50 POW! BANG! ZAFF! POW! BANG! ZAFF! Interview mit den Post-Punk-Newcomern KALTE HAND H ör dir mal „Kalte Hand“ an, hat mir kürzlich Ronny Pinkau vom Augsburger Label „Kleine Untergrund Schallplatten“ empfohlen. Schon nach wenigen Minuten war klar, DAS ist der spannendste Newcomer der Stadt! Dunkler und treibender Post-Punk, der seine Wurzeln in den früheren 80er Jahren hat. Mit ihrer neuen EP startete das Trio durch, im September folgte bereits eine Tour zwischen Berlin und Linz. Walter Sianos traf Julian, Björn und Tobias zum allerersten Interview.
HEIMATKLÄNGE 51 Hallo Jungs, habt ihr in unserer letzten Ausgabe „Augsburg-Control“ gelesen? Tobias: Ja, haben wir… Und, was sagt ihr denn zum Output unserer Experten? Julian: Passt, bis auf den Vergleich mit DAF. Das macht keinen Sinn, seltsamerweise werden wir aber damit immer wieder konfrontiert. Den mit Abwärts kann man stehen lassen. Ihr seid Newcomer, aber trotzdem alte Hasen. Warum habt ihr Rauchaus aufgelöst? Tobias: Bei Rauchaus war die Luft raus, wir haben uns in den letzten zwei, drei Jahren nur noch durchgeschleppt. Wir haben kaum neues Material geschrieben und im Prinzip immer dasselbe Set gespielt, da kamen einfach keine Impulse mehr. Björn: Juli hat während der Pandemie angefangen, Songs zu schreiben und aufzunehmen, so ganz easy mit einem Kassettenrekorder. So entstand beispielsweise der Song „Autofrei“, das hat in uns neue Energie freigesetzt und wir haben einfach immer weiter gemacht. Julian: Wenn wir ehrlich sind, haben wir mit Rauchaus Musik gemacht, auf die wir gar nicht mehr standen. Wir hatten Bock auf Deutsch-Punk und Kalte Hand war letztendlich eine Erlösung für uns. Rauchaus war eine klassische Hardcore-Band. Kalte Hand haut zwar immer noch auf die <strong>12</strong>, die Musik ist aber zugänglicher geworden. Tobias: Wir sprechen jetzt ein breiteres Publikum an, aber das war gar nicht unser Kalkül, das ist einfach so entstanden. Julian: Wir machen jetzt auch nichts Superneues, aber vielleicht fällt das in Augsburg derzeit mehr auf als in anderen Städten. Die Vocals werden nicht mehr so geschrien, sie sind auf Deutsch und dadurch auch verständlicher. Naja, dazu gibt es auch andere Meinungen. Errdeka hat im Control gesagt: „Die Texte sind super, wenn man sie mal versteht, was aber auch so gewollt ist.“ Eure Lyrics wirken auf mich wie Comics: Pow! Bang! Zaff!, also knallige Wortfetzen, die hängen bleiben. Julian: Die Texte haben tatsächlich selten einen roten Faden oder eine durchgehende Story, sie sind sehr collagenhaft. Worum geht es beispielsweise beim Track „Agentur“? Julian: Es geht um ein Bewerbungsgespräch. Im Gegensatz zu den anderen Songs ist er eine Erzählung. Wir knobeln gerne gemeinsam, uns interessiert auch, was die Leute auf der Straße sprechen. Wir bearbeiten Redewendungen, wir verdrehen und entstellen sie und dadurch bekommen sie andere Assoziationsmöglichkeiten. Ist „Autofrei“ ein Statement? Julian: Das sieht in der Retrospektive jetzt tatsächlich so aus. Als ich den Song geschrieben habe, dachte ich mir, wenn ich schon Rummelpunk auf alt getrimmt probiere, dann muss er auch von der Thematik her veraltet sein. Was ist total veraltet? Autofreie Sonntage, wie es sie in den späten 70ern gab. Die Welt hat sich inzwischen ein paar Mal im Kreis gedreht und jetzt wird es uns langsam selber unheimlich. Ihr spielt viel in autonomen Zentren. Wie politisch seid ihr? Julian: Sehr! Wir bewegen uns auch oft in dieser <strong>Szene</strong>, das ist das, was uns interessiert, gerade dieser DIY-Spirit. Wir mögen diesen Kontext und wie die Leute vernetzt sind. Das hat mit dem normalen Musikbusiness nichts am Hut, da gibt es weniger spitze Ellbogen, man macht und kreiert zusammen Sachen, man kennt und hilft sich. Wenn ich eure Debüt- Platte höre, jagt es mir einen Deja Vu-Schauer über den Rücken. Ich denke da an Berlin 1980, an Post-Punk Bands wie Joy Division, Bauhaus, frühe Killing Joke oder Abwärts. Woher kommt diese Vorliebe? Tobias: Das hat nicht viel mit Nostalgie zu tun, mit diesem Faible sind wir nicht allein, es gibt aktuell sehr viele spannende Bands aus dieser Richtung wie etwa Splizz, Diät, AUS, Institute, Glaas oder Die Verlierer. Es gibt aber schon auch alte wie Crisis oder die Anarcho-Punker Crass, die uns inspirieren. Ihr habt mit beiden Bands schon ziemlich viel Live-Erfahrungen gemacht. Tobias: Wie schon gesagt, wir sind eine klassische DIY-Band und profitieren noch vom Netzwerk der alten Band. Julian hat da ein gutes Händchen und super Kontakte Julian: Ich bin schon früh in der Ballonfabrik mit dabei gewesen, wir haben dort viele Konzerte veranstaltet und natürlich baut man sich in so vielen Jahren ein Netzwerk auf. Es war aber trotzdem harte Arbeit und auch riskant, denn als ich mit dem Booking für die Tour begonnen habe, hatten wir gerade erst einen Song veröffentlicht, unsere Veranstalterin in Berlin kannte zunächst sogar nur eine Handyaufnahme. Es ist schon erstaunlich, als Newcomer so eine respektable Tour zu spielen. Julian: Die Veranstalter haben uns vertraut und letztendlich hat auch alles super geklappt. Egal ob in Berlin, Halle oder Linz, die Tour war von der ersten bis zur letzten Sekunde ein Erfolg. Björn: Das Publikum war auch sehr gemischt, Leute die Punk oder Wave hören, auch erstaunlich viele Leute über 50… Tobias: Die uns dann mit DAF verglichen haben (alle lachen). Meine Mutter konnte mit Rauchaus nicht viel anfangen, aber mit der neuen Band kann man sie inzwischen abholen. Seid ihr eine Band, die schnell Songs raushaut oder mehr die Tüftler und Konstrukteure? Björn: Wir haben die sechs Tracks der EP ziemlich schnell mit Michi Strassmair im Dropoutstudio aufgenommen. Wir konstruieren nichts am Reißbrett, wir spielen einfach so lange, bis die Parts stehen und drehen an den Rädchen, bis es cool ist. Tobias: Wir spielen ja schon lange zusammen, funktionieren als Trio super und haben jetzt schon wieder fast alle Songs für einen neue Platte im Kasten. Woher kommt eigentlich euer Name? Tobias: Björn kam damit um die Ecke. Björn: Wenn ich im Winter zum Rauchen auf den Balkon gehe und mich anschließend zu meiner Frau ins Bett lege, meint sie immer: Kalte Hand, kalte Hand. Das ist haften geblieben, klingt gut und sieht typografisch auch noch cool aus. Julian: Als Björn den Namen vorgeschlagen hat, haben wir gegoogelt und sind bei einem Artikel der Apotheken Umschau hängengeblieben. Da ging es um Symptome von kalten Händen. Es hat wohl mit mangelnder Blutversorgung zu tun, auch psychischer Stress kann ein Faktor sein. Als ob der Körper sich vor Angst dem Todeszustand anpassen würde. Fanden wir passend. Wohin darf euer Weg als Band noch führen? Julian: <strong>Neue</strong> Platte, viele Shows, vor allem mehr im Ausland spielen. Für das nächste halbe Jahr sind doch ziemlich viele neue Auftritte gebucht. Heuer spielen wir nur noch in der Ballonfabrik und mit den Augsburger Kollegen Das Format und The Violent Youth in Kaufbeuren. Nächstes Jahr geht es dann mit einer befreundeten Band aus Berlin zusammen auf Tour. (ws) www.kaltehand.bandcamp.com