt Ridley »In der Geschichte und <strong>in</strong> der<br />

Evolution ist Fortschritt immer e<strong>in</strong> vergeblicher, sisyphusartiger Kampf,<br />

um an der gleichen relativen Stelle zu bleiben, <strong>in</strong>dem man immer besser<br />

<strong>in</strong> den D<strong>in</strong>gen wird«. (Matt Ridley, zit. n. Simmons 2021).<br />

Im Abwendungsmodus sche<strong>in</strong>t besonders unser materialistisch,<br />

analytisch, kausales Denken (häufig als »rational« bezeichnet)<br />

gefordert zu se<strong>in</strong>. Denn dieses kann uns helfen, Sicherheit herzustellen,<br />

wenn wir e<strong>in</strong>e Gefahr zunächst nur wittern, wie es metaphorisch<br />

heißt. Wir müssen dann möglichst genau sehen, was und<br />

wo die Gefahr ist, und womöglich noch, wo ihr Ursprung ist. Die<br />

materialistische Sicht auf Bedrohungen hat sich wohl dort entfaltet,<br />

wo man erkennen musste, dass gar ke<strong>in</strong>e reale Gefahr bestand,<br />

die man abwenden konnte, obwohl Menschen e<strong>in</strong>e gewittert hat-


Attraktionspr<strong>in</strong>zip und die <strong>Dimension</strong>en der Zeit<br />

ten. Dann war die Rede von »Täuschung« und »E<strong>in</strong>bildung«, heute<br />

von psychopathologischen Diagnosen wie Angst- und Panikzuständen<br />

o. Ä. Das mag e<strong>in</strong> Grund gewesen se<strong>in</strong>, dass sich das materialistisch<br />

kausale Denken so verbreiten konnte. Damit haben wir<br />

bedrohliche Umstände realer wahrgenommen und konnten diese<br />

besser abwenden. Was dabei häufiger auf der Strecke geblieben ist,<br />

ist die Wahrnehmung und Anerkennung der subjektiven und zwischenmenschlichen<br />

Wirklichkeiten – die eben schnell <strong>in</strong> die Schublade<br />

»E<strong>in</strong>bildung« gesteckt wurden. Nur das Messbare war wahr.<br />

So haben verantwortliche Menschen wie auch Naturwissenschaftler<strong>in</strong>nen<br />

lange Zeit verdrängt, dass zivilisierte Völker sich<br />

e<strong>in</strong>e teilweise bedrohliche kulturelle Umwelt und ökonomische<br />

Regeln hergestellt haben und natürliche Umwelten zerstört haben.<br />

Damit s<strong>in</strong>d die Menschen selbst zur Bedrohung Nummer e<strong>in</strong>s der<br />

Menschen geworden. Dazu gehört das, was allgeme<strong>in</strong> als<br />

»Beschleunigung« bezeichnet wird<br />

(Rosa 2016). Durch die <strong>in</strong> die Irre leitende<br />

Konstruktion e<strong>in</strong>es evolutionären<br />

Kampfes ums Überleben wurde der<br />

Abwendungsmodus künstlich getriggert und fixiert. Dies führt auf<br />

Dauer zu Stresserkrankungen, letztlich zum schnelleren Ableben –<br />

sozusagen zur Selbstselektion. Um der Evolution mit uns heutigen<br />

Menschen wieder e<strong>in</strong>e Chance zu geben, müssten wir <strong>in</strong> den Kohärenzmodus<br />

umschalten, <strong>in</strong> dem wir <strong>in</strong> Ruhe und Gelassenheit<br />

unsere Umwelten wahrnehmen und verstehen und uns <strong>in</strong> stimmiger<br />

Verbundenheit <strong>in</strong> ihr bewegen. Dann kommen wir <strong>in</strong> die Lage<br />

fair und kokreativ zu kooperieren. Kooperation ist das wirklich evolutionäre<br />

Pr<strong>in</strong>zip zur Entfaltung von mehr Komplexität.<br />

Wir haben uns e<strong>in</strong>e Kultur erschaffen,<br />

die immer schneller tickt, weil wir aus<br />

dem angstgesteuerten Überlebensmodus<br />

<strong>in</strong>terpretiert und agiert haben.<br />

Motivationale E<strong>in</strong>stellungen zum Lösen von Problemen<br />

Bei der Interpretation der darw<strong>in</strong>schen Forschung zur Evolution ist<br />

es angebracht, die Denkweise und motivationale E<strong>in</strong>stellung <strong>in</strong><br />

Betracht zu ziehen. Wenn wir e<strong>in</strong>e Ursache für die Evolution materialistisch,<br />

analytisch im kle<strong>in</strong>sten Teil suchen, im Individuum bzw.<br />

den Genomen, kommen wir leicht zu der Deutung, dass diese im<br />

115


Wie geht Gestaltbildung?<br />

116<br />

Kampf ums Überleben für die Evolution entscheidend waren.<br />

Daraus folgert der kausallogische Schluss: Wenn wir weiter evolutionär<br />

überleben wollen, müssen wir diese genetisch wirksamen<br />

Moleküle verändern. Wir müssen durch Zucht oder Genmanipulation<br />

e<strong>in</strong>en besseren Menschen modellieren, die Evolution künstlich<br />

Das Subjekt – auch Metasubjekt – mit<br />

se<strong>in</strong>er Resonanzfähigkeit ist der Motor<br />

der Evolution.<br />

voranbr<strong>in</strong>gen und ge stalten. Das be -<br />

g<strong>in</strong>nt da mit, dass wir Menschen durch<br />

Genmanipulation re silienter gegen<br />

Keime und andere Krankheiten machen wollen, und damit fitter<br />

für den Krieg ums Überleben – im endlosen, sich ständig beschleunigenden<br />

Kampf.<br />

Der Kampf ums Überleben kann wohl erklären, dass manche<br />

Lebewesen nicht mehr an der Evolution teilnehmen, jedoch nicht<br />

erklären, wie sich immer komplexere Lebewesen entwickeln. Die<br />

allerersten Lebewesen, Bakterien und Algen haben bis heute überlebt.<br />

Das Überleben-wollen stellt ke<strong>in</strong>en Anlass oder Grund für Evolution<br />

dar.<br />

Durch die Erfahrungen im Nationalsozialismus s<strong>in</strong>d wir <strong>in</strong><br />

Deutschland mit sozial-darw<strong>in</strong>istischen Interpretationen etwas<br />

zurückhaltender als Amerikaner<strong>in</strong>nen. Adolf Hitler hatte den Darw<strong>in</strong>ismus<br />

als biologistisch moralische Begründung für den Holocaust<br />

und den 2. Weltkrieg genommen: Wenn die arische Rasse die<br />

fortschrittlichste sei, dann hätten sie nicht nur das Recht, sondern<br />

auch die Pflicht, im evolutionären Überlebenskampf andere Völker<br />

wie auch erbkranke Menschen zu töten oder auszubeuten. Diese<br />

Denkart ist ebenso wie die Genmanipulation e<strong>in</strong>e konsequente<br />

Fortführung der materialistisch, analytisch, kausallogischen Interpretation<br />

darw<strong>in</strong>scher Beobachtungen zur Evolution.<br />

In e<strong>in</strong>er anderen, aber im Grunde ähnlichen Art und Weise, f<strong>in</strong>den<br />

wir diese Sicht heute im wettbewerbsorientierten Denken vieler<br />

Agenten <strong>des</strong> Kapitals als e<strong>in</strong>e verme<strong>in</strong>tlich evolutionär begründete<br />

und <strong>des</strong>halb unausweichliche Haltung. Wenn man den Wettbewerb<br />

nicht mitspielte, gehörte man von vornhere<strong>in</strong> zu den<br />

Loosern der Evolution. Allerd<strong>in</strong>gs geht man e<strong>in</strong> hohes gesundheitliches<br />

Risiko e<strong>in</strong>, wenn man sich diesem Wettbewerb und damit


Attraktionspr<strong>in</strong>zip und die <strong>Dimension</strong>en der Zeit<br />

der Beschleunigung aussetzt: Angstzustände, Bluthochdruck, Herz<strong>in</strong>farkt<br />

u. a.m. (vgl. a. Simmons 2021; Schwab 2020.; Moody‘s Analytics<br />

2019). Ist vielleicht damit schon implizit e<strong>in</strong>e Antwort auf<br />

die Frage nach dem, was im E<strong>in</strong>klang mit der Evoluton sei, gegeben?<br />

Anstatt aber <strong>des</strong>halb diese kulturelle Entwicklung und spezielle<br />

Deutung der evolutionären Dynamiken kritisch zu h<strong>in</strong>terfragen,<br />

werden Lösungen positivistisch im technischen und digitalen Fortschritt<br />

gesucht, jenseits <strong>des</strong> aus ihrer Sicht unvollkommenen<br />

Lebens. Soll damit der Teufel der evolutionären Überlebensbedrohung<br />

durch den Beelzebub <strong>des</strong> »megatechnischen Dämons« mit<br />

Beschleunigung, hausgemachten Zivilisationskrankheiten und<br />

Umweltzerstörung ausgetrieben werden?<br />

»Mit anderen Worten: Die Evolution ist e<strong>in</strong> zweischneidiges Schwert. Auf<br />

der e<strong>in</strong>en Seite erhöhen Innovationen das Überleben. Auf der anderen Seite<br />

erhöhen sie auch den Wettbewerb, was das Überleben verr<strong>in</strong>gert.« Michael<br />

Simmons (2021), der zitierte, preisgekrönte Autor, zeigt hier die<br />

Widersprüchlichkeit <strong>des</strong> analytisch kausallogischen Denkmusters,<br />

wenn die Evolution durch Wettbewerb zustande kommen soll und<br />

gleichzeitig gesundheitsschädlich ist. Für ihn ersche<strong>in</strong>t die Möglichkeit<br />

nicht denkbar, dass es sich bei diesen technischen Fortschritten<br />

um e<strong>in</strong>en Irrweg aus der Evolution handeln könnte. E<strong>in</strong> Irrweg, der<br />

aufgrund se<strong>in</strong>er lebensfe<strong>in</strong>dlichen Nebenwirkungen wie auch Denkweisen<br />

jetzt kurz davor steht, <strong>in</strong>s Chaos überzugehen, weil er <strong>in</strong> dieser<br />

Weise antievolutionär ist. Diese Metaperspektive ist <strong>in</strong>nerhalb<br />

der kurzfristig ökonomisch so erfolgreichen technischen Evolutionsblase<br />

im Abwendungsmodus ansche<strong>in</strong>end nicht denkbar.<br />

Das hier zitierte Denken von Kurzweil, Simmons und Ridley ist<br />

Teil <strong>des</strong> kulturellen Problems, <strong>des</strong> <strong>Denkens</strong> und Agierens sowie<br />

auch Reflektierens im Abwendungsmodus. Es kommt zu e<strong>in</strong>er<br />

Rechtfertigung se<strong>in</strong>er selbst durch die kurzfristigen Erfolge der<br />

Technik und Ökonomie – ungeachtet aller Zerstörungen natürlicher<br />

Um- und Innenwelten mit katastrophalen langfristigen Auswirkungen.<br />

Wenn wir uns nicht selbstmörderisch aus dem Fortgang der<br />

Evolution selektieren wollen, müssen wir aussteigen aus dieser<br />

117


Wie geht Gestaltbildung?<br />

Abwendungsdynamik und das mitgestaltende Subjekt tiefergehend<br />

reflektieren. Dann können wir die verschiedenen motivationalen<br />

neuropsychischen E<strong>in</strong>stellungen mit ihren charakteristischen Stoffwechsel-,<br />

Fühl- und Denkmustern und ihre S<strong>in</strong>nhaftigkeit <strong>in</strong> unterschiedlichen<br />

Weltbeziehungen erkennen. Aus dieser Metareflexion<br />

unserer Selbst, können wir dann womöglich evolutionär mit unseren<br />

Umwelten stimmige Wege der Entwicklung f<strong>in</strong>den.<br />

Diese können wir erkennen, wenn wir unser Denken reflektieren<br />

und am besten die Attraktionslogik als grundlegend für das<br />

Leben e<strong>in</strong>beziehen.<br />

Wenn wir von e<strong>in</strong>er Evolution <strong>des</strong> <strong>Denkens</strong> ausgehen, könnten wir<br />

diese nicht daran festmachen, dass sie kurzfristig erfolgreich also<br />

aktuell ökonomisch am fittesten ist, sondern daran, ob sie komplexer<br />

ist als bisheriges Denken. Der aktuelle Umstand, dass digitale<br />

Medien und KI sich <strong>in</strong> vielen Gesellschaftsbereichen, besonders <strong>in</strong><br />

vielen Unternehmen durchsetzen, lässt ke<strong>in</strong>en Schluss darauf zu,<br />

dass dieses Denken evolutiv ist.<br />

Im Gegenteil, Denken wird komplexer, wenn es <strong>in</strong>tegrierend ist,<br />

wenn es aus These und Antithese e<strong>in</strong>e Synthese bildet, wenn es<br />

nicht bei entweder 0 oder 1 (digital) stehen bleibt, sondern sowohl<br />

0 als auch 1 <strong>in</strong> verschiedenen Zusammenhängen denken kann,<br />

die auf <strong>neue</strong>, übergeordnete Qualitäten weisen. 0 und 1 haben e<strong>in</strong>e<br />

Bedeutung <strong>in</strong> ihrer Unterschiedlichkeit und Ausschließlichkeit.<br />

Ist digitales Denken komplexer als das von<br />

Platon? Oder differenzierter und komplizierter?<br />

Damit ist e<strong>in</strong> Beziehungsmuster von<br />

entweder-oder verknüpft. Das Beziehungsmuster<br />

von sowohl-als-auch<br />

wird ausgeschlossen. Wenn wir 1 und 0 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andere Beziehung<br />

mite<strong>in</strong>ander setzen, sie z. B. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er 10 zusammenfügen, bekommen<br />

sie e<strong>in</strong>e andere Bedeutung und gehören zusammen. Mit dem<br />

Blick auf die Beziehungsmuster ziehen wir e<strong>in</strong>e erweiterte <strong>Dimension</strong><br />

<strong>in</strong> Be tracht. E<strong>in</strong>e solche Erweiterung <strong>des</strong> Denkraumes <strong>in</strong> Richtung<br />

Komplexität ist analog der Erweiterung <strong>des</strong> Raumes reeller<br />

Zahlen durch komplexe Zahlen <strong>in</strong> der Mathematik.<br />

118


Schöpferische Selbstorganisation<br />

3.4 Schöpferische Selbstorganisation<br />

Mit dem Gleichnis der von selbst wachsenden Saat (s. Zitat am<br />

Anfang dieses Abschnitts) hat schon der Apostel Markus vor 2000<br />

Jahren im Neuen Testament das Pr<strong>in</strong>zip der Schöpfung durch In -<br />

formation als Selbstorganisation beschrieben. So gesehen ist die<br />

moderne, kybernetische, systemische Betrachtungsweise lebendiger<br />

Prozesse als Selbstorganisation gar nicht so neu. Allerd<strong>in</strong>gs können<br />

wir heute diesen Vorgang differenzierter verstehen, beschreiben<br />

und <strong>in</strong> unserer Kommunikation bewusst praktizieren. Wir<br />

brauchen dazu auch nicht mehr das Konstrukt »Reich Gottes«.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs ist an dieser Stelle immer e<strong>in</strong>e Offenheit angebracht für<br />

e<strong>in</strong> großes Ganzes <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er systemischen Weltsicht, die e<strong>in</strong>e holarchische<br />

Ordnung von kle<strong>in</strong>en Ganzen <strong>in</strong> größeren Ganzen sieht.<br />

Heute blicken wir wieder auf die Selbstorganisation <strong>in</strong> der Natur<br />

– allerd<strong>in</strong>gs mit e<strong>in</strong>em anderen Blick. Wir haben als begrifflichen<br />

Bezugsrahmen nicht mehr das »Reich Gottes«, sondern je nach Wissenschaftszweig<br />

und Schule e<strong>in</strong>en mathematischen von Funktionen<br />

und Algorithmen, e<strong>in</strong>en synergetischen »Ordner«, e<strong>in</strong>en ökologischen<br />

wie Natur, Umwelt oder Biosphäre, e<strong>in</strong>en soziologischen<br />

wie Gesellschaft oder Kultur oder e<strong>in</strong>en systemischen wie Organisation<br />

oder Übersystem – letztlich e<strong>in</strong> ganz<br />

großes Ganzes. Je nach Bezugsrahmen<br />

versuchen wir, die Beziehungen zwischen<br />

den an der Selbstorganisation<br />

beteiligten Systemen mit mathematischen<br />

Formeln oder jeweils anderen Begriffen zu beschreiben. So<br />

kommt es zu sehr unterschiedlichen Term<strong>in</strong>i und Modellen mit<br />

unterschiedlichen Aspekten der Selbstorganisation. Die Selbstorganisation<br />

und -regulation ist wie e<strong>in</strong> Diamant: Man sieht sie immer<br />

nur von e<strong>in</strong>er Seite. Unterschiedliche Perspektiven vervollständigen<br />

das Bild.<br />

Die Wahrheit hat (m<strong>in</strong><strong>des</strong>tens) drei Aspek te:<br />

1. Was der e<strong>in</strong>e sieht, 2. Was der andere sieht<br />

und 3. Was (noch) ke<strong>in</strong>er sieht.<br />

(<strong>in</strong> Anlehnung an e<strong>in</strong> ch<strong>in</strong>esisches<br />

Sprichwort)<br />

Bei der Betrachtung <strong>des</strong> Menschen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en mehrdimensionalen<br />

Umwelten (s. a. Abb. 1 S. 45) habe ich angesichts der unendlichen<br />

Komplexität <strong>des</strong> Lebens nicht den Anspruch auf Berechenbarkeit.<br />

119


Wie geht Gestaltbildung?<br />

120<br />

E<strong>in</strong> Glaube an Berechenbarkeit widerspricht auch dem Gödel-Theorem.<br />

Im Gegenteil: Ich halte e<strong>in</strong>en Glauben, dass sich menschliches<br />

Leben mathematisch und technisch ersetzen oder vervollkommnen<br />

lasse, für e<strong>in</strong>en antievolutionären und lebensfe<strong>in</strong>dlichen Glauben,<br />

weil er uns wegführt von uns selbst, unserem Leben, unserer<br />

gesunden Entwicklung und unserer Verantwortung. Allerd<strong>in</strong>gs lässt<br />

sich unser Leben durch Natur- und andere Wissenschaften und<br />

Technik ansche<strong>in</strong>end gut unterstützen und erweitern.<br />

Für die Selbstorganisation braucht es e<strong>in</strong> offenes Modell. Das hier<br />

skizzierte Modell der menschlichen Selbst- und Kohärenzregulation<br />

ist offen <strong>in</strong> mehrere Richtungen: nach <strong>in</strong>nen und außen, <strong>in</strong> der<br />

Mitte für Attraktiva auch aus dem Möglichkeitsraum und Bedürfnisse<br />

und <strong>in</strong> der Peripherie zur Umgebung, zu Mitsystemen. Dabei<br />

soll die Beobachterperspektive mit e<strong>in</strong>er differenzierten Selbstwahrnehmung<br />

zusammenpassen.<br />

Dieses Metamodell der kommunikativen und kooperativen Kohärenzregulation<br />

skizziert, wie e<strong>in</strong> Mensch sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en mehrdimensionalen<br />

Weltbeziehungen organisiert und reguliert. Es ist auch<br />

hilfreich zum Verständnis der komplexen Interaktion zwischen<br />

Menschen.<br />

Was ist das Selbst <strong>in</strong> der Selbstorganisation?<br />

Aus welchen komplexen Informationen wurde der Mensch geschaffen?<br />

Wie entstehen die Kohärenz <strong>des</strong> Systems und se<strong>in</strong>e Ganzheit?<br />

In der Synergetik von Hermann Haken s<strong>in</strong>d es »Ordner«, <strong>in</strong><br />

der Bibel ist es »Gott«, für manche Psycholog<strong>in</strong>nen die Seele, für<br />

Ist das Selbst die Information der komple -<br />

xen Ganzheit?<br />

viele Evolutionsbiolog<strong>in</strong>nen ist es der<br />

»Zufall«, für Sheldrake e<strong>in</strong> »morphogenetisches<br />

Feld«. In Bezug auf e<strong>in</strong>zelne Lebewesen ist es für viele<br />

Biolog<strong>in</strong>nen und Mediz<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen das Genom. So haben Menschen<br />

unterschiedliche Bezeichnungen für dasselbe Phänomen – je nach<br />

Glaubens- bzw. Wissenschaftsrichtung. Durch die Epigenetik s<strong>in</strong>d<br />

<strong>in</strong> den letzten 15 Jahren allerd<strong>in</strong>gs nicht nur Zweifel am alle<strong>in</strong>igen<br />

Zufallspr<strong>in</strong>zip genetischer Mutationsentwicklung, sondern H<strong>in</strong>weise<br />

auf größere Beziehungszusammenhänge deutlich geworden,


Schöpferische Selbstorganisation<br />

die maßgeblich auch für die Evolution der <strong>in</strong> den Genen gespeicherten<br />

Informationen se<strong>in</strong> könnten.<br />

S<strong>in</strong>d diese Informationen Teile e<strong>in</strong>er größeren, komplexeren<br />

Information <strong>des</strong> ganzen Lebewesens? Oder womöglich kondensierte<br />

Informationen aus e<strong>in</strong>er nichtlokalen Informationswelt<br />

(e<strong>in</strong>er »unsterblichen Seele« oder e<strong>in</strong>er »geistigen Welt«)? Oder<br />

e<strong>in</strong>er »impliziten Ordnung« (Bohm 1990) oder e<strong>in</strong>er Kohärenz größerer<br />

Übersysteme (s. Holarchie)? Werden »die Teile vom Ganzen<br />

beherrscht« (Bertalanffy 1990)?<br />

Wir können hier die e<strong>in</strong>zelnen Möglichkeiten und Theorien nicht<br />

erschöpfend diskutieren. Wichtig ist jedoch, dass die Informationen,<br />

die die Selbstorganisation <strong>des</strong> Menschen veranlassen, komplexer<br />

und abstrakter Natur s<strong>in</strong>d und mehr als die Summe der <strong>in</strong> den<br />

Genen gespeicherten Informationen. Mit diesen können sie <strong>in</strong> Wechselbeziehung<br />

se<strong>in</strong>.<br />

Aus dem bisher Gesagten folgert, dass sich das Streben e<strong>in</strong>es<br />

Lebewesens als e<strong>in</strong>e dauerhafte, teilweise auch chaotische Annäherung<br />

an se<strong>in</strong>e Attraktiva verstehen lässt. Die übergeordnete<br />

Attraktiva ist Stimmigkeit <strong>in</strong>nen und außen.<br />

E<strong>in</strong> Modell kommunikativer Selbstorganisation und<br />

Kohärenzregulation<br />

In systemtherapeutischen und anderen systemisch denkenden<br />

Kreisen wird gerne von »operativ geschlossenen« Systemen (Luhmann<br />

1987), von »Autopoiesis« (Maturana) und »Selbstrefentialität«<br />

gesprochen, um die Eigengesetzlichkeit<br />

und Rekursivität der systemischen<br />

Regulation zu betonen. Bei manchen<br />

Menschen ist dadurch e<strong>in</strong> Missverständnis<br />

entstanden, nämlich dass<br />

diese Systeme alles nur aus sich he -<br />

»Konsistenzregulation f<strong>in</strong>det ganz über -<br />

wiegend unbewusst statt und durchzieht<br />

so sehr das ganze psychische Geschehen,<br />

dass es angemessen ersche<strong>in</strong>t, von e<strong>in</strong>em<br />

obersten oder pervasiven Regulationspr<strong>in</strong>zip<br />

im psychischen Geschehen zu sprechen.«<br />

Klaus Grawe (2004, S. 190–191)<br />

raus machen, dass sie also ausschließlich selbstreferentiell funktionieren.<br />

Manche Therapeut<strong>in</strong>nen sagen <strong>des</strong>halb ihren Klient<strong>in</strong>nen:<br />

»Du brauchst dich nur selbst zu lieben!« Das passt zu e<strong>in</strong>er<br />

weitverbreiteten <strong>in</strong>dividualistischen und auch narzisstischen Hal-<br />

121


Wie geht Gestaltbildung?<br />

tung und Denkweise, kann freilich bei e<strong>in</strong>em systemischen Denken<br />

<strong>in</strong> Zusammenhängen nicht ge me<strong>in</strong>t se<strong>in</strong>. Ähnliche Missverständnisse<br />

gibt es immer wieder, wenn wir von autonomer (= eigengesetzlicher)<br />

Selbstregulation reden. Deshalb s<strong>in</strong>d wir heute dazu<br />

gekommen, von kommunikativer und kooperativer Selbstregulation<br />

zu sprechen. Mit dem Begriff der Selbstregulation ist schon ausreichend<br />

die Autonomie, Autopoiesis sowie Selbstreferentialität ausgedrückt.<br />

Uns ersche<strong>in</strong>t es nun wichtiger klarzustellen, dass diese<br />

Selbstregulation nicht durch den Blick <strong>in</strong> den Spiegel (= Selbstbezogenheit)<br />

erfolgt, sondern durch Kommunikation mit der Umwelt,<br />

e<strong>in</strong>schließlich der Mitmenschen und anderen Systemen. 26<br />

Das Leben dreht sich um Attraktiva<br />

Wir können Selbstregulation nicht ohne Ziele denken. Es geht<br />

bei e<strong>in</strong>er Zielgerichtetheit von systemischen Prozessen nicht um<br />

e<strong>in</strong>e egoistische oder mystische Zweckmäßigkeit und ebenso wenig<br />

um immer vom Menschen erkennbare Zwecke. Es geht eher im<br />

aristotelischen S<strong>in</strong>n der Entelechie um die e<strong>in</strong>em dynamischen<br />

System immanenten Ziele bzw. die <strong>in</strong>nere Resonanz auf nichtlo -<br />

kale attraktive Informationen. Wir erleben diese subjektiv als<br />

Ideal, S<strong>in</strong>n, Vision, Bedürfnis, Vorstellung, Anliegen, Wunsch, Ziel,<br />

Traum o. Ä.<br />

Grafisch skizzieren wir die Selbstregulation sehr vere<strong>in</strong>facht als<br />

e<strong>in</strong> Kreisen um die attraktiven Ziele. Etwas der Wirklichkeit angemessener<br />

stellen wir sie als e<strong>in</strong>e evolutive Spiralbewegung um<br />

Attraktiva dar (s. Abb. 3 S. 54). Jede Umdrehung im Uhrzeigers<strong>in</strong>n<br />

be<strong>in</strong>haltet e<strong>in</strong>en oder mehrere Annäherungsschritte. In e<strong>in</strong>er<br />

Attraktiva ist e<strong>in</strong>e mögliche Zukunft gegenwärtig. Alle Annäherungsschritte<br />

f<strong>in</strong>den <strong>in</strong> Beziehung zur Umgebung statt. Jede Selbstorganisation<br />

ist mit Kommunikation und Kooperation verbunden.<br />

Mit e<strong>in</strong>em aus e<strong>in</strong>er Attraktiva motivierten Handeln gestalten wir<br />

sowohl unser eigenes Leben als auch unsere Beziehungen und<br />

Umwelt mit. Nach der Interaktion mit der Umgebung bilanzieren<br />

122<br />

26 Luhmann (1987) sieht die Umwelt nicht als Übersystem, sondern hört dort mit dem systemischen<br />

Denken auf, weil er sich auf soziokulturelle Systeme beschränkt.


Schöpferische Selbstorganisation<br />

Kooperative Selbstregulation im Kontext<br />

Umgebung/Übersysteme<br />

Handeln<br />

H<br />

Motivation<br />

Interaktion<br />

Individuum<br />

Attraktiva<br />

Kohärenz<br />

Bedürfnisse<br />

W<br />

Wahrnehmen<br />

was bedeutsam<br />

ist: Ist =/ Soll<br />

R<br />

Reflektieren<br />

Bilanzieren<br />

Lernen<br />

Abbildung 8: Modell kommunikativer Selbstregulation. Es beg<strong>in</strong>nt mit dem Wahrnehmen<br />

vom attraktiven Maßstab und bewertet, was für das Leben gerade bedeutsam ist. Aus dieser<br />

Bewertung entsteht die Motivation zum Handeln. Dann wird die Aktivität reflektiert und die<br />

Erfahrung verarbeitet.<br />

wir unsere Selbstwirksamkeit und reflektieren, wie unsere Umgebung<br />

darauf reagiert hat. Aus der Reflexion ergibt sich e<strong>in</strong> Verstehen<br />

der Interaktion, und wir können für ähnliche Situationen <strong>in</strong> der<br />

Zukunft lernen.<br />

So ist die Selbstorganisation der Lebewesen e<strong>in</strong> <strong>in</strong>formierender<br />

und schöpferischer Akt, der rückkoppelnd zum Lernen führt.<br />

1. Phase: Wahrnehmen, was bedeutsam ist<br />

Der Kontakt (die Kommunikation) mit unserer Umgebung wird<br />

bestimmt von der <strong>in</strong>neren und äußeren Wahrnehmung: Was ist<br />

gerade me<strong>in</strong> Bedürfnis, me<strong>in</strong> Anliegen, me<strong>in</strong>e Attraktiva? Und was<br />

ist die situative Realität? Wie viel oder wenig stimmen sie übere<strong>in</strong>?<br />

Jede dieser Wahrnehmungen wird mehr oder weniger bewusst<br />

bewertet nach ihrer Bedeutsamkeit <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben. Ist die Un -<br />

stimmigkeit bedeutsam für mich bzw. für uns oder jemand anderes?<br />

Wenn ja, <strong>in</strong> welcher Weise? Im Grunde genommen ist Wahr-<br />

123


Wie geht Gestaltbildung?<br />

nehmen schon e<strong>in</strong>e Kommunikation unserer S<strong>in</strong>nesorgane und<br />

ihrer Resonanzverarbeitung mit der Umgebung, allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e<br />

relativ empfangende Kommunikation. Diese kann noch teilweise<br />

physikalisch-chemisch verstanden werden – soweit es noch nicht<br />

um die Bewertung der e<strong>in</strong>gehenden Signale geht.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs ersche<strong>in</strong>t bei noch genauerem H<strong>in</strong>sehen auch schon<br />

die Ausrichtung der Aufmerksamkeit unserer S<strong>in</strong>nesorgane – die<br />

Ausrichtung unserer »Antennen« – aufgrund komplexer Bedürfnisse<br />

und Erfahrungen zu geschehen, sowohl phylogenetisch wie<br />

»Bei anderen Resonanz zu f<strong>in</strong>den, anderen<br />

selbst Resonanz zu geben und zu sehen,<br />

dass sie ihnen etwas bedeutet, ist e<strong>in</strong> biologisches<br />

Grundbedürfnis – jedenfalls<br />

lässt sich das für höhere Lebewesen nachweisen.<br />

Unser Gehirn ist … neurobiologisch<br />

auf gute soziale Beziehungen<br />

geeicht.« J. Bauer (2005, S. 169)<br />

ontogenetisch. Es gibt also <strong>in</strong> der<br />

lebendigen Wahrnehmung ke<strong>in</strong>e wirklich<br />

neutralen, re<strong>in</strong> physikalisch-chemisch<br />

erklärbaren Vorgänge ohne subjektive<br />

An teile und Prägungen. Letztlich<br />

werden unsere Wahrnehmungen<br />

(auch alle S<strong>in</strong>nese<strong>in</strong>drücke) geprägt<br />

und gesteuert von unseren Attraktiva (zielgerichtete Wahrnehmung:<br />

Schiepek 2004). Wir können sogar so weit gehen, dass im<br />

Lauf der Evolution unsere S<strong>in</strong>nesorgane und die dazugehörigen<br />

Nervensysteme eben dazu herausgebildet wurden, um die für die<br />

jeweilige Art und das jeweilige Individuum <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Umwelt<br />

bedeutsamen Un-/Stimmigkeiten wahrnehmen zu können.<br />

Letztlich suchen wir nach aufbauender Resonanz <strong>in</strong> Kohärenz.<br />

2. Phase: Handeln<br />

124<br />

Aus der Bewertung der Bedeutsamkeit unserer wahrgenommenen<br />

Un-/Stimmigkeiten entsteht die Motivation zum Handeln. Wenn<br />

z. B. der Blutzucker erheblich weniger ist als 100 mg/dl bekommen<br />

wir Hunger und suchen etwas zu essen.<br />

Das Handeln ist e<strong>in</strong>e aktivere, beobachtbare und stärker zielgerichtete<br />

Kommunikation mit der Umgebung als das Wahrnehmen.<br />

Letztlich suchen wir nach aufbauender Resonanz <strong>in</strong> Kohärenz auch physisch.<br />

Damit wird bei dieser Art der Kommunikation ihr <strong>in</strong>formierend<br />

gestaltbildender Aspekt besonders deutlich. Wenn wir nicht<br />

handeln können, fühlen wir uns schlecht – ggf. als Opfer. Zum Han-


Schöpferische Selbstorganisation<br />

deln brauchen wir Fähigkeiten und andere Ressourcen sowie Vertrauen.<br />

Wenn wir Angst haben, brauchen wir Mut.<br />

3. Phase: Bilanzieren und reflektieren<br />

Wenn wir aus unserer Wahrnehmung die entsprechende Konsequenz<br />

gezogen und gehandelt haben (bzw. dies verh<strong>in</strong>dert war),<br />

ziehen wir automatisch Bilanz – mehr oder weniger bewusst. Wie<br />

haben wir gehandelt? Und wie hat die Umgebung darauf reagiert?<br />

Hat das Handeln das erwartete Mehr an Stimmigkeit, Mehr an<br />

Übere<strong>in</strong>stimmung zwischen Soll und Ist, ggf. <strong>in</strong>nen und außen<br />

gebracht? Fühlen wir uns durch die Aktivität besser als vorher?<br />

S<strong>in</strong>d wir dem Ziel näher? Was können und wollen wir aus der Antwort<br />

der Mitmenschen und Umgebung lernen?<br />

Mit der Reflexion f<strong>in</strong>det das Verstehen und Lernen statt.<br />

Die Phasen der Selbstregulation <strong>in</strong> der Beziehung zur Zeit<br />

Die Phase <strong>des</strong> Wahrnehmens, die wir als erste beschrieben haben,<br />

geht aus von e<strong>in</strong>em von Attraktiva <strong>in</strong>tendierten Wahrnehmen. Sie<br />

beg<strong>in</strong>nt bei der Attraktiva, dem Soll-Zustand, die das Wahrnehmen<br />

ausrichtet. Damit geht unser Wahrnehmen von der Gegenwärtigkeit<br />

e<strong>in</strong>er möglichen Zukunft aus, gesehen auch als komplexe<br />

Information vor der potentiellen Realisierung. Wir suchen mit<br />

unseren S<strong>in</strong>nesorganen nach Möglichkeiten, uns unseren Attraktiva<br />

anzunähern, nach aufbauender Kommunikation und Resonanz,<br />

nach stimmiger Verbundenheit. Unsere Wahrnehmung <strong>in</strong> der<br />

Gegenwart ist gesteuert von der gewünschten bzw. möglichen Richtung<br />

der Zukunft. Aus ihr entspr<strong>in</strong>gen Vorstellungen und Erwartungen<br />

(vgl. die Erwartung beim Placeboeffekt).<br />

Diese Phase <strong>des</strong> Wahrnehmens differenziert zu erkennen, ist für<br />

unser Denken und Bewusstse<strong>in</strong> das Schwierigste: Erstens, weil<br />

unser Denken und Bewusstse<strong>in</strong> wesentlich durch die Rückschau<br />

aus der 3. Phase auf das Interagieren geprägt ist, und zweitens, weil<br />

unser bewusstes Wahrnehmen meist nach außen auf Objekte<br />

gerichtet ist und seltener nach <strong>in</strong>nen auf die motivierenden Attraktiva.<br />

Auch wird unsere Großhirnr<strong>in</strong>de erst dann von unseren Wahr-<br />

125


Wie geht Gestaltbildung?<br />

nehmungen aus der Gegenwart <strong>in</strong>formiert, wenn die Gegenwart<br />

schon vorbei ist, wie Eckart v. Hirschhausen humoristisch formuliert<br />

hat: »Der Regierungssprecher wird als Letzter <strong>in</strong>formiert.«<br />

Wenn wir uns also der Gegenwärtigkeit e<strong>in</strong>er Motivation oder<br />

Unstimmigkeit bewusst werden, ist der Moment <strong>des</strong> Vergleichs von<br />

Ist- und Soll-Zustand schon Vergangenheit. Der dritte Grund für die<br />

Schwierigkeit der Bewusstheit dieser Phase ist dadurch gegeben,<br />

dass die Attraktiva oft so komplex s<strong>in</strong>d (nichtlokal, wie im Nebel,<br />

nur zu ahnen), dass wir sie nicht wirklich treffend <strong>in</strong> Worte fassen<br />

können und sie wegen Nicht-Messbarkeit <strong>in</strong> den Wissenschaften<br />

noch nicht bestätigt haben. Dem bewussten Erleben der Gegenwärtigkeit<br />

von Aspekten e<strong>in</strong>er möglichen Zukunft nähern wir uns am ehesten,<br />

wenn wir nicht <strong>in</strong> Worten explizit denken, sondern unser Denken<br />

offen halten für die Zeitlosigkeit der Gegenwart – z. B. im Zustand der<br />

Meditation.<br />

Während <strong>des</strong> Handelns, <strong>in</strong> der 2. Phase der Selbstregulation, s<strong>in</strong>d<br />

wir auf die Zukunft ausgerichtet: Wir wollen uns unserem Ziel<br />

annähern. Unser Tun ist immer ziel- und damit zukunftsgerichtet.<br />

Wenn wir beg<strong>in</strong>nen zu bilanzieren und zu reflektieren, ist unser<br />

Denken rückwärts gerichtet, mit der Vergangenheit beschäftigt: Es<br />

vergleicht das Ergebnis und den Verlauf der Interaktion mit dem<br />

Anliegen, das zum Handeln motiviert hatte. Wenn die Aktion erfolgreich<br />

war, kann man sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ähnlichen Situation wieder derart<br />

versuchen. Wenn sie nicht erfolgreich war, müssen wir e<strong>in</strong> <strong>neue</strong>s<br />

Verhalten ausprobieren, um uns unserem Soll-Zustand anzunähern.<br />

Die Ergebnisse dieser letzten Phase der Selbstregulation werden<br />

unter dem Aspekt von Kohärenz verarbeitet und fließen <strong>in</strong> spätere<br />

Bewertungen e<strong>in</strong>. Durch dieses Lernen werden unsere Unterscheidungsfähigkeit<br />

und Komplexität erhöht.<br />

Stimmigkeitsregulation und Lernen<br />

126<br />

Lernen folgt auf e<strong>in</strong>e Handlung, e<strong>in</strong>e Erfahrung – als Ergebnis <strong>des</strong><br />

Bilanzierens und der Reflexion. Lernen f<strong>in</strong>det demnach statt <strong>in</strong><br />

Bezug zu Attraktiva, zu Annäherungs- und Kohärenzzielen – also<br />

wie unser Gehirn: zielgerichtet. Es bedarf e<strong>in</strong>er Motivation. Diese


Schöpferische Selbstorganisation<br />

muss dem Lernenden nicht bewusst se<strong>in</strong>. Es kann auch aus e<strong>in</strong>er<br />

sche<strong>in</strong>bar unbestimmten Neugier gelernt werden. Es gibt auch<br />

Überraschungen, bei denen jemand gar nicht auf Lernen e<strong>in</strong>gestellt<br />

war. Dann ist da etwas geschehen, das ggf. nicht e<strong>in</strong>em erwarteten<br />

Soll-Zustand entspricht. Das ist oft bei Erkrankungen der Fall. Im<br />

Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> kann dann die Abweichung von der Attraktiva reflektiert<br />

werden.<br />

Alle <strong>neue</strong>n Erfahrungen werden an alten Erfahrungen bzw. an<br />

eigenen Bedürfnissen und Zielen gemessen. Insofern gilt für alle<br />

Lernerfahrungen das Modell der Selbstregulation.<br />

Nehmen wir als Beispiel das Laufen-Lernen e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong><strong>des</strong>. Es sieht<br />

die Eltern und andere K<strong>in</strong>der gehen und versucht, es diesen nachzumachen.<br />

Beim K<strong>in</strong>d wird das attraktive Ziel <strong>des</strong> Laufen-Könnens<br />

durch die familiären Vorbilder angeregt oder gebildet. Se<strong>in</strong>e Resonanzneuronen<br />

27 aktivieren <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Körper ähnliche Bewegungsmuster,<br />

die es zum Gehen braucht. Dann versucht es zu gehen und<br />

fällt h<strong>in</strong>. Die Motivation durch eigene Attraktiva und die Vorbilder<br />

ist so groß, dass es <strong>in</strong> Kauf nimmt, Hunderte Male h<strong>in</strong>zufallen,<br />

manches Mal durchaus schmerzhaft. Je<strong>des</strong> Mal klappt es e<strong>in</strong> wenig<br />

besser, bis es die ersten Schritte freihändig machen kann. Durch<br />

jeden Versuch kommt es se<strong>in</strong>em Ziel näher – auch durch jeden<br />

gescheiterten. Ohne Scheitern könnte es nicht laufen lernen.<br />

Bei diesem Lernvorgang s<strong>in</strong>d schon zwei Arten <strong>des</strong> Lernens verknüpft:<br />

das Lernen aus Erfahrung (trial and error) und das Lernen<br />

vom Vorbild. Je älter der Mensch wird, <strong>des</strong>to mehr kann noch e<strong>in</strong>e<br />

weitere Art <strong>des</strong> Lernens dazukommen: Lernen durch Vermittlung,<br />

wie z. B. <strong>in</strong> der Schule, aus Büchern oder dem Internet. Damit e<strong>in</strong><br />

Mensch sich das vom Vorbild oder aus e<strong>in</strong>em Buch Gelernte wirklich<br />

zu eigen machen kann, muss es mit Erfahrung (dazu gehört<br />

auch Beobachtung) verbunden werden. Das bedeutet nicht, dass<br />

jeder alles selbst erfahren muss. Aber es muss zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t e<strong>in</strong>e Ähnlichkeit<br />

mit eigenen Erfahrungen und Beobachtungen haben oder<br />

27 Joachim Bauer hat sich dafür ausgesprochen, die ursprünglich als »Spiegelneuronen« bezeichneten<br />

Neuronen, »Resonanzneuronen« zu nennen, da sie nicht das Verhalten genau spiegeln,<br />

sondern mit der eigenen Schw<strong>in</strong>gungsfähigkeit resonieren. Das Verständnis teile ich.<br />

127


Wie geht Gestaltbildung?<br />

Lernzyklus<br />

Umgebung/Übersysteme<br />

Annähern<br />

oder<br />

Abwenden<br />

von Gefahren<br />

Handeln<br />

Kooperieren H<br />

Motivation<br />

Interaktion<br />

Attraktiva<br />

Kohärenz<br />

Intetionalität<br />

Soll-Zustand<br />

WIst =/ Soll<br />

Wahrnehmen<br />

R<br />

Reflektieren<br />

Bilanzieren<br />

Wahrnehmen von<br />

attraktiven Objekten oder Gefahren<br />

Erfolgreich? Irrtum?<br />

Wechselwirkungen<br />

<strong>in</strong> Umgebung?<br />

Abbildung 9: Lernzyklus.<br />

Ausgehend von e<strong>in</strong>er Motivation handeln wir zielgerichtet entweder zum Annähern an<br />

Attraktiva oder zum Abwenden e<strong>in</strong>er Gefahr (wobei h<strong>in</strong>ter dieser Abwendungsmotivation<br />

das attraktive Ziel von Sicherheit steht). Nach dem Handeln bilanzieren wir, ob wir unserem<br />

Ziel näher gekommen s<strong>in</strong>d bzw. die Gefahr abgewendet haben, und reflektieren die Wechselwirkungen<br />

zwischen unserer Aktivität und der Umgebung. Wenn unser Handeln nicht<br />

erfolgreich war, reflektieren wir, was wir aus dem Irrtum, dem erfolglosen Handeln, lernen<br />

wollen und können. Dieses Lernen kann sich auf die ursprüngliche Motivation beziehen oder<br />

auf e<strong>in</strong>e <strong>neue</strong> Attraktiva.<br />

Lernen<br />

128<br />

mit solchen von sehr vertrauten Menschen. Das Lernen durch Vermittlung<br />

ist typisch für die kulturelle <strong>Dimension</strong>.<br />

E<strong>in</strong> weiteres Lernen geschieht durch geme<strong>in</strong>same Reflexion kultureller<br />

Attraktiva sowie Erkenntnisse, Normen und Werte. Diese<br />

Reflexion muss nun an höheren Attraktiva gemessen werden, wie<br />

z. B. an ethischen Pr<strong>in</strong>zipien, an Ideen und Idealen oder der Evolution<br />

u. Ä. Möglicherweise fallen auch die subjektiven Erfahrungen<br />

von E<strong>in</strong>gebung, Inspiration, Erleuchtung o. Ä. <strong>in</strong> den Bereich dieses<br />

globalen Lernens, wenn sie metativ reflektiert werden.<br />

Lernen kann nicht nur e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelner Mensch, sondern je<strong>des</strong><br />

lebende System, wie e<strong>in</strong>e Familie, e<strong>in</strong> Unternehmen, e<strong>in</strong>e Nation<br />

usw. Dabei können wir Störungen im System, wie Erkrankungen<br />

u. Ä., als Lernaufgaben annehmen, als Bio-Feedback von Teilsyste-


Schöpferische Selbstorganisation<br />

men an das Ganze. Wenn me<strong>in</strong> Knie schmerzt, reflektiere ich die<br />

Zusammenhänge, <strong>in</strong> denen der Schmerz aufgetreten ist, und versuche<br />

daraus zu lernen, was ich tun kann, damit ich mich wieder<br />

frei und leicht bewegen kann: z. B. me<strong>in</strong>en Anspruch ändern, jeden<br />

Tag e<strong>in</strong>e Stunde zu joggen.<br />

Ähnlich können wir auch die Zusammenhänge e<strong>in</strong>es Familiensystems<br />

reflektieren. Wenn etwa e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d immer wieder krank ist,<br />

z. B. öfter e<strong>in</strong>e Mittelohrentzündung hat: Was möchte das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

der Familie hören und nicht hören? Was möchten die Eltern, dass<br />

das K<strong>in</strong>d hört? Analog sollten wir anfangen, die kulturellen Informationen,<br />

die aktuellen Normen und Werte zu reflektieren, unter<br />

denen die Zivilisationskrankheiten entstanden s<strong>in</strong>d, und sie wo -<br />

möglich ändern. Was brauchen die Menschen <strong>in</strong> ihren Kulturen<br />

wirklich zum guten Leben – um sich gesund zu entwickeln?<br />

3.5 Zusammenfassung<br />

Für die Gestaltbildung wird <strong>in</strong> Anlehnung an die Chaosforschung<br />

das Attraktionspr<strong>in</strong>zip ausgeführt: E<strong>in</strong>e Attraktiva ist die gegenwärtige<br />

und maßgebliche Information e<strong>in</strong>er möglichen Zukunft. Dynamische<br />

Systeme bef<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> Resonanz mit ihren Attraktiva. Sie<br />

können sich ihren Attraktiva auf mehr oder weniger direkten<br />

Wegen oder auch chaotisch und <strong>in</strong> rückkoppelnden Zyklen annähern.<br />

In Bezug zur Zeit können Attraktiva nichtlokal se<strong>in</strong> und als<br />

Möglichkeit aus dem Möglichkeitsraum der zeitlosen Gegenwärtigkeit<br />

heraus uns Menschen <strong>in</strong>formieren. Aus dieser <strong>in</strong>formierenden<br />

Resonanz entstehen <strong>neue</strong> Formen und Systeme.<br />

So können wir auch die Emergenz <strong>neue</strong>r Formen <strong>in</strong> der Evolution<br />

als Resonanz von Lebewesen auf immer komplexere Attraktiva verstehen.<br />

Durch Kooperation von Teilsystemen <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Lebensdimensionen entwickeln diese immer komplexere Systeme.<br />

Als Menschen haben wir e<strong>in</strong> Vorstellungsvermögen, mit dem wir<br />

Informationen von Attraktiva antizipieren und möglicherweise<br />

selbst attraktive Bilder erzeugen können.<br />

129


Wie geht Gestaltbildung?<br />

Unsere kommunikative Selbstregulation dient gewissermaßen<br />

e<strong>in</strong>em In-die-Welt-Br<strong>in</strong>gen von attraktiven Informationen <strong>in</strong> drei<br />

Schritten: wahrnehmen – handeln – reflektieren wie lernen. In<br />

unserer Mitte fühlen wir uns mit attraktiven Kohärenzzielen verbunden.<br />

Die Selbst-/Kohärenzregulation be<strong>in</strong>haltet auch e<strong>in</strong>en<br />

Lernzyklus.<br />

130


»E<strong>in</strong>e <strong>neue</strong> Art zu denken ist notwendig, wenn die Menschheit weiterbestehen<br />

will. Das ist das dr<strong>in</strong>gendste Problem unserer Zeit.«<br />

Albert E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong><br />

»General complexity, Mor<strong>in</strong> argues, is not merely a methodology; it<br />

<strong>in</strong>volves a reth<strong>in</strong>k of our fundamental def<strong>in</strong>itions of what knowledge<br />

is. When deal<strong>in</strong>g with complexity, the traditional method of analysis<br />

does not work. What is more, the divide between subject and object<br />

cannot be ma<strong>in</strong>ta<strong>in</strong>ed <strong>in</strong> any clear way.«<br />

Paul Cilliers (2013, S. 29)<br />

Schöpferische Logiken <strong>des</strong><br />

Lebendigen<br />

131


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

Das sog. alte, allerd<strong>in</strong>gs aktuell noch weitverbreitete, wissenschaftliche<br />

Denken hat mehrere Bezeichnungen und Charakteristika be -<br />

kommen: mechanistisch, l<strong>in</strong>ear kausal, Ursache-Wirkungs-Denken,<br />

materialistisch, analytisch, dualistisch, objektivistisch, rechthaberisch,<br />

beweisen wollen u. a.m.<br />

Und e<strong>in</strong> <strong>neue</strong>s Denken? Am häufigsten werden wohl komplex und<br />

systemisch genannt, weiter tauchen Begriffe auf wie vernetzt, <strong>in</strong>tegral,<br />

reflexiv, schöpferisch, analogisch, partizipativ, mehrdimensional,<br />

zirkulär, <strong>in</strong>tuitiv, synergetisch, <strong>in</strong>formativ u. a.m.<br />

Kreative Spitzenwissenschaftler<strong>in</strong>nen haben womöglich schon<br />

immer auch »neu« gedacht. Sie haben ihr Denken öffnen können<br />

für Intuition, für Lösungen, die sich nicht durch Zusammenfügen<br />

»Probleme kann man niemals mit der -<br />

selben Denkweise lösen, durch die sie entstanden<br />

s<strong>in</strong>d.« Albert E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong><br />

und kausallogisches Ableiten f<strong>in</strong>den<br />

lassen (vgl. Maslow 1968; Kle<strong>in</strong> 2021).<br />

Gibt es womöglich Methodisches, um<br />

derartig kreative Prozesse zu kultivieren, und nicht nur persönliche<br />

Skills, wie es heute <strong>in</strong> zahlreichen Managersem<strong>in</strong>aren propagiert<br />

wird? Dazu werden <strong>in</strong> diesem Kapitel unterschiedliche Arten von<br />

Schlussfolgerungen – Logiken – und ihre Anwendungsgebiete untersucht.<br />

4.1 Kausales und analogisches Denken<br />

132<br />

In der Literatur werden zwei große logische Denkrichtungen unterschieden:<br />

e<strong>in</strong>e kausale und analogische. Diese korrespondieren mit<br />

dem Energieaspekt bzw. dem Informationsaspekt der Wirklichkeit.<br />

Wie <strong>in</strong> der Wirklichkeit beide Aspekte alle Ersche<strong>in</strong>ungen bilden,<br />

sollten wo möglich auch beide Denkweisen ergänzend und synergetisch<br />

<strong>in</strong>tegriert werden. Wenn e<strong>in</strong>e Denkweise e<strong>in</strong>seitig überhand<br />

nimmt, kommt es womöglich zu e<strong>in</strong>er Vernachlässigung der anderen<br />

und damit zu e<strong>in</strong>er Schädigung <strong>des</strong> wirklichen Lebens. Wenn<br />

sich Menschen ganz überwiegend im analogischen assoziativen<br />

Denken bewegen, verlieren sie leicht den Kontakt zur materiellen<br />

Realität. Wenn Menschen nur die materielle, messbare Realität


Kausales und analogisches Denken<br />

anerkennen, verlieren sie leicht den lebendigen zwischenmenschlichen<br />

Kontakt, das Mitgefühl und das <strong>in</strong>tentional kooperativ<br />

Schöpferische. So geht es letztlich um e<strong>in</strong>e kreative Integration dieser<br />

Denkweisen.<br />

Weiter geht es darum, ob das Denken taugt, unser Leben <strong>in</strong> der<br />

Biosphäre gut zu gestalten und die großen Probleme der Menschheit<br />

zu lösen. Richtig wäre dann das, was subjektiv im S<strong>in</strong>ne möglichst<br />

aller Menschen hilfreich für e<strong>in</strong> gutes Leben ist: Was nach -<br />

haltig hilft, ist richtig. Allerd<strong>in</strong>gs soll e<strong>in</strong> <strong>neue</strong>s Denken möglichst<br />

kompatibel mit wissenschaftlichem Wissen se<strong>in</strong> und uns <strong>neue</strong><br />

Erkenntnisse ermöglichen.<br />

Als zentrale zu lösende Frage sehe ich die nach der Entwicklung<br />

<strong>des</strong> menschlichen Lebens: Wie können Menschen sich im Zusammenhang<br />

der Biosphäre gesund entwickeln? Als Menschheit mit<br />

Kulturen, Nationen, Geme<strong>in</strong>schaften und Individuen?<br />

Mit welchen Denkweisen können wir die Evolution <strong>des</strong> Lebens<br />

verstehen und bewusst gut mitgestalten? Unter besonderer Berücksichtigung<br />

<strong>des</strong> Menschen?<br />

In den vorhergehenden Kapiteln s<strong>in</strong>d schon Aspekte und allgeme<strong>in</strong>e<br />

Grundlagen von Entwicklung beschrieben. Hier seien die<br />

daraus abzuleitenden und dafür angewandten Schlussfolgerungen,<br />

die Logiken reflektiert. Damit sollen diese Denkweisen <strong>in</strong> der Zukunft<br />

zur Lösung von Entwicklungsproblemen bewusst anwendbar<br />

werden.<br />

In der aktuellen technisch geprägten historischen Situation sehe<br />

ich das Überwiegen <strong>des</strong> materialistisch kausalen <strong>Denkens</strong> als Problem.<br />

So geht es hier im Buch mehr um e<strong>in</strong>e Kultivierung <strong>des</strong> analogischen<br />

und folgend e<strong>in</strong>es komplexen, <strong>in</strong>tegrativen <strong>Denkens</strong>.<br />

Mit den folgenden Ausführungen möchte ich e<strong>in</strong>en Vorschlag<br />

machen, e<strong>in</strong>ige dieser Logiken zu kultivieren – <strong>des</strong>halb haben sie<br />

e<strong>in</strong>e eigene Bezeichnung bekommen. Diese greifen die Ausführungen<br />

aus den vorhergehenden Kapiteln auf.<br />

Zunächst sei aber noch das allgeme<strong>in</strong> bekannte kausallogische<br />

Denken reflektiert, das logische Schlussfolgern von e<strong>in</strong>er Ursache<br />

auf e<strong>in</strong>e Wirkung.<br />

133


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

Welche Rolle spielt die Beziehung von Ursache 28 und Wirkung<br />

(Kausallogik)?<br />

Die Naturwissenschaften und, von diesen ausgehend, auch andere<br />

Wissenschaften, die es ihnen recht tun wollten, haben als Goldstandard<br />

e<strong>in</strong>e Denkweise <strong>in</strong> Ursachen und Wirkungen kultiviert.<br />

Diese verstehe ich als Kausallogik. Im e<strong>in</strong>fachen me chanistischen<br />

Denken, wie es meistens noch <strong>in</strong> der Schule und auch <strong>in</strong> vielen Studienfächern<br />

ge lehrt wird, handelt es sich dabei um e<strong>in</strong>e l<strong>in</strong>eare<br />

Kausalität von materiellen und energetischen Wechselwirkungen<br />

»In der Natur gibt es ke<strong>in</strong>e Ursache und<br />

ke<strong>in</strong>e Wirkung. Die Natur ist nur e<strong>in</strong>mal<br />

da« Ernst Mach (1883) <strong>in</strong> Simonyi<br />

(1995, S. 461)<br />

nach der Logik: Wenn A dann B, wer A<br />

sagt, muss auch B sagen. Wenn ich Gas<br />

gebe, fährt das Auto schneller. Diese<br />

e<strong>in</strong>fache mechanistische Kausallogik<br />

hat durch die moderne Physik e<strong>in</strong>e Erweiterung erfahren <strong>in</strong> Richtung<br />

von Wahrsche<strong>in</strong>lichkeiten: Wenn A geschieht, dann geschieht<br />

B oder C usw. mit Wahrsche<strong>in</strong>lichkeiten von x, y usw.<br />

Geblieben s<strong>in</strong>d dabei andere Aspekte dieser klassisch naturwissenschaftlichen<br />

Denkweise: Die Ursache muss energetisch messbar<br />

se<strong>in</strong> (=materialistisch) und der Wirkung vorausgehen, also relativ<br />

zur Wirkung <strong>in</strong> der Vergangenheit se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e kausale Wechselwirkung<br />

muss reproduzierbar se<strong>in</strong>, damit sie als kausal anerkannt<br />

wird. 29<br />

134<br />

28 Mit dem Wort »Ursache«, auch als Übersetzung für »causa«, ist <strong>in</strong> der deutschen Sprache der<br />

»causa«, dem »Grund«, seit der rationalistischen Aufklärung e<strong>in</strong> besonderer Beigeschmack<br />

zugesellt, denn Ursache war im Mittelalter der erste Anlass zu e<strong>in</strong>em Rechtsstreit. Ursache<br />

bezeichnet also e<strong>in</strong>en tatsächlichen Vorfall, der <strong>in</strong> der Vergangenheit stattgefunden und mit<br />

e<strong>in</strong>er Verletzung von Rechten, e<strong>in</strong>em Rechtsstreit zu tun hat. Mit der Frage nach e<strong>in</strong>er Ursache<br />

ist so die Frage nach e<strong>in</strong>em schuldigen Verursacher verknüpft, und es müssen Beweise erbracht<br />

werden. So fühlen sich hierzulande häufig Menschen schuldig, wenn wir von Ursache z. B. e<strong>in</strong>er<br />

Erkrankung sprechen. Dieses Wort sollte aus allen Wissenschaften verbannt und nur noch dort<br />

verwendet werden, wo auch Verursacher im S<strong>in</strong>ne von Schuldige/Verantwortliche benannt werden<br />

sollen.<br />

29 Nur durch Reproduzierbarkeit kann angeblich e<strong>in</strong> Naturgesetz Anspruch auf Gültigkeit erheben.<br />

Da aber nun die Natur <strong>in</strong> Evolution, <strong>in</strong> ständiger Veränderung ist, die sich nicht reproduzieren<br />

lässt, haben die von Wissenschaftler<strong>in</strong>nen formulierten Gütekriterien e<strong>in</strong> pr<strong>in</strong>zipielles Problem.<br />

Ihre selbst aufgestellten Bed<strong>in</strong>gungen für die Formulierung von Naturgesetzen stehen im<br />

Widerspruch zur Natur. Auch wenn dieser Widerspruch bei vielen materiellen Systemen marg<strong>in</strong>al<br />

und zu vernachlässigen se<strong>in</strong> mag, so ist er besonders bei den natürlichen Systemen von<br />

Bedeutung, die schöpferische Veränderungsprozesse zeigen und sich <strong>des</strong>halb nicht e<strong>in</strong>fach im<br />

Labor reproduzieren lassen, wie besonders bei Lebewesen. Das gilt <strong>in</strong>sbesondere für Veränderungsprozesse,<br />

die über Jahrzehnte oder Generationen h<strong>in</strong>ausreichen, wie gesunde Entwicklung<br />

und Evolution.


Kausales und analogisches Denken<br />

Dieses Denken <strong>in</strong> der klassischen Physik war geprägt durch die<br />

mächtige und zw<strong>in</strong>gende Logik <strong>des</strong> Energieaspektes: Je stärker e<strong>in</strong><br />

Impuls ist, <strong>des</strong>to stärker ist die Wirkung; oder wie der Volksmund<br />

sagt: »Viel hilft viel.« Mit viel Treibstoff kann ich weit fahren. Sie gilt<br />

auch für zerstörerische Aktionen durch Sprengstoff wie auch für<br />

die Wirkung von Giften. Sie gilt aber nicht für die Heilwirkung von<br />

Medikamenten. Diese s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er höheren Dosis oft giftig bis tödlich.<br />

Mit dem Aspekt <strong>des</strong> Zerstörerischen kommen wir zur Frage nach<br />

der <strong>in</strong>neren neuro-psychischen Seite <strong>des</strong> kausallogischen <strong>Denkens</strong>.<br />

Im motivationalen Abwendungsmodus spielt das kausallogische<br />

Fragen nach e<strong>in</strong>er materiellen Ursache e<strong>in</strong>e größere Rolle.<br />

Dazu gehört e<strong>in</strong> beweisen müssen und wollen, wer oder was der<br />

Übel täter ist. Das neuro-motivationale Abwendungssystem ist<br />

wahrsche<strong>in</strong>lich bei Männern etwas ausgeprägter als bei Frauen. So<br />

hat das Kultivieren bestimmter Logiken auch noch e<strong>in</strong>en Gender-<br />

As pekt.<br />

Für kreative Vorgänge spielt das materialistisch-kausallogische<br />

Denken eher e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle – für zerstörerische dagegen<br />

die Hauptrolle.<br />

Der historische Höhepunkt <strong>des</strong> kausallogischen <strong>Denkens</strong> war<br />

und ist wohl das sogenannte Energiezeitalter mit se<strong>in</strong>er enormen<br />

Blüte der Technik und Industrie sowie gleichzeitig e<strong>in</strong>er Produktion<br />

von zerstörerischen Kräften <strong>in</strong> bis dah<strong>in</strong> ungekanntem Ausmaß wie<br />

etwa Atomwaffen. Erstmalig <strong>in</strong> der Geschichte der Menschheit<br />

haben Menschen die Macht, sich selbst und ihre Lebensgrundlage<br />

zu vernichten. Erstmalig <strong>in</strong> der Geschichte der Menschheit prägt<br />

diese selbst die Atmosphäre, Biosphäre und Geosphäre so bestimmend,<br />

dass Atmosphärenforscher und Geolog<strong>in</strong>nen vom Erdzeitalter<br />

<strong>des</strong> Anthropozäns sprechen. Allerd<strong>in</strong>gs ist dieses Denkmuster selbst<br />

im Rahmen kausallogisch denkender Naturwissenschaftler schon<br />

vor 100 Jahren im Zusammenhang mit der Entstehung der modernen<br />

Physik an se<strong>in</strong>e Grenzen gestoßen und wurde von namhaften<br />

Physikern als nicht der Natur entsprechend bezeichnet. Schon Ernst<br />

Mach, e<strong>in</strong> Lehrer E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong>s, plädierte dafür, <strong>in</strong> den Wissenschaften<br />

135


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

von Zusammenhängen zu sprechen anstatt von Ursache und Wirkung.<br />

30<br />

Bei Medikamenten suchen wir nach der passenden Dosis für<br />

e<strong>in</strong>en betroffenen Menschen und <strong>des</strong>sen Gesundung. Derartige<br />

mediz<strong>in</strong>ische Interventionen wurden bislang als Sonderfall unter<br />

der kau salen Denkweise angewandt – freilich dann im S<strong>in</strong>ne von<br />

»Bereits vor 50 Jahren nannte e<strong>in</strong> Schüler<br />

<strong>des</strong> großen Physikers Ernst Mach, M. H.<br />

Baege, das Kausalgesetz ›e<strong>in</strong>en Pharmazeutenstandpunkt,<br />

der nicht mehr aufrechtzuerhalten<br />

ist‹. Den ›Begriff der<br />

Ursache‹ bezeichnete er als e<strong>in</strong>en ‚letzten<br />

Überrest der animalistisch-fetischistischen<br />

Denkweise <strong>des</strong> Urmenschen ... als<br />

Gespensterglauben äußerster Verdünnung‹.«<br />

Berendt (1996, S. 61)<br />

Wahrsche<strong>in</strong>lichkeiten: E<strong>in</strong> Medikament<br />

zeigt e<strong>in</strong>e ge wünschte Wirkung<br />

bei x % der Patient<strong>in</strong>nen. Unter Fachleuten<br />

ist der Begriff »Black Box« geläufig<br />

für e<strong>in</strong> komplexes, mit Ungewissheiten<br />

versehenes System, wie lebende<br />

Systeme es s<strong>in</strong>d. In der Pharmakologie<br />

und Mediz<strong>in</strong> besagt es, dass wir <strong>in</strong> die<br />

Black Box (hier den Menschen) etwas h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geben und dann beobachten,<br />

was daraufh<strong>in</strong> aus der Box herauskommt, was das Outcome<br />

ist – ohne wirklich zu wissen, was <strong>in</strong> ihr zu dem Ergebnis führt.<br />

Auch wenn viele biochemische Details der Reaktionen von Medikamenten<br />

bekannt s<strong>in</strong>d, so ist letztlich nicht bekannt, wie alles<br />

zusammenspielt, sodass bei dem e<strong>in</strong>en Menschen e<strong>in</strong>e erwünschte<br />

Wirkung herauskommt und bei e<strong>in</strong>em anderen e<strong>in</strong>e unerwünschte.<br />

Letztlich s<strong>in</strong>d die Menschen für viele Pharmakolog<strong>in</strong>nen und Mediz<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen<br />

immer noch Black Boxes. Diese Vorstellung ist e<strong>in</strong>e<br />

ebenso nüchterne, praktische wie auf Chemie bezogene kausallogische<br />

Denkart. Die Suche nach e<strong>in</strong>er l<strong>in</strong>ear kausalen Wirkung<br />

wurde häufig als »Masch<strong>in</strong>enparadigma« (v. Uexküll und Wesiack<br />

1991 u. v. a.) oder »Pharmazeutenstandpunkt« (M. H. Baege, zit. nach<br />

Berendt 1996, S. 61) kritisiert.<br />

Mit der Kausallogik können wir besonders <strong>in</strong> der unbelebten<br />

Natur und Technik viele Fragen nach quantitativen Wechselwirkungen<br />

und Beziehungen befriedigend beantworten und konstruktiv<br />

lösen. Das gilt besonders für Wirkzusammenhänge zwischen ener-<br />

136<br />

30 »[…] drückt Mach die Hoffnung aus, dass die Begriffe Ursache und Wirkung aus den Naturwissenschaften<br />

<strong>in</strong> der Zukunft verbannt würden, da sie noch mit Zügen <strong>des</strong> Fetischismus behaftet<br />

seien; außerdem brächten sie uns dem Verständnis der Phänomene nicht näher, als die Angabe<br />

von Funktionalzusammenhängen.« Simonyi (1995, S. 461).


Kausales und analogisches Denken<br />

getischen wie materiellen Systemen, wenn diese <strong>in</strong> enger energetischer<br />

Verb<strong>in</strong>dung mite<strong>in</strong>ander s<strong>in</strong>d. In der Kausallogik f<strong>in</strong>den die<br />

»causae materialis et efficiens« von Aristoteles zusammen.<br />

Die Frage nach der Logik <strong>des</strong> Schöpferischen<br />

Wenn wir dagegen den Menschen als mehrdimensional selbstreguliertes<br />

Wesen verstehen, dann geschieht jede Intervention – ob<br />

medikamentös, technisch oder zwischenmenschlich – im Kontext<br />

e<strong>in</strong>er autonomen wie vernetzten Dynamik. E<strong>in</strong> solches Verständnis<br />

wird durch die Placeboforschung gefordert. Dann ersche<strong>in</strong>en therapeutische<br />

– auch medikamentöse – Interventionen wie passende<br />

Worte zur passenden Zeit. Sie reihen sich e<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e mehrdimensionale,<br />

kommunikative wie kooperative Selbstregulation. Für diese<br />

Sichtweise brauchen wir andere Denkweisen wie Schlussfolgerungen<br />

als die oben ausgeführte kausallogische.<br />

Medikamente haben bestimmte Informationen, die sie dem<br />

Organismus übermitteln. Sie greifen <strong>in</strong> die Informationsverarbeitung<br />

<strong>des</strong> Organismus e<strong>in</strong>, <strong>in</strong>dem sie beispielsweise im Zentralnervensystem<br />

oder im Zellstoffwechsel Rezeptoren blockieren oder<br />

anregen, wie z. B. Betablocker, Schmerzmittel oder Hormone. Ob<br />

und wie dann welche Wirkung e<strong>in</strong>tritt, ist sowohl vom Medikament<br />

als auch von der Person abhängig. Und wie wir beim Placebo- und<br />

Noceboeffekt gesehen haben, spielen auch noch Faktoren aus der<br />

Umgebung wie die Interaktionen e<strong>in</strong>e wichtige Rolle. Damit kommen<br />

wir zur Logik <strong>des</strong> Informierens.<br />

Es ist die Frage nach der Logik <strong>des</strong> Schöpferischen, das dem<br />

Leben <strong>in</strong>newohnt. Das Leben gebiert ständig <strong>neue</strong> Ersche<strong>in</strong>ungsformen,<br />

Muster und Gestalten. Wenn wir diese genauer betrachten,<br />

entdecken wir viele Ähnlichkeiten: an der Oberfläche, <strong>in</strong> ihren<br />

Funktionen und <strong>in</strong> maßgeblichen Regeln h<strong>in</strong>ter den Funktionen.<br />

Diese Ähnlichkeiten haben zu Erkenntnissen von Naturgesetzen,<br />

e<strong>in</strong>er Abstammungslehre und zu vielen Detailerkenntnissen ge -<br />

führt. E<strong>in</strong> Denken und Forschen <strong>in</strong> Ähnlichkeiten – das analogische<br />

Denken – hat <strong>in</strong> Form von Analogieschlüssen selbst <strong>in</strong> der Physik<br />

zu kreativen Hypothesenbildungen und nachfolgenden E<strong>in</strong>sichten<br />

137


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

138<br />

geführt. So wurde das Bohrsche Atommodell als Analogie-schluss<br />

zu unserem Sonnensystem entworfen (vgl. Kern 2021).<br />

Zurzeit beschäftigen Evolutionsbiolog<strong>in</strong>nen sich mit Ähnlichkeiten<br />

<strong>in</strong> Denkfunktionen und Kommunikationsweisen zwischen Bienen,<br />

e<strong>in</strong>igen Vogelarten (Rabenvögel, Papageien), Meeressäugern<br />

und Primaten wie Menschen. Sie alle s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Lage, Beobachtungen<br />

mit Artgenossen zu <strong>kommunizieren</strong>. Sie haben diese Fähigkeit,<br />

die bis vor Kurzem <strong>in</strong> den Naturwissenschaften nur Menschen<br />

zuerkannt wurde. Das Phänomen wird als Konvergenz der Evolution<br />

bezeichnet, dass <strong>in</strong> unterschiedlichsten Entwicklungsl<strong>in</strong>ien ähnliche<br />

Fähigkeiten evolviert s<strong>in</strong>d.<br />

Unser Gehirn sucht <strong>in</strong> den von unseren S<strong>in</strong>nesorganen gemeldeten<br />

E<strong>in</strong>drücken ständig nach Formen, die zu unseren motivierenden<br />

Zielen passen sowie mit vorhergehenden Er fahrungen übere<strong>in</strong>stimmen.<br />

Es arbeitet analogisch <strong>in</strong> Bezug zu neuronalen Schaltmustern.<br />

Dabei fügt es diese schon beim Wahrnehmen kreativ zu s<strong>in</strong>nhaften<br />

Gestalten zusammen, wie Gestaltpsychologen schon vor hundert<br />

Jahren beschrieben haben (vgl. a. Goldste<strong>in</strong> 1934). Auch Intuition<br />

können wir als analogischen Vorgang verstehen, wenn <strong>in</strong> unserem<br />

Gehirn Verschaltungen stattf<strong>in</strong>den, die assoziativ Antworten auf<br />

ungeklärte Fragen geben, die wir kausal nicht erklären können.<br />

»Das analogische Denken ist die Mutter<br />

<strong>des</strong> kreativen <strong>Denkens</strong> …«<br />

Gottfried Gabriel (2015)<br />

Assoziatives Denken und Fühlen ist<br />

analogisch. In Beziehungen denken ist<br />

analogisch. So können wir feststellen,<br />

dass die meisten unserer Denkprozesse analogisch verlaufen –<br />

zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t die impliziten und kreativen. Verkürzt bezeichne ich<br />

diese – durchaus unterschiedlichen Schlussfolgerungen – zu sam -<br />

men als Analogik, als die zur energetischen Kausallogik komplementäre<br />

Art <strong>des</strong> Schlussfolgerns unter dem Informationsaspekt.<br />

Das analogische Denken betrifft auch komplexe Fragen und<br />

Dynamiken, die sich weder mit der oben geschilderten Kausallogik<br />

alle<strong>in</strong> lösen lassen noch mit digitalem entweder null oder e<strong>in</strong>s Denken.<br />

Für die Kausallogik habe ich als Kriterium beschrieben, dass die<br />

Ursache vor der Wirkung se<strong>in</strong> muss, dass es also e<strong>in</strong>en klaren Zeit-


Kausales und analogisches Denken<br />

pfeil gibt von der Ursache zum Effekt. Das gilt nicht so klar und e<strong>in</strong>fach<br />

für das analogische Denken. In der Analogik kann es e<strong>in</strong>en<br />

Möglichkeitsraum geben, der auch nichtlokal ist, <strong>in</strong> dem sich die Informationen<br />

von Mustern, wie z. B. Naturgesetze und Attraktiva wie<br />

auch konkrete Lösungen bef<strong>in</strong>den und darauf warten, dass Energien<br />

wie Teilchen mit ihnen <strong>in</strong> Resonanz gehen und Formen bilden.<br />

Diese Vorgänge s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Abschnitt 2 und 3 beschrieben. Zu diesen<br />

<strong>in</strong>formierenden Mustern gehört die Kohärenz von Systemen. Diese<br />

Muster können allerd<strong>in</strong>gs schon sehr nahe am begrenzten Erfahrungsraum<br />

se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem wir unsere physischen, s<strong>in</strong>nlichen Erfahrungen<br />

machen, wie auch die von Ursache und Wirkung. So können<br />

die möglichen Spielzüge beim Schachspiel durch <strong>des</strong>sen Regeln<br />

begrenzt se<strong>in</strong>. Deshalb sollten wir hier lieber von e<strong>in</strong>er »Möglichkeitsblase«<br />

sprechen – auch um e<strong>in</strong>e Unterscheidung zu dem<br />

unendlichen Möglichkeitsraum zu benennen. Das gilt ebenso für<br />

alle physikalischen und technischen Konstruktionen. Für diese<br />

begrenzten Möglichkeitsräume kann KI häufig schnellere und bes-<br />

Kausallogisches und analogisches Denken <strong>in</strong> ihrer Beziehung zur Zeit<br />

Zeitlosigkeit/Ewigkeit<br />

Massgebliche Informationen, Attraktiva<br />

Möglichkeitsraum<br />

Muster, Analogien,<br />

Kohärenz<br />

Vergangenheit<br />

Zukunft<br />

Ursache Erfahrungsraum Wirkung<br />

Jetzt<br />

Gegenwart<br />

Resonanz<br />

Abbildung 10: In dem heute von den klassischen Naturwissenschaften gepflegten kausallogischen<br />

Denken stehen Ursache und Wirkung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em klaren Bezug zur Zeit. Im analogischen<br />

Denken kann die Entwicklung wie Gestaltbildung von Informationen aus e<strong>in</strong>em Möglichkeitsraum<br />

her bestimmt werden, der nicht zeitgebunden, also jenseits von Raum und Zeit ist.<br />

139


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen?<br />

sere Lösungen f<strong>in</strong>den (s. Kle<strong>in</strong> 2021). Zum vollständig virtuellen<br />

Möglichkeitsraum sowie zur Kohärenz komplexer lebender Systeme<br />

kann KI ke<strong>in</strong>en Zugang haben.<br />

Soweit zunächst die grobe Unterteilung von Kausallogik und<br />

Analogik. Da es hier vornehmlich um schöpferische Prozesse gehen<br />

soll, stehen analogische Denkweisen im Fokus.<br />

Im Folgenden sollen Schlussfolgerungsarten beschrieben werden,<br />

die helfen können, Zusammenhänge von Entwicklungen zu<br />

verstehen und mitzugestalten.<br />

1. Allgeme<strong>in</strong>: Zugrundeliegend ist e<strong>in</strong>e analogische Resonanzlogik:<br />

e<strong>in</strong> Schlussfolgern von e<strong>in</strong>er Information über mögliche<br />

Resonanzen zu möglichen Veränderungen (s. a. Abschnitt 2).<br />

Speziell: E<strong>in</strong> Schlussfolgern von e<strong>in</strong>er Attraktiva über rekursive<br />

Prozesse e<strong>in</strong>es resonanzfähigen Systems zur Annäherung an<br />

e<strong>in</strong>e <strong>neue</strong> Gestalt (Attraktionslogik, komplexe Logik (vgl. a.<br />

Abschnitt 3).<br />

2. Entwicklung <strong>in</strong> lebenden Systemen: E<strong>in</strong> Schlussfolgern von<br />

Systemkohärenzen auf die Aktivitäten von Teilsystemen und<br />

ihre Wechselbeziehungen (Systemlogiken: top-down und bottom-up<br />

sowie zwischen Partnersystemen).<br />

3. Entwicklung von Menschen geht <strong>in</strong> Richtung Komplexität.<br />

Dabei spielen Information (Theorie, Intuition …) und Energie<br />

(Kraft, Macht …) zusammen. Zum Verstehen ist e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tegrieren<strong>des</strong><br />

komplexes Denken erforderlich.<br />

4. Mitgestalten durch Subjekte: von der Lösung her und komplex<br />

denken – heuristische Lösungslogik (komplex <strong>in</strong>tegrierend).<br />

4.2 Informierende Analogiken <strong>des</strong><br />

Schöpferischen<br />

Resonanzlogiken zur menschlichen Entwicklung<br />

140<br />

Wenn e<strong>in</strong> System mit e<strong>in</strong>em anderen wechselwirkt, dann resoniert<br />

es primär analogisch. Das bedeutet, dass es aufgrund se<strong>in</strong>er<br />

Schw<strong>in</strong>gungsfähigkeit und Veränderbarkeit Informationen und


Informierende Analogiken <strong>des</strong> Schöpferischen<br />

Energie <strong>des</strong> anderen aufnimmt und von sich abgibt. Die Bezeichnung<br />

Resonanz ist <strong>des</strong>halb wichtig und helfend, da je<strong>des</strong> System nur<br />

im Rahmen se<strong>in</strong>er Schw<strong>in</strong>gungsfähigkeit wechselwirken und antworten<br />

kann. Immer ist dabei die Information <strong>des</strong> Systems, se<strong>in</strong>e<br />

Qualität, maßgeblich für die Art der Interaktion (nicht so sehr für<br />

die Heftigkeit). Mit Resonanzlogik ist folgende Schlussfolgerung<br />

bezeichnet: Wenn e<strong>in</strong> System von e<strong>in</strong>em anderen <strong>in</strong>formiert wird, dann<br />

resoniert es im Rahmen se<strong>in</strong>er Schw<strong>in</strong>gungsfähigkeit und -bereitschaft.<br />

Unser kreatives analogisches Denken entspricht und entspr<strong>in</strong>gt<br />

ursprünglich dem Resonanzvorgang, wie er <strong>in</strong> Abschnitt 2 geschildert<br />

wurde, wie er am Anfang jeder Wahrnehmung und unseres<br />

Lebens und <strong>Denkens</strong> steht. Deshalb ersche<strong>in</strong>t es folgerichtig, die<br />

damit verknüpfte Denkweise Resonanzlogik zu nennen. Der Begriff<br />

Resonanz ist treffend für die Phänomene sowohl <strong>in</strong> unserer zwischenmenschlichen<br />

als auch <strong>in</strong> der physikalischen Welt. Diese analogische<br />

Resonanzlogik wurde durch die analytische Kausallogik <strong>in</strong><br />

den klassischen Naturwissenschaften weitgehend aus dem wissenschaftlich-technisch<br />

kultivierten Bewusstse<strong>in</strong> verdrängt.<br />

Schöpfung ohne Anfang und Ende – zirkuläre Dynamiken<br />

Kreativität ist Schaffen von etwas Neuem. Dieses Schaffen f<strong>in</strong>det<br />

immer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Dialog statt – <strong>in</strong> unserem Zusammenhang <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Dialog zwischen Mensch und Material oder zwischen zwei<br />

oder mehr Menschen.<br />

In Kapitel 2.2 ist der zugrundeliegende Vorgang von Informierung<br />

als Resonanz beschrieben. In Resonanz übernimmt e<strong>in</strong> System B<br />

als Empfänger von e<strong>in</strong>em sendenden System A Informationen, wie<br />

unser Gehör <strong>in</strong> Resonanz schw<strong>in</strong>gt und die Frequenzen <strong>des</strong> Schalls<br />

transformiert <strong>in</strong> elektrische Impulse. Auch Emotionen, Mitgefühl<br />

und Gedanken entstehen durch Resonanz. Das Spezielle an dieser<br />

Sichtweise als Resonanz ist, dass dabei der Fokus auf den Frequenzmustern,<br />

also dem Informationsaspekt liegt und weniger auf dem<br />

Energieaspekt (der <strong>in</strong> der Amplitude Ausdruck f<strong>in</strong>det). Und weiter,<br />

dass die Schw<strong>in</strong>gungsfähigkeit <strong>des</strong> Systems B (<strong>des</strong> Empfängers)<br />

darüber entscheidet, ob es und wie es die Information von A an -<br />

141


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

142<br />

nimmt. Wenn wir also Kommunikation und Beziehung als Resonanz<br />

verstehen, hat die Autonomie der Systeme <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dynamischen<br />

Verbundenheit ihren Platz. Mit dem Begriff Resonanz ist das Wesen<br />

von Beziehung und Kommunikation gekennzeichnet.<br />

E<strong>in</strong>e weitere Besonderheit dieser Wechselbeziehung Resonanz<br />

ist, dass System B durch se<strong>in</strong>e Resonanz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>neue</strong> transformierte<br />

Schw<strong>in</strong>gung gekommen ist, die es entsprechend se<strong>in</strong>er Fähigkeiten<br />

sendet. Der Empfänger B wird dann zum <strong>neue</strong>n Sender. Wie e<strong>in</strong> Ton,<br />

den unser Gehör aufnimmt und transformiert, und der im Gehirn<br />

bewusst wird und den wir dann womöglich tönen. Das Senden<br />

sucht wieder Empfänger <strong>in</strong> A, C usw. Im Verstehen als Resonanz<br />

wird Kommunizieren und Informieren zu e<strong>in</strong>em fortlaufenden und<br />

ggf. zirkulären Prozess – verallgeme<strong>in</strong>ert: zu e<strong>in</strong>em Prozess, <strong>in</strong> dem<br />

sich unsere Welt entwickelt – und wir mittendr<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d (vgl. »Weltresonanztheorie«<br />

von Cramer 1996; Petzold 2000b; Rosa 2016).<br />

Reflexion von Resonanz im Denken<br />

Von der Resonanzlogik ausgehend, reflektieren wir unsere Denkprozesse<br />

als Resonanzen auf Vorgänge <strong>in</strong> unseren Umwelten.<br />

Evolutionär haben sich die Hirnstrukturen dann <strong>in</strong> Resonanz<br />

zu natürlichen Umwelten gebildet. Biografisch bilden sich die<br />

Verschaltungen <strong>in</strong> Resonanz zu den <strong>in</strong>dividuell erfahrenen Um -<br />

weltbeziehungen. Das Individuum versucht aus se<strong>in</strong>er Sicht se<strong>in</strong>e<br />

jeweilige Umgebung bewusst zu deuten. Dazu bildet es aus allgeme<strong>in</strong>eren<br />

(möglicherweise evolutionären) Erfahrungen Hypothesen<br />

Die Logik der Resonanz ist grundlegend<br />

für Kreativität.<br />

für das Verstehen konkreterer Situationen (Deduktion). Andersherum<br />

versucht es auch konkrete Erfahrungen<br />

zu verallgeme<strong>in</strong>ern, wenn es<br />

das Erfahrene für sehr wichtig hält (Induktion). Beide Be grün -<br />

dungsrichtungen beruhen im Grunde auf Analogieschlüssen un -<br />

seres Gehirns zwischen s<strong>in</strong>nlich Wahrgenommenem und Übersystemen.<br />

Unser Gedächtnis als e<strong>in</strong> Teil der Natur funktioniert überwiegend<br />

analogisch. Das bedeutet, dass wir uns <strong>in</strong> jedem Augenblick, <strong>in</strong> dem<br />

unser Gehirn arbeitet, an D<strong>in</strong>ge, Situationen und Empf<strong>in</strong>dungen


Informierende Analogiken <strong>des</strong> Schöpferischen<br />

er<strong>in</strong>nern, die ähnlich denen s<strong>in</strong>d, die wir gerade wahrnehmen. Wenn<br />

Nervenimpulse aus unseren S<strong>in</strong>nesorganen zum Gehirn gelangen,<br />

sucht dieses automatisch nach ähnlichen Signalmustern. Obwohl<br />

also Analogik e<strong>in</strong>e Art zu denken ist, die jeder Mensch zu jeder Zeit<br />

vollzieht, hat sie bisher noch ke<strong>in</strong>en angemessenen Platz im wissenschaftlich<br />

reflektierten Diskurs. 31<br />

Wie ich oben schon beschrieben habe, entsteht Kommunikation<br />

– Kohärenz und Resonanz – dann, wenn Schw<strong>in</strong>gungen mit ähnlichen<br />

Wellenlängen und -mustern (= Informationen) aufe<strong>in</strong>andertreffen<br />

bzw. zusammenkommen. Wellen können nur dort Resonanz<br />

f<strong>in</strong>den, wo ähnliche Schw<strong>in</strong>gungsmuster möglich s<strong>in</strong>d. Kohärenz<br />

und Resonanz s<strong>in</strong>d die physikalischen Phänomene, die e<strong>in</strong>e naturwissenschaftliche<br />

Grundlage der Analogik bilden. 32 E<strong>in</strong> System (z. B.<br />

Holzbrett) geht dann <strong>in</strong> Resonanz, wenn es e<strong>in</strong>e passende Schw<strong>in</strong>gungsfähigkeit<br />

mit e<strong>in</strong>kommenden Schallwellen hat, wie der Bauch<br />

e<strong>in</strong>er Gitarre. Hier tritt die energetische Ereignis-Impuls-Wirkungs-<br />

Kausalität <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund zugunsten e<strong>in</strong>er passigen Frequenzähnlichkeit,<br />

die erst die energetische Anregung ermöglicht. Wenn<br />

ke<strong>in</strong>e entsprechende Schw<strong>in</strong>gungsfähigkeit vorhanden ist, kann<br />

auch ke<strong>in</strong>e Aufnahme energetischer Impulse stattf<strong>in</strong>den (sogenanntes<br />

Schlüssel-Schloss-Pr<strong>in</strong>zip). Die Information muss passen, damit<br />

Energie ihr <strong>in</strong> e<strong>in</strong> System folgen kann.<br />

Im Grunde ist dies e<strong>in</strong>e sehr triviale Aussage, die wir uns <strong>in</strong> den<br />

Wissenschaften so allgeme<strong>in</strong> kaum bewusst machen. Dazu gehört<br />

z. B. auch, dass Holz nur brennen kann, wenn es entflammbar ist<br />

(als Schw<strong>in</strong>gungsfähigkeit). Oder: wenn wir uns <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en anderen<br />

Menschen verlieben, ist da e<strong>in</strong>e bestimmte Information, die passt,<br />

sodass wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bestimmten Weise <strong>in</strong> Resonanz gehen. Dann<br />

geht viel Energie <strong>in</strong> die Richtung dieses Menschen. Oder: E<strong>in</strong>e Nachricht<br />

über Terroranschläge oder Viren muss auf Angstbereitschaft<br />

31 Zwei Autoren, Hans Domizlaff (1946) und Hermann de Witt (1982, 1989), haben Bücher unter<br />

dem Titel »Analogik« veröffentlicht. Leider habe ich <strong>in</strong> diesen Werken nichts besonders Erwähnenswertes,<br />

Erhellen<strong>des</strong> gefunden. Immerh<strong>in</strong> haben sie die Bedeutsamkeit <strong>des</strong> Themas erkannt<br />

und hervorgehoben.<br />

32 Die Verschränkung von Elementarteilchen, wie sie <strong>in</strong> Quantencomputern angewandt wird, wird<br />

auch als Kohärenz bezeichnet.<br />

143


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

stoßen, damit der Empfänger e<strong>in</strong>e Verstärkung der Überwachung<br />

bzw. Maßnahmen will.<br />

Lernen, <strong>in</strong>formieren, Informationen verarbeiten, Genaktivitäten,<br />

Immunabwehr, Eiweißproduktion <strong>in</strong> den Zellen, Liebe, emotionale<br />

Reaktionen usw. – <strong>in</strong> all diesen grundlegenden Vorgängen <strong>des</strong><br />

Lebens f<strong>in</strong>den wir überwiegend analoge Kommunikation. Sie funktionieren<br />

vorwiegend nach dem Pr<strong>in</strong>zip der Wiedererkennung von<br />

Mustern (= analogisch) wie dem Schlüssel-Schloss-Pr<strong>in</strong>zip.<br />

K<strong>in</strong>der und auch viele Erwachsene lernen durch Nachahmung<br />

von Vorbildern. Dazu helfen »Resonanzneuronen« (Bauer 2005). Erkennen<br />

von attraktiven Partner<strong>in</strong>nen oder bedrohlichen Situationen –<br />

alles funktioniert über Analogien, im Denken spricht man von<br />

Assoziationen im Unterschied zu kausal-analytischem Denken.<br />

Dabei können Analogien auf der oberflächlichen Ersche<strong>in</strong>ung zu<br />

sehen se<strong>in</strong>, wie zum Beispiel Salz und Zucker ähnliche weiße Kristalle<br />

s<strong>in</strong>d. In ihrem Geschmack, ihren chemischen Zusammensetzung<br />

und Wirkung im Organismus s<strong>in</strong>d sie aber sehr unterschiedlich.<br />

Man spricht dann leicht von e<strong>in</strong>er verführerischen Ähnlichkeit.<br />

Dann gibt es Ähnlichkeiten zwischen dem süßen Geschmack von<br />

Stoffen, die aber gänzlich unterschiedlich aussehen und auch chemisch<br />

unterschiedlich zusammengesetzt s<strong>in</strong>d wie zum Beispiel<br />

Stevia und Zucker. Oder e<strong>in</strong>e Ähnlichkeit zwischen Bienen und<br />

Menschen: Auf den ersten Blick s<strong>in</strong>d da kaum welche zu erkennen,<br />

außer dass bei<strong>des</strong> Lebewesen s<strong>in</strong>d. Bienen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Lage, ihren<br />

Artgenossen durch bestimmte Bewegungsmuster, sog. Tänze, sehr<br />

genau mitzuteilen, wo e<strong>in</strong>e Nahrungsquelle zu f<strong>in</strong>den ist. Diese<br />

Kommunikationsfähigkeit hat Ähnlichkeit mit unserer Sprache.<br />

Es gibt verblüffende Übere<strong>in</strong>stimmungen zwischen der modernen<br />

westlichen Beschreibung der Funktionen der Hormone der großen<br />

Drüsen und der alten ch<strong>in</strong>esischen Beschreibung der Funktionen<br />

von gekoppelten Meridianen von vor über 2000 Jahren 33 . Die<br />

Entdeckung e<strong>in</strong>er derartigen <strong>in</strong> großen Teilen wortwörtlichen Übere<strong>in</strong>stimmung<br />

wirft die Frage auf: Wie haben die Ch<strong>in</strong>esen damals<br />

144<br />

33 Siehe me<strong>in</strong>e mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnete Arbeit von 1991: Petzold 1992, 2000 d.


Informierende Analogiken <strong>des</strong> Schöpferischen<br />

diese Funktionen der Hormone erkannt, ohne die Hormone selbst<br />

und die Drüsen zu kennen? Wie haben sie resoniert?<br />

Analogische Wirkweisen<br />

Ähnlichkeiten s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e l<strong>in</strong>earen Ursachen, können aber auf dem<br />

Wege der Resonanz Prozesse <strong>in</strong>formieren und somit gestalterisch,<br />

formbildend wirksam werden. Bei der Resonanz, der Informationsübertragung<br />

von e<strong>in</strong>em System auf e<strong>in</strong> anderes, wird die Information<br />

transformiert. E<strong>in</strong> e<strong>in</strong>drucksvolles K<strong>in</strong>derspiel für diesen Vorgang<br />

ist die »stille Post« oder auch das Beispiel <strong>des</strong> Herzpatienten<br />

von Dr. Lown, wie im ersten Kapitel wiedergegeben. So ist e<strong>in</strong>e<br />

transformative Kreativität dem Leben <strong>in</strong>härent (vgl. Kle<strong>in</strong> 2021).<br />

Wir können uns beispielsweise von erfolgreichen oder weisen<br />

Menschen als Vorbilder anregen lassen, es ähnlich zu machen wie<br />

sie. Dabei verändern wir die Information etwas, um diese für uns<br />

anwendbar zu machen; wir transformieren die Information dieser<br />

Vorbilder, <strong>in</strong>dem wir sie mit unseren eigenen Informationen zu -<br />

sammenbr<strong>in</strong>gen, also neu <strong>in</strong>formieren. Diesen Vorgang können wir<br />

als freie, attrahierende Wirksamkeit der Information (hier <strong>des</strong> Vorbilds)<br />

bezeichnen, im Unterschied zur direkten Wirkung von energetischen<br />

Bed<strong>in</strong>gungsursachen. Das Suffix »-sam« bedeutet soviel<br />

wie »Neigung zu etwas«, hier also haben Vorbilder Neigung zum<br />

Wirken. Diese Wirksamkeit geschieht nicht direkt l<strong>in</strong>ear, sondern<br />

anregend als Resonanz im Rahmen der Eigenschw<strong>in</strong>gungsfähigkeit<br />

und Selbstregulation <strong>des</strong> empfangenden Systems. Sie kann sich<br />

nach dem Schneeballsystem ausbreiten oder bei mangelnder Resonanz<br />

wie auch fehlender Energie zur Ruhe kommen – wie Viren<br />

oder wie ansteckende Gesundheit und Menschlichkeit sich ausbreiten<br />

können, wenn sie Resonanz und Energie f<strong>in</strong>den.<br />

In der Psychotherapie, <strong>in</strong>sbesondere der systemischen und der<br />

salutogenen Kommunikation, denken wir ganz überwiegend analogisch.<br />

Das ist <strong>des</strong>halb so normal, weil diese Art zu denken der<br />

menschlichen Selbstorganisation, dem Wahrnehmen, Handeln und<br />

Lernen und <strong>in</strong>sbesondere unserer Kommunikation als Informationsübertragung<br />

entspricht.<br />

145


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

Attraktionslogik<br />

146<br />

In den beiden ärztlichen Gesprächen mit Herrn Plume mit Bluthochdruck<br />

(<strong>in</strong> Kap. 1.3 S. 47 ff.) ist der zweite Arzt schon e<strong>in</strong>er heuristischen<br />

Attraktionslogik gefolgt, <strong>in</strong>dem er Herrn Plume nach se<strong>in</strong>en<br />

attraktiven Zielen gefragt hat und dann, diesen zustrebend, die<br />

nächsten Schritte zur Annäherung besprochen hat. Der erste Arzt<br />

folgte überwiegend e<strong>in</strong>em kausallogischen Denken, <strong>in</strong>dem der Blutdruck<br />

als Ursache für Schlaganfall und Herz<strong>in</strong>farkt ersche<strong>in</strong>t und<br />

kausal chemisch gesenkt werden soll. Leitl<strong>in</strong>iengerecht hat er dem<br />

Patienten auch e<strong>in</strong>e Lebensstiländerung zur Blutdrucksenkung<br />

empfohlen, da diese auch e<strong>in</strong>en Effekt auf den Blutdruck haben<br />

kann (nicht weil es sich damit <strong>in</strong>sgesamt besser leben könnte).<br />

Die Frage nach der Emergenz <strong>neue</strong>r Phänomene, wozu auch<br />

Gesundung gehört, wurde <strong>in</strong> den letzten 30 Jahren viel diskutiert<br />

(Stephan 2005). Im dritten Abschnitt habe ich zur Gestaltbildung<br />

schon e<strong>in</strong>iges ausgeführt – <strong>in</strong>sbesondere das Attraktionspr<strong>in</strong>zip.<br />

Dieses ist komplementär zum Kausalpr<strong>in</strong>zip. Muster- und Formbildung<br />

f<strong>in</strong>det überall und ständig statt – mit und ohne unser Zutun.<br />

Hier wollen wir unsere Denkvorgänge erkunden, mit denen wir an<br />

den schöpferischen Vorgängen <strong>in</strong> der Natur teilhaben. Diese unsere<br />

reflektierten Denkvorgänge – hier auch als Logiken bezeichnet –<br />

sollten, so die These, wiederum <strong>in</strong> Resonanz mit den im Außen<br />

beobachteten Phänomenen und Dynamiken se<strong>in</strong> – also Ähnlichkeiten<br />

damit aufweisen.<br />

Mit dem hier vertretenen Attraktionspr<strong>in</strong>zip <strong>in</strong> der Natur und der<br />

damit e<strong>in</strong>hergehenden Attraktionslogik ersche<strong>in</strong>t der 2. Hauptsatz<br />

der Thermodynamik, der Entropiesatz, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen Lichte, im<br />

Lichte <strong>des</strong> schöpferisch Lebendigen.<br />

Zur Veranschaulichung für das natürliche Zusammenspiel dieser<br />

verschiedenen Prozesse und Logiken möchte ich e<strong>in</strong> Beispiel weiterdenken,<br />

das wir im Studium vom Physik-Dozenten zur Veranschaulichung<br />

<strong>des</strong> Entropie-Pr<strong>in</strong>zips bekommen haben. Wenn wir<br />

e<strong>in</strong> Haus der Natur überlassen, zerfällt es mit der Zeit. Es entsteht<br />

Unordnung. Das sollte die Entropie verdeutlichen. Das ist allerd<strong>in</strong>gs<br />

e<strong>in</strong>e sehr oberflächliche Betrachtung. Bei reflektierender Betrach-


Informierende Analogiken <strong>des</strong> Schöpferischen<br />

tung kann man schnell erkennen, dass die Ordnung <strong>des</strong> Hauses nur<br />

für den menschlichen Benutzer (se<strong>in</strong>em Übersystem) e<strong>in</strong>e Ordnung<br />

darstellt und dabei e<strong>in</strong>e recht e<strong>in</strong>fache, mechanische und starre.<br />

Von starren Ordnungen wissen wir seit der Chaosforschung, dass<br />

diese sehr gefährdet s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong>s Chaos zu verfallen.<br />

Was geschieht während und nach dem Fall <strong>des</strong> Hauses <strong>in</strong>s<br />

Chaos? E<strong>in</strong> großer Teil zerfällt durch Resonanz auf Witterungse<strong>in</strong>flüsse<br />

wie Nässe, Hitze, Kälte und Strahlung. E<strong>in</strong> weiterer Teil <strong>des</strong><br />

Zerfalls wird durch biologische E<strong>in</strong>wirkungen, <strong>in</strong>sbesondere von<br />

Mikroorganismen, bewirkt. In diesen Prozessen werden anorganische<br />

Teilchen <strong>des</strong> Hauses <strong>in</strong> organisch geordnete Prozesse <strong>in</strong>tegriert.<br />

Diese organismischen Dynamiken s<strong>in</strong>d dimensional komplexer<br />

als die statisch-mechanische Ordnung <strong>des</strong> Hauses.<br />

Was also dem Physiker auf den ersten Blick als Entropie, als Zerfall<br />

e<strong>in</strong>er Ordnung, erschien, ist <strong>in</strong> Wirklichkeit e<strong>in</strong> natürlicher<br />

Übergang e<strong>in</strong>er relativ e<strong>in</strong>fachen künstlichen Ordnung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e komplexere<br />

Ordnung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em mehrdimensionalen Biotop. Im Übergang<br />

kann es dazu kommen, dass Teilsysteme<br />

e<strong>in</strong>er zerfallenden Systemkohärenz<br />

(bei Verlust se<strong>in</strong>er Attraktiva – hier die Absicht <strong>des</strong><br />

menschlichen Benutzers) durch Resonanz auf Attraktiva von anderen<br />

Systemen an deren Kohärenz mitwirken – hier dem Biotop.<br />

Wenn e<strong>in</strong> leben<strong>des</strong> System sich e<strong>in</strong>er Attraktiva wie e<strong>in</strong>em<br />

Ideal(-zustand) anzunähern strebt, kann das mehr oder weniger<br />

direkt oder auch auf chaotischen Wegen geschehen. E<strong>in</strong> solches<br />

Streben – hier <strong>des</strong> Menschen – bezieht sich auf mehrere Lebensdimensionen.<br />

Ich strebe nach e<strong>in</strong>em guten Leben, also b<strong>in</strong> ich bemüht …<br />

… Befriedigung me<strong>in</strong>er wichtigsten Bedürfnisse zu f<strong>in</strong>den;<br />

… mit me<strong>in</strong>en Liebsten <strong>in</strong> Stimmigkeit und mit Freude zu leben;<br />

… mit me<strong>in</strong>er Umwelt <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang zu se<strong>in</strong>;<br />

… me<strong>in</strong>e Ziele, Anliegen und S<strong>in</strong>nvorstellungen mit möglichst vielen zu<br />

teilen;<br />

… me<strong>in</strong>e Erfahrungen weiterzugeben<br />

… usw.<br />

Zielorientiert und <strong>in</strong> Zusammenhängen<br />

denken!<br />

147


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

So fragen wir mit der Attraktionslogik bei lebenden Systemen im -<br />

mer nach motivierenden Zielen, Zwecken, Attraktiva oder dem S<strong>in</strong>n<br />

e<strong>in</strong>er Veränderung wie auch Aktivität.<br />

Über den Aufenthaltsort dieser Attraktiva, bzw. den Ursprungort<br />

von Motivationen, kann man viel spekulieren. Seitdem wir aus der<br />

Quantenphysik wissen, dass es auch nichtlokale Informationen gibt<br />

(wie z. B. die Wellengleichung und andere Naturgesetze, s. Kap. 2.1),<br />

müssen wir dem Anspruch auf e<strong>in</strong>e stoffliche Lokalisierung von<br />

Informationen nicht mehr unbed<strong>in</strong>gt nachgehen. Womöglich gibt<br />

es auch systemlokale Informationen, was der aristotelischen Vorstellung<br />

e<strong>in</strong>er Entelechie nahekommen würde. Mit der Attraktiva der<br />

Ganzheit e<strong>in</strong>es Systems habe ich schon ähnliche Überlegungen<br />

angestellt (s. Kap 3.2). Mit der Vorstellung e<strong>in</strong>er systemlokalen Attraktiva<br />

nehmen wir an, dass sie e<strong>in</strong>em Menschen bzw. e<strong>in</strong>er Familie<br />

oder auch der Menschheit <strong>in</strong>newohnt, ohne <strong>in</strong> diesem System<br />

e<strong>in</strong>en festen stoffgebundenen Ort zu haben.<br />

Anwendungen <strong>des</strong> Attraktionspr<strong>in</strong>zips<br />

148<br />

In der Physik hat man sich mit der Frage beschäftigt, wie viel Energie<br />

es zum Herstellen von Ordnung braucht, also zum Hausbau oder<br />

zum Aufräumen <strong>in</strong> der Wohnung. Hier, im anthropologischen Kontext<br />

von Kreativität, beschäftigen wir uns mehr mit dem Phänomen<br />

und der Frage, wie Lebewesen und <strong>in</strong>sbesondere Menschen es<br />

schaffen, die zum Aufbau erforderliche Energie anzuziehen bzw. sich<br />

verfügbar zu machen. Welche Gesetzmäßigkeiten stecken <strong>in</strong> uns<br />

Lebewesen, damit wir wachsen und uns vermehren können und<br />

auch Häuser bauen usw.? Mit dieser Frage s<strong>in</strong>d wir auf Information<br />

gekommen, die für Energie attraktiv ist.<br />

Dies sei noch e<strong>in</strong>mal an e<strong>in</strong>em Beispiel aus der Biologie skizziert.<br />

Wenn <strong>in</strong> der Umgebung e<strong>in</strong>es Zellkerns und der Zelle bestimmte<br />

Bed<strong>in</strong>gungen gegeben s<strong>in</strong>d, kann die Zelle e<strong>in</strong> bestimmtes Eiweiß<br />

dann produzieren, wenn die Information für die gewünschte biochemische<br />

Reaktion im Genom abrufbar ist. Um e<strong>in</strong>e bestimmte<br />

konstruktive Wirkung zu erhalten, müssen entsprechende Informationen<br />

und Energien zusammentreffen. Dazu attrahieren die


Informierende Analogiken <strong>des</strong> Schöpferischen<br />

gespeicherten Informationen im Genom und <strong>in</strong> der Zelle die Energie<br />

und Materie aus ihrer Umgebung, die sie zum Leben, Wachstum<br />

und zur Vermehrung brauchen. Wenn dieser gesunde Lebensvorgang<br />

der attrahierenden Selbstorganisation irgendwann durch irgendetwas<br />

gestört ist, soll die Umgebung (wie das Gesundheitswesen)<br />

die Information und Energie zur Verfügung stellen, die der Organismus<br />

braucht, um se<strong>in</strong>e Lebensvorgänge wieder gesund zu regulieren.<br />

In mediz<strong>in</strong>ischen Fällen brauchen Menschen heute seltener<br />

zusätzliche Mengen an Energie wie Wärme oder Nahrung. Viel häufiger<br />

kommt es heute auf die Qualität an, die zur Gesundung hilfreich<br />

ist, also auf besonders <strong>in</strong>formierte Energie.<br />

Über die Information der Ganzheit und ihre Attraktivität habe ich<br />

oben schon geschrieben. Ganz subjektiv ersche<strong>in</strong>en uns Attraktiva<br />

als Ideale, Ideen, Visionen usw., die uns motivieren, also unsere<br />

Energie anregen und ausrichten – uns <strong>in</strong> Bewegung br<strong>in</strong>gen. Sie<br />

s<strong>in</strong>d attraktiv für Energie. Das kann sogar ansteckend se<strong>in</strong>: Wenn<br />

ich begeistert von e<strong>in</strong>er Vision b<strong>in</strong>, f<strong>in</strong>det sich leicht jemand, der<br />

me<strong>in</strong>e Intentionalität teilt und mit mir kooperieren möchte. Mit<br />

e<strong>in</strong>er materialistischen Kausallogik denkt man zuerst an Bezahlung,<br />

wenn man jemanden zur Kooperation motivieren will – e<strong>in</strong><br />

materieller, energetischer Aspekt. Kooperation wird <strong>in</strong> der Kausallogik<br />

primär käuflich.<br />

Die Attraktionslogik gilt auch für gesellschaftliche Prozesse.<br />

Wenn ich e<strong>in</strong>e Idee habe, wie zum Beispiel e<strong>in</strong> gutes Leben für alle,<br />

teile ich diese mit vielen anderen. Dies bleibt möglicherweise lange<br />

e<strong>in</strong>e schlafende Utopie – bis Menschen dieser attraktiven Idee<br />

genügend Energie zur Verfügung stellen. Das kann u. a. Geld se<strong>in</strong>.<br />

Dann kann sich weitere Arbeit für diese Utopie womöglich organisieren<br />

und entfalten. So funktionieren heute viele Projekte. Attraktiv<br />

für das die Kooperation und sekundär auch für Geld waren dafür<br />

jeweils die komplexen attraktiven Informationen. Diese kamen zur<br />

Entfaltung durch menschliche Energie sowie auch Geld.<br />

Wenn sich für Menschen die Attraktivität umdreht, ihnen also<br />

Geld wichtiger wird und an die übergeordnete Stelle ihrer Motivation<br />

tritt, lässt ihr <strong>in</strong>haltliches Engagement im Laufe der Zeit eher<br />

149


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

nach, und es gibt häufiger Korruption und letztlich e<strong>in</strong>e Tendenz<br />

zum Zerfall.<br />

Hier wollen wir noch e<strong>in</strong>mal festhalten, dass die Kausallogik von<br />

ihrer Motivation her wahrsche<strong>in</strong>lich e<strong>in</strong>e Reaktion, e<strong>in</strong>e Antwort<br />

<strong>des</strong> <strong>Denkens</strong> auf die Frage nach der Ursache e<strong>in</strong>er Verletzung oder Not<br />

ist. Wenn sich jemand freut, fragt er nicht nach e<strong>in</strong>er Ursache. Als<br />

Mitmenschen freuen wir uns mit oder fragen nach dem Grund, um<br />

uns mitfreuen zu können, um besser <strong>in</strong> Resonanz gehen zu können.<br />

Der Anlass (nicht = Ursache!) für Freude kann sich ständig<br />

ändern. Menschen s<strong>in</strong>d weder Marionetten noch Roboter, die sich<br />

immer nach festem Programm freuen. E<strong>in</strong>e detektivische (analytische)<br />

Frage nach e<strong>in</strong>er Ursache würde die Freude nehmen und die<br />

Aufmerksamkeit von der Freude weg auf die Sache lenken. Freude<br />

entsteht bei e<strong>in</strong>er Annäherung an Stimmigkeit. Statt der Frage nach<br />

der Ursache kommt bei Freude die Dankbarkeit auf.<br />

4.3 Systemisches Denken –<br />

Zusammenhangslogiken<br />

»The cl<strong>in</strong>ician and patient are seen as agents who <strong>in</strong>teract with other<br />

external agents such as the lawyer (threat of lawsuit), the media (health<br />

beliefs), the statistician (evidence-based medic<strong>in</strong>e), and a computer<br />

(electronic medical record). These externalities have agency through the<br />

<strong>in</strong>dividuals that are physically present.«<br />

John Scott (2013, S. 258)<br />

150<br />

Im letzten Kapitel war der Fokus auf grundlegende Denkmuster<br />

gerichtet, die den Energie- bzw. Informationsaspekt der Wirklichkeit<br />

beleuchten und widerspiegeln. In diesem Kapitel geht es nicht<br />

mehr um so allgeme<strong>in</strong>e Logiken, sondern um Schlussfolgerungen,<br />

die systemische Beziehungen unserer Welten betreffen. Dabei kommen<br />

vor allem analogische Denkweisen zur Anwendung. In e<strong>in</strong>er<br />

holarchisch systemischen Ordnung ersche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e fraktale Gliederung<br />

unserer Welt, bei der die Teilsysteme ähnliche Merkmale wie<br />

auch Funktionen aufweisen wie ihre Übersysteme.


Systemisches Denken – Zusammenhangslogiken<br />

In dieser systemischen Sichtweise s<strong>in</strong>d systemische Beziehungen vom<br />

großen Ganzen zum Kle<strong>in</strong>en (= top-down) zu unterscheiden von<br />

autonomen Aktivitäten der Teilsysteme zum Mitgestalten der größeren<br />

Übersysteme (= bottom-up). Top-down und bottom-up s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Resonanz<br />

mite<strong>in</strong>ander.<br />

Als menschliche Individuen wie auch als Kollektive, Metasubjekte,<br />

agieren wir <strong>in</strong> dieser systemischen Resonanz-Dynamik. Diese<br />

wechselseitigen systemischen Resonanzen weisen drei Aspekte<br />

von Regelhaftigkeiten auf. Da diese systemischen Regeln Schlussfolgerungen<br />

erlauben, ergeben sich Logiken.<br />

Mit systemischen Logiken s<strong>in</strong>d hier also drei Arten von Schlussfolgerungen<br />

bezeichnet:<br />

1. Vom Ganzen zum Teil (top-down)<br />

2. Vom Teil auf das Ganze (bottom-up)<br />

3. Andere Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen verschiedenen<br />

autonomen Systemen<br />

Vom Ganzen her denken<br />

Außer den Systemtheoretiker<strong>in</strong>nen kennt der Volksmund viele<br />

Redewendungen, die diese holarchische Logik bezeugen (= topdown),<br />

wie: »Wie der Herr, so’s Gescherr.« »Der Fisch fängt vom Kopf<br />

her an zu st<strong>in</strong>ken.« Auch Philosoph<strong>in</strong>nen und Wissenschaftler<strong>in</strong>nen<br />

haben diesen Zusammenhang aus<br />

unterschiedlichen Perspektiven mit<br />

unterschiedlichen Worten immer wieder<br />

be schrieben: Adorno: »Es gibt ke<strong>in</strong><br />

gutes Leben im falschen.« (s. a. Ottawa-<br />

Charta 1996; Luhmann 1987; Bertalanffy: s. Zitat Bateson 1990; Vohs<br />

a. Baumeister 2011; Bircher 2019; ).<br />

Mit Begriffen e<strong>in</strong>er Systemtheorie ergeben sich folgende Formulierungen<br />

dieser Logik: Die Kohärenz e<strong>in</strong>es lebenden Systems<br />

(Familie, Kultur, Biotop, Biosphäre) ist maßgeblich für se<strong>in</strong>e Teilsysteme.<br />

Das bedeutet, dass diese jeweils attraktiv ist für die Weitergabe<br />

<strong>des</strong> Lebens, deren Entwicklung und Aktivität (z. B.auch durch<br />

epigenetische E<strong>in</strong>flüsse).<br />

»Die Entwicklung ist nicht e<strong>in</strong>e Leistung<br />

unabhängiger Anlagen oder Entwicklungsmasch<strong>in</strong>en,<br />

sondern vom Ganzen<br />

beherrscht.«<br />

Ludwig v. Bertalanffy (1949, S. 65)<br />

151


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

Schließlich steckt diese Logik h<strong>in</strong>ter der darw<strong>in</strong>schen Evolutionstheorie:<br />

dass nämlich die Lebewesen sich ihrer Umwelt, ihrem<br />

Übersystems, adaptieren. Das bedeutet nicht automatisch, dass es<br />

e<strong>in</strong>e aktive Selektion durch das Übersystem oder durch Wettkampf<br />

gibt. Es kann e<strong>in</strong>fach Dekohärenzen zwischen Teilsystemen und<br />

Übersystem geben, die zur Trennung von Teilsystemen aus dem<br />

Übersystem führen. In der Evolutionstheorie sollten wir berücksichtigen,<br />

dass das Übersystem von den Teilsystemen dynamisch gebildet<br />

und mitgestaltet wird und nicht die Macht vollständig dem<br />

Übersystem zuordnen, wie es auch von Bertalanffy noch gemacht<br />

hat (s. Zitat 1949/1990). Weil wir letztlich weder das Ziel noch den<br />

Gang der Evolution sicher kennen, dürfen wir als Menschen uns<br />

nicht als Bestimmer über die Evolution stellen. Wir dürfen nicht<br />

urteilen, wer mit dabei ist. Gerade von denjenigen, die manchen<br />

<strong>in</strong>kohärent ersche<strong>in</strong>en, können wichtige Impulse für die Evolution<br />

ausgehen, wie beispielsweise von Menschen mit Beh<strong>in</strong>derungen.<br />

Dazu müssen wir Evolution als Gesamtprozess verstehen und nicht<br />

als Wettkampf von Individuen.<br />

Die systemlogische Schlussfolgerung ist: Me<strong>in</strong> Leben ist <strong>in</strong> Resonanz<br />

mit Informationen aus der Kohärenz me<strong>in</strong>er Übersysteme,<br />

me<strong>in</strong>er Familie, Kultur, der Menschheit, Biosphäre, dem Sonnensystem<br />

usw. Diese Übersysteme s<strong>in</strong>d für mich größere Ganze.<br />

Die verallgeme<strong>in</strong>erte Schlussfolgerung für unser alltägliches<br />

Leben heißt: Wenn die Kohärenz und Vollständigkeit <strong>des</strong> Ganzen,<br />

<strong>des</strong> Übersystems, es erfordert, dann kooperieren se<strong>in</strong>e Teilsysteme<br />

nach Möglichkeit, um diese Kohärenz herzustellen. Die Teilsysteme<br />

neigen dazu, den Zusammenhalt <strong>des</strong> Systems zu sichern und Opfer<br />

für das größere Ganze zu br<strong>in</strong>gen. Im Rahmen ihrer Selbstregulationsfähigkeit<br />

<strong>in</strong>tegrieren sie sich <strong>in</strong> ihr Übersystem.<br />

152<br />

Als Subjekt reflektiere ich mich <strong>in</strong> Beziehung zu größeren Ganzen:<br />

Da ich e<strong>in</strong> gewordener Teil vom größeren Ganzen b<strong>in</strong>, …<br />

… b<strong>in</strong> ich mit dem Ganzen verbunden,<br />

… b<strong>in</strong> ich dem Ganzen <strong>in</strong> irgendwelchen Aspekten ähnlich (das<br />

kann auch e<strong>in</strong> Muster der Dynamik im H<strong>in</strong>tergrund se<strong>in</strong>),


Systemisches Denken – Zusammenhangslogiken<br />

… gestalte ich das Ganze mehr oder weniger mit,<br />

… soll das Ganze me<strong>in</strong>e Belange berücksichtigen,<br />

… steht jeder für das Ganze – das Ganze für jeden (»alle für e<strong>in</strong>en,<br />

e<strong>in</strong>er für alle«)<br />

… b<strong>in</strong> ich <strong>in</strong> Resonanz zum Ganzen, habe Mitwissen am Ganzen.<br />

Systemisches Evolutionsmodell<br />

Bewusstse<strong>in</strong> <strong>in</strong> Lebensdimensionen<br />

Lebensdimension<br />

Stimmigkeit<br />

Kohärenz<br />

Attraktiva<br />

5. Kosmisches Bewusstse<strong>in</strong> –<br />

»Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Teil <strong>des</strong> Universums«<br />

4. Globale E<strong>in</strong>heit –<br />

Globales Verantwortungsbewusstse<strong>in</strong>; reflexives<br />

Beobachten <strong>des</strong> konstruierenden Beobachters<br />

n Gesundung<br />

Erkrankung m<br />

3. Kultur –<br />

Beobachter mit konstruierendem Denken<br />

Entwicklung<br />

2. Soziale Geme<strong>in</strong>schaft –<br />

ist Ausdruck <strong>des</strong> Bewusstse<strong>in</strong>s wirksamer Zugehörigkeit<br />

1. Organismus – automone Selbstregulation der Ganzheit –<br />

Als Fraktal <strong>des</strong> großen Ganzen attraktiv für Energie und Materie<br />

0. Materielle Wechselwirkungen <strong>in</strong> dynamischer Kohärenz–<br />

Physikalische und chemische Naturgesetze – Emergenz dynamischer<br />

Ordnungen aus dem Chaos<br />

Abbildung 11: Systemisches Evolutionsmodell – Kooperation <strong>in</strong> Lebensdimensionen.<br />

Im Laufe der Evolution auf der Erde entwickeln sich die Lebewesen zu immer komplexeren<br />

E<strong>in</strong>heiten. Der Grad der Komplexität ist hier nach oben h<strong>in</strong> dimensional zunehmend. Attraktiv<br />

für diese Evolution ist die Kohärenz der Systeme <strong>in</strong> sich und im größeren Ganzen. Diese ist<br />

durch die gelbe Säule <strong>in</strong> der Mitte dargestellt, um die die Dynamiken kreisen. Die Kohärenz<br />

von Übersystemen ist maßgeblich für das Mitwissen und das Bewusstse<strong>in</strong> der Systeme <strong>in</strong> der<br />

jeweiligen <strong>Dimension</strong> (vgl. a. Reflexionsebenen <strong>in</strong> Abb. 3 <strong>in</strong> Kap. 1.4 S. 54 u. 57). Dabei <strong>in</strong>tegriert<br />

je<strong>des</strong> komplexere Bewusstse<strong>in</strong> alle darunter und damit zugrunde liegenden.<br />

Wenn sich e<strong>in</strong> Lebewesen von der Kohärenz weiter entfernt, nennen wir es Erkrankung.<br />

Gesundungsprozesse bedeuten, dass es sich wieder <strong>in</strong> Richtung Kohärenz annähert. Derartige<br />

Entfernungen von der Kohärenz können <strong>in</strong> jeder <strong>Dimension</strong> auftreten, häufig kommen<br />

sie zurzeit zwischen den sozialen und kulturellen Beziehungen vor. Ich gehe von der Sachlage<br />

aus, dass die (kulturelle) Evolution der Menschheit im Rahmen der Übersysteme Biosphäre<br />

und Sonnensystem stattf<strong>in</strong>det. Individuen s<strong>in</strong>d ebenso wie Metasubjekte »Agent<strong>in</strong>nen« von<br />

ihren Übersystemen.<br />

153


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

Der zirkulär resonierende Gestaltungsprozess, <strong>in</strong> dem wir auch<br />

schon mit unserem Denken Mitgestalter<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d, nähert sich<br />

rückkoppelnd immer wieder e<strong>in</strong>er Stimmigkeit an. So entsteht<br />

langfristig auch e<strong>in</strong>e weitgehende Übere<strong>in</strong>stimmung zwischen<br />

Außen und Innen, zwischen Realität und Denken und auch Sprechen.<br />

Schlussfolgerungen bottom-up<br />

In der Top-down-Logik ersche<strong>in</strong>en Individuen als Agent<strong>in</strong>nen ihrer<br />

Übersysteme, wie ihrer Familie, Organisation, Kultur oder globaler<br />

Systeme. Bei der Bottom-up-Logik haben wir erkannt, dass Menschen<br />

als Subjekte mehr s<strong>in</strong>d als nur Agent<strong>in</strong>nen ihres direkten<br />

Übersystems. Sie zeigen e<strong>in</strong>e autonome Selbstregulation <strong>in</strong> ihren<br />

systemischen Beziehungen. Diese ihre Autonomie kann selbst e<strong>in</strong><br />

Fraktal der Autonomie e<strong>in</strong>es großen Ganzen darstellen – <strong>in</strong> Resonanz<br />

mit e<strong>in</strong>er großen S<strong>in</strong>gularität. So wie es <strong>in</strong> der Schöpfungsgeschichte<br />

der Bibel heißt: »Gott schuf den Menschen nach se<strong>in</strong>em<br />

Ebenbild.«<br />

So kann gerade <strong>in</strong> diesem Aspekt der Autonomie, zu dem Freiheit<br />

gehört, e<strong>in</strong> entscheidender Aspekt von Entwicklung se<strong>in</strong>. Möglicherweise<br />

ist das e<strong>in</strong> verborgener H<strong>in</strong>tergrund für unser Freiheitsstreben<br />

und unsere Würde wie auch dafür, dass der Respekt der<br />

menschlichen Autonomie e<strong>in</strong>e höchste Priorität <strong>in</strong> der ärztlichen<br />

Ethik hat (vgl. »Deklaration von Genf« <strong>des</strong> Weltärztebun<strong>des</strong> 2017).<br />

Im Streben nach Freiheit und <strong>in</strong> der Freiwilligkeit zum Handeln entfalten<br />

sich zukunftsweisende Kreativität und Mitgestaltung größerer<br />

Übersysteme.<br />

In der bottom-up Wirkung s<strong>in</strong>d die Eigenzeiten der Systemdimensionen<br />

zu beachten wie auch e<strong>in</strong> Umschwung von Quantität<br />

der Aktivitäten <strong>in</strong> Qualität <strong>des</strong> Systems.<br />

Partner-Systeme …<br />

154<br />

Außer Top-down- und Bottom-up-Beziehungen gibt es noch partnerschaftliche<br />

zwischen Systemen <strong>in</strong> der gleichen Lebensdimension<br />

bzw. gleichen Hierarchieebene. Sie unterliegen ke<strong>in</strong>er direkten


Systemisches Denken – Zusammenhangslogiken<br />

hierarchischen Ordnung. Sie s<strong>in</strong>d auf Augenhöhe, wie man sagt.<br />

Diese Beziehungen s<strong>in</strong>d zwar <strong>in</strong> Resonanz mit Übersystemen, können<br />

aber auch autonome Anteile haben. Ihre Kreativität nimmt zu,<br />

je freier sie s<strong>in</strong>d.<br />

Derartig partnerschaftlich kooperative Beziehungen hat Michael<br />

Tomasello (2010, 2012, 2020) am Max-Planck-Institut für Anthropologie<br />

und Entwicklungspsychologie grundlegend erforscht. Er<br />

konnte bei Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dern im Unterschied zu Affen feststellen, dass<br />

sie mit anderen von sich aus um etwas Drittes kooperieren wollen<br />

und können, zu dem sie selbst ke<strong>in</strong>en Bedürfnisbezug haben. Dabei<br />

haben sie vier Qualitätskriterien oder implizite Regeln: 1. Sie gehen<br />

aufe<strong>in</strong>ander e<strong>in</strong>; 2. Sie haben e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Ziel (Intentionalität);<br />

3. Sie klären die Rollen und 4. Helfen sich e<strong>in</strong>ander, wenn e<strong>in</strong>es<br />

se<strong>in</strong>e Rolle nicht schafft. Diese Regeln kennzeichnen menschliche<br />

Kooperation. Sie ermöglichen e<strong>in</strong> Schlussfolgern von <strong>in</strong>tentionaler<br />

Kooperation auf das Beziehungsverhalten <strong>des</strong> Kooperationspartners.<br />

Als Beispiel für systemisches Verstehen von Menschen:<br />

E<strong>in</strong>e systemische Reflexion me<strong>in</strong>er Lebensgeschichte<br />

Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Teil me<strong>in</strong>er Familie, <strong>in</strong> die ich h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geboren wurde. Ich<br />

habe sowohl Gene me<strong>in</strong>er Eltern übernommen als auch viele ihrer<br />

Beziehungsmuster, Gefühle, Denkweisen und Glaubenssätze <strong>in</strong>ternalisiert.<br />

Ich habe mich dem von ihnen kreierten Familiensystem,<br />

<strong>des</strong>sen Zielen, Mustern und Nöten angepasst, wie ich konnte –<br />

soweit e<strong>in</strong>e Top-down-Wirkung. Ich habe me<strong>in</strong>e Resonanzen mit<br />

Informationen aus Übersystemen und me<strong>in</strong>e Bedürfnisse kommuniziert<br />

und <strong>in</strong>tegriert, so gut ich es konnte und soweit sie es zugelassen<br />

haben. Durch me<strong>in</strong> Dase<strong>in</strong> hat sich auch die Familie verändert<br />

(bottom-up).<br />

Die Biografien me<strong>in</strong>er Eltern, ihre Rolle im Nationalsozialismus,<br />

ihre Stärken und Probleme haben auch bei mir Spuren h<strong>in</strong>terlassen,<br />

selbst die, von denen ich bewusst zunächst nichts wusste oder wissen<br />

wollte. Jetzt reflektiert, hatte ich e<strong>in</strong> implizites Mitwissen an<br />

155


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

156<br />

ihren Themen. Implizit habe ich manche ihrer Probleme zu den<br />

me<strong>in</strong>igen gemacht, um sie <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben zu lösen (top-down<br />

und bottom-up).<br />

In diesem me<strong>in</strong>em Streben nach Lösungen für systemische Inkohärenzen<br />

reflektiere ich dies Streben als e<strong>in</strong>e Logik der systemischen<br />

Evolution <strong>in</strong> Richtung komplexerer Kohärenz. Zu derartigen<br />

Lösungsbemühungen gehört zum Beispiel das problematische Verhältnis<br />

me<strong>in</strong>es Vaters als Sohn e<strong>in</strong>es Pastors zur christlichen Kirche,<br />

aus der er <strong>in</strong> der Nazizeit ausgetreten ist, wie auch alle se<strong>in</strong>e<br />

acht Geschwister. E<strong>in</strong> wesentliches Thema war für ihn dabei Kirche<br />

und Sexualität. Ich habe mich als Jugendlicher zur Lösung dieses<br />

Problems <strong>in</strong>tensiv mit Religion beschäftigt, mit vielen darüber diskutiert<br />

– <strong>in</strong>sbesondere über das Thema der Sexualität vor der Ehe.<br />

Wilhelm Reichs Funktion <strong>des</strong> Orgasmus und die körperorientierte<br />

Psychotherapie waren für mich während <strong>des</strong> Studiums bzw. danach<br />

sehr wichtig. Fast 50 Jahre später wurde ich von der altehrwürdigen<br />

theologischen Zeitschrift Theologica Practica e<strong>in</strong>geladen, e<strong>in</strong>en Artikel<br />

zum Thema »Der unvertraute Körper« zu schreiben (Petzold<br />

2012 d). Damit hatte ich das Thema me<strong>in</strong>es Vaters mit der Sexualmoral<br />

der Kirche für mich abgeschlossen, <strong>in</strong>tegriert an e<strong>in</strong>em angemessenen<br />

kulturellen Platz. Andere Themen me<strong>in</strong>er Eltern habe ich<br />

zwar bearbeitet, aber nicht alle so gut lösen können, so zum Beispiel<br />

das Problem e<strong>in</strong>er partnerschaftlichen Ehe oder die Ambivalenz<br />

gegenüber den USA: Me<strong>in</strong>e Mutter hat dort <strong>in</strong> den 1930er-Jahren<br />

e<strong>in</strong> Studienjahr verbracht und nach dem Krieg viel Unterstützung<br />

erfahren; me<strong>in</strong> Vater fühlte sich dagegen als Opfer ungerecht<br />

behandelt, als er im Zuge der Entnazifizierung nach dem Krieg zwei<br />

Jahre lang von den Amerikanern <strong>in</strong>haftiert war, ohne dass ihm e<strong>in</strong><br />

Prozess gemacht worden war oder e<strong>in</strong>e Schuld nachgewiesen<br />

wurde. So kenne ich diese beiden gefühlsmäßigen Beziehungen:<br />

Opfer der USA zu se<strong>in</strong> wie auch Profiteur, und sehe sie <strong>in</strong> der ganzen<br />

Welt als unaufgelöste Probleme. Sie bee<strong>in</strong>flussen me<strong>in</strong>e politische<br />

Haltung gegenüber den USA.<br />

In me<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dheit habe ich nicht nur Haltungen zur Kirche und<br />

den USA als Inkohärenz-Themen übernommen, sondern gefühlte


Systemisches Denken – Zusammenhangslogiken<br />

Bedeutungen von vielen Worten und damit der Sprache überhaupt.<br />

Me<strong>in</strong> emotionaler und s<strong>in</strong>nlicher Bezug zu Worten und Sätzen<br />

wurde <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dheit geprägt – als Grundlage für spätere Abstraktionen.<br />

Erst <strong>in</strong> den und durch die s<strong>in</strong>nlichen Beziehungen haben<br />

Worte ihre Bedeutung bekommen, wurden sie zu Begriffen. So<br />

wurde ich durch zwischenmenschliche Beziehungen <strong>in</strong> das Leben<br />

im kulturellen Sprachraum e<strong>in</strong>geführt. In diesem Übergang von der<br />

sozialen Lebensdimension <strong>in</strong> die kulturelle werden die dazugehörigen<br />

Hirnregionen im oberen limbischen System und dem Cortex<br />

geprägt (vgl. Roth 2019; Petzold 2021).<br />

Schulzeit<br />

Wenn ich mit anderen Menschen gesprochen habe, haben die mir<br />

bekannten Bedeutungen der Worte mitgeschwungen. Manche Menschen<br />

haben mich verstanden und andere nicht. In manchen Aufsätzen<br />

<strong>in</strong> der Schule habe ich so viel Bedeutung <strong>in</strong> die Sätze gelegt,<br />

dass der Lehrer das meistens nicht verstanden hat. Erst <strong>in</strong> der Oberstufe<br />

bei Aufsätzen zu Sachfragen konnte ich mit genügend Distanz<br />

zur gefühlsmäßigen Bedeutung der Worte so schreiben, dass es<br />

auch für den Lehrer gut verständlich war. Sprache braucht und<br />

schafft ansche<strong>in</strong>end <strong>in</strong>nere Distanz zu Gefühlen. Zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t <strong>in</strong><br />

me<strong>in</strong>er Schulzeit <strong>in</strong> den 1960er-Jahren klafften zwischen me<strong>in</strong>er<br />

Gefühlswelt und dem Leben <strong>in</strong> der Sprache Abgründe. Diese beiden<br />

Lebensdimensionen erschienen mir getrennt. Mithilfe der Sprache<br />

konnte ich me<strong>in</strong>e Gedanken viel differenzierter ausdrücken als nur<br />

mimisch und gestisch, aber für me<strong>in</strong>e Gefühle fand ich oft ke<strong>in</strong>e<br />

verstehbaren Worte. Me<strong>in</strong> Deutschlehrer konnte mich erst besser<br />

verstehen, als ich sachlich distanzierter schrieb. Dabei blieb viel<br />

Gefühltes auf der Strecke.<br />

Mit 15 Jahren habe ich an dem Wettbewerb »Jugend forscht« mit<br />

e<strong>in</strong>er Untersuchung an der Vogelart Rohrammern teilgenommen,<br />

die ich beim Ber<strong>in</strong>gen genau vermessen hatte, um Größenunterschiede<br />

festzustellen. Dafür habe ich dann e<strong>in</strong>en Buchpreis bekommen<br />

und durfte im Fernsehen darüber berichten. E<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n <strong>in</strong> diesem<br />

Messen hatte ich allerd<strong>in</strong>gs nicht wirklich gefunden, und für<br />

157


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

die Vögel war es bestimmt nicht angenehm. Aber es war e<strong>in</strong> Ausdruck<br />

me<strong>in</strong>es Bemühens um Zugehörigkeit zur Kultur, zu den herrschenden<br />

Normen und Werten, wobei für mich schon damals das<br />

wissenschaftliche Denken wichtig war.<br />

In der Oberstufe habe ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er umfangreichen Hausaufgabe<br />

zu e<strong>in</strong>em frei gewählten Thema über die Körper- und Charaktertypen<br />

<strong>des</strong> Psychiaters Ernst Kretschmer geschrieben und Lehrer mit<br />

Fotos als Beispiele genommen. Zu denen hatte ich genügend Distanz,<br />

um sie als Objekte ohne Mitgefühl unter den Kriterien von<br />

Kretschmer sachlich zu beschreiben. Objekt bedeutet ja aus dem<br />

Late<strong>in</strong>ischen kommend, das »Entgegengeworfene, der Vorwurf« –<br />

also etwas, das mir eher bedrohlich ist, das ich abwenden will,<br />

wovor ich mich schützen will. Bei dieser Arbeit hatte ich – jetzt<br />

reflektierend – sogar etwas Schadenfreude sowie Rachegefühle<br />

gegenüber unserem Late<strong>in</strong>lehrer. Für diese Arbeit bekam ich e<strong>in</strong>e<br />

Bestnote.<br />

Mediz<strong>in</strong>studium und Tätigkeit als Arzt<br />

158<br />

Objektivierende Distanz war also gefragt und wurde belohnt. Im<br />

Mediz<strong>in</strong>studium wurden wir immer mehr dar<strong>in</strong> geschult, objektiv<br />

zu se<strong>in</strong>. Objektivität war das Streben <strong>in</strong> allen Naturwissenschaften,<br />

zu denen sich die Mediz<strong>in</strong> gerne zugehörig fühlte. Subjektivität<br />

wurde verachtet. Parallel dazu hatte ich aber mit Subjekten mitfühlend<br />

zu tun, ihre Not gespürt – auch die Not, die sie als Patient<strong>in</strong>nen<br />

mit dem herrschenden Mediz<strong>in</strong>system hatten, <strong>in</strong> dem sie als<br />

Objekte behandelt wurden. Das führte zu e<strong>in</strong>er starken kognitiven<br />

Dissonanz bzw. triggerte me<strong>in</strong>e eigene erlebte Inkohärenz zwischen<br />

sozialem Leben und dem Leben <strong>in</strong> der Sprache. Dies schrie<br />

nach Integration.<br />

Sowohl bei me<strong>in</strong>en jugendlichen Forschungen an den Rohrammern<br />

als auch an den Charakteren unserer Lehrer kam die Frage<br />

nach der Ursache auf. Was war die Ursache für die Unterschiede bei<br />

den Vögeln? War die Körperstruktur <strong>des</strong> Lehrers die Ursache für se<strong>in</strong>en<br />

Charakter? Oder andersherum: Waren die Körperhaltung und<br />

Fettleibigkeit <strong>des</strong> sogenannten Pyknikers Folgen se<strong>in</strong>es Charakters?


Systemisches Denken – Zusammenhangslogiken<br />

Ähnliche Fragen tauchten <strong>in</strong> der ärztlichen Tätigkeit immer wieder<br />

auf. Ist e<strong>in</strong>e Depression bei e<strong>in</strong>em Krebskranken Folge <strong>des</strong> Karz<strong>in</strong>oms<br />

oder Ursache? Gibt die Bezeichnung Psychosomatik e<strong>in</strong>e Kausalität<br />

an, die <strong>in</strong> der Psyche liegt? Oder e<strong>in</strong>e Gleichzeitigkeit <strong>des</strong><br />

Auftretens von psychischen und somatischen Störungen? Wie kann<br />

es kommen, dass Menschen unter gleichen oder sehr ähnlichen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen ganz unterschiedlich reagieren? Bei e<strong>in</strong>er Belastung<br />

mit Anil<strong>in</strong> zur Farbstoffherstellung am Arbeitsplatz bekommen<br />

e<strong>in</strong>ige Arbeiter<strong>in</strong>nen Hautkrebs, andere nicht. Und analog <strong>in</strong> der<br />

Therapie: Das gleiche Medikament gegen Bluthochdruck senkt ihn<br />

bei dem e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> den gewünschten Bereich, während es bei dem<br />

anderen kaum etwas Positives bewirkt, statt<strong>des</strong>sen aber Übelkeit.<br />

Metareflexion der Paradigmen und Syntagmen<br />

Zum Glück merkte ich bald, dass ich nicht der e<strong>in</strong>zige Arzt war, der<br />

mit diesen kognitiven Dissonanzen zu tun hatte. Es gab schon lange<br />

sogar bedeutende Ärzt<strong>in</strong>nen, die die E<strong>in</strong>beziehung <strong>des</strong> Subjekts<br />

sowohl <strong>in</strong> die Behandlung als auch <strong>in</strong> die Mediz<strong>in</strong>theorie forderten.<br />

Dabei waren sie allerd<strong>in</strong>gs meist weiterh<strong>in</strong> bemüht, dafür objektive,<br />

messbare Beweise zu erbr<strong>in</strong>gen. Die e<strong>in</strong>gangs erwähnte Placeboforschung<br />

leistet nun e<strong>in</strong>en messbaren Beitrag dazu. Allerd<strong>in</strong>gs brauchen<br />

wir zum Verstehen noch andere Logiken.<br />

Im Lauf der Zeit habe ich dann begonnen, die Sprache zu reflektieren.<br />

Dabei b<strong>in</strong> ich auf die Bedeutung von Objektivität und Ursache<br />

gekommen. Mit der Frage nach der Objektivität war die Trennung<br />

e<strong>in</strong>er gefühlten Verbundenheit verknüpft bis h<strong>in</strong> zum Masch<strong>in</strong>enverständnis<br />

<strong>des</strong> Menschen. An diesem hat man die Parameter von<br />

Blutzucker und Blutdruck »e<strong>in</strong>gestellt«. Mit der Suche nach e<strong>in</strong>er<br />

Ursache war die Suche nach e<strong>in</strong>em Übeltäter verknüpft. Für e<strong>in</strong>en<br />

daraus folgenden Gerichtsprozess brauchte es freilich objektive<br />

(möglichst messbare) Beweise. So war es Aufgabe der wissenschaftlichen<br />

Mediz<strong>in</strong>, Beweise für die Ursächlichkeit zu erbr<strong>in</strong>gen. 34 Das<br />

34 Möglicherweise hat das etwas damit zu tun, dass wesentliche Teile der Mediz<strong>in</strong> heute von der<br />

Rechtsprechung bestimmt werden, von der Angst der Ärzte, sie könnten im S<strong>in</strong>ne der Leitl<strong>in</strong>ien<br />

Fehler machen, wenn sie <strong>in</strong>dividuell behandeln.<br />

159


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

160<br />

ist die Kern<strong>in</strong>tentionalität großer Teile der modernen pathogenetisch<br />

orientierten wissenschaftlichen Mediz<strong>in</strong>. Diese hat <strong>in</strong> be -<br />

stimmten Fällen ihre hilfreiche Berechtigung.<br />

Die Frage nach der Ursache wurde <strong>in</strong> der Mediz<strong>in</strong> immer gestellt,<br />

aber noch weniger reflektiert als die Frage nach der Objektivität.<br />

Über die Frage nach der Ursache e<strong>in</strong>er Erkrankung, z. B. ob sie seelisch<br />

oder körperlich verursacht sei, oder ob e<strong>in</strong> Mensch mit oder<br />

an Corona gestorben sei, streiten sich Mediz<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen heute noch<br />

gerne. Dabei geht es darum, Recht zu haben. Die Frage wird nicht<br />

unter der übergeordneten Leitfrage gestellt: Was braucht der<br />

Erkrankte, damit er gesund wird? Sondern aus e<strong>in</strong>em feststehenden<br />

Denkmuster heraus: Wo e<strong>in</strong>e Verletzung ist, muss e<strong>in</strong> Übeltäter<br />

se<strong>in</strong>, den man unschädlich machen will. Der Begriff »Ursache«<br />

kommt aus dem Mittelalter und bedeutete dort »erster Anlass zu<br />

e<strong>in</strong>em Rechtsstreit«. Dieses Denkschema wurde auf Krankheiten<br />

übertragen. Zunächst waren böse Dämonen wie auch Hexen Verursacher<strong>in</strong>nen,<br />

also schuld an Krankheiten. Gläubige versuchten mit<br />

verschiedensten Mitteln, das Böse auszutreiben. Der Exorzismus<br />

war die wichtigste Therapiemethode im bibeltreuen Christentum.<br />

Dieses Denkschema hat sich <strong>in</strong> der Mediz<strong>in</strong> etwa durch die Erfolge<br />

bei der Infektbekämpfung mit Antibiotika bis heute festgesetzt. So<br />

wird es immer noch bei allen Erkrankungen bemüht, obwohl es bei<br />

vielen nicht ansteckenden Krankheiten (Non-communicable-Diseases<br />

NCD) ziemlich erfolglos, wenn nicht sogar schädlich ist. Oft werden<br />

bei diesem Denken hilfreiche Maßnahmen, wie Eigenaktivitäten,<br />

vernachlässigt, wie z. B. zur Stärkujng <strong>des</strong> Immunsystems bei<br />

Virus<strong>in</strong>fekten. Für die gesunde Entwicklung der meisten Menschen<br />

braucht es e<strong>in</strong>e andere Denk- und Herangehensweise.<br />

Damit b<strong>in</strong> ich bei der Metareflexion angekommen, e<strong>in</strong>er Reflexion<br />

unserer kulturellen, auch sprachlich geprägten Denkweise. Um<br />

aus diesen Denkmustern herauszuf<strong>in</strong>den, sollen die Begriffe für<br />

<strong>neue</strong> Logiken helfen, für die Logiken <strong>des</strong> Lebendigen und der Ge -<br />

sundung, der Salutogenese. Diese habe ich fortan gesucht, e<strong>in</strong>ige<br />

gefunden und weiterentwickelt. So weit me<strong>in</strong>e persönliche systemische<br />

Reflexion bis zur Metareflexion.


Systemisches Denken – Zusammenhangslogiken<br />

Reflexion <strong>des</strong> Lebens <strong>in</strong> der Sprache<br />

Hier sei noch e<strong>in</strong> weiteres Beispiel aus e<strong>in</strong>er Metabeobachterperspektive<br />

geschildert, mit deren Hilfe wir die Kontextbeziehungen<br />

zwischen Übersystemen erkennen können. Bei der Betrachtung<br />

der Beziehungen e<strong>in</strong>es Apfels zum Menschen und zur Erde (Kap. 2.,<br />

S. 94 f) konnten wir schon sehen, dass das Kultivieren, e<strong>in</strong> bewusstes<br />

Vermehren und Züchten von Äpfeln, durch e<strong>in</strong>e Außensicht auf<br />

die Beziehung von Apfelkern und Erde möglich wird. Der kultivierende<br />

= denkende Mensch tritt aus der direkten s<strong>in</strong>nlichen Beziehung<br />

zum Apfel (dem Pflücken und Essen) heraus und sieht diesen<br />

nicht mehr nur mit den Augen se<strong>in</strong>er Begierde, sondern etwas distanzierter<br />

(»objektiver«) <strong>in</strong> <strong>des</strong>sen Beziehung zur Erde. Dadurch ist<br />

er <strong>in</strong> der Lage, die Beziehung zwischen Apfel und Erde zu erkennen<br />

und mitzugestalten. Kultivieren ist e<strong>in</strong>e Metabeziehung zur direkten<br />

Apfelkern-Erde-Beziehung.<br />

Dieses Lernen ist typisch für die menschliche Kultur. In dieser<br />

<strong>Dimension</strong> ist Sprache entstanden und erforderlich zur umfassenderen<br />

Kooperation und Weitergabe <strong>des</strong> Wissens. In Relation zur<br />

direkten, s<strong>in</strong>nlichen Subjekt-Objekt-Beziehung und Subjekt-Sub -<br />

jekt-Interaktion ist die sprachlich vermittelte Beziehung e<strong>in</strong>e Metabeziehung.<br />

Wir »leben <strong>in</strong> der Sprache«, sagen Maturana und Varela<br />

(1987) zum Leben <strong>in</strong> der kulturellen Lebensdimension.<br />

Ähnliches ist ganz alltäglich: Wenn wir von uns berichten, z. B.<br />

sagen: »Mir geht’s gut«, fühlen wir uns schon oft <strong>in</strong> dem Moment<br />

besser, <strong>in</strong> dem wir das sagen, besser als noch zwei M<strong>in</strong>uten davor<br />

– selbst wenn unsere Antwort nicht stimmte. Unser Fühlen und<br />

auch unser Körperempf<strong>in</strong>den richten sich oft nach der Sprache aus.<br />

E<strong>in</strong> Schauspieler kann das, was er sagt, auch fühlen.<br />

Was ist dann Fake und was ist Wahrheit? Die allermeisten Aussagen<br />

unserer Politiker<strong>in</strong>nen und Wissenschaftler<strong>in</strong>nen können wir<br />

heute persönlich nicht mehr direkt überprüfen. Wir müssen glauben<br />

oder nicht glauben. So ersche<strong>in</strong>t es gerechtfertigt, darauf zu<br />

schauen, was die Informationen bewirken, damit wir sie s<strong>in</strong>nvoll<br />

beurteilen können. Haben sie gute oder zerstörerische Folgen? Welchen<br />

S<strong>in</strong>n machen die Informationen?<br />

161


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

Die sprachliche Kommunikation ist im Vergleich zur direkten s<strong>in</strong>nlichen<br />

Kommunikation losgelöster von materiell energetischen Vorgängen<br />

(weniger Reiz-Reaktion). Damit besteht sie aus relativ mehr<br />

Informationsaustausch als Energieaustausch. Es werden außer<br />

Sach<strong>in</strong>formationen noch viele Informationen über den Sprecher,<br />

se<strong>in</strong>e Intentionalität und die geme<strong>in</strong>same Beziehung mitgeteilt<br />

(vgl. Schulz v. Thun 2006). E<strong>in</strong>e direkte s<strong>in</strong>nliche Kommunikation,<br />

z. B. e<strong>in</strong>e Umarmung, f<strong>in</strong>det, vom Subjekt aus gesehen, diesseits der<br />

Sprache, neurophysiologisch unterhalb der Sprache statt.<br />

Mit der Kommunikationswissenschaft beg<strong>in</strong>nen wir nun wissenschaftlich<br />

e<strong>in</strong> <strong>neue</strong>s Metabewusstse<strong>in</strong> zu entwickeln, von dem aus<br />

wir die kulturellen wie sprachlichen Beziehungen reflektieren,<br />

erkennen und gestalten lernen (Rau 2013). Dabei entsteht metasprachliches,<br />

metakommunikatives oder reflexives Bewusstse<strong>in</strong><br />

jenseits bzw. oberhalb der Sprache.<br />

Auf unser Beispiel mit dem Apfel bezogen bedeutet das, dass wir<br />

jetzt den Kontext erkennen, <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong> Mensch die Äpfel kultiviert:<br />

Er gestaltet nach langer Tradition und moderner Wissenschaft die<br />

bezeichneten Apfelsorten und die Umgebungen (Kulturlandschaften).<br />

Welche Auswirkungen hat dieses Kultivieren auf die Umwelt?<br />

Wir erkennen auch die kulturell geprägte subjektive Motivation <strong>des</strong><br />

kultivierenden Menschen, ggf. se<strong>in</strong> Natur<strong>in</strong>teresse, se<strong>in</strong> Profitstreben<br />

oder se<strong>in</strong> Gesundheitsengagement. Weiter reflektieren wir, wie<br />

sich die jeweilige Intentionalität <strong>des</strong> Züchters auf die Apfelsorten,<br />

deren Aussehen und Geschmack, sowie die Kultivierung der Landschaft<br />

auswirkt. Wir erkennen den kulturell geprägten subjektiven<br />

Kontext <strong>des</strong> Kontexts der direkten Beziehung. 35<br />

Dieses Metabewusstse<strong>in</strong><br />

jenseits der Sprache ist hier mit reflexivem Bewusstse<strong>in</strong><br />

geme<strong>in</strong>t, weil wir damit unsere eigenen auch kulturell und sprachlich<br />

gewordenen Beziehungen reflektieren und damit uns selbst als<br />

beobachtenden und gestaltenden Kontext unserer Welt verstehen<br />

und womöglich kommunikativ mitgestalten können.<br />

162<br />

35 Gregory Bateson (1996) nennt diese <strong>Dimension</strong> <strong>des</strong> Kontextes <strong>des</strong> Beziehungskontextes »2. Lernebene«;<br />

sie entspricht der 3. Lebensdimension (synonym: System-, Resonanz-, Kohärenz-,<br />

Dase<strong>in</strong>sdimension) nach Petzold (2021).


Systemisches Denken – Zusammenhangslogiken<br />

In dieser Metareflexion reflektieren wir auch die Subjektivität <strong>des</strong><br />

Objektbezugs. Dazu gehört die Subjektivität der verme<strong>in</strong>tlichen<br />

Objektivität der Naturwissenschaften. Wie schon erwähnt, ist<br />

Objektivität 36<br />

mit e<strong>in</strong>er Verne<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>er Beziehung verknüpft.<br />

Reflektiert bedeutet diese Verne<strong>in</strong>ung nicht, dass es ke<strong>in</strong>e Beziehung<br />

gibt, sondern dass das Subjekt e<strong>in</strong>e Beziehung leugnet oder<br />

ablehnt. Dies kann auch als »Entfremdung« bezeichnet werden, wie<br />

sie Hartmut Rosa 2016 beschreibt und irrtümlicherweise als »Beziehungslosigkeit«<br />

deklariert. Aus e<strong>in</strong>er systemischen Metaperspektive<br />

ersche<strong>in</strong>t Entfremdung als e<strong>in</strong>e abgelehnte oder ablehnende<br />

Beziehung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er jeweils fokussierten Kommunikationsebene.<br />

Entfremdung wie Ablehnung ist Beziehung im Abwendungsmodus.<br />

4.4 Komplexes Denken führt zur Integration<br />

Lebende Systeme s<strong>in</strong>d komplex, das bedeutet, sie s<strong>in</strong>d dynamisch,<br />

mehrdimensional vernetzt, autonom reguliert und resonanz- wie<br />

reaktionsfähig. Komplex impliziert, dass sie weder exakt berechenbar<br />

noch exakt vorhersehbar oder manipulierbar s<strong>in</strong>d. Komplexes<br />

Denken bedeutet zum e<strong>in</strong>en, die unterschiedlichen Aspekte <strong>des</strong><br />

Lebens <strong>in</strong>s Denken e<strong>in</strong>zubeziehen und zum anderen, sich immer<br />

wieder e<strong>in</strong>er gewissen Ungewissheit und Unsicherheit bewusst zu<br />

se<strong>in</strong>. Das erfordert Vertrauen.<br />

Komplexes Denken soll die Wissenschaften lebensnäher und<br />

humaner machen und nicht das Leben technischer oder algorithmischer.<br />

36 Objekt kommt von lat. obicere und bedeutet »Entgegengeworfenes, Vorwurf, Gegenwurf«,<br />

(Duden Herkunftswörterbuch, S. 493). In dieser Wortbedeutung ist schon e<strong>in</strong>e Beziehung <strong>des</strong> Subjekts<br />

zum Objekt impliziert: e<strong>in</strong> Gegene<strong>in</strong>ander. Wenn wir als Menschen das Gefühl haben, dass<br />

unsere Umwelt gegen uns ist, wollen wir uns verständlicherweise dagegen schützen und möglichst<br />

von dieser trennen. So ist h<strong>in</strong>ter dem Streben nach Objektivität e<strong>in</strong>e Abwendungsmotivation<br />

maßgeblich. So wird aus der Berücksichtigung der motivationalen Modi auch verständlich,<br />

dass diese Art der Objektivität letztlich zu e<strong>in</strong>er Zerstörung der Umwelt führt. Wenn e<strong>in</strong>e Umwelt<br />

überwiegend als bedrohlich wahrgenommen wird, schalten die Menschen <strong>in</strong> den Stressmodus,<br />

entfalten ihre Kausallogik und erschaffen sich dann im Wunsch nach Sicherheit durch Kontrolle<br />

und im Mangel an Urvertrauen paradoxerweise selbst e<strong>in</strong>e bedrohliche Umwelt …<br />

163


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

Wenn wir davon ausgehen, dass je<strong>des</strong> beobachtbare Phänomen<br />

e<strong>in</strong>en energetischen und e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>formativen Aspekt hat, brauchen wir<br />

zu e<strong>in</strong>em vollständigeren Verstehen auch immer sowohl kausallogisches<br />

als auch analogisches wie komplex <strong>in</strong>tegrieren<strong>des</strong> Denken.<br />

Fallbeispiel Katja<br />

164<br />

Um zu veranschaulichen, wovon hier gesprochen wird, sei e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es<br />

Fallbeispiel wiedergegeben, dass sich im Rahmen e<strong>in</strong>es Sem<strong>in</strong>ars<br />

mit Mediz<strong>in</strong>student<strong>in</strong>nen im dritten Semester an der Uni Gött<strong>in</strong>gen<br />

ergab. Das Gespräch fand vor der Gruppe der Mediz<strong>in</strong>student<strong>in</strong>nen<br />

statt und dauerte etwa zehn M<strong>in</strong>uten.<br />

Student<strong>in</strong> Katja hatte seit e<strong>in</strong>em Jahr Schmerzen im Daumengrundgelenk<br />

l<strong>in</strong>ks – besonders nach Belastung. Die Diagnose war:<br />

Sehnenscheidenentzündung, die operiert werden solle (zwei Handchirurgen,<br />

e<strong>in</strong> Allgeme<strong>in</strong>chirurg nach Röntgen, MRT). Die Beschwerden<br />

besserten sich nach Ruhe, <strong>in</strong>sbesondere durch Tragen von e<strong>in</strong>er<br />

Schiene und Reiben mit Brennnessel (e<strong>in</strong> befreundeter Heilpraktiker<br />

hatte ihr den Tipp gegeben).<br />

Bevor die Symptomatik begann, hatte sie gerade e<strong>in</strong> stressiges<br />

erstes Semester h<strong>in</strong>ter sich und dann am nächsten Tag der Mutter<br />

(Allgeme<strong>in</strong>ärzt<strong>in</strong>) <strong>in</strong> der Praxis geholfen. Die Mutter hatte geme<strong>in</strong>t,<br />

dass es »psychosomatisch« sei. Sie hatte <strong>in</strong>zwischen mehrere<br />

hand-/chirurgische Untersuchungen und Beratungen. Sie habe aber<br />

nicht mal Zeit gehabt, den MRT-Befund <strong>in</strong> Ruhe mit e<strong>in</strong>em dritten<br />

Handchirurgen zu besprechen.<br />

Der Stress ließe sich nicht vermeiden – ihre Mutter und Familie<br />

bräuchten sie. Im Studium hatte sie den Präparationskurs, jetzt<br />

müsse sie das Pflegepraktikum machen …<br />

Momentan gehe es e<strong>in</strong>igermaßen gut, aber wenn sie präpariert<br />

habe, hätte sie für m<strong>in</strong><strong>des</strong>tens zwei Tage wieder stärkere Schmerzen<br />

– wie zu Beg<strong>in</strong>n. Dann <strong>in</strong> Ruhe ließen die Schmerzen wieder<br />

langsam nach.<br />

T(herapeut) Was brauchen Sie, damit es heilen kann?<br />

K(atja) Zwei Monate Ruhe. Aber das geht nicht.<br />

T Warum nicht?


Komplexes Denken führt zur Integration<br />

K Studium, und zu Hause brauchen sie mich.<br />

T Was brauchen Sie, damit Sie sich die Ruhe zur Heilung nehmen können?<br />

K Me<strong>in</strong>e Mutter braucht mich. Und der Hund, der Papagei …<br />

T Ist es schön, so gebraucht zu werden?<br />

K Ja. Aber auch stressig. Ich weiß schon: Mit me<strong>in</strong>er Mutter …<br />

T Können Sie Ihrer Mutter nicht vertrauen, dass sie es auch gut ohne Sie<br />

schaffen kann?<br />

K Die Familie ist mir sehr wichtig, bedeutet mir viel. Wir helfen uns gegenseitig.<br />

T Me<strong>in</strong>en Sie, dass Sie vielleicht mal mit Ihrer Mutter darüber reden können,<br />

dass Sie zur Heilung zwei Monate Ruhe brauchen? Sie sche<strong>in</strong>t ja<br />

sehr verständnisvoll zu se<strong>in</strong>, wenn sie schon me<strong>in</strong>t, dass Ihr Daumenschmerz<br />

vielleicht e<strong>in</strong>e psychosomatische Reaktion se<strong>in</strong> könnte.<br />

(Katja guckt etwas Hilfe suchend <strong>in</strong> die Runde – so, als g<strong>in</strong>ge das gar<br />

nicht.)<br />

Oder wollen Sie sich lieber operieren lassen?<br />

K Raten Sie mir, ich soll mich nicht operieren lassen, und es noch mit Brennnesseln<br />

und Ruhe versuchen?<br />

T Ich will Ihnen jetzt diesbezüglich nichts raten, außer dass Sie sich Ihre<br />

Zeit und Ruhe für Ihre Heilung nehmen, die Sie brauchen, so wie Sie es<br />

gesagt haben.<br />

Vielleicht möchte ich Ihnen empfehlen, e<strong>in</strong>mal mit Ihrer Mutter darüber<br />

so offen zu sprechen, wie Sie es jetzt hier mit mir gemacht haben. Sie<br />

sehen m. E. alles sehr klar und treffend. Sie brauchen nur dementsprechend<br />

aktiv zu werden.<br />

Wie fühlt sich das für Sie an?<br />

K Ganz gut – mal sehen.<br />

Reflexion <strong>des</strong> Falls unter Aspekten der Logiken<br />

Die übliche kausallogische Denkart haben die Chirurgen und Ra -<br />

diologen gezeigt: E<strong>in</strong>e physische Verengung der Sehnenscheiden<br />

muss die Ursache für die Beschwerden se<strong>in</strong>. Durch e<strong>in</strong>e Operation<br />

soll diese Ursache behoben und damit die Heilung hergestellt werden.<br />

Diese Art zu denken entspricht der e<strong>in</strong>es Kfz-Mechanikers –<br />

e<strong>in</strong> Reparaturdenken im S<strong>in</strong>ne <strong>des</strong> Masch<strong>in</strong>enparadigmas.<br />

165


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

166<br />

In e<strong>in</strong>er ähnlichen kausallogischen Denkart denkt die Mutter und<br />

Hausärzt<strong>in</strong>, nur dass sie e<strong>in</strong>e Ursache nicht mehr im Physischen<br />

vermutet, sondern im Psychischen: Die Beschwerden seien »psychosomatisch«.<br />

Ihr Heilpraktiker denkt vielleicht, dass die starke<br />

Belastung der Hand die Ursache sei, und schlägt <strong>des</strong>halb e<strong>in</strong>e<br />

Ruhigstellung vor und Brennnessele<strong>in</strong>reibungen. Vermutlich hat er<br />

nicht den Anspruch an e<strong>in</strong>e Theorie über die Entstehung der Symptome,<br />

wohl aber gibt er erfahrungsbezogene wie lösungsorientierte<br />

Tipps zur Besserung.<br />

Mit e<strong>in</strong>em komplexen Denken verstehen wir Katjas Symptome<br />

als Ausdruck ihrer Selbstregulation, die <strong>in</strong> ihren mehrdimensionalen<br />

Beziehungen, ihrem Körper, der Familie und ihrem Beruf nach<br />

Stimmigkeit strebt (Attraktionspr<strong>in</strong>zip). E<strong>in</strong>e <strong>in</strong> diesem mehrdimensionalen<br />

Kontext entstehende Inkohärenz führt zu Stress und<br />

e<strong>in</strong>er übermäßigen Spannung <strong>in</strong> der Handmuskulatur und damit<br />

zu gereizten Sehnenscheiden. Hier kommen sowohl analogische als<br />

auch kausallogische Logiken zur Anwendung. In Zusammenarbeit<br />

mit ihrer Kohärenzregulation wollen wir <strong>in</strong> der Salutogenen Kommunikation<br />

dieser mit möglichst ger<strong>in</strong>gem Aufwand zu e<strong>in</strong>em möglichst<br />

anhaltenden Erfolg verhelfen. Dazu greifen wir das Wissen<br />

ihres impliziten Funktionssystems auf (»zwei Monate Ruhe«) und<br />

suchen Lösungen für ihre Inkohärenzen <strong>in</strong> ihren systemischen<br />

Beziehungen. Dazu kommen die systemischen Logiken zur Anwendung<br />

wie auch heuristische Lösungslogiken (s. u. Kap. 4.5).<br />

Wir suchen für lebendige Prozesse, wie Wachstum, Erkrankung<br />

und Gesundung Zusammenhänge der Entstehung und Veränderung.<br />

Dabei s<strong>in</strong>d wir selbst – auch als forschender Beobachter – Teil<br />

eben dieser Zusammenhänge.<br />

Durch den E<strong>in</strong>bezug der unterschiedlichen Aspekte, auch der systemischen,<br />

wird das komplexe Denken <strong>in</strong>tegrativ. Durch Entfaltung<br />

von komplexem Denken gehen wir bewusst den Weg menschlicher<br />

Evolution und leisten e<strong>in</strong>en evolutiven Beitrag. Evolution ist def<strong>in</strong>iert<br />

durch Entstehung von komplexeren Lebewesen. Diese Integration<br />

<strong>in</strong> mehr Komplexität entspricht der Annäherung an die<br />

Kohärenz <strong>des</strong> Übersystems, das se<strong>in</strong>e Teilsysteme e<strong>in</strong>schließt.


Komplexes Denken führt zur Integration<br />

Unendlicher Möglichkeitsraum und begrenzte Möglichkeitsblasen<br />

Zeitlosigkeit<br />

Massgebliche Informationen, Attraktiva<br />

Möglichkeitsraum<br />

Muster, Analogien, Kohärenz<br />

Vergangenheit<br />

Zukunft<br />

Ursache Erfahrungsraum Wirkung<br />

Jetzt<br />

Gegenwart<br />

Resonanz<br />

Abbildung 12: Im Spiel mit den Möglichkeiten zeigen sich für begrenzte wie klar geregelte<br />

Systeme Möglichkeitsblasen – gewissermaßen als kle<strong>in</strong>e Ausschnitte <strong>des</strong> unbegrenzten Möglichkeitsraumes.<br />

So gilt für die Logik e<strong>in</strong>es komplexen Vorgangs, dass diese alle an<br />

dem Vorgang beteiligten Informationen wie Beziehungen <strong>in</strong>tegriert,<br />

also sowohl <strong>in</strong>formativ analogische als auch energetisch kausallogische<br />

Wechselwirkungen, sowohl top-down als auch bottom-up.<br />

So fragen wir mit e<strong>in</strong>em komplexen Denken nach e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tegrierenden<br />

Zusammenschau und wissen im H<strong>in</strong>terkopf, dass immer e<strong>in</strong><br />

Stück Unwissenheit und Ungewissheit gegenwärtig s<strong>in</strong>d.<br />

Digitale Logiken<br />

Als Künstliche Intelligenz wird die Leistung von Masch<strong>in</strong>en verstanden,<br />

die Rechenschritte nach programmierbaren Regeln wie<br />

Algorithmen vornehmen können. Das bezieht bestimmte Arten von<br />

digitalem Lernen e<strong>in</strong>. Für <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne lernfähige Masch<strong>in</strong>en<br />

wurde der irreführende Begriff künstliche Intelligenz geschaffen.<br />

Er ist irreführend, weil er Glauben macht, dass Intelligenz, die der<br />

Duden def<strong>in</strong>iert als: »Fähigkeit [<strong>des</strong> Menschen], abstrakt und vernünftig<br />

zu denken und daraus zweckvolles Handeln abzuleiten«, auch von<br />

Masch<strong>in</strong>en geleistet werden kann, nur weil sie schneller rechnen<br />

167


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

168<br />

und besser Schach spielen können als Menschen. Aus Sicht manch<br />

e<strong>in</strong>es Mathematikers mag diese Bezeichnung nachvollziehbar er -<br />

sche<strong>in</strong>en, da für ihn die Krönung <strong>des</strong> menschlichen <strong>Denkens</strong> und<br />

se<strong>in</strong> beruflicher Erfolg im Rechnen liegen mag. Für Alltagsmenschen<br />

bedeutet Intelligenz im S<strong>in</strong>ne von »vernünftig zu denken und<br />

daraus zweckmäßiges handeln abzuleiten« allerd<strong>in</strong>gs etwas anderes.<br />

Dazu gehören unter vielem anderen e<strong>in</strong> Abwägen von Interessen,<br />

ethische Aspekte und der E<strong>in</strong>bezug von Gefühlen, Beziehungen<br />

und wechselnden, jeweils aktuellen Möglichkeiten.<br />

Als KI wird auch die Fähigkeit von Masch<strong>in</strong>en genannt, vorgegebene<br />

Aufgaben zu lösen. Dazu haben Informatiker<strong>in</strong>nen Masch<strong>in</strong>en<br />

und Programme entwickelt, die <strong>in</strong> Bezug auf von ihnen gegebene<br />

Regeln und Aufgaben schnellere und bessere Ergebnisse geliefert<br />

haben als Menschen es konnten. So haben Supercomputer den<br />

Schachweltmeister und GO-Meister geschlagen (vgl. Kle<strong>in</strong> 2021). KI<br />

kann schneller Suchergebnisse aus riesigen Datenmengen liefern<br />

und gewünschte Daten nach gegebenen Regeln komb<strong>in</strong>ieren. Alle<br />

Daten müssen digitalisierbar se<strong>in</strong> und alle Regeln müssen durch<br />

Entscheidungen zwischen entweder 0 und 1 zu erfüllen se<strong>in</strong>. So<br />

können allerd<strong>in</strong>gs alle nur annähernd angebbaren Zahlen mit<br />

unendlich vielen Stellen nach dem Komma, wie z. B. die Konstante<br />

π für Kreisberechnungen oder schon die Größe von 1/3 nicht wirklich<br />

exakt berechnet werden. Für die meisten technischen Berechnungen<br />

reichen die möglichen Genauigkeiten voll aus und s<strong>in</strong>d viel<br />

besser als diejenigen, die ohne die Rechenmasch<strong>in</strong>en möglich<br />

waren. Für natürliche wie rückkoppelnde Prozesse mit pr<strong>in</strong>zipiellen<br />

Ungenauigkeiten bleibt das Problem der letztendlichen Unberechenbarkeit<br />

und Ungewissheit. Dieses wird sogar noch verstärkt,<br />

weil KI ihre Ergebnisse nicht wieder vernünftig und <strong>in</strong>telligent<br />

reflektieren und beurteilen kann. Das Korrektiv der Vernunft fehlt<br />

der KI gänzlich.<br />

Informationsübertragung funktioniert im Wesentlichen analogisch,<br />

selbst wenn die Informationen <strong>in</strong> Daten digitalisiert s<strong>in</strong>d. Bei<br />

der Daten- und Signalübertragung geht der jeweilige Überträger auf<br />

se<strong>in</strong>e Art <strong>in</strong> Resonanz mit der digitalisierten Information. So bildet


Komplexes Denken führt zur Integration<br />

sich auf der Festplatte <strong>des</strong> Computers e<strong>in</strong>e andere Resonanzersche<strong>in</strong>ung<br />

als auf dem Bildschirm oder <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Kopf. Andere<br />

Träger mit anderen Resonanzfähigkeiten haben auch e<strong>in</strong>e andere<br />

Informationsverarbeitung. So können Masch<strong>in</strong>en nicht die Informationsverarbeitung<br />

von Lebewesen haben. Auch wenn die digitalen<br />

Suchmasch<strong>in</strong>en nach analogen Worten im World Wide Web<br />

suchen, können sie nicht den Inhalt der Worte verstehen. Bei der<br />

Datenübertragung geht der implizite Beziehungszusammenhang<br />

der Information verloren. Dieser muss vom Empfänger erst wieder<br />

hergestellt, also rekonstruiert werden. Das können nur die Menschen,<br />

die entsprechende Erfahrungen und Kenntnisse von diesen<br />

Zusammenhängen haben. Dieser Beziehungszusammenhang, der<br />

für die Bedeutung der Information maßgeblich ist, ist nicht <strong>in</strong> den<br />

Daten gespeichert und kann von ke<strong>in</strong>er KI rekonstruiert werden.<br />

Sie bräuchte da zu die phylogenetischen und ontogenetischen<br />

Erfahrungen der Menschen.<br />

Die Grundlage für digitales Denken ist die Quantifizierung von<br />

Entscheidungen zwischen 0 und 1. Damit ist es nur dort möglich,<br />

wo e<strong>in</strong>e derartige Quantifizierung möglich<br />

ist, wo Qua litäten sich <strong>in</strong> lauter<br />

E<strong>in</strong>zelentscheidungen zerlegen lassen.<br />

Das entspricht e<strong>in</strong>er Messbarkeit und<br />

ist typisch für den Energieaspekt. Deshalb<br />

ist digitales Denken dem kau -<br />

sallogischen nahe stehend, selbst wenn<br />

es an der Oberfläche nach wiederkehrenden<br />

Mustern suchen kann. Es kann<br />

Ähnlichkeiten nicht erkennen im S<strong>in</strong>ne<br />

von deuten, sondern nur annähernd<br />

und durch e<strong>in</strong>e Vielzahl von Daten herstellen, wie es bei der Ge -<br />

sichtserkennung deutlich wurde.<br />

»Digital bedeutet die messerscharfe Zweiteilung<br />

zwischen Null und E<strong>in</strong>s und damit<br />

e<strong>in</strong> geradezu brutales Entweder-Oder […]<br />

Die Devise Schwarz oder Weiß ersche<strong>in</strong>t so<br />

zweidimensional, und damit letztlich e<strong>in</strong>dimensional,<br />

wie verlässlich […]<br />

Die Brücke zur digitalen Zukunft ruht<br />

somit verlässlich auf der bunten Kreativität<br />

<strong>des</strong> analogen <strong>Denkens</strong> […]<br />

Doch nur wer sich aus dem plumpen digitalen<br />

Entweder-Oder-Denken befreit, kann<br />

von der nahezu unendlichen Vielfalt <strong>des</strong><br />

analogen <strong>Denkens</strong> <strong>in</strong> digitalen Zeiten profitieren.«<br />

Dennis Lotter, 17. März 2020<br />

Wenn ich e<strong>in</strong>e Entscheidung treffe von entweder 0 oder 1 geht<br />

mir die Komplexität der Wahlmöglichkeit und Entscheidungsfreiheit<br />

verloren – ganz analog zum Kollaps der Wellengleichung <strong>in</strong> der<br />

Quantenphysik, wenn das Photon mit der Fo toplatte <strong>in</strong>teragiert. Es<br />

169


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

170<br />

tritt aus dem Möglichkeitsraum heraus <strong>in</strong> den Erfahrungsraum. So<br />

f<strong>in</strong>det digitale Informationsverarbeitung grundsätzlich ohne Rücksicht<br />

auf Komplexität statt. Da können ihre Rechenschritte und<br />

Algorithmen noch so kompliziert se<strong>in</strong>. Letztlich geht die Komplexität<br />

verloren. Komplexität ist e<strong>in</strong> Charakteristikum <strong>des</strong> Lebendigen.<br />

Wenn digitale Techniken Komplexität tendenziell zerstören,<br />

s<strong>in</strong>d sie auch geeignet, Leben zu zerstören.<br />

Digitale Logik, die ausschließende Logik von entweder 0 oder 1<br />

ist die Logik im Erfahrungsraum. Da hat das Photon ke<strong>in</strong>e Alternative<br />

mehr – es ist Vergangenheit. Wenn wir diese Erfahrung <strong>in</strong>duktiv<br />

verallgeme<strong>in</strong>ern, kommen wir zum digitalen dichotomen Denken:<br />

entweder krank oder gesund, tot oder lebendig …<br />

Für Lebensfragen nach Wohlbef<strong>in</strong>den, Vertrauen, Liebe, Glück,<br />

Würde, Entwicklung, Bedrohlichkeit und so weiter, für die nicht dieses<br />

entweder-oder gilt, sondern e<strong>in</strong> F<strong>in</strong>den von Passendem, e<strong>in</strong><br />

Sowohl-als-auch sowie e<strong>in</strong> differenziertes Abwägen unterschiedlicher<br />

Bedeutungen und Bef<strong>in</strong>dlichkeiten, können digitale nachhaltig<br />

Logiken ke<strong>in</strong>e brauchbaren Ergebnisse br<strong>in</strong>gen.<br />

In der Natur gelten schöpferische Pr<strong>in</strong>zipien, die anders als e<strong>in</strong><br />

Schachspiel funktionieren. In den vorhergehenden Kapiteln habe<br />

ich versucht, e<strong>in</strong>ige davon zu skizzieren, so gut es mir heute möglich<br />

ist. Die Begrenztheit der digitalen »Intelligenz« beg<strong>in</strong>nt mit se<strong>in</strong>er<br />

begrenzten Resonanzfähigkeit. Masch<strong>in</strong>en können nur angemessen<br />

auf die von den Menschen e<strong>in</strong>gegebenen Informationen<br />

resonieren: auf die Programme und Algorithmen sowie auf Daten.<br />

Sie können nicht resonieren auf Attraktiva aus e<strong>in</strong>em gänzlich virtuellen<br />

Möglichkeitsraum. Sie können nicht s<strong>in</strong>nvoll auf die Sonnenstrahlung,<br />

auf mitmenschliche Liebe, auf aufbauende Beziehungen<br />

zur Natur oder beruflichen und privaten Stress oder körperliche<br />

Verspannungen resonieren. Und schon gar nicht auf das komplexe<br />

Zusammenspiel all dieser Beziehungen. Sie können nicht auf etwas<br />

größeres Ganzes, etwas Undef<strong>in</strong>iertes resonieren.<br />

Computer haben nur Beziehungen zu ihrem Programm und zu<br />

Daten. So kann KI zwar <strong>in</strong> diesem Rahmen mehr leisten als unser<br />

Gehirn, aber <strong>des</strong>halb ist sie nicht <strong>in</strong>telligent und kann nicht wirk-


Komplexes Denken führt zur Integration<br />

lich kreativ se<strong>in</strong> im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er für uns Menschen s<strong>in</strong>nvollen und<br />

entwicklungsförderlichen Kreativität. Sie kann ihre Kreationen<br />

nicht beurteilen, ob sie für uns Menschen aufbauend oder zerstörerisch<br />

s<strong>in</strong>d, gesund oder kränkend.<br />

Die heute von vielen propagierten Hoffnungen <strong>in</strong> die KI nähren<br />

die Illusion, dass sich unser Denken auf physische neuronale Verschaltungen<br />

reduzieren lässt. Und dass wir ke<strong>in</strong> Mitgefühl für Mitmenschen,<br />

ke<strong>in</strong> Vertrauen, ke<strong>in</strong>e Liebe und ke<strong>in</strong> Mitwissen für<br />

Übersysteme haben und brauchen, um uns gesund zu entwickeln.<br />

Noch wissen wir nicht, ob und ggf. wie der viele und enge Kontakt<br />

mit Computern unser Denken und Fühlen bee<strong>in</strong>flusst: Denken<br />

wir zunehmend auch digital wie die Computer? Werden wir immer<br />

weniger fähig, <strong>in</strong> menschlich mitfühlenden und geistigen wie auch<br />

vertrauensvollen und verantwortungsbewussten Zusammenhängen<br />

auch mit unseren Umwelten zu denken, wenn Apps uns ständig<br />

Vorgaben für unser Verhalten machen? Oder entfalten wir ge -<br />

rade das Komplement zur digitalen Intelligenz und werden schöpferischer<br />

und menschlicher? Reagieren unterschiedliche Men schen<br />

möglicherweise unterschiedlich auf digitale Kommunikation? Diese<br />

Fragen sollten wir im H<strong>in</strong>terkopf haben, wenn wir über gesunde<br />

Entwicklung für die Zukunft nachdenken. Die Zunahme psychischer<br />

und mentaler Störungen besonders bei K<strong>in</strong>der und Ju -<br />

gendlichen <strong>in</strong> den letzten 20 Jahren geben Anlass zur Sorge und<br />

zum genauen Reflektieren aller möglichen Zusammenhänge. Es<br />

geht dabei womöglich um die Aufmerksamkeit der Menschen: Ist<br />

diese h<strong>in</strong>reichend auf sich selbst sowie auf natürliche und menschliche<br />

Beziehungen gerichtet oder wird sie zu viel von Technik gefordert<br />

und absorbiert?<br />

Menschliches Denken ist mehr als Schachspielen und Masch<strong>in</strong>en<br />

bedienen. Menschliche Intelligenz ist e<strong>in</strong> Teil vom über Milliarden<br />

Jahre entstandenen kooperierenden Organismus und mit mehrdimensionalen<br />

Beziehungen, mit Fühlen, Sensitivität und Kooperation<br />

verbunden. Es könnte passieren, dass Menschen diese Aspekte<br />

<strong>des</strong> menschlichen <strong>Denkens</strong> verlernen, wenn digitales Denken zum<br />

Maßstab <strong>des</strong> <strong>Denkens</strong> und von Intelligenz wird.<br />

171


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

Andersherum könnten wir das kausallogische Denken vielleicht <strong>in</strong><br />

gar nicht so ferner Zukunft <strong>in</strong> manchen Bereichen Masch<strong>in</strong>en überlassen,<br />

wie es jetzt schon bei der Steuerung technischer Prozesse<br />

ge schieht. Dann könnten wir unser kreatives analogisches Denken<br />

weiter kultivieren – Logiken <strong>des</strong> Lebendigen und Menschlichen.<br />

Dabei ist es für die heutige Zeit allerd<strong>in</strong>gs erforderlich, den Forscher<br />

wie auch Programmierer als handeln<strong>des</strong> und mitgestalten<strong>des</strong><br />

Subjekt zu reflektieren, das nicht nach e<strong>in</strong>fachen kausalen Gesetzmäßigkeiten<br />

wie e<strong>in</strong>e Masch<strong>in</strong>e handelt, sondern aus unterschiedlichen<br />

Motiven und Denkmustern heraus se<strong>in</strong>e Hypothesen bildet,<br />

jeweils e<strong>in</strong>e bestimmte Intentionalität verfolgt und Algorithmen<br />

generiert.<br />

Das motivierende Bedürfnis h<strong>in</strong>ter der kausallogischen Art <strong>des</strong><br />

<strong>Denkens</strong> ist <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Verständnis jenes nach Sicherheit. Die<br />

Vision und das Narrativ dazu waren und s<strong>in</strong>d, Sicherheit durch<br />

technische Kontrolle zu erlangen. Durch Kontrolle der Materie soll<br />

auch der Geist kontrolliert werden – jetzt selbstverständlich 'smart'.<br />

Das ersche<strong>in</strong>t möglich, wenn man davon ausgeht, dass der Geist<br />

e<strong>in</strong> Produkt von Materie wie Neuronen im Gehirn ist. Dieses Denken<br />

ist die Konsequenz der oben ausgeführten materialistisch-analytischen<br />

Kausallogik auf ihrem motivationalen H<strong>in</strong>tergrund. Da<br />

gibt es ke<strong>in</strong>en freien Geist und ke<strong>in</strong>e freien Gedanken mit Selbstbestimmung<br />

mehr. In der IT f<strong>in</strong>den wir die Logik viel hilft viel<br />

im Sammeln von Daten wieder. Mit vielen Daten sollen auch zwischenmenschliche<br />

Kommunikationswege weitgehend kontrolliert<br />

werden. Ist diese Entfreiung <strong>des</strong> Geistes, diese Ang<strong>in</strong>a mentalis,<br />

der Preis für das Streben nach Sicherheit? Die unerwünschte<br />

Nebenwirkung e<strong>in</strong>es konsequent nach Sicherheit und Kontrolle<br />

Strebens <strong>in</strong>telligenter aber angstgetriebener Menschen?<br />

Umgang mit Ungewissheit<br />

172<br />

Leben ist komplex – es hat e<strong>in</strong>en pr<strong>in</strong>zipiell unbestimmten und<br />

unbestimmbaren Anteil. Nur der Tod <strong>des</strong> Körpers ist wirklich gesicherte<br />

Erkenntnis. Ähnlich verhält es sich mit Gesundheit. Normwerte<br />

s<strong>in</strong>d nicht gleich gesund. Auch Gesundheit ist e<strong>in</strong> komplexer


Komplexes Denken führt zur Integration<br />

subjektiver Zustand mit e<strong>in</strong>er Portion Ungewissheit, die von Vertrauen<br />

getragen werden kann. Krankheiten dagegen s<strong>in</strong>d leichter<br />

zu def<strong>in</strong>ieren, manche s<strong>in</strong>d relativ gesicherte Erkenntnisse. Leben<br />

ist mehr als das Gegenteil vom Tod. Gesundheit ist mehr als das<br />

Gegenteil von Krankheit. So ersche<strong>in</strong>t es plausibel, dass »gesicherte<br />

Erkenntnisse« eher mit Krankheit und Tod verknüpft s<strong>in</strong>d. Wenn<br />

wir gesicherte Erkenntnis mit Gesundheit und Leben verknüpfen,<br />

nehmen wir unserer gesunden Entwicklung e<strong>in</strong>en wichtigen Anteil,<br />

den der Unbestimmtheit der Entwicklung, der Freiheit und Autonomie,<br />

der Komplexität und Kreativität. So machen Mediz<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen<br />

und Politiker<strong>in</strong>nen mit der Forderung nach gesicherter Erkenntnis<br />

ganz ungewollt aus e<strong>in</strong>er gesunden Entwicklung e<strong>in</strong>e zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t<br />

mental kränkende Regression.<br />

Wenn Gesundheitsziele wie bei »gesundheitsziele.de« sich auf<br />

»gesicherte Erkenntnisse« beschränken sollen, schließen sie grundlegende<br />

Qualitäten von Gesundheit wie die Komplexität aus. Das<br />

dah<strong>in</strong>terstehende Bedürfnis nach Sicherheit ist verständlich. Wenn<br />

dies aber dem Vertrauen <strong>in</strong>s Leben wie dem Streben nach Gesundheit,<br />

Kohärenz und Leben übergeordnet wird, kann e<strong>in</strong>e paradoxe<br />

Wirkung entstehen: Das Streben nach wissenschaftlicher Sicherheit wird<br />

selbst zu e<strong>in</strong>er Bedrohung <strong>des</strong> Lebens. E<strong>in</strong> explizites Streben nach absoluter<br />

Sicherheit verstört das implizite Urvertrauen <strong>in</strong>s Leben, das<br />

Kohärenzgefühl. Diese Bedrohung ist von Jochen Kirchhoff (2010)<br />

und anderen wohl auch geme<strong>in</strong>t, wenn sie von e<strong>in</strong>em »megatechnischen<br />

Pharao« sprechen. Neuropsychologisch erklären können<br />

wir dies Streben und se<strong>in</strong>e paradoxen Auswirkungen aus der Funktion<br />

der motivationalen E<strong>in</strong>stellungen. Für Sicherheit soll unser<br />

Abwendungssystem sorgen. Dieses erzeugt Stress. Wenn es zu<br />

lange angeschaltet ist, führt es zu den bekannten Stresserkrankungen<br />

und ist e<strong>in</strong> wesentlicher Faktor für die NCD.<br />

Technik nimmt vom Wesen her unserem Leben die Ungewissheit<br />

und damit unsere schöpferische Komplexität und damit e<strong>in</strong>e<br />

grundlegende Qualität <strong>des</strong> Lebens. Dieser lebensfe<strong>in</strong>dliche Aspekt<br />

von Technik kommt dann zum Tragen, wenn wir unsere schöpferische<br />

Autonomie an sie abgeben. Wenn Menschen zu (Be-)Dienern<br />

173


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

von Masch<strong>in</strong>en, Industrie und F<strong>in</strong>anzwirtschaft werden, dann<br />

kommt es zur Zerstörung von Natur. Wenn wir dagegen Technik<br />

zum Dienst am Leben anwenden, ohne von ihr abhängig zu werden,<br />

ohne sie zur Maßgabe unseres Lebens zu machen, kann sie<br />

möglicherweise <strong>in</strong>tegriert werden und hilfreich se<strong>in</strong>.<br />

Komplexes Denken und Ungewissheit erfordern Vertrauen. Leben<br />

bedeutet von Beg<strong>in</strong>n an Vertrauen <strong>in</strong> die Beziehung zur Umgebung:<br />

dass diese aufbauend für das Lebewesen ist. Wenn die Umgebung<br />

mehr gefährlich als aufbauend ist, muss das Lebewesen sterben. So<br />

haben alle Lebewesen, die heute leben, die Erfahrung gemacht, dass<br />

ihre Umwelt mehr aufbauend als zerstörerisch für sie war und ist.<br />

Wir haben evolutionären Grund zum Urvertrauen <strong>in</strong>s Leben. In<br />

e<strong>in</strong>er derartig vertrauensvollen E<strong>in</strong>stellung können wir Gelassenheit<br />

f<strong>in</strong>den. KI kennt weder Vertrauen noch Gelassenheit.<br />

Übergänge<br />

174<br />

Sowohl unser Denken als auch unsere Kommunikation bef<strong>in</strong>den<br />

sich wie die ganze Welt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ständigen dialogischen und zirkulären<br />

Wandlungs- und Gestaltungsprozess, e<strong>in</strong>em Übergang, an dem<br />

wir mehr oder weniger bewusst teilnehmen. Diese Wandlungsprozesse<br />

können unterschiedlich <strong>in</strong>tensive und schnelle Phasen haben.<br />

Ständig empfangen wir Informationen wie offizielle Nachrichten<br />

und persönliche Mitteilungen oder E<strong>in</strong>drücke aus der Umwelt. Und<br />

ebenso ständig senden wir <strong>in</strong> Resonanz mehr oder weniger bewusst<br />

Informationen über unser persönliches Bef<strong>in</strong>den, unsere Emotionen,<br />

Gedanken und E<strong>in</strong>stellungen. Wir bewegen uns und <strong>kommunizieren</strong><br />

unaufhörlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em großen mehrdimensionalen Netz<br />

von Veränderungen – vergleichbar mit e<strong>in</strong>er Welle im Ozean.<br />

Dabei lassen sich immer mehr Menschen von solchen Attraktiva<br />

<strong>in</strong>spirieren, die stimmigere und komplexere (wie z. B. globale, transkulturelle)<br />

Beziehungen und Autonomie ermöglichen. Diese Attraktiva<br />

können aus unseren Übersystemen wie Umwelten, Familie,<br />

Gesellschaft, Kultur, Menschheit usw. herrühren. Maßgeblich für<br />

unsere Entwicklung s<strong>in</strong>d wahrsche<strong>in</strong>lich die Beziehungen <strong>in</strong> diesen<br />

Übersystemen, deren Kohärenz, <strong>in</strong> die wir e<strong>in</strong>gebunden s<strong>in</strong>d.


Komplexes Denken führt zur Integration<br />

Wir s<strong>in</strong>d mittendr<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em großen Wandlungsprozess – als aktiv<br />

beteiligte Beobachtende, als beobachtende Mitgestaltende – ob wir<br />

wollen oder nicht. Je bewusster wir daran teilnehmen, <strong>des</strong>to größer<br />

ist womöglich unser Mitgestaltungspotential.<br />

In diesem komplexen Übergang brauchen wir e<strong>in</strong> komplexes<br />

Denken mit Vertrauen <strong>in</strong> den Werdegang angesichts der Ungewissheit.<br />

In diesem Übergang brauchen wir auch e<strong>in</strong> Vertrauen <strong>in</strong> uns als<br />

mitgestaltende Subjekte, die wissen, dass sie viel bewirken können<br />

und nichts wirklich sicher ist. Und dass wir vergänglicher s<strong>in</strong>d als<br />

unsere Ideen und Namen. Nachhaltig weiter geht der evolutionäre<br />

Strom <strong>des</strong> Lebens mit der kreativ gesunden Entwicklung <strong>des</strong> Menschen.<br />

Diese Entwicklung ist e<strong>in</strong> Annäherungsvorgang, der sich am<br />

besten wohl durch e<strong>in</strong> heuristisches Vorgehen meistern lässt.<br />

Zur Vorbereitung auf unser heuristisches Vorgehen dient diese Reflexion unter<br />

dem Aspekt <strong>des</strong> Schöpferischen<br />

Welche Rolle spielen Urvertrauen, Misstrauen und Selbstvertrauen für die<br />

Kreativität? Wore<strong>in</strong> will und kann ich vertrauen?<br />

Was ist für mich attraktiv und/oder s<strong>in</strong>nvoll? Was macht mir Freude?<br />

Was ist me<strong>in</strong>e langfristige Intentionalität? Was s<strong>in</strong>d me<strong>in</strong>e Ziele und<br />

Attraktiva? Mit wem kann ich für diese Ziele kooperieren?<br />

Von welchen Informationen (Vorkommnissen, Geschehen, Me<strong>in</strong>ungen,<br />

Nachrichten, Erlebnissen) lasse ich mich berühren? Womit gehe ich <strong>in</strong><br />

Resonanz? Und wie? Welche Resonanzen will ich kultivieren?<br />

In welchen Entwicklungsprozessen bef<strong>in</strong>de ich mich? Individuell? Mit me<strong>in</strong>en<br />

nächsten Mitmenschen? In der Kultur? Global und geistig? Was ist<br />

me<strong>in</strong>e Rolle <strong>in</strong> diesen Dynamiken? Wo fühle ich mich als Mitgestalter,<br />

Akteur/Täter? Als Opfer? (Mit-)Verantwortlicher?<br />

4.5 Heuristik – Lösungslogiken<br />

Heuristik ist die Lehre vom Suchen, F<strong>in</strong>den und Entdecken. In<br />

vielen Fällen von Problemen mögen e<strong>in</strong>fache Faustregeln oder<br />

175


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

176<br />

schnelle assoziative Denkmuster zu Lösungen führen. Solche zu<br />

formulieren ist hier nicht me<strong>in</strong> Anliegen. Dazu gibt es zahlreiche<br />

mehr oder weniger hilfreiche Ratgeber. Vielmehr möchte ich den<br />

Vorgang <strong>des</strong> F<strong>in</strong>dens und Entdeckens wissenschaftlich kultivieren.<br />

Möglichst viele Menschen mögen e<strong>in</strong> solches Denken bewusst und<br />

erfolgreich anwenden können – ganz besonders zu ihrer gesunden<br />

Entwicklung. Die Natur hat <strong>in</strong> den Lebewesen und <strong>in</strong>sbesondere<br />

uns Menschen im Laufe der Evolution schon großartige Fähigkeiten<br />

entwickelt. Die Natur ist im Unterschied zum analytisch-materialistischen<br />

Ursache-Wirkungs-Denken kommunikativ schöpferisch –<br />

von Natur aus.<br />

Evolutives Leben bedeutet e<strong>in</strong> F<strong>in</strong>den von Wegen zur Annäherung<br />

an immer komplexere Kohärenz – <strong>in</strong> den Gesundheitswissenschaften<br />

an Gesundheit <strong>in</strong>dividuell bis weltweit. So suchen wir hier primär nach<br />

»Alles leben heißt Problemlösen.«<br />

Karl Popper<br />

<strong>in</strong>tentionalen heuristischen Methoden,<br />

die das aktive Subjekt e<strong>in</strong>beziehen<br />

(vgl. Kle<strong>in</strong><strong>in</strong>g 1994), und weniger nach komb<strong>in</strong>atorischen Heuristiken,<br />

wie sie vorwiegend <strong>in</strong> der Informatik zum F<strong>in</strong>den von Algorithmen<br />

angewandt werden.<br />

Obwohl das Lösen von Problemen bei der Heuristik e<strong>in</strong>e große<br />

Rolle spielt, beg<strong>in</strong>nen wir mit e<strong>in</strong>em Fokussieren von attraktiven<br />

Annäherungszielen und nicht von Problemen. Wenn wir uns zu<br />

sehr auf Probleme fokussieren, können wir unsere impliziten komplexen<br />

An näherungs-Attraktiva aus dem S<strong>in</strong>n verlieren (vgl. lö -<br />

sungsorientierte Kurzzeittherapie: de Shazer 2014). Angesichts von<br />

Problemen schalten Menschen gegebenenfalls ihr motivationales<br />

Abwendungssystem an und bekommen Schwierigkeiten, wieder <strong>in</strong><br />

den kreativen Annäherungs- und Kohärenzmodus zu gelangen.<br />

Aus e<strong>in</strong>er Metaperspektive betrachtet ist Heuristik die wissenschaftliche<br />

Methode zum Annähern von Teilsystemen an ihre<br />

Kohärenz und der ihrer Übersysteme. Auf diesen Annäherungswegen<br />

geht es wesentlich um Lösung von Inkohärenzen (= Problemen).<br />

In der Biologie wie auch <strong>in</strong> der Soziologie und Psychologie<br />

wird dieser Prozess Anpassung und Adaptation genannt. Diese verstehen<br />

wir hier allerd<strong>in</strong>gs nicht als nur e<strong>in</strong>seitige Anpassung, son-


Heuristik – Lösungslogiken<br />

dern als wechselseitigen Prozess: top-down und bottom-up – als<br />

Integrations- und Mitgestaltungsprozess.<br />

Die heuristische Logik ist der analytisch materialistischen Ursache-Wirkungs-Logik<br />

diametral entgegengesetzt oder besser: komplementär.<br />

Während Kausallogik von e<strong>in</strong>er materiellen Bed<strong>in</strong>gung<br />

<strong>in</strong> der Vergangenheit und deren Folgen <strong>in</strong> der Zukunft ausgeht, geht<br />

Heuristik von e<strong>in</strong>em gewünschten und möglichen Zustand <strong>in</strong> der<br />

Zukunft aus. Von der (oft impliziten) Attraktiva ausgehend, wird der<br />

Weg dorth<strong>in</strong> erarbeitet. Dieser be<strong>in</strong>haltet im realen Erfahrungsraum<br />

das Lösen von Problemen. Heuristik als wissenschaftliches Vorgehen<br />

(vgl. Hartkopf 1987; Rodi 2003) folgert aus dem hier ausgeführten<br />

Attraktionspr<strong>in</strong>zip und folgt der Attraktionslogik. Heuristik peilt<br />

e<strong>in</strong>e Attraktiva im Möglichkeitsraum an und sucht den e<strong>in</strong>fachsten<br />

Weg zur Annäherung.<br />

Da es dabei um e<strong>in</strong> Mitgestalten der Zukunft geht, können die<br />

Heuristiken noch nicht bewiesen se<strong>in</strong>. Da sie sich auf historisch<br />

e<strong>in</strong>malige konkrete Situationen beziehen, kann es se<strong>in</strong>, dass sie<br />

nicht automatisch bzw. nur <strong>in</strong> ähnlicher Weise wiederholt anwendbar<br />

s<strong>in</strong>d und jeweils neu überprüft oder erarbeitet werden müssen.<br />

In der <strong>in</strong>tentionalen Heuristik wird die Attraktiva aus dem Möglichkeitsraum<br />

<strong>in</strong> die Zukunft projiziert und visioniert, um dann vom<br />

Erfahrungsraum ausgehend und diesen visualisierend den Annäherungsweg<br />

zu f<strong>in</strong>den (vgl. a. den »U-Prozess« von Scharmer 2019;<br />

Zukunftswerkstatt von Jungk; Kokreativer Raum <strong>in</strong> Kap. 5.3 s. S. 210).<br />

Heuristik für gesunde Entwicklung<br />

Heuristisches Vorgehen beg<strong>in</strong>nt mit e<strong>in</strong>er positiven Vision und/oder<br />

e<strong>in</strong>er gewünschten und möglichen Lösung e<strong>in</strong>es Problems, das wir<br />

In Bezug zur Salutogenese <strong>des</strong> Menschen<br />

sehen wir als höchstes Ziel das F<strong>in</strong>den<br />

e<strong>in</strong>er größtmöglichen Stimmigkeit.<br />

hier allgeme<strong>in</strong> als Inkohärenz verstehen<br />

(vgl. Schleiermacher nach Hartkopf<br />

1987, S. 119 ff; Schäfer 2003; Bastian<br />

2021). Allgeme<strong>in</strong> gesehen ist Kohärenz das übergeordnete Ziel.<br />

In e<strong>in</strong>em heuristischen Vorgehen wird bei e<strong>in</strong>em konkreten Problem<br />

als Erstes nach der Wunschlösung für die Situation gefragt<br />

und diese benannt. Diese Wunschlösung kann sich auf die gesamte<br />

177


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

Situation beziehen und damit auch unabhängig vom Problem se<strong>in</strong>.<br />

E<strong>in</strong> Problem kann als Warnlampe für Inkohärenz im System gesehen<br />

werden, die tiefer liegt als das wahrgenommene Problem wie<br />

e<strong>in</strong> Symptom selbst. So ist im Auto nicht das Erleuchten der Warnlampe<br />

das Problem, sondern z. B. zu wenig Öl im Motor.<br />

In e<strong>in</strong>em zweiten Schritt suchen und f<strong>in</strong>den wir Wege zum<br />

attraktiven Ziel.<br />

Reflexion <strong>des</strong> Falls Katja als Heuristik …<br />

Wenn Katja (s. S. 176 f) der salutogenetischen Frage nach ihrer Ge -<br />

sundung nachgeht, hat sie spontan e<strong>in</strong>e klare Lösung: »Zwei Mo -<br />

nate Ruhe!« Die salutogenetische Frage zielt auf das im Grunde<br />

heuristische Funktionieren der Selbstregulation ab. So geben ihre<br />

weiteren Antworten den heuristischen Prozess wieder. Ausgehend<br />

von der visionierten Lösung fallen ihr h<strong>in</strong>dernde Zusammenhänge<br />

<strong>in</strong> ihrer Familie und Berufsausbildung e<strong>in</strong> wie auch Ressourcen wie<br />

Ruhe, e<strong>in</strong>e Schiene, Brennnesseln und e<strong>in</strong>e womöglich verständnisvolle<br />

Mutter. E<strong>in</strong>e Lösung ihrer Unstimmigkeiten zwischen den<br />

Bedürfnissen ihres Körpers und denen der Mutter sowie <strong>des</strong> Mediz<strong>in</strong>studiums<br />

könnte die Aussicht auf Genesung verbessern. Dazu<br />

sollte sie für sich klären, ob alle ihre Ziele gleichermaßen bedeutsam<br />

s<strong>in</strong>d und welche Inkohärenzen sie als wichtigste lösen möchte:<br />

das Gefühl der Mutter helfen zu müssen? Oder das Mediz<strong>in</strong>studium?<br />

Oder ihren Daumenschmerz? Womöglich gibt es e<strong>in</strong> Thema,<br />

das die Anspannung aus allem rausnimmt? Dabei spielt aus me<strong>in</strong>er<br />

Sicht ihr Gefühl, der Mutter helfen zu müssen, e<strong>in</strong>e besondere Rolle,<br />

möglicherweise auch e<strong>in</strong>e pathogene. Da zeigt sich e<strong>in</strong> Aspekt von<br />

Parentifizierung – von Beeltern der Mutter. Auf jeden Fall ersche<strong>in</strong>t<br />

mir e<strong>in</strong> offenes Gespräch mit der Mutter als e<strong>in</strong>e gute Möglichkeit,<br />

hier e<strong>in</strong> altes und stressen<strong>des</strong> Beziehungsmuster zu lösen.<br />

… und allgeme<strong>in</strong><br />

178<br />

In e<strong>in</strong>er Heuristik für gesunde Entwicklung, die der Komplexität <strong>des</strong><br />

Themas annähernd gerecht wird, können sowohl analogisches als<br />

auch kausallogisches Denken zur Anwendung kommen – je<strong>des</strong> an


Heuristik – Lösungslogiken<br />

se<strong>in</strong>em Platze. Die Denkweisen ergänzen sich gegenseitig (wie z. B.<br />

bei Katja).<br />

Wenn es um Gestaltbildung, Emergenz, Information, Intuition,<br />

Bewusstse<strong>in</strong> und Kommunikation geht, steht das analogische Denken<br />

im Vordergrund. Wenn es um konkrete Handlungen geht, kann<br />

das Kausallogische wichtiger werden – auf jeden Fall <strong>in</strong> der Technik.<br />

Aber auch im Gesundheitsbereich kann das analytisch, quantitativ<br />

kausale Denken für primär analogisch gefundene Lösungen hilfreich<br />

se<strong>in</strong>, besonders zum physischen Realitätsbezug sowie als Korrektiv<br />

(vgl. Arztgespräche mit Herrn Plume).<br />

Zum Beispiel lässt sich e<strong>in</strong> Salutogenic Reflect<strong>in</strong>g Team von der<br />

Frage (= dem Ziel) leiten: Was hat dem Klienten gutgetan und was<br />

könnte ihm noch weiter guttun? Mit diesen Fragen wird e<strong>in</strong> <strong>in</strong>neres<br />

Bild von der Attraktiva <strong>des</strong> Wohlergehens, der gesunden Entwicklung<br />

<strong>des</strong> Klienten angeregt, nachdem die Beteiligten e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck<br />

von ihm bekommen haben. Dann startet die Runde, um konkrete<br />

mögliche Schritte zu f<strong>in</strong>den.<br />

4.6 Zusammenfassung<br />

Seit der Neuzeit führte <strong>in</strong> den Naturwissenschaften das materialistisch,<br />

analytisch, kausallogische Denken zu der fulm<strong>in</strong>anten<br />

Erfolgsstory der Beherrschung von Energien bis zur heutigen Technik<br />

und den Charakteristiken <strong>des</strong> Anthropozäns. Dieses kausallogische<br />

Denken wurde und wird <strong>in</strong> den Wissenschaften immer ausschließlicher<br />

kultiviert. Se<strong>in</strong>e unerwünschten Nebenwirkungen<br />

s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Zerstörung von Natur, Artensterben von erdgeschichtlichem<br />

Ausmaß, e<strong>in</strong>e Erderwärmung mit e<strong>in</strong>er sog. Klimakrise und<br />

e<strong>in</strong>e Zunahme von sog. Zivilisationserkrankungen.<br />

Es bleibt die Frage nach e<strong>in</strong>er Entwicklung <strong>des</strong> Menschen. Mit<br />

welcher Denkweise können wir die gesunde Entwicklung gut mitgestalten?<br />

So gilt es heute, Logiken <strong>des</strong> schöpferisch Lebendigen<br />

und Menschlichen zu kultivieren, um der natürlichen Evolution <strong>des</strong><br />

Menschlichen bessere Entfaltung zu ermöglichen. Das s<strong>in</strong>d die zur<br />

179


Schöpferische Logiken <strong>des</strong> Lebendigen<br />

Kausallogik komplementären analogischen Denkweisen, die zum<br />

Informieren wie Gestalten gebraucht werden. Grundlegend ist e<strong>in</strong><br />

Verstehen von <strong>in</strong>formierenden Wechselbeziehungen als Resonanz.<br />

Die daraus folgende Resonanzlogik ist offen für Informationsübertragung<br />

und Transformation und kann die Autonomie von Systemen<br />

<strong>in</strong> Verbundenheit respektieren. Mit der Resonanzlogik können<br />

wir wechselseitige und zirkuläre Gestaltungsprozesse <strong>in</strong> der Natur<br />

und Gesellschaft verstehen und als aktive Subjekte mitgestalten.<br />

E<strong>in</strong>e besondere Logik <strong>in</strong> der Gestaltbildung betrifft das Attraktionspr<strong>in</strong>zip:<br />

E<strong>in</strong> Schlussfolgern von e<strong>in</strong>er Attraktiva auf rückkoppelende<br />

Annäherungsprozesse.<br />

Auch für e<strong>in</strong> Verstehen von systemischen Zusammenhängen<br />

unserer Entwicklung brauchen wir analogisches Denken, wie es im<br />

Ansatz <strong>in</strong> der fraktalen Sicht aus der Chaosforschung her bekannt<br />

ist. In natürlichen Systemen gibt es Schlussfolgerungen vom Ganzen<br />

zum Kle<strong>in</strong>en (top-down) und vom Kle<strong>in</strong>en zum Übersystem<br />

(bottom-up) sowie partnerschaftliche Beziehungen, die auf analogischer<br />

Informationsübertragung beruhen.<br />

Mit e<strong>in</strong>em komplexen Denken können wir die unterschiedlichen<br />

Logiken je nach Fragestellung und Situation zielgerichtet und für<br />

unsere Entwicklung s<strong>in</strong>nvoll <strong>in</strong>tegrieren.<br />

Mit e<strong>in</strong>er heuristischen Lösungslogik können wir diese verschiedenen<br />

Denkweisen zur Mitgestaltung e<strong>in</strong>es guten Lebens, e<strong>in</strong>er<br />

gesunden Entwicklung anwenden.<br />

180<br />

Def<strong>in</strong>itionen von Logiken, wie sie hier verwendet werden<br />

Kausallogisches Denken<br />

(Logiken von energetischen Wechselwirkungen: »Viel hilft viel.«):<br />

Kausallogik bezeichnet die Schlussfolgerung von messbaren,<br />

physischen Ereignissen direkt auf weitere physische Ereignisse.<br />

Kausallogik ist zw<strong>in</strong>gend: wenn A > dann B; entweder 0 oder 1<br />

(<strong>in</strong>zwischen schließt sie auch Wahrsche<strong>in</strong>lichkeiten e<strong>in</strong>).<br />

Analogisches Denken (Logiken <strong>des</strong> Informierens: »Das richtige Wort zur<br />

richtigen Zeit kann Wunder bewirken.«): Beziehung und Qualität<br />

machen den Unterschied im Leben und <strong>in</strong> der Wirkung.


Zusammenfassung<br />

Resonanzlogik bezeichnet die analogische Schlussfolgerung von<br />

e<strong>in</strong>er Systemeigenschaft auf mögliche Resonanzen wie Beziehungen<br />

aufgrund von Ähnlichkeiten bei anderen Systemen. Die<br />

Schlüsse s<strong>in</strong>d offen und mehr oder weniger wahrsche<strong>in</strong>lich.<br />

Attraktionslogik ist die Anwendung <strong>des</strong> Attraktionspr<strong>in</strong>zips im<br />

Denken: Von e<strong>in</strong>er Attraktiva wie e<strong>in</strong>er Motivation her auf<br />

e<strong>in</strong>en rückkoppelnden Annäherungsprozess schließen; und<br />

andersherum von e<strong>in</strong>em rekursiven Prozess auf e<strong>in</strong>e Attraktiva.<br />

Für Logiken <strong>des</strong> Informierens wie Resonanzlogik und Attraktions -<br />

logik gilt: E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Änderung der Anfangsbed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>es<br />

rekursiven Prozesses kann große unvorhersehbare Auswirkungen<br />

haben (»E<strong>in</strong> Schmetterl<strong>in</strong>gsflügelschlag <strong>in</strong> Indien kann<br />

e<strong>in</strong>en Hurrikan <strong>in</strong> der Karibik auslösen«).<br />

Komplexes Denken: <strong>in</strong>tegriert kausallogisches und analogisches<br />

Denken <strong>in</strong> natürlichen Prozessen.<br />

Heuristische Lösungslogik wendet die Attraktionslogik und e<strong>in</strong> komplexes<br />

Denken für komplexe Entwicklungen im Leben an: Vom<br />

möglichen Ziel her auf den Annäherungsweg schließen.<br />

181


»Ben-Aharon stellte im Hauptvortrag am dritten Tag die Frage<br />

(»Wie entsteht Gesundheit?«) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en globalen, kulturellen Kontext,<br />

der die vorausgegangenen Diskussionen zusammenführte. Kohärenz<br />

sei dynamisch. Anknüpfend an Aaron Antonovsky beschrieb er<br />

Gesundheit als e<strong>in</strong>en Werdeprozess, <strong>in</strong> dem sie gegen die Krankheitstendenz<br />

immer wieder errungen werden müsse. Bei Heilung entstehe<br />

etwas Neues. Die Poststrukturalisten – wie Deleuze, Foucault und<br />

Derrida – hätten philosophisch dieselbe Frage formuliert: Wie entwickeln<br />

sich Gestalt und Struktur aus e<strong>in</strong>er unstrukturierten Welt?<br />

Die Frage nach der Gesundung unterscheide sich letztlich nicht von<br />

der nach Neuem <strong>in</strong> Wissenschaft, Politik, Philosophie und Kunst, sei<br />

also universell – womit Gesundheit ihrerseits künstlerische Momente<br />

enthalte.«<br />

Rolf Bastian (2014, S. 5)<br />

»Hav<strong>in</strong>g the patient experience heal<strong>in</strong>g is the goal of the consultation,<br />

but heal<strong>in</strong>g is an emergent pattern of complex responsive processes<br />

of relat<strong>in</strong>g and, as such, is <strong>in</strong>herently unpredictable. Cl<strong>in</strong>icians<br />

can make the emergence of heal<strong>in</strong>g more likely by be<strong>in</strong>g able to<br />

recognize and participate <strong>in</strong> the processes of heal<strong>in</strong>g relationships ...«<br />

John Scott (2013, S. 276).<br />

Schöpferisch kooperieren<br />

zur gesunden Kulturentwicklung<br />

183


Schöpferisch kooperieren zur gesunden Kulturentwicklung<br />

184<br />

In der zukünftigen Kulturentwicklung spielt die Sprache wahrsche<strong>in</strong>lich<br />

die Hauptrolle. Es gibt heute allerd<strong>in</strong>gs Informatiker<strong>in</strong>nen<br />

und Techniker<strong>in</strong>nen, die dagegen halten, dass nicht die treffenden<br />

Worte und Sätze, sondern die richtigen Algorithmen und die<br />

daraus folgenden Apps und automatisierten Techniken wichtiger<br />

seien für die Entwicklung unserer Zivilisation. In der Tat könnten<br />

die Algorithmen wichtiger se<strong>in</strong>, wenn man davon ausgehen würde,<br />

dass die Kulturentwicklung von der Technik bestimmt wird und<br />

nicht von unserer geistig geprägten und kokreativen Kommunikation,<br />

sondern diese sich der Technik anzupassen hat.<br />

Wir halten e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tentional gerichtete und achtsame Mitgestaltung<br />

der Sprache <strong>des</strong>halb für entscheidender, weil wir glauben,<br />

dass wir zum guten Leben der Menschen wie auch zur Lösung der<br />

großen Probleme der Menschheit e<strong>in</strong> Denken brauchen, das mit der<br />

Natur wie der Biosphäre kompatibel und möglichst kohärent ist.<br />

Und e<strong>in</strong> solches Denken wird primär durch unsere Sprachen<br />

geprägt. Wir suchen <strong>des</strong>halb u.a. Begriffe und ihre Verknüpfungen<br />

(Logiken wie Denkmuster), die die Wahrheit unseres evolutionär<br />

gebildeten impliziten Wissens und Mitwissens explizieren.<br />

Das kulturelle Denken und Leben f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> der Sprache statt und<br />

entwickelt sich komplex und kokreativ im Sprachraum. Algorithmen<br />

s<strong>in</strong>d se<strong>in</strong> Produkt. Sie können nicht die für die kulturelle Entwicklung<br />

erforderliche Komplexität und Dynamik der menschlichen<br />

Kommunikation ersetzen oder liefern. Sie können sich auch<br />

nicht <strong>in</strong> Resonanz mit den natürlichen Übersystemen kokreativ<br />

entfalten. So bewegen wir uns hier im Buch lebendig kommuni -<br />

kativen im Sprachraum, <strong>in</strong> dem sich Kultur entwickeln kann, und<br />

reflektieren <strong>des</strong>sen Wirkung auf unser Leben.<br />

Dabei beschäftigen uns u.a. folgende Fragen: Was ist gesunde<br />

Entwicklung aus e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividuellen und systemischen Perspektive?<br />

Wie können wir <strong>in</strong> Gruppen dialogisch kokreative Kommunikation<br />

entfalten? Was sollte und könnte e<strong>in</strong>e <strong>neue</strong>, <strong>in</strong>tegrative<br />

Gesundheitswissenschaft leisten? Wie sollte sie arbeiten?<br />

Im abschließenden Kapitel werden metaschöpferische Aspekte<br />

von Religion, Wissenschaft und Ethik erörtert. Es kommt zur neu


Schöpferisch kooperieren zur gesunden Kulturentwicklung<br />

formulierten Gretchenfrage: Wie können wir zu e<strong>in</strong>er zukunftsfähigen<br />

globalen Ethik f<strong>in</strong>den? – E<strong>in</strong> Vorschlag.<br />

5.1 Was ist heilsam?<br />

Meistens ist das heilsam, was e<strong>in</strong> Mensch als heilsam empf<strong>in</strong>det –<br />

jedenfalls wenn er sich genügend Zeit nimmt, <strong>in</strong> sich und die Situation<br />

e<strong>in</strong>zufühlen und womöglich auch über die Umstände und<br />

Zusammenhänge zu reflektieren. Es ist heilsam, immer wieder <strong>in</strong><br />

sich nachzuspüren, was stimmig ist, se<strong>in</strong> eigenes Empf<strong>in</strong>den und<br />

auch Wissen ernst zu nehmen und zunächst davon auszugehen,<br />

dass es stimmt. Hier gibt es ke<strong>in</strong> objektives<br />

Maß, sondern subjektive Entwicklungsprozesse<br />

e<strong>in</strong>es jeden Menschen<br />

sowie se<strong>in</strong>er Übersysteme, <strong>in</strong> denen je<strong>des</strong> <strong>in</strong>dividuelle Symptom,<br />

also je<strong>des</strong> subjektive Empf<strong>in</strong>den, se<strong>in</strong>e Bedeutung hat. Neben vielen<br />

angenehmen D<strong>in</strong>gen im Leben, über die wir uns freuen können,<br />

gibt es auch unangenehme. Dazu gehören Erkrankungen.<br />

Dabei ist es heilsam, das Bedrohliche abzuwenden, um sich<br />

sicher und stimmig zu fühlen. Heilsam ist – ganz allgeme<strong>in</strong> – durch<br />

Aktivität und Ruhe sich wieder se<strong>in</strong>er mehrdimensionalen Kohärenz<br />

anzunähern.<br />

Bei Symptomen geht es darum, zu lernen und die Bedeutung der<br />

Symptome möglichst s<strong>in</strong>nvoll für den Entwicklungsprozess zu nutzen.<br />

Die richtige Deutung und Bedeutung von Erkrankungen für die<br />

Entwicklung f<strong>in</strong>den wir sowohl im reflektierenden Nachspüren als<br />

auch im geme<strong>in</strong>samen Austausch darüber. Es existieren so viele<br />

gesunde Entwicklungen, wie es Menschen und lebende Systeme<br />

gibt. Wenn wir aus diesem ggf. leidvollen Prozess etwas gelernt<br />

haben und damit etwas mehr Stimmigkeit erreicht haben, können<br />

wir uns wieder freuen und dankbar se<strong>in</strong>. Dabei helfen wir uns<br />

gegenseitig als Mitmenschen und professionell.<br />

Es existieren so viele gesunde Entwicklungen,<br />

wie es Menschen und lebende<br />

Systeme gibt.<br />

Es sche<strong>in</strong>t so, als würden die vielen <strong>in</strong>dividuellen Entwicklungen<br />

bei aller Vielfalt konvergieren, also e<strong>in</strong>er ähnlichen geme<strong>in</strong>samen<br />

185


Schöpferisch kooperieren zur gesunden Kulturentwicklung<br />

Attraktiva von Gesundheit zustreben. Ganz analog, wie die Evolution<br />

<strong>in</strong> unterschiedlichen Entwicklungsl<strong>in</strong>ien ähnliche Funktionen<br />

hervorgebracht hat (s. Konvergenz der Evolution S. 150).<br />

Vieles spricht dafür, dass die übergeordnete allgeme<strong>in</strong>e Attraktiva<br />

für die gesunde Selbstregulation aller Menschen e<strong>in</strong>e mehr -<br />

dimensionale Kohärenz ist – Gesundheit ersche<strong>in</strong>t als stimmige<br />

Systemisches Evolutionsmodell<br />

Kohärenz und Kooperation <strong>in</strong> Lebensdimensionen<br />

Lebensdimension<br />

5. Kosmisches Bewusstse<strong>in</strong>?<br />

Stimmigkeit<br />

Kohärenz<br />

Attraktiva<br />

4. Globale E<strong>in</strong>heit – Ethik<br />

Kooperation zum guten Leben aller Menschen: transkulturell,<br />

verantwortungsbewusst, Intuition reflektierend<br />

Entwicklung<br />

⁄<br />

n Gesundung<br />

Erkrankung m<br />

3. Kultur – Lernen, Kreativität, Anerkennung<br />

Kooperation zur Weitergabe von Wissen/<br />

Annäherung an Weisheit: um Drittes, organisiert, vermittelt<br />

2. Soziale Geme<strong>in</strong>schaft – Zugehörigkeitsgefühl<br />

Kooperation zur Weitergabe und Entwicklung <strong>des</strong> Lebens:<br />

<strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktiv, spontan, bedürfnisorientiert<br />

1. Organismus – automone Selbstregulation –<br />

Kooperation/Synergie zur komplexen Selbstregulation, zum Leben:<br />

genetisch gesteuert, zwischen Zellen<br />

0. Materielle Wechselwirkungen <strong>in</strong> dynamischer Kohärenz–<br />

»Kooperation«: Wechselwirkungen, Anziehungskräfte<br />

186<br />

Abbildung 13: Systemisches Evolutionsmodell – Kooperation <strong>in</strong> Lebensdimensionen. Im Laufe<br />

der Evolution auf der Erde entwickeln sich die Lebewesen durch Kommunikation und Kooperation<br />

zu immer komplexeren E<strong>in</strong>heiten. Der Grad der Komplexität ist hier nach oben h<strong>in</strong><br />

dimensional zunehmend. Diese baut jeweils auf der unteren auf und <strong>in</strong>tegriert diese.<br />

So ist der Mensch e<strong>in</strong> Produkt aus etwa zehnmal so vielen Bakterien und anderen Mikroorganismen<br />

wie eigenen Körperzellen und ernährt sich von Lebewesen aus der 2. Lebensdimension.<br />

Wir s<strong>in</strong>d also nicht nur evolutionär gewordene Produkte der unterschiedlichen Lebensdimensionen,<br />

sondern auch aktuell und <strong>in</strong>dividuell jeden Tag das dynamische Produkt der<br />

Kooperation von Lebewesen der unterschiedlichen <strong>Dimension</strong>en.<br />

Attraktiv für diese Evolution der Kommunikation und Kooperation ist die Kohärenz der Systeme<br />

<strong>in</strong> sich und im größeren Ganzen. Diese ist durch die gelbe Säule <strong>in</strong> der Mitte dargestellt,<br />

um welche die Dynamiken kreisen. Die Kohärenz von Übersystemen ist maßgeblich für<br />

die Kooperation se<strong>in</strong>er Teilsysteme.


Was ist heilsam?<br />

Verbundenheit. Das menschliche Streben nach Gesundheit, Ganzheit<br />

und Glück ist gleichermaßen e<strong>in</strong> Streben nach Stimmigkeit <strong>in</strong><br />

allen Lebensdimensionen.<br />

Die Rolle <strong>des</strong> Subjekts<br />

In der Mediz<strong>in</strong> gibt es schon länger und immer wieder qualifizierte<br />

Stimmen, die fordern, dass das menschliche Subjekt und se<strong>in</strong>e ganzheitliche<br />

Gestaltungsfähigkeit mehr Beachtung brauchen. Es gibt<br />

nicht e<strong>in</strong>e Genesung e<strong>in</strong>es Menschen ohne Beteiligung se<strong>in</strong>er<br />

Selbstheilungsfähigkeit. Auf der anderen<br />

Seite gibt es ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Selbstheilung<br />

e<strong>in</strong>es Roboters oder e<strong>in</strong>er anderen<br />

Masch<strong>in</strong>e. Gesundung ist e<strong>in</strong> schöpferischer<br />

Prozess e<strong>in</strong>es Subjekts <strong>in</strong> Beziehung<br />

zu se<strong>in</strong>er Umwelt und unter Mitwirkung dieser. Die gesunde<br />

Selbstregulation <strong>des</strong> Patienten gibt den <strong>in</strong>neren Rahmen für jede<br />

Behandlung. Dabei kommen <strong>in</strong>dividuelle Aspekte der Selbstheilungsfähigkeit<br />

wie auch systemische zum Tragen (s. a Kap. 1.4, 3.4,<br />

4.3 und 4.4).<br />

So hatte schon vor 100 Jahren u.a. Kurt Goldste<strong>in</strong> (1934/2014) im<br />

Ansatz den Menschen <strong>in</strong> Wechselbeziehungen zu se<strong>in</strong>en Umwelten<br />

gesehen, wie später auch Ludwig von Bertalanffy (1949) und andere<br />

(vgl. a. Engel 1976; Uexküll und Wesiack 1991; Petzold 2000d, 2011b,<br />

2012 c, (s. Kap. 3.4) 2021; Petzold u. Bahrs 2018).<br />

»Gesundheit wird von Menschen <strong>in</strong> ihrer<br />

alltäglichen Umwelt geschaffen und<br />

gelebt: dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten<br />

und lieben.« Ottawa-Charta der<br />

WHO 1986<br />

Um der Rolle <strong>des</strong> Subjektes <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en systemischen Zusammenhängen<br />

gerecht zu werden, müssen wir auch se<strong>in</strong>e Autonomie<br />

anerkennen. Sie geht über e<strong>in</strong>e bloße Agenten-Rolle h<strong>in</strong>aus. Als<br />

eigenes <strong>in</strong>dividuelles System hat e<strong>in</strong> Mensch se<strong>in</strong>e Eigengesetzlichkeit.<br />

Mit dieser Autonomie ist er <strong>in</strong> Resonanz zu se<strong>in</strong>en Umwelten<br />

(s.a. Kap. 2.2) und gestaltet diese mit. Mit dem Verstehen der Wechselbeziehung<br />

zwischen Individuum und Natur als Resonanz lösen<br />

wir das Dilemma von entweder subjektiv oder objektiv, von entweder<br />

Subjekt oder Objekt auf. Je nach Fragestellung können wir mehr<br />

die e<strong>in</strong>e oder die andere Seite <strong>in</strong> Betracht nehmen. Mit dem Begriff<br />

Resonanz können wir <strong>in</strong> der Sprache dazu beitragen, die fatale<br />

187


Schöpferisch kooperieren zur gesunden Kulturentwicklung<br />

Trennung von Subjekt und Objekt zu überw<strong>in</strong>den und e<strong>in</strong>e <strong>neue</strong><br />

<strong>in</strong>tegrative wissenschaftliche Sicht auf die Wechselbeziehungen zu<br />

f<strong>in</strong>den.<br />

Dabei reflektieren wir <strong>in</strong> den Gesundheitsberufen auch uns <strong>in</strong><br />

Resonanzbeziehung zu unseren Patient<strong>in</strong>nen. Wir verstehen die<br />

Selbstheilungsfähigkeit unserer Patient<strong>in</strong>nen also auch <strong>in</strong> Wechselbeziehung<br />

mit uns.<br />

In dieser Metareflexion ersche<strong>in</strong>t das subjektive Erleben von<br />

Stimmigkeit als heilsame Erfahrung. 37 Dabei ist die Bewertung, was<br />

stimmig ist, wieder subjektiv. Wenn sie von Mitmenschen geteilt<br />

wird, wird sie metativ. In Gesundheitsberufen wird die Metativität<br />

durch Supervision erhöht. Durch Supervision wächst die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit,<br />

dass Behandlungen zu möglichst stimmigen heilsamen<br />

Erfahrungen führen. Gesundung, Heilung, gesunde Entwicklung<br />

s<strong>in</strong>d ihrem Wesen nach kokreative Prozesse. So ist es begründet,<br />

bei der gesunden Selbstregulation von kommunikativer und kooperativer<br />

Kohärenzregulation zu sprechen.<br />

E<strong>in</strong> bewusstes Suchen und F<strong>in</strong>den <strong>in</strong> die Richtung von Stimmigkeit<br />

ist e<strong>in</strong> heuristisches Vorgehen. So funktioniert unsere Selbstregulation<br />

auch <strong>in</strong> Resonanz zur Umwelt im Wesentlichen heuristisch:<br />

Sie geht aus von e<strong>in</strong>er Attraktiva mehrdimensionaler Ko -<br />

härenz wie e<strong>in</strong>em Soll-Zustand als attraktive Möglichkeit <strong>in</strong> der<br />

Zukunft, checkt die jeweils aktuellen Gegebenheiten, bildet e<strong>in</strong>e<br />

möglichst stimmige Wunschlösung für die gegebene Situation und<br />

f<strong>in</strong>det die nächsten Schritte <strong>in</strong> die Richtung dieser Kohärenz. Wenn<br />

diese gesunde Selbstregulation von alle<strong>in</strong> nicht mehr weiterkommt,<br />

weil die Herausforderung zu groß ist, können wir sie mit Fragen<br />

anregen und mit Unterstützung fördern. Therapie ist dann e<strong>in</strong>e<br />

<strong>in</strong>ter- und kokreative Selbstregulation.<br />

Für diese Selbstregulation haben Menschen die <strong>in</strong> Kap. 1.4 be -<br />

schriebenen drei neuro-psychischen Motivationssysteme, die <strong>in</strong><br />

uns zu unterschiedlich gerichteten E<strong>in</strong>stellungen der Aufmerksamkeit,<br />

<strong>des</strong> Stoffwechsels und <strong>des</strong> Verhaltens führen. Diese spr<strong>in</strong>gen<br />

188<br />

37 Der amerikanische Allgeme<strong>in</strong>arzt John Scott hat »a heal<strong>in</strong>g experience« als »attractor« für die<br />

Arzt-Patient-Konsultation beschrieben (2013 <strong>in</strong> Sturmberg u. Mart<strong>in</strong>, S. 257–277).


Was ist heilsam?<br />

an als Folge unserer Bewertung der jeweils aktuellen Situation: bei<br />

Bedrohung das Abwendungssystem, bei potentiell aufbauender<br />

Attraktion das Annäherungssystem und bei stimmigem Zustand<br />

das Kohärenzsystem.<br />

5.2 Gesunde Entwicklung als Kokreation?<br />

»Zwischen neun und zwölf Monaten <strong>in</strong>teragieren Säugl<strong>in</strong>ge schließlich<br />

nicht mehr nur mit e<strong>in</strong>er Person oder e<strong>in</strong>em Gegenstand, sondern verb<strong>in</strong>den<br />

diese <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dreiseitigen (triadischen) Interaktion. Diese frühen<br />

triadischen Interaktionen bilden den Ausgangspunkt für tatsächliche<br />

Kooperation. Diese wird von den Wissenschaftler<strong>in</strong>nen der Abteilung für<br />

Vergleichende und Entwicklungspsychologie am Max-Planck-Institut für<br />

evolutionäre Anthropologie so def<strong>in</strong>iert: Neben dem gegenseitigen E<strong>in</strong>gehen<br />

aufe<strong>in</strong>ander (1) s<strong>in</strong>d die Beteiligten durch e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Ziel verbunden,<br />

und (2) die Akteure stimmen ihre Rollen mite<strong>in</strong>ander ab, wozu<br />

auch die Unterstützung <strong>des</strong> Anderen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Rolle gehört.«<br />

Michael Tomasello und Kathar<strong>in</strong>a Hamann (2012)<br />

Schöpferische Kooperation<br />

Menschen haben e<strong>in</strong> tiefes existentielles Grundbedürfnis nach<br />

Kooperation 38 zur Bedürfnisbefriedigung und zur Annäherung an<br />

attraktive Ziele. Und sie haben von Natur aus die Fähigkeit zu e<strong>in</strong>er<br />

spezifisch menschlichen Art der Kooperation, die Tomasello bei<br />

Säugl<strong>in</strong>gen ab dem neunten Monat beobachtet hat. Schon vorher<br />

befriedigen Säugl<strong>in</strong>ge ihre Bedürfnisse <strong>in</strong> direkter Kooperation mit<br />

ihren Bezugspersonen (z. B. Nahrung, Sicherheit) sowie der Umwelt<br />

(z. B. Luft). Säugl<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d existentiell auf die Kooperation mit Mitmenschen<br />

und Natur angewiesen. Als Erwachsene können wir auch<br />

<strong>in</strong>dividuell e<strong>in</strong>e Reihe unserer Bedürfnisse selbst befriedigen, allerd<strong>in</strong>gs<br />

nur <strong>in</strong> Kooperation mit unserer Umwelt, die uns Nahrung und<br />

Sauerstoff zur Verfügung stellt. Mit Bedürfnissen s<strong>in</strong>d hier alle phy-<br />

38 Kooperation (lat. cooperatio, »Zusammenwirkung«, »Mitwirkung«) ist zweck- und zielgericht.<br />

189


Schöpferisch kooperieren zur gesunden Kulturentwicklung<br />

Kooperative kommunikation entsteht bei geteilter Intentionalität<br />

Intentionaler Resonanzraum<br />

W =wahrnehmen<br />

H = handeln<br />

R = reflektieren<br />

Stimm = Stimmigkeit<br />

W<br />

Stimm<br />

Kooperativer<br />

Dialog<br />

H<br />

W<br />

Stimm<br />

H<br />

R<br />

Geme<strong>in</strong>same Attraktiva –<br />

geteilte Intentionalität:<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den, Stimmigkeit<br />

R<br />

Abbildung 14: Kooperative Kommunikation bei geme<strong>in</strong>samer Intentionalität. Durch e<strong>in</strong>e<br />

geme<strong>in</strong>same Intentionalität wird e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samer <strong>in</strong>tentionaler Resonanzraum gebildet,<br />

<strong>in</strong> dem Kokreativität stattf<strong>in</strong>den kann. Die Attraktiva der beiden Kooperationspartner<strong>in</strong>nen<br />

s<strong>in</strong>d nicht identisch, passen aber zusammen.<br />

190<br />

sischen, mitmenschlich-sozialen, kulturellen und geistigen Bedürfnisse,<br />

Wünsche und Anliegen geme<strong>in</strong>t.<br />

Je nach Bedürfnis, das wir <strong>in</strong> Kontakt mit unserer Umwelt befriedigen<br />

wollen, schaltet unser Organismus e<strong>in</strong>s von den drei moti -<br />

vationalen Systemen e<strong>in</strong>: das Annäherungs-, Abwendungs- oder<br />

Kohärenzsystem.<br />

Wenn es um unser Bedürfnis nach Sicherheit geht, spr<strong>in</strong>gt unser<br />

Abwendungssystem an. Dieses mobilisiert <strong>in</strong> kurzer Zeit alle möglichen<br />

Kräfte, um die verme<strong>in</strong>tliche Bedrohung abzuwenden. Zum<br />

Abwenden von Gefahren s<strong>in</strong>d ebenso wie zu anderen, positiven Zielen<br />

Kooperationen oft hilfreich. Wer gut kooperieren kann, hat bessere<br />

Lebensmöglichkeiten und mehr Überlebenschancen.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs ist die Art e<strong>in</strong>er Kooperation im Abwendungsmodus<br />

anders als im Annäherungs- oder Kohärenzmodus. Im akuten Ab -<br />

wendungsmodus ist schnelles Handeln gefordert – entweder fliehen,<br />

kämpfen oder sich totstellen, um die Bedrohung abzuwenden.<br />

In e<strong>in</strong>er gesellschaftlichen <strong>Dimension</strong> werden ganze Institutionen


Gesunde Entwicklung als Kokreation?<br />

wie Polizei, Militär, Richter und auch viele Not-Helfer durch Abwendungsziele<br />

mobilisiert. Sie stehen damit unter besonderem Stress.<br />

Annäherungsziele regen e<strong>in</strong>e Ausschüttung <strong>des</strong> Lustbotenstoffs<br />

Dopam<strong>in</strong> an, der zum Bewegen motiviert. Kooperation zum Annähern<br />

an solche verlockenden Ziele macht Spaß. Auch dabei haben<br />

wir oft e<strong>in</strong> Gefühl, schnell handeln zu müssen, da sonst das attraktive<br />

Objekt weg se<strong>in</strong> könnte, ggf. durch e<strong>in</strong>en Konkurrenten. Kohärenzziele<br />

wiederum s<strong>in</strong>d eher längerfristige, s<strong>in</strong>nhafte, stimmig<br />

motivierende Ziele. Kooperation <strong>in</strong> ihre Richtung ist fair und kann<br />

zwar mit Lust verknüpft se<strong>in</strong>, muss aber nicht. Kooperation <strong>in</strong> Richtung<br />

Kohärenzziele hilft sogar auch Stressphasen zu meistern.<br />

Unser motivationales Kohärenzsystem und Annäherungssystem<br />

wirken oft zusammen.<br />

Intentionaler Resonanzraum zur Kokreation<br />

Patient und Arzt bilden e<strong>in</strong> kooperatives System zum Zweck der<br />

gesunden Entwicklung <strong>des</strong> Patienten. Gesundheit ist e<strong>in</strong> Kohärenzziel<br />

sowohl mit Anteilen von Annäherungsqualitäten, wie Wohlgefühl<br />

und Lebenslust als auch mit dem Ziel Sicherheit <strong>des</strong> Abwendungsmodus.<br />

So impliziert Gesundung <strong>in</strong> manchen Fällen auch<br />

Abwendungsverhalten gegen Infektionskeime, Parasiten oder an -<br />

dere Be drohungen.<br />

Das übergeordnete und <strong>in</strong>tegrierende Kohärenzsystem muss die<br />

richtige motivationale E<strong>in</strong>stellung f<strong>in</strong>den. E<strong>in</strong>e nachhaltige Kooperation<br />

f<strong>in</strong>det im Kohärenzmodus statt und kann dabei je nach Indikation<br />

e<strong>in</strong>e Unterstützung <strong>des</strong> Abwendungs- oder Annäherungsmodus<br />

be<strong>in</strong>halten.<br />

Wenn wir für unsere Kooperation e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Kohärenzund<br />

Annäherungsziel gefunden haben, e<strong>in</strong>e Attraktiva, richten alle<br />

Kooperationspartner<strong>in</strong>nen ihre Aufmerksamkeit und ihr Bemühen<br />

auf das Erreichen dieses Zieles aus. Dann geht es <strong>in</strong> der Arbeitsteilung<br />

um synergetisch-kreative Kooperation. Dabei wird geme<strong>in</strong>sam<br />

etwas Neues gebildet, das im Detail nicht vorhersehbar war und<br />

nicht berechenbar. Der arbeitsteilige Prozess kreativer Kooperation<br />

ist dialogisch offen (vgl. Kle<strong>in</strong><strong>in</strong>g 1994). Jeder weitere Schritt ent-<br />

191


Schöpferisch kooperieren zur gesunden Kulturentwicklung<br />

steht bei geme<strong>in</strong>samer Intentionalität entsprechend der zirkulären<br />

Resonanzlogik dialogisch aus den vorhergehenden Schritten aller<br />

Beteiligten.<br />

Auf dem Foto neben der Grafik <strong>in</strong> Abb. 14 geben drei K<strong>in</strong>der der<br />

Freien Schule Heckenbeck e<strong>in</strong>e Akrobatike<strong>in</strong>lage auf e<strong>in</strong>em Dorffest.<br />

Durch ihre geme<strong>in</strong>same Intention zu dieser Akrobatik und<br />

natürlich auch durch Übung kooperieren sie wie Teilsysteme,<br />

»Agent<strong>in</strong>nen«, e<strong>in</strong>es Organismus. Nur so s<strong>in</strong>d sie <strong>in</strong> der Lage, blitzschnell<br />

auf überraschende H<strong>in</strong>dernisse auf der Straße zu reagieren.<br />

Sie bilden auf der Grundlage ihrer geme<strong>in</strong>samen Intention e<strong>in</strong><br />

komplexes dynamisches System. Ganz analog funktionieren kreative<br />

Kooperationen <strong>in</strong> therapeutischen und anderen Dialogen.<br />

Das kreative Potential <strong>des</strong> Dialogs ist schon seit Platon und<br />

Sokrates Gegenstand philosophisch-praktischer Betrachtung. In<br />

jeder kokreativen Kooperation f<strong>in</strong>den wir das gleiche Attraktionspr<strong>in</strong>zip<br />

und die Attraktionslogik, wie ich sie <strong>in</strong> Kap. 3.2 bzw. 4.2 allgeme<strong>in</strong><br />

für kreative dynamische Prozesse beschrieben habe (vgl. a.<br />

»Intentionalität« bei Tomasello 2010, 2020). Dieses Attraktionspr<strong>in</strong>zip<br />

bildet e<strong>in</strong>en wissenschaftlichen H<strong>in</strong>tergrund für <strong>in</strong>tentionale<br />

Heuristik – auch von Kollektiven.<br />

Mitwissen, Intentionalität und Kohärenz von Übersystemen<br />

192<br />

Wenn die Kooperation von Arzt und Patient, oder Schüler<strong>in</strong>nen und<br />

Lehrer, von Partner<strong>in</strong>nen, Eltern und K<strong>in</strong>dern oder Mitarbeiter<strong>in</strong>nen<br />

e<strong>in</strong>es Teams nicht mehr läuft wie gewünscht, ist es angebracht,<br />

nach der Intentionalität der Kooperationspartner<strong>in</strong>nen zu fragen.<br />

Stimmen sie wirklich übere<strong>in</strong> <strong>in</strong> ihrer wichtigsten und maßgeblichen<br />

Intentionalität? Wenn diese ause<strong>in</strong>anderdriften, lässt die<br />

Kooperation nach, die Energie geht <strong>in</strong> andere Richtungen, und es<br />

kommt leichter zu e<strong>in</strong>er sogenannten <strong>in</strong>neren Kündigung der<br />

Kooperation.<br />

Die für unsere Kooperationen attraktiven und maßgeblichen<br />

Informationen ergeben sich häufig aus der Kohärenz unserer Übersysteme<br />

(top-down) und aus Inkohärenzspannungen (s. Bastian<br />

2022) zwischen uns und den Übersystemen (bottom-up). Aus unse-


Gesunde Entwicklung als Kokreation?<br />

rer <strong>in</strong>dividuellen Perspektive ist es unsere Motivation, dazuzugehören<br />

und auch dem größeren Ganzen zu dienen. Was brauchen wir<br />

vonseiten unseres Übersystems, damit wir e<strong>in</strong> Gefühl von Zugehörigkeit<br />

haben – zur Familie? Zur Gesellschaft? Zur Menschheit? Was<br />

brauchen diese Systeme von uns – die Familie? Die Gesellschaft?<br />

Die Menschheit – zu ihrer Entwicklung?<br />

Unsere Motivation zum Kooperieren entsteht – systemisch gesehen<br />

– aus dem <strong>in</strong>tr<strong>in</strong>sischen und systemischen Streben nach Stimmigkeit<br />

<strong>in</strong> unseren Übersystemen – angefangen bei der Familie<br />

über Beruf, Politik, Kultur und Menschheit bis zur Biosphäre und<br />

womöglich noch größeren Systemen. Unsere Kooperationen sollen<br />

unseren Übersystemen dienen, von denen wir selbst e<strong>in</strong> Teil s<strong>in</strong>d<br />

(s. Abb. 2 <strong>in</strong> Kap. 1.3). Kommunikation wiederum soll der Kooperation<br />

dienen, um wirksamer zu werden.<br />

Diese Sichtweise impliziert, dass Teilsysteme <strong>in</strong> sich auch e<strong>in</strong>en<br />

Teil der Informationen ihres Übersystems tragen, dass sie <strong>in</strong> gewissem<br />

S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong> Mitwissen an ihren Übersystemen haben. Dieses ist<br />

wohl oft nicht bewusst und nicht klar differenziert, weshalb wir<br />

auch von e<strong>in</strong>em Ahnen sprechen. Diese Art von Mitwissen oder<br />

Ahnen e<strong>in</strong>es Teilsystems am größeren Ganzen f<strong>in</strong>den wir auch <strong>in</strong><br />

der systemischen Beratungsarbeit, bei Telepathie u. a. m. Wir können<br />

auch das Phänomen der »geteilten Intentionalität« (Tomasello<br />

2010) und der Intuition auf diese Weise verstehen (vgl. Bauchgefühl<br />

bei Gigerenzer 2008). Das Wort Bewusstse<strong>in</strong> wurde von Descartes vor<br />

etwa 400 Jahren als Übersetzung für lat. conscentia e<strong>in</strong>geführt, das<br />

wörtlich übersetzt Mitwissen heißt. Wir können dieses systemische<br />

Mitwissen als Ersche<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>er fraktalen Gliederung von Systemen<br />

verstehen. Unser Denken ist womöglich e<strong>in</strong> <strong>in</strong>formationsverarbeitender<br />

Bestandteil der Biosphäre.<br />

Kooperation und motivationale E<strong>in</strong>stellungen<br />

Wie oben schon erwähnt, s<strong>in</strong>d die menschlichen Fähigkeiten zur<br />

Kooperation im Kohärenz- und Annäherungsmodus anders als im<br />

Abwendungsmodus. Nur im Kohärenz- und Annäherungsmodus<br />

haben wir Zugang zu unseren kreativen Lösungsfähigkeiten. Im<br />

193


Schöpferisch kooperieren zur gesunden Kulturentwicklung<br />

Abwendungsmodus können wir dagegen schnell Handlungsressourcen<br />

<strong>des</strong> Körpers aktivieren. Er erzeugt e<strong>in</strong>e erhöhte Spannung<br />

und Aktivität. Deshalb taugt er kurzfristig. Kooperation im Abwendungsmodus<br />

ist gegen etwas gerichtet – sie braucht e<strong>in</strong> Fe<strong>in</strong>dbild.<br />

Nicht selten werden welche konstruiert, um Menschen zu e<strong>in</strong>er<br />

derartigen Kooperation zu motivieren: durch Angstmacherei gegenüber<br />

äußeren Fe<strong>in</strong>den. Längere Zeit im Abwendungsmodus zu se<strong>in</strong>,<br />

führt zu Disstress und Erkrankungen. Demgegenüber kann besonders<br />

e<strong>in</strong>e freundliche, freiwillige und partnerschaftliche Kooperation<br />

schöpferisch und nachhaltig se<strong>in</strong>. Kooperationen im Abwendungsmodus<br />

können – als kurzfristige Herausforderungen – die<br />

Funktion <strong>des</strong> Kohärenzsystems allerd<strong>in</strong>gs durchaus anregen und<br />

auch immer wieder erden, <strong>in</strong> Kontakt mit der Realität br<strong>in</strong>gen, wie<br />

z. B. Prüfungen oder geme<strong>in</strong>sam Gefahren abwenden.<br />

Durch den Fokus auf e<strong>in</strong> Abwenden von Krankheiten <strong>in</strong> der wissenschaftlichen<br />

Mediz<strong>in</strong> ist das Bewusstse<strong>in</strong> für die zugrunde liegende<br />

Grundkommunikation zum Annähern an Gesundheit, wie<br />

sie wahrsche<strong>in</strong>lich h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>em Teil <strong>des</strong> Placeboeffekts (»Ich werde<br />

gefallen.«) wirksam wird, unterentwickelt geblieben. So liegt heute<br />

<strong>in</strong> der bewussten Kultivierung e<strong>in</strong>er salutogenen Kommunikation<br />

e<strong>in</strong>e große, noch weitgehend schlafende Ressource für gesunde<br />

Entwicklung. Dabei sehe ich die Entfaltung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen unterschiedlichen<br />

Praxisfeldern schon weiter fortgeschritten, als die<br />

Theorieentwicklung dazu vermuten ließe. Es gibt schon viele Beispiele<br />

guter Praxis, wie es auch schon viele Ärzt<strong>in</strong>nen gibt, die mitfühlend<br />

und <strong>in</strong>tuitiv ihren Patient<strong>in</strong>nen heilsame Erfahrungen<br />

ermöglichen. Explizierte Ansätze für derartige gute Praxis sehe ich<br />

z. B. <strong>in</strong> der »Gesundheitsorientierten Gesprächsführung GoG« nach<br />

Ulrich Schwantes (2011), <strong>in</strong> der Partizipativen Entscheidungsf<strong>in</strong>dung<br />

(Shared Decision Mak<strong>in</strong>g), <strong>in</strong> der Integrativen Mediz<strong>in</strong> nach v. Uexküll,<br />

dem »SalKom®-Goalsett<strong>in</strong>g« der salutogenen Kommunikation Sal-<br />

Kom®, der »positiven Gesundheit« von Machtheld Huber und e<strong>in</strong>igen<br />

anderen.<br />

194


Gesunde Entwicklung als Kokreation?<br />

Kokreativität <strong>in</strong> Gruppen und grösseren Metasubjekten<br />

In Gruppen taucht die Frage auf: Wie f<strong>in</strong>den wir geme<strong>in</strong>sam Zugang<br />

zu Informationen aus dem virtuellen Möglichkeitsraum?<br />

Bewussten Zugang zu attraktiven Informationen haben wir über<br />

unsere <strong>in</strong>nere Wahrnehmung, <strong>in</strong>dem wir uns öffnen für Intuition,<br />

für Visionen von Stimmigkeit, allgeme<strong>in</strong>: für die Möglichkeit unserer<br />

Resonanz auf die attraktiven Informationen, die von vielen Geist<br />

genannt wird. Diese ersche<strong>in</strong>en häufig als Ideale, als Soll-Zustände<br />

für unsere Entwicklungen. Menschen, die stark <strong>in</strong> Resonanz mit<br />

ihnen s<strong>in</strong>d, ersche<strong>in</strong>en als Idealist<strong>in</strong>nen.<br />

Zunächst geht es allerd<strong>in</strong>gs darum, sich zu vergegenwärtigen<br />

und bewusst zu machen, dass unser Organismus implizit, an unserem<br />

Alltagsbewusstse<strong>in</strong> vorbei, immer <strong>in</strong> Resonanz zu für ihn maßgeblichen<br />

attraktiven Informationen schw<strong>in</strong>gt – mal mehr, mal<br />

weniger. Es gibt sehr viele und komplexe attraktive Informationen,<br />

sodass es gelegentlich schwierig ersche<strong>in</strong>t, die wirklich s<strong>in</strong>nvollen<br />

von weniger s<strong>in</strong>nvollen, vielleicht verführerischen, zu unterscheiden.<br />

Irgendwo <strong>in</strong> unserem Kern allerd<strong>in</strong>gs besteht wohl e<strong>in</strong> Zugang<br />

zu den situativ wahrhaft stimmigen, attraktiven Informationen.<br />

Wenn wir diesen jetzt bewusst f<strong>in</strong>den wollen, beg<strong>in</strong>nt es damit,<br />

dass wir unser Denken öffnen für die Möglichkeit der Gegenwärtigkeit<br />

dieser Informationen und unseren <strong>in</strong>neren Zugang zu ihnen. Für<br />

manche ist die Vorstellung e<strong>in</strong>er offenen Mitte <strong>in</strong> der Gruppe hilfreich,<br />

wie es im Modell <strong>in</strong> der Selbstregulation mit den Attraktiva<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er nach oben offenen Mitte angedeutet ist. Unsere Wahrnehmung<br />

ist also nach <strong>in</strong>nen gehalten mit e<strong>in</strong>er Öffnung nach oben für<br />

die Gegenwärtigkeit von Resonanz auf attraktive Informationen –<br />

wahrnehmbar oft leichter <strong>in</strong> Stille und Stimmigkeit (vgl. »Presenc<strong>in</strong>g«<br />

im U-Prozess von Scharmer 2019).<br />

Um zu e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen Wahrnehmen zu gelangen, ist es hilfreich,<br />

e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Frage, e<strong>in</strong> Thema zu stellen. Dieses dient<br />

zur Ausrichtung der <strong>in</strong>neren Antennen. Der Empfang hängt wesentlich<br />

von dieser Ausrichtung, von der Fragestellung ab. Diese Frage<br />

kann explizit und transparent geme<strong>in</strong>sam gefunden und auch diskutiert<br />

werden. Dann werden nach e<strong>in</strong>er Stillephase der Bes<strong>in</strong>nung<br />

195


Schöpferisch kooperieren zur gesunden Kulturentwicklung<br />

mit Öffnung nach oben die wahrgenommenen Informationen expliziert.<br />

Diese sollen gehört und verstanden werden – aber nicht diskutiert<br />

und kritisiert.<br />

Achtsamkeit, lauschen <strong>in</strong> die Stille, meditieren, auch kohärentes<br />

Nichtstun und Warten, können unser Denken und unsere Herzen<br />

öffnen für diese Informationen. Alle<strong>in</strong>e schon die Vorstellung, dass<br />

es diesen vollständig virtuellen Raum attraktiver Informationen,<br />

resp. Geist, wirklich gibt, kann unser Denken dafür öffnen. Um<br />

diese imag<strong>in</strong>ären attraktiven und kohärenten Möglichkeiten wie<br />

auch Ideale dreht und organisiert sich unser schöpferisches Leben.<br />

Aus der bewussten Wahrnehmung der Attraktiva kommen wir<br />

immer wieder zu e<strong>in</strong>em Ausgangspunkt für s<strong>in</strong>nvolles und salutogenes<br />

Handeln, Kommunizieren und Kooperieren. In dieser Resonanz<br />

auf maßgebliche Informationen können auch gesellschaft -<br />

liche Gestaltungsprozesse ihren Lauf nehmen. Diese konkreten<br />

Schritte sollen dann wieder geme<strong>in</strong>sam diskutiert werden.<br />

Kreative Gruppenprozesse – Heuristik im kokreativen Raum KoRa<br />

Unsere Erfahrungen mit kokreativen Prozessen <strong>in</strong> zahlreichen Projekten<br />

und Symposien haben wir auf dem 11. Symposium zur Salutogenese<br />

explizit gemacht und weiterentwickelt. Für e<strong>in</strong> kreatives<br />

Zusammenspiel von Subjekt und Attraktiva sche<strong>in</strong>t es u. a. wichtig,<br />

wiederholt <strong>in</strong>nezuhalten <strong>in</strong> Phasen der Wahrnehmung <strong>in</strong> Stille und<br />

Achtsamkeit.<br />

Aus der Reflexion vieler miterlebter kokreativer Geme<strong>in</strong>schaftsprozesse<br />

über mehrere Jahrzehnte 39 ohne und mit expliziter Leitung<br />

habe ich (2000 d) den »nichtl<strong>in</strong>ear geleiteten kreativen Gruppenprozess«<br />

unter den Aspekten der Chaosforschung beschrieben, weil<br />

»Man muss noch Chaos <strong>in</strong> sich haben,<br />

um e<strong>in</strong>en tanzenden Stern gebären zu<br />

können. Nietzsche<br />

diese me<strong>in</strong>er erlebten Wirklichkeit am<br />

nächsten kamen. Im Weiteren habe ich<br />

die Erkenntnisse <strong>in</strong> unterschiedlichen<br />

Formaten bewusst umgesetzt. Dazu gibt es <strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong>e ganze<br />

Reihe ähnlicher und guter Erfahrungen mit heuristischem Vorge-<br />

196<br />

39 E<strong>in</strong>ige Ergebnisse dieser Kokreativität s<strong>in</strong>d im »Heckenbeck-Film« <strong>des</strong> NDR, »Dorf macht glücklich,<br />

zu sehen« (s. YouTube).


Gesunde Entwicklung als Kokreation?<br />

hen, auch oft implizit <strong>in</strong> Teams und Qualitätszirkeln, die unter verschiedenen<br />

Bezeichnungen unterschiedliche Sett<strong>in</strong>gs und Aspekte<br />

fokussieren und kultivieren, wie »Zukunftswerkstätten«, »Open-<br />

Space-Tech nology«, »World-Café«, »Bar-Camp«, »U-Prozess« nach<br />

Scharmer, »Oasis-Game« u. a. m. (s. a. Dialogisches Pr<strong>in</strong>zip von<br />

Buber 1995; Bohm 1990; Kle<strong>in</strong><strong>in</strong>g 1994; Schopp 2010; Petzold 2000 d,<br />

2013 g , 2019, 2021). Diese Erfahrungen waren auch die Grundlage<br />

für die Gestaltung <strong>des</strong> Kokreativen Raumes KoRa auf dem 11. Symposium<br />

zur Salutogenese 2019. Der Verlauf hat me<strong>in</strong>e ursprünglichen<br />

Erfahrungen bestätigt und <strong>in</strong> differenzierter Weise erweitert.<br />

In Gruppen kann e<strong>in</strong> heuristisch-kokreativer Prozess stattf<strong>in</strong>den,<br />

wenn die meisten Teilnehmenden ihr Fühlen und Denken für e<strong>in</strong><br />

geme<strong>in</strong>sames Anliegen, e<strong>in</strong>e geteilte Intentionalität <strong>in</strong> der Gruppe<br />

e<strong>in</strong>setzen wollen und können. Jeder <strong>neue</strong> Beitrag zum Gruppenprozess<br />

knüpft an e<strong>in</strong>em vorhergehenden an und führt diesen weiter<br />

<strong>in</strong> zirkulärer Resonanz auf dem Weg der Annäherung an befriedigende<br />

Ergebnisse. Die Beiträge der Gruppenmitglieder werden<br />

erfahrungsgemäß immer kreativer und konstruktiver, je konzentrierter<br />

die Gruppenaufmerksamkeit sowohl bei dem Thema als<br />

auch bei den jeweiligen Redner<strong>in</strong>nen ist.<br />

Die Kreativität e<strong>in</strong>er Gruppe entsteht oft geradezu <strong>in</strong> den Zwischenräumen<br />

von Gesprächen, wenn man der Intuition, dem Unbestimmten<br />

Raum und Zeit gibt, die Antennen <strong>in</strong> uns zu stimulieren.<br />

Für e<strong>in</strong>e Moderation <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne ist e<strong>in</strong> Flowmaster dienlich,<br />

der auf den kreativen Fluss <strong>in</strong> Richtung <strong>des</strong> Zieles achtet und eventuelle<br />

Abwendungsdynamiken <strong>in</strong>tegrieren oder zurückstellen kann<br />

sowie für Bes<strong>in</strong>nungspausen sorgt. 40<br />

Allgeme<strong>in</strong>e Schlüsse aus den Erfahrungen von heuristischer Kokreativität<br />

1. Die Kreativität e<strong>in</strong>er Gruppe ist e<strong>in</strong> zirkulär resonierender, sich<br />

an e<strong>in</strong> ggf. unscharfes Zielbild annähernder Prozess. Dabei können<br />

sich ähnliche Schritte rückkoppelnd wiederholen (rekursiv).<br />

40 Nähere Informationen wie auch die ausführlicheren ursprünglichen Veröffentlichungen zu dieser<br />

Methode können Sie im Zentrum für Salutogenese erhalten. Sie stammen aus folgenden<br />

Publikationen: Petzold 2000d, S. 304 ff, 2010, 2019; Petzold TD u. M. Siegel 2019.<br />

197


Schöpferisch kooperieren zur gesunden Kulturentwicklung<br />

2. Das Annäherungs- und Kohärenzziel ist jeweils e<strong>in</strong>e der Gruppe<br />

implizite und komplexe attraktive Information (Attraktiva). Es<br />

ist unterschiedlich klar vorhersehbar und kann oft nur geahnt<br />

werden – <strong>in</strong>sbesondere wenn es weiter <strong>in</strong> der Zukunft liegt.<br />

3. Im Verlauf <strong>des</strong> Prozesses haben immer auch andere subjektive<br />

Attraktiva (sowie bedrohliche »Repelloren«) E<strong>in</strong>fluss auf den<br />

Annäherungsprozess. Diese sollen <strong>in</strong>tegriert bzw. abgewendet<br />

oder vermieden werden.<br />

4. E<strong>in</strong>e Stabilität e<strong>in</strong>es dynamischen Systems ist immer relativ und<br />

meist befristet. Wenn e<strong>in</strong>e Annäherung an die Attraktiva<br />

erreicht ist, ist das System weiterh<strong>in</strong> der Attraktivität anderer<br />

Attraktiva sowie Repelloren und veränderlichen Kontextbed<strong>in</strong>gungen<br />

ausgesetzt. Auch wenn es ke<strong>in</strong>e letztendliche Sicherheit<br />

gibt, gibt es doch Ruhe und Vertrauen <strong>in</strong> die Dynamik <strong>des</strong><br />

Lebens – als Grundkommunikation (s. Kap. 1.3).<br />

5. E<strong>in</strong> menschlich lernen<strong>des</strong> System vermag die erfahrenen Annäherungsschritte<br />

samt ihrer Kontextbed<strong>in</strong>gungen zu speichern und<br />

zu er<strong>in</strong>nern sowie diese unter dem Aspekt der Annäherung an<br />

die Attraktiva zu reflektieren. Daraus kann das lernende System<br />

Schlüsse für das weitere Vorgehen ziehen.<br />

Diese Erfahrungen und Vorstellungen gehen davon aus, dass die<br />

Information <strong>des</strong> Lösungsziels <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>formativen metaphysischen<br />

Wirklichkeit (als Attraktiva) schon existiert und im schöpferischen<br />

Prozess <strong>in</strong> der Gruppe Gestalt annehmen kann. Dabei<br />

ersche<strong>in</strong>t die Gruppe sowohl als e<strong>in</strong>e sensiblere Antenne als auch<br />

potentere Schöpferkraft als die meisten E<strong>in</strong>zelnen und ist im wechselseitigen<br />

kokreativen Prozess mit diesen.<br />

5.3 E<strong>in</strong>e reflexive Gesundheits wissenschaft?<br />

E<strong>in</strong>e Vision<br />

198<br />

In e<strong>in</strong>er <strong>neue</strong>n Gesundheitswissenschaft lernen wir, dass Leben<br />

komplex ist. Leben und gesunde Entwicklung lassen sich nur sehr<br />

begrenzt kontrollieren. Vollständig kontrolliertes Leben bedeutet


E<strong>in</strong>e reflexive Gesundheits wissenschaft? E<strong>in</strong>e Vision<br />

Tod. Leben gebiert ständig Unvorhergesehenes und Unvorhersehbares.<br />

Gesunde Entwicklung kann ke<strong>in</strong>e vollständig gesicherte<br />

Erkenntnis se<strong>in</strong>. Unsere gesunde Entwicklung gründet auf Vertrauen<br />

und e<strong>in</strong>em umfassenden Kohärenzgefühl.<br />

Die Gesundheitswissenschaft fördert den menschlichen Ent -<br />

wicklungsprozess, <strong>in</strong>dem sie ihn theoretisch begründet und wissenschaftlich<br />

begleitet. Es ist e<strong>in</strong> wahrhaft kokreativer Entwick -<br />

lungsprozess von Individuen, Gruppen, Organisationen und<br />

Gesundheitswissenschaftler<strong>in</strong>nen (<strong>in</strong>klusiv professioneller Ge -<br />

sundheitspraktiker<strong>in</strong>nen). Alle praktizieren e<strong>in</strong> gutes Leben und die<br />

Gesundheitswissenschaftler<strong>in</strong>nen regen dies immer wieder an und<br />

evaluieren es. Sie s<strong>in</strong>d aktiv und beobachtend Partizipierende <strong>des</strong><br />

Prozesses. Unsere K<strong>in</strong>der werden <strong>in</strong> Richtung lebendiger Ko -<br />

kreativität gebildet. Dazu gehören Selbstwahrnehmung und Mitgefühl,<br />

Autonomie, Kommunikation und Kooperation. Stimmigkeit<br />

und Selbstwirksamkeit <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>samkeit bekommen <strong>in</strong> allen<br />

gesellschaftlichen Bereichen e<strong>in</strong>en hohen Stellenwert.<br />

Die Gesundheitswissenschaft arbeitet kokreativ mit Bürger<strong>in</strong>nen<br />

die Vision von gesunder Entwicklung und die jeweils nächsten<br />

Schritte <strong>in</strong> den verschiedenen Lebensdimensionen aus. Es s<strong>in</strong>d<br />

Schritte zur <strong>in</strong>dividuellen Selbstfürsorge, zu zwischenmensch -<br />

lichen aufbauenden Beziehungen und kokreativen kulturellen<br />

Organisationen im Zusammenhang e<strong>in</strong>es globalen Verantwortungsbewusstse<strong>in</strong>s.<br />

So arbeiten wir mite<strong>in</strong>ander, um geme<strong>in</strong>sam<br />

e<strong>in</strong> möglichst gutes Ergebnis zu erhalten, e<strong>in</strong> gutes Leben zu führen,<br />

und nicht, um irgende<strong>in</strong>e Hypothese e<strong>in</strong>es Wissenschaftlers zu<br />

beweisen.<br />

Unser wissenschaftliches Denken ist nicht mehr primär Ergebnis<br />

von rechthaberischem Beweisen-wollen im Macht-Opfer-Muster<br />

(s. Glossar) – wenn auch analytisch-kausallogische und empirische<br />

Beweisführungen sicher noch e<strong>in</strong>en wichtigen Platz dar<strong>in</strong> haben.<br />

Es ist geprägt von reflektierender Integration aller Puzzleteile, aller<br />

Ansichten auf den Diamanten Wahrheit, <strong>in</strong> e<strong>in</strong> dynamisch lernen<strong>des</strong><br />

System, das Menschheit heißt und <strong>in</strong> Verbundenheit größerer<br />

Systeme resoniert.<br />

199


Schöpferisch kooperieren zur gesunden Kulturentwicklung<br />

200<br />

E<strong>in</strong>e große wissenschaftliche Herausforderung unserer Zeit ist die<br />

Zusammenschau der Erkenntnisse der vielen E<strong>in</strong>zelwissenschaften,<br />

die mit der gesunden Entwicklung der Menschen <strong>in</strong> Beziehung stehen.<br />

Dazu müssen wir das Rechthaben- und Beweisen-Wollen <strong>des</strong><br />

klassisch-naturwissenschaftlichen <strong>Denkens</strong> überw<strong>in</strong>den, das unter<br />

anderen von Galilei im Kampf gegen die <strong>in</strong>quisitorische Kirche entwickelt<br />

wurde. Vielmehr können wir fragen: Welchen S<strong>in</strong>n macht diese<br />

oder jene Frage, Sicht- und Denkweise? Könnte sie der Menschheit helfen<br />

und ihrer Entwicklung dienen?<br />

Das <strong>neue</strong> Denken ist das reflektierte und veränderliche Ergebnis<br />

e<strong>in</strong>es fortwährenden heuristisch-kommunikativen Prozesses, <strong>in</strong><br />

dem sowohl das Erfahrene, die Empirie, als auch die subjektiven<br />

und metativen Attraktiva reflektiert werden. Es beg<strong>in</strong>nt mit der<br />

expliziten Wertschätzung heuristischer und antizipierender Prozesse<br />

und wird fortgeführt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em reflektierenden Kommunikationsprozess<br />

als wissenschaftlichem Beitrag zur Gestaltung e<strong>in</strong>er zukunftsfähigen<br />

»besseren« Welt. Insbesondere wird dabei die Intentionalität<br />

aller Akteur<strong>in</strong>nen für die Kooperation reflektiert und beachtet.<br />

Auf der e<strong>in</strong>en Seite können Gesundheitswissenschaftler<strong>in</strong>nen<br />

und -rät<strong>in</strong>nen Vorstellungen vom guten Leben und für gesunde Entwicklungen<br />

visionieren und Konzepte dafür unter unterschiedlichen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen entwerfen, um möglichst viele Parameter zu<br />

erfassen – Parameter äußerer Bed<strong>in</strong>gungen, soziokultureller Beziehungen,<br />

<strong>in</strong>dividueller Konstitution und Lernergebnisse sowie<br />

(meta-)subjektiver Attraktiva, Vorlieben und Reaktionsweisen. Dann<br />

wird e<strong>in</strong>e Gewichtung der Parameter vorgenommen – wohl wissend,<br />

dass diese sich häufig und situativ ändern können – subjektiv<br />

und beobachtend –, ganz besonders bei akuten Bedrohungen.<br />

Auf diesem Wissensh<strong>in</strong>tergrund kommt es spätestens zur Beteiligung<br />

von und Abstimmung mit repräsentativen Vertreter<strong>in</strong>nen der<br />

Bürger<strong>in</strong>nen. Dazu s<strong>in</strong>d oben e<strong>in</strong>ige Ansätze beschrieben. Andere<br />

f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> Bürger- und möglicherweise Gesundheitsräten, Qualitätszirkeln<br />

und Salutogenic Reflect<strong>in</strong>g Teams (s. Petzold 2021).<br />

Die Idee der Demokratie kann auf diese Weise weiter umgesetzt<br />

werden, wenn immer mehr repräsentative Bürger<strong>in</strong>nen kommuni-


E<strong>in</strong>e reflexive Gesundheits wissenschaft? E<strong>in</strong>e Vision<br />

kativ bottom-up <strong>in</strong> Entscheidungsprozesse e<strong>in</strong>bezogen werden, die<br />

unsere Zukunft im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es guten Lebens mitgestalten. So wird<br />

das gesundheitliche Bürgerengagement zu e<strong>in</strong>em politischen, wo es<br />

um die Mitgestaltung e<strong>in</strong>es guten Lebens geht. Geleitet werden diese<br />

Prozesse vom Kohärenzstreben wie auch ethischen Grundsätzen.<br />

E<strong>in</strong>e <strong>neue</strong>, salutogene Gesundheitswissenschaft soll als Wissenschaft<br />

gesunder Entwicklung theoriegeleitet und erfahrungsbasierte<br />

Wege und Schritte zur gesunden Entwicklung erarbeiten und aufzeigen:<br />

<strong>in</strong>dividuell, sozial, national und global – top-down und bottom-up.<br />

Global kooperieren<br />

Die globale <strong>Dimension</strong> ist noch abstrakter, weiter entfernt vom<br />

s<strong>in</strong>nlichen Erleben als die kulturelle, als das Leben <strong>in</strong> der Muttersprache.<br />

Deshalb ist hier auch der Übergang zu e<strong>in</strong>er geistigen und<br />

universellen <strong>Dimension</strong>. Es ist erst gut 50 Jahre her, dass wir e<strong>in</strong><br />

reales Bild / Foto vom Planeten Erde aus<br />

e<strong>in</strong>er Außenperspektive haben. Das selbst<br />

zu erleben, wird immer nur wenigen Menschen vorbehalten bleiben.<br />

Für die meisten von uns s<strong>in</strong>d die Fotos aus dem All e<strong>in</strong>e fremde<br />

Realität. Immerh<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d die Bilder geeignet, unsere Vorstellung von<br />

e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen globalen Leben anzuregen.<br />

So s<strong>in</strong>d auch die Regeln für das transkulturelle globale Zusammenleben,<br />

vermittelt über die Kooperation der Nationen und Unternehmen,<br />

noch abstrakter und allgeme<strong>in</strong>er gehalten als die nationalen<br />

Gesetze. In e<strong>in</strong>er globalen Ethik konvergieren die Ziele und<br />

Erfahrungen der Kulturen, Völker, Geme<strong>in</strong>schaften und Individuen<br />

zu allgeme<strong>in</strong>eren Leitpr<strong>in</strong>zipien. Wieder ist der Konvergenz- und<br />

Entstehungsprozess e<strong>in</strong> Bottom-up und Top-down-Vorgang. Dieser<br />

sollte sich <strong>in</strong> transparenten <strong>in</strong>stitutionalisierten Kommunikationsstrukturen<br />

wiederf<strong>in</strong>den. Er ermöglicht und sorgt für e<strong>in</strong>e Integration<br />

aller Kulturen <strong>in</strong> das globale Leben. Auch diese <strong>in</strong>ternationale<br />

und transkulturelle Kooperation wird von den vier Regeln menschlicher<br />

Kooperation geprägt: aufe<strong>in</strong>ander e<strong>in</strong>gehen, e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames<br />

Ziel f<strong>in</strong>den, die Rollen klären und dem anderen helfen, falls<br />

erforderlich.<br />

Welche Vision haben wir vom guten<br />

Leben?<br />

201


Schöpferisch kooperieren zur gesunden Kulturentwicklung<br />

5.4 Auf dem Weg zu e<strong>in</strong>er globalen und<br />

schöpferischen Ethik<br />

202<br />

Viele haben heute erkannt, dass wir Teile e<strong>in</strong>es größeren dynamischen<br />

Ganzen s<strong>in</strong>d (s. a. WBGU 2021) und die Trennung von Subjekt<br />

und Objekt so nicht zutrifft und auch nicht die technische Kontrollmöglichkeit<br />

<strong>des</strong> Lebendigen. Wir bekommen die Folgen e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>seitig<br />

analytischen und kausallogischen <strong>Denkens</strong> und technischen<br />

Handelns widerserviert. In diesem materialistischen Denken bleibt<br />

der lebendige, reflektierende und schöpferische Geist auf der Strecke.<br />

So gilt es jetzt, die Logiken <strong>des</strong> Schöpferischen zu kultivieren.<br />

In den modernen Zivilisationen, wo Spitzenwissenschaftler<strong>in</strong>nen<br />

schon lange zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t <strong>in</strong> Ansätzen <strong>in</strong> ihrem Rahmen global bzw.<br />

universell orientiert denken und arbeiten, kommt es erst heute<br />

langsam zu dieser Reflexion <strong>des</strong> denkenden und schöpferischen<br />

Selbst. Zu sehr haben die Naturwissenschaften und Technik die<br />

Aufmerksamkeit auf das Physikalisch-chemische gelenkt. Dabei ist<br />

vielen Menschen, die der <strong>neue</strong>n Religion mit Namen Naturwissenschaft<br />

glauben, das Bewusstse<strong>in</strong> für die <strong>in</strong>formativen geistigen<br />

Zusammenhänge abhandengekommen. Ihre ganze Aufmerksamkeit<br />

ist noch immer auf die wundergleichen Erfolge der auf Technik<br />

und Konsumgüter gerichtet. In dieser quasireligiösen Sprachblase<br />

der Naturwissenschaften und Technik gilt das Erleben von Geist wie<br />

Information und Beziehungsmustern als menschliche Täuschung,<br />

weil er nicht messbar ist. So wird die Wahrnehmung durch diese<br />

moderne Religion beschränkt und reduziert auf das Messbare, technisch<br />

Beweisbare wie z. B. die Gehirnströme. Folgerichtig wird auch<br />

die Bewertung, was wahr ist, darauf reduziert.<br />

Diese Entwicklung ist aus ihrer Geschichte zu verstehen, wobei<br />

sich Galilei und andere Wissenschaftler gegen die Vertreter der<br />

christlichen Kirche mittels Beweisen durchsetzen mussten. Es g<strong>in</strong>g<br />

ums Recht haben im Macht-Opfer-Kampf der Inquisition. So s<strong>in</strong>nhaft<br />

das damals erschien, so h<strong>in</strong>derlich sche<strong>in</strong>t dieser Materialismus<br />

heute zu se<strong>in</strong>, wo es um gesunde Entwicklung <strong>in</strong> der Biosphäre,<br />

um Emergenz und Kokreativität <strong>in</strong> Kohärenz mit der Natur


Auf dem Weg zu e<strong>in</strong>er globalen und schöpferischen Ethik<br />

geht. Dabei beh<strong>in</strong>dert dieser ausschließliche Materialismus <strong>in</strong> der<br />

Naturwissenschaft heute die Entfaltung kohärenten schöpferischen<br />

<strong>Denkens</strong> u.a. weil sie <strong>in</strong> ihrer kulturellen und globalen Funktion<br />

selbst derart zur machtvollen Religion mit vielen realen materiellen<br />

Abhängigkeiten von Organisationen und Menschen geworden ist,<br />

die e<strong>in</strong> wirkliches Infragestellen kaum mehr zulässt. E<strong>in</strong>e zukunftsfähige<br />

wissenschaftlich geprägte Religion braucht e<strong>in</strong> erweitertes<br />

und den Geist <strong>in</strong>tegrieren<strong>des</strong> Verständnis von Wissenschaft, das<br />

heute so dr<strong>in</strong>gend erforderlich wird.<br />

E<strong>in</strong>ige Wissenschaften spielen heute e<strong>in</strong>e wichtige Rolle im Zuge<br />

<strong>des</strong> Wahrnehmens und Bewusstwerdens globaler Zusammenhänge<br />

auch von lebenden Systemen, wie der Biosphäre. Allerd<strong>in</strong>gs versuchen<br />

diese auch heute noch, bei dieser<br />

wichtigen Wahrnehmung unsere Aufmerksamkeit<br />

auf die physikalisch-chemischen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen und l<strong>in</strong>earen Auswirkungen zu lenken, ohne<br />

die kognitiven und <strong>in</strong>formativen Zusammenhänge zu reflektieren,<br />

die zu den aktuellen Problemen geführt haben und die zur Mitgestaltung<br />

e<strong>in</strong>es guten Lebens führen können. Mit unseren Ausführungen<br />

soll die Aufmerksamkeit auf die <strong>in</strong>formativen systemischen<br />

Zusammenhänge gerichtet werden, die Menschen selbst mitgestaltet<br />

haben und <strong>in</strong> Zukunft ganz bewusst zukunftsfähiger mitgestalten<br />

wollen (= Anthropozän).<br />

Es braucht Achtsamkeit für die Mitgestaltung<br />

und Kultivierung <strong>des</strong> Sprachraumes,<br />

<strong>des</strong> Lebens <strong>in</strong> der Sprache.<br />

Ethik, Religion und Wissenschaft – e<strong>in</strong>e metaschöpferische<br />

<strong>Dimension</strong><br />

Die Lehren der Religionen haben über Jahrtausende das Denken<br />

und Handeln <strong>in</strong> den Kulturen – das Leben <strong>in</strong> der Sprache – <strong>in</strong>formiert<br />

und tun es heute noch. Überall auf der Welt beschäftigen sich<br />

Milliarden Menschen mit diesen Gedanken und richten sich nach<br />

ihnen aus. Dabei werden, so sche<strong>in</strong>t es uns, abrahamitische Religionen<br />

mehr zur sozialen und kulturellen Gesetzgebung und damit<br />

zu Macht und Moral herangezogen (dem Leben im Macht-Opfer-<br />

Muster), östliche eher zur <strong>in</strong>dividuellen Lebensführung und<br />

Bewusstse<strong>in</strong>sentwicklung im Kohärenzmodus. 203


Schöpferisch kooperieren zur gesunden Kulturentwicklung<br />

Damit kommen leider nicht nur die Informationen zum Guten zur<br />

Umsetzung. Auch die problematischen Informationen der Religionen<br />

zeigen ihre nachhaltigen Folgen über Jahrtausende (s. u. Bibel-<br />

und Koranzitate).<br />

Dabei s<strong>in</strong>d Religionen <strong>in</strong>sgesamt auf e<strong>in</strong>e Art meta-schöpferisch<br />

tätig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er übernationalen Metadimension. Sie haben den maßgeblichen<br />

kulturellen Rahmen für das Leben <strong>in</strong> vielen Sprachen und<br />

die schöpferische Tätigkeit vieler Menschen und Gruppen und<br />

sogar Völker <strong>in</strong>formiert. Sie s<strong>in</strong>d Grundlage vieler Normen, Werte<br />

und Gesetzgebungen. Erst <strong>in</strong> den letzten 400 Jahren wurde diese<br />

Rolle langsam, aber immer mehr von den Wissenschaften übernommen.<br />

Religion bedeutet im Late<strong>in</strong>ischen ursprünglich »die gewissenhafte<br />

Sorgfalt <strong>in</strong> der Beachtung von Vorzeichen und Vorschriften« 41<br />

– also die Beachtung von Informationen, die vor e<strong>in</strong>em Ereignis<br />

wahrgenommen werden können (Vor-zeichen) bzw. das zukünftige<br />

Handeln leiten sollen (Vor-schriften). Religion beschreibt also die<br />

Vor-Informationen, die für die Gestaltung der Zukunft wichtig se<strong>in</strong><br />

sollen. Sie formuliert vom Anspruch her antizipierende schöpfe -<br />

»Ich scheu mich nicht, zu sagen, es ist die<br />

Wissenschaft für uns Religion geworden.«<br />

Rudolf Virchow (1865, zit. n. Schipperges<br />

1998, S. 155)<br />

rische Aspekte aus dem Möglichkeitsraum.<br />

Religion diente im Wesentlichen<br />

zur Herstellung guter Beziehungen<br />

zunächst zur Natur (Naturreligionen)<br />

und dann zwischen den Menschen und e<strong>in</strong>em größeren Ganzen<br />

durch Moral.<br />

Möglicherweise hat Religion <strong>in</strong> Naturreligionen begonnen mit der<br />

»Beachtung von Vorzeichen«, z. B. für Wetterumschwünge und Erntee<strong>in</strong>flüsse,<br />

und daraus folgernder Beschwörung »guter Geister« für<br />

e<strong>in</strong>e gute Ernte und der Besänftigung der Naturgeister, wenn diese<br />

»getobt haben vor Zorn« oder ihre »Rache« für z. B. getötete Tiere<br />

befürchtet wurde (s. Eibl-Eibesfeldt 1995). So versuchen Wissen-<br />

204<br />

41 Religion kommt von late<strong>in</strong>isch religio (»gewissenhafte Berücksichtigung«, »Sorgfalt«), abgeleitet<br />

von late<strong>in</strong>isch relegere (»bedenken, achtgeben, beachten«), ursprünglich geme<strong>in</strong>t ist »die gewissenhafte<br />

Sorgfalt <strong>in</strong> der Beachtung von Vorzeichen und Vorschriften«. Nach: Kluge etymolo -<br />

gisches Wörterbuch. 24., durchgesehene und erweiterte Auflage. Berl<strong>in</strong> 2002. Zit. n. Wikipedia:<br />

Religion.


Auf dem Weg zu e<strong>in</strong>er globalen und schöpferischen Ethik<br />

schaftler<strong>in</strong>nen heute nicht nur, das Wetter vorherzusagen, sondern<br />

auch das Klima, die Wirtschaftsentwicklung, Vulkanausbrüche,<br />

Sonnenstürme u. v. a. Andere Wissenschaften wie die Erziehungswissenschaften,<br />

erstellen Vorschriften, wie die Beziehungen von<br />

Erwachsenen zu K<strong>in</strong>dern se<strong>in</strong> sollen. E<strong>in</strong> wichtiges Ziel von Naturwissenschaften<br />

ist, aufgrund der Analyse der Vergangenheit und<br />

Erkenntnis von Naturgesetzen, Vorhersagen für die Zukunft zu<br />

machen. Sie wollen damit explizit die ursprüngliche Bedeutung und<br />

Aufgabe der Religionen erfüllen – natürlich besser als diese: evidenzbasiert.<br />

Wie <strong>in</strong>formieren Religionen bzw. Wissenschaften Menschen?<br />

Die traditionellen Religionen (besonders die monotheistischen,<br />

abrahamitischen Offenbarungsreligionen) geben Vorschriften und<br />

andere Informationen für ihre jeweiligen Anhänger, die Gläubigen,<br />

die »ausgewählten Völker« oder Ähnliche, aber nicht für alle Menschen.<br />

Sie teilen die Menschheit <strong>in</strong> Christen und Heiden bzw. <strong>in</strong><br />

Gläubige und Ungläubige. Das Gute gilt nur für die Glaubensbrüder<br />

und -schwestern der jeweiligen Religion. Für die anderen gilt, wenn<br />

man den alten Schriften folgt: »Wer den Namen <strong>des</strong> Herrn lästert,<br />

der soll unbed<strong>in</strong>gt getötet werden! Die ganze Geme<strong>in</strong>de soll ihn<br />

unbed<strong>in</strong>gt ste<strong>in</strong>igen, sei es e<strong>in</strong> Fremdl<strong>in</strong>g oder e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>heimischer;<br />

wenn er den Namen lästert, so soll er sterben!« (3. Mose, 24. Kap.,<br />

Vers. 16)? Oder: »Und tötet sie, wo (immer) ihr sie (die Ungläubigen)<br />

zu fassen be kommt.« (Koran, Sure 2:191)?<br />

Jeweils s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs unterschiedliche Götter geme<strong>in</strong>t, sodass<br />

es bei den jeweils Gläubigen nur zum gegenseitigen Gemetzel kommen<br />

kann – vorausgesetzt, die Gläubigen nehmen das ernst, was<br />

<strong>in</strong> ihrer »Heiligen Schrift« steht.<br />

Das Wort – und das geschriebene besonders – <strong>in</strong>formiert das<br />

Leben von Menschen <strong>in</strong> der Sprache. Sie leben <strong>in</strong> der Sprache. Wir<br />

sehen das heute extrem bei den Dschihadisten. Sie machen uns<br />

deutlich darauf aufmerksam, dass Worte das Leben von Menschen<br />

mitgestalten. Alles persönliche Psychologisieren – so zutreffend<br />

und begründet es teilweise auch se<strong>in</strong> mag – lenkt von der (Mit-)Ver-<br />

205


Schöpferisch kooperieren zur gesunden Kulturentwicklung<br />

antwortung der Informierenden ab, der Mitgestalter<strong>in</strong>nen der<br />

Sprachblase. Das ist besonders wichtig für die Menschen, die viele<br />

andere <strong>in</strong>formieren – heute über Massenmedien.<br />

Von diesen Informationen müssen sich die Religionsführer heute<br />

im Dienste e<strong>in</strong>er Menschheit lösen, wie der Dalai Lama es getan<br />

und gefordert hat (2015). Ansonsten verlieren sie ihren Anspruch,<br />

Ethik zu vertreten. Würden die Religionsführer und die Gläubigen<br />

ihre »Heiligen Schriften« wörtlich ernst nehmen, sich von ihnen<br />

ernsthaft <strong>in</strong>formieren lassen, bestünde die Gefahr gegenseitiger<br />

Vernichtung. Islamistische Dschihadisten propagieren und praktizieren<br />

dies offen – durchaus auch als späte Rache und Antwort auf<br />

die Kreuzzüge der Christen bzw. auf e<strong>in</strong>e gefühlte Vertreibung bzw.<br />

Vernichtung von Stämmen <strong>in</strong> Paläst<strong>in</strong>a durch Israeliten, wie sie <strong>in</strong><br />

der Bibel beschrieben wird. Solche Dynamiken entspr<strong>in</strong>gen aus<br />

dem Macht-Opfer-Beziehungsmuster (s. Glossar).<br />

Wenn Wissenschaftler<strong>in</strong>nen feststellen, dass der Mensch von<br />

Natur aus kooperativ ist (vgl. Bauer 2006, 2008; Tomasello 2006,<br />

2010, 2011; Petzold 2000c, 2012b), regt uns diese Information anders<br />

an als die christliche, dass der Mensch von Natur aus »sündig« sei,<br />

oder die angeblich naturwissenschaftliche, wie dass se<strong>in</strong> Gen »egoistisch«<br />

sei (Dawk<strong>in</strong>s 1996).<br />

Explizites und implizites Wissen ordnen<br />

206<br />

Wissenschaft bedeutet im Ursprung »Wissen ordnen«. Wissen ordnen<br />

ist schon e<strong>in</strong> kreativer Akt, der Ordnung <strong>in</strong>s Chaos br<strong>in</strong>gt. Wissenschaften<br />

arbeiten damit analog zu unserem impliziten Verarbeitungssystem,<br />

das 40–60 Millionen Bits pro Sekunde filtert und ordnet,<br />

damit diese Informationen <strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n für uns ergeben.<br />

Informationen bewerten und ordnen – das ist der Kern unserer<br />

Intelligenz.<br />

Weiter hat die Ordnung unseres Wissens <strong>in</strong> den Wissenschaften<br />

als metativer Prozess heute e<strong>in</strong>en übergeordneten E<strong>in</strong>fluss auf die<br />

Gestaltung unseres Lebens. Wissenschaften s<strong>in</strong>d heute e<strong>in</strong>e maßgebliche,<br />

schöpferische Kraft <strong>in</strong> der Gesellschaft und <strong>in</strong> der Menschheit.<br />

Dieser E<strong>in</strong>fluss wird weltweit ansche<strong>in</strong>end weitgehend positiv


Auf dem Weg zu e<strong>in</strong>er globalen und schöpferischen Ethik<br />

bewertet. Das bedeutet auch, dass viele Menschen me<strong>in</strong>en, davon<br />

zu profitieren, bzw. hoffen, davon profitieren zu können. Sie s<strong>in</strong>d<br />

dieser mächtigen Schöpferkraft Wissenschaft teils gläubig ergeben.<br />

So sche<strong>in</strong>t es zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t.<br />

Bisher hat man die unerwünschten Nebenwirkungen auf andere<br />

geschoben, wie <strong>in</strong>sbesondere auf das Profitstreben <strong>des</strong> Kapitals, auf<br />

schlechte Ideologien oder persönliches Versagen. Dabei treffen die<br />

beiden Denkweisen der Ökonomie und Naturwissenschaften un -<br />

glücklich synergistisch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er wettbewerbsorientierten materialistischen<br />

E<strong>in</strong>stellung zusammen, die nur das Messbare und<br />

Beweisbare als wahr zulässt und vernichtenden Wettbewerb im<br />

Macht-Opfer-Interaktionsmuster<br />

als<br />

evolutionär sieht. Der <strong>in</strong>formierende<br />

Geist, der die komplexe Grundlage für<br />

Leben ist und auch im Impliziten, im<br />

»Verborgenen«, wirkt, wurde aus dem Denken im technisch-naturwissenschaftlichen<br />

Weltbild gestrichen. Dieser Geist lebt <strong>in</strong> den<br />

Naturwissenschaften allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> dem Paradoxon, dass er sich mit<br />

dem Denken <strong>in</strong> der Physik nicht messbar beweisen lässt, aber<br />

gleichzeitig die Forscher<strong>in</strong>nen derart formt, dass sie Naturgesetze<br />

der Physik formulieren können und den Antrieb spüren, Nachweise<br />

erbr<strong>in</strong>gen zu wollen. Dazu kommt die weitere Paradoxität, dass<br />

gerade die Naturwissenschaften, die <strong>in</strong> den letzten vierhundert Jahren<br />

unser Denken materialistisch-kausalanalytisch prägten, jetzt<br />

mit der Quantenphysik dazu geführt haben, dieses Denken grundsätzlich<br />

<strong>in</strong>frage zu stellen und nach e<strong>in</strong>em <strong>neue</strong>n Denken zu<br />

suchen, das der Komplexität und Dynamik der Natur näherkommt.<br />

Dies ist sicher Teil e<strong>in</strong>er großen Er<strong>neue</strong>rung.<br />

»Unser implizites Wissen ist wie e<strong>in</strong> großer<br />

Ozean. Es ist nicht algorithmisierbar.«<br />

Ernst Pöppel am 23.2.2021 im Onl<strong>in</strong>e-<br />

Vortrag bei VDW: Was heißt Wissen?<br />

Mit der ursprünglichen Bedeutung <strong>des</strong> deutschen Wortes »Wissenschaft«<br />

als Ordnung <strong>des</strong> Wissens bezeichnet es e<strong>in</strong> spezielles<br />

Wissen im Unterschied zu scientia (lat.) und science (engl.). So unterscheiden<br />

wir im Deutschen sprachlich zwischen e<strong>in</strong>em durch kulturelle<br />

Kommunikationsprozesse explizit geordneten wissenschaftlichen<br />

Wissen und e<strong>in</strong>em durch die Evolution und das <strong>in</strong>dividuelle<br />

Erleben implizit geordneten Wissen und Mitwissen, wie auch<br />

207


Schöpferisch kooperieren zur gesunden Kulturentwicklung<br />

(Unter-)Bewusstse<strong>in</strong>. Ganz allgeme<strong>in</strong> können wir unser Denken<br />

als e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>formationsverarbeitenden Bestandteil der Biosphäre<br />

oder/und <strong>des</strong> Sonnensystems reflektieren.<br />

Menschen verfügen über e<strong>in</strong>en großen Schatz an implizitem<br />

(Mit-)Wissen über gutes Leben. Dieses ist zunächst subjektiv und<br />

hat <strong>des</strong>halb häufig e<strong>in</strong>e andere Begriffswelt als die objektivierende<br />

Sprache der expliziten Wissenschaften. Die Naturwissenschaften<br />

waren <strong>in</strong> ihrer Entstehung bemüht, sich von der subjektiven Introspektion<br />

und Wahrnehmung abzugrenzen, <strong>in</strong>dem sie subjektiv mit<br />

falsch und objektiv mit richtig und wahr gleichgesetzt haben. Dieses<br />

Wissenschaftsverständnis dürfen und können wir zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t<br />

<strong>in</strong> den Gesundheitswissenschaften ändern h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er grundsätzlichen<br />

Anerkennung <strong>des</strong> Subjekts und e<strong>in</strong>er Integration <strong>des</strong> subjektiven<br />

Wissens <strong>in</strong> e<strong>in</strong> metatives Wissen.<br />

Unser implizites Wissen ist sowohl phylogenetisch <strong>in</strong> strukturellen<br />

und funktionellen Beziehungen der Gene, <strong>des</strong> Zentralnervensystems<br />

und der anderen Organe wie ontogenetisch <strong>in</strong> der Prägung<br />

der funktionalen Verschaltungen, z. B. der Neuronen im Gehirn, ge -<br />

bildet und geordnet. Wir s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>formiert <strong>in</strong> Wechselbeziehungen zu<br />

den jeweiligen Umwelten. Dieses implizite Wissen ist e<strong>in</strong> »Ozean«<br />

(Ernst Pöppel 2021, s. Zitat im Rahmen) von Informationen. Es zeigt<br />

sich <strong>in</strong> sämtlichen Körperfunktionen, <strong>in</strong> unseren kommunikativen<br />

Fähigkeiten wie auch <strong>in</strong> der Strukturbildung unserer Persönlichkeiten.<br />

Wissenschaft und Ethik<br />

208<br />

Rudolf Virchow glaubte, e<strong>in</strong>e moderne Ethik (e<strong>in</strong>e klassische Aufgabe<br />

der Religionen und Philosophie) sei aus den damaligen Methoden<br />

der Wissenschaften abzuleiten (Virchow 1873, zit. n. Schipperges<br />

1998 S.154). Das hat sich z. B. beim Darw<strong>in</strong>ismus (s. a. Kap. 3.3)<br />

als untauglich und im Nationalsozialismus sogar als sehr gefährlich<br />

herausgestellt.<br />

Viele Wissenschaftler<strong>in</strong>nen haben, wie auch Virchow es hatte, e<strong>in</strong><br />

hohes ethisches Verständnis und e<strong>in</strong>e dienende Haltung der Wahrheit<br />

und Menschheit gegenüber. Es gibt zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t an den medizi-


Auf dem Weg zu e<strong>in</strong>er globalen und schöpferischen Ethik<br />

nischen Fakultäten Ethikkomitees. Dabei hat Ethik überwiegend die<br />

Funktion e<strong>in</strong>er Grenzsetzung für die Forschung, um verletzende<br />

Unternehmungen zu verh<strong>in</strong>dern.<br />

Ethik könnte darüber h<strong>in</strong>aus auch e<strong>in</strong>e orientierende Funktion<br />

haben und den Wissenschaften Empfehlungen für Forschungsfragen<br />

<strong>in</strong> Richtung von Attraktiva geben. Es gibt (noch) ke<strong>in</strong>e verb<strong>in</strong>dliche<br />

Ethik der Wissenschaften, sodass<br />

viele Forschungen mehr e<strong>in</strong>er Profitmaximierung<br />

von Wirtschaftsunternehmen<br />

und dem eigenen Uni-Betrieb dienen als den Menschen.<br />

Und es gibt erst recht ke<strong>in</strong>e wissenschaftlich begründete Ethik für<br />

die Menschheit. Ethik erfordert Verantwortungsbewusstse<strong>in</strong> und<br />

e<strong>in</strong>e Metareflexion auf lebendige Beziehungen und die Menschheit.<br />

Ethik lebt von Resonanz im lebenden Subjekt und ganz besonders im globalen<br />

Metasubjekt. Ethik lässt sich nicht objektivieren und algorithmisieren.<br />

So wertvoll der »Appell an die Menschheit« (s. Kasten) <strong>des</strong> Dalai<br />

Lama war und ist 42 , so kritisch sollten wir angesichts der Erfahrungen<br />

mit dem Darw<strong>in</strong>ismus reflektieren, dass die globale Ethik von<br />

Wissenschaftler<strong>in</strong>nen bestimmter Diszipl<strong>in</strong>en begründet werden<br />

soll, nämlich <strong>in</strong>sbesondere von »Hirnforschern, Neuropsychologen<br />

und Pädagogen« (Dalai Lama 2015, S. 23). Womöglich können e<strong>in</strong>fache<br />

Bürger<strong>in</strong>nen wie sogenannte Räte, <strong>in</strong> Kooperation mit Ethikkomitees<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kokreativen Top-down – Bottom-up-Prozess bessere<br />

Lösungen schaffen?<br />

»Ethik ist wichtiger als Religion.«<br />

Dalai Lama <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em »Appell an die Welt«<br />

(2015). Ethik ist global für die Menschheit.<br />

Es gibt bedeutsame Unterschiede zwischen den Wissenschaften<br />

und Religionen. E<strong>in</strong>er ist, dass sich die Wissenschaften zum großen<br />

Teil dem Beweisen verschrieben haben. Mit Beweisen haben sie ihre<br />

Denkweise erfolgreich von der <strong>in</strong>formierenden Macht der alten<br />

Religionen abgelöst. Das war für die kulturelle Evolution sehr wichtig.<br />

Der Anspruch der Wissenschaftler<strong>in</strong>nen ist, objektive Beweise<br />

für die Richtigkeit ihrer Hypothesen zu erbr<strong>in</strong>gen, um nicht glauben<br />

zu müssen, sondern zu wissen. Auch wenn alle Menschen, die nicht<br />

direkt an e<strong>in</strong>er Forschung teilnehmen, die Beweise und Ergebnisse<br />

42 Siehe hierzu auch das Themenheft »Zeit für globale Ethik« 2018 <strong>in</strong> Der Mensch 57 2/2018.<br />

209


Schöpferisch kooperieren zur gesunden Kulturentwicklung<br />

210<br />

nicht kontrollieren können, sondern glauben müssen, besteht der<br />

Anspruch, dass <strong>in</strong> den Wissenschaften nur bewiesene Tatsachen<br />

gelten. Diese sollen praktisch auf der ganzen Welt anwendbar se<strong>in</strong>.<br />

Die Folge ist heute e<strong>in</strong> Glaube an wissenschaftliche Beweise. Dass<br />

diesen Beweisen e<strong>in</strong> Glauben an Axiome, kausale und materialistische<br />

Logiken zugrunde liegt, darf heute h<strong>in</strong>terfragt werden. Dass<br />

und wie dieser Glaube heute missbraucht wird, zeigen viele Bücher.<br />

Sie kommt schon <strong>in</strong> Churchills häufig zitiertem Ausspruch zum<br />

Ausdruck: »Ich vertraue nur der Statistik, die ich selbst gefälscht<br />

habe.«<br />

Aber dieser Glaube an wissenschaftliche Beweise ist nicht nur<br />

aus e<strong>in</strong>er konstruktivistischen Sicht zu relativieren. Im Zusammenhang<br />

mit e<strong>in</strong>er ausschließlich empirisch verstandenen, also zu -<br />

rückblickenden Wissenschaft führt das zum wissenschaftlichen<br />

Wir brauchen e<strong>in</strong> bewusstes und reflektiertes<br />

Erschließen <strong>des</strong>sen, was werden<br />

will und werden soll und kann.<br />

Beweisen <strong>des</strong>sen, was war. Dies ist e<strong>in</strong><br />

paradigmatischer Glauben vieler Wissenschaftler<strong>in</strong>nen,<br />

der sich immer wieder<br />

als falsch herausstellt, wo es um lebende Systeme geht. Es fehlt<br />

e<strong>in</strong> bewusst reflektiertes Erschließen <strong>des</strong>sen, was werden will, soll und<br />

kann.<br />

E<strong>in</strong> wesentlicher Unterschied zwischen den herkömmlichen Religionen<br />

und den Wissenschaften macht Hoffnung, dass wissenschaftliche<br />

Dogmen (die Folge <strong>des</strong> Beweisen-wollens s<strong>in</strong>d) <strong>in</strong>tegrierend<br />

aufgelöst werden: Wissenschaften verstehen sich von vornhere<strong>in</strong><br />

als lernende, transnationale und transkulturelle Systeme.<br />

Das, was heute als richtig erkannt wird, kann morgen überholt se<strong>in</strong>.<br />

Mit dem Anspruch, e<strong>in</strong> lernen<strong>des</strong> System zu se<strong>in</strong>, wird im Ansatz<br />

e<strong>in</strong>e ausschließlich empirische Sicht schon überwunden. Wenn<br />

Empirie, also das Wissen aus dem Blick zurück <strong>in</strong> die Vergangenheit,<br />

das alle<strong>in</strong>ige Maß und die Wahrheit aller D<strong>in</strong>ge wäre, würde<br />

das Wissen nur aus e<strong>in</strong>er Perspektive generiert. Es wäre bald vollständig,<br />

wie schon manchmal manch e<strong>in</strong> Physiker glaubte, dass alle<br />

Gesetze der Natur erkannt wären. In dieser Sichtweise ist das<br />

Erkennen sehr begrenzt, es fehlt ganz besonders der reflektierte<br />

Blick <strong>in</strong> den Möglichkeitsraum. Aus diesem Blick generieren sich


Auf dem Weg zu e<strong>in</strong>er globalen und schöpferischen Ethik<br />

die Hypothesen für die Interpretation der Empirie. Es wird Zeit, dass<br />

dies reflektiert und explizit gemacht und wissenschaftlich anerkannt<br />

wird. Im Anspruch, e<strong>in</strong> komplex lernen<strong>des</strong> System zu se<strong>in</strong>,<br />

liegt das Potential zu e<strong>in</strong>er wirklich <strong>neue</strong>n Qualität von Wissenschaft<br />

wie auch von Weltreligion.<br />

Die Frage nach der Entwicklung <strong>in</strong> die Zukunft ist für die Mediz<strong>in</strong><br />

und das ganze Gesundheits- und Bildungswesen wie auch für<br />

Lebenswissenschaften besonders wichtig und natürlich auch für<br />

die Politik und andere kulturelle Gebiete. Sie ist wichtig für unsere<br />

weitere menschliche wie kulturelle Evolution und sollte <strong>des</strong>halb<br />

noch weitaus mehr Thema der Wissenschaften mit <strong>neue</strong>m Denken<br />

se<strong>in</strong> – nicht nur von Zukunfts-Werkstätten. Die gewünschte Sicherheit<br />

kommt nicht nur aus dem Wissenschaftssystem, sondern aus<br />

metativ gewonnen E<strong>in</strong>sichten unter Beteiligung vieler Menschen<br />

und aus unserem Kohärenz- wie Urvertrauen. Heuristische Verfahren,<br />

wissenschaftlich und dialogisch-partizipativ weiterentwickelt,<br />

schließen Intuition zur Lösung komplexer Probleme explizit mit e<strong>in</strong><br />

(vgl. Gigerenzer 2008). Das gilt auch für die <strong>in</strong>tuitive Kreativität von<br />

Dialogen und Gruppenprozessen (s. Kap. 5.2; vgl. Kle<strong>in</strong><strong>in</strong>g 1994; s. a.<br />

»dialogische Introspektion«, Burkart & Weggen 2015).<br />

Aus den Methoden der Naturwissenschaften bis jetzt folgert<br />

m. E. allerd<strong>in</strong>gs noch ke<strong>in</strong>e Ethik, wie Virchow hoffte. Wissenschaft<br />

braucht Freiheit und Ethik zur Orientierung der Forschung und <strong>des</strong><br />

Erkenntnisgew<strong>in</strong>ns. Die verbriefte Freiheit wird heute zum großen<br />

Teil vom Kapital übergriffig bestimmend ausgenutzt und damit faktisch<br />

e<strong>in</strong>geschränkt. E<strong>in</strong>e Ethik, die <strong>in</strong>tentional <strong>in</strong> die Zukunft weist,<br />

die zukunftsfähig ist und mit der Menschen <strong>in</strong> Resonanz gehen<br />

können, weil sie ihren Bedürfnissen entspricht, fehlt noch. Sie soll<br />

den Leitfaden für die große Er<strong>neue</strong>rung geben. Es sollte e<strong>in</strong>e Ethik<br />

se<strong>in</strong>, die e<strong>in</strong>e Antizipation von attraktiven Kohärenz- und Annäherungszielen<br />

der Menschheit be<strong>in</strong>haltet, e<strong>in</strong>e Ethik zum guten Leben<br />

möglichst aller Menschen <strong>in</strong> der Biosphäre. E<strong>in</strong>e Ethik, der sich<br />

auch die Wissenschaftler<strong>in</strong>nen und Politiker<strong>in</strong>nen unterordnen<br />

können und wollen. E<strong>in</strong>e Ethik, die die Intentionalität betrifft,<br />

könnte womöglich e<strong>in</strong>e Maßgabe für unsere heuristischen Bemü-<br />

211


Schöpferisch kooperieren zur gesunden Kulturentwicklung<br />

hungen geben. Ethisches Denken können wir verstehen als Denken<br />

<strong>in</strong> Resonanz mit der Kohärenz der Biosphäre und womöglich noch<br />

größeren, kosmischen E<strong>in</strong>heiten.<br />

Wie würden wir uns und viele Menschen sich verhalten, wenn<br />

sie sich <strong>in</strong> ihrem Leben <strong>in</strong> der Sprache von folgenden Worten <strong>in</strong>formieren<br />

lassen? – Als ethischem Gebot von angewandten Gesundheits-<br />

und Kommunikationswissenschaften:<br />

Alle Menschen und Nationen sollen friedlich zum Wohle, zum guten<br />

Leben, möglichst aller Menschen und Völker kooperieren, zum Wohle der<br />

Menschheit. Dabei soll jeder E<strong>in</strong>zelne respektiert werden <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Würde,<br />

Persönlichkeit (auch se<strong>in</strong>en Bedürfnissen und Fähigkeiten) und mit se<strong>in</strong>em<br />

freien Willen (Autonomie). Alle Kommunikation dient letztlich dieser<br />

Kooperation.<br />

212


Anhang<br />

Glossar<br />

Abwendungs- oder Vermeidungssystem (engl. Aversion- oder Avoid<strong>in</strong>g-system)<br />

ist e<strong>in</strong>s von drei motivationalen Systemen, das e<strong>in</strong>e neurophysiologische<br />

Zuordnung im Angstzentrum <strong>in</strong> der Amygdala, dem Mandelkern<br />

hat. Es spr<strong>in</strong>gt an, wenn e<strong>in</strong> Mensch e<strong>in</strong>e Situation als bedrohlich bewertet.<br />

Dann sorgt es besonders über die hormonelle Stressachse und den<br />

Sympathikus für e<strong>in</strong>en Spannungszustand und Stoffwechsel, die e<strong>in</strong><br />

schnelles Abwenden der Gefahr, e<strong>in</strong> Kämpfen, Fliehen oder Totstellen<br />

oder auch Kümmern und Anschließen ermöglichen. Diese <strong>in</strong>nere E<strong>in</strong>stellung<br />

wird als Abwendungsmodus bezeichnet. Im Abwendungsmodus ist<br />

der Organismus gänzlich auf das Abwenden der Bedrohung oder e<strong>in</strong><br />

sich Abwenden von dieser e<strong>in</strong>gestellt. Das schließt se<strong>in</strong> Fühlen und Denken<br />

e<strong>in</strong>.<br />

Adaptation bedeutet Anpassung von Organismen an ihre Umwelt<br />

und/oder Übersysteme. In der Evolutionstheorie ist mit Adaptation bei<br />

den materialistisch orientierten Biolog<strong>in</strong>nen/Evolutionsforscher<strong>in</strong>nen<br />

ausschließlich die Selektion genetisch bed<strong>in</strong>gt anpassungsfähiger = fitter<br />

Organismen geme<strong>in</strong>t. Neuere Sichtweisen, die Ergebnisse der Epigenese<br />

sowie der Chaosforschung e<strong>in</strong>beziehen, halten auch e<strong>in</strong>e wechselseitige<br />

Adaptation von Lebewesen an die Kohärenz ihrer Übersysteme<br />

für möglich. Dabei werden e<strong>in</strong>erseits die Umwelten durch die Lebewesen<br />

mitgestaltet und andererseits die Gene durch epigenetische E<strong>in</strong>flüsse<br />

wie auch Symbiosen verändert.<br />

Allparteilichkeit ist e<strong>in</strong>e Haltung, aus der heraus man für jede Konfliktpartei<br />

um Verstehen bemüht ist. Verstehen bezieht sich besonders auf das<br />

Empf<strong>in</strong>den und Denken jeder der Parteien. Es bedeutet ke<strong>in</strong>e Zustimmung<br />

über Urteile über den anderen. Die Forderung nach und Haltung<br />

von Allparteilichkeit ist zum e<strong>in</strong>en aus der Erkenntnis entstanden, dass<br />

es Unparteilichkeit wie Neutralität nicht wirklich gibt und zum anderen<br />

aus der Praxis der Mediation, wo beide Seiten verstanden werden wollen<br />

und müssen, wenn es zu e<strong>in</strong>er Lösung kommen soll.<br />

213


Anhang<br />

214<br />

Analogik, e<strong>in</strong> Schlussfolgern auf Zusammenhänge aufgrund von Ähnlichkeiten<br />

(s. a. Logik). Unser Denken funktioniert <strong>in</strong> weiten Teilen aufgrund<br />

von Analogien wie beim assoziativen Denken und Fühlen. Bewusst analogisches<br />

Denken folgt jeweils ähnlichen Qualitäten, Formen, Mustern<br />

und anderen Ersche<strong>in</strong>ungsweisen von Informationen und reflektiert die<br />

Art ihrer Zusammenhänge.<br />

Ang<strong>in</strong>a mentalis ist e<strong>in</strong>e <strong>neue</strong> Bezeichnung für e<strong>in</strong>en Denkzustand <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Angstblase, für e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>geengtes Denken, das von Angst im Abwendungsmodus<br />

geleitet ist. In der Corona-Krise konnten wir e<strong>in</strong>e Ang<strong>in</strong>a mentalis<br />

sowohl bei Wissenschaftler<strong>in</strong>nen und Politiker<strong>in</strong>nen beobachten, die ihr<br />

Denken gänzlich dem Abwenden der Virus-Gefahr gewidmet hatten, als<br />

auch bei Querdenker<strong>in</strong>nen, die <strong>in</strong> allen Maßnahmen der Regierung und<br />

Virolog<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>e Bedrohung für Freiheit und Gesundheit gesehen<br />

haben.<br />

Annäherungssystem (engl. Approach-system) ist das motivationale System,<br />

das die meisten Menschen als positiv erleben. Es spr<strong>in</strong>gt an, wenn wir<br />

e<strong>in</strong> lustvolles Bedürfnis haben und/oder e<strong>in</strong> entsprechend attraktives<br />

Objekt wahrnehmen. Es ist mit dem sog. <strong>in</strong>neren Belohnungssystem,<br />

dem dopam<strong>in</strong>ergen System verknüpft, mit e<strong>in</strong>em Zentrum im Nucleus<br />

accumbens, dem Lustzentrum. Es wird häufig als Gegenspieler vom<br />

Abwendungssystem gesehen. Beide Systeme können sich auch gegenseitig<br />

verstärken. E<strong>in</strong> Beispiel ist die Angstlust beim Schauen von Krimis.<br />

Die basale E<strong>in</strong>stellung <strong>des</strong> Organismus, die mit e<strong>in</strong>em motivierenden<br />

Gefühl von Lust e<strong>in</strong>e Annäherung an attraktive Ziele wie Nahrung, s<strong>in</strong>nliche<br />

wie auch sexuelle Nähe bewirkt oder ermöglicht, heißt Annäherungsmodus.<br />

Anthropozän wird von e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternationalen Arbeitsgruppe von Geolog<strong>in</strong>nen<br />

e<strong>in</strong>e <strong>neue</strong> geochronologische Epoche genannt, <strong>in</strong> der der Mensch zu<br />

e<strong>in</strong>em der wichtigsten E<strong>in</strong>flussfaktoren auf die biologischen, geologischen<br />

und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist: e<strong>in</strong><br />

<strong>neue</strong>s Erdzeitalter, e<strong>in</strong>e »Geologie der Menschheit«.<br />

Antonovsky, Aaron (1923–1994) war e<strong>in</strong> amerikanisch-israelischer Mediz<strong>in</strong>soziologe<br />

und prägte <strong>in</strong> den 1970er-Jahren den Begriff der Salutogenese.<br />

Seit den 60er-Jahren war er <strong>in</strong> Jerusalem neben der Lehre vor allem <strong>in</strong><br />

der Stressforschung und der Erforschung von Funktionen der Institutio-


Glossar<br />

nen <strong>des</strong> Gesundheitswesens tätig. Innerhalb dieser Arbeit stieß er auf<br />

die von ihm als »Wunder« empfundene Tatsache, dass e<strong>in</strong>ige jüdische<br />

Frauen, die nationalsozialistische Konzentrationslager überlebt hatten,<br />

sich gesund e<strong>in</strong> <strong>neue</strong>s Leben hatten aufbauen können. Diesem Wunder<br />

<strong>des</strong> Gesundbleibens widmete er von da an se<strong>in</strong> Engagement.<br />

Attraktor ist e<strong>in</strong> Begriff aus der Chaosforschung und bezeichnet <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

sich dynamisch verändernden System e<strong>in</strong>en attraktiven Zielzustand,<br />

dem sich das System annähert. E<strong>in</strong> e<strong>in</strong>faches Beispiel ist der Punkt, <strong>in</strong><br />

dem e<strong>in</strong> schw<strong>in</strong>gen<strong>des</strong> Pendel zur Ruhe kommt. Wenn e<strong>in</strong> Pendel zwischen<br />

mehreren Magneten pendelt, kann es schon zu chaotischen<br />

Bewegungen kommen, die aber letztendlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em berechenbaren<br />

Zielgebiet zur Ruhe kommen (determ<strong>in</strong>istisches Chaos). Bei komplexen<br />

Zielen spricht die Chaosforschung von seltsamen Attraktoren.<br />

Bei Lebewesen und <strong>in</strong>sbesondere bei den Entwicklungsprozessen von<br />

Menschen spreche ich von Attraktiva, um die komplexen Ziel-Informationen,<br />

die Menschen motivieren (bewusst und unbewusst), zu benennen.<br />

Attraktiva haben e<strong>in</strong>e anziehende Wirkung aus e<strong>in</strong>er ruhenden Qualität<br />

heraus (wie der »unbewegte Beweger« bei Aristoteles) und entziehen<br />

sich <strong>in</strong> ihrer Komplexität exakter mathematischer Berechnung. Da<br />

die Endung »-tor« wie <strong>in</strong> Attraktor aber e<strong>in</strong>e aktive und männliche Qualität<br />

bezeichnet, passt dieser Begriff nicht für das beschriebene Phänomen<br />

im menschlichen Leben, obwohl er dasselbe Pr<strong>in</strong>zip bezeichnen soll.<br />

Attraktionspr<strong>in</strong>zip ist das Pr<strong>in</strong>zip der Emergenz oder der Schöpfung, das<br />

besagt, dass sich Energie wie Masse <strong>in</strong> Richtung von Attraktoren/At -<br />

traktiva bewegt. Das geschieht durchaus auf chaotischen, nicht exakt<br />

berechenbaren Wegen – h<strong>in</strong> zu <strong>neue</strong>n dynamischen Ordnungszuständen<br />

wie Strukturen und anderen Gestalten. Die Attraktionslogik ist das<br />

Schlussfolgern aufgrund der Gestaltbildung <strong>in</strong> rückkoppelnden Prozessen<br />

nach dem Attraktionspr<strong>in</strong>zip.<br />

Autonomie bedeutet Eigengesetzlichkeit: E<strong>in</strong> System wie e<strong>in</strong> Mensch funktioniert<br />

und reguliert nach se<strong>in</strong>en eigenen Gesetzen. Autonomie bedeutet<br />

nicht, dass e<strong>in</strong> Mensch ganz alle<strong>in</strong>e alles macht oder entscheidet. Zur<br />

Eigengesetzlichkeit <strong>des</strong> Menschen gehört, dass er <strong>in</strong> Beziehungen lebt,<br />

fühlt und denkt, dass er e<strong>in</strong> soziales, kulturelles und womöglich noch<br />

geistiges Wesen ist.<br />

215


Anhang<br />

216<br />

Bedürfniskommunikation: E<strong>in</strong>e erfolgreiche Kommunikation se<strong>in</strong>er wichtigsten<br />

Bedürfnisse ist für die gesunde Entwicklung e<strong>in</strong>es Menschen die<br />

Grundlage. E<strong>in</strong> Säugl<strong>in</strong>g ist existentiell darauf angewiesen, dass se<strong>in</strong>e<br />

Bezugspersonen se<strong>in</strong>e Bedürfnismitteilungen verstehen und h<strong>in</strong>reichend<br />

befriedigend beantworten. Solange er noch nicht sprechen kann,<br />

dienen se<strong>in</strong>e Emotionen dem Ausdruck se<strong>in</strong>er Bedürfnisse. Im Laufe der<br />

Reifung e<strong>in</strong>es Menschen lernt dieser, manche Bedürfnisse direkt und<br />

ohne Hilfe anderer Menschen zu befriedigen. Auch dies ist dann als<br />

Bedürfniskommunikation mit den jeweiligen Objekten zu verstehen. So<br />

bildet ganz allgeme<strong>in</strong> die Bedürfniskommunikation den Kern der Psychodynamik<br />

gesunder Entwicklung.<br />

Chaosforschung ist die Erforschung der Frage, wie <strong>in</strong> dynamischen Systemen<br />

aus Chaos Ordnung entstehen kann und andersherum Chaos entsteht.<br />

Die Chaostheorie erstellt mathematisch formulierte Theorien zur<br />

Beschreibung u. a. von Dynamiken, bei denen kle<strong>in</strong>ste Änderungen der<br />

Anfangsbed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong> nichtl<strong>in</strong>eares Anwachsen von Störungen<br />

bewirken können. Das Verhalten derartiger Dynamiken führt zur Ausbildung<br />

chaotischer Beziehungen und ist langfristig nicht vorhersagbar.<br />

E<strong>in</strong> determ<strong>in</strong>istisches Chaos bezeichnet e<strong>in</strong>en chaotisch ersche<strong>in</strong>enden<br />

Vorgang, <strong>des</strong>sen Ergebnis allerd<strong>in</strong>gs determ<strong>in</strong>iert ist (durch e<strong>in</strong>en evtl.<br />

berechenbaren Attraktor).<br />

Emotionen me<strong>in</strong>en hier die Gefühle, die Menschen <strong>in</strong> Bewegung br<strong>in</strong>gen<br />

(engl. »Motion«). Ihr Antrieb kommt von Bedürfnissen h<strong>in</strong>ter den Emotionen,<br />

die auch <strong>in</strong> der jeweiligen Emotion zum Ausdruck kommen.<br />

Emergenz ist e<strong>in</strong> Neuauftreten von Formen, Strukturen und Ordnungen.<br />

Energie ist die Grundentität der Realität, die von der Physik untersucht<br />

und beschrieben wird. Nach der Formel, die E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> gefunden hat, Energie<br />

= Masse x Lichtgeschw<strong>in</strong>digkeit t 2 besteht alles, was wir beobachten<br />

können, aus Energie. Um sie zu formen, bedarf es der komplementären<br />

Grundentität: Information.<br />

Entelechie ist vor allem von Aristoteles geprägt und bezeichnet die Form,<br />

die sich im Stoff verwirklicht, besonders im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er dem Organismus<br />

<strong>in</strong>newohnenden Kraft, die ihn zur Selbstverwirklichung br<strong>in</strong>gt.<br />

Entität bezeichnet etwas, das existiert, e<strong>in</strong> Seien<strong>des</strong>, e<strong>in</strong>en konkreten oder<br />

abstrakten Gegenstand.


Glossar<br />

Entropie ist e<strong>in</strong> Maß für Unordnung, für Informationsmangel. Es ist die Folgerung<br />

und der Inhalt <strong>des</strong> 2. Hauptsatzes der Thermodynamik, auch<br />

»Entropiesatz« genannt, den Clausius 1854 formulierte: »Bei jedem<br />

natürlichen Vorgang nimmt die Entropie zu.«<br />

Epigenetisch bezeichnet den E<strong>in</strong>fluss der Umgebung auf die Aktivität und<br />

Strukturbildung von Genen, die Entstehung e<strong>in</strong>es Lebewesens und die<br />

Ausprägung se<strong>in</strong>er Eigenschaften.<br />

Erfahrungsraum ist unsere Realität <strong>in</strong> Raum und Zeit, <strong>in</strong> der wir erfahren,<br />

beobachten und agieren. Er ist das Komplement zum Möglichkeitsraum.<br />

Explizit bedeutet, dass e<strong>in</strong> Verhalten bzw. die Verarbeitung e<strong>in</strong>er Erfahrung<br />

sowie e<strong>in</strong>e mitgeteilte Botschaft bewusst ist und willentlich – wie z. B.<br />

Sprechen, gewollte und bewusst gesteuerte Aktivitäten (s. a. implizit).<br />

Flow ist e<strong>in</strong> Fließgefühl, z. B. wenn man mit all se<strong>in</strong>en Fähigkeiten, mit Körper,<br />

Gefühl und Gedanken h<strong>in</strong>gegeben an e<strong>in</strong>en Strom im Leben ist, z. B.<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er erfassenden kreativen Aktivität.<br />

Fraktal heißt »gebrochen«; e<strong>in</strong>e fraktale <strong>Dimension</strong> ist e<strong>in</strong>e gebrochene,<br />

also ke<strong>in</strong>e ganzzahlige <strong>Dimension</strong>. Fraktale haben e<strong>in</strong>e Selbstähnlichkeit<br />

mit dem Ganzen, wie z. B. beim Blumenkohl e<strong>in</strong>e »Blüte« dem ganzen<br />

Kopf ähnlich ist. E<strong>in</strong>e fraktale Sichtweise sieht <strong>in</strong> den verschiedenen<br />

<strong>Dimension</strong>en <strong>in</strong> der Natur selbstähnliche Teilsysteme.<br />

Ganzheit ist e<strong>in</strong> abstrakter Begriff. Die Endung »heit« deutet auf e<strong>in</strong>e Ab -<br />

straktion h<strong>in</strong>. So bezeichnet Ganzheit hier etwas, was allen Ganzen,<br />

allen Systemen, zugrunde liegt. Im Zusammenhang <strong>des</strong> Menschen ist<br />

hier die attraktive Information (s. a. Attraktiva) geme<strong>in</strong>t, die das Ersche<strong>in</strong>en<br />

e<strong>in</strong>es ganzen Menschen anzieht und <strong>in</strong>formiert = formt. Die Attraktiva<br />

der Ganzheit bewirkt die Kohärenz <strong>des</strong> Ganzen, das Zusammenspiel<br />

all se<strong>in</strong>er Teile.<br />

Gesundheitswissenschaften ist die Bezeichnung für e<strong>in</strong>e Reihe von Wissenschaften,<br />

die sich mit Gesundheit befassen, wie Public Health, Mediz<strong>in</strong>,<br />

Teile der Psychologie, Soziologie, Biologie, Ökologie und Anthropologie.<br />

Im S<strong>in</strong>gular Gesundheitswissenschaft f<strong>in</strong>den sich im engeren S<strong>in</strong>ne<br />

die Wissenschaftler<strong>in</strong>nen zusammen, die explizit der Frage nach gesunder<br />

Entwicklung der Menschen nachgehen <strong>in</strong> allen ihren <strong>in</strong>dividuellen,<br />

sozialen, kulturellen, globalen, ökologischen, ökonomischen und geistigen<br />

Aspekten.<br />

217


Anhang<br />

218<br />

Goal-sett<strong>in</strong>g bedeutet Zielf<strong>in</strong>dung und Vere<strong>in</strong>barung zwischen Kooperationspartner<strong>in</strong>nen.<br />

Es dient dazu, attraktive Lebens- und Handlungs- wie<br />

auch Kooperationsziele explizit zu machen und dadurch die Motivation<br />

zu stärken.<br />

Gutes Leben def<strong>in</strong>iere ich als e<strong>in</strong> Leben auf dem Weg zu Kohärenz und <strong>in</strong><br />

Stimmigkeit. So ist, von außen betrachtet, je<strong>des</strong> Leben e<strong>in</strong> gutes Leben,<br />

weil es sich nach jeweils se<strong>in</strong>em Vermögen und äußeren Bed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>in</strong> Richtung Kohärenz entfaltet. Subjektiv für uns selbst bewerten wir es<br />

als gut, wenn wir dies Streben nach Kohärenz bewusst erleben. Mit dem<br />

Gedanken an e<strong>in</strong> gutes Leben geht es um e<strong>in</strong> bewusstes Er<strong>in</strong>nern an<br />

unser <strong>in</strong>newohnen<strong>des</strong> Streben, an unsere evolutive Attraktiva und nicht<br />

um Beurteilung von Leben ob gut oder schlecht. Durch Kommunizieren<br />

über unsere attraktiven Vorstellungen vom guten Leben möglichst aller<br />

Menschen können wir unsere Kooperationen zur Mitgestaltung e<strong>in</strong>es<br />

guten Lebens kultivieren.<br />

Heuristik (wie heuristisch) bezeichnet die »Lehre vom F<strong>in</strong>den« von Lösungen<br />

und Erkenntnissen. Im Zusammenhang von Gesundheitswissenschaften<br />

wird besonders e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tentionale Heuristik zur Annäherung an<br />

Attraktiva gebraucht. Das kann ganz praktisch <strong>in</strong> Gesundheitszirkeln, im<br />

Goal-sett<strong>in</strong>g und im Salutogenic Reflect<strong>in</strong>g Team sowie <strong>in</strong> Gesundheitswissenschaften<br />

von <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Gruppen praktiziert werden.<br />

Holarchie bezeichnet e<strong>in</strong>e vertikale Ordnung von Ganzheiten oder Ganzen.<br />

Dabei ist das größere Ganze dem kle<strong>in</strong>eren übergeordnet. Holarchie<br />

unterscheidet sich von Hierarchie, wie sie oft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Pyramide dargestellt<br />

wird, dadurch, dass das übergeordnete System das umfassende für<br />

das kle<strong>in</strong>ere ist und dass es sowohl top-down als auch Bottom-up-Wirkungen,<br />

Abhängigkeiten und Anpassungen gibt.<br />

Ich-<strong>Dimension</strong> (ID): Menschliches Leben ist mehrdimensional. Es f<strong>in</strong>det <strong>in</strong><br />

mehreren Lebensdimension (LD) statt: Wir leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em physikalischchemischen<br />

Körper, der organismisch reguliert wird (1. LD/ID), <strong>in</strong> direkten<br />

zwischenmenschlichen Beziehungen (2. LD/ID), <strong>in</strong> kulturellen<br />

Bezugssystemen (3. LD/ID) sowie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Biosphäre (4. LD/ID), dem Sonnensystem<br />

und anderen kosmischen Systemen (5. LD/ID). In jeder dieser<br />

Lebensdimensionen haben wir Erfahrungen gemacht, die über Millionen<br />

von Jahren zu passigen Strukturen, auch <strong>in</strong> unserem Gehirn, geführt


Glossar<br />

haben. In jedem e<strong>in</strong>zelnen Leben werden die Verschaltungen <strong>in</strong> diesen<br />

evolutionär entstandenen Strukturen neu durch aktuelle Erfahrungen<br />

geprägt. So gibt es neuro-psychische Strukturen, die jeweils besonders<br />

für die Beziehungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er der Lebensdimensionen zuständig s<strong>in</strong>d. Die<br />

<strong>in</strong>dividuelle Verarbeitung und Regulation der Beziehungen <strong>in</strong> jeweils<br />

e<strong>in</strong>er Lebensdimension bildet die jeweilige Ich-<strong>Dimension</strong>. Dabei ist jede<br />

höhere Ich-<strong>Dimension</strong> bestrebt, alle darunter liegenden <strong>Dimension</strong>en zu<br />

<strong>in</strong>tegrieren. Das Ergebnis dieser Integration der Ich-<strong>Dimension</strong>en und<br />

Ich-Zustände ergibt die <strong>in</strong>dividuelle Persönlichkeit.<br />

Ich-Zustände (engl. ego-states) werden im Individuum durch erlebte Beziehungen<br />

wie auch wichtige Situationen gebildet. Es s<strong>in</strong>d gespeicherte<br />

Beziehungs-, Fühl-, Denk- und Glaubensmuster, die <strong>in</strong>sgesamt unser Ich<br />

ausmachen und auch durch äußere Anlässe aufgerufen wie getriggert<br />

werden können. E<strong>in</strong>zelne Ich-Zustände können verdrängt oder gar abgespalten<br />

werden, wie z. B. bei e<strong>in</strong>em erlebten Trauma. Unser allgeme<strong>in</strong>es<br />

Ziel ist e<strong>in</strong>e Integration aller Ich-Zustände <strong>in</strong> die Persönlichkeit. Für die<br />

Verarbeitung und Integration kann e<strong>in</strong>e Orientierung an den Ich-<strong>Dimension</strong>en<br />

hilfreich se<strong>in</strong>.<br />

Implizit wird e<strong>in</strong> neuropsychisches Funktions- und Verarbeitungssystem<br />

genannt, das unsere Körperfunktionen sowie Verhalten unterhalb unseres<br />

Wachbewusstse<strong>in</strong>s reguliert. Alles, was nicht bewusst absichtlich<br />

stattf<strong>in</strong>det, wird implizit genannt. Viele implizite Vorgänge können im<br />

Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> bewusst werden, andere wie z. B. die Stoffwechselregulation<br />

der Zellen bleiben unbewusst. Für die komplexen Vorgänge <strong>des</strong> Lebens,<br />

<strong>in</strong>sbesondere viele Entwicklungsvorgänge, wozu Gesundung gehört,<br />

spielt das implizite neuropsychische Verarbeitungssystem wohl die größere<br />

Rolle: Das explizite Verarbeitungssystem kann pro Sekunde 40–50<br />

Bits verarbeiten, das implizite etwa 40–50 Millionen Bits. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

kann das explizite Verarbeitungssystem dem impliziten Maßstäbe setzen,<br />

bewusste Ziele vorgeben.<br />

Information kommt aus dem Late<strong>in</strong>ischen von <strong>in</strong>formare, was ursprünglich<br />

bedeutet formen, bilden. So wird hier Information ausgehend von<br />

dieser ursprünglichen Bedeutung verwendet als dasjenige, was Energie<br />

/ Masse <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Form br<strong>in</strong>gt. Materie ist geformte, also <strong>in</strong>formierte<br />

Masse/Energie. Als Grundentitäten allen Dase<strong>in</strong>s bleiben Energie und<br />

219


Anhang<br />

220<br />

Information. In diesem allgeme<strong>in</strong>sten Verständnis hat Information die<br />

Bedeutung von Geist – allerd<strong>in</strong>gs mehr aus e<strong>in</strong>er Beobachterperspektive,<br />

während Geist mehr aus der Innenperspektive gesagt wird.<br />

So formen Informationen die neuronalen Verschaltungen <strong>in</strong> unserem<br />

Gehirn wie auch Verschaltungen im Computer, wo sie zu Daten werden.<br />

Wenn sie jemand abruft, können die Daten auch wieder <strong>in</strong>formieren. Ob<br />

es auch Geist jenseits von Informationen gibt, also Geist der unsere<br />

Gehirntätigkeit nicht gestalten kann, können wir nicht sagen, da wir nur<br />

das denken können, was unser Gehirn <strong>in</strong>formiert.<br />

Intentionalität als Gerichtetheit e<strong>in</strong>er Intention oder Absicht wird von<br />

Tomasello (2010, 2020) als grundlegend für menschliche Kooperation<br />

gesehen. Schon sehr kle<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der können mit der Intentionalität ihrer<br />

Bezugsperson <strong>in</strong> Resonanz gehen und diese teilen. Aus der geteilten<br />

Intentionalität wird dann e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same als Motivation für e<strong>in</strong>e<br />

Kooperation. Wenn Kooperationen nicht mehr gut laufen, ist e<strong>in</strong>e Überprüfung<br />

der Intentionalität oft hilfreich.<br />

Intentionaler Resonanzraum entsteht, wenn Menschen mit geteilter und<br />

somit geme<strong>in</strong>samer Intentionalität mite<strong>in</strong>ander <strong>kommunizieren</strong>. Sie bilden<br />

e<strong>in</strong> kokreatives System, e<strong>in</strong>en Raum für Ko kreativität.<br />

Kohärenz (engl. coherence) ist e<strong>in</strong> Begriff, der heute <strong>in</strong> verschiedenen Wissenschaften<br />

wichtig geworden ist und mit e<strong>in</strong>er ähnlichen Bedeutung<br />

verwendet wird: Zusammenhang, Übere<strong>in</strong>stimmung, Stimmigkeit,<br />

Zusammenhalt, stimmige Verbundenheit, Ordnung(ss<strong>in</strong>n). In der Systemtheorie<br />

ist Kohärenz von zentraler Bedeutung: Je<strong>des</strong> System hat<br />

se<strong>in</strong>e eigene charakteristische Kohärenz; durch Kohärenz wird es überhaupt<br />

erst e<strong>in</strong> System.<br />

Kohärenzgefühl ist die häufigste Übersetzung von Antonovskys »Sense of<br />

coherence« SOC. Da im »Sense of coherence« sowohl die wahrnehmende<br />

Bedeutung »S<strong>in</strong>n für Kohärenz« enthalten ist, wie auch e<strong>in</strong>e<br />

beschreibende <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em »Gefühl von Kohärenz«, ersche<strong>in</strong>t es s<strong>in</strong>nvoll,<br />

beiden Bedeutungen nachzugehen. Hier zunächst die Def<strong>in</strong>ition von<br />

Antonovs ky aus dem Jahre 1987 (übersetzt 1997 von Alexa Franke): »Das<br />

SOC (Kohärenzgefühl) ist e<strong>in</strong>e globale Orientierung, die ausdrückt, <strong>in</strong><br />

welchem Ausmaß man e<strong>in</strong> durchdr<strong>in</strong>gen<strong>des</strong>, andauern<strong>des</strong> und dennoch<br />

dynamisches Gefühl <strong>des</strong> Vertrauens hat.«


Glossar<br />

Kohärenzs<strong>in</strong>n ist unsere angeborene Fähigkeit, Kohärenz (stimmige Verbundenheit)<br />

<strong>in</strong> uns und zwischen uns und unserer Umwelt wahrzunehmen.<br />

Der Kohärenzs<strong>in</strong>n bewertet die e<strong>in</strong>gehenden Signale aus den S<strong>in</strong>nesorganen.<br />

Er bildet nach <strong>neue</strong>n neurophysiologischen Erkenntnissen<br />

die übergeordnete Funktion <strong>des</strong> Zentralnervensystems. Dieser S<strong>in</strong>n für<br />

Kohärenz ist somit die Voraussetzung für das Entstehen von Kohärenzgefühl.<br />

Kohärenzsystem ist die <strong>neue</strong> Bezeichnung für das dritte und dem Annäherungs-<br />

und Abwendungssystem übergeordnete neuro-motivationale<br />

System. Es gibt bisher noch ke<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong> anerkannte Bezeichnung.<br />

Im Englischen werden bestimmte Funktionen dieses Systems als<br />

»lik<strong>in</strong>g« bezeichnet im Unterschied zum »want<strong>in</strong>g« im Annäherungssystem.<br />

Im Kohärenzmodus kann e<strong>in</strong> Mensch sich gelassen fühlen und hat<br />

e<strong>in</strong>e gewisse Distanz zu se<strong>in</strong>en Emotionen und Affekten im Annäherungs-<br />

und Abwendungsmodus. Im Kohärenzmodus streben wir nach<br />

Integration und stimmiger Verbundenheit.<br />

Kokreativ (engl. co-creative) werden hier alle kreativen Kooperationen<br />

genannt, auch implizite, also nicht willentlich bewusst herbeigeführte.<br />

Kommunikation Im menschlichen Alltag bezieht sie sich meistens auf e<strong>in</strong><br />

geme<strong>in</strong>schaftliches Handeln, <strong>in</strong> dem Gedanken, Ideen, Wissen, Erkenntnisse,<br />

Erlebnisse (mit-)geteilt werden und auch neu entstehen. Kommunikation<br />

<strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne basiert auf der Verwendung von Zeichen <strong>in</strong><br />

Sprache, Gestik, Mimik, Schrift, Bild, Musik oder auch Geld. ganz allgeme<strong>in</strong><br />

ist die Aufnahme, der Austausch und die Übermittlung von Informationen<br />

zwischen zwei oder mehreren Personen wie auch anderen<br />

Lebewesen und D<strong>in</strong>gen.<br />

Hier wird besonders unterschieden zwischen direkter und <strong>in</strong>direkter/<br />

vermittelter Kommunikation. Die direkte, hier auch »soziale« genannte,<br />

f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> ganzheitlich s<strong>in</strong>nlich wahrnehmbarer Begegnung statt. Dabei<br />

macht der nonverbale Anteil meist mehr als 80 Prozent aus. Bei der <strong>in</strong>direkten,<br />

hier »kulturellen«, Kommunikation werden die Informationen im<br />

Wesentlichen über e<strong>in</strong> Medium, über Zeichensysteme wie Sprache, Bilder,<br />

Musik, Geld, Werkzeuge o. Ä. und heute besonders auch über digitalisierte<br />

technische Hilfsmittel wie Drucksachen und Elektronik vermittelt.<br />

221


Anhang<br />

222<br />

Kommunikationsmuster wie auch Interaktions- oder Beziehungsmuster<br />

s<strong>in</strong>d wiederkehrende Muster oder Schemata zwischen Sendern und<br />

Empfängern.<br />

Komplexität benennt e<strong>in</strong>e Vielzahl von Wechselbeziehungen <strong>in</strong>nerhalb<br />

und ggf. auch außerhalb e<strong>in</strong>es Systems, die nicht mehr <strong>in</strong> ihrer Kausalität<br />

nachvollzogen oder exakt vorausberechnet werden können. Komplexe<br />

Systeme s<strong>in</strong>d dynamisch und weisen häufig Aspekte von chaotischen<br />

Verläufen auf. Die Komplexität e<strong>in</strong>es Systems steigt mit der<br />

Anzahl an Elementen, der Anzahl an Verknüpfungen zwischen diesen<br />

Elementen sowie der Funktionalität und Unüberschaubarkeit dieser Verknüpfungen<br />

(wie bei Nichtl<strong>in</strong>earität). Die Komplexitätsforschung untersucht<br />

eben diese Dynamiken und versucht, ihre Gesetzmäßigkeiten<br />

mathematisch zu erfassen. Sie be<strong>in</strong>haltet heute auch die Chaosforschung.<br />

Konstruktivismus ist e<strong>in</strong>e moderne Erkenntnistheorie, die im 20. Jhd.<br />

geprägt wurde. Er geht davon aus, dass die Welt, wie wir sie sehen, e<strong>in</strong><br />

Produkt subjektiver und kognitiver Konstruktionsleistungen ist. Die<br />

Frage ist dann nicht mehr: Was ist die Wirklichkeit? Da nicht davon ausgegangen<br />

werden kann, dass e<strong>in</strong> ontologisches Se<strong>in</strong> der D<strong>in</strong>ge an sich<br />

existiert. Die Frage ist: Wie konstruieren wir die Wirklichkeit? Wissen wie<br />

Wissenschaft ist, damit an die subjektive, epistemologische Konstruktion<br />

gebunden. Es läuft im Grunde darauf h<strong>in</strong>aus, dass wir wissen, dass<br />

wir nicht wissen können: dass wir letztlich nur glauben können: Ich b<strong>in</strong>,<br />

weil ich glaube.<br />

Konvergenz bedeutet Annäherung an e<strong>in</strong>e Übere<strong>in</strong>stimmung, Ähnlichkeit.<br />

In der Biologie versteht man darunter die Entwicklung von ähnlichen<br />

Merkmalen bei mite<strong>in</strong>ander nicht verwandten Arten, die <strong>in</strong> der Evolution<br />

ausgebildet wurden (Parallelismus oder konvergente Evolution).<br />

Kooperation wird <strong>in</strong> diesem Buch für unterschiedliche Arten von Zusammenwirken<br />

zu e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen Zweck benutzt: e<strong>in</strong>mal für jede<br />

Form von Zusammenwirken von Teilsystemen <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Systems<br />

und zum anderen als speziell menschlich partnerschaftliche und freiwillige<br />

Kooperation. Für letztere werden aufgrund der Forschungen von<br />

Tomasello (2010, 2012, 2020) vier regelnde Kriterien angenommen:<br />

1. Kooperationspartner<strong>in</strong>nen gehen aufe<strong>in</strong>ander e<strong>in</strong>. 2. Sie haben e<strong>in</strong>


Glossar<br />

geme<strong>in</strong>sames Ziel, e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Intentionalität. 3. Sie stimmen ihre<br />

unterschiedlichen Rollen mite<strong>in</strong>ander ab (möglichst freiwillig). 4. Sie<br />

helfen sich gegenseitig, wenn e<strong>in</strong>er Hilfe braucht.<br />

Kultur me<strong>in</strong>t hier Gebilde <strong>in</strong> der Selbstorganisationsstufe von Menschen,<br />

die wesentlich durch ihre Sprache und andere Zeichensysteme wie Geld,<br />

Bilder u. Ä., durch explizite Regeln und Gesetze, Organisationen und<br />

Arbeitsteilung charakterisiert s<strong>in</strong>d. Dabei können Nationen, Sprachräume<br />

oder auch kle<strong>in</strong>räumigere Strukturen als Kultur bzw. kulturelle<br />

Organisationen <strong>in</strong> Betracht gezogen werden. Unter kultureller Evolution<br />

wird die Entwicklung von Kulturen <strong>in</strong> Richtung größerer Komplexität<br />

der Arbeitsteilung und anderer Beziehungen verstanden. In der Globalisierung<br />

wird die kulturelle Evolution heute deutlich bis h<strong>in</strong> zum<br />

Übergang <strong>in</strong> die globale <strong>Dimension</strong>, die im Anthropozän ersche<strong>in</strong>t.<br />

Kybernetik ist die Lehre der Kunst <strong>des</strong> Steuerns und Regelns, von der Regulation<br />

der Dynamiken von Systemen wie z. B. <strong>des</strong> Stoffwechsels e<strong>in</strong>es<br />

Organismus. Kybernetik 2. Ordnung bezeichnet e<strong>in</strong>e Meta-Steuerung<br />

der Regulation durch Reflexion, Beobachten <strong>des</strong> Beobachters – gewissermaßen<br />

aus der Perspektive e<strong>in</strong>es Übersystems.<br />

Lebensdimensionen (LD, s. a. Systemdimensionen und Ich-<strong>Dimension</strong>en)<br />

s<strong>in</strong>d <strong>Dimension</strong>en von Komplexität unserer Beziehungen <strong>in</strong> unseren<br />

Umwelten: <strong>in</strong> der physikalisch-chemischen Lebensdimension (O. LD), der<br />

bio-organismischen (1. LD), der sozialen (2. LD), kulturellen (3. LD), globalen<br />

und geistigen (4. LD) sowie kosmischen oder universellen (5. LD).<br />

Lebenswissenschaften (engl. Life Sciences) ist e<strong>in</strong> Begriff, der <strong>in</strong> unterschiedlichen<br />

Bedeutungen verwendet wird: e<strong>in</strong>mal mehr im S<strong>in</strong>ne von<br />

technisch orientierten Biowissenschaften mit Schwerpunkt <strong>in</strong> der Bio-<br />

Technologie und IT, und zum anderen für e<strong>in</strong>e Integration von Grundlagenforschungen<br />

für komplexe lebendige Prozesse, <strong>in</strong> die Biologie, Mediz<strong>in</strong>,<br />

Psychologie und Ethik e<strong>in</strong>bezogen werden. Überwiegend werden die<br />

Lebenswissenschaften heute allerd<strong>in</strong>gs technisch ausgerichtet, <strong>in</strong>sbesondere<br />

<strong>in</strong> Richtung künstlicher Intelligenz. Mit dem Bemühen, Leben<br />

mathematisch und digital zu verstehen, entfernen sie sich vom tatsächlichen<br />

Leben. Und im Bemühen, es technisch zu kopieren und zu manipulieren,<br />

wenden sie sich leider häufig auch gegen das Leben. Weiter<br />

gehören aus me<strong>in</strong>er Sicht m<strong>in</strong><strong>des</strong>tens auch die Sozialwissenschaften<br />

223


Anhang<br />

224<br />

und Anthropologie, wenn nicht sogar Geisteswissenschaften zu Lebenswissenschaften.<br />

Mir geht es um Lebenswissenschaften, die dem Mysterium<br />

und der Komplexität <strong>des</strong> Lebens theoretisch wie praktisch auf den<br />

Grund gehen und e<strong>in</strong>en Beitrag zum guten Leben mitverantworten wollen.<br />

In Lebenswissenschaften sollte es nicht darum gehen, lebensähnliche<br />

Gebilde technisch zu produzieren.<br />

Logik wird hier sehr allgeme<strong>in</strong> verstanden als Schlussfolgern von e<strong>in</strong>er<br />

Gegebenheit auf andere Vorgänge. Das Gegebene kann e<strong>in</strong>e materielle<br />

Bed<strong>in</strong>gung, e<strong>in</strong>e physikalische Energie se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e Information wie auch<br />

e<strong>in</strong> Gedanke, e<strong>in</strong>e Vision, e<strong>in</strong> hypothetisches oder reales Ziel. Je nach <strong>in</strong><br />

Betracht genommener Gegebenheit und gesuchten Zusammenhängen<br />

(gesuchter Wirkung) s<strong>in</strong>d unterschiedliche Logiken angebracht.<br />

Wenn wir e<strong>in</strong>en zeitlich und örtlich engen (nahen, relativ direkten)<br />

Zusammenhang e<strong>in</strong>er materiellen Gegebenheit (quantitativen Veränderung)<br />

mit vorhergehenden oder folgenden suchen, ist die Frage nach<br />

e<strong>in</strong>em materiellen, energetischen Grund (causa materialis oder efficiens),<br />

also die Kausallogik zweckmäßig und führt häufig zu brauchbaren<br />

Ergebnissen.<br />

Wenn wir e<strong>in</strong>en Zusammenhang e<strong>in</strong>er qualitativen Veränderung, wie<br />

Gestaltbildung suchen, schaffen analogische Informierungs-Logiken<br />

e<strong>in</strong> besseres Verstehen und eröffnen schöpferische Mitgestaltungsmöglichkeiten.<br />

Der grundlegende Vorgang ist Resonanz, woraus die Resonanzlogik<br />

folgt: E<strong>in</strong> Schlussfolgern von Wechselbeziehungen schw<strong>in</strong>gender<br />

und schw<strong>in</strong>gungsfähiger Systeme. In Resonanz können Informationen<br />

übermittelt, ausgetauscht und weitergegeben werden. Beim<br />

Übergang von e<strong>in</strong>em System <strong>in</strong> e<strong>in</strong> anderes werden sie transformiert.<br />

Um Antworten auf die Frage nach der Gestaltbildung zu f<strong>in</strong>den, ist die<br />

Attraktionslogik hilfreich. Sie geht aus von e<strong>in</strong>er attraktiven Ziel-/<br />

Gestalt<strong>in</strong>formation, mit der bewegte Teilchen <strong>in</strong> Resonanz gehen.<br />

Wenn wir nach dem Zusammenhang von Aktivitäten wie auch Bewegungen<br />

von lebenden Systemen suchen, s<strong>in</strong>d Systemlogiken hilfreich,<br />

diese zu verstehen und vorherzusagen. Dabei f<strong>in</strong>den <strong>in</strong>sbesondere Topdown-<br />

und Bottom-up-Beziehungen Beachtung.<br />

Lernebenen hat Gregory Bateson 1972 (1996) beschrieben als jeweils komplexeres<br />

Lernen von Kontexten von e<strong>in</strong>facherem Lernen usw. Das e<strong>in</strong>-


Glossar<br />

fachste Lernen ist z. B. e<strong>in</strong>e Gewöhnung wie Sättigung auf der Lernebene<br />

von Reiz-Reaktion. Die nächste Lernebene ist das konditionierte<br />

Lernen, also das Erkennen <strong>des</strong> Kontextes von Reiz und Reaktion. Das<br />

nächste komplexere Lernen ist dann e<strong>in</strong> Erkennen z. B. <strong>des</strong> zeitlichen<br />

Kontextes der Konditionierung und wie Menschen K<strong>in</strong>der und Hunde<br />

dressieren. Analog zu Batesons Lernebenen habe ich hier Lernen 1 bis<br />

Lernen 4 beschrieben. Diese Lernebenen korrespondieren mit den hier<br />

ausgeführten Ich- und Lebensdimensionen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em holarchischen<br />

Weltbild.<br />

Macht-Opfer-Dreieck ist e<strong>in</strong> Beziehungsmuster zwischen den Rollen vom<br />

Opfer, Täter und Retter/Richter. Dabei wird der Täter vom Opfer als<br />

mächtig erlebt. Um Verletzungen durch den Täter abzuwehren, muss der<br />

Mensch Macht entfalten. In Kulturen s<strong>in</strong>d <strong>des</strong>halb die Rollen von Richtern<br />

und Rettern mit Macht ausgestattet. Die Rollen Retter und Richter<br />

dienen der Fürsorge bzw. Vorbeugung von zwischenmenschlichen Verletzungen.<br />

Wenn sich diese Rollen und das Muster allerd<strong>in</strong>gs verselbständigen,<br />

entfalten sich Macht- und Rollenspiele, <strong>in</strong> denen die Rollen<br />

fliegend wechseln können (vgl. auch Dramadreieck). Das Macht-Opfer-<br />

Dreieck kann dann als Schattenmuster e<strong>in</strong>e Eigendynamik entfalten, wo<br />

Richter und Retter mehr Schaden als Nutzen anrichten können (Petzold<br />

2021).<br />

Meta-Kommunikation me<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e reflektierte Kommunikation über Kommunikation.<br />

Metaphysisch bezeichnet e<strong>in</strong>e Wirklichkeit neben, außer, h<strong>in</strong>ter oder über<br />

der physischen Realität. Diese kann Naturgesetze, Muster, Abstraktionen,<br />

Attraktiva u. Ä. betreffen, die allesamt Informationen darstellen. Im<br />

S<strong>in</strong>ne von Naturgesetzen regeln die metaphysischen Entitäten die physischen.<br />

Metasubjekte s<strong>in</strong>d Subjekte, die größer s<strong>in</strong>d als e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnes Subjekt. So ist<br />

e<strong>in</strong> Paar das kle<strong>in</strong>ste Metasubjekt. Gruppen, Parteien, Regierungen, universitäre<br />

Fakultäten oder Fachzweige s<strong>in</strong>d Metasubjekte, wie auch Staaten,<br />

Kulturen und die Menschheit.<br />

Metativ nenne ich e<strong>in</strong>e Erkenntnis, die von e<strong>in</strong>em Metasubjekt gewonnen<br />

oder geäußert wurde. Der Begriff metativ soll den Begriff objektiv <strong>in</strong> den<br />

Wissenschaften ablösen, der <strong>in</strong> Ignoranz moderner Erkenntnistheorie<br />

225


Anhang<br />

226<br />

glauben macht, dass es e<strong>in</strong>e vom Subjekt unabhängige wahre (= objektive)<br />

Erkenntnis gäbe. Die Bedeutung von metativ ist ähnlich wie die von<br />

<strong>in</strong>tersubjektiv, wie es <strong>neue</strong>rd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> der Wissenschaftstheorie verwendet<br />

wird. Der Begriff metativ öffnet im Unterschied zu <strong>in</strong>tersubjektiv die<br />

Frage nach dem Metasubjekt der Erkenntnis und damit nach Transparenz<br />

es Erkenntnisprozesses. E<strong>in</strong>e metative Wahrheit ist womöglich<br />

umfassender und wahrsche<strong>in</strong>licher, aber nicht unbed<strong>in</strong>gt wahrer als die<br />

e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zelnen menschlichen Subjektes.<br />

Mitwissen ist die ursprüngliche Bedeutung von lat. conscentia, das das<br />

Grundwort von engl. conscious = bewusst ist. Die Übersetzung als<br />

Bewusstse<strong>in</strong> geht auf Descartes (1596–1650) zurück. Ich gebe dem Mitwissen<br />

und damit auch Bewusstse<strong>in</strong> hier noch e<strong>in</strong>en Bedeutungsaspekt,<br />

der möglicherweise der ursprünglichen Bedeutung von conscentia nahekommt:<br />

Demnach hat e<strong>in</strong> Mensch e<strong>in</strong> Mitwissen an se<strong>in</strong>er Umgebung,<br />

an der Kohärenz se<strong>in</strong>er Übersysteme, also z. B. se<strong>in</strong>er Familie und se<strong>in</strong>er<br />

Umwelt. Dieses Mitwissen ersche<strong>in</strong>t oft unpräzise und damit mehr wie<br />

e<strong>in</strong> Ahnen oder e<strong>in</strong> Inst<strong>in</strong>kt bzw. e<strong>in</strong>e Intuition. Unter diesem Bedeutungsaspekt<br />

bekommt auch Bewusstse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Bezug zu unseren Übersystemen.<br />

(Neuro-)Motivationale Systeme s<strong>in</strong>d basale psychophysische E<strong>in</strong>stellungen<br />

unseres Organismus für grundlegend unterschiedliche Aktivitäten. Sie<br />

haben besondere organische Funktionsorte im zentralen Nervensystem<br />

ZNS: das Annäherungs-, Abwendungs- und Kohärenzsystem. Als Richtungen<br />

von Motion, also Bewegung, treten sie schon bei E<strong>in</strong>zellern auf,<br />

die sich e<strong>in</strong>er attraktiven Nahrungsquelle annähern können, von e<strong>in</strong>er<br />

Gefahr abwenden und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er neutral kohärenten Umgebung ruhen<br />

können. Damit s<strong>in</strong>d sie basale E<strong>in</strong>stellungen lebender Organismen.<br />

Möglichkeitsraum ist e<strong>in</strong> virtueller, metaphysischer Raum, <strong>in</strong> dem z. B. <strong>in</strong><br />

der Quantenphysik die Möglichkeiten <strong>des</strong> Ersche<strong>in</strong>ens von Photonen auf<br />

e<strong>in</strong>er Fotoplatte vor <strong>des</strong>sen Realisierung gedacht s<strong>in</strong>d. Für den Fall <strong>des</strong><br />

sog. Zusammenbruchs der Wellengleichung kann man die Möglichkeiten<br />

auch berechnen. In Analogie zur Quantenphysik denken wir uns alle<br />

Möglichkeiten von Entwicklungen als Informationen <strong>in</strong> eben e<strong>in</strong>em virtuellen<br />

Raum, die <strong>in</strong> der Zukunft die Realität <strong>in</strong>formieren könnten. E<strong>in</strong><br />

Möglichkeitsraum kann begrenzt auf e<strong>in</strong> gegebenes System se<strong>in</strong>, wie


Glossar<br />

z. B. e<strong>in</strong> Schachspiel, für das es durch Regeln e<strong>in</strong>e begrenzte Anzahl von<br />

Möglichkeiten gibt – dann nenne ich ihn Möglichkeitsblase. Oder er kann<br />

unendlich se<strong>in</strong> und komplexe Attraktiva enthalten, die ke<strong>in</strong>e direkte<br />

Möglichkeit darstellen, sondern Ziele, denen sich e<strong>in</strong> System auf verschiedenen<br />

Wegen nur annähern kann.<br />

Negentropie ist Entropie mit negativem Vorzeichen, also e<strong>in</strong>e komplexere<br />

Ordnung, auch e<strong>in</strong>e Entwicklung <strong>in</strong> Richtung komplexerer Ordnung.<br />

Parentifizierung wird das Beziehungsmuster genannt, bei dem e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d<br />

e<strong>in</strong>e Elternrolle für se<strong>in</strong>e Mutter oder se<strong>in</strong>en Vater übernimmt. Das<br />

Motiv dah<strong>in</strong>ter ist meist, e<strong>in</strong>e bei dem Elternteil und/oder im Familiensystem<br />

herrschende Not zu beheben. Auf diese Weise bekommt das<br />

K<strong>in</strong>d dann häufig zwar nicht das, was es zur Befriedigung se<strong>in</strong>er k<strong>in</strong>dlichen<br />

Bedürfnisse gebraucht hätte, wohl aber Anerkennung und e<strong>in</strong>e<br />

positive Rolle im System. Leider kann dies für das K<strong>in</strong>d überfordernd se<strong>in</strong><br />

und später <strong>in</strong> entsprechenden beruflichen Kontexten zum sog. Helfersyndrom<br />

<strong>des</strong> hilflosen Helfers (Schmidbauer) wie auch zu e<strong>in</strong>em Burnout<br />

führen.<br />

Pathogenese ist die Entstehung von Krankheiten. E<strong>in</strong>e pathogenetische<br />

Orientierung be<strong>in</strong>haltet die Ausrichtung auf die Entstehung von Krankheiten<br />

und daraus folgend die Bekämpfung dieser.<br />

Rekursiv bedeutet rückbezüglich. Es bezeichnet <strong>in</strong> dynamischen Prozessen<br />

e<strong>in</strong>e Rückkopplung auf sich wiederholende Schritte.<br />

Rückkopplungsprozesse s<strong>in</strong>d dynamische Vorgänge, bei denen jeder folgende<br />

Schritt auf dem vorherigen aufbaut. Positive Rückkopplung<br />

bedeutet, dass durch e<strong>in</strong>en <strong>neue</strong>n Schritt der Vorgang weitergeführt<br />

bzw. beschleunigt wird; negative Rückkopplung heißt, dass durch die<br />

<strong>neue</strong> Aktion der Vorgang gehemmt wird.<br />

Resilienz ist e<strong>in</strong>e Widerständigkeit, auch »psychische Widerstandskraft«<br />

genannt, gegen Stresssituationen. Antonovskys Studie mit Frauen, die<br />

den Holocaust überlebt hatten, war zunächst e<strong>in</strong>e Resilienzforschung.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs hat er im Verlaufe dieser Forschung die Fragestellung erweitert<br />

zur salutogenetischen allgeme<strong>in</strong>en Frage: Wie können Menschen<br />

sich <strong>in</strong> Richtung Gesundheit entwickeln? In dieser Fragestellung ist die<br />

Mitgestaltung der äußeren Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong>begriffen. Bei der Fragestellung<br />

der Resilienz geht es nur darum, wie Menschen trotz stressender<br />

227


Anhang<br />

228<br />

Bed<strong>in</strong>gungen gesund bleiben können. E<strong>in</strong>e Veränderung der stressenden<br />

Bed<strong>in</strong>gungen ist dabei nicht vorgesehen. So ist die Resilienz e<strong>in</strong>e Teilfrage<br />

der Salutogenese. Wenn diese nur isoliert gestellt wird, kommt es<br />

zur Erforschung z. B. von Psychopharmaka zur Erhöhung der Resilienz<br />

von Tätern im Macht-Opfer-Dreieck.<br />

Resonanz ist e<strong>in</strong> Mit-/Antwortschw<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> der Eigenschw<strong>in</strong>gungsfähigkeit<br />

– sowohl <strong>in</strong> der physikalischen als auch der menschlichen <strong>Dimension</strong>.<br />

Im S<strong>in</strong>ne konstruktiver Interferenzen, können wir auch aufbauende<br />

und zerstörerische Resonanz unterscheiden. Durch Erweiterung unserer<br />

Resonanzfähigkeit, wie z. B. durch Meditation oder auch technische<br />

Hilfsmittel, können wir für uns <strong>neue</strong> Informationen und Kommunikationsmöglichkeiten<br />

erschließen.<br />

Salutogenese ist e<strong>in</strong>e Wortschöpfung von A. Antonovsky aus den 1970er<br />

Jahren (lat. von salus = Unverletztheit, Heil, Glück und griech. génesis =<br />

Entstehung). Damit hat er die Frage nach der Entstehung von Gesundheit<br />

<strong>in</strong> die Wissenschaft gebracht. Salutogenese ist e<strong>in</strong>e Bezeichnung für<br />

den Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er Wissenschaft von der Entstehung von Gesundheit.<br />

Salutogen ist alles, was e<strong>in</strong>e gesunde Entwicklung fördert.<br />

Salutogenetisch wird die Sichtweise genannt, die die Gesundheitsentstehung<br />

im Fokus hat.<br />

Selbstheilungsfähigkeit (umgangssprachlich oft nicht ganz korrekt<br />

»Selbstheilungskräfte« genannt) ist die Fähigkeit e<strong>in</strong>es Organismus, sich<br />

zu regenerieren, bei Verletzungen oder Erkrankungen zu heilen und wieder<br />

weitestgehend funktionstüchtig zu werden. Die Selbstheilungsfähigkeit<br />

von lebenden Systemen ist die Grundlage für deren Salutogenese.<br />

Selbstorganisation ist der Vorgang, bei dem <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em System aus e<strong>in</strong>er<br />

<strong>in</strong>neren Dynamik heraus aus Chaos Ordnung herstellt wird (s. a. Chaosforschung,<br />

Synergetik) oder sogar e<strong>in</strong> <strong>neue</strong>s System emergiert. Maßgeblich<br />

für die <strong>neue</strong> Ordnung s<strong>in</strong>d Attraktoren wie Attraktiva bzw. Ordner.<br />

Selbstregulation ist die Regulation e<strong>in</strong>es Systems nach maßgeblichen<br />

Regelgrößen wie auch Attraktiva, die dem System eigen s<strong>in</strong>d. Erkrankung<br />

kann sowohl als Störung der Selbstregulation als auch als e<strong>in</strong>e<br />

s<strong>in</strong>nvolle Variante der Selbstregulation <strong>in</strong> Bezug auf e<strong>in</strong>en bestimmten<br />

Kontext verstanden werden.


Glossar<br />

Sozial werden hier Systeme und Beziehungen genannt, <strong>in</strong> denen direkt<br />

zwischenmenschlich kommuniziert wird. Das geschieht überwiegend<br />

(80–100 Prozent) nonverbal über die S<strong>in</strong>ne. In diesem S<strong>in</strong>ne s<strong>in</strong>d die sog.<br />

sozialen Medien ke<strong>in</strong>e sozialen, sondern kulturelle Medien, weil <strong>in</strong> ihnen<br />

über Zeichensysteme und technische Hilfsmittel überwiegend verbal<br />

kommuniziert wird. Durch Nutzung emotionaler Metapher schaffen sie<br />

häufig e<strong>in</strong>e Illusion sozialer Nähe und e<strong>in</strong>en (fragwürdigen) Ersatz dafür.<br />

Stressachse ist e<strong>in</strong>e neuro-hormonelle Verknüpfung, die mit e<strong>in</strong>er Bewertung<br />

e<strong>in</strong>er Situation als bedrohlich beg<strong>in</strong>nt und dann über zwei Wege<br />

die Hormonproduktion <strong>in</strong> der Nebenniere anregt: die schnelle neuronale<br />

Aktivierung über den Sympathikus und die etwas langsamere über Hormone<br />

<strong>des</strong> Hypothalamus und der Hypophyse bis zur Nebennierenr<strong>in</strong>de.<br />

Die erste führt zur Freisetzung besonders von Adrenal<strong>in</strong> und die langsamere<br />

von Kortisol.<br />

Sympathikotonus ist der Aktivitätszustand <strong>des</strong> sympathischen Nervensystems,<br />

der bei Stress erhöht ist und den ganzen Stoffwechsel auf das<br />

Abwenden von Gefahren e<strong>in</strong>stellt.<br />

System ist e<strong>in</strong>e Gesamtheit von Elementen (Teilsystemen), die so <strong>in</strong> wechselseitiger<br />

Beziehung zue<strong>in</strong>ander stehen, dass sie e<strong>in</strong>e durchlässig<br />

begrenzte und bei Lebewesen e<strong>in</strong>e aufgaben-, s<strong>in</strong>n- oder zweckgebundene<br />

E<strong>in</strong>heit bilden. Systeme haben damit e<strong>in</strong>e eigene charakteristische<br />

Kohärenz. Sie s<strong>in</strong>d grundsätzlich halboffen und wechselwirken so mit<br />

Systemen <strong>in</strong> ihrer Umgebung. E<strong>in</strong>e systemische Sichtweise richtet den<br />

Blick auf die wechselwirkenden Beziehungen sowohl zwischen Partner-<br />

Systemen e<strong>in</strong>er <strong>Dimension</strong> als auch auf vertikale Beziehungen zu Teilund<br />

Übersystemen.<br />

Systemdimensionen s<strong>in</strong>d qualitative Ausdehnungen (<strong>Dimension</strong>en) von<br />

Komplexitätsgraden und Größenordnungen von Systemen. Sie bilden<br />

e<strong>in</strong>e natürliche vertikale Ordnung (s. Holarchie), wie die von Zellen-<br />

Organen-Organsystemen als Teilsysteme e<strong>in</strong>es Individuums, von Individuen<br />

als Teilsysteme e<strong>in</strong>er Familie und Geme<strong>in</strong>schaft, von Familien,<br />

Geme<strong>in</strong>schaften und Organisationen als Teilsysteme e<strong>in</strong>er Kultur, von<br />

Kulturen als Teilsysteme der Menschheit und Biosphäre, die Erde als Teilsystem<br />

<strong>des</strong> Sonnensystems usw. E<strong>in</strong> jeweils größeres, Teilsysteme e<strong>in</strong>schließen<strong>des</strong><br />

übergeordnetes System, wird <strong>in</strong> Bezug zu se<strong>in</strong>en Teilsyste-<br />

229


Anhang<br />

men Übersystem genannt. Die hier aufgeführten Systemdimensionen<br />

(wie Lebensdimensionen) haben Entsprechungen auch <strong>in</strong> logischen Ebenen,<br />

wie sie von Bateson und Russell aufgestellt wurden. Sie führen<br />

auch zu Resonanzen im Individuum wie zur Strukturbildung <strong>des</strong> Zentralnervensystems<br />

sowie der Persönlichkeit (s. a. Ich-<strong>Dimension</strong>en).<br />

Systemlogiken beschreiben die Zusammenhänge und Beziehungen <strong>in</strong> und<br />

zwischen Beziehungen – top-down und bottom-up und auf gleicher<br />

Ebene.<br />

Transgenerational bezeichnet e<strong>in</strong>e Weitergabe von Informationen, Problemen,<br />

E<strong>in</strong>stellungen über mehrere Generationen h<strong>in</strong>weg. Dies ist zum<br />

Beispiel <strong>in</strong> der Trauma-Forschung bekannt geworden, wie auch <strong>in</strong> der<br />

Auswirkung von Kriegen auf folgende Generationen.<br />

Übergänge s<strong>in</strong>d häufig chaotisch ersche<strong>in</strong>ende oder verlaufende Veränderungs-<br />

auch Entwicklungsphasen zwischen unterschiedlichen Dase<strong>in</strong>szuständen.<br />

Sie können e<strong>in</strong> Individuum betreffen, e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>schaft,<br />

Gesellschaft, die Menschheit, Biosphäre und alle möglichen Systeme.<br />

Subjektiv werden sie häufig als ungewiss, unsicher oder gar als verrückt,<br />

chaotisch erlebt. Sie erfordern dann e<strong>in</strong>e große Portion (Ur-)Vertrauen.<br />

Zivilisation wird mit zwei Bedeutungsschwerpunkten verwendet: zum<br />

e<strong>in</strong>en für e<strong>in</strong> menschlich geregeltes, gesellschaftliches Mite<strong>in</strong>ander und<br />

zum anderen zur Unterscheidung von Kultur: e<strong>in</strong> überwiegend ökonomisch<br />

und technisch bestimmtes Zusammenleben, wobei kulturelle<br />

Werte e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Rolle spielen.<br />

230


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233


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235


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236<br />

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237


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Index<br />

Ablehnung 56, 163<br />

Abschied 89, 231, 234<br />

abstrakt 29, 30, 31, 56, 60, 63, 68, 80, 87,<br />

104<br />

Abwägen 168, 170<br />

abwenden 48, 49, 114, 115, 158, 190, 194,<br />

213, 214, 226, 229<br />

Abwendungsmodus 50, 51, 101, 114, 115,<br />

117, 135, 163, 190, 193, 194, 213, 214, 221<br />

Abwendungssystem 48, 49, 113, 135, 173,<br />

176, 189, 190, 214, 221<br />

Achtsamkeit 112, 196<br />

Adaptation 176, 213<br />

Adorno, Theodor W. 151<br />

Agent<strong>in</strong>nen 46, 97, 100, 116, 154<br />

Ahnen 69, 126, 193, 226<br />

Ähnlichkeiten 24, 76, 137, 138, 144, 145,<br />

146, 169, 181, 214<br />

Ahnung 51, 52, 81<br />

Akustik 71, 84<br />

Algorithmen 23, 119, 167, 170, 172, 176<br />

Allgeme<strong>in</strong>gültigkeit 40<br />

Alltagsbewusstse<strong>in</strong> 85, 109, 195<br />

Amplitude 68, 69, 141<br />

Analogie 71, 75, 76, 112, 138, 226<br />

Analogien 24, 39, 78, 144, 214, 237<br />

Analogieschluss 138<br />

Analogik 107, 138, 139, 140, 143, 214, 232,<br />

238<br />

analogisch 132, 138– 145, 168, 179<br />

analytisch kausal 24, 25, 26, 55, 114, 115,<br />

116, 117, 132, 176, 177, 179<br />

analytisch-materialistisch 25<br />

Anerkennung 46, 69, 96, 115, 227<br />

Ang<strong>in</strong>a mentalis 172, 214<br />

Angst 49, 91, 115, 124, 214, 237<br />

Ängste 48, 56<br />

Angstzustände 117<br />

annähern 24, 48, 55, 93, 112, 126, 129, 176,<br />

191, 194, 226, 227<br />

Annäherungssystem 48, 49, 93, 189, 191,<br />

214, 221<br />

Annäherungsvorgang 175<br />

Annäherungsziele 48, 50, 53, 111, 191<br />

Anpassung 176, 213<br />

Antennen 50, 72, 124, 195, 197<br />

Anthropologie 155, 189, 217, 224<br />

Anthropozän 54, 107, 214, 223<br />

Antibiotika 53, 160<br />

antibiotischen 52<br />

antievolutionär 117<br />

Antizipation 98<br />

antizipieren 92, 93, 129<br />

Antonovsky, Aaron 93, 183, 214, 228, 231<br />

Apfel 82, 83, 85, 161, 162<br />

Ärger 30, 84<br />

Aristoteles 67, 70, 87, 111, 137, 215, 216, 231<br />

Artensterben 179<br />

Arzt 16, 18, 36, 37, 38, 50, 51, 52, 53, 146,<br />

158, 159, 191, 192, 235, 236<br />

Arzt-Patient-Kommunikation 16<br />

assoziativ 138<br />

assoziative Lernprozesse 20, 21<br />

Atmosphäre 135<br />

Atommodell 138<br />

attrahierend 66, 98, 149<br />

Attraktionslogik 118, 140, 146, 148, 149,<br />

177, 181, 192, 215, 224<br />

Attraktionspr<strong>in</strong>zip 6, 48, 96, 98, 100, 102,<br />

103, 109, 110, 111, 112, 129, 146, 166, 177,<br />

180, 192, 215<br />

attraktiv 47, 66, 67, 83, 87, 97, 148–151, 175<br />

Attraktiva 51, 52, 93–102, 105–113, 120, 121,<br />

122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 139,<br />

140, 147–149, 170, 174–181, 186, 188, 191,<br />

195–198, 215–218, 225–228<br />

Attraktor 76, 96, 97, 110, 215, 216, 236<br />

autonom 43, 73, 108, 112, 163<br />

Autonomie 43, 48, 53, 108, 122, 142, 154,<br />

173, 174, 180, 215, 233, 237<br />

Autopoiesis 121, 122<br />

239


Anhang<br />

240<br />

Bahn 27, 29, 61, 68<br />

Bahrs, Ottomar 231, 236<br />

Bakterien 99, 106, 116<br />

Barrett, Richard 66, 231<br />

Barrow, John D. 75, 231<br />

Bastian, Rolf 99, 107, 177, 183, 192, 231<br />

Bateson, Gregory 82, 224, 230, 231<br />

Bauer, Joachim 73, 144, 231<br />

Baum 83, 234<br />

bedeutsam 108, 123, 178<br />

Bedeutsamkeit 123, 124<br />

Bedeutung 22, 23, 27, 28, 29, 30, 40, 44,<br />

61, 63, 70, 90, 98, 101, 111, 118, 157, 159,<br />

169, 219, 220, 226, 234<br />

bedrohlich 47, 50, 51, 55, 82, 158, 213, 229<br />

Bedrohung 42, 49, 114, 115, 173, 189, 190,<br />

213, 214<br />

Bedürfnis 48, 91, 122, 123, 172, 173, 190, 214<br />

Bedürfniskommunikation 44, 108, 216<br />

Be dürfnisse 43<br />

Ben-Aharon 183<br />

Beobachterperspektive 31, 39, 57, 69, 120,<br />

220<br />

Berkhout, E. 231<br />

Bertalanffy, Ludwig v. 121, 151, 152, 231<br />

Beschleunigung 113, 115, 117<br />

Beuys, Joseph 103<br />

Bewegung 27, 37, 38, 65, 66, 81, 91, 96, 111,<br />

149, 216, 226<br />

beweisen 47, 132, 135<br />

Bewertung 43, 44, 47, 48, 50, 61, 69, 82,<br />

85, 124, 188, 189, 229<br />

Bewertungskriterien 61<br />

Bewusst-se<strong>in</strong>s-<strong>Dimension</strong> 109<br />

Bewusstheit 126<br />

Bewusstse<strong>in</strong> 15, 81, 85, 105, 125, 141, 162,<br />

179, 193, 194, 226<br />

Bewusstse<strong>in</strong>, reflexives 162<br />

Beziehung, vermittelte 161<br />

Beziehungen 21, 29, 35, 41, 44, 46, 48, 51,<br />

55, 56, 62, 63, 72, 74, 77, 82–87, 94, 95,<br />

99, 103–106, 119, 122, 136, 138, 150, 151,<br />

154–157, 161, 162, 166–171, 174, 180, 181,<br />

215, 216–219, 223, 224, 229, 230<br />

Beziehungslosigkeit 63, 163<br />

Beziehungsrollen 44<br />

Bias 47<br />

Bienen 138, 144<br />

Bilanzieren 122, 125, 126<br />

Bilanzierung 43, 99<br />

Bilder 69, 92, 93, 94, 129, 221, 223, 234<br />

B<strong>in</strong>gel, Ulrike 16, 231<br />

Biologie 25, 148, 176, 217, 222, 223, 232,<br />

233, 237<br />

Biosphäre 43, 45, 47, 54, 55, 107, 119, 133,<br />

135, 151, 152, 193, 218, 229, 230<br />

Bircher, Johannes 96, 103, 231<br />

Bits 22, 59, 61, 219<br />

Black Box 136<br />

Blei 62<br />

Blutdruck 36, 37, 38, 146, 159<br />

Bohm, David 25, 68, 121, 197, 231<br />

Boss<strong>in</strong>ger, Wolfgang 73, 231<br />

Bottom-up 34, 140, 151, 154, 155, 156, 167,<br />

177, 180, 192, 218, 224, 230<br />

Buber, Mart<strong>in</strong> 197, 232<br />

Büntig, Wolf 53, 234<br />

Bürger<strong>in</strong>nen 73<br />

Burkart, Roland 30, 60, 232<br />

Cardena, Etzel 78, 232<br />

causa formalis 70<br />

Chance 96, 108, 115<br />

Chaos 23, 67, 90, 96, 97, 98, 99, 102, 107,<br />

108, 117, 147, 215, 216, 228, 233, 234<br />

Chaos, determ<strong>in</strong>istisches 97, 215, 216<br />

Chaosforschung 96, 98, 108, 129, 147, 180,<br />

196, 213, 215, 216, 222, 228<br />

chronisch 36, 236<br />

Compliance 50<br />

Computer 19, 81, 150, 170, 171, 220<br />

Corona 49, 91, 105, 160, 214, 231<br />

Cortex 157<br />

Cramer, Friedrich 25, 71, 142, 232


Index<br />

Dalai Lama 232<br />

Dankbarkeit 150<br />

Darw<strong>in</strong>, Charles 115, 152<br />

Darw<strong>in</strong>ismus 116, 231<br />

Daten 19, 61, 168, 169, 170, 172, 220<br />

Datenübertragung 28, 169<br />

de Shazer, Steve 176, 232<br />

Deduktion 142<br />

Deklaration von Genf 154<br />

Dekohärenzen 152<br />

Demut 105<br />

Denken 16, 23–25, 39, 61, 64, 70, 81, 82,<br />

96, 101–105, 112–118, 121, 122, 125, 126,<br />

131– 146, 150, 151, 154, 158–181, 195– 197,<br />

213, 214, 220, 226, 234<br />

Denken, komplexes 166<br />

Denkmuster 19, 135, 150, 160, 176<br />

Denkweisen 24, 25, 70, 117, 132, 133, 137,<br />

140, 150, 155, 180<br />

Depression 159<br />

Descartes, René 101, 193, 226, 232<br />

Dialog 39, 192<br />

Diamant 40, 119<br />

Dichotomie 40, 70<br />

Die Welt ist Klang 231<br />

digital 118, 169, 171, 223<br />

Digitalisierung 103, 234<br />

Dopam<strong>in</strong> 191<br />

dopam<strong>in</strong>erg 50, 93, 214<br />

dualistisch 132<br />

Dynamik 29, 67, 82, 84, 87, 97, 114, 137, 151,<br />

152, 198, 228<br />

dynamisch 23, 71, 106, 152, 163, 183, 215,<br />

222<br />

Ebell, Hansjörg 86<br />

Eccles, John C. 77, 232<br />

Eibl-Eibesfeldt, Irenäus 232<br />

Eigen, Manfred 63, 127, 228, 232<br />

Eigenbeteiligung 53<br />

Eigendynamik 108, 225<br />

Eigengesetzlichkeit 121, 215<br />

Eigenschw<strong>in</strong>gungsfähigkeit 19, 71, 72,<br />

145, 228<br />

Eigenverantwortung 47<br />

E<strong>in</strong>bildung 17, 115<br />

E<strong>in</strong>heit 48, 104, 229<br />

E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong>, Albert 25, 60, 63, 77, 78, 131, 216<br />

Elementarteilchen 27, 32, 62, 64, 68, 75,<br />

76, 77, 78<br />

Elliot, Andrew 49, 93, 232<br />

Elsner, Henn<strong>in</strong>g 102, 232<br />

Eltern 43, 44, 45, 127, 129, 155, 156, 192, 237<br />

Emergenz 98, 146, 179, 215, 216, 238<br />

Emotionen 26, 43, 44, 141, 174, 216, 221,<br />

232, 235<br />

Empfänger 6, 28, 29, 30, 31, 32, 72, 73, 86,<br />

87, 108, 141, 142, 144, 169<br />

empirisch 53<br />

Energie 6, 18, 19, 22–31, 59–87, 91, 92, 95,<br />

96, 99, 100, 140–145, 148, 149, 150, 192,<br />

215, 216, 219, 224<br />

Energieaspekt 82, 132, 141, 169<br />

Energiefluss 95<br />

Energiepr<strong>in</strong>zip 67<br />

Energiezeitalter 25, 68, 135<br />

Engel, George 232<br />

Entelechie 122, 148, 216<br />

Entfreiung 172<br />

Entfremdung 56, 74, 75, 85, 163<br />

Entität 29, 31, 68, 70, 216<br />

Entropie 23, 62, 64, 146, 147, 217, 227<br />

Entropiesatz 64, 67, 146, 217<br />

Entscheidungsfähigkeit 94<br />

Entspannung 52<br />

entweder-oder 96, 118, 169, 170<br />

Epigenetik 120<br />

epigenetisch 151<br />

Erderwärmung 54, 179<br />

Erfahrungsraum 139, 170, 177, 217<br />

Erickson, Milton 74, 86<br />

erkenntnistheoretisch 56<br />

Erkrankung 20, 36, 160, 166, 228, 236<br />

Erkrankung, chronische 36<br />

241


Anhang<br />

242<br />

Erwartungen 17, 125<br />

Erwartungshaltung 17, 20, 21, 39<br />

Ethik 33, 154, 223, 232<br />

Euler, Leonhard 110<br />

Evolution <strong>des</strong> Menschlichen 179<br />

Evolutionstheorie 152, 213<br />

explizit 30, 38, 44, 53, 64, 70, 126, 195,<br />

196, 217, 218<br />

fair 115<br />

Fake 86, 161<br />

Fallbeispiel 164<br />

Familie 35, 44, 77, 102, 112, 229<br />

Familientherapie 102<br />

Forschung, partizipative 70<br />

Fourier 68, 69<br />

fraktal 68, 154, 180, 193, 217, 233<br />

frei entscheiden 48<br />

Freiheit 48, 71, 72, 108, 154, 173, 214<br />

Frequenz 68, 69, 72, 74<br />

Freude 38, 102, 147, 150, 175<br />

Frieden 48<br />

Friederich II. 21<br />

Frisch, Stefan 101, 233<br />

Fuchs, Thomas 64, 90, 102, 233<br />

Füllsack, Manfred 96, 103, 104, 105, 233<br />

Fürsorge 225<br />

Fußball 61<br />

Gabriel, Gottfried 138, 233<br />

Gadamer, Hans-Georg 52, 233<br />

Ganze, das 21, 26, 35, 51, 79, 99, 100, 102,<br />

103, 105, 106, 112, 119, 121, 151, 152, 153,<br />

154, 156, 180, 193, 217, 218, 229<br />

Ganze, das große 151, 154<br />

Ganzheit 80, 100, 102, 104, 107, 113, 120,<br />

148, 149, 187, 217, 235<br />

ganzheitlich 25, 26, 84, 187<br />

Ganzse<strong>in</strong> 51, 101<br />

Gedanken 26, 31, 56, 66, 68, 77, 81, 85, 95,<br />

104, 141, 157, 172, 174, 217, 218, 221, 236<br />

Gegenwart 76, 93, 104, 109, 110, 125, 126,<br />

233<br />

Gehirn 19, 24, 27, 43, 61, 68, 77, 79, 80, 81,<br />

90, 92, 93, 101, 102, 126, 138, 142, 143,<br />

170, 172, 218, 220, 233, 238<br />

Geist 17, 20, 31, 60, 70, 77, 95, 172, 195, 196,<br />

220, 231<br />

Geisteswissenschaften 27, 70, 103, 224<br />

geistigen Fel<strong>des</strong> 77<br />

gelassen 48, 221<br />

Gelassenheit 49, 115, 174<br />

Geld 66, 81, 149, 221, 223, 238<br />

Geme<strong>in</strong>samkeit 32<br />

Geme<strong>in</strong>schaft 35, 229, 230<br />

Gene 100, 121, 217<br />

Genom 120, 148, 149<br />

Gesamtbild 102<br />

geschlossen 62, 64<br />

Gestaltbildung 6, 61, 89–92, 102–130,<br />

146, 179, 180, 215, 224<br />

Gestaltpsychologie 100<br />

Gestalttheorie 102<br />

gesund 35–38, 47, 52, 53, 69, 95, 129, 133,<br />

149, 160, 170–172, 215, 228, 231, 236<br />

gesunde Entwicklung 98, 100, 105, 107,<br />

216, 217, 237<br />

Gesundheit 37, 50, 52, 70, 73, 98, 145, 172,<br />

173, 176, 183, 186, 187, 191, 194, 214, 217,<br />

227, 228, 231–236<br />

Gesundheitsfaktor 21<br />

Gesundheitswissenschaft 40, 217<br />

Gesundheitswissenschaften 30, 42, 43,<br />

46, 57, 69, 70, 71, 107, 176, 217, 218<br />

Gesundheitsziel 35, 36, 38, 51, 53, 173, 233,<br />

235<br />

Gewordene, das 107<br />

Gigerenzer, Gerd 193, 233<br />

Glaube 16, 17, 21, 35, 46, 120, 222<br />

Gleick, James 22, 59, 60, 64, 77, 233<br />

globale 44, 107, 174, 220, 223<br />

Glücksfall 75<br />

Goal-sett<strong>in</strong>g 218<br />

Gödel, Kurt 105, 120, 233<br />

Goethe, Joh. Wolfg. v. 40, 232, 233<br />

Goldste<strong>in</strong>, Kurt 100, 101, 102, 106, 138, 233


Index<br />

Gott 59, 62, 63, 120, 154<br />

Grawe, Klaus 49, 93, 94, 102, 121, 233<br />

Grossarth-Maticek, Ronald 53, 233<br />

Grundbedürfnis 189<br />

Grundentitäten 6, 60, 87, 219<br />

Grundkommunikation 6, 31, 32, 33, 35, 38,<br />

56, 73, 194, 198<br />

Grundkräften 24, 25, 76<br />

Gruppen 107, 195, 197, 218, 225<br />

Gutes Leben 54, 57, 87, 129, 147, 218, 224<br />

Haken, Hermann 24, 100, 103, 120, 233<br />

Hamann, Kathar<strong>in</strong>a 189<br />

Handeln 82, 93, 94, 112, 117, 122, 124, 125,<br />

126, 130, 145, 154, 167, 168, 190, 196, 221<br />

Hansch, Dietmar 24, 103, 233<br />

Hartkopf, Werner 177<br />

Heckenbeck 192<br />

Hegel, Friedrich 85<br />

heilsam 7, 16, 18, 21, 46, 51, 185<br />

heilsamen Information 16, 87<br />

Heilung 16, 49, 56, 100, 101, 165, 183, 188<br />

Heilwirkung 16, 135<br />

Herausforderungen 194<br />

Herz<strong>in</strong>farkt 36, 117, 146<br />

Herzratenvariabilität 108<br />

Heucke, Thomas 102, 233<br />

Heuristik 175–178, 192, 196, 218, 237<br />

Heuristik, <strong>in</strong>tentionale 177<br />

heuristisch 50, 188, 197, 218<br />

heuristische Lösungslogik 140, 166, 181<br />

Higgs 32, 73<br />

Hirschhausen, Eckart v. 125<br />

Hitler 116<br />

Hoffnung 22, 54<br />

Holarchie 34, 121, 218, 229<br />

Huber, Machteld 194, 231, 232, 238<br />

Hüther, Gerald 90, 102, 234<br />

Hypothese 24, 35, 53<br />

Ich-<strong>Dimension</strong>en 43, 218, 219, 223, 230<br />

Ich-Zustände 219<br />

Ideen 37, 66, 72, 81, 93, 128, 149, 175, 221<br />

Ignoranz 55, 225<br />

imag<strong>in</strong>äre E<strong>in</strong>heit 104<br />

Imag<strong>in</strong>ation 104, 113<br />

implizit heilsam 18<br />

impliziten Ordnung 25, 121<br />

<strong>in</strong>dividualistisch 121<br />

Individuum 40, 115, 124, 142, 219, 230<br />

Induktion 142<br />

Industrie 26, 66, 135, 174<br />

Infektionskrankheiten 52<br />

Information 6, 15, 18–31, 38–91, 95, 96,<br />

97, 99, 100, 104, 107, 111, 112, 121, 125,<br />

129, 140–149, 168, 169, 179, 198<br />

Informationen, systemlokale 148<br />

Informationsaspekt 72, 81, 82, 132, 138,<br />

141, 150<br />

Informationspr<strong>in</strong>zip 67<br />

Informationssphäre 110<br />

Informationstheorie 22, 23, 24, 39, 40, 96<br />

Informationszeitalter 68<br />

<strong>in</strong>formativ 132, 167<br />

<strong>in</strong>härent 47, 145<br />

Inkohärenz 29, 156, 158, 166, 177, 178<br />

Innenperspektive 31, 220<br />

Inspiration 108, 128<br />

Integration 57, 133, 158, 163, 166, 219, 221,<br />

223<br />

Integrationsebenen 43<br />

Intelligenz 167–171, 223, 232 –234, 238<br />

<strong>in</strong>tentional 83, 133<br />

Intentionaler Resonanzraum 191, 220<br />

Intentionalität 38, 52, 53, 149, 155, 162,<br />

172, 175, 192, 193, 197, 220, 223<br />

Interaktionen 26, 43, 84, 137, 189<br />

Interferenz 72, 75<br />

<strong>in</strong>tersubjektiv 39, 40, 56, 226<br />

Intervention 17, 18, 86, 137<br />

Introspektion 31<br />

Intuition 30, 56, 81, 94, 108, 132, 138, 140,<br />

179, 193, 195, 197, 226, 233<br />

<strong>in</strong>tuitiv 132, 194<br />

243


Anhang<br />

244<br />

Jesus 21<br />

Kapital 116<br />

Katja 164, 165, 178, 179<br />

Kauffman, Stuart 96, 234<br />

Kausalität 63, 73, 134, 143, 159, 222<br />

Kausallogik 107, 112, 134, 136, 137, 138, 140,<br />

141, 149, 150, 172, 177, 180, 224<br />

kausallogisch 135<br />

Kilo 37, 38, 62<br />

K<strong>in</strong>der 43, 45, 96, 127, 144, 171, 192, 220,<br />

225<br />

Kle<strong>in</strong>, Stefan 86, 132, 140, 145, 168, 234<br />

Kle<strong>in</strong>e, das 61, 119, 151, 180<br />

Kle<strong>in</strong><strong>in</strong>g, Gerhard 176, 191, 197, 234<br />

Klimakrise 55, 179<br />

kognitive Dissonanz 158<br />

Kohärenz 24, 29–35, 48, 49, 50, 53, 56, 61,<br />

63, 77–84, 96, 100–107, 113, 120, 121,<br />

126, 139, 140, 143, 147, 151, 152, 156, 166,<br />

173–177, 183, 186, 188, 191–193, 213, 217,<br />

218, 220, 221, 226, 229<br />

Kohärenzgefühl 173, 220, 221<br />

Kohärenzmodus 48, 51, 101, 115, 176, 190,<br />

191, 221<br />

Kohärenzmotivation 94<br />

Kohärenzregulation 120, 121, 130, 166, 188<br />

kokreativ 46, 115, 221<br />

Kokreativen Raumes KoRa 197<br />

Kokreativität 195, 197<br />

Kommerzialisierung 103<br />

Kommunikation, analoge 41<br />

Kommunikation, digitale 41<br />

Kommunikationskanäle 78, 79<br />

Kommunikationsmuster 84, 222<br />

Kommunikationstheorien 31, 232<br />

Kommunikationswissenschaft 22, 70,<br />

162, 236<br />

kommunikativ schöpferisch 176<br />

komplementär 60, 65, 70, 96, 146, 177<br />

komplex 41, 51, 52, 96, 100, 104, 106, 126,<br />

132, 140, 163, 164, 172<br />

Komplexe Zahlen 104, 118<br />

Komplexität 15, 41, 42, 51, 79, 84, 103, 104,<br />

105, 108, 115, 118, 119, 126, 140, 166, 169,<br />

170, 173, 178, 215, 222, 223, 224<br />

Komplexitätsforschung 69, 82, 96, 100,<br />

102, 108, 222, 233<br />

Konkurrenz 114<br />

Konsistenz 102<br />

Konstruktivismus 222<br />

Kontrolle 36, 172<br />

Konvergenz 80, 138, 222<br />

konvergieren 79<br />

Kooperation 32, 39, 43, 47, 52–55, 94, 107,<br />

115, 122, 149, 155, 161, 171, 189–194, 220,<br />

222, 235, 236, 238<br />

Kooperationspartner 38<br />

kooperativ 133<br />

Körperfunktionen 91, 113, 219<br />

Köstler, Arthur 34<br />

krank 50, 69, 129, 170, 236<br />

Krankheit 53, 173, 232<br />

Krankheiten, nicht ansteckende 160<br />

Kreativ 20, 92, 138, 171, 175<br />

Kreativität 72, 141, 145, 148, 154, 155, 169,<br />

171, 173, 175, 197, 220, 235<br />

Krebskranken 53, 159<br />

Krieg 49, 86, 116, 156<br />

Kuhn, Thomas S. 234<br />

Kultivieren 47, 53, 54, 70, 83, 112, 132, 133,<br />

135, 161, 162, 172, 175, 176, 179, 197, 218<br />

Kultur 35, 44, 94, 96, 115, 119, 151, 152, 154,<br />

158, 161, 174, 175, 193, 223, 229, 230, 231,<br />

233, 235<br />

Künstliche Intelligenz KI 118, 139, 140,<br />

167–171, 174<br />

Kurzweil, Ray 114, 117<br />

Kybernetik 102, 110, 223<br />

Leben weitergeben 93<br />

Lebensdimensionen 32, 34, 35, 43, 44, 82,<br />

129, 147, 154, 161, 187, 218, 219, 223, 225,<br />

230<br />

Lebensstil 36<br />

Lebenswissenschaftler<strong>in</strong>nen 25


Index<br />

Lebewesen 25, 47, 49, 72, 73, 75, 77, 97,<br />

100, 111, 113, 116, 120, 123, 144, 148, 152,<br />

166, 169, 174, 176, 213, 215, 221, 229<br />

Lehmann, Nadja 30, 235, 237<br />

Leitmotivation 47<br />

Lernen 45, 71, 123, 125, 126, 127, 128, 129,<br />

130, 144, 145, 161, 162, 167, 187, 224, 225<br />

lernen<strong>des</strong> System 198<br />

Lernzyklus 130<br />

Lesch, Harald 24, 234<br />

LeShan, Lawrence 53, 234<br />

Lichtgeschw<strong>in</strong>digkeit 60, 76, 77, 216<br />

Liebe 48, 144, 170, 171, 237<br />

lik<strong>in</strong>g 94, 221<br />

limbische Ebene 43<br />

limbisches System 157<br />

l<strong>in</strong>ear 72, 73, 132, 136, 145<br />

Lloyd, Seth 59<br />

Logik 71, 134, 135, 137, 140, 151, 152, 154, 156,<br />

167, 170, 172, 177, 180, 181, 214, 224<br />

Logik <strong>des</strong> Informierens 180, 181<br />

Logik, komplexe 140<br />

Logiken 6, 73, 105, 112, 131, 132, 133, 135,<br />

146–181, 224<br />

Logiken, systemische 151, 166<br />

Lösungslogik 140, 175, 180, 181<br />

Lown, Bernard 20, 35, 73, 85, 145, 234<br />

Lügen 86<br />

Luhmann, Niklas 39, 121, 151, 234<br />

Mach, Ernst 134, 135, 136<br />

Macht 20, 28, 38, 40, 49, 51, 54, 62, 63, 65,<br />

69, 112, 135, 140, 152, 167, 175, 191, 215,<br />

221, 225, 226, 228, 233, 234, 238<br />

Magnetfeld 75, 76<br />

Markus 89, 119<br />

Masch<strong>in</strong>e 47, 101, 172, 187<br />

Masch<strong>in</strong>en 54, 167, 168, 169, 170, 171, 172,<br />

174<br />

Masch<strong>in</strong>enparadigma 136<br />

Maslow, Abraham 132, 234<br />

Masse 18, 31, 56, 60–66, 73, 77, 215, 216,<br />

219<br />

Massenkommunikation 74<br />

Maßstab 44, 45, 77, 84, 171<br />

materialistisch 23, 39, 103, 104, 114, 115,<br />

116, 132–135, 172, 179, 213<br />

Materie 18, 22, 23, 25, 29, 31, 60, 65, 66,<br />

76– 83, 94, 95, 100, 149, 172, 219, 233<br />

Maturana, Humberto 121, 161, 234<br />

Medien 28, 73, 74, 118, 229<br />

Medien, soziale 74, 229<br />

Medikamente 16, 19, 137<br />

Mediz<strong>in</strong> 17, 25, 26, 44, 51, 52, 69, 86, 101,<br />

102, 136, 158, 159, 160, 187, 194, 217, 223,<br />

231, 232, 234, 235, 236<br />

Mediz<strong>in</strong>studium 158, 178<br />

mehrdimensional 35, 137<br />

Mehrdimensionalität 104<br />

Menschheit 43, 47, 48, 57, 66, 102, 107,<br />

131– 135, 148, 152, 174, 193, 214, 225, 229,<br />

230<br />

Menschliche, das 24, 33, 40, 63, 82, 114,<br />

120, 133, 140, 145, 147, 154, 168, 171, 172,<br />

179, 189, 193, 215, 221, 226, 228, 232, 238<br />

Metabeziehung 83, 161<br />

Metareflexion 6, 39, 42, 45, 46, 54, 57, 118,<br />

159, 160, 163, 188<br />

Metasubjekt 40, 44, 56, 116, 225, 226<br />

metasubjektiv 39<br />

metativ 39, 40, 41, 49, 56, 128, 188, 225,<br />

226<br />

Metativität 45, 188<br />

Mikrotubuli 77<br />

Mitgefühl 133, 141, 158, 171<br />

Mitgestalten 87, 93, 98, 133, 140, 151, 162,<br />

177, 179, 180<br />

Mitgestaltung 95, 107, 154, 180, 218, 227<br />

Mitgestaltungspotential 175<br />

Mitte 22, 120, 130, 195<br />

Mittelalter 160<br />

Mitverantwortung 47<br />

Mitwissen 33, 55, 153, 155, 171, 192, 193,<br />

226<br />

Moderation 197<br />

Möglichkeiten 35, 70, 78, 80, 93, 99, 103,<br />

112, 121, 125, 168, 196, 226, 227, 231<br />

245


Anhang<br />

246<br />

Möglichkeitsraum 80, 110, 111, 120, 129,<br />

139, 140, 170, 177, 195, 217, 226<br />

Moment 28, 77, 109, 126, 161<br />

Moody’s 117, 234<br />

morphogenetisches Feld 76<br />

Motivation 51, 67, 124, 126, 127, 149, 150,<br />

162, 181, 193, 218, 220, 232, 234<br />

motivationale E<strong>in</strong>stellungen 35, 53, 86,<br />

173<br />

nachhaltig 133, 170, 175, 194<br />

Nachricht 27, 61, 86, 143<br />

narzisstisch 121<br />

Nationalsozialismus 116, 155<br />

Natur 54, 55, 68, 70, 78, 89, 101, 104, 119,<br />

120, 121, 134, 135, 136, 142, 146, 170, 174,<br />

176, 179, 180, 189, 231, 233, 236<br />

Naturgesetze 54, 62, 63, 64, 66, 73, 87, 97,<br />

139, 148, 225<br />

Naturwissenschaften 24, 25, 53, 54, 75,<br />

89, 99, 110, 134, 138, 141, 158, 163, 179<br />

Nebenwirkungen 20, 36, 86, 117, 179<br />

Negentropie 98, 227<br />

Neutralität 40, 213<br />

nichtlokal 56, 73, 97, 104, 112, 122, 126, 129,<br />

139, 148<br />

Nocebowirkung 19<br />

Normen 44, 45, 66, 128, 129, 158<br />

Objekt 39, 53, 54, 55, 84, 158, 161, 214<br />

objektiv 40, 47, 56, 61, 158, 225<br />

Objektivität 40, 54, 55, 158, 159, 160, 163,<br />

235<br />

Ökonomie 66, 117<br />

Opfer 55, 56, 124, 152, 156, 175, 225, 228,<br />

237<br />

Ordner 76, 119, 120, 228<br />

Ordnung, künstliche 147<br />

Ordnungspotential 23, 99<br />

Organismus 19, 27, 43, 52, 85, 90, 93,<br />

99–102, 106, 107, 113, 137, 144, 149, 171,<br />

190, 192, 195, 213–216, 223, 226, 228,<br />

233<br />

Orientierung 53, 77, 108, 219, 220, 227<br />

Oszillator 79<br />

Ottawa-Charta 151, 187<br />

paradox 23, 109<br />

Parentifizierung 178, 227<br />

partizipativ 132<br />

partnerschaftlich 155<br />

Pathogenese 227<br />

Penrose, Roger 77, 235<br />

Persönlichkeitsebene 43<br />

Petzer, Tatjana 46, 89, 103, 233, 235<br />

Photonen 76, 77, 80, 169, 170, 226<br />

Placebo 16, 18, 19, 20, 21, 85, 137, 231, 234<br />

Placeboforschung 16, 17, 20, 22, 25, 30, 50,<br />

137, 159, 236<br />

Placebowirkung 16, 18, 85<br />

Plastizität 90<br />

Platon 70, 111, 118, 192<br />

Plume 36, 37, 38, 50, 146, 179<br />

Polanyi, Karl 107, 236<br />

Politik 30, 49, 183, 193, 238<br />

Prigog<strong>in</strong>e, Ilya 63, 236<br />

Primaten 138<br />

Probleme 57, 133, 155, 156, 176<br />

Programme 168, 170<br />

Psyche 159<br />

Psychosomatik 159<br />

Qualität 23, 28, 39, 56, 61–69, 81, 82, 87,<br />

105, 141, 149, 154, 173, 180, 215<br />

qualitativ 17, 22, 229<br />

Quanten 64, 68<br />

Quantenphysik 64, 69, 76, 81, 103, 148,<br />

169, 226<br />

quantifizierbar 22, 66<br />

Quelle 30, 232<br />

Rabenvögel 138<br />

Rau, Harald 60, 162, 236<br />

Realität 61, 65, 66, 76, 80, 90, 104, 105,<br />

106, 123, 132, 154, 194, 216, 217, 225, 226


Index<br />

rechthaberisch 132<br />

Reduktion 80<br />

reellen Zahlen 104<br />

Reflexion 6, 16, 24, 30, 38–46, 55, 56, 57,<br />

63, 64, 67, 70, 84, 95, 100, 112, 122,<br />

125–128, 142, 155, 160, 161, 165, 175, 178,<br />

196, 223<br />

Reflexionsebenen 42<br />

Reich, Wilhelm 156<br />

Reiz-Reaktion 162, 225<br />

Rekursivität 121<br />

Religion 156, 184, 203-206, 208, 209, 232<br />

Remissionen 53<br />

Resilienz 227, 228<br />

Resonanz 18–25, 30, 31, 41, 46, 54, 56,<br />

67–91, 99, 106, 107, 111, 112, 122, 124, 125,<br />

129, 139–155, 163, 168, 174, 175, 180,<br />

195–197, 220, 224, 228, 232, 235, 237<br />

resonanzbasierte Mediz<strong>in</strong> 85<br />

Resonanzfähigkeit 22, 32, 35, 79, 84, 112,<br />

116, 170, 228<br />

Resonanz<strong>in</strong>strumente 30<br />

Resonanzlogik 140, 141, 142, 180, 181, 192,<br />

224<br />

Resonanzneuronen 127, 144<br />

Resonanzphänomen 76<br />

Ressourcen 26, 51, 124, 178<br />

Revolution 236<br />

Ridley, Matt 114, 117<br />

Risikofaktoren 36, 38<br />

Ritter, Joachim 85, 237<br />

Roboter 54<br />

Rodi, Frithjof 177, 237<br />

Rosa, Hartmut 71, 74, 115, 142, 163, 237<br />

Roth, Gerhard 43, 90, 157, 237<br />

Rückkopplung 30, 227<br />

salutogen 228<br />

Salutogene Kommunikation 145, 166,<br />

194<br />

Salutogenese 46, 53, 98, 112, 160, 196, 197,<br />

214, 228, 231, 234– 237<br />

Salutogenic Reflect<strong>in</strong>g Team 179, 218<br />

Same 83, 89, 95<br />

Sauerstoff 75, 93, 189<br />

Säugl<strong>in</strong>g 43, 94, 216<br />

Schachspiel 139, 170, 227<br />

Schäfer, Lothar 177, 237<br />

Schallwellen 32, 78, 79, 143<br />

Sche<strong>in</strong>behandlung 16<br />

Scheitern 127<br />

Schiepek, Günter 83, 124, 237<br />

Schipperges, He<strong>in</strong>rich 237<br />

Schlaganfall 36, 146<br />

Schleiermacher, Friedrich 177<br />

Schlüssel-Schloss-Pr<strong>in</strong>zip 143, 144<br />

Schlussfolgern 133, 140, 141, 155, 180, 214,<br />

215, 224<br />

Schlussfolgerungen 132, 133, 137, 138, 150,<br />

151, 154, 180, 181<br />

Schnabel, Peter Ernst 30, 237<br />

schöpferisch 1, 3, 7, 16, 72, 92, 132, 146, 176,<br />

179, 183, 194<br />

Schopp, Johannes 197, 237<br />

Schröd<strong>in</strong>ger, Erw<strong>in</strong> 63, 100, 237<br />

Schule 45, 96, 104, 119, 127, 134, 157, 192<br />

Schulz v. Thun, Friedemann 162, 237<br />

Schwab, Klaus 117<br />

Schwantes, Ulrich 194<br />

Schw<strong>in</strong>gungsfähigkeit 32, 69, 73, 90,<br />

140, 141, 143<br />

Schw<strong>in</strong>gungsmuster 69, 143<br />

Scott, John 51, 150, 183, 237<br />

Seele 64, 67, 101, 120, 121, 231, 232<br />

Selbstheilungsfähigkeit 46, 101, 187, 188,<br />

228<br />

Selbsthilfegruppen 107<br />

Selbstorganisation 6, 89, 104, 112, 119,<br />

120, 121, 122, 123, 145, 149, 228, 235, 238<br />

Selbstregulation 21, 35, 42, 47, 53, 72, 93,<br />

99, 111, 114, 122, 125–129, 137, 145, 154,<br />

166, 178, 186–188, 195, 228, 233, 236<br />

selbstregulativ-transformatorisch 21<br />

Selbstvertrauen 175<br />

Selbstwirksamkeit 122<br />

Selektion 113, 152, 213<br />

Selektionspr<strong>in</strong>zip 113 247


Anhang<br />

248<br />

Sender 6, 28, 29, 31, 32, 72, 74, 86, 92, 142<br />

Sexualität 156<br />

Sheldrake, Rupert 76, 78, 120, 237<br />

Sicherheit 49, 114, 172, 173, 189, 190, 198<br />

Signale 19, 29, 31, 56, 60, 77, 91, 102, 124,<br />

221<br />

Signalübertragung 77, 168<br />

Simmons, Michael 114, 117, 238<br />

Simonyi, Karoly 25, 134, 238<br />

S<strong>in</strong>ger, Wolf 60, 90, 103, 238<br />

S<strong>in</strong>gularität 154<br />

S<strong>in</strong>n 42, 49, 75, 111, 122, 148, 157, 161, 176,<br />

220, 221, 229, 235<br />

S<strong>in</strong>nesorgan 125, 138, 143, 221<br />

S<strong>in</strong>nesreize 79<br />

S<strong>in</strong>nhaftigkeit 49, 52, 118<br />

smart 172<br />

Soll-Zustand 35, 42, 52, 93, 94, 125, 126,<br />

127, 188<br />

sowohl-als-auch 118, 170<br />

Sozial 27, 116, 229, 231<br />

sozial-darw<strong>in</strong>istisch 116<br />

Spannung 27, 166, 194<br />

Spitzer, Manfred 90, 238<br />

Sport 36, 37, 38, 52<br />

Sprache 32, 41, 44, 56, 90, 94, 144,<br />

157–162, 221, 223<br />

Sprache, diesseits der 162<br />

Sprache, geme<strong>in</strong>same 32, 56<br />

Sprache, jenseits der 162<br />

Sprache, oberhalb der 162<br />

Sprache, unterhalb der 162<br />

spukhafte Fernwirkung 77<br />

Stabilität 198<br />

Stengers, Isabelle 63, 236<br />

Stephan, Achim 46, 146, 238<br />

Sterben 20, 174<br />

stimmig 47, 48, 72, 188, 191<br />

Stimmigkeit 42, 43, 46, 49, 93, 102, 121,<br />

125, 147, 150, 154, 166, 187, 188, 193, 195,<br />

218, 220, 236<br />

Stimmigkeitsregulation 126<br />

Stress 37, 51, 74, 164, 166, 170, 173, 191, 229<br />

Stressachse 213, 229<br />

Stresserkrankungen 115, 173<br />

Stressmodus 50, 113<br />

Sturmberg, Joachim P. 96, 103, 232, 237,<br />

238<br />

Subjekt 32, 39, 43, 46, 49, 53–56, 90, 112,<br />

116, 118, 152, 161, 162, 163, 172, 176, 187,<br />

196, 225, 226, 236<br />

Subjekt-Objekt-Beziehung 53, 55, 161<br />

Subjektivität 55, 158, 163, 235<br />

Suchtpatienten 94<br />

Superpositionspr<strong>in</strong>zip 77<br />

Sympathikotonus 51, 229<br />

synchron 76, 78<br />

Synergetik 102, 120, 228, 233<br />

synergetisch 132, 191<br />

Synergie 233, 235<br />

syntaktisch 28, 61<br />

Systemdimension 34, 154, 223, 229, 230<br />

systemisch 121, 132, 193<br />

Systemkohärenz 147<br />

Systemlogiken 140, 224, 230<br />

Systemtheorie 104, 151, 220, 233, 234<br />

taoistisch 67<br />

Täter-Opfer-Beziehung 55<br />

Team 179, 218<br />

Technik 17, 24, 49, 53, 54, 55, 108, 117, 120,<br />

135, 136, 171, 173, 174, 179<br />

technisch 53, 54, 120, 133, 137, 141, 223,<br />

224, 230<br />

Teilsysteme 31, 43, 78, 100, 105, 106, 107,<br />

147, 150, 151, 152, 166, 192, 193, 229<br />

Teleologie 110, 111<br />

Temperaturregulation 113<br />

Theologica Practica 156<br />

Theorie 22, 23, 25, 39, 100, 102, 140, 166,<br />

234–238<br />

Therapeut<strong>in</strong>nen 26, 94, 121<br />

Thermodynamik 62, 64, 67, 146, 217<br />

Thurner, Stefan 96, 103, 238


Index<br />

Tisch 92, 94, 95<br />

Tod 20, 110, 111, 172, 173<br />

Tomasello, Michael 94, 155, 189, 192, 193,<br />

220, 222, 238<br />

Top-down 34, 140, 151, 154, 155, 156, 167,<br />

177, 180, 192, 218, 224, 230<br />

transformieren 20, 74, 145<br />

transkulturelle 174<br />

Übergang 15, 99, 107, 147, 157, 174, 175, 223,<br />

224, 230, 231<br />

Überleben 49, 113, 114, 115, 116, 117<br />

Übersysteme 33, 63, 107, 121, 150, 151, 152,<br />

154, 171, 176, 192, 213, 226<br />

Uexküll, Thure v. 136, 194, 238<br />

Ungewissheit 105, 163, 167, 168, 172–175<br />

Universums 24, 73, 87<br />

Unsicherheit 163<br />

Unterschied 16, 18, 56, 62, 63, 69, 90, 94,<br />

144, 145, 155, 176, 180, 221, 226<br />

unvorhersehbar 74<br />

Unvorhersehbarkeit 104<br />

Ursache 25, 63, 73, 115, 132–139, 146, 150,<br />

158–160, 165, 166, 176, 177<br />

Ursache-Wirkungs-Pr<strong>in</strong>zip 73<br />

USA 86, 156<br />

Utopie 149<br />

Verantwortung 43, 49, 81, 120<br />

Verantwortungsbewusstse<strong>in</strong> 33<br />

Verarbeitungssystem 219<br />

verbal 26, 44, 86, 91, 229<br />

Verborgenheit 17, 52, 233<br />

Verbundenheit 21, 32, 48, 56, 72, 115, 125,<br />

142, 159, 180, 220, 221<br />

Vergangenheit 30, 104, 105, 110, 126, 134,<br />

170, 177<br />

Verlockung 49<br />

Vermeidungssystem 48, 213<br />

Verschränkung 76, 77, 78, 103, 109<br />

Vertrauen 21, 81, 105, 108, 124, 163, 165,<br />

170, 175, 198, 230, 235<br />

Verwandtschaft 77<br />

verzichten 54<br />

virtuelle Informationssphäre 110<br />

Virus 49, 91, 214, 231<br />

Vision 122, 149, 172, 177, 224, 238<br />

Vollständigkeit 102, 152<br />

Vorbild 127<br />

Vorstellung 52, 90, 91, 92, 94, 110, 122,<br />

136, 148, 195, 196<br />

Vorstellungsfähigkeit 63<br />

Wachstum 149, 166, 234<br />

Wahrheit 40, 44, 56, 119, 161, 226<br />

Wahrheiten 40<br />

Wahrnehmen 31, 56, 69, 79, 80, 81, 115,<br />

123, 124, 125, 130, 138, 143, 145, 195, 214<br />

Wahrsche<strong>in</strong>lichkeitsfeld 77<br />

Wandel 89<br />

want<strong>in</strong>g 93, 94, 221<br />

Watzlawick, Paul 15, 26, 41, 238<br />

Wechselwirkungen 24, 76, 79, 104, 134,<br />

136, 151, 167, 180<br />

Wellen 68, 72, 78, 79, 96, 143<br />

Wellengleichung 64, 68, 76, 148, 169, 226<br />

Weltresonanztheorie 25, 142<br />

Weltsicht 67, 119<br />

Werbung 30, 49<br />

Werdende, das 107<br />

Werte 36, 43, 45, 66, 67, 128, 129, 230<br />

werteorientiert 66<br />

Wesen 23, 24, 63, 64, 137, 142, 173, 188, 215<br />

Wesiack, Wolfgang 136, 238<br />

Wettbewerb 113, 114, 116, 117, 157<br />

Wettbewerbsideologie 113<br />

Wettkampf 152<br />

Wheeler, David 22<br />

WHO 43, 150, 187<br />

Wirksamkeit 18, 28, 35, 53, 71, 108, 145<br />

Wirkstoff 16, 20<br />

Wissenschaft 39, 40, 47, 162, 183, 222,<br />

228, 231–237<br />

Wissenschaftler<strong>in</strong>nen 22, 25, 54, 55, 62,<br />

103, 105, 151, 161, 189, 214, 217 249


Anhang<br />

Wunder 20, 180, 215<br />

Wundheilung 98, 99, 100, 106<br />

Wunschlösung 177, 188<br />

Würde 154, 170, 234<br />

Y<strong>in</strong>-Yang 67, 81, 87<br />

Zeil<strong>in</strong>ger, Antoon 39, 77, 78, 110, 238<br />

Zeitlosigkeit 109, 126<br />

Zelle 25, 148, 149, 231<br />

zentrifugal 64, 67<br />

zentripetal 67<br />

Ziel 27, 35, 37, 38, 45, 48, 50, 52, 53, 72, 94,<br />

106, 107, 110, 111, 112, 122, 125, 126, 127,<br />

152, 155, 177, 178, 179, 181, 189, 215, 219,<br />

223, 224, 235<br />

Zielgerichtetheit 107, 122<br />

Zielorientierung 93<br />

zirkulär 132, 154, 197<br />

Zirkularität 104<br />

Zivilisationserkrankungen 179<br />

Zivilisationskrankheiten 74, 117, 129<br />

Zucker 18, 144<br />

Zufall 62, 63, 120<br />

Zugehörigkeit 35, 158, 193, 233<br />

Zukunft 30, 55, 87, 92, 93, 98, 99, 104, 105,<br />

109–114, 122–126, 129, 169, 171, 172, 177,<br />

188, 198, 226, 235–237<br />

Zusammenhang 25, 33, 36, 50, 63, 64, 66,<br />

71, 95, 102, 105, 106, 113, 133, 135, 141, 151,<br />

217, 218, 220, 224<br />

Zusammenschau 167<br />

zwischenmenschlich 20, 84, 115, 133, 141,<br />

218, 225<br />

250


Bibliografische Informationen der Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation <strong>in</strong> der Deutschen National -<br />

bibliografie; detaillierte bibliografische Daten s<strong>in</strong>d im Internet<br />

unter www.dnb.d-nb.de abrufbar.<br />

© 2021 Verlag Gesunde Entwicklung, Bad Gandersheim<br />

2., überarbeitete Auflage 2022<br />

Barfüßerkloster 10, 37581 Bad Gandersheim<br />

Tel: +49 (0)53 82-955 47-0 Fax: +49 (0)53 82-955 47 12<br />

E-Mail: verlag@geen.de<br />

www.verlag.gesunde-entwicklung.de<br />

www.geen.de<br />

Grafik und Layout: Margrit Stüber<br />

Druck: PRESSEL Digitaler Produktionsdruck, Remshalden<br />

ISBN:978-3-9813922-9-6


Theodor Dierk Petzold ist Facharzt für Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong> mit Schwerpunkt<br />

Psychosomatik und hat Lehraufträge an verschiedenen Mediz<strong>in</strong>ischen Hochschulen.<br />

Seit se<strong>in</strong>er Jugend beschäftigt ihn die Frage: Wie spielen Geist und Körper zusammen?<br />

Se<strong>in</strong> Anliegen ist e<strong>in</strong>e entwicklungsorientierte Integration von Geist<br />

und Körper – sowohl wissenschaftlich theoretisch als auch praktisch. 1984 hat<br />

er das Geme<strong>in</strong>schaftsleben <strong>in</strong> Heckenbeck <strong>in</strong>itiiert und seitdem wesentlich<br />

mitgeprägt (s. NDR-»Heckenbeck-Film«: »Dorf macht glücklich«).<br />

Das erste Ergebnis se<strong>in</strong>er umfassenden theoretischen Arbeit hat er im Jahr<br />

2000 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em vierteiligen Buchzyklus »Heilen<br />

– Evolution im Kle<strong>in</strong>en. Gesundheit ist ansteckend!«<br />

veröffentlicht.<br />

Dann hat er <strong>in</strong> der Praxis die Salutogene Kommunikation<br />

SalKom ® entwickelt. In dieser Praxis<br />

entstand e<strong>in</strong> <strong>neue</strong>s Verständnis e<strong>in</strong>er gesunden<br />

menschlichen Psychodynamik, die <strong>in</strong><br />

Richtung Kohärenz strebt.<br />

2004 gründete er das Zentrum für Salutogenese<br />

<strong>in</strong> Bad Gandersheim und leitet dieses. Er<br />

hat den Dachverband für Salutogenese DachS<br />

mitgegründet und war bis 2019 <strong>des</strong>sen Sprecher<br />

und Mitherausgeber der Zeitschrift für<br />

Salutogenese DER MENSCH.<br />

2010 erschien se<strong>in</strong> Buch »Gesundheit ist ansteckend – Praxisbuch Salutogenese«,<br />

das schnell zum Bestseller zum Thema Salutogenese wurde. Weiter hat er <strong>in</strong>sgesamt<br />

über hundert Artikel <strong>in</strong> Fachzeitschriften und Büchern veröffentlicht.<br />

In se<strong>in</strong>em letzten Buch »Drei entscheidende Fragen – Salutogene Kommunikation<br />

zur gesunden Entwicklung« gibt er e<strong>in</strong>e Kompaktdarstellung der Methode der Salutogenen<br />

Kommunikation SalKom® und ihrer zugrundeliegenden salutogenetisch<br />

orientierten, systemischen Psychologie.<br />

Se<strong>in</strong>e derzeitigen Arbeitsschwerpunkte liegen <strong>in</strong> der Aus- und Weiterbildung<br />

und Supervision und Referententätigkeit sowie <strong>in</strong> der Arbeit an e<strong>in</strong>er systemischen<br />

und evolutionären Meta-Theorie für Gesundheitsberufe.<br />

www.salutogenese-zentrum.de<br />

www.gesunde-entwicklung.de<br />

www.globale-ethik-blog.net<br />

Kontakt:<br />

Barfüßerkloster 10, 37581 Bad Gandersheim;<br />

Tel: 0049(0)5382-95547-0 Fax: -12<br />

E-Mail: theopetzold@salutogenese-zentrum.de


9 783981 392296<br />

Schöpferisch <strong>kommunizieren</strong> beg<strong>in</strong>nt mit e<strong>in</strong>em<br />

Denken <strong>in</strong> Resonanz zur schöpferischen Natur.<br />

In e<strong>in</strong>er Zeit, <strong>in</strong> der die kommerziell getriebene<br />

Technik droht, unsere Lebensgrundlage zu<br />

zerstören, wird es erforderlich, das Denken zu<br />

reflektieren, das <strong>in</strong> diese Sackgasse der menschlichen<br />

Evolution geführt hat.<br />

TD Petzold bleibt nicht bei dieser Meta reflexion<br />

stehen, sondern ordnet auf dem H<strong>in</strong>tergrund<br />

e<strong>in</strong>es <strong>neue</strong>n umfassenden Verständnisses von<br />

Information und Energie schöpferische Denkweisen<br />

wie Logiken <strong>des</strong> Informierens. Daraus folgert<br />

er Kommunika tionsweisen, mit denen wir unse -<br />

re gesunde Entwicklung <strong>in</strong> der Zukunft bewusst<br />

und kokreativ mitgestalten können – <strong>in</strong> Resonanz<br />

mit unseren Umwelten.<br />

2., überarbeitete Auflage

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