procontra | Ausgabe 6/2023
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Dezember <strong>2023</strong> – Januar 2024 | <strong>Ausgabe</strong> 99 | Jahrgang 17<br />
Das freie Finanzmagazin<br />
Gökers neue Masche<br />
Wie Mehmet Göker mit dubiosen<br />
PKV-Wechselgeschäften von Dubai<br />
aus weiterhin abkassiert<br />
Arbeitskraft neu denken<br />
Mit welchen Produkten und Konzepten<br />
die Durchdringungsquote<br />
nachhaltig erhöht werden kann<br />
Billionen neu anlegen<br />
Wie Lebensversicherer auf den<br />
Transfer ablaufender Verträge<br />
(nicht) vorbereitet sind<br />
Was bringt<br />
die Zukunft?<br />
36 steile Thesen für 2024
Perfekt für<br />
die Ansprache<br />
vermögender<br />
Kund:innen<br />
ANSPRACHEIMPULSE VERMÖGEN<br />
Was bewegt<br />
vermögende Kund:innen?<br />
Das bestehende Portfolio diversifizieren und stabilisieren, steuerliche Regelungen geschickt nutzen<br />
und Vermögenswerte bewusst vererben oder vorzeitig schenken – das sind Themen, die vermögende<br />
Kundinnen und Kunden bewegen.<br />
Als Partner in der Vorsorge und im Vermögensaufbau bieten wir Lösungen:<br />
• Um bestehende Anlageportfolien durch den Zugang zu<br />
Renditechancen alternativer Anlageklassen zu erweitern<br />
• Um flexibel zu investieren und dabei Steuervorteile von<br />
Renten-/Lebensversicherungen zu nutzen<br />
• Für die frühzeitige Gestaltung der Vermögensübertragung<br />
→ Erfahren Sie mehr zu unseren Anspracheimpulsen<br />
bei Ihrer persönlichen Maklerbetreuung oder unter<br />
makler.allianz.de/vermoegen
EDITORIAL | 3<br />
»2024 – ein Jahr voller Chancen«<br />
Im Rückspiegel auf <strong>2023</strong> sind die turbulenten Zeiten<br />
noch sichtbar. Inflationsrekorde, Energiekrise und Zinswende<br />
belasteten die Geldbeutel jedes Einzelnen und erschwerten<br />
die Argumentation in der Beratung – beispielsweise<br />
um für die private Altersvorsorge zu aktivieren.<br />
Doch der Blick nach vorn lässt hoffen. Das Lohnniveau<br />
folgt allmählich den Teuerungen der vergangenen Monate,<br />
und die zurückgewonnene Kaufkraft wird spürbar. Die Inflation<br />
zeigt in Richtung Zielniveau, ein zaghaftes Wachstum<br />
der Wirtschaft wird prognostiziert – immerhin.<br />
Der richtige Zeitpunkt, um mit der Altersvorsorge zu<br />
starten, ist eh immer „jetzt“ – denn der Faktor Zeit ist von<br />
unschätzbarem Wert. Die digitale Rentenübersicht und<br />
Reformpläne zur (geförderten) Altersvorsorge geben auch<br />
von politischer Seite Grund zur Hoffnung auf ein erfolgreiches<br />
Beraterjahr 2024.<br />
Sicherlich klart sich der Altersvorsorge-Himmel durch<br />
die angesprochenen Faktoren etwas auf. Doch die Bewölkung<br />
durch Dauer-Provisionsdebatte, EU-Kleinanlegerstrategie<br />
oder verkorkste Pflicht zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen<br />
bleibt für Berater dicht. Hinzu kommen<br />
rufschädigende Auftritte von „Verbraucherschützern“ in<br />
reichweitenstarken TV-Formaten, die die Branche wieder<br />
um Jahre zurückwerfen. Die Herausforderungen ändern<br />
sich lediglich, ihre Anzahl aber bleibt. Doch die Branche<br />
erwies sich schon mehrfach als „Überlebenskünstler“ und<br />
geschickt darin, den (politischen) Knüppeln auszuweichen.<br />
Vielmehr treibt es ihre Innovationskraft an, was nicht nur<br />
neue Geschäftsfelder und Chancen hervorbringt, sondern<br />
auch ein lösungsorientiertes Umgehen mit schwierigsten<br />
Rahmenbedingungen.<br />
Liebe Makler, liebe Leser,<br />
die <strong>procontra</strong>-Redaktion wünscht Ihnen<br />
eine aufschlussreiche <strong>Ausgabe</strong>.<br />
www.<strong>procontra</strong>-online.de<br />
@<strong>procontra</strong>online<br />
facebook.com/<strong>procontra</strong><br />
Matthias Hundt<br />
Chefredakteur<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Inhalt Dezember<br />
<strong>2023</strong> bis Januar 2024<br />
16 26<br />
48<br />
8 Starke Statements Experten,<br />
Interviewpartner und Leser<br />
mit klarer Meinung<br />
Investmentfonds<br />
16 »Weltuntergangsszenarien<br />
verkaufen sich immer gut«<br />
Wie man selbst ernannte<br />
Börsengurus entlarvt<br />
20 Etikett mit Mehrwert?<br />
EUGBS – was hinter dem neuen<br />
Öko-Label für den Anleihemarkt<br />
steckt<br />
22 Stresstest für ESG-Fonds<br />
„Grün“ schränkt ein und kostet<br />
Rendite, oder?<br />
26 Gesunde Beimischung Der<br />
Gesundheitssektor performt<br />
und macht Depots konjunkturunabhängiger<br />
Steile Thesen 2024<br />
Was bringen die Finanzmärkte im<br />
kommenden Jahr? Wie entwickeln<br />
sich der Maklermarkt und das Angebot<br />
der Versicherer? Wie steil wird<br />
die Bauzinskurve?<br />
Insgesamt 36 gewagte Thesen für<br />
2024 auf dem Prüfstand<br />
»Wir müssen jegliche<br />
europarechtswidrige<br />
Eingriffe in den<br />
Markt verhindern.«<br />
Norman Wirth<br />
AfW-Bundesverband<br />
Versicherungen<br />
34 »Weniger Abschluss-, dafür<br />
mehr Bestandspflegeprovision«<br />
Der Inter-Vertriebsvorstand<br />
über die Pläne mit der<br />
AO und den Maklern<br />
36 Arbeitskraft durchdringen<br />
Wie Kunden ihre Arbeitskraft<br />
wertschätzen und dann leichter<br />
absichern können<br />
40 Der Billionentransfer Die<br />
Erbschaftswelle fordert Versicherer<br />
ihre Wiederanlage zu<br />
verbessern<br />
42 Energieschub fürs Geschäft<br />
Welche Beratungsansätze<br />
das Gebäudeenergiegesetz<br />
mitbringt<br />
46 pro & contra Genial oder<br />
überflüssig? Zwei Meinungen<br />
zur Zahnzusatzpolice<br />
48 Preisdruck wächst Mehrere<br />
Faktoren treiben derzeit die<br />
Kosten für den wichtigen<br />
Schutz von Wohngebäuden<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Impressum<br />
Verlag und Redaktion<br />
Alsterspree Verlag GmbH<br />
Firmensitz: Großer Burstah 50–52, 20457 Hamburg<br />
Postanschrift:<br />
Kurfürstendamm 173/174, 10707 Berlin<br />
Telefon: +49 (0 30) 232 56 27 00<br />
www.<strong>procontra</strong>-online.de<br />
Herausgeber Philipp B. Siebert<br />
Chefredakteur Matthias Hundt<br />
Art Director Niels Flender, Sabine Müller<br />
66 82<br />
Layout und Infografik Sabine Müller<br />
Bildredaktion Roman Kulon, Eleonora Mavromati,<br />
Jakob Bettin<br />
Berater<br />
60 So ist’s Recht Urteile, die<br />
Makler kennen sollten<br />
62 »Für uns macht eine Fusion<br />
keinen Sinn« Interview mit<br />
Dietmar Bläsing und seiner<br />
Nachfolgerin beim Volkswohl<br />
Bund, Stefanie van Holt<br />
66 Geldgeile Grüße aus Dubai<br />
Wie Mehmet Göker weiterhin<br />
abkassiert und wie seine neue<br />
Masche genau läuft<br />
72 Die aufgebrochene Norm<br />
Durch welche Anpassungen<br />
die DIN 77230 endlich Verbreitung<br />
finden soll<br />
74 Land der Ahnungslosen Die<br />
Regierung will Finanzbildung<br />
bei Verbrauchern stärker<br />
fördern. Davon würden auch<br />
Berater profitieren<br />
Sachwerte<br />
82 »Crowdfunding ist kein<br />
Sprint, sondern ein Marathon«<br />
Alternativen in der<br />
Finanzierung von Projektentwicklungen<br />
84 Besonnenheit im Zins-Battle<br />
Wie sich AIFs aktuell dem<br />
Zinsniveau von Tagesgeldern<br />
stellen müssen<br />
88 Ein Quäntchen Luxus Wie<br />
Fractional Ownership Vermögensgüter<br />
stückchenweise<br />
ermöglicht<br />
Rubriken<br />
3 Editorial<br />
5 Impressum<br />
6 Personen- und<br />
Firmenverzeichnis<br />
90 Privat gefragt Holger Iben<br />
von bessergrün mit privaten<br />
Einblicken<br />
Lektorat TextSchleiferei.de<br />
Textbeiträge Mailin Bartknecht, Florian Burghardt,<br />
Carla Fritz, Heike Gorres, Matthias Hundt, Mandy<br />
Lange, Oliver Lepold, Dr. Hans-Jörg Naumer, Hannah<br />
Petersohn, Imke Reiher, Stefan Terliesner, Martin<br />
Thaler, Jan Wagner, Anne Mareile Walter<br />
Coverillustration Eleonora Mavromati<br />
Anzeigenberatung Nadin Korte<br />
n.korte@alsterspree.de, +49 (0)40 6 07 71 29 24<br />
Anzeigendisposition<br />
Sabine Müller, s.mueller@alsterspree.de<br />
Verlagsgeschäftsführer<br />
Philipp B. Siebert, Tilman J. Freyenhagen<br />
Verantwortlich für diese <strong>Ausgabe</strong><br />
i. S. d. P. Matthias Hundt<br />
Druckerei MÖLLER PRO MEDIA® GmbH<br />
Zeppelinstraße 6, 16356 Ahrensfelde,<br />
www.moellerdruck.de<br />
Leserservice<br />
leserbetreuung@<strong>procontra</strong>-online.de<br />
Abonnement<br />
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Heftpreis: 4,80 Euro<br />
Jahresabonnement: 20 Euro für sechs <strong>Ausgabe</strong>n<br />
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© <strong>2023</strong> für alle Beiträge bei Alsterspree Verlag<br />
GmbH. Nachdruck, Aufnahme in Onlinedienste sowie<br />
Vervielfältigung auf Datenträger nur nach vorheriger<br />
schriftlicher Zustimmung.<br />
Hinweis Den Artikeln, Empfehlungen, Charts, Tabellen<br />
und Diagrammen liegen Informationen zugrunde,<br />
die die Redaktion für verlässlich hält. Trotz sorgfältiger<br />
Auswahl der Quellen kann für die Richtigkeit<br />
des Inhalts keine Haftung übernommen werden. Die<br />
in <strong>procontra</strong> gemachten Angaben dienen der Unterrichtung<br />
und sind keine Aufforderung zum Kauf oder<br />
Verkauf von Wertpapieren.<br />
Für Mitglieder der nachfolgend aufgeführten Verbände<br />
ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten:<br />
AfW Bundesverband Finanzdienstleistungen e. V.<br />
Votum Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungsunternehmen<br />
in Europa e. V.<br />
Unser Druck ist zu 100 % klimaneutral. Der Innenteil<br />
wird auf 100 % Recyclingpapier gedruckt.<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
6 | PANORAMA Unternehmens- und Personenverzeichnis<br />
Index<br />
Unternehmens- und Personenverzeichnis<br />
UNTERNEHMEN<br />
#1:1 Assekuranzservice_____ 59<br />
Allianz__9, 12, 23, 37, 41, 71, 75 f.<br />
Alphabet___________________ 23<br />
Alte Leipziger________________41<br />
AmexPool__________________ 59<br />
Amundi_____________________ 76<br />
ASC________________________ 59<br />
Ascore______________________ 44<br />
Askuma____________________ 59<br />
Assekurata______________ 31, 33<br />
Astra Zeneca_______________ 27<br />
Audemars Piguet___________ 89<br />
Backup WRD_______________ 69<br />
Barmenia________________29, 63<br />
Berkshire Hathaway_________16<br />
bessergrün_________________ 90<br />
BioNTech___________________ 27<br />
BlackRock__________________ 78<br />
Brandgilde_________________ 90<br />
BVT_________________________ 86<br />
Cap Gemini_________________ 40<br />
Clarus______________________ 59<br />
Coca-Cola__________________ 23<br />
Condor______________________37<br />
Continentale________________41<br />
dagobertinvest_____________ 82<br />
Deka________________________ 13<br />
Deloitte_____________________33<br />
DEMV______________________ 59<br />
DePeMa____________________ 59<br />
Deutsche Makler Akademie_ 64<br />
Dr. Klein____________________ 79<br />
DWS________________________ 23<br />
eke finance_________________ 59<br />
Eli Lilly______________________ 27<br />
Enser Versicherungskontor_43 f.<br />
Ergo_____________________39, 46<br />
Ferrari______________________ 88<br />
FHM_________________________14<br />
Fidelity_____________________ 26<br />
Finanzcheck Rhein Main____ 70<br />
Finexity___________________ 88 f.<br />
Fonds Finanz_______________ 59<br />
Franke und Bornberg________37<br />
Frankfurter Leben___________33<br />
Generali___________10, 33, 69 ff.<br />
Gothaer______________29, 37, 63<br />
Guidewire__________________ 64<br />
HDI__________________ 32, 34, 37<br />
Helaba______________________ 13<br />
Hg Capital__________________ 59<br />
Hiscox______________________ 89<br />
Hoesch & Partner___________ 38<br />
Hubert Brück_______________ 43<br />
Hypoport___________________ 59<br />
ImmobilienScout24__________81<br />
Infitech_____________________ 59<br />
Inter_______________________34 f.<br />
Interhyp___________________79 f.<br />
Itzehoer____________________ 90<br />
Janus Henderson___________ 27<br />
JLL__________________________81<br />
Johnson & Johnson_________ 27<br />
Jung, DMS & Cie.___________ 59<br />
Komm______________________ 59<br />
Landeslebenshilfe___________33<br />
LBBW_______________________81<br />
LV 1871______________________37<br />
MEG_______________________67 f.<br />
Merck______________________ 27<br />
Metzler______________________15<br />
Michaelis Rechtsanwälte___ 67<br />
Microsoft___________________ 23<br />
Morgen & Morgen___________37<br />
Netfonds___________________ 32<br />
Novo Nordisk_______________ 27<br />
Nürnberger_________________ 34<br />
Patek Philippe______________ 88<br />
Pepsi_______________________ 23<br />
Postbank____________________75<br />
Primus Valor________________ 85<br />
Qualitypool_________________ 59<br />
René Jäger_______________69 ff.<br />
Roche______________________ 27<br />
RWB________________________ 87<br />
Sanofi______________________ 27<br />
Schnittker Versicherungsmakler_48<br />
Schufa_______________________75<br />
Scope_______________________14<br />
Signal Iduna_____________ 37, 39<br />
Soehnholz ESG_____________ 23<br />
Solvium Capital____________85 f.<br />
Standard Life________________37<br />
Swiss Life________________ 37, 39<br />
Talanx_______________________ 31<br />
Tesla_______________________ 32<br />
Timeless__________________ 88 f.<br />
Top Ten_____________________ 59<br />
Union Investment___________15<br />
United Health Group________ 27<br />
Versicherungsforen Leipzig_ 40<br />
Viridium_____________________33<br />
Volkswohl Bund ____________ 62<br />
Warburg Pincus____________ 59<br />
wefox______________________ 55<br />
Zurich___________________ 33, 41<br />
Zusatzversicherung Online__ 46<br />
PERSONEN<br />
Asmussen, Jörg_____________ 30<br />
Beck, Hanno______________ 16 ff.<br />
Bläsing, Dietmar__________62 ff.<br />
Breitag, Torsten_____________ 38<br />
Brück, Johannes___________42 f.<br />
Brunotte, Sabine____________ 59<br />
Buffett, Warren______________16<br />
Buschmann, Marco_________ 29<br />
Crockford, Gesa_____________81<br />
Echtermeyer, Martina_______ 44<br />
Eurich, Andreas_____________ 29<br />
Freudenberg, Jens__________ 86<br />
Friedrich, Marc______________18<br />
Göker, Mehmet___________66 ff.<br />
Gold, Alex__________________ 26<br />
Grimm, Andreas W._________ 58<br />
Hannich, Günter_____________18<br />
Hartigan, Mark_____________ 55<br />
Heermann, Lars______________ 31<br />
Heinz, Michael H._____________9<br />
Henkelmann, Carolin_______ 43<br />
Hirschbrich, Stephan ________15<br />
Holzer, Stefan___________ 37, 39<br />
Hörmann, Franz _____________18<br />
Huelsmann, Paul____________ 88<br />
Iben, Holger________________ 90<br />
Jäger, René_______________69 ff.<br />
Käfer-Rohrbach, Anja_____ 48 f.<br />
Kirschenmann, Karolin_______ 21<br />
Klein, Martin_______________ 56<br />
Knorr, Sonja_________________14<br />
König, Michael______________ 85<br />
Kopp, Matthias______________ 21<br />
Krüger, Joachim____________ 86<br />
Lindner, Christian____________75<br />
Losmann-Hartl, Ulrike______82 f.<br />
Lücke, Justus_______________ 40<br />
Math, Klaus________________ 38<br />
Möller, Klaus_______________72 f.<br />
Moraht, Mona______________ 55<br />
Müller, Dirk__________________18<br />
Nauhauser, Niels__________72 f.<br />
Naumer, Hans-Jörg_______ 9, 12<br />
O’Neill, Jim__________________ 13<br />
Opfermann, Philipp _______46 f.<br />
Perduss, Ron_________________9<br />
Peters, Anne________________ 44<br />
Popper, Karl_________________ 17<br />
Röhl, Christian W.________ 13, 89<br />
Ruß, Jochen________________ 28<br />
Saal, Thorsten_____________37 f.<br />
Sandner, Philipp____________ 78<br />
Schallenberger, Frank________81<br />
Schillinger, Michael________34 f.<br />
Schnittker, Holger_____ 11, 48 f.<br />
Scholz, Ania_________________14<br />
Schröter, Philipp____________ 87<br />
Seeger, Daniel______________ 46<br />
Söhnholz, Dirk______________ 23<br />
Stark-Watzinger, Bettina_____75<br />
Subran, Ludovic____________ 76<br />
Sucker-Kastl, Alina__________ 89<br />
Teicke, Julian_______________ 55<br />
Thurnes, Georg______________57<br />
Treu, Johannes____________75 f.<br />
van Holt, Stefanie________62 ff.<br />
Vis-Paulus, Cordula__________33<br />
von Maltzahn, Hans_________ 38<br />
Walk, Edgar_________________15<br />
Wamser, Torben_________ 37, 39<br />
Weik, Matthias_______________18<br />
Wiese, Sascha______________ 32<br />
Wirth, Norman__________24, 54<br />
Wreth, André______________85 f.<br />
Yon-Courtin, Stéphanie_____ 54<br />
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Sie auch nicht?<br />
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<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Robert Raeder<br />
HanseMerkur KV-Produktentwicklung<br />
Viel Leistung, stabile<br />
Beiträge – unsere KV<br />
Nachhaltig kalkuliert<br />
Die Private Krankenvollversicherung der<br />
HanseMerkur überzeugt durch innovative Produkte<br />
und verlässliche Konditionen. Eine ausgewogene<br />
Tarifberechnung ist das Fundament<br />
für moderne Produktgestaltung und langfristige<br />
Beitragsstabilität. Ein Mehrwert für Ihre Kunden<br />
und ein Push für Ihren Vertriebserfolg, denn<br />
Hand in Hand ist HanseMerkur.
8 | PANORAMA Meinungsmacher<br />
Starke Statements<br />
Experten, Interviewpartner und <strong>procontra</strong>-Leser mit klaren Meinungen<br />
»Die Wiederanlage<br />
von Lebensversicherungen<br />
oder deren<br />
Verrentung gelingt<br />
noch zu selten.«<br />
Justus Lücke von den Versicherungsforen Leipzig<br />
über das riesige Potenzial der Wiederanlage, das<br />
Lebensversicherer noch nicht optimal ausschöpfen.<br />
Mehr dazu auf Seite 40<br />
»Geringe Finanzkompetenz tut<br />
richtig weh.«<br />
Ludovic Subran, Chefökonom der Allianz, ist einer der<br />
Experten, die im Beitrag zur Finanzbildung in Deutschland<br />
zu Wort kommen.<br />
Mehr dazu auf Seite 74<br />
»Das Geschäfts modell<br />
selbst ernannter Börsengurus<br />
beruht nun einmal<br />
auf Lautstärke.«<br />
Prof. Hanno Beck von der Hochschule<br />
Pforzheim über die Methoden, mit denen zwielichtige<br />
Crashpropheten sicherstellen, dass ihre Szenarien<br />
auch gehört werden.<br />
Mehr dazu auf Seite 16<br />
»Rückstände nicht nur in Schaden«<br />
Genauso sehe ich die aktuelle Situation auch, aber auch im Antragswesen<br />
ist momentan überall der Wurm drin ... (Anm. d. Red.: Laut<br />
dem BVK gibt es derzeit bei vielen Versicherern Arbeitsrückstände<br />
in den Schadenabteilungen. Den Unmut der Kunden darüber müssten<br />
letztlich die Vermittler ausbaden.)<br />
Ingo Cron, via Facebook<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Meinungsmacher PANORAMA | 9<br />
»Fachlich völlig falsch«<br />
Solchen Leuchten muss endgültig ein Maulkorb<br />
verpasst werden. Wir müssen uns zur Zulassung und<br />
Registrierung vor der IHK nackig machen, Pflichtweiterbildungszeiten<br />
nachweisen, und hier kommt<br />
ein Dahergelaufener und gibt fachlich völlig falsche<br />
Empfehlungen vor einem Millionenpublikum. (Anm.<br />
d. Red.: Der TV-Moderator Ron Perduss hatte in<br />
einer Stern-TV-Sendung eine Familie dazu beraten,<br />
wie sie Versicherungsbeiträge sparen kann. Dazu<br />
suchte er im Internet nach günstigeren Alternativen<br />
und riet auch zur ersatzlosen Kündigung von<br />
Verträgen. BVK-Präsident Michael H. Heinz mahnte<br />
Perduss daraufhin wegen unerlaubter Versicherungsberatung<br />
ab, der Ausgang ist noch offen.)<br />
Frank Dufeu, via Facebook<br />
»Fest- und Tagesgelder<br />
sind kein Vergleichsmaßstab<br />
für hochwertige<br />
Sachwertanlagen.«<br />
Joachim Krüger ist unabhängiger Wirtschaftsberater<br />
aus Stuttgart. Das gestiegene Zinsniveau<br />
muss auch er seinen Kunden richtig einordnen.<br />
»Nach norwegischem Modell«<br />
Bitte, wenn, dann alles in einen Staatsfonds nach<br />
norwegischem Modell! (Anm. d. Red.: In ihrem kürzlich<br />
vorgestellten Bericht fordern die Wirtschaftsweisen<br />
unter anderem, Riester durch einen öffentlich<br />
verwalteten Staatsfonds zu ersetzen.)<br />
Alexander Linn, via Facebook<br />
Mehr dazu auf Seite 84<br />
Kolumne<br />
Dr. Hans-Jörg Naumer<br />
leitet Global Capital Markets &<br />
Thematic Research von Allianz<br />
Global Investors<br />
»Disruption in 4D«<br />
Thematisches Investieren, verstanden als Kapitalanlage, die<br />
über Länder- oder Branchenschwerpunkte hinaus auf die<br />
langfristigen Trends setzt, scheint in der Anlegergunst<br />
immer mehr an Momentum zu gewinnen. Das zeigen nicht<br />
zuletzt die Mittelzuflüsse bei den Publikumsfonds. Das ist<br />
nur allzu verständlich, geht es doch darum, die Entwicklungslinien<br />
der allgegenwärtigen Disruption konstruktiv im<br />
Portfolio abzubilden. Eine Disruption, die in 4D – in vier<br />
Dimensionen – stattfindet: Die Deglobalisierung schreitet<br />
voran. Die geopolitische Plattenverschiebung drückt sich<br />
nicht nur in der Zerrüttung der Lieferketten aus, sondern<br />
wird auch von einem anderen, positiven Impuls verstärkt:<br />
der Digitalisierung. Wenn die Roboter immer preiswerter<br />
werden, wird das Produzieren in Übersee immer weniger<br />
vorteilhaft, die Rückverlagerung von Produktion dahin, wo<br />
die Abnehmer sind, einfacher und preiswerter. Dazu die<br />
Demografie. Demografisch wächst die Welt zwar weiter,<br />
wird dabei aber älter. Weltweit nimmt der Anteil der<br />
Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung ab. Lohn- und<br />
damit Inflationsdruck ist absehbar. Allein in Deutschland<br />
werden in den nächsten Jahren 400.000 Menschen mehr<br />
den Arbeitsmarkt verlassen, als neue dazukommen.<br />
Gleichzeitig setzt sich der Trend zur Dekarbonisierung der<br />
Weltwirtschaft fort. Deglobalisierung, Digitalisierung,<br />
Demografie und Dekarbonisierung sind die vier großen<br />
Dimensionen, die sich auch in Entwicklungen wie einer<br />
steigenden Rohstoffnachfrage und einer zunehmenden<br />
Verstädterung (Urbanisierung) ausdrücken. Diese Entwicklungen<br />
verstärken sich gegenseitig. Der Übergang zur<br />
klimaneutralen Wirtschaft ist ohne KI in den Energienetzen<br />
kaum vorstellbar. Dem Fachkräftemangel kann die Digitalisierung<br />
abhelfen. Am Ende stehen wir vor langen, anhaltenden<br />
Treibern von Wachstum. Langfristig orientierte Anleger<br />
sollten sich diese Trends genauer anschauen.<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
10 | PANORAMA Meinungsmacher<br />
Krankenzusatz auf dem Prüfstand<br />
Zahnzusatz – sinnvoller oder überflüssiger<br />
Versicherungsschutz?<br />
»Das BRICS-Label hat<br />
sich überlebt.«<br />
Christian Röhl ist Investor und sieht wie<br />
viele Experten in der BRICS-Familie kein<br />
homogenes Anlagegebiet mehr.<br />
Mehr dazu auf Seite 13<br />
Die Zahnzusatzversicherung<br />
zählt zu den beliebtesten<br />
Policen, auch wenn sie nicht vor<br />
einem existenzbedrohenden<br />
Risiko schützt. Doch lohnt sich<br />
die Police und sollte sie Kunden<br />
empfohlen werden? Die<br />
Meinung der <strong>procontra</strong>-Leser ist<br />
geteilt. 50 Prozent sagen: „Ja,<br />
die Police ist für viele Menschen<br />
eine gute Sache.“<br />
50<br />
Ja – sie ist für<br />
viele Menschen<br />
eine gute Sache.<br />
13<br />
37<br />
Nein – für den<br />
Schadenfall sollten<br />
eigene Rücklagen<br />
gebildet werden.<br />
Quelle: <strong>procontra</strong><br />
»Vertreter vs. Makler«<br />
Ich „liebe“ diese Statistiken. Vielleicht sollte man auch die<br />
Anzahl der Einfirmenvermittler in Beziehung zur Anzahl der<br />
Makler setzen. Dann sieht das Ergebnis ganz anders aus!<br />
(Anm. d. Red.: Laut einer GDV-Statistik sorgten Vertreter 2022<br />
für 39,2 Prozent des Leben-Neugeschäfts, Makler für 26,9 Prozent.)<br />
Markus Fuhrmann, via Facebook<br />
Riester: »Wir wollen konkrete<br />
Schritte folgen lassen.«<br />
Das Bundesfinanzministerium will die Ideen der Fokusgruppe<br />
Altersvorsorge angehen und das Gesetzgebungsverfahren<br />
dafür noch 2024 abschließen.<br />
Mehr dazu auf Seite 28<br />
»bAV als Benefit«<br />
Kann ich nicht bestätigen. Bei uns<br />
wird es eher mehr. Arbeitgeber<br />
müssen sich nur mehr darum kümmern,<br />
aus dem Angebot ein Benefit<br />
zu machen. (Anm. d. Red.: Eine<br />
Umfrage im Auftrag der Generali ergab,<br />
dass die derzeitige Inflation zu<br />
einem Rückgang der bAV-Verbreitung<br />
in mittelständischen Unternehmen<br />
führt.)<br />
Jürgen Götz, via Facebook<br />
»Es gelingt der Branche seit Jahren<br />
nicht, die Durchdringung bei der<br />
Arbeitskraftabsicherung zu erhöhen.«<br />
Stefan Holzer, Leiter Versicherungsproduktion Swiss Life Deutschland,<br />
über das Geschäft der Arbeitskraftabsicherung und<br />
Hemmnisse der Kunden, sich abzusichern.<br />
Mehr dazu auf Seite 36<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Meinungsmacher PANORAMA | 11<br />
»Größe entwickelt<br />
sich zu einem entscheidenden<br />
Wettbewerbsfaktor.«<br />
Sabine Brunotte kennt den Maklerpoolmarkt<br />
ganz genau und schätzt<br />
die mögliche Konsolidierung kleiner<br />
und großer Pools ein.<br />
Mehr dazu auf Seite 59<br />
»Einfluss aufs<br />
Risiko«<br />
Wer sein Haus umfangreich saniert,<br />
steigert damit auch den Wert der<br />
Immobilie. Der Einbau einer Solaranlage<br />
oder einer Wärmepumpe<br />
verändert nicht nur das Risiko,<br />
sondern hat auch direkten Einfluss<br />
auf die Versicherungssumme und<br />
rechtfertigt damit am Ende einen<br />
höheren Beitrag. (Anm. d. Red.: Im<br />
Interview mit <strong>procontra</strong> hatte Versicherungsmakler<br />
Holger Schnittker<br />
einmal mehr darauf verwiesen, wie<br />
wichtig es ist, in der Wohngebäudeversicherung<br />
stets die Versicherungssumme<br />
im Blick zu behalten.)<br />
Nico Streker, via Facebook<br />
PKV-<br />
Tarifwechsel:<br />
»Er wird<br />
schlechter<br />
versichert sein,<br />
ganz klar.«<br />
Mehmet Göker agiert weiterhin aus<br />
Dubai und schert sich dabei wenig<br />
um den neuen Versicherungsstatus<br />
„seiner“ Kunden.<br />
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12 | INVESTMENTFONDS Steile Thesen 2024<br />
STEILE THESEN 2024<br />
+++ Der Leitzins wird wieder deutlich gesenkt+++ Rallye bei Tagesgeldzinsen setzt sich<br />
fort +++ Offene Immobilienfonds geraten unter Druck +++ Höhenflug beim DAX +++<br />
Boomjahr für Anleihen +++ BRICS-Fonds werden eingestampft +++<br />
Die Inflation flaut wieder ab, und<br />
das teils schneller als erwartet. Im<br />
Oktober dieses Jahres betrug sie im<br />
Euroraum 2,9 Prozent – das war schon<br />
deutlich weniger als im September<br />
(4,1 Prozent). Und tatsächlich: Nach<br />
zehn Zinserhöhungen in Folge ließ<br />
der EZB-Rat den Leitzins zuletzt unangetastet.<br />
Der Zinsgipfel ist erreicht und der<br />
Inflationsgipfel überschritten, glaubt<br />
auch Hans-Jörg Naumer, Director<br />
Global Capital Markets & Thematic<br />
Research bei Allianz Global Investors.<br />
Hieraus aber eine baldige, womöglich<br />
sogar noch schnelle Abfolge an Zinssenkungen<br />
ableiten zu wollen, hält<br />
Naumer für deutlich zu sportlich.<br />
Den Währungshütern geht es darum,<br />
Inflationserwartungen zu brechen.<br />
Das ist alles andere als eine leichte<br />
Aufgabe. So geht der Rückgang der<br />
STEILE THESE:<br />
»Der EZB-Leitzins wird<br />
wieder deutlich gesenkt.«<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Spekuliert wird bereits seit einiger<br />
Zeit, besonders seit die Inflation<br />
wieder abflaut: Senkt die EZB<br />
2024 den Leitzins wieder ab,<br />
auch um die kriselnde Wirtschaft<br />
wieder zu beleben?<br />
»Daraus eine<br />
baldige Abfolge an<br />
Zinssenkungen<br />
ableiten zu wollen,<br />
ist deutlich zu<br />
sportlich.«<br />
Hans-Jörg Naumer<br />
Allianz GI<br />
Inflation derzeit vor allem auf die<br />
niedrigeren Energiepreise zurück.<br />
Doch bleiben diese so niedrig? Man<br />
muss nur einmal in den Nahen Osten<br />
blicken, um Zweifel hieran zu bekommen.<br />
Hinzu kämen strukturelle Inflationstreiber,<br />
bemerkt Naumer. „Besonders<br />
die Kernrate der Inflation – also jene<br />
Bestandteile des Warenkorbs, die<br />
nicht zu Energie und den saisonal<br />
beeinflussten Nahrungsmittelpreisen<br />
gehören – bleibt weiter gefährdet.<br />
Hier dürfte sich vor allem auch ein<br />
erhöhter Lohndruck bemerkbar<br />
machen.“<br />
Naumer rät darum dazu, Hoffnungen<br />
des Marktes auf schnelle Zinssenkungen<br />
nicht leichtfertig zu übernehmen.<br />
„Derartige Hoffnungen dürften<br />
sich als verfrüht erweisen.“<br />
Da er von einer höheren Inflationsrate<br />
auch in Zukunft überzeugt ist, rät<br />
er den Anteil an Sachwerten – sprich<br />
Aktien – im Portfolio zu erhöhen.<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Eine Schwalbe macht bekanntlich<br />
noch keinen Sommer – genauso sollten<br />
einzelne Vorzeichen nicht mit einer<br />
abermaligen Zinswende gleichgesetzt<br />
werden.<br />
25 %<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Steile Thesen 2024 INVESTMENTFONDS | 13<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Der DAX verzeichnete <strong>2023</strong> allen<br />
Unkenrufe zum Trotz ein sehr erfolgreiches<br />
Jahr. Zeitweise notierte<br />
er bereits deutlich über 16.000<br />
Punkten – eine Entwicklung, die<br />
sich 2024 fortsetzen könnte.<br />
Der DAX war im Jahr <strong>2023</strong> deutlich<br />
auf der Erfolgsspur, auch wenn<br />
zuletzt leicht der Rückwärtsgang<br />
eingelegt wurde. Doch kann er diese<br />
Entwicklung auch im kommenden<br />
Jahr fortsetzen? Eine stotternde<br />
STEILE THESE:<br />
»Der DAX ertabliert sich<br />
bei über 16.000 Punkten.«<br />
Konjunktur, ein hohes Zinsniveau<br />
und zahlreiche geopolitische Krisen<br />
lassen dies fraglich erscheinen.<br />
Dennoch strahlen viele Analysten Optimismus<br />
aus. Bei der Deka sieht man<br />
zwar keine dynamische Entwicklung<br />
der Wirtschaft, jedoch eine stabile.<br />
Das Gleiche gilt für die Unternehmensgewinne,<br />
weswegen ein Anstieg<br />
auf bis zu 17.500 Punkten möglich<br />
erscheint. Eine Schätzung in gleicher<br />
Größenordnung gibt es auch von der<br />
Landesbank Hessen-Thüringen. Ihr<br />
zufolge haben die Konjunkturerwartungen<br />
sowie die Anlegerstimmung<br />
mittlerweile ihren Tiefpunkt erreicht,<br />
die Wachstumsschwäche sei eingepreist,<br />
die DAX-Unternehmen niedrig<br />
bewertet.<br />
Allerdings bestehen durchaus<br />
elementare Risiken, die den jetzigen<br />
Erwartungen einen gewaltigen Strich<br />
durch die Rechnung machen könnten.<br />
Man denke nur an den Krieg in<br />
Gaza oder den in der Ukraine.<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Der DAX dürfte auch im kommenden<br />
Jahr nach Einschätzung vieler Experten<br />
weiter die Erfolgswelle reiten. 16.000<br />
Punkte scheinen locker möglich – doch<br />
Vorsicht vor bösen Überraschungen.<br />
85 %<br />
Spätestens seit dem Überfall Russlands<br />
auf die Ukraine sind aus den sogenannten<br />
BRICS-Fonds BICS-Fonds<br />
geworden – russische Aktien sind<br />
praktisch nicht mehr handelbar. Auch<br />
bei den übrigen Ländern, aus denen<br />
sich das Akronym zusammensetzt, ist<br />
zu Vorsicht geraten. Über dem chinesischen<br />
Markt hängt das Damoklesschwert<br />
eines Konflikts mit Taiwan,<br />
die brasilianische Wirtschaft ist stark<br />
von den Rohstoffpreisen abhängig,<br />
und beim S kann man mittlerweile<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Vor über 20 Jahren erfand der<br />
britische Ökonom Jim O’Neill das<br />
BRIC-Kürzel und sorgte dafür, dass<br />
Zigtausende in die Schwellenländer<br />
investierten. Doch ist das<br />
Kürzel noch zeitgemäß?<br />
streiten, wer damit gemeint sein soll.<br />
Das BRICS-Akronym passe heute<br />
schlicht nicht mehr in die Zeit, ist der<br />
Autor und Investor Christian Röhl<br />
überzeugt. Zu unterschiedlich ist die<br />
Entwicklung der einzelnen Staaten.<br />
Daran ändert auch die Erweiterung<br />
der BRICS-Familie um sechs weitere<br />
Staaten zum Jahreswechsel nichts.<br />
Hier handle es sich vielleicht um eine<br />
Gemeinschaft, die ihre Interessen<br />
gegen den Westen poolt, so Röhl,<br />
nicht aber um ein homogenes Anlagegebiet:<br />
„Das BRICS-Label hat sich<br />
überlebt.“<br />
STEILE THESE:<br />
»Fondsgesellschaften stampfen<br />
Kategorie der BRICS-Fonds ein.«<br />
Anlegern rät er, lieber in die wesentlichen<br />
Regionen (Indien, Lateinamerika,<br />
China) zu investieren.<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Es ist sehr wahrscheinlich, dass BRICS-<br />
Fonds vom Markt verschwinden: entweder<br />
durch Umfirmierung oder durch<br />
eine Verschmelzung mit anderen Fonds.<br />
70 %<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
14 | INVESTMENTFONDS Steile Thesen 2024<br />
STEILE THESE:<br />
»Tagesgeldkonten<br />
mit über 5 Prozent<br />
Zinsen«<br />
STEILE THESE:<br />
»Offene Immobilienfonds<br />
geraten unter<br />
Abwertungsdruck.«<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Viele Banken haben auf die Zinswende schnell reagiert und<br />
die Zinsen für Tagesgeldkonten teils deutlich – wenn auch<br />
häufig nur befristet – erhöht. Der Konkurrenzkampf der Institute<br />
sorgt dabei stetig für attraktive Angebote.<br />
Die Zinswende hat <strong>2023</strong> dazu geführt, dass Sparer ihre<br />
Festgeldkonten wiederentdeckten. Viele Banken reagierten<br />
schnell und warben mit Zinsen jenseits der 4 Prozent<br />
um Neukunden – Angebote, die zugleich das Einmalbeitragsgeschäft<br />
der Lebensversicherer einbrechen ließen.<br />
Sah es vor wenigen Monaten noch so aus, als würden<br />
sich die Zinsrallye und der damit verbundene Überbietungswettbewerb<br />
der Banken auch im kommenden Jahr<br />
weiter fortsetzen, hat sich der Optimismus der Zinsjäger<br />
mittlerweile wieder gelegt.<br />
Inflation geht schneller zurück als erwartet<br />
Denn die Inflation ging schneller zurück als erwartet. Im<br />
Euroraum lag sie im Oktober nur noch bei 2,9 Prozent<br />
und damit nahe an der von der Europäischen Zentralbank<br />
angestrebten 2-Prozent-Schwelle. Am Markt wird<br />
deshalb verstärkt auf eine Zinssenkung gesetzt. Dennoch<br />
seien 5 Prozent Zinsen auf Tagesgeld nicht völlig utopisch,<br />
glaubt Ania Scholz von der FHM Finanzberatung<br />
– „allerdings wohl nur bei einer Bank, die neu auf dem<br />
Markt ist und Kunden gewinnen möchte“. Realistisch ist<br />
ein solches Angebot wohl auch nur für einen kürzeren<br />
Zeitraum von beispielsweise drei Monaten.<br />
Nachdem offene<br />
Immobilienfonds<br />
(OIF) seit der Krise<br />
im Jahr 2008 ein<br />
beeindruckendes<br />
Comeback feierten,<br />
geraten die Fonds mittlerweile wieder unter Druck.<br />
Nicht nur, dass viele Kunden derzeit andere Anlagen<br />
präferieren – zuletzt mussten offene Immobilienfonds<br />
zwei Monate nacheinander Mittelabflüsse hinnehmen<br />
–, auch das Abwertungsrisiko steigt. Es trifft vor allem<br />
Immobilien, die während der Hochpreisphase zwischen<br />
2019 und 2022 angekauft wurden, erklärt Scope-Expertin<br />
Sonja Knorr.<br />
Ein deutlich erhöhtes Risiko sieht sie auch bei US-Büroimmobilien<br />
in schlechten Lagen mit suboptimalem ESG-<br />
Profil und geringer Flächenflexibilität – deutsche OIF<br />
sind hier allerdings nur in geringem Umfang investiert.<br />
Doch auch hierzulande geht die Nachfrage nach Büroräumen<br />
zurück, was mehr und mehr auch in die Bewertungen<br />
der Fonds eingepreist werden dürfte.<br />
Bei Scope geht man davon aus, dass sich diese Bewertungsanpassungen<br />
letztlich auch in sinkenden Renditen<br />
für die Anleger niederschlagen werden. Die Auswirkungen<br />
dürften aber von Fonds zu Fonds unterschiedlich<br />
sein, wodurch der Rendite-Spread zwischen den einzelnen<br />
Fonds weiter steigen dürfte.<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Durch den rasanten Zinsanstieg<br />
hat sich das Marktumfeld für<br />
offene Immobilienfonds verändert.<br />
Die Anlegerlieblinge der<br />
vergangenen Jahre geraten auf<br />
einmal unter Druck.<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Marktweite Tagesgeldangebote<br />
jenseits der 5 Prozent sind kaum zu<br />
erwarten. Im Wettbewerb um die<br />
Kunden und bei einem Wiederauflodern<br />
der Inflation sind vereinzelte,<br />
begrenzte Angebote aber möglich.<br />
50 %<br />
Mehr als zwei Drittel aller Immobilien<br />
der OIF wurden vor 2019<br />
erworben und damit konservativer<br />
bewertet – dadurch sinkt der Abwertungsdruck.<br />
Dennoch steigt das<br />
Risiko für viele Fonds.<br />
65 %<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Steile Thesen 2024 INVESTMENTFONDS | 15<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Die Wechselwirkung von Zinsniveau<br />
und den Preisen von Anlei -<br />
hen sind häufig konträr. Da weitere<br />
Zinssteigerungen derzeit<br />
unwahrscheinlich sind, könnten<br />
viele Anleger zuschlagen.<br />
Lange Zeit herrschte Flaute für Anleihenanleger.<br />
Da Unternehmenskredite<br />
während der Niedrigzinsphase sehr<br />
günstig waren, war das Renditepotenzial<br />
von Anleihen gering. Das hat sich<br />
mittlerweile geändert.<br />
Die Notenbanken werden 2024 in den<br />
Zinssenkungsmodus wechseln, zeigt<br />
sich Stephan Hirschbrich, Leiter Rates<br />
im Portfoliomanagement Renten bei<br />
Union Investment, überzeugt – allerdings<br />
sei dieser Schritt größtenteils<br />
bereits eingepreist. „Der Ertrag für<br />
den Anleger wird weniger aus Kursgewinnen<br />
kommen, sondern vor<br />
allem aus den attraktiven Kupons“, so<br />
Hirschbrich.<br />
Eine wenig Gegenwind kommt durch<br />
die hohe Verschuldung vieler Staaten,<br />
wodurch das Angebot an Staatsanleihen<br />
am Markt steigt – schließlich<br />
treten auch die Notenbanken nicht<br />
mehr als Käufer auf. Insgesamt sei<br />
zwar für 2024 kein Boomjahr, aber ein<br />
sehr auskömmliches Rentenjahr zu<br />
erwarten, meint Hirschbrich. Interessant<br />
für ihn sind dabei in erster Linie<br />
Unternehmensanleihen mit guter bis<br />
sehr guter Bonität sowie US-Staatsan-<br />
STEILE THESE:<br />
»2024 wird für Anleihen<br />
zum Boomjahr.«<br />
leihen – diese haben ein besseres<br />
Risiko-Rendite-Profil als europäische<br />
Titel.<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Mit Anleihen können Investoren wieder<br />
Rendite machen – das wird sich aller<br />
Voraussicht nach auch mittelfristig nicht<br />
ändern, auch wenn der Begriff des<br />
Booms zu hoch gegriffen sein dürfte.<br />
70 %<br />
Ob Russland, Gaza oder Südostasien:<br />
Krisen und Konflikte nehmen auf der<br />
Welt gefühlt zu, und damit steigt auch<br />
die Nervosität der Anleger.<br />
Perfekte Aussichten für eine historisch<br />
hohe Volatilität an den Aktienmärkten?<br />
Nein, glaubt Edgar Walk,<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
STEILE THESE:<br />
»Aktienmärkte so<br />
volatil wie nie«<br />
Chefsvolkswirt bei Metzler Asset<br />
Management. Grund für diese Einschätzung<br />
ist ein Blick auf das Jahr<br />
<strong>2023</strong> – auch dieses war geprägt von<br />
deutlichen Leitzinserhöhungen, geopolitischen<br />
Krisen und rezessiven<br />
Tendenzen. Trotzdem führte es nicht<br />
zu einer extremen Volatilität. „So ist<br />
es wahrscheinlich, dass unter den<br />
gleichen Vorzeichen auch im Jahr<br />
2024 die Volatilität nicht dramatisch<br />
ansteigen wird“, so Walk.<br />
Nur zwei Szenarien könnten das<br />
ändern: ein Aktiencrash und ein<br />
Durchschütteln der Aktienmärkte<br />
infolge einer Reihe guter wie schlechter<br />
Nachrichten. Für beide Szenarien<br />
sieht Walk allerdings – Stand heute<br />
– wenig Anzeichen. Unkalkulierbar<br />
bleiben indes geopolitische Risiken,<br />
wie ein Überfall Chinas auf Taiwan<br />
oder der Konflikt in Nahost, die die<br />
Aktienmärkte hart treffen könnten.<br />
Die rasanten Leitzinserhöhungen<br />
der Zentralbanken sowie geopolitische<br />
Spannungen weltweit sorgen<br />
Trotz mancher Krise erwiesen sich die Märkte <strong>2023</strong> als stabil<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
für große Unruhe an den Märkten.<br />
und verhinderten eine extreme Volatilität. 2024 dürfte ähnlich<br />
verlaufen – unkalkulierbar bleiben jedoch geopolitische<br />
Diese Unruhe droht auch auf die<br />
Aktienmärkte überzugreifen. Krisen.<br />
25 %<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
16 | INVESTMENTFONDS Investmenttalk<br />
»Weltuntergangsszenarien<br />
verkaufen sich immer gut«<br />
Was „kaputte Uhren“, „Weltenretter“ und „mexikanische Scharfschützen“ mit Strategien<br />
von Börsengurus und Crashpropheten zu tun haben und wie man sie durchschauen kann,<br />
erläutert Hanno Beck, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Pforzheim.<br />
HG HEIKE GORRES<br />
<strong>procontra</strong>: In einem Interview haben<br />
Sie unter dem Titel „Ein Blick in die Zukunft?<br />
Methoden und Tricks der Börsengurus“<br />
verschiedene Ansätze aufgezeigt.<br />
Was ist für Sie ein Börsenguru?<br />
Hanno Beck: Ein Börsenguru ist<br />
jemand, der sich zur Börse und zu<br />
dazugehörigen Finanz- und Wirtschaftsthemen<br />
äußert und dem Menschen intellektuell<br />
und bisweilen auch mit dem<br />
Geld folgen. Ich unterscheide dabei<br />
in zwei Arten, ernannte und selbst ernannte.<br />
Selbst ernannte Gurus machen<br />
ihr Guru-Dasein zum Geschäftsmodell.<br />
Sie verkaufen Börsenbriefe, Anlageprodukte,<br />
Bücher oder ähnliche Dinge; sie<br />
leben davon, laut und omnipräsent zu<br />
sein. Ernannte Gurus dagegen werden<br />
dies entweder per Zufall – jemand hat<br />
einmal mit einer spektakulären Vorhersage<br />
richtig gelegen – oder durch langjährigen<br />
Erfolg. Oft steht der ernannte<br />
Guru in Verbindung mit einer großen<br />
Organisation, beispielsweise ein großer<br />
Was Sie erfahren werden:<br />
Was einen Börsenguru ausmacht<br />
Warum Untergangsszenarien funktionieren<br />
Wie man haltlose Theorien entlarven kann<br />
Vermögensverwalter, die ihm als Plattform<br />
dient und seinen Namen populär<br />
macht, wovon dann auch die Organisation<br />
profitiert.<br />
<strong>procontra</strong>: Was meinen Sie mit langjährigem<br />
Erfolg? Börsenerfolg oder Prognoseerfolg?<br />
Mein erster Gedanke war<br />
Warren Buffett mit Berkshire Hathaway.<br />
Beck: Das würde auch passen. Ich habe<br />
allerdings auch an Star-Fondsmanager<br />
gedacht, die jahrelang gute Ergebnisse<br />
abgeliefert haben. Die in irgendeiner<br />
Form gewisse Fertigkeiten demonstriert<br />
haben, die Sie annehmen lassen, dass<br />
»Geldanlage ist eine<br />
ernste, komplizierte<br />
Sache und nichts<br />
für den Zirkus.«<br />
sie besser sind oder mehr wissen als<br />
andere. Eine große Organisation wäre<br />
dann zum Beispiel eine Fondsgesellschaft.<br />
Beiden Formen von Gurus, den<br />
selbst ernannten wie den ernannten, ist<br />
gemein, dass man ihnen zutraut, besser<br />
in die Zukunft zu schauen als andere<br />
Marktteilnehmer – die moderne Version<br />
des Sehers.<br />
In einer weit gefassten Bedeutung des<br />
Begriffs Börsenguru könnte man auch<br />
solche darunter verstehen, die das<br />
Börsengeschehen verständlich erklären,<br />
einfache, praktische Ratschläge geben<br />
und eher auf Strategien und Instrumente<br />
als auf Prognosen abstellen. Diese<br />
Sorte Guru ist aber in der Regel wenig<br />
glamourös – wer will schon Ratschläge<br />
hören wie: „Investieren Sie nur in Dinge,<br />
die Sie verstehen“?<br />
<strong>procontra</strong>: Was sind die gängigsten<br />
Methoden und Tricks und wie können<br />
Zuhörer dem begegnen? Wen würden<br />
Sie beispielhaft nennen?<br />
Beck: Namen würde ich ungern nennen,<br />
Strategien schon. Wer möchte,<br />
kann für sich selbst vergleichen, welche<br />
Methode zu welchem Akteur passen<br />
könnte; das ist bereits sehr aufschlussreich.<br />
Da wäre zum einen die Strategie<br />
der kaputten Uhr. Man behauptet lange<br />
und hartnäckig, dass dies oder jedes<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Investmenttalk INVESTMENTFONDS | 17<br />
passieren wird – eines Tages wird es<br />
passieren. Das ist wie bei einer kaputten<br />
Uhr, die zweimal am Tag die korrekte<br />
Uhrzeit anzeigt. Sie können dem begegnen,<br />
indem Sie überlegen, wie viel Geld<br />
Sie hätten verdienen können, wenn Sie<br />
den Voraussagen und daraus abgeleiteten<br />
Ratschlägen nicht gefolgt wären.<br />
Bei der Nostradamus-Methode ist der<br />
Akteur möglichst unpräzise, macht<br />
vage Andeutungen, die dann von den<br />
Zuhörern oder Lesern mit konkretem<br />
Inhalt gefüllt werden. Der Akteur nennt<br />
entweder Zeit oder Kursziel, aber nicht<br />
beides. Damit erfüllt sich die Prophezeiung<br />
irgendwann schon. Als Gegenmaßnahme<br />
zwingen Sie ihn zu Präzision und<br />
fordern, dass er Zeit, Ziel und Region<br />
zugleich nennt. Nebulöse Prognosen<br />
haben keinen Wert. Die Lautsprecher-<br />
Hanno Beck<br />
ist Professor<br />
für Volkswirtschaftslehre<br />
an<br />
der Hochschule<br />
Pforzheim. Seine<br />
Forschungsschwerpunkte<br />
liegen im Bereich<br />
der verhaltensorientierten<br />
Ökonomik, der<br />
Medienökonomik<br />
und ausgewählter<br />
finanzwissenschaftlicher<br />
Themen, etwa<br />
Staatsverschuldung.<br />
»Das Geschäftsmodell<br />
selbst<br />
ernannter Gurus<br />
beruht nun einmal<br />
auf Lautstärke.«<br />
Methode ist vor allem etwas für selbst<br />
ernannte Gurus: Seien Sie laut, apodiktisch,<br />
bauen Sie bedrohliche Szenarien<br />
auf. Diese Strategie hat keinen Platz<br />
für Ausgewogenheit, für „sowohl als<br />
auch“ oder komplizierte Ausführungen.<br />
Sie erzählen eine plausible, einfache<br />
Geschichte, die Menschen verstehen<br />
und sich merken können. Um dem zu<br />
begegnen, überlegen Sie sich, was<br />
gegen diese These spricht. Nehmen Sie<br />
bewusst mit Argumenten die Gegenposition<br />
ein.<br />
<strong>procontra</strong>: Die Lautsprecher-Variante<br />
kommt häufig vor, was vielleicht auch<br />
daran liegt, dass sie eben laut ist …<br />
Beck: Das stimmt. Eine weitere, trickreiche<br />
Strategie nenne ich die Anti-Popper-Methode.<br />
Vom Philosophen Karl<br />
Popper stammt die Forderung, eine<br />
Hypothese so aufzustellen, dass man sie<br />
widerlegen kann. Stellen Sie als Guru<br />
also Behauptungen auf, die nicht zu widerlegen<br />
sind. Damit schützen Sie Ihre<br />
Ausführungen von vornherein gegen<br />
Einwände. Wenn Sie sagen: „Es gibt<br />
den Weihnachtsmann“, kann niemand<br />
beweisen, dass es ihn nicht gibt. Und<br />
wenn jemand behauptet, das Finanzsystem<br />
liege auf der Intensivstation, ist es<br />
schwierig, das Gegenteil zu beweisen,<br />
weil man nicht Dinge beweisen kann,<br />
die nicht sind.<br />
Bei der Methode „mexikanischer Scharfschütze“<br />
macht der Akteur möglichst<br />
viele Prognosen und sorgt dafür, dass<br />
die Leute sich nur an jene erinnern, die<br />
eingetroffen sind. Er schießt auf ein<br />
Scheunentor und zeichnet Zielscheiben<br />
um einige Einschusslöcher, die seine<br />
Treffsicherheit demonstrieren sollen.<br />
Fehlschläge fallen so nicht auf. Um dies<br />
zu durchschauen, betrachten Sie die<br />
Trefferquote aus allen Schüssen oder<br />
Prognosen. Die Weltenretter-Strategie<br />
besagt, dass jemand bei einer Prognose,<br />
die nicht eintrifft, sagt, sie sei nicht<br />
eingetreten, weil er rechtzeitig davor<br />
gewarnt hat und es deshalb Gegen-<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
18 | INVESTMENTFONDS Investmenttalk<br />
maßnahmen gab. Dieser Prognostiker<br />
steht als Held da und rettet gleichzeitig<br />
Job und Status als Guru.<br />
<strong>procontra</strong>: Einige solcher Gurus skizzieren<br />
seit Jahren Untergangsszenarien,<br />
etwa den Kollaps des Geldsystems für<br />
2013 und das Ende des Euro bis <strong>2023</strong>.<br />
Passiert ist von alledem nichts. Glauben<br />
diese Crashpropheten tatsächlich, dass<br />
ihre Prognosen eintreffen, oder sehen<br />
sie, dass es funktioniert und sie damit<br />
für Vorträge, Talkshows und ähnliche<br />
Formate gebucht zu werden?<br />
Beck: Schwer zu sagen, vermutlich<br />
beides. Denken Sie an die Lautsprecher-Methode:<br />
Warnungen vor Weltuntergängen<br />
verkaufen sich immer gut.<br />
Und je mehr man selbst daran glaubt,<br />
umso überzeugender ist man, wenn<br />
man solche Hypothesen verkauft. Zu<br />
letzterer Hypothese passt der Befund,<br />
dass manche Gurus ein problematisches<br />
Grundverständnis wirtschaftlicher Vorgänge<br />
haben. Das wiederum erleichtert<br />
es, im Brustton der Überzeugung Dinge<br />
zu sagen, die wissenschaftlich gesehen<br />
problematisch sind. Je weniger man<br />
weiß, umso überzeugter kann man alles<br />
Mögliche behaupten, solange es zumindest<br />
plausibel klingt. Es wäre interessant<br />
zu wissen, wie die Crashpropheten<br />
damit umgehen, dass ihre Prognosen<br />
bisher nicht eingetroffen sind. Man<br />
sollte sie einmal fragen.<br />
<strong>procontra</strong>: Einige Crashpropheten<br />
haben BWL studiert oder eine Ausbildung<br />
zum Bankkaufmann absolviert. Da<br />
würde ich weniger ein problematisches<br />
Grundverständnis wirtschaftlicher Vorgänge<br />
vermuten.<br />
Beck: Das kommt darauf an, wovon sie<br />
reden. Ich bin zum Beispiel Professor<br />
für Volkswirtschaftslehre. Wenn Sie<br />
mich zu einem Bilanzskandal fragen<br />
würden, würde ich dazu nichts sagen,<br />
da ich mich mit Bilanzregeln nicht<br />
auskenne. Aber wenn Sie sich mit<br />
jemandem über Wechselkurssysteme,<br />
Geldordnung und Ähnliches unterhalten<br />
»Bis Ende <strong>2023</strong><br />
erwarten wir das Ende<br />
der Gemeinschaftswährung<br />
Euro.«<br />
Marc Friedrich und Matthias Weik,<br />
beide Betriebswirte,<br />
2018 in einem Newsletter<br />
»Alle Währungen<br />
werden verschwinden,<br />
weil sie technisch nicht<br />
mehr funktionieren<br />
können. Ich schätze,<br />
dass es schon 2011<br />
so weit sein wird.«<br />
Franz Hörmann, Betriebswirt,<br />
2010 in einem Interview mit der<br />
Zeitung »Der Standard«<br />
»Wir werden innerhalb<br />
der nächsten fünf Jahre<br />
eine massive Krise<br />
bekommen.«<br />
Günter Hannich, Verwaltungswirt,<br />
2011 in einem Interview mit<br />
»Der Aktionär TV«<br />
»Es kommt seit Jahrhunderten<br />
alle paar<br />
Jahrzehnte zu einem<br />
Kollaps des Systems.<br />
(…) Wir wissen nicht,<br />
was auf uns zukommt,<br />
aber wir sind wieder<br />
am Ende dieses Zyklus<br />
angelangt.«<br />
Dirk Müller, Bankkaufmann und<br />
Kursmakler, 2011 in der TV-Talkshow<br />
»Markus Lanz«<br />
wollen, würde ich keinen Betriebswirt<br />
fragen, sondern einen Volkswirt. Das ist<br />
nicht abwertend gegen andere Ausbildungen<br />
gemeint, es geht einfach darum,<br />
zu einem Problem den passenden<br />
Experten zu befragen. Was solche Prognosen<br />
auch glaubhaft macht, ist, dass<br />
sie zumeist auch einen wahren Kern<br />
enthalten. So ist beispielsweise der Euro<br />
durchaus eine anfällige Konstruktion;<br />
die Möglichkeit, dass er in der heutigen<br />
Form irgendwann scheitert, ist durchaus<br />
gegeben. Und um diesen wahren Kern<br />
strickt man dann sein Weltuntergangsszenario.<br />
<strong>procontra</strong>: Einige der Akteure können<br />
komplexe Sachverhalte gut verständlich<br />
darlegen. Inwieweit sehen Sie ein echtes<br />
Anliegen, schwierige Zusammenhänge<br />
begreiflich zu machen, und inwieweit<br />
eher ein Geschäftsmodell mit öffentlichen<br />
Auftritten, Verkauf von Büchern,<br />
Seminaren und Anlageprodukten?<br />
Beck: Wer wirklich komplexe Zusammenhänge<br />
begreiflich machen will,<br />
braucht eine tiefe Sachkenntnis. Zudem<br />
kann er dann kaum publikumswirksame<br />
Schlagzeilen oder Thesen heraushauen,<br />
weil es keine einfachen Antworten und<br />
Rezepte für eine komplexe Welt gibt.<br />
Damit sind Sie für Talkshows uninteressant,<br />
große Verkaufszahlen werden Ihre<br />
Bücher auch nicht erzielen, und<br />
Seminare können Sie damit auch nicht<br />
verkaufen. Wer laut ist, kann nicht<br />
differenziert sein, wer differenziert sein<br />
will, kann nicht schreien. Das Geschäftsmodell<br />
selbst ernannter Gurus beruht<br />
nun einmal auf Lautstärke.<br />
Weiter im Thema<br />
Das vollständige<br />
Interview mit<br />
Prof. Dr. Hanno<br />
Beck, Hochschule<br />
Pforzheim, unter<br />
<strong>procontra</strong>-online.de<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
KLIMASCHUTZ?<br />
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20 | INVESTMENTFONDS ESG-Klassifizierung<br />
Etikett mit Mehrwert?<br />
Ein neues Öko-Label soll auf dem Bondmarkt für mehr Klarheit und<br />
weniger Greenwashing sorgen. Die Chancen sind durchwachsen.<br />
HG HEIKE GORRES<br />
Die EU führt einen eigenen Standard<br />
zur Klassifizierung ökologisch nachhaltiger,<br />
„grüner“ Anleihen ein, den<br />
„European Green Bond Standard“,<br />
kurz „EUGBS“. Das neue Label tritt<br />
voraussichtlich im Herbst 2024 in<br />
Kraft und ist freiwillig. Im Oktober<br />
hatte das EU-Parlament die Regelung<br />
für den Standard abgesegnet; die Zustimmung<br />
der Mitgliedsländer gilt als<br />
Formsache. „Grüne Anleihen werden<br />
zur Finanzierung oder Refinanzierung<br />
von Investitionen, Projekten,<br />
<strong>Ausgabe</strong>n oder Vermögenswerten<br />
verwendet, die zur Bewältigung von<br />
Klima- und Umweltproblemen beitragen“,<br />
erläutert das EU-Parlament.<br />
„Diese Verordnung legt einheitliche<br />
Anforderungen für Emittenten von<br />
Anleihen fest, die die Bezeichnung<br />
‚europäische grüne Anleihen‘ verwenden<br />
möchten.“<br />
Unternehmen und öffentliche Einrichtungen,<br />
die über eine grüne<br />
Anleihe Kapital aufnehmen wollen,<br />
können das neue Kennzeichen<br />
nutzen. Mindestens 85 Prozent der<br />
Gelder müssen in ökologisch nachhaltige<br />
Wirtschaftstätigkeiten oder<br />
Projekte fließen, die den Vorgaben<br />
der EU-Taxonomie entsprechen (siehe<br />
auch Infobox). Höchstens 15 Prozent<br />
dürfen anderweitig investiert werden.<br />
Die Nutzer müssen offenlegen, wie sie<br />
die Mittel aus der Anleihe verwenden<br />
und wie dies in ihre Pläne in Richtung<br />
einer nachhaltigeren Wirtschaft einfließt.<br />
Was Sie erfahren<br />
werden:<br />
Was die EU für ökologisch<br />
nachhaltige Anleihen vorgibt<br />
Welche die etabliertesten<br />
Green-Bond-Standards sind<br />
Was die Nachfrage nach dem<br />
EU-Kennzeichen trüben könnte<br />
Mit der Verordnung führt die EU ein<br />
verbindliches System für die Registrierung<br />
und Aufsicht externer Prüfer<br />
der EUGBS-Anleihen ein. Die Prüfer<br />
sollen sicherstellen, dass die Anleihe-<br />
Emittenten die Vorgaben einhalten.<br />
Insgesamt will die EU klarere Regeln<br />
für Emittenten schaffen, gegen Grünfärberei<br />
vorgehen und Anreize für die<br />
Emission grüner Anleihen geben. Der<br />
Illustration: Roman Kulon
ESG-Klassifizierung INVESTMENTFONDS | 21<br />
Markt für Green Bonds ist seit dem<br />
Start 2007 weltweit zwar deutlich gewachsen.<br />
Der Anteil an den gesamten<br />
Anleiheemissionen ist mit 3 bis 3,5<br />
Prozent allerdings gering.<br />
Geringe Renditeunterschiede<br />
„Die meisten akademischen Veröffentlichungen<br />
zeigen, dass grüne<br />
Anleihen mit der gleichen oder einer<br />
niedrigeren Rendite gehandelt werden<br />
als konventionelle Anleihen“, hält<br />
das Leibniz-Zentrum für Europäische<br />
Wirtschaftsforschung, ZEW, im Bericht<br />
„Braucht die Europäische Union<br />
einen weiteren Standard für grüne<br />
Anleihen?“ fest. Auf den Sekundärmärkten<br />
erscheine der Renditeunterschied<br />
allerdings bescheiden, ergänzt<br />
das Institut. Auf diesen Zweitmärkten<br />
werden Wertpapiere gehandelt, die<br />
bereits im Umlauf sind, mit der Börse<br />
als bekanntestem Vertreter.<br />
Angesichts der bereits etablierten<br />
Standards dürfte das neue EU-Label<br />
einen schweren Stand haben, vermutet<br />
das ZEW. Das sind insbesondere<br />
der Climate Bonds Standard der<br />
Climate Bonds Initiative (CBI) und<br />
die Green Bond Principles der International<br />
Capital Market Association<br />
(ICMA), beide ebenfalls freiwillig.<br />
Ersterer erfordert wie der EUGBS eine<br />
externe Prüfung und beruht auf Vorgaben<br />
der CBI-Taxonomie. Die ICMA-<br />
Prinzipien empfehlen eine externe<br />
Prüfung und basieren auf einem<br />
Katalog von Leitlinien und Kriterien.<br />
„Der EUGBS kann als eine Kombination<br />
der bereits bestehenden<br />
Standards verstanden werden“, sagt<br />
Karolin Kirschenmann, stellvertretende<br />
Leiterin des ZEW-Forschungsbereichs<br />
Altersvorsorge und nachhaltige<br />
Finanzmärkte. „Die Emittenten der<br />
Anleihen müssen allerdings zusätzliche,<br />
rechtsverbindliche Angaben<br />
machen. Wir gehen davon aus, dass<br />
Die Nachhaltigkeitsregeln der EU<br />
sie dadurch davon abgehalten werden,<br />
den EUGBS zu verwenden, zumal<br />
sich die Emittenten die Konformität<br />
ihrer Anleihen zur EU-Taxonomie<br />
auch jetzt schon bescheinigen lassen<br />
können.“ Für das ZEW entwickelt der<br />
EUGBS erst dann eine tatsächliche<br />
85 %<br />
Zu diesem Anteil müssen<br />
Gelder aus Anleihen nach dem<br />
EU-Standard in ökologisch<br />
nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten<br />
oder Projekte fließen.<br />
Long Story short<br />
Im Regelwerk der Taxonomie<br />
klassifiziert die EU ökologisch<br />
nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten,<br />
was dazu beitragen soll, Investitionen<br />
in solche Bereiche zu fördern. Sechs<br />
Ziele hat die EU hierzu festgelegt:<br />
Klimaschutz, Anpassung an den<br />
Klimawandel, nachhaltige Nutzung<br />
und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen,<br />
Übergang zu einer<br />
Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und<br />
Verminderung von Umweltverschmutzung<br />
sowie Schutz und<br />
Wiederherstellung der Biodiversität<br />
und der Ökosysteme. Als ökologisch<br />
nachhaltig gilt eine Wirtschaftstätigkeit,<br />
wenn sie zu mindestens einem<br />
dieser Ziele einen Beitrag leistet, kein<br />
anderes erheblich beeinträchtigt,<br />
Mindest-Sicherheitsstandards einhält<br />
und die Bewertungskriterien erfüllt,<br />
die für jede Aktivität und jedes<br />
Umweltziel zu erreichende Leistungsschwellen<br />
festlegen.<br />
Bedeutung, wenn die EU-Mitgliedsstaaten<br />
ihn für ihre eigenen Green-<br />
Bond-Emissionen verwenden oder<br />
wenn er für alle Emissionen grüner<br />
Anleihen verbindlich wird.<br />
Die Ausrichtung an der EU-Taxonomie<br />
birgt zudem einen grundlegenden<br />
Streitpunkt: die Einstufung von<br />
Atomenergie und fossilem Gas als<br />
nachhaltig im Juli 2022. „Private<br />
Anlegerinnen und Anleger werden<br />
nicht in ‚nachhaltige‘ Produkte<br />
investieren wollen, die das Taxonomie-Label<br />
tragen“, kommentierten<br />
Kritiker wie Matthias Kopp, Leiter des<br />
Bereichs Sustainable Finance beim<br />
WWF Deutschland, die Entscheidung.<br />
Inwieweit sich dies auf die Akzeptanz<br />
der neuen grünen Anleihen auswirkt,<br />
wird sich zeigen.<br />
EU führt neuen Standard für „grüne“ Anleihen ein.<br />
EU-Label bringt bei größeren Anforderungen keinen<br />
echten Mehrwert.<br />
Ausrichtung an EU-Taxonomie bringt Kontroversen mit sich.<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
22 | INVESTMENTFONDS Nachhaltigkeit<br />
Stresstest für ESG-Fonds<br />
Die Präferenzabfrage erfordert eine nachhaltige Fondsvariante, falls der Kunde sie<br />
möchte. Dabei sollte auf das eingeschränkte Investmentuniversum hingewiesen werden.<br />
JW JAN F. WAGNER<br />
Sind nachhaltige Investments fürs<br />
langfristige Sparen eine gute Idee?<br />
Diese Frage stellen sich Finanzanlagenvermittler<br />
spätestens seit Einführung<br />
der sogenannten „Nachhaltigkeitspräferenzabfrage“<br />
(NPA). Laut<br />
der NPA, die im August 2022 zunächst<br />
für Bank- und Versicherungsberater<br />
galt und seit dem Frühling <strong>2023</strong> nun<br />
auch für 34f-Vermittler, muss der<br />
Kunde explizit gefragt werden, ob<br />
sein Investment umwelt-, sozial- und<br />
governancespezifische (ESG) Kriterien<br />
berücksichtigen soll. Wenn ja, soll<br />
ihm ein passendes ESG-Investment<br />
empfohlen werden.<br />
ESG-Fonds haben jedoch im Vergleich<br />
zu konventionellen einen Nachteil:<br />
Der Ausschluss von Sektoren wie<br />
Rüstungsgüter oder die Favorisierung<br />
von Unternehmen mit einem niedrigen<br />
CO 2<br />
-Ausstoß verkleinern das<br />
Investmentuniversum und die Renditeoptionen<br />
fürs Fondsmanagement.<br />
Für die Performance muss das nicht<br />
zwingend schlecht sein. Die Fokus-<br />
Was Sie erfahren<br />
werden:<br />
Wie das Fondsuniversum<br />
eingeschränkt ist<br />
Welche Aussagekraft die<br />
kurzfristige Performance hat<br />
Die Handhabung bei der<br />
ESG-Abfrage<br />
Illustration: Roman Kulon
Nachhaltigkeit INVESTMENTFONDS | 23<br />
Performancevergleich: globale Aktienfonds mit und ohne ESG<br />
Jahre<br />
3 5 3 5 3 3<br />
3 5 3 5 3 5 3 5<br />
60,7<br />
50,4 51,4<br />
27,7<br />
39,5<br />
22,4<br />
29,8<br />
36,5<br />
24,7<br />
27,4<br />
24,9<br />
26,9<br />
41,5<br />
39,3<br />
Allianz<br />
Global<br />
Sustainability<br />
Allianz<br />
Global<br />
Equity Insights<br />
Deka-<br />
Nachhaltigkeit<br />
GlobalChampions<br />
Deka-<br />
Global<br />
Champions<br />
DWS<br />
Invest ESG<br />
Equity Income<br />
DWS<br />
Top Dividende<br />
Uni<br />
Nachhaltig<br />
Aktien Global<br />
Uni<br />
Global<br />
ESG-Fonds<br />
konventioneller Fonds<br />
Wertentwicklung in % kumuliert Quelle: Factsheets der Anbieter, eigene Recherche; Stand: 30.9.<strong>2023</strong><br />
3<br />
sierung auf eine bestimmte Gruppe<br />
von Unternehmen, das heißt auf<br />
solche mit guten ESG-Ratings, kann<br />
das Risiko in einem Portfolio senken,<br />
von einer bösen Überraschung am<br />
Kapitalmarkt erwischt zu werden.<br />
Man denke da an prominente Beispiele<br />
wie den VW-Dieselskandal. Es gibt<br />
auch zahlreiche Studien, die zeigen,<br />
dass eine ESG-Strategie das Portfolio<br />
schwankungsresistenter macht und<br />
somit zur Outperformance beiträgt.<br />
Geduldsprobe für Sparer<br />
Doch dafür muss der Sparer im<br />
Zweifel viel Geduld aufbringen. Denn<br />
angesichts der begrenzten Investmentmöglichkeiten<br />
können ESG-Investments<br />
den Anleger immer wieder<br />
Geld kosten. So hat eine Stichprobe<br />
bei vier globalen Aktienfonds ergeben,<br />
dass die Fonds ohne ESG in den<br />
letzten drei Jahren besser performt<br />
haben als die mit ESG (siehe Grafik).<br />
Grund für den Performanceunterschied<br />
sind Experten zufolge der Beginn<br />
des Ukraine-Kriegs im Frühjahr<br />
2022 sowie die höheren Energiepreise,<br />
die sowohl mit dem Krieg als auch<br />
mit dem Ende der Corona-Pandemie<br />
im selben Jahr zu tun haben. „Renditen<br />
von ESG-Investments waren bis<br />
zum Beginn des Kriegs meist nicht<br />
schlechter als die von vergleichbaren<br />
traditionellen Investments. Seitdem<br />
rentieren die bei Nachhaltigkeitsfonds<br />
meist ausgeschlossenen bzw.<br />
stark untergewichteten Branchen<br />
wie fossile Energie und Rüstung besonders<br />
gut“, sagt zum Beispiel der<br />
ESG-Experte Dirk Söhnholz (siehe<br />
Interview). Tatsächlich weisen die<br />
untersuchten konventionellen Fonds<br />
ein höheres Exposure zum Energiesektor<br />
auf als die ESG-Varianten. Im<br />
Falle des DWS-Fonds (Top Dividende)<br />
und des Allianz-Fonds (Global Equity<br />
Insights) gehörten größere Öl- und<br />
Gasunternehmen zu den Top-Ten-Beteiligungen<br />
im Portfolio.<br />
»Wie alle Investments<br />
können auch<br />
nachhaltige Anlagen<br />
zeitweise Renditenachteile<br />
haben.«<br />
Prof. Dr. Dirk Söhnholz<br />
Soehnholz ESG GmbH<br />
Zutreffend ist aber auch, dass die<br />
Schwäche der untersuchten ESG-<br />
Fonds nur vorübergehend sein<br />
könnte. Für die Stichprobe wurden<br />
Zeiträume von drei bis fünf Jahren gewählt,<br />
und dabei war der ESG-Fonds<br />
der DWS auf Sicht von fünf Jahren<br />
besser. Es gilt auch zu erwähnen, dass<br />
die Performance von ETFs, die die<br />
ESG-Indizes von MSCI abbilden, in<br />
den letzten drei Jahren etwas besser<br />
war als die von ETFs auf den MSCI<br />
World. Nur: Angesichts der hohen Gewichtung<br />
von Tech-Unternehmen wie<br />
Microsoft und Alphabet oder Süßgetränkeherstellern<br />
wie Coca-Cola und<br />
Pepsi in den ESG-Indizes kann man<br />
die berechtigte Frage stellen, ob sie<br />
wirklich so nachhaltig sind.<br />
Dilemma für Berater<br />
Die Stichprobe zeigt jedenfalls, dass<br />
der Vermittler vor einem Dilemma<br />
steht, wenn er im Rahmen der NPA<br />
feststellt, dass die Performance des<br />
ESG-Produkts schlechter ist als die<br />
des konventionellen Fonds. Was also<br />
tun? Branchenexperten meinen,<br />
dass im Beratungsgespräch durchaus<br />
erklärt werden sollte, dass die Begrenzung<br />
der Investmentmöglichkeiten<br />
Renditenachteile mit sich bringen<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
24 | INVESTMENTFONDS Nachhaltigkeit<br />
»Kurzfristige Renditen<br />
wenig aussagekräftig«<br />
Prof. Dr. Dirk Söhnholz, Geschäftsführer Soehnholz ESG GmbH<br />
<strong>procontra</strong>: Eine Stichprobe bei globalen<br />
Aktienfonds hat ergeben, dass<br />
die Fonds, die ESG-Kriterien berücksichtigen,<br />
in den letzten drei Jahren<br />
schlechter performt haben als die, die<br />
die Kriterien nicht berücksichtigen.<br />
Woran liegt das?<br />
Dirk Söhnholz: Renditen von ESG-Investments<br />
waren bis zum Beginn des<br />
Ukraine-Kriegs meist nicht schlechter<br />
als die von vergleichbaren traditionellen<br />
Investments. Seitdem rentieren<br />
bei Nachhaltigkeitsfonds meist<br />
ausgeschlossene bzw. stark untergewichtete<br />
Branchen wie fossile Energie<br />
und Rüstung besonders gut. Manche<br />
Nachhaltigkeitsanbieter gewichten<br />
auch Tech-Investments relativ niedrig,<br />
weil diese ihre Mindest-Sozialkriterien<br />
nicht erfüllen. Das Risiko von nachhaltigen<br />
war aber oft geringer als<br />
das von traditionellen Investments,<br />
weil gute ESG-Ratings meist niedrige<br />
Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsrisiken<br />
bedeuten, die einen<br />
immer wichtigeren Gesamtrisikoanteil<br />
ausmachen.<br />
<strong>procontra</strong>: Bestätigt die Stichprobe,<br />
dass Nachhaltigkeit den Kunden Geld<br />
kostet?<br />
Söhnholz: Wie alle Investments<br />
können auch nachhaltige Investments<br />
zeitweise Renditenachteile haben,<br />
aber auch Outperformance bringen,<br />
wie vor dem Beginn des Kriegs. Die<br />
Risiken von Investments, die ESG-Kriterien<br />
berücksichtigen, sind dagegen<br />
konzeptionell niedriger als die von<br />
traditionellen Investments. Viele<br />
Studien zeigen, dass man schon mit<br />
wenigen Wertpapieren sehr gut diversifizieren<br />
kann. Und auch mit breit<br />
gestreuten Index-Investments kann<br />
man sehr hohe Verluste erleiden, wie<br />
die Dotcom-Krise im Jahr 2000 oder<br />
die Finanzkrise 2008 gezeigt haben.<br />
<strong>procontra</strong>: Wie löst der Berater das<br />
Dilemma, dass er im Rahmen der ESG-<br />
Präferenzabfrage ein schlechteres<br />
ESG-Produkt vorschlagen müsste?<br />
Söhnholz: Vergangene und besonders<br />
kurzfristige Renditen allein sagen<br />
meist wenig über Produktqualität aus.<br />
Gut gemachte ESG-Produkte haben<br />
typischerweise geringere Risiken als<br />
traditionelle Investments. Manche<br />
Theoretiker erwarten, dass niedrigere<br />
ESG-Risiken auch mit geringeren<br />
Renditen verbunden sein müssten.<br />
Allerdings haben Portfolios mit<br />
geringen Schwankungen oft höhere<br />
Renditen gehabt. Aktuell relativ<br />
niedrige Bewertungen und die<br />
erwartete steigende Nachfrage nach<br />
nachhaltigen Investments können<br />
künftig gute Renditen bringen. Berater<br />
sollten aber weder künftige Undernoch<br />
Outperformance suggerieren.<br />
könnte. Gleichzeitig auch betonen,<br />
dass diese nur von kurzer Dauer sein<br />
könnten und dass man mit solch<br />
einem Investment etwas Positives<br />
bewirken möchte. Die Rendite steht<br />
also nicht im Vordergrund bei einer<br />
Entscheidung für ESG.<br />
AfW-Vorstand Norman Wirth ist<br />
jedoch von der langfristigen Perfor-<br />
mance von ESG-Investments überzeugt.<br />
Er sagt: „Persönlich bin ich<br />
davon überzeugt, dass sich, wegen der<br />
unbedingten Notwendigkeit einer<br />
Hinwendung zu mehr Nachhaltigkeit<br />
und dem dazu auch erklärten politischen<br />
Willen, ein langfristiges<br />
Engagement in nachhaltige Finanzprodukte<br />
definitiv auszahlen wird.“<br />
Long Story short<br />
ESG-Verbindlichkeit schränkt<br />
Investmentuniversum ein.<br />
Renditeeffekte sollten in der<br />
Beratung erklärt werden.<br />
Langfristige Outperformance<br />
dennoch möglich<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Policierung im Nullkommanix.<br />
Läuft einfach.
26 | INVESTMENTFONDS Gesundheitsfonds<br />
Gesunde Beimischung<br />
Der Fortschritt verschiebt auch die Grenzen der Medizin. Das sorgt für Dynamik in einem<br />
ansonsten defensiven Sektor. Fonds bieten sich für ein Langfristinvestment an.<br />
ST STEFAN TERLIESNER<br />
Was Sie erfahren<br />
werden:<br />
Wie der Gesundheitssektor<br />
gegenüber dem Gesamtmarkt<br />
performt<br />
Welche Fonds für ein Langfristinvestment<br />
infrage<br />
kommen<br />
Wie die Branche defensiv und<br />
wachstumsstark vereint<br />
Auch diesen Winter rollen Grippe-<br />
und Corona-Wellen über die<br />
Menschen hinweg. Dann reichen<br />
Ärzte und Apotheken wieder jede<br />
Menge Medikamente aus – und in<br />
den Kassen der Hersteller klingeln<br />
die Münzen. Die Gesundheit geht<br />
halt vor. Auch deshalb sollten Anleger<br />
ihrem Depot Anteile von Healthcare-<br />
Aktienfonds beimischen. Auf mittlere<br />
bis lange Sicht überzeugt ihre Performance<br />
(siehe Tabelle).<br />
Besser als der Gesamtmarkt<br />
Laut „Börsen-Zeitung“ hat der<br />
Branchenindex MSCI Healthcare von<br />
September 2008 bis September <strong>2023</strong><br />
eine Wertsteigerung von 462 Prozent<br />
erwirtschaftet, während der MSCI<br />
World in diesem Zeitraum auf eine<br />
Performance von 350 Prozent kam.<br />
Dabei falle die Volatilität, also das<br />
Ausmaß der Kursschwankungen und<br />
damit das Anlagerisiko, niedriger<br />
aus als beim gesamten Aktienmarkt.<br />
Die Outperformance hat der Sektor<br />
erzielt, obwohl viele Aktienkurse von<br />
Gesundheitskonzernen nach dem<br />
Boom während der Corona-Pandemie<br />
kräftig gesunken sind. Beobachtern<br />
zufolge sind Healthcare-Aktien derzeit<br />
im langfristigen Vergleich eher<br />
moderat bewertet.<br />
Zu einer chancenreichen Anlage<br />
macht den Gesundheitssektor vor<br />
allem die Wachstumsperspektive.<br />
Dies betont Alex Gold, Fondsmanager<br />
des Fidelity Global Health Care,<br />
gegenüber <strong>procontra</strong>: „Wir leben<br />
immer länger, und die Weltbevölkerung<br />
altert dramatisch. Die Nachfrage<br />
nach Gesundheitsleistungen nimmt<br />
zu. Diese Leistungen und Produkte<br />
sind für uns alle greifbar. Der Gesundheitssektor<br />
ist deswegen für Anleger<br />
interessant, die in einen defensiven,<br />
weitestgehend konjunkturunabhängigen<br />
Wirtschaftsbereich investieren<br />
Illustration: Eleonora Mavromati
Gesundheitsfonds INVESTMENTFONDS | 27<br />
wollen.“ Das gelte speziell für Bereiche<br />
wie Pharmazie, Biotechnologie,<br />
Gesundheitsversicherungen oder<br />
Medizintechnik.<br />
Unverzichtbare Produkte<br />
Den Anlagestrategen von Janus<br />
Henderson Investors zufolge haben<br />
85 Prozent des Sektors „defensive“ Eigenschaften.<br />
Denn so groß sei der Anteil<br />
an Arzneimitteln, medizinischen<br />
Geräten und Gesundheitsdiensten,<br />
und diese seien quasi unverzichtbar.<br />
Die restlichen 15 Prozent entfielen auf<br />
Biotechnologieunternehmen. Dieser<br />
Teilsektor umfasse auch innovative<br />
– und typischerweise volatile – Small-<br />
und Mid-Cap-Unternehmen, die ein<br />
größeres Wachstumspotenzial bieten.<br />
Ein Beispiel ist BioNTech.<br />
Die Ausführungen verdeutlichen<br />
die Breite des Anlageuniversums. In<br />
vielen Fonds enthalten sind die US-<br />
Firmen United Health Group, Thermo<br />
»Der Gesundheitssektor<br />
ist ein<br />
weitestgehend<br />
konjunkturunabhängiger<br />
Wirtschaftsbereich.«<br />
Alex Gold, Fondsmanager<br />
bei Fidelity International<br />
Fondsname<br />
Fisher, Eli Lilly, Johnson & Johnson<br />
und Merck & Co. Die USA sind der<br />
größte Markt für Gesundheitsprodukte<br />
und -dienstleistungen; es folgen<br />
China, Japan und Deutschland. Aus<br />
Europa häufiger in Healthcare-Fonds<br />
enthalten sind Roche, Sanofi und<br />
Astra Zeneca.<br />
»Volkskrankheiten« als Treiber<br />
Für Gesprächsstoff sorgt seit einigen<br />
Monaten Novo Nordisk aus Dänemark.<br />
In den vergangenen fünf Jahren<br />
ist die Aktie um rund 400 Prozent<br />
gestiegen, die Gesellschaft und ist<br />
jetzt das wertvollste europäische Börsenunternehmen.<br />
Ihren Höhenflug<br />
verdanken die Dänen der Nachfrage<br />
nach ihren Produkten gegen Diabetes<br />
ISIN<br />
und Fettleibigkeit. Bei Letzterer handelt<br />
es sich laut der Weltgesundheitsorganisation<br />
WHO um eine Krankheit<br />
Gesundheit fürs Depot<br />
Auswahl thesaurierender Aktienfonds; Ranking gemäß 3-Jahres-Performance<br />
Rendite p. a. in %<br />
3<br />
Jahre<br />
5<br />
Jahre<br />
10<br />
Jahre<br />
lfd.<br />
Kosten<br />
p. a. in %<br />
Fidelity Global Health Care Fund A EUR LU0261952419 5,4 7,6 9,9 1,9<br />
DWS Health Care Typ O DE0009769851 5,4 6,0 9,1 0,9<br />
JPM Global Healthcare A EUR LU0880062913 4,0 7,0 9,4 1,7<br />
Bellevue Medtech & Services B EUR LU0415391431 2,4 5,7 11,8 2,2<br />
Pictet Health P EUR LU0255978776 0,6 3,5 7,7 2,0<br />
Long Story short<br />
Quelle: Morningstar, Stand: 6.11.<strong>2023</strong><br />
mit epidemischen Ausmaßen. Zwei<br />
Drittel der Menschen in der EU seien<br />
zu dick, in Deutschland rund 57 Prozent.<br />
Novo Nordisk ist unter anderem<br />
mit seinem Appetitzügler Wegovy in<br />
diesem Markt aktiv. Das Unternehmen<br />
berichtete schon von Lieferengpässen.<br />
Konkurrenzprodukte gibt es<br />
von Eli Lilly und Roche.<br />
Solche Beispiele belegen die Dynamik<br />
im Gesundheitssektor. Innovationen<br />
eröffnen bei einzelnen Unternehmen<br />
immer wieder großes Kurspotenzial.<br />
Auch aus diesem Grund ist ein<br />
Investment in entsprechende Fonds<br />
interessant. Nach unten ist der Kurs<br />
einer Fondsanlage mittel- bis langfristig<br />
gut abgesichert, denn die wachsende<br />
Weltbevölkerung sowie die<br />
zunehmende Alterung und der<br />
steigende Wohlstand in vielen Staaten<br />
sorgen für solide Nachfrage.<br />
Für ihre Gesundheit geben Menschen immer Geld aus.<br />
Innovationen und Demografie sind Treiber im Gesundheitsmarkt.<br />
Healthcare-Fonds sind ein attraktives Langfristinvestment.<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
28 | VERSICHERUNGEN Steile Thesen 2024<br />
STEILE THESEN 2024<br />
+++ Riester-Rente reformiert +++ Fusionswelle bei VVaG +++ Elementarversicherung<br />
wird Pflicht +++ Wohngebäudeversicherung mit roten Zahlen +++ Versicherer geben<br />
Cybersparte auf +++ Sozialpartnermodell auf Kippe +++ ZZR als Ertragsquelle +++<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Magere Renditen, hohe Kosten<br />
und eine Abwendung des Vertriebs<br />
– die Riester-Rente hat<br />
ein schlechtes Image. Konkrete<br />
Reformvorschläge der Fokusgruppe<br />
Altersvorsorge lassen auf ein<br />
Revival hoffen.<br />
STEILE THESE:<br />
»Die neue Riester-Rente<br />
wird vorgestellt.«<br />
Im Juli dieses Jahres stellte die von<br />
der Bundesregierung eingesetzte<br />
Fokusgruppe private Altersvorsorge<br />
Reformvorschläge vor, die in der<br />
Branche überwiegend positiv aufgenommen<br />
wurden.<br />
Kein öffentlich verwalteter Staatsfonds,<br />
stattdessen Bestandsschutz für<br />
die 16 Millionen bestehenden Riester-<br />
Verträge. Die Garantievorgaben sollen<br />
flexibilisiert werden, sodass stärker<br />
am Kapitalmarkt investiert werden<br />
kann und weniger Investitionen in<br />
Rentenfonds notwendig sind. Zudem<br />
wird ein Altersvorsorgedepot,<br />
bei dem das Geld zum Beispiel in<br />
börsengehandelten Indexfonds (ETFs)<br />
angelegt wird, vorgeschlagen. Freiwillige<br />
Garantien für extrem sicherheitsorientierte<br />
Anleger sollen aber<br />
möglich bleiben.<br />
Des Weiteren sollen die Fördergrenzen<br />
steigen, ein Anbieterwechsel<br />
einfacher werden und eine bessere<br />
Vergleichbarkeit durch mehr Transparenz<br />
geschaffen werden. Allerdings<br />
wird auch eine Abkehr von der<br />
»Ich sehe Licht und<br />
Schatten. Es ist noch<br />
ein weiter Weg bis<br />
zum Gesetz.«<br />
Professor Dr. Jochen Ruß,<br />
Institut für<br />
Aktuarwissenschaften ifa<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Die Zinswende macht Riester-Renten wieder attraktiver, wodurch<br />
der Reformbedarf aber nicht verschwindet. Die Politik ist<br />
entschlossen, kommendes Jahr Nägel mit Köpfen zu machen.<br />
lebenslangen Verrentung vorgeschlagen.<br />
„Ich sehe im Abschlussbericht<br />
Licht und Schatten, vieles ist vage<br />
formuliert. Es ist noch ein weiter Weg<br />
bis zum Gesetzentwurf, wie die<br />
Umsetzung konkret erfolgt, bleibt<br />
spannend“, lautet die Einschätzung<br />
von Prof. Jochen Ruß vom Institut für<br />
Aktuarwissenschaften der Universität<br />
Ulm. Das Bundesfinanzministerium<br />
ist jedenfalls entschlossen: „Dem BMF<br />
ist es ein Anliegen, schnelle und<br />
konkrete gesetzgeberische Schritte<br />
folgen zu lassen. Das Gesetzgebungsverfahren<br />
dazu soll nach Vorstellung<br />
des BMFs im kommenden Jahr<br />
erfolgen und abgeschlossen werden“,<br />
sagte ein Sprecher auf Anfrage von<br />
<strong>procontra</strong>. Es geht also voran.<br />
80 %<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Steile Thesen 2024 VERSICHERUNGEN | 29<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Im September wurde bekannt,<br />
dass die Barmenia und die<br />
Gothaer Versicherungen einen<br />
Zusammenschluss auf Augenhöhe<br />
planen. Beide sind VVaG, eine<br />
gemeinsame Holding würde in die<br />
Assekuranz-Top-Ten aufsteigen.<br />
STEILE THESE:<br />
»Es kommt zu einer Fusionswelle<br />
unter den Versicherungsvereinen<br />
auf Gegenseitigkeit.«<br />
aktuellen Fall ergänzen sich zwei mittelgroße<br />
Versicherer mit der gleichen<br />
Rechtsform und einer ähnlichen<br />
Firmenkultur. Die Barmenia ist in der<br />
Krankenversicherung, die Gothaer<br />
im Bereich Komposit stark. Und: „Die<br />
Gothaer wächst insbesondere im Firmenkundenbereich<br />
über alle Sparten,<br />
die Barmenia zeigt eine sehr dynamische<br />
Entwicklung im Privatkundengeschäft“,<br />
so Dr. Andreas Eurich,<br />
Vorstandsvorsitzender der Barmenia<br />
bei Bekanntgabe der Pläne, zu denen<br />
auch eine dreijährige Beschäftigungsgarantie<br />
für die Arbeitsplätze der<br />
Mitarbeiter gehört.<br />
Kann die Barmenia Gothaer Finanzholding<br />
AG, die im dritten Quartal<br />
2024 vollzogen sein soll, Modell für<br />
weitere Fusionen sein? Schließlich<br />
verbessern sich Investitionskraft und<br />
Risikotragfähigkeit in einer größeren<br />
Markteinheit. Und die regulatorischen<br />
Herausforderungen dürften<br />
den Versicherungsunternehmen<br />
dann auch leichter fallen.<br />
Fusionen unter gleichberechtigten<br />
Partnern geschehen in der Versicherungswirtschaft<br />
nicht sehr häufig,<br />
Verschmelzungen und Übernahmen<br />
sind schon eher das Tagesgeschäft. Im<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Viele Wettbewerber werden den Fortgang der Fusion genauestens<br />
verfolgen. Ein Erfolg könnte durchaus ein starkes Signal<br />
für die weitere Konsolidierung in dieser Branche sein.<br />
55 %<br />
Elementargefahren durch Naturgewalten<br />
müssen in Deutschland<br />
speziell versichert werden. Sie werden<br />
in Kombination mit einer Gebäude-<br />
und Hausratversicherung oder durch<br />
Erweiterung bestehender Verträge<br />
abgeschlossen. In Deutschland ist<br />
bislang nur rund die Hälfte der Hausbesitzer<br />
gegen Elementargefahren<br />
geschützt. Aufgrund der enormen<br />
Schäden und der zunehmenden<br />
Häufigkeit von Elementarereignissen<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Sturmtief Bernd sorgte im Juli<br />
2021 für 33 Milliarden Euro<br />
Schäden. Nur ein Bruchteil davon<br />
war versichert. Eine Versicherungspflicht<br />
gegen Elementargefahren<br />
hätte vielerorts die Folgen<br />
abgemildert.<br />
durch den Klimawandel wird die Einführung<br />
einer Versicherungspflicht<br />
debattiert. Diese ist verfassungsrechtlich<br />
zwar möglich, wurde bisher aber<br />
von Justizminister Marco Buschmann<br />
(FDP) abgelehnt. Immerhin: Soweit<br />
der Bund selbst keine Regelung trifft,<br />
haben die Länder laut Grundgesetz<br />
die Gesetzgebungskompetenz dafür.<br />
Der Bundesrat stimmte im März <strong>2023</strong><br />
für die Einführung einer Pflichtversicherung<br />
für Elementarschäden. Das<br />
erhöht den Druck auf die Bundesregierung,<br />
zu handeln. Die FDP bleibt<br />
bisher aber bei ihrer Ablehnung, sie<br />
befürchtet ansonsten eine erhebliche<br />
STEILE THESE:<br />
»Elementarversicherung wird<br />
bundesweit zur Pflicht.«<br />
Erhöhung der Kosten für Wohnraum.<br />
Zudem werde der Anreiz für Präventionsmaßnahmen<br />
abgeschwächt.<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Die Branche ist in dieser Frage gespalten.<br />
Auf Bundesebene ist keine Pflichtversicherung<br />
in Sicht, aber zumindest<br />
einzelne Bundesländer könnten durchaus<br />
bald handeln.<br />
15 %<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
30 | VERSICHERUNGEN Steile Thesen 2024<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Die Vermittler werden immer älter,<br />
sowohl in der Ausschließlichkeit<br />
als auch im freien Maklervertrieb.<br />
Die Versicherungswirtschaft<br />
bemüht sich daher verstärkt um<br />
qualifizierten Nachwuchs.<br />
Der größte Part der Vermittler hat<br />
laut einer Studie des BVK ein Alter<br />
zwischen 50 und 59 Jahren. Fast die<br />
Hälfte der Berufsgruppe (44,5 Prozent)<br />
gehört zu dieser Alterskohorte.<br />
17,2 Prozent sind über 60. Knapp jeder<br />
sechste Vermittler ist demnach vom<br />
Ruhestand nicht mehr weit entfernt.<br />
Und nur 1,9 Prozent aller Befragten<br />
waren jünger als 30 Jahre.<br />
Das Nachwuchsproblem der Branche<br />
ist mit Händen zu greifen. Hinzu<br />
kommt, dass das traditionell schlechte<br />
Image es schwierig macht, junge<br />
Menschen für den Beruf eines<br />
Versicherungsvermittlers oder<br />
Finanzanlagenberaters zu begeistern.<br />
In der Schule findet Finanzbildung<br />
bisher kaum statt. Der klassische<br />
Einstieg erfolgt meist immer noch<br />
über eine Bank- oder Versicherungslehre.<br />
Eine Akademisierung des<br />
Beraterberufs hat seit der Regulierung<br />
des Berufsstandes kaum<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
STEILE THESE:<br />
»Versicherungsbranche erfährt<br />
einen dringend notwendigen<br />
Nachwuchsschub.«<br />
Ein Anfang ist gemacht, aber es wird noch viel mehr Anstrengungen<br />
brauchen, um das Potenzial junger, motivierter Menschen<br />
aus der Generation Z für den Vermittlerberuf zu aktivieren.<br />
stattgefunden. Auf der DKM ging man<br />
das Problem mit frischem Elan an.<br />
Erstmals war ein eigener Bereich für<br />
den Vermittlernachwuchs (Young<br />
DKM) mit eigenem Bühnenprogramm<br />
gestaltet. Zum zweiten<br />
Messetag wurden zudem mehr als<br />
300 junge Studierende eingeladen,<br />
sich einen eigenen Eindruck von der<br />
Versicherungsbranche zu machen.<br />
50 %<br />
STEILE THESE:<br />
»Versicherer<br />
kapitulieren<br />
vor Cyberrisiken<br />
und<br />
stellen<br />
Geschäft ein.«<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Cyberversicherungen haben Konjunktur,<br />
schließlich wachsen die<br />
Bedrohungen sowohl für private<br />
Haushalte als auch für Unternehmen.<br />
Damit steigt auch der Umfang der zu<br />
regulierenden Schäden. Laut GDV<br />
verzeichneten die Cyberversicherer<br />
2021 erstmals mehr Aufwendungen<br />
als Einnahmen. „Unter dem Strich<br />
betrug die Schaden-Kosten-Quote fast<br />
124 Prozent nach 65 Prozent ein Jahr<br />
zuvor“, rechnete Jörg Asmussen,<br />
Hauptgeschäftsführer des GDV, vor.<br />
Die Vertragszahlen legten weiter zu,<br />
2022 gingen Schäden und die Schaden-Kosten-Quote<br />
wieder zurück (auf<br />
78 Prozent). Aktuell werden steigende<br />
Beitragseinnahmen bei deutlich<br />
wachsendem Schadenaufwand<br />
verzeichnet. Die Cyberversicherung<br />
ist eine junge Sparte, die Anbieter<br />
sammeln noch Erfahrungen, dennoch<br />
möchte sich niemand eine<br />
chronisch defizitäre Sparte leisten.<br />
Die Versicherer plädieren daher für<br />
mehr Prävention, insbesondere im<br />
Mittelstand. Schließlich sollen<br />
Cyberversicherungen „das Restrisiko“<br />
eines erfolgreichen Angriffs absichern<br />
– dieser Schutz setze aber laut<br />
GDV ein gewisses Maß an IT-Sicherheit<br />
voraus.<br />
Laut Bitkom entstand der deutschen<br />
Wirtschaft 2022 ein Schaden von<br />
203 Milliarden Euro durch Diebstahl<br />
von IT-Ausrüstung/Daten, Spionage<br />
und Sabotage. 84 Prozent der Unternehmen<br />
waren betroffen.<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Mit einem umfassenden Rückzug der Anbieter aus dem Wachstumsmarkt<br />
Cyber ist nicht zu rechnen. Stattdessen werden<br />
eher die Anforderungen an die Sicherheit von Cyberversicherungen<br />
ebenso wie die Beiträge erhöht werden.<br />
25 %<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Steile Thesen 2024 VERSICHERUNGEN | 31<br />
STEILE THESE:<br />
»Sozialpartner modell<br />
wird wieder<br />
abgeschafft.«<br />
STEILE THESE:<br />
»Zinszusatzreserve wird<br />
wichtigste Ertragsquelle<br />
für Lebens versicherer.«<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Im 2018 eingeführten BRSG war das Sozialpartnermodell<br />
ein Herzstück. Arbeitgeber geben hier lediglich eine reine<br />
Beitragszusage. Doch in der Praxis wird dieser bAV-<br />
Durchführungsweg bisher kaum genutzt.<br />
Da die Betriebsrenten seit Jahren bei zuletzt rund<br />
21 Millionen aktiven Anwartschaften stagnieren, hatte<br />
die Große Koalition Arbeitgebern und Gewerkschaften<br />
mit dem BRSG die Möglichkeit eingeräumt, per<br />
Tarifvertrag Betriebsrenten mit reiner Beitragszusage<br />
einzuführen. Die Arbeitnehmer können hier zwar<br />
renditeträchtigere Anlagen auswählen, tragen aber<br />
auch weitgehend das Kapitalmarktrisiko. Sie erhalten<br />
keine Rentenhöhe garantiert. Doch bis heute gibt es<br />
nur ein einziges branchenweites Sozialpartnermodell,<br />
das von der Gewerkschaft IG BCE und dem Arbeitgeberverband<br />
BAVC für die chemisch-pharmazeutische<br />
Industrie vereinbart wurde. Ein Modell der Talanx mit<br />
der Gewerkschaft ver.di befindet sich seit längerer<br />
Zeit in der Genehmigungsphase bei der BaFin.<br />
Ablehnung bei den Gewerkschaften<br />
Der jüngste Tiefschlag: Der Gewerkschaftstag lehnte<br />
kürzlich das Sozialpartnermodell im Organisationsbereich<br />
der IG Metall ab. Dabei gab es schon weit<br />
gediehene Vorarbeiten der Gewerkschaft in Baden-<br />
Württemberg zusammen mit dem Arbeitgeberverband<br />
Südwest metall. Aber eine Betriebsrente ohne<br />
Garantien mit Kapitalmarktrisiko war der Klientel<br />
einfach nicht vermittelbar.<br />
Klassische Lebensversicherungen<br />
verkauften<br />
sich laut GDV im<br />
vergangenen Jahr<br />
wesentlich schlechter,<br />
die Zahl der Neuabschlüsse<br />
ging um<br />
18,8 Prozent zurück.<br />
Aufgrund der hohen<br />
Inflation rechneten Verbraucher mit spitzem Bleistift und<br />
reduzierten ihre Vorsorgeaufwendungen. Mit –15,8 Prozent<br />
verzeichneten auch Risikoversicherungen, zu denen<br />
Risikolebensversicherungen gehören, ein dickes Minus. Die<br />
Gründe liegen auf der Hand: viele Menschen verschoben<br />
aufgrund der gestiegenen Zinsen einen Immobilienkauf<br />
oder begruben ihre Pläne für ein Eigenheim.<br />
Entlastung erfahren die Lebensversicherer hingegen durch<br />
die Zinszusatzreserve (ZZR). Durch den raschen und erheblichen<br />
Zinsanstieg ist der Zuführungsbedarf zur ZZR weggefallen.<br />
Um ihre Garantieversprechen abzusichern, hatten<br />
die Lebenversicherer zuvor fast 100 Milliarden Euro zurückgestellt,<br />
meist über die Anzapfung stiller Reserven. Seit 2022<br />
gibt es erste Rückflüsse.<br />
„Die Versicherer können sich begründete Hoffnung machen,<br />
auch in Zukunft ZZR-Mittel abbauen zu können.<br />
Selbst falls die Zinsen wieder sinken sollten, ist zunächst<br />
nicht von einem Rückgang des Referenzzinses auszugehen“,<br />
so Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung<br />
bei Assekurata. Dies ergebe sich aus der zugrunde liegenden<br />
Berechnungsmethodik des Referenzzinses, für den Assekurata<br />
im Rahmen der Marktstudie verschiedene Zukunftsszenarien<br />
simuliert hat.<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Das Profil deutscher Lebensversicherer<br />
verändert sich nachhaltig.<br />
Das ehemalige Kerngeschäft spielt<br />
eine immer geringere Rolle, dafür<br />
ergeben sich durch die Zinswende<br />
erfreuliche Aussichten.<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Die Ampel hat sich im Koalitionsvertrag<br />
klar zum Sozialpartnermodell<br />
bekannt. Statt einer Abschaffung<br />
wird es eher auf eine<br />
Reform im Rahmen eines BRSG II<br />
(siehe Seite 57) hinauslaufen.<br />
65 %<br />
Die Anbieter werden abwägen, ob<br />
sie die frei werdenden Mittel aus der<br />
ZZR lieber dazu nutzen, die Überschussbeteiligung<br />
sofort zu erhöhen,<br />
oder ob sie die Risikotragfähigkeit<br />
weiter stärken.<br />
60 %<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
32 | VERSICHERUNGEN Steile Thesen 2024<br />
STEILE THESE:<br />
»Wohngebäudeabsicherung<br />
wird immer mehr<br />
zum Minusgeschäft.«<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Die Wohngebäudeversicherung gilt in Deutschland als defizitär.<br />
Aktuelle Rahmenbedingungen wie steigende Bau- und<br />
Lohnkosten lassen diese Sparte für Versicherer auch langfristig<br />
als unwirtschaftlich erscheinen.<br />
Im Katastrophenjahr 2021 betrug die Schaden-Kosten-Quote<br />
in der Wohngebäudeversicherung laut GDV<br />
139 Prozent, bei der Hälfte der Anbieter lag sie über<br />
100 Prozent. Makler berichteten von Beitragssteigerungen<br />
von bis zu 30 Prozent. Auch im vergangenen Jahr<br />
war die branchenweite Kennzahl mit 106 Prozent ein<br />
Verlustbringer. Viele Versicherer haben Beitragsanpassungen<br />
vorgenommen. Ein wesentlicher Grund dafür<br />
sind durch die Inflation massiv gestiegene Baukosten.<br />
Höhere Aufbaukosten für Wohnraum<br />
In Deutschland sind die meisten Gebäude zum gleitenden<br />
Neuwert versichert, das heißt ohne feste Versicherungssumme.<br />
Die Beiträge der Wohngebäudeversicherung<br />
werden jedes Jahr an die Baupreis- und<br />
Lohn kos ten entwicklung angepasst. Der Anpassungsfaktor<br />
betrug <strong>2023</strong> 14,7 Prozent, für 2024 liegt er bei 7,5 Prozent.<br />
„Bisher sind keine Rückzüge von Versicherern zu<br />
erkennen. Im Gegenteil, neue Tarife wurden bereits<br />
ausgerollt, weitere sollen folgen. Dabei spielen verbesserte<br />
Bedingungen, sicher aber auch eine angepasste<br />
Kalkulation, eine Rolle. Wir beobachten, dass Vorschäden<br />
bei der Antragsprüfung kritischer bewertet werden<br />
und es vermehrt zu Ablehnungen kommt“ betont Sascha<br />
Wiese, Leiter Privatkundengeschäft bei Netfonds.<br />
Tesla hat jüngst<br />
angekündigt, auch<br />
Telematik-Tarife<br />
im Rahmen seiner<br />
Kfz-Versicherung<br />
einzuführen.In<br />
Deutschland gibt<br />
es Telematik-Tarife<br />
zwar schon seit<br />
einiger Zeit, aber<br />
das Angebot blieb bisher übersichtlich. Manche Anbieter<br />
sehen diesen Ansatz kritisch, so hat etwa die HDI ihren<br />
Telematik-Tarif Ende 2019 eingestellt. Gerade neue Mobilitätsanbieter<br />
legen Wert darauf, dass der Kunde nur<br />
bezahlt, was er auch tatsächlich nutzt. Diese Philosophie<br />
steht hinter dem Konzept der Telematik-Tarife in der<br />
Kfz-Versicherung. Wer seine Fahrdaten tracken lässt und<br />
besonders sicher fährt, verursacht weniger Unfälle und<br />
kostet folglich den Versicherer weniger. Warum soll dieser<br />
Kunde nicht geringere Beiträge bezahlen als jemand,<br />
der riskanter fährt und öfter in Unfälle verwickelt ist?<br />
Zumal die Kundenbindung, wenn die Versicherer im<br />
Schadenfall überzeugen können, deutlich steigt. So<br />
könnten etwa die Sensorik im Fahrzeug und die damit<br />
verbundene App den Schadenfall melden, der dann<br />
erster Auslöser für weitere Kundenkommunikation ist.<br />
Zusatzinfos können über die App der Gesellschaft<br />
abgefragt werden, etwa Fotos von Lackschäden. Die<br />
Abwicklung geht schneller; Kunden werden digital auf<br />
dem Laufenden gehalten, was ihre Zufriedenheit<br />
steigert.<br />
STEILE THESE:<br />
»Telematik-Tarife<br />
schaffen den<br />
Durchbruch.«<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Mit Telematik-Tarifen können<br />
Versicherer das individuelle Fahrverhalten<br />
ihrer Kunden besser<br />
verstehen und personalisierte<br />
Versicherungstarife anbieten.<br />
Versicherte sehen dies jedoch oft<br />
noch skeptisch.<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Eine Wohngebäudeversicherung<br />
gehört zum Standardarsenal eines<br />
Versicherers, ein Rückzug wäre auch<br />
eine Imagefrage. Wer es sich leisten<br />
kann, wird weiter Flagge zeigen.<br />
35 %<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Um das volle Potenzial dieser<br />
Technologie auszuschöpfen, müssen<br />
noch Fragen des Datenschutzes<br />
gelöst und die bislang mangelnde<br />
Akzeptanz überwunden werden. Das<br />
ist nur eine Frage der Zeit.<br />
65 %<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Steile Thesen 2024 VERSICHERUNGEN | 33<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Sechs Jahre nach Einführung des<br />
Betriebsrentenstärkungsgesetzes<br />
nutzt lediglich jeder dritte<br />
Beschäftigte (37 Prozent) die Entgeltumwandlung<br />
in der bAV.<br />
STEILE THESE:<br />
»Arbeitgeber müssen über<br />
Recht auf Entgeltumwandlung<br />
aufklären.«<br />
Fast jeder zweite Arbeitnehmer<br />
(45 Prozent) nimmt laut einer Studie<br />
von Deloitte an, dass sein Arbeitgeber<br />
keine bAV anbietet, auch nicht im<br />
Rahmen der Entgeltumwandlung.<br />
Das ist der Hauptgrund dafür, dass<br />
keine bAV abgeschlossen wird. Dabei<br />
besteht ein gesetzlicher Anspruch<br />
darauf, wenn Beschäftigte in der<br />
gesetzlichen Rentenversicherung<br />
pflichtversichert sind. Doch müssen<br />
Arbeitgeber ihre Mitarbeiter nicht<br />
von sich aus auf den Anspruch auf<br />
Entgeltumwandlung im Rahmen der<br />
bAV hinweisen (BAG, Urteil vom<br />
21.1.2014, 3 AZR 807/11). Das zu ändern<br />
erscheint auf den ersten Blick<br />
sinnvoll, der Teufel liegt aber im<br />
Detail. „Es müsste genau definiert<br />
werden: Welche Inhalte, in welchem<br />
Format, wann muss wer in welcher<br />
Art informiert werden? Und wann ist<br />
sichergestellt, dass die Information<br />
nicht nur erteilt, sondern auch<br />
individuell verstanden wurde? Mit<br />
der Übergabe, dem Abholen, dem<br />
Lesen?“, listet bAV-Expertin Cordula<br />
Vis-Paulus die Knackpunkte auf. Und<br />
wer soll informieren? Der Chef, die<br />
Buchhaltung, die Personalabteilung<br />
oder der Makler? Kurz: So wird das<br />
nicht funktionieren.<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Eine Verpflichtung der Arbeitgeber,<br />
über die bAV zu informieren, ist nur auf<br />
dem Papier eine gute Idee. In der Praxis<br />
wirft sie zu viele komplexe Fragen auf.<br />
25 %<br />
Das Niedrigzinsmodell hat Lebensversicherer<br />
mit teuren Garantien für<br />
Altverträge stark unter Druck gesetzt.<br />
Einige Versicherer wurden über einen<br />
Unternehmensverkauf als Ganzes an<br />
einen externen Spezialisten (Run-off-<br />
Plattform) verkauft. Andere Gesellschaften<br />
schlossen ihr Neugeschäft<br />
und wickeln die Verträge seitdem<br />
selbst ab (interner Run-off). In der<br />
Öffentlichkeit, insbesondere von<br />
Verbraucherschützern, gab es dazu<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Ein Dutzend Lebensversicherer<br />
hat das Neugeschäft eingestellt<br />
und den Bestand per Verkauf<br />
an Externe abgewickelt. Runoffs<br />
sind umstritten, weil die<br />
„verkauften“ Kunden Nachteile<br />
befürchten.<br />
STEILE THESE:<br />
»Neue Runoff-Welle<br />
unter den<br />
Lebensversicherern.«<br />
viel Kritik. Indes zeigte eine Studie<br />
von Assekurata, dass Kunden oftmals<br />
von einem Run-off durch Ertragsvor-<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Der Markt wird sich weiter konsolidieren. Run-off-Modelle<br />
sind mittlerweile etabliert. Angesichts eines herausfordernden<br />
Marktumfelds werden weitere Bestandsverkäufe erfolgen.<br />
teile profitierten. Die Zinswende hat<br />
die Finanzierungsbedingungen für<br />
die Altgarantien vieler Lebensversicherer<br />
verbessert. Doch Run-offs<br />
setzen reichlich Kapital und Managementkapazitäten<br />
frei, die anderweitig<br />
genutzt werden können. In diesem<br />
Jahr etwa verkaufte die Generali<br />
Deutschland ihre Pensionskasse an<br />
die Frankfurter-Leben-Gruppe, die<br />
auch den Bestand der Landeslebenshilfe<br />
übernehmen will. Der Verkauf<br />
von 720.000 Verträgen der Zurich an<br />
Viridium wurde wegen Zweifeln an<br />
der Zustimmung der BaFin bisher<br />
nicht vollzogen.<br />
85 %<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
34 | VERSICHERUNGEN Vertriebswege<br />
»Weniger Abschluss-, dafür<br />
mehr Bestandspflegeprovision«<br />
Die Inter will ihre Vertreterzahl bis 2026 fast verdoppeln.<br />
Dafür setzt man auch auf ein neues Provisionsmodell.<br />
Im Interview erläutert Vertriebsvorstand Michael Schillinger die Pläne.<br />
FB FLORIAN BURGHARDT<br />
Was Sie erfahren werden:<br />
Warum die Inter nun stärker auf die AO setzt<br />
Mit welchen Anreizen sie neue Partner lockt<br />
Was das für Makler bedeutet<br />
<strong>procontra</strong>: Manche Versicherer, zum<br />
Beispiel HDI und Nürnberger, wollen<br />
ihre Ausschließlichkeitsorganisation in<br />
den nächsten Jahren deutlich ausbauen.<br />
Haben Sie das Gleiche vor?<br />
Michael Schillinger: Ja. Mit Blick auf<br />
den „War for Talents“ haben wir uns die<br />
Frage gestellt, wen wir für uns gewinnen<br />
möchten und welche Vertriebswege<br />
für unsere Kundenzielgruppen zur<br />
Verfügung stehen. Im Ergebnis war und<br />
ist für uns das erste Standbein die Ausschließlichkeitsorganisation<br />
(AO), gleich<br />
neben dem Maklervertrieb. Dabei ist<br />
die AO ein stabilisierender Faktor, denn<br />
gute Vertriebspartner schaffen Beratungsqualität<br />
für die eigenen Produkte.<br />
Infolge dieser Überlegungen haben wir<br />
unser Qualitätsniveau neu definiert und<br />
deshalb auch unseren Ausschließlichkeitsvertrieb<br />
ein wenig ausgedünnt. Für<br />
diese Vermittler haben wir jetzt auch<br />
»Unser Ziel sind<br />
350 gebundene<br />
Vertriebspartner<br />
im Jahr 2026,<br />
also beinahe eine<br />
Verdopplung.«<br />
ein neues Karrieremodell entwickelt.<br />
<strong>procontra</strong>: Wie sieht dieses aus?<br />
Schillinger: Es erfüllt mehrstufig<br />
unseren Qualitätsanspruch, beinhaltet<br />
aber gleichzeitig wertschätzende<br />
Vergütungselemente für die Vermittler.<br />
Das bedeutet, unsere Vertriebspartner<br />
erhalten weniger Abschluss-, dafür<br />
mehr Bestandspflegeprovision. Letztere<br />
bemisst sich dabei unter anderem an<br />
der Qualität der Kommunikation des<br />
Vermittlers mit seinen Kunden und<br />
deren Zufriedenheitsquote. Im Prinzip<br />
wird unsere AO nun auch offiziell und<br />
direkt für die gute Bestandspflegearbeit<br />
vergütet, die sie schon immer leistet.<br />
Auch viele Vertriebspartner, die schon<br />
seit Langem für uns tätig sind, haben<br />
mittlerweile auf das neue Modell umgestellt,<br />
da sie damit oft mehr verdienen<br />
als bisher.<br />
<strong>procontra</strong>: Was bedeutet diese Veränderung<br />
bei Ihnen personell? Wie viele<br />
Vertreter wollen Sie bekommen?<br />
Schillinger: Wir waren bei etwa 250<br />
und sind dann im Zuge der Neuordnung<br />
zunächst auf 200 runter. Unser Ziel sind<br />
350 gebundene Vertriebspartner im<br />
Jahr 2026, also beinahe eine Verdopplung.<br />
Um sie zu finden und für unseren<br />
neuen Qualitätsanspruch fit zu machen,<br />
haben wir eine eigene Akademie, und<br />
das Konzept scheint aufzugehen. Für<br />
<strong>2023</strong> hatten wir uns 20 neue Vertriebspartner<br />
als Ziel gesetzt, aber bereits<br />
Ende Oktober hatten wir schon 24, und<br />
es geht weiter. Die Leute kommen dabei<br />
aus anderen Ausschließlichkeitsorganisationen<br />
zu uns, aber auch aus völlig<br />
anderen Branchen, und durchlaufen<br />
dann unsere Akademie.<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Vertriebswege VERSICHERUNGEN | 35<br />
Auf der DKM in<br />
Dortmund verriet<br />
Inter-Vertriebsvorstand<br />
Michael<br />
Schillinger im<br />
Interview mit <strong>procontra</strong>-Redakteur<br />
Florian Burghardt<br />
Details zur neuen<br />
AO-Offensive<br />
seines Unternehmens.<br />
<strong>procontra</strong>: Müssen sich die Makler<br />
Sorgen machen, wenn die Inter nun so<br />
stark auf ihre eigene AO setzt?<br />
Schillinger: Nein, wir wachsen zum<br />
Beispiel in Kranken und Komposit zweistellig<br />
im Maklermarkt. Hier haben wir<br />
kürzlich auch die Teams innerhalb unserer<br />
Maklerbetreuung verändert, sodass<br />
wir unsere ungebundenen Vermittler in<br />
Zukunft noch spezialisierter unterstützen<br />
können.<br />
<strong>procontra</strong>: Bei der Ergo bekommt jeder<br />
Makler, auch sehr kleine Betriebe und<br />
Berufseinsteiger, eine Direktanbindung.<br />
Ist das bei Ihnen auch so?<br />
Schillinger: Mit uns kann der Makler<br />
komplett so zusammenarbeiten, wie er<br />
es will. Das heißt entweder über eine<br />
vollständige Direktanbindung oder nur<br />
über Pools. Er kann aber auch nur für<br />
einen Bereich, beispielsweise die Krankenversicherung,<br />
eine Direktanbindung<br />
mit uns wählen, weil er da vielleicht<br />
unseren Maklerbetreuer am besten<br />
findet. Komposit kann er dann trotzdem<br />
gerne über den Pool machen, wenn er Bestände der Maklerpools werden<br />
das möchte. Wir sind da sehr flexibel. größer und bringen allein durch ihre<br />
<strong>procontra</strong>: Viele Versicherer betonen Verwaltung und Betreuung eine gute<br />
immer wieder, dass ihnen der Maklervertriebsweg<br />
sehr wichtig ist. Gleich-<br />
Investoren müssen sich keine Sorgen<br />
Rendite. Da fließt also viel Geld, und die<br />
zeitig läuft immer mehr Geschäft über machen, dass sie durch mangelndes<br />
Maklerpools, die sich wiederum zunehmend<br />
an ausländische Investoren ver-<br />
Wenn es aber irgendwann nur noch<br />
Neugeschäft nicht genug verdienen.<br />
kaufen. Ist das eine gute Entwicklung? einen riesigen Pool gäbe, dann wären<br />
Schillinger: Es ist offensichtlich ein die Versicherer in einer starken Abhängigkeit<br />
von diesem. Der würde ihnen<br />
Business Case, der aufgeht, und<br />
sicherlich werden noch weitere Investoreneinstiege<br />
folgen. Je schneller die sie macht. Hier ist es sicherlich auch<br />
genau diktieren, wie er das Geschäft für<br />
Konsolidierung auf dem Maklermarkt eine Aufgabe der Regulatorik, dafür zu<br />
voranschreitet, desto eher wird es für sorgen, dass am Ende nicht ein einziger<br />
Investoren zu einer Cash Cow. Denn die Maklerpool marktbeherrschend wird.<br />
Long Story short<br />
Inter will durch AO-Stärkung mehr Planbarkeit.<br />
Neues Vergütungsmodell stellt viele Vertriebspartner besser.<br />
Makler haben freie Wahl bei der Zusammenarbeit.<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
36 | VERSICHERUNGEN Einkommenssicherung<br />
Arbeitskraft durchdringen<br />
Vielen Menschen ist der Wert ihrer Arbeitskraft nicht bewusst, entsprechend fehlt der<br />
Schutz. Flexible Tarife und der Weg über den Chef sollen die Absicherungsquote erhöhen.<br />
ST STEFAN TERLIESNER<br />
Illustration: Roman Kulon
Einkommenssicherung VERSICHERUNGEN | 37<br />
Was Sie erfahren werden:<br />
Welches Potenzial im AKS-Markt steckt<br />
Wo psychische Erkrankungen unterschätzt werden<br />
Vorbehalte und Wünsche der Kunden<br />
hin, dass gerade in dieser Zielgruppe<br />
das Risiko, aus psychologischen<br />
Gründen berufsunfähig zu werden,<br />
unterschätzt wird (siehe Grafik). Auf<br />
dem Gipfeltreffen Biometrie in der<br />
<strong>procontra</strong>-<strong>Ausgabe</strong> Oktober-November<br />
<strong>2023</strong> war das ein Thema.<br />
Da sind sich Versicherer, Vermittler<br />
und Verbraucherschützer ausnahmsweise<br />
mal einig: Der Verlust der<br />
Arbeitskraft muss finanziell abgesichert<br />
sein. Erste Wahl ist traditionell<br />
eine Berufsunfähigkeitspolice. Doch<br />
auch Grundfähigkeits- oder Schwere-<br />
Krankheiten-Versicherungen sollten<br />
gleichberechtigt an den Start der<br />
Beratung gehen, um nicht als „unliebsame“<br />
Notlösung wahrgenommen zu<br />
werden.<br />
Durchdringung bleibt schwach<br />
Trotz der hohen Notwendigkeit haben<br />
zig Millionen Bundesbürger keine<br />
BU-Police abgeschlossen. „Seit Jahren<br />
gelingt es unserer Branche nicht, die<br />
Durchdringungsquote von bundesweit<br />
rund einem Drittel zu erhöhen“,<br />
sagt zum Beispiel Stefan Holzer, Leiter<br />
Versicherungsproduktion von Swiss<br />
Life Deutschland und Mitglied der Geschäftsleitung,<br />
gegenüber <strong>procontra</strong>.<br />
Oder in Zahlen: Von rund 45 Millionen<br />
Beschäftigten in Deutschland<br />
haben nur rund 15 Millionen eine<br />
BU-Versicherung.<br />
An der Qualität der Produkte liegt das<br />
offenbar nicht. Analysehäuser bestätigen<br />
das im Schnitt hohe Leistungsniveau<br />
vieler Anbieter. So erhalten<br />
aktuell fast 100 BU-Tarife unterschiedlicher<br />
Anbieter von Franke und<br />
Bornberg die höchste Ratingnote.<br />
Nur einige Beispiele: Plus von Allianz,<br />
Comfort von Condor, Premium von<br />
Gothaer, Ego Top von HDI und BU<br />
Flex von Swiss Life. Die Teilnahme an<br />
der Analyse ist für Versicherer aller-<br />
dings freiwillig. Folglich finden sich<br />
dort eh nur vorzeigbare Tarife.<br />
Top-Leistungen dank<br />
Wettbewerb<br />
Das in weiten Teilen hohe Leistungsniveau<br />
der Tarife ist ein Beleg für<br />
den Kampf der Produktgeber und<br />
Vermittler – vielleicht nicht um jeden<br />
Kunden, aber zumindest um dieselben<br />
Zielgruppen. „Wir haben einen<br />
wettbewerbsstarken BU-Markt mit<br />
einem qualitativ sehr hochwertigen<br />
Schutz“, betont Torben Wamser,<br />
Product Owner für den Einkommensschutz<br />
bei Signal Iduna. Und er fügt<br />
hinzu, dass der Markt „dementsprechend<br />
kostenintensiv sein kann“.<br />
Das spiegeln auch die Beiträge wider.<br />
Umfragen belegen, dass deren Höhe<br />
ein Grund dafür ist, keine BU-Police<br />
zu kaufen.<br />
Bezahlbare Tarife können Versicherer<br />
anbieten, wenn sie auf Kunden mit<br />
vermeintlich geringem Risiko zielen;<br />
Akademiker zum Beispiel. Doch im<br />
Markt weisen erste Stimmen darauf<br />
Risiken bleiben draußen<br />
Thorsten Saal, Bereichsleiter Mathematik<br />
bei Morgen & Morgen, weist im<br />
Zusammenhang einer zunehmenden<br />
Ausdifferenzierung innerhalb eines<br />
Tarifs auf ein weiteres „großes Problem“<br />
hin: „Das macht den Tarif zwar<br />
für gute Risiken preislich attraktiv,<br />
erhöht aber die Gefahren einer Risikoselektion.<br />
Die teuren Risiken sind<br />
meistens bei Menschen zu finden,<br />
die sich eine adäquate Risikoabsicherung<br />
nicht mehr leisten können.“ So<br />
»Seit Jahren gelingt es unserer Branche<br />
nicht, die Durchdringungsquote von bundesweit<br />
rund einem Drittel zu erhöhen.«<br />
Stefan Holzer<br />
Swiss Life Deutschland<br />
ergebe sich eine Verlagerung der Abschlüsse<br />
in Richtung „guter Risiken“.<br />
Und wörtlich: „Für die breite Durchdringung<br />
ist das nicht förderlich.“<br />
Auf die Probleme reagieren die Versicherer<br />
mit neuen Lösungen. Eine<br />
Möglichkeit, Beiträge bezahlbar zu<br />
halten, ist ein Abschluss in jungen<br />
Jahren. Diesen Weg beschreiten<br />
immer mehr Produktanbieter. Standard<br />
Life Deutschland etwa bietet<br />
Studierenden aus „dem Großteil der<br />
Studienrichtungen“ seit Ende Juni<br />
die Möglichkeit, sich mit einer<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
38 | VERSICHERUNGEN Einkommenssicherung<br />
Maklers Meinung<br />
vereinfachten Gesundheitsprüfung gegen das<br />
BU-Risiko abzusichern. Und LV 1871 vertreibt seit<br />
Mai einen BU-Tarif für Schüler ab sechs Jahren.<br />
Mit wenigen Fragen zum Gesundheitszustand<br />
erhielten sie einen vollwertigen BU-Schutz. Laut<br />
Klaus Math, Vorstand des Versicherers, „kann<br />
sich die Risikoeinstufung nicht mehr verschlechtern,<br />
auch wenn später ein risikoreicher Beruf<br />
ergriffen werden sollte“.<br />
»Biometrie bleibt<br />
komplex«<br />
Hans von Maltzahn, bAV-Experte und<br />
Senior Berater bei Hoesch & Partner<br />
Ich sehe gute Chancen für mehr Abschlüsse im BU-Markt. Der<br />
Trend weist in die richtige Richtung: Mit 29 Jahren im Schnitt<br />
sind Versicherungsnehmende bei Abschluss einer BU heute<br />
wesentlich jünger als noch vor Jahren. Die niedrigeren<br />
monatlichen Beiträge erhöhen die Abschlusswahrscheinlichkeit.<br />
Ein zweiter Grund ist das gestiegene Finanzbildungsniveau,<br />
insbesondere bei den Risikogruppen für psychische<br />
Erkrankungen, welche oftmals zugleich zu den Besserverdienenden<br />
gehören. Beim Thema Aufklärung sehen wir den mit<br />
Abstand größten Hebel. Was an privaten Universitäten und<br />
Fachhochschulen bereits überwiegend Standard ist, lässt an<br />
öffentlichen Bildungseinrichtungen auf sich warten. Hier<br />
muss deutlich mehr getan werden! Denn dass die Komplexität<br />
biometrischer Versicherungen – wie eben einer BU – sinken<br />
wird, ist eher nicht zu erwarten. Erfreulicherweise sind<br />
der Zugang zu Informationen und die Kostentransparenz<br />
durch Vergleichsplattformen einerseits und die Integration<br />
digitaler Tools in die Beratung durch zum Beispiel Versicherungsmakler<br />
andererseits besser gewährleistet denn je.<br />
Makler sollten Wert darauf legen, die Beratungskomplexität<br />
zu reduzieren. Es braucht einen modernen Kommunikationsansatz,<br />
der über „Broschürensprech“ hinausgeht, denn<br />
Interessierte benötigen Entscheidungshilfen! Zu mehr<br />
BU-Abschlüssen könnte in Zukunft auch die betriebliche<br />
Vorsorge beitragen. Als bAV-Experte in unserem Haus sehe<br />
ich das wachsende Interesse von Unternehmen an Social<br />
Benefits, wie zum Beispiel eben einer betrieblichen BU-Versicherung.<br />
Solche Zusatzleistungen sind für Arbeitgeber im<br />
War for Talents ein wichtiges Instrument, um sich abzuheben<br />
und soziale Verantwortung zu zeigen.<br />
Flexibel zum Abschluss<br />
Solche Tarife bieten sogar auf lange Sicht eine<br />
gewisse Flexibilität; wie generell Verträge mit der<br />
Klausel Nachversicherungsgarantie. Dann kann<br />
die BU-Rente – oft ohne erneute Gesundheitsprüfung<br />
– erhöht werden, wenn sich zum Beispiel<br />
der Bedarf wegen Heirat oder Geburt eines<br />
Kindes ändert. Saal zufolge fragen einige Versicherer<br />
mittlerweile beispielsweise auch nicht<br />
mehr nach riskanten Hobbys oder Auslandsaufenthalten.<br />
Ob solche Entwicklungen zu mehr<br />
Abschlüssen führen, bleibt abzuwarten. Vermittler<br />
jedenfalls begrüßen die neuen Möglichkeiten.<br />
Für Makler Torsten Breitag ist „die Konfiguration<br />
der Gesamtabsicherung mit maximaler und belastbarer<br />
Flexibilität“ ein wichtiger Aspekt beim<br />
Abschluss einer BU-Police.<br />
Versicherungsmathematiker Saal sieht einen<br />
weiteren Trend in Richtung Flexibilität: „Immer<br />
mehr BU-Tarife bieten Leistungsbausteine an.“<br />
1/3<br />
Von 45 Millionen Beschäftigten hat nur jeder<br />
dritte eine BU-Police.<br />
Aufgabe der Vermittler sei es, die unterschiedlichen<br />
Optionen individuell passend zur Kundensituation<br />
zusammenzustellen. Insgesamt ist also<br />
durchaus Bewegung auf dem Markt für BU-Versicherungen,<br />
wenn auch erst nach Analyse der Tarifbedingungen<br />
erkennbar. Das bedeutet: Ohne<br />
Beratung finden Kunden nur mit Mühe einen<br />
bedarfsgerechten Schutz.<br />
GF-Police im Kommen<br />
Und falls Vermittler auf dem BU-Markt nicht<br />
fündig werden, gibt es auch dafür Möglichkeiten.<br />
Erstens Produktalternativen. Und zweitens den<br />
Weg über den Arbeitgeber.<br />
Eine weitere Lösung ist insbesondere eine<br />
Grundfähigkeitspolice (GF-Police). Dazu wieder<br />
Saal: „Die stark gestiegene Anzahl an GF-Tarifen<br />
zeigt die Bewegung hin zu Angeboten, die für den<br />
Kunden bezahlbar und durch die Leistungsaus-<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Einkommenssicherung VERSICHERUNGEN | 39<br />
Arbeitskraft in Gefahr<br />
Umfrage: Glauben Sie, dass Sie grundsätzlich in der Lage wären,<br />
bis zum gesetzlichen Rentenalter zu arbeiten?<br />
Nein, wegen meiner Psyche 11,6<br />
Nein, wegen meiner Physis 18,6<br />
Ja 31,8<br />
Ich bin bereits Rentner/-in 36,0<br />
Weiß nicht/keine Angaben 7,6<br />
Mehrfachnennungen möglich; Stichprobengröße: 2.515;<br />
Befragung im August <strong>2023</strong>; Angaben in % <br />
Quelle: LV 1871, Civey<br />
löser gut erklärbar scheinen.“ Einfach<br />
sei die Produktauswahl aber auch<br />
in diesem Fall nicht. Zum Beispiel<br />
würden die Versicherer die Leistungsauslöser<br />
unterschiedlich definieren.<br />
Auch könnten diese häufig als Option<br />
zu- oder abgewählt werden.<br />
Hinzu kommt die ständige Bewegung<br />
in der Tariflandschaft. Ergo zum<br />
Beispiel hat jetzt die GF-Police „Body<br />
Protect“ in drei Varianten auf den<br />
Markt gebracht. Dem Versicherer zufolge<br />
sind alle Typen mit Bausteinen<br />
kombinierbar. Eine Option sei „Sport<br />
Plus“. Zum Beispiel Hobbysportler,<br />
Yogatrainer und Sportlehrer könnten<br />
weitere Grundfähigkeiten absichern,<br />
die für viele Sportarten und Hobbys<br />
wichtig seien, wie zum Beispiel<br />
Kniegelenk, räumliches Sehen und<br />
Koordination. Ein anderer Baustein<br />
ist „Pflege Plus“. Wird die versicherte<br />
Person pflegebedürftig, erhalte sie zusätzlich<br />
zur vereinbarten Rente eine<br />
lebenslange Pflegerente in gleicher<br />
Höhe.<br />
Betrieb nicht vergessen<br />
Die zweite oben erwähnte Möglichkeit<br />
für Beschäftigte, noch in den Genuss<br />
einer BU-Police zu kommen, ist<br />
der Abschluss über den Betrieb. Das<br />
geht oft sogar mit Vorerkrankungen.<br />
Absicherungsexperte Wamser von<br />
Signal Iduna sieht „einen deutlichen<br />
Trend hin zur betrieblichen Vorsorge“,<br />
die neben einer Altersvorsorge<br />
Schutz gegen Krankheit, Verlust von<br />
Grundfähigkeiten und Berufsunfähigkeit<br />
enthalten kann.<br />
Für Holzer von Swiss Life Deutschland<br />
ist die betriebliche BU, die im<br />
Idealfall komplett vom Arbeitgeber finanziert<br />
wird, „der Schlüssel für eine<br />
höhere Durchdringung im Markt“.<br />
Den Tarif Swiss Life BU Pro habe man<br />
jetzt weiter ausgebaut, zum Beispiel<br />
um eine Beitragsübernahme bei auslaufender<br />
Lohnfortzahlung aufgrund<br />
längerer Krankheit. Auch für Chefs<br />
sei die betriebliche BU vorteilhaft.<br />
Arbeitgeber sicherten die finanzielle<br />
Existenz ihrer Mitarbeitenden für den<br />
Fall des Verlusts der Arbeitskraft ab<br />
und positionierten sich gleichzeitig<br />
als attraktive Unternehmen.<br />
Fazit: Der BU-Markt ist schwierig.<br />
Angesichts der Tarifvielfalt ist eine<br />
Beratung für eine bedarfsgerechte<br />
Produktauswahl wichtiger denn je.<br />
Eine BU-Police bleibt das erste Ziel,<br />
wenngleich die GF-Versicherung<br />
immer beliebter wird. Auch auf die<br />
Möglichkeit der Absicherung über<br />
den Betrieb können und sollten<br />
Berater hinweisen. Dann könnte sich<br />
irgendwann auch die Durchdringungsquote<br />
verbessern.<br />
Long Story short<br />
Nur jeder dritte Beschäftigte<br />
hat eine BU-Police.<br />
Flexible Tarife entkräften das<br />
Argument „Beitrag zu hoch“.<br />
Versicherer bauen eine Produktbrücke<br />
in die Betriebe.<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
40 | VERSICHERUNGEN LV-Wiederanlage<br />
Der Billionentransfer<br />
Durch die Erbschaftswelle steht ein Riesengeschäft für Lebensversicherer und Vermittler<br />
im Raum. Ebenso die Frage, ob das Kapital abfließt oder im Unternehmen verbleibt<br />
ST STEFAN TERLIESNER<br />
Was Sie erfahren<br />
werden:<br />
Warum Erbschaften Chancen<br />
und Risiko für Versicherer<br />
bedeuten<br />
Wie häufig/selten die<br />
Wiederanlage gelingt<br />
Welche Produkte zur Wiederanlage<br />
infrage kommen<br />
Vermögen im Wert von zig Milliarden<br />
Euro wird jedes Jahr in Deutschland<br />
vererbt. Aus der Sicht von Unternehmensberatern<br />
liegt hierin eine Chance<br />
für Versicherer und Vermittler,<br />
denn Kunden wünschen gerade bei<br />
Finanzangelegenheiten rund um eine<br />
Erbschaft oder die Vorbereitung einer<br />
Erbschaft eine persönliche Beratung.<br />
Größter Transfer aller Zeiten<br />
Cap Gemini geht im World Life Insurance<br />
Report <strong>2023</strong> auf das Potenzial<br />
von Erbschaften für Lebensversicherer<br />
ein. Die Analyse bezieht sich<br />
zwar auf die Weltbevölkerung. Die<br />
Ergebnisse sind aber auf Deutschland<br />
übertragbar. Demnach müssen Lebensversicherer<br />
bis 2040 mit einem<br />
erheblichen Abfluss verwalteten<br />
Vermögens rechnen. „Angesichts des<br />
größten Vermögenstransfers in der<br />
Geschichte ist die Branche mit finanziellen<br />
Unsicherheiten konfrontiert“,<br />
schreiben die Autoren.<br />
Derzeit besäßen Versicherungsnehmer<br />
ab 65 Jahren 40 Prozent der Assets<br />
under Management, was sich bei<br />
den 40 größten Versicherern auf 7,8<br />
Billionen US-Dollar addiere. Bis 2040<br />
werde dieses Vermögen an die Begünstigten<br />
übertragen, wobei 71 Prozent<br />
der Empfänger über 50 Jahre alt<br />
seien. Wer diesen Kunden passende<br />
Angebote machen kann, gehöre zu<br />
den Gewinnern der Erbschaftswelle.<br />
Zwei Seiten einer Medaille<br />
Das Thema freilich habe zwei Seiten,<br />
hebt Justus Lücke, Geschäftsführer<br />
der Versicherungsforen Leipzig, hervor.<br />
Er erklärt: „Einerseits bietet die<br />
Vererbung ein gewisses Potenzial für<br />
Versicherer, insbesondere Einmalbeiträge<br />
für sich zu gewinnen. Andererseits<br />
stellt der Ablauf von Lebens- und<br />
Rentenversicherungen mit Auszahlung<br />
an Begünstigte eine Heraus-<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
LV-Wiederanlage VERSICHERUNGEN | 41<br />
forderung für Versicherer dar.“ Laut<br />
Lücke findet das Einmalbeitragsgeschäft<br />
aktuell nur wenig Zuspruch bei<br />
Kunden. Ein Grund seien die wieder<br />
attraktiven Zinsangebote von Banken.<br />
Und abfließendes Kapital würden die<br />
Versicherer auch nur zu einem eher<br />
geringen Teil halten und zurückholen.<br />
„Die Wiederanlage der Mittel<br />
oder die Verrentung im Rahmen von<br />
Rentenpolicen gelingt noch zu selten.<br />
Die Wiederanlagequote liegt unter<br />
30 Prozent.“<br />
18,8<br />
Herrschaft der Alten<br />
Bevölkerung in Deutschland nach Altersgruppen im Jahr 2022<br />
24,5<br />
27,3<br />
Alter<br />
22,2<br />
7,2<br />
< 20 20 bis 40 40 bis 60 60 bis 80 80 bis 100 > 100<br />
0,0<br />
Neugeschäft sollte Abflüsse<br />
ausgleichen<br />
Das wiederum habe Konsequenzen.<br />
Durch die Abflüsse reduzierten sich<br />
die laufenden Beiträge. Zudem müssten,<br />
falls nicht genügend Neugeschäft<br />
zufließt, gegebenenfalls auch Kapitalanlagen<br />
mit aktuell stillen Lasten<br />
aufgelöst werden. „Dies übt Druck<br />
auf das Kapitalmarktergebnis aus“,<br />
resümiert der Experte.<br />
Eine Umfrage von <strong>procontra</strong> unter<br />
ein Dutzend Versicherern, wie alt<br />
deren Versicherungsnehmer im<br />
Schnitt sind, um Rückschlüsse<br />
auf demnächst abfließende Assets<br />
under Management zu ziehen, blieb<br />
weitgehend unbeantwortet. Das sei<br />
„geschäftsrelevant, darüber geben<br />
wir keine Auskunft“, begründete ein<br />
Unternehmen seine Zurückhaltung<br />
in diesem Punkt. Die Alte Leipziger<br />
teilte zumindest das Durchschnittsalter<br />
der versicherten Personen mit:<br />
45 Jahre.<br />
Bevölkerungsanteil in %<br />
renten mit Einmalzahlung (FlexInvest;<br />
reine Fondsanlage), Rente mit<br />
Einmalzahlung der Alte Leipziger<br />
Leben (DuoSmart; klassische und<br />
renditeorientierte Anlagen). Zudem<br />
biete die Gruppe den sicherheitsorientierten<br />
Dachfonds Trust Euro<br />
Relax an. Wer Geld nur parken<br />
möchte, könne das Kapitaldepot<br />
FlexCash nutzen. Und um Vermögen<br />
»Die Wiederanlagequote<br />
liegt unter<br />
30 Prozent.«<br />
Justus Lücke<br />
Geschäftsführer<br />
Versicherungsforen Leipzig<br />
Quelle: Statistisches Bundesamt<br />
zu Lebzeiten an die Nachkommen zu<br />
übertragen, stehe unter anderem eine<br />
Bausparlösung parat. Ähnliche<br />
Angebote machen Continentale,<br />
Allianz und Zurich. Die Continentale<br />
etwa bietet eigenen Angaben zufolge<br />
für größere Beträge aus Erbschaften<br />
oder abgelaufenen Policen bis<br />
300.000 Euro das ParkConcept<br />
Classic an, während die Allianz auf<br />
die Produkte Park Depot, Einmalbeitragsprodukte,<br />
SchatzBrief, Private-<br />
FinancePolice und VermögensPolice<br />
verweist. Stets, das betonte auch<br />
Zurich, komme es auf die individuellen<br />
Wünsche des Kunden an. Das<br />
Angebot an Lösungen sei breit. Die<br />
weitere Entwicklung wird zeigen,<br />
welchen Versicherern es gelingt, die<br />
Chancen der Erbschaftswelle zu<br />
nutzen und gleichzeitig das Risiko<br />
Kapitalabfluss auszugleichen.<br />
Breite Palette an Produkten<br />
Informationsbereiter waren die<br />
Unternehmen beim Thema Wiederanlage<br />
(der Erbe lässt das Kapital<br />
beim Versicherer) und erstmalige<br />
Anlage von Kapital aus Erbschaften<br />
von Neukunden. Die Alte Leipziger<br />
hält eine Palette an Möglichkeiten<br />
bereit: vor allem Sofortrente, Fonds-<br />
Long Story short<br />
Durch Erbschaften verlieren Versicherer zig Milliarden verwaltetes<br />
Vermögen.<br />
Wiederanlage und/oder Neugeschäft muss den Schwund ausgleichen.<br />
Die Produktpalette ist breit, aber noch zu wenig im Fokus der Kunden.<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
42 | VERSICHERUNGEN Gebäudeenergiegesetz<br />
Energieschub fürs Geschäft<br />
Die Energiewende zwingt zu Investitionen in teure Technik für Neubau und Bestand.<br />
Das ruft nach Versicherungsschutz und neuen Deckungskonzepten.<br />
CF CARLA FRITZ<br />
Was Sie erfahren<br />
werden:<br />
Wie Makler das GEG zur Kundenbindung<br />
nutzen können<br />
Was der Versicherungsmarkt<br />
bei PV & Co. in petto hat<br />
Wie Wärmepumpen als<br />
„Außenseiter“ in der WGV<br />
unterkommen<br />
Von der politisch verkündeten Energie-<br />
und Wärmewende zu PV- oder<br />
Solarthermieanlagen auf dem Dach<br />
oder Feld, zu Wallbox und Wärmepumpen<br />
im oder am Haus: Der Umstieg<br />
auf erneuerbare Energien ist<br />
im Gange und Versicherungsschutz<br />
vonnöten. Denn die Solarpflicht für<br />
Neubau wie Bestand greift in immer<br />
mehr Bundesländern und das Gebäudeenergiegesetz<br />
(GEG) ab 2024 bundesweit<br />
für die meisten Neubauten.<br />
„Die Leute sind verunsichert. Aber<br />
wenn sie sich etwas intensiver und<br />
fachlicher informieren, löst sich die<br />
Unsicherheit weitgehend auf.“ Das<br />
konnte Johannes Brück auch jüngst<br />
beobachten, bei einer Informationsveranstaltung<br />
seines Maklerhauses<br />
zum Gebäudeenergiegesetz. An<br />
seiner Seite: ein Architekt und ein auf<br />
PV-Anlagen spezialisierter Elektromeister.<br />
Das Publikum: Bestands- und<br />
potenzielle Kundschaft. Vertrauen<br />
Illustration: Roman Kulon
Gebäudeenergiegesetz VERSICHERUNGEN | 43<br />
Maklers Meinung<br />
Umstieg auf erneuerbares Heizen<br />
Klimafreundliches Heizen: Das gilt ab 1. Januar 2024.<br />
und Kundenbindung gleichermaßen<br />
aufbauen und gleichzeitig die passenden<br />
Deckungskonzepte liefern, so<br />
kann es gehen.<br />
Neubau<br />
Bauantrag ab dem 1.1.2024<br />
im Neubaugebiet:<br />
Heizung mit mindestens<br />
65 % erneuerbaren Energien<br />
außerhalb eines Neubaugebiets:<br />
Heizung mit mindestens<br />
65 % erneuerbaren Energien<br />
frühestens ab 2026<br />
Klären und aufklären<br />
Legt sich der Kunde eine Wärmepumpe<br />
zu, die außerhalb des Hauses<br />
steht, ist es nach Stand der Dinge<br />
am Makler zu klären, ob der laufende<br />
Wohngebäudevertrag dieses<br />
Risiko abdeckt. Bei den Produkten,<br />
die Brück seinen Kunden anbietet,<br />
„ist das automatisch so“. Dafür hat<br />
er gesorgt. Bei Photovoltaik geht er<br />
inzwischen über ein Standalone-Produkt<br />
auf Basis einer Elektronikversicherung.<br />
In der Regel sei das besser<br />
als „der Zusatzbaustein, der aus der<br />
Wohngebäudeversicherung für die<br />
PV-Anlage eine Allgefahrendeckung<br />
macht. Und preislich nimmt es sich<br />
auch fast nichts.“ Das ist grundsätzlich<br />
auch die Herangehensweise des<br />
Enser Versicherungskontors (EVK),<br />
das rund 6.000 PV-Anlagen im In-<br />
und Ausland betreut. „Wir haben mit<br />
dem Deckungskonzept Solarcover ein<br />
unternehmenseigenes Bedingungswerk<br />
und dazu Rahmenverträge<br />
mit mehreren Versicherern“, erklärt<br />
PV-Versicherungsspezialistin Carolin<br />
Henkelmann. Bei „Balkonkraftwerken“,<br />
die nur in Gebäude oder Hausrat<br />
versichert sind, sollten Kunden<br />
jedoch wissen, dass sie damit im<br />
Grunde lediglich die Gefahr Brand abgedeckt<br />
haben. „Bei Preisen von um<br />
die 700 Euro für solche Mini-PV-Anlagen<br />
stellt sich allerdings die Frage: Wo<br />
ist die Existenzbedrohung?“, merkt<br />
Brück an. Ob der Kunde als Besitzer<br />
und Betreiber hierfür Deckungsschutz<br />
im Rahmen seiner bestehenden<br />
Haftpflichtversicherung hat, sei<br />
die andere Frage, der man nachgehen<br />
sollte.<br />
Bestand<br />
Heizung funktioniert oder<br />
lässt sich reparieren:<br />
kein Heizungstausch vorgeschrieben<br />
Heizung ist kaputt –<br />
keine Reparatur möglich:<br />
Es gelten pragmatische Übergangslösungen.<br />
Bereits jetzt auf Heizung mit<br />
erneuerbaren Energien umsteigen und<br />
Förderung nutzen<br />
Agieren und reagieren<br />
Quelle: BMWK<br />
Sich durchfragen und filtern, das<br />
bleibt am Makler hängen – in einem<br />
Markt, der auf den ersten Peak bei<br />
Solar vor circa zwölf Jahren mittlerweile<br />
mit Bausteinlösungen für PV<br />
und Solarthermie in den meisten<br />
Wohngebäudeversicherungen<br />
reagiert hat. Bei anderen nachhaltigen<br />
Energien steht er am Anfang:<br />
Deckungsschutz für Wärmepumpen,<br />
Geothermie- sowie Windkraftanla-<br />
Sachversicherungsmakler<br />
Johannes Brück, Inhaber/<br />
Geschäftsführer Hubert Brück KG,<br />
Düsseldorf<br />
»Nur mit Update-<br />
Garantie«<br />
Wie schon 2012 haben wir heute<br />
wieder einen Peak bei Solar<br />
und deshalb auch verstärkte<br />
Nachfrage nach Deckungen<br />
für Photovoltaikanlagen.<br />
Gleichzeitig ist der Versicherungsmarkt<br />
hier noch massiv<br />
in Bewegung. Bei inneren<br />
Betriebsschäden etwa – bisher<br />
ein klassischer Ausschluss in<br />
der Elektronikversicherung<br />
und allenfalls in PV-Spezialkonzepten<br />
versicherbar – zieht<br />
er jetzt nach. Deshalb: Policen<br />
mit Update-Garantie nehmen.<br />
Damit man den PV-Vertrag<br />
nicht schon nach drei Jahren<br />
neu anpacken oder mit großem<br />
Aufwand den Versicherer<br />
wechseln muss.<br />
Das Problem bei klassischen<br />
Versicherungsprodukten: In<br />
allen Sparten handelt man sich<br />
irgendwann, allein durch die<br />
Alterung von Bedingungen,<br />
Haftungsprobleme ein. Im<br />
Schadenfall ist dann an vielen<br />
Stellen Stress programmiert.<br />
Die neu installierte PV-Anlage<br />
bietet auch die Chance, bei der<br />
Gelegenheit Altverträge<br />
endlich auf gescheite Bedingungen<br />
umzustellen. Wir arbeiten<br />
seit 2001 fast ausschließlich<br />
mit Produkten mit<br />
Update-Garantie.<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
44 | VERSICHERUNGEN Gebäudeenergiegesetz<br />
»Das Interesse<br />
dürfte wachsen«<br />
Martina Echtermeyer, Gruppenleitung Gewerbe und Privatkunden/Haftpflicht-Underwriter,<br />
EVK Enser Versicherungskontor<br />
<strong>procontra</strong>: Wie erleben Sie in Ihrer<br />
Beratung im Gebäudebereich die<br />
Energiewende?<br />
Martina Echtermeyer: Bei großen<br />
Selbstnutzern von Eigenstrom wie<br />
Gewerbe und Landwirtschaft ist die<br />
Nachfrage nach Absicherung von PV-<br />
Anlagen durchwachsen. Im Privatbereich<br />
kommt der Impuls eher von uns,<br />
wenn wir ohnehin nach neuen Risiken<br />
fragen. Für Wärmepumpen gibt es<br />
erste Voranfragen, aber es ist noch ein<br />
zögerliches Geschäft. Beim Abschluss<br />
überwiegt ganz klar PV mit dem<br />
Thema Speicher und Wallboxen für<br />
E-Autos. In den nächsten ein bis zwei<br />
Jahren dürfte das Interesse insgesamt<br />
wachsen, weil auch der Druck aus der<br />
Politik zunimmt.<br />
<strong>procontra</strong>: PV-Deckungen sind schon<br />
länger eingeführt, Wärmepumpen erst<br />
am Start und damit auch deren Risikoschutz.<br />
Was gibt der Markt hier her?<br />
Echtermeyer: Ein Standardprodukt<br />
wie bei PV-Policen, das man problemlos<br />
aus der Schublade ziehen und dem<br />
Kunden ohne Wenn und Aber anbieten<br />
kann, gibt es nach meinem Kenntnisstand<br />
für Wärmepumpen bisher nicht.<br />
Vermutlich weil dieses Risiko bislang<br />
noch nicht solche Relevanz entwickelt<br />
hat oder schlicht nicht bedacht wurde.<br />
In diesem Punkt hat der Versicherungsmarkt<br />
im Wohngebäudebereich<br />
– darunter fallen Wärmepumpen als<br />
Heizungstyp ja vorrangig – tatsächlich<br />
Nachholbedarf.<br />
<strong>procontra</strong>: Wo liegt das Problem?<br />
Echtermeyer: Die Schwierigkeit – da<br />
steht Haustechnik häufig außerhalb<br />
des Gebäudes, gehört aber zur Gebäudeausstattung.<br />
Auch wenn die<br />
Wärmepumpe in der Versicherungssumme<br />
berücksichtigt ist, würde sie in<br />
den meisten Schadenfällen doch aus<br />
der Deckung fallen, sofern sie nicht in<br />
einem geschlossenen Raum untergebracht<br />
ist. In einem Jahr sieht das<br />
wahrscheinlich anders aus.<br />
<strong>procontra</strong>: Wie verhelfen Sie Ihrer<br />
Kundschaft zu einer vernünftigen Absicherung?<br />
Echtermeyer: Die ersten Versicherer<br />
reagieren mit Zusatzvereinbarungen<br />
oder Klauseln. Es ist dann kein Hindernis<br />
für den Versicherungsschutz,<br />
dass Teile der Wärmepumpe draußen<br />
stehen, auch einfacher Diebstahl ist<br />
versichert. Das sind im Moment die<br />
Gerüste.<br />
<strong>procontra</strong>: Und wenn ein Unwetter de<br />
facto alles verhagelt?<br />
Echtermeyer: Hier suchen wir das<br />
Gespräch mit dem Versicherer.<br />
Letztlich ist es eine Frage des Verhandlungsgeschicks,<br />
wie umfänglich wir die<br />
Deckung gestalten können, ohne dass<br />
es teurer wird. Auch bei Wärmepumpen<br />
wird sich der Markt zeitnah<br />
entwickeln, ähnlich wie bei der PV mit<br />
kleinen Zusatzbausteinen, die man in<br />
die Wohngebäudeversicherung packen<br />
kann.<br />
gen sind noch nicht standardmäßig<br />
im Kleingedruckten verankert und<br />
auch Balkonkraftwerke oft noch<br />
nicht thematisiert. So weit im<br />
Stenogramm die Einschätzung von<br />
Anne Peters, Fachbereichsleiterin<br />
Komposit bei Ascore. Mit neuen<br />
Kriterien will das Ratinghaus 2024 bei<br />
Wohngebäude und Hausrat hier noch<br />
mehr ins Detail gehen: „Das betrifft<br />
auch einfachen Diebstahl. Danach<br />
wird gerade bei Wärmepumpen und<br />
Balkonkraftwerken häufig gefragt.“<br />
Weiter im<br />
Thema<br />
Mehr Informationen<br />
zum GEG ab 2024<br />
finden Sie hier:<br />
Foto: EVK Enser Versicherungskontor
Klartext to go...<br />
Der Podcast für alle 34er. Mit handverlesenen Expertentalks<br />
aus der Finanz- & Versicherungsbranche.<br />
Jeden zweiten Donnerstag, überall wo es Podcasts gibt.<br />
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46 | VERSICHERUNGEN pro & contra: Zahnzusatz<br />
Zahnzusatzversicherung –<br />
sinnvoll oder überflüssig?<br />
Die Zahnzusatz gilt als eine der beliebtesten Krankenzusatzpolicen.<br />
Doch Versicherungsmakler Daniel Seeger und Verbraucherschützer Philipp Opfermann<br />
sind sich uneins über die Sinnhaftigkeit für Kunden.<br />
pro<br />
Ja, die Zahnzusatzversicherung<br />
schützt nicht vor einem existenzbedrohenden<br />
Risiko. Es geht nicht um<br />
sechs- oder siebenstellige Beträge im<br />
Versicherungsfall, wie bei einer RLV,<br />
BUV oder PHV. Es geht maximal um<br />
10.000 oder 15.000 Euro. Hört sich<br />
überschaubar an und nach einer vermeintlich<br />
unnötigen Police.<br />
Dennoch steigt die Nachfrage. Mittlerweile<br />
zählt Google jeden Monat fast<br />
100.000 Suchanfragen für das Keyword<br />
„Zahnzusatzversicherung“. Das<br />
hat zwei Gründe.<br />
Grund 1: Gepflegte Zähne sind heute<br />
nicht nur aus gesundheitlichen<br />
Aspekten, sondern ebenso aus ästhetischer<br />
Sicht für viele Menschen<br />
sehr wichtig. Keine schönen Zähne,<br />
kein Match bei Tinder. Professionelle<br />
Zahnreinigungen und umfassende<br />
Vorsorge werden immer beliebter.<br />
Und wenn es tatsächlich zum Ernstfall<br />
kommt, wünschen sich Patienten<br />
keine Kassenkrone aus Gold, sondern<br />
ein modernes Implantat in Zahnfarbe.<br />
Diese Behandlungen werden nicht<br />
oder nur zu einem geringen Anteil<br />
von der gesetzlichen Krankenkasse<br />
»Zahnzusatz gehört<br />
nicht zum ›unbedingt<br />
notwendigen‹<br />
Versicherungsschutz,<br />
ist aber für<br />
sehr viele Menschen<br />
eine gute Sache.«<br />
Daniel Seeger,<br />
Geschäftsführer der<br />
Zusatzversicherung Online GmbH<br />
bezahlt. Für die befundbezogene<br />
Regelversorgung entscheidet sich niemand,<br />
und der Festkostenzuschuss<br />
deckt bei Implantaten vielleicht<br />
20 Prozent der Kosten. Gute Zahnversicherungen<br />
bezahlen die professionelle<br />
Zahnreinigung und übernehmen<br />
bis zu 100 Prozent der Kosten für<br />
teuren Zahnersatz.<br />
Grund 2: Bei einer Zahnzusatzversicherung<br />
ist die Frage nicht, ob, sondern<br />
wann Leistungen in Anspruch<br />
genommen werden. Um die Dritten<br />
Zähne kommen wir alle nicht herum.<br />
Den Menschen ist das bewusst, und<br />
der Versicherungsbeitrag wird einer<br />
realen Leistung gegenübergestellt. Zudem<br />
wird die Versicherung „genutzt“.<br />
Zweimal pro Jahr wird beispielsweise<br />
die Zahnreinigung für 75 bis 100 Euro<br />
erstattet. Das fühlt sich für die Versicherten<br />
gut an, und deswegen ist die<br />
Nachfrage nach Zahnversicherungen<br />
so enorm hoch.<br />
Dann gibt es noch die „Sofortschutz“-<br />
Tarife, wie den Ergo Zahnersatz<br />
Sofort. Klar hat das nichts mit dem<br />
Versicherungsgedanken zu tun, denn<br />
der Leistungsfall ist bereits eingetreten.<br />
Für viele unserer Interessenten<br />
sind diese Tarife aber sinnvoll, weil sie<br />
sofort Hilfe bei der Kostenübernahme<br />
ihres Zahnersatzes erhalten. Jetzt<br />
kommt immer wieder das Argument,<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
pro & contra: Zahnzusatz VERSICHERUNGEN | 47<br />
dass der Monatsbeitrag von 20 oder<br />
30 Euro auch in einen ETF-Sparplan<br />
gelegt werden kann.<br />
Ja, genau, kann man machen. Aber<br />
wie viele Menschen machen das<br />
wirklich? Und wie viele sind so<br />
konsequent und fassen das Geld nicht<br />
an, bis die Dritten Zähne anstehen?<br />
Das sind die wenigsten. Eine Zahnzusatzversicherung<br />
ist also keinesfalls<br />
eine unnötige Police. Sie gehört nicht<br />
zum „unbedingt notwendigen“<br />
Versicherungsschutz, ist aber für sehr<br />
viele Menschen eine gute Sache.<br />
contra<br />
Als Student bin ich einen alten Opel<br />
Ascona gefahren. Gerne denke ich<br />
an viele Touren zurück. Bei großem<br />
Durst von Auto wie Fahrer und<br />
kleinem BAföG war mein Schätzchen<br />
aber nur haftpflichtversichert. Aus<br />
der Studentenmöhre ist längst die geräumige<br />
Familienkutsche geworden,<br />
deren Kratzer und Flecken auf den<br />
Sitzen von täglichem Einsatz, etlichen<br />
Kilometern und Reisen mit Kindern<br />
zeugen. Das Auto genießt aber<br />
immerhin noch Teilkaskoschutz. Ich<br />
bin mir also des Risikos bewusst und<br />
verzichte in Abwägung von Preis und<br />
Leistung auf Vollkasko.<br />
Auch die Leistungen der GKV sind<br />
in vielen Fällen nicht mehr „Vollkasko“.<br />
Gerade rund um Krone und<br />
Implantat fallen Rechnungen schnell<br />
vierstellig aus. Zumindest wenn es<br />
ein bisschen mehr sein soll als die<br />
Kassenleistung. Beispiel Krone: Eine<br />
zahnfarbene Variante aus Keramik<br />
für den Backenzahn kostet gut 1.000<br />
Euro. Bei einem Zuschuss der Kasse<br />
in Höhe von 210 Euro sind rund<br />
800 Euro selber zu zahlen. Das tut<br />
nicht nur am Zahn, sondern auch im<br />
Geldbeutel weh.<br />
Millionen Menschen möchten daher<br />
den eingeschränkten Schutz durch<br />
eine private Zahnzusatzversicherung<br />
verbessert wissen. Der Wunsch ist<br />
verständlich, und die Kassen machen<br />
»Letztlich gilt bei<br />
der Mundhygiene<br />
wie beim Versicherungsschutz:<br />
Pflege und Vorsorge<br />
verhindern größere<br />
Schäden.«<br />
Philipp Opfermann,<br />
Versicherungsexperte<br />
der Verbraucherzentrale<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
es ihren Mitgliedern ja auch ganz<br />
leicht: sie schicken diesen unaufgefordert<br />
ein mehr oder weniger<br />
passendes Angebot vorausgefüllt mit.<br />
Schließlich sind sie ja oft genug Versicherungsvertreter<br />
ihres jeweiligen<br />
PKV-Partners. Auf diesem Wege werden<br />
sicher etliche Versicherte „eingesammelt“<br />
– eine individuelle Beratung<br />
dürfte auf der Strecke bleiben.<br />
Doch sollte auf diese keinesfalls verzichtet<br />
werden, ist der Markt doch unübersichtlich<br />
und Bedingungen und<br />
Leistungsumfang schwer vergleichbar.<br />
Viele Verträge stecken voller<br />
Tücken, und mancher Tarif entpuppt<br />
sich im Leistungsfall aufgrund von<br />
Zahnstaffeln oder Ausschlüssen als<br />
äußert lückenhaft. Nicht selten werden<br />
die Verträge im Laufe der Jahre<br />
mit steigenden Prämien auch gleich<br />
wieder ganz gekündigt.<br />
Da gilt es genau abzuwägen, ob es<br />
wirklich einer Zusatzversicherung<br />
bedarf. Existenzbedrohend ist das<br />
Risiko Zahn wohl kaum. Und anders<br />
als bei Haftpflicht oder Arbeitskraftabsicherung<br />
kann etwaigen Schäden<br />
vorgebeugt und eigene Rücklagen<br />
für den Schadensfall gebildet werden.<br />
So kann durch ein gut geführtes<br />
Bonusheft der GKV-Zuschuss erhöht<br />
werden. Regelmäßig zurückgelegtes<br />
Geld auf einem „Zahnkonto“ wirft<br />
Zinsen ab.<br />
Letztlich gilt bei der Mundhygiene<br />
genau wie beim Versicherungsschutz:<br />
Regelmäßige Pflege und Vorsorge<br />
verhindern oft größere Schäden. Zwar<br />
gibt es beim Besuch beim Versicherungsberater<br />
keinen Stempel ins<br />
Bonusheft, aber auch den Versicherungsschutz<br />
gilt es regelmäßig zu<br />
pflegen und zu kontrollieren. Nicht<br />
immer muss es dabei der Vollkaskoschutz<br />
sein.<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
48 | VERSICHERUNGEN Wohngebäudeversicherung<br />
Preisdruck wächst<br />
Die Kosten für Wohngebäudepolicen werden 2024 weiter steigen – genauso wie die Zahl<br />
der Wetterextreme. Gegen diese müssen sich Immobilienbesitzer aber gezielt absichern.<br />
IR IMKE REIHER<br />
Was Sie erfahren<br />
werden:<br />
Warum die WGV-Prämien<br />
weiter steigen<br />
Weshalb Elementarschutz<br />
derzeit eher Kür ist, aber<br />
Pflicht sein sollte<br />
Welche Anknüpfungspunkte<br />
sich für die Beratung bieten<br />
Aus Schaden sollte man im Idealfall<br />
klug werden – allerdings kann diese<br />
Lektion sehr kostspielig sein. Etwa bei<br />
einer Immobilie, wenn sie nicht ausreichend<br />
gegen Schäden abgesichert<br />
ist. Dem beugt die Wohngebäudeversicherung<br />
(WGV) vor, die immer<br />
häufiger die Prämien erhöhen muss.<br />
<strong>2023</strong> verteuerte sie sich im Schnitt<br />
um 14,7 Prozent. Gründe sind gestiegene<br />
Baukosten und hohe Energiepreise<br />
sowie zunehmende Wetterextreme.<br />
Diese wirken sich unmittelbar auf die<br />
Prämie aus, da es sich bei der WGV<br />
um eine Versicherung zum „gleitenden<br />
Neuwert“ handelt. Heißt: Im<br />
Schadenfall erstatten Versicherer zum<br />
Neuwert. „In welchem Umfang Beitrag<br />
und Leistung in der Wohngebäudeversicherung<br />
angepasst werden,<br />
richtet sich nach den vom Statistischen<br />
Bundesamt herausgegebenen<br />
Daten zur Entwicklung der Bau- und<br />
Lohnkosten“, erklärt Anja Käfer-<br />
Rohrbach, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin<br />
beim Gesamtverband<br />
der Deutschen Versicherungswirtschaft<br />
(GDV). Die nächste Preiserhöhung<br />
steht bereits 2024 an: Laut dem<br />
GDV verteuern sich die Policen dann<br />
im Schnitt erneut um 7,5 Prozent.<br />
Elementarschutz inkludieren<br />
Trotzdem sollten Besitzer nicht am<br />
falschen Ende sparen, sondern ihre<br />
Immobilie gegen existenzbedrohende<br />
Schäden versichern. Dazu zählen insbesondere<br />
solche, die durch Extremwetter<br />
und Naturkatastrophen entstehen<br />
können. Diese müssen über den<br />
Zusatzbaustein „Elementarschutz“ in<br />
die Police integriert werden. „Die Elementarversicherung<br />
ist für fast jeden<br />
Hausbesitzer wichtig, da besonders<br />
Starkregen nicht prognostizierbar ist“,<br />
sagt Holger Schnittker von Schnittker<br />
Versicherungsmakler aus Steinfeld.<br />
Die im Zuge des Klimawandels steigende<br />
Zahl der Wetterextreme unter-<br />
Illustration: Roman Kulon
Wohngebäudeversicherung VERSICHERUNGEN | 49<br />
streicht die Brisanz. Dennoch ist laut<br />
GDV nur rund die Hälfte der Gebäude<br />
in Deutschland richtig gegen Naturgefahren<br />
versichert.<br />
Das mag auch an den mitunter hohen<br />
Beiträgen für Elementarschutz liegen.<br />
Zwar hängen diese von verschiedenen<br />
Faktoren ab. Schnittker zufolge<br />
lassen sich aber grobe Hausnummern<br />
nennen: „Bei Wohngebäuden, die in<br />
den Zürs-Zonen 1 und 2 liegen, muss<br />
man mit einem Zuschlag von circa<br />
35 Prozent rechnen. In Zürs-Zone 3<br />
liegt er bei circa 300 Prozent, und Gebäude<br />
in Zürs-Zone 4 sind in der Regel<br />
nicht versicherbar.“<br />
Um die Gefahr einer Unterversicherung<br />
zu vermeiden, sollte die WGV<br />
regelmäßig geprüft werden – gerade<br />
wenn Altverträge übernommen<br />
werden. „Im Lauf der Jahre verändern<br />
sich Risiken, beispielsweise durch<br />
den Kauf einer Wärmepumpe oder<br />
den Bau eines Carports, und neue Gefahren<br />
kommen hinzu. Deshalb sollte<br />
der Versicherungsschutz regelmäßig<br />
geprüft und angepasst werden“,<br />
bringt es GDV-Fachfrau Käfer-Rohrbach<br />
auf den Punkt.<br />
Anknüpfungspunkte für Makler<br />
Auch wenn die steigenden Kosten für<br />
Wohngebäudeversicherungen kein<br />
attraktiver Aufhänger für Makler<br />
sind, sollten sie ihre Kunden dafür<br />
sensibilisieren. Viele Immobilienbesitzer<br />
unterschätzen die Risiken<br />
für künftige Schadenereignisse und<br />
die finanzielle Bredouille, in die sie<br />
geraten könnten. „Eine Überflutung<br />
durch Starkregen kann jeden treffen,<br />
an jedem Ort – ganz gleich, ob das<br />
Haus nun am Fluss steht oder nicht“,<br />
gibt Käfer-Rohrbach zu bedenken.<br />
Hier können Makler anknüpfen, um<br />
die Dringlichkeit einer WGV aufzuzeigen.<br />
Dabei sollten sie auf potenzielle<br />
Stolperfallen hinweisen, wie Ausschlusskriterien<br />
oder Feinheiten bei<br />
Naturgefahren verursachen Milliardenschäden<br />
Der Klimawandel macht Elementarschutz wichtiger.<br />
Sturm- und Hagelschäden<br />
weitere Naturgefahrenschäden<br />
(Elementar)<br />
400<br />
Angaben in Mio. € Quelle: GDV-Naturgefahrenreport <strong>2023</strong>, Seite 6<br />
Formulierungen und Klauseln, die im<br />
Schadenfall einen entscheidenden<br />
Unterschied machen. Zudem sollten<br />
Makler auf wichtige Leistungen wie<br />
den Einschluss von Schäden, die<br />
»Der Versicherungsschutz<br />
bestehender<br />
Verträge sollte<br />
regelmäßig geprüft<br />
und angepasst<br />
werden.«<br />
Anja Käfer-Rohrbach, GDV<br />
890<br />
Long Story short<br />
10 Überschwemmungsschäden<br />
2.700<br />
Sturm- und Hagelschäden<br />
Sachversicherung (Wohngebäude, Hausrat, Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft)<br />
Kfz-Versicherung (Voll- und Teilkasko)<br />
durch grobe Fahrlässigkeit entstehen,<br />
von Transport-, Abbruch- und Aufräumkosten<br />
sowie Mehrkosten durch<br />
neue Bauauflagen achten.<br />
Da sich die Preise für WGV und<br />
Zusatzbausteine stark unterscheiden,<br />
ist ein Anbieter- und Leistungsvergleich<br />
ein Muss. Makler sollten zudem<br />
auf die Option hinweisen, die Prämie<br />
durch Selbstbehalt zu reduzieren.<br />
Dies ist auch deswegen sinnvoll, weil<br />
ein Versicherer nach jeder Schadensregulierung<br />
den Vertrag kündigen<br />
kann und neuer Schutz gerade bei<br />
älteren oder Schadensimmobilien<br />
nicht immer leicht zu bekommen ist.<br />
Darum ist auch die Kündigung einer<br />
Police keine gute Idee, sofern noch<br />
keine neue gesichert ist.<br />
Inflation und steigende Kosten im Bausektor pushen Prämien.<br />
Extremwetter-Ereignisse erfordern (teuren) Elementarschutz.<br />
Viele Gebäude sind unzureichend oder gar nicht versichert.<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
50 | FOKUS INTER Versicherungsgruppe<br />
FOKUS<br />
INTER Versicherungsgruppe<br />
Ärzte brauchen mehr als<br />
Einkommenssicherung<br />
Der junge Orthopäde und Unfallchirurg<br />
hatte sich, nach aufreibenden Jahren in<br />
einer Klinik, endlich seinen Traum einer<br />
eigenen Praxis erfüllt. Das Wartezimmer<br />
war stets gut gefüllt, die Arbeit machte<br />
ihm Spaß, in seiner Freizeit hielt er sich<br />
mit Langstreckenläufen fit. Noch nie<br />
hatte er länger als zwei Tage krankheitsbedingt<br />
zu Hause bleiben müssen.<br />
Doch dann, drei Jahre nach der Praxisgründung,<br />
der Schock: Hodenkrebs. Als<br />
Mediziner war ihm sofort klar: Selbst<br />
bei einem günstigen Verlauf würde er<br />
durch Operation und Chemotherapie<br />
mit Reha für längere Zeit ausfallen. Sein<br />
Einkommen hatte er zwar durch eine<br />
Krankentagegeldpolice abgesichert.<br />
Doch die fixen Kosten waren dadurch<br />
nicht gedeckt: die Miete für die zentral<br />
gelegenen Altbaupraxisräume, die Kreditraten<br />
für die schicke Praxisausstattung,<br />
die Leasingraten für die Hightech-<br />
Gerätschaften und die Gehälter für die<br />
vier Mitarbeiterinnen. Die Folge: Nur<br />
durch einen privaten Notkredit konnte<br />
der Jungmediziner die Pleite abwenden.<br />
Sein Fall ist exemplarisch für eine<br />
Vielzahl niedergelassener Ärztinnen und<br />
Ärzte, gerade in der ersten, besonders<br />
Foto: Tom Werner<br />
stressigen Zeit nach der Niederlassung.<br />
Wie bei jeder Unternehmensgründung<br />
fallen Fragen der Absicherung gern<br />
hinten runter, weil das operative<br />
Geschäft die ganze Kraft und Aufmerksamkeit<br />
in Anspruch nimmt. Umso wichtiger<br />
ist es, die Zielgruppe der Arztpraxisinhaber<br />
für die beträchtlichen<br />
Risiken zu sensibilisieren, die aus einer<br />
schweren Erkrankung oder einem Unfall<br />
für die Liquidität erwachsen können.<br />
Neben der Einkommenssicherung sollte<br />
das Szenario eines längeren Praxisausfalls<br />
durchgespielt und -gerechnet<br />
werden. Schnell wird dabei klar, dass<br />
eine umfassende Absicherung auch<br />
dieses Risiko wirksam abdecken sollte.<br />
Dazu bietet sich die neue, verbesserte<br />
und unlängst zum „Versicherungsprodukt<br />
des Jahres“ gekürte Praxisausfallversicherung<br />
der INTER an. Die Gründe<br />
dafür erfahren Sie im Interview mit den<br />
Komposit-Maklerreferenten Andreas<br />
Herber und Fabian Zeth auf den<br />
Folgeseiten.<br />
<strong>procontra</strong> FOKUS in Zusammenarbeit mit INTER Versicherungsgruppe<br />
Anzeige
INTER Versicherungsgruppe FOKUS | 51<br />
»Ein Risiko, das vielen Ärzten<br />
nicht bewusst ist«<br />
Andreas Herber und Fabian Zeth, Maklerreferenten Komposit bei der INTER, über den<br />
Liquiditätssicherungsbedarf niedergelassener Ärztinnen und Ärzte für den Fall einer<br />
längeren Arbeitsunfähigkeit und das Lösungspaket ihres Hauses.<br />
SW SEBASTIAN WILHELM<br />
<strong>procontra</strong>: Niedergelassene Ärztinnen<br />
und Ärzte gelten gemeinhin als finanziell<br />
gut situiert. Brauchen sie überhaupt<br />
Versicherungsschutz für ihre Liquidität?<br />
Andreas Herber: Ein klares Ja. In<br />
Deutschland gibt es rund 100.000<br />
Arztpraxen. Die meisten davon werden<br />
als Einzelpraxen geführt. Das heißt: Fällt<br />
der Praxisinhaber wegen Krankheit oder<br />
Unfall aus, wird es schwierig und teuer,<br />
die Praxis überhaupt am Laufen zu<br />
halten. Ein Risiko, das vielen niedergelassenen<br />
Ärztinnen und Ärzten gar nicht<br />
bewusst ist. Viele sichern ihr Einkommen<br />
zwar mit einer Krankentagegeldversicherung<br />
ab, denken aber nicht an<br />
die weiterlaufenden Betriebskosten<br />
und haben keine Praxisausfallversicherung.<br />
Bei der Beratung von Angehörigen<br />
medizinischer Berufe sollten Versicherungsmaklerinnen<br />
und -makler auf dieses<br />
Problem unbedingt hinweisen. Denn<br />
eine Praxisschließung kann weitreichende<br />
Folgen haben. Wer kümmert sich um<br />
die Patientinnen und Patienten? Wer<br />
stellt die Diagnosen? Wer unterschreibt<br />
Rezepte? Und was ist mit den laufenden<br />
Kosten für Mieten, Leasingraten für<br />
Geräte, weitere Finanzierungsverbindlichkeiten<br />
bei einem Kreditinstitut und<br />
für das Personal?<br />
<strong>procontra</strong>: Was empfehlen Sie den<br />
Heilkundigen zur Entschärfung dieser<br />
Risiken?<br />
Fabian Zeth: Grundsätzlich ist das<br />
finanzielle Risiko des Praxisinhabers<br />
unter zwei Gesichtspunkten zu betrachten.<br />
Auf der einen Seite werden ihm<br />
nach einer gewissen Zeit die Einnahmen<br />
und damit sein Einkommen teilweise<br />
oder sogar ganz wegbrechen. Nicht<br />
nur bei niedergelassenen Medizinern,<br />
aber insbesondere bei ihnen, sollte<br />
bekanntlich die Einkommenssicherung<br />
für den Fall einer längeren Krankheit im<br />
Rahmen einer Krankentagegeldversicherung<br />
erfolgen. Auf der anderen Seite<br />
laufen seine fixen Kosten weiter. Zur<br />
vollständigen Sicherung der Liquidität<br />
muss diese Lücke also geschlossen werden.<br />
Hierzu bietet sich eine Praxisausfallversicherung<br />
an, wie sie die INTER<br />
Versicherungsgruppe kürzlich neu<br />
auf den Markt gebracht hat. Wie eine<br />
Krankentagegeldversicherung bietet<br />
das neue Produkt Schutz bei krankheitsund<br />
unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit<br />
des versicherten Praxisinhabers. In diesen<br />
Fällen übernimmt sie die fortlaufenden<br />
Kosten und kommt für entgangenen<br />
Gewinn auf. In Kombination tragen<br />
Krankentagegeld- und Praxisausfallversicherung<br />
damit zu einer ganzheitlichen<br />
Einkommens- und Liquiditätssiche-<br />
»Versicherungsprodukt<br />
des Jahres<br />
<strong>2023</strong>«<br />
Im Oktober wurde die Praxisausfallversicherung<br />
der INTER vom<br />
Deutschen Institut für Service-<br />
Qualität (DISQ) zum Versicherungsprodukt<br />
des Jahres <strong>2023</strong> gewählt.<br />
An der Auswertung war neben<br />
Prof. Dr. Matthias Beenken von der<br />
Fachhochschule Dortmund auch<br />
Constantin Papaspyratos, Chefökonom<br />
beim Bund der Versicherten,<br />
beteiligt. Die Fachleute begründeten<br />
die Auszeichnung unter anderem<br />
wie folgt:<br />
„Interessantes Konzept insbesondere<br />
durch den Kündigungsverzicht<br />
bei der Premium-Variante und die<br />
Sonderleistungen bei Schwangerschaft<br />
und bei Wiedereingliederung.<br />
Gute bis sehr gute Leistungen<br />
im Vergleich zum Wettbewerb […]<br />
Eine sehr sinnvolle Anwendung. Bei<br />
Krankentagegeld in Verbindung mit<br />
der Praxisausfallversicherung gibt<br />
es viele Situationen, die ein Problem<br />
sind. Mit diesem Tool werden beide<br />
Verträge aufeinander abgestimmt,<br />
so dass diese vertraglichen Risiken<br />
berücksichtigt werden können.“<br />
<strong>procontra</strong> FOKUS in Zusammenarbeit mit INTER Versicherungsgruppe<br />
Anzeige
52 | FOKUS INTER Versicherungsgruppe<br />
rung des Arztes bzw. der Ärztin bei.<br />
<strong>procontra</strong>: Wie genau grenzen sich die<br />
beiden Produkte voneinander ab?<br />
Zeth: Die Krankentagegeldversicherung<br />
ist eine Summenversicherung und<br />
kommt für einen vereinbarten Tagessatz<br />
auf. Die Praxisausfallversicherung ist<br />
eine Schadenversicherung. Sie leistet<br />
für einen konkreten und nachzuweisenden<br />
Schaden bis zu der vereinbarten<br />
Versicherungssumme. Versichert sind<br />
wie bereits beschrieben einerseits das<br />
Nettoeinkommen, anderseits die fortlaufenden<br />
Kosten und entgangener Gewinn.<br />
Die Leistungsdauer beider Produkte<br />
bei 100-prozentiger Arbeitsunfähigkeit<br />
endet unter anderem mit der Feststellung<br />
einer Berufsunfähigkeit. Im Falle<br />
der Ausfallversicherung gilt es allerdings<br />
noch eine sogenannte Haftzeit, also<br />
maximale Leistungsdauer, von 12, 18 bzw.<br />
24 Monaten zu berücksichtigen. Wesentliche<br />
Unterschiede liegen auch in den<br />
Kündigungsrechten des Versicherers …<br />
<strong>procontra</strong>: … wofür bekanntlich in<br />
den Sparten Kranken und Komposit<br />
grundsätzlich verschiedene Regelungen<br />
gelten.<br />
»Längere Ausfallzeiten<br />
niedergelassener<br />
Ärzte lassen sich<br />
nur durch eine kostspielige<br />
Praxisvertretung<br />
angemessen<br />
kompensieren.«<br />
Andreas Herber<br />
Zeth: Genau. Die Krankenversicherung<br />
sieht für den Versicherer zum Wohl<br />
seines Versicherungsnehmers keine<br />
Möglichkeiten vor, das Vertragsverhältnis<br />
im Leistungsfall oder zum Ende der<br />
Versicherungsperiode zu beenden. Als<br />
Sachversicherung mit den vorhandenen<br />
Kündigungsrechten des Versicherers<br />
im Schadenfall bzw. zum Ablauf scheint<br />
sich der Schutz einer Praxisausfallversicherung<br />
zunächst nachteilig für den<br />
Versicherungsnehmer darzustellen.<br />
Die INTER wirkt dem jetzt entgegen,<br />
indem sie auf ihr ordentliches Kündigungsrecht<br />
bis zum Ablauf des fünften<br />
Versicherungsjahres – bei Human- und<br />
Zahnmedizinern optional auch unbefristet<br />
– verzichtet. Damit stellt sie<br />
Praxisausfall dem Krankentagegeld in<br />
diesem Bereich gleich. Ziel der Produktgestaltung<br />
was es, Synergien zur Sparte<br />
Krankenversicherung zu schaffen und<br />
viele Leistungen der beiden Sparten<br />
anzugleichen. Unabhängig davon<br />
können beide Produkte unabhängig<br />
voneinander abgeschlossen werden.<br />
Die Praxisausfallversicherung also auch,<br />
wenn bereits eine Absicherung des<br />
Krankentagegeldes bei einem anderen<br />
Versicherer besteht.<br />
<strong>procontra</strong>: Wer kann und sollte die<br />
Praxisausfallversicherung abschließen<br />
– alle 80.000 Einzelpraxisinhaber<br />
hierzulande?<br />
Herber: Längere Ausfallzeiten niedergelassener<br />
Ärzte lassen sich nur durch<br />
eine kostspielige Praxisvertretung<br />
angemessen kompensieren. Deshalb<br />
haben alle niedergelassenen Ärzte<br />
in Einzel- und Gemeinschaftspraxen<br />
Bedarf an der Absicherung ihrer fortlaufenden<br />
Praxiskosten. Das betrifft<br />
Human- und Zahnmediziner ebenso wie<br />
Veterinärmediziner. Als Faustregel für<br />
den Bedarf bei Ausfall des versicherten<br />
Praxisinhabers gilt: Je weniger sich der<br />
Ausfall kompensieren lässt, je höher<br />
die fortlaufenden Kosten sind und je<br />
geringer die Absicherung über Krankentagegeld<br />
ist, desto größer ist der Bedarf<br />
an einer Praxisausfallversicherung. Das<br />
Höchsteintrittsalter wurde in unserem<br />
neuen Tarif kundenfreundlich auf 62<br />
Jahre erhöht, zuvor lag die Grenze bei<br />
59 Jahren. Der Vertrag endet automatisch<br />
bei 68 Jahren.<br />
<strong>procontra</strong>: Was genau leistet denn Ihre<br />
Praxisausfallversicherung?<br />
Herber: Die Praxisausfallversicherung<br />
der INTER gibt es in den Produktvari-<br />
<strong>procontra</strong> FOKUS in Zusammenarbeit mit INTER Versicherungsgruppe<br />
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INTER Versicherungsgruppe FOKUS | 53<br />
anten Exklusiv und Premium, sodass<br />
sowohl preis- als auch leistungsorientierten<br />
Kunden ein für sie passendes<br />
Angebot zur Verfügung steht. Nach<br />
einer individuell vereinbarten Karenzzeit<br />
erstattet die Police für eine Dauer<br />
von bis zu 24 Monaten fortlaufende<br />
Praxiskosten. Dazu zählen Miete für die<br />
Praxisräume, Energiekosten, Personalkosten,<br />
Leasingraten und Finanzierungskosten.<br />
Auch Kosten für eine Praxisvertretung<br />
können zur Schadenminderung<br />
erstattet werden. So geschehen etwa<br />
im Fall einer Augenärztin, die sich eine<br />
Schultereckgelenkssprengung zugezogen<br />
hatte und wegen der notwendigen<br />
Operation längere Zeit ausgefallen war.<br />
Neben den laufenden Kosten erstattete<br />
die INTER die <strong>Ausgabe</strong>n für die Praxisvertretung<br />
in Höhe von 18.000 Euro. Ein<br />
solches Schadenbeispiel illustriert im<br />
Beratungsgespräch lebensnah, wie das<br />
abstrakte Risiko zur konkreten Wirklichkeit<br />
werden kann und warum es dann<br />
so wichtig ist, die INTER an seiner Seite<br />
zu haben.<br />
<strong>procontra</strong>: Welche Verbesserungen und<br />
»Die INTER verzichtet<br />
in der Praxisausfallversicherung<br />
auf ihr ordentliches<br />
Kündigungsrecht.«<br />
Highlights über das erhöhte maximale<br />
Eintrittsalter hinaus kennzeichnen die<br />
neue Praxisausfallversicherung der<br />
INTER noch?<br />
Fabian Zeth<br />
Zeth: Auch die Versicherungssummen<br />
haben wir attraktiver gestaltet. Statt<br />
wie bisher 150.000 Euro lässt sich<br />
nun eine Jahresversicherungssumme<br />
von bis zu 288.000 Euro vereinbaren.<br />
Eine weitere Besonderheit stellen<br />
psychische und psychosomatische<br />
Erkrankungen dar, die bisher bis zu drei<br />
Monate versichert waren. Den Schutz<br />
bieten wir nun im Premium-Produkt mit<br />
einer Dauer von vier Monaten an. Auch<br />
Erkrankungen durch eine Epidemie oder<br />
Pandemie – zum Beispiel Corona – sind<br />
versichert. In der Premium-Variante gibt<br />
es außerdem anders als zuvor keinen<br />
Ausschluss bei schwangerschaftsbedingten<br />
Erkrankungen mehr, und wir<br />
leisten bei Teilarbeitsunfähigkeit für<br />
die Wiedereingliederung nach längerer<br />
schwerer Krankheit. Als i-Tüpfelchen<br />
übernimmt die INTER auch die Kosten<br />
für die Praxiswiedereröffnung nach mindestens<br />
dreimonatigem Ausfall in Höhe<br />
von bis zu 2.500 Euro.<br />
<strong>procontra</strong>: Welche Karenzzeiten gelten<br />
für die Inanspruchnahme von Leistungen?<br />
Herber: Die Kunden können wählen<br />
zwischen 14, 21, 28 oder 42 Tagen Karenzzeit,<br />
die dann sowohl bei ambulanter<br />
als auch bei stationärer Behandlung<br />
gelten. Bei Unfällen mit einem voll<br />
stationären Krankenhausaufenthalt<br />
von mindestens 72 Stunden entfällt die<br />
Karenzzeit komplett.<br />
<strong>procontra</strong>: Wo erhalten interessierte<br />
Maklerinnen und Makler weitere Informationen<br />
und Beratungsunterstützung<br />
zum Liquiditätssicherungs-Bundle der<br />
INTER für Niedergelassene?<br />
Zeth: Die erste Adresse dafür ist das<br />
Maklerportal der INTER: www.makler.<br />
inter.de/komposit/gewerbe/praxisausfall/produktbeschreibung/#menu.<br />
Außerdem stehen die Maklerbetreuerinnen<br />
und -betreuer der INTER jederzeit<br />
gern für Fragen und Hilfestellungen zur<br />
Verfügung. Ab Januar werden sie nicht<br />
mehr nach Regionen, sondern nach<br />
Fachgebieten organisiert sein. Das<br />
bedeutet noch mehr fachliche Tiefe und<br />
eine fundierte Antwort auf jede<br />
erdenkliche Frage rund um die INTER-<br />
Produkte und -Services. Für die Beratung<br />
können unsere Kooperationspartnerinnen<br />
und -partner zudem einen<br />
praktischen Tagessatzrechner nutzen.<br />
INTER Versicherungsgruppe | Telefon: 08000 825-425 | maklerservice@inter.de | makler.inter.de<br />
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54 | BERATER Steile Thesen 2024<br />
STEILE THESEN 2024<br />
+++ Drohendes Provisionsverbot+++ wefox wird verkauft +++ Bald 47.000 Makler +++<br />
Inflation sinkt auf 2 Prozent +++ Vermittlerverbände fusionieren +++ Abfragepflicht zu<br />
ESG-Kriterien wird ausgesetzt +++ BRSG II kommt +++ Preise für Bestände steigen +++<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Art. 30 Abs. 5b im Entwurf der<br />
EU-Kleinanlegerstrategie enthält<br />
eine Formulierung, die zu einem<br />
Provisionsverbot für unabhängige<br />
Vermittler von Versicherungsanlageprodukten<br />
führen könnte.<br />
STEILE THESE:<br />
»Das Provisionsverbot<br />
für Makler kommt.«<br />
Der Aufschrei in der Branche war<br />
groß. Bisher ist nicht klar, ob sich der<br />
Begriff „Unabhängigkeit“ im Entwurf<br />
auf den Status des Maklers oder auf<br />
die Dienstleistung im Einzelfall als<br />
solche bezieht. Ergebnis im ersten<br />
Fall: „Makler, die Courtage erhalten,<br />
wären im Wettbewerb gegenüber gebundenen<br />
Vertretern massiv benachteiligt<br />
und diskriminiert. Sie wären<br />
praktisch nicht mehr wettbewerbsfähig“,<br />
so AfW-Vorstand Norman Wirth.<br />
Inzwischen wurden mehrere Gutachten<br />
erstellt und viel diskutiert. Klar<br />
ist: Die Provisionsverbote für das<br />
reine Ausführungsgeschäft (Execution-only)<br />
und im Falle eines Verstoßes<br />
gegen das bestmögliche Interesse<br />
des Kunden werden kommen. Was<br />
aber aus einem Provisionsverbot für<br />
die oben erwähnten Makler wird, ist<br />
bisher Auslegungssache. Die Berichterstatterin<br />
des EU-Parlaments,<br />
Stéphanie Yon-Courtin, hat sich<br />
jüngst deutlich gegen die Pläne der<br />
Kommission ausgesprochen. Offen<br />
ist, ob sie eine Mehrheit für ihre<br />
Haltung organisieren kann. Die<br />
Verbände – mittlerweile fordert auch<br />
»Wir müssen uns<br />
wehren und jegliche<br />
europarechtswidrige<br />
Eingriffe in den<br />
Markt verhindern.«<br />
Norman Wirth<br />
Bundesverband<br />
Finanzdienst leistung AfW<br />
der BVK die Streichung des umstrittenen<br />
Passus – argumentieren unentwegt.<br />
„Wir führen ständig Gespräche<br />
– mit Politikern in Deutschland und<br />
auf EU-Ebene, direkt oder über<br />
unseren europäischen Dachverband<br />
FECIF. Wir stimmen uns dabei mit<br />
guten Partnern in Deutschland und<br />
auf EU-Ebene ab“, so Wirth. Die<br />
Europawahlen im Juni 2024 werden<br />
den Gesetzgebungsprozess nicht<br />
unterbrechen, höchstens verzögern.<br />
Möglich wäre eine Kompromissfindung<br />
zwischen EU-Kommission,<br />
EU-Parlament und Rat der EU. Über<br />
rechtswissenschaftliche Munition<br />
verfügen die Verbände jedenfalls.<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Das Rennen ist offen. Es wäre aber nicht<br />
das erste Mal, dass die Argumente der<br />
Lobbyverbände des größten EU-Landes<br />
verfangen, insbesondere wenn man<br />
diesmal mit einer Stimme spricht.<br />
40 %<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Steile Thesen 2024 BERATER | 55<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Das wohl bekannteste InsurTech<br />
wefox steht am Scheideweg.<br />
Sechs Jahre nach Markteintritt<br />
schreibt es immer noch keine<br />
schwarzen Zahlen, sorgt aber mit<br />
turbulenten Strategieänderungen<br />
für Aufsehen.<br />
wefox vertreibt Versicherungen in<br />
Deutschland, Österreich und der<br />
Schweiz und wurde nach einer<br />
Finanzierungsrunde im vergangenen<br />
Jahr mit 4,5 Milliarden US-Dollar<br />
bewertet. Das eigentliche Versicherungsgeschäft<br />
ist unter der wefox<br />
STEILE THESE:<br />
»wefox wird verkauft.«<br />
Insurance AG mit Hauptsitz in Vaduz<br />
organisiert. In den letzten beiden<br />
Jahren häuften sich Meldungen über<br />
fragwürdige Wachstumsmethoden<br />
mittels Zukäufen von Maklerfirmen,<br />
Umstrukturierungen und Personalwechsel.<br />
Zuletzt gab es Änderungen<br />
im Oktober: Mark Hartigan soll<br />
künftig das Aufsichtsgremium „Board<br />
of Directors“ leiten, während Gründer<br />
Julian Teicke als Vize fungiert. Die<br />
diversen Neuausrichtungen zeichnen<br />
nicht gerade das Bild eines stringenten<br />
Players im deutschen Markt, der<br />
weiß, was er will. Zuletzt wurden<br />
bestehende Hausrat-, Haftpflicht- und<br />
Wohngebäudeversicherungen des<br />
eigenen Hauses ebenso wie die eigene<br />
Kfz-Versicherung eingestampft. Der<br />
Fokus soll nun stärker auf das<br />
Affi ni tygeschäft und neue Distributionskooperationen<br />
gelegt und nur<br />
noch ausgewählte Produkte vertrieben<br />
werden. Wieder eine Richtungsänderung<br />
des InsurTechs.<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Der Druck, endlich Profit zu erzielen,<br />
steigt. Noch scheint ausreichend Kapital<br />
vorhanden. Ein Verkauf des Versicherungsgeschäfts<br />
erscheint daher vorerst<br />
eher unwahrscheinlich, zumindest für<br />
2024.<br />
25 %<br />
Seit Umsetzung der Versicherungsvermittlerrichtlinie<br />
im Jahr 2007 sind<br />
Versicherungsvermittler/-berater,<br />
Finanzanlagenvermittler, Honorar-Finanzanlagenberater<br />
und Immobiliardarlehensvermittler<br />
verpflichtet, ihre<br />
Qualifikation nachzuweisen und sich<br />
ins Onlineregister der IHK-Organisation<br />
eintragen zu lassen.<br />
Vergleicht man die Zahlen der letzten<br />
Jahre, fallen Trends auf: Die Zahl der<br />
Vermittler insgesamt geht klar zurück:<br />
Von 248.704 (2013) über 196.756<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Derzeit (Oktober <strong>2023</strong>) gibt es<br />
46.407 im Vermittlerregister verzeichnete<br />
Versicherungsmakler.<br />
Die Branche bemüht sich aktiv<br />
um die Gewinnung qualifizierten<br />
Nachwuchses.<br />
(2020) bis 183.055 aktuell, was hauptsächlich<br />
am Rückgang der gebundenen<br />
Vertreter liegt. Bei den Maklerzahlen<br />
sehen wir Stagnation, nämlich<br />
von 46.375 (2013) über 46.054 (2020)<br />
bis aktuell 46.407.<br />
Warum sollte die Zahl steigen, wenn<br />
das Durchschnittsalter der Makler<br />
laut BVK bei 53 Jahren liegt? Werden<br />
wirklich weniger Kollegen in den<br />
Ruhestand gehen, als Jungmakler<br />
oder in den Maklerstatus wechselnde<br />
AO-Vertreter nachkommen? Mona<br />
Moraht, Leiterin Referat Gewerberecht<br />
DIHK, kann dazu keine exakte<br />
Prognose abgeben, sagt aber: „Wenn<br />
man sich die Zahlen anschaut, ist<br />
STEILE THESE:<br />
»Die Zahl der Versicherungsmakler<br />
knackt die Marke<br />
von 47.000.«<br />
vermutlich eher von einem Rückgang<br />
auszugehen.“<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Die 47.000er-Marke würde bereits<br />
bei einem überschaubaren Plus von<br />
1,3 Prozent geknackt. Wir glauben an die<br />
Attraktivät des Maklerberufs und sind<br />
hier positiv gestimmt.<br />
70 %<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
56 | BERATER Steile Thesen 2024<br />
STEILE THESE:<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Im Oktober 2022 erreichte die<br />
Inflation 8,8 Prozent, ausgelöst<br />
durch krisen- und kriegsbedingte<br />
Sondereffekte wie Lieferengpässe.<br />
Nun aber greifen die Zinserhöhungen<br />
der EZB. Wird das reichen?<br />
„Mittelfristig streben wir eine<br />
Inflationsrate von 2 Prozent an. Wir<br />
verstehen dieses Ziel als ein symmetrisches<br />
Ziel. Das heißt, unserer<br />
Auffassung nach ist eine zu niedrige<br />
Inflationsrate genauso negativ wie<br />
eine zu hohe Inflationsrate“, heißt es<br />
auf der Website der Europäischen<br />
Zentralbank (EZB). Aktuell (Oktober<br />
<strong>2023</strong>) steht die Inflationsrate auf 3,8<br />
Prozent, ein deutlicher Rückgang von<br />
den exorbitanten Raten der letzten<br />
zwei Jahre. Kein Wunder, die EZB hat<br />
in einer beispiellos raschen Abfolge<br />
»Die Inflationsrate kehrt<br />
auf das Zielniveau von<br />
2 Prozent zurück.«<br />
den Leitzins erhöht, auf mittlerweile<br />
4,5 Prozent. Weitere Zinserhöhungen<br />
werden vorerst nicht erwartet.<br />
Einerseits bleibt die Entwicklung der<br />
Löhne im Euroraum weiterhin ein<br />
wichtiger Inflationstreiber. Andererseits<br />
schwächt die konjunkturelle<br />
Lage im Euroraum die Inflation ab.<br />
Die Warenpreise werden 2024<br />
weiterhin zurückgehen. Die Europäi-<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Ja, die Inflation wird weiter fallen, sie wird aber – zumindest<br />
im Jahr 2024 – nicht das Wunschniveau von 2,0 Prozent erreichen,<br />
da es noch zu viele gegenläufige Effekte im Markt gibt.<br />
sche Kommission prognostiziert für<br />
2024 eine Inflationsrate für Deutschland<br />
von 2,8 Prozent. Laut einer<br />
Umfrage des ZEW erwarten Finanzmarktexperten<br />
für die Jahre 2024 und<br />
2025 im Median Inflationsraten von<br />
3,3 respektive 2,5 Prozent. Das<br />
Inflationsziel von 2 Prozent wird aus<br />
Sicht der Experten also nicht erreicht.<br />
Da schließen wir uns an.<br />
20 %<br />
Je mehr Mitglieder eine Interessenvertretung<br />
hat, desto besser ist ihre<br />
Relevanz und Wahrnehmung gegenüber<br />
der Politik. Während viele<br />
Branchen eine starke einheitliche<br />
Lobby haben, herrscht im Bereich der<br />
Finanzdienstleistungen jedoch eine<br />
historisch gewachsene Kleinstaaterei.<br />
Als wichtige Stimmen, jeweils mit<br />
eigener Lobbyarbeit in Berlin und<br />
Brüssel, gelten vor allem der BVK<br />
(wahrgenommen meist als Vertreter<br />
der gebundenen Vertreter), der AfW<br />
(unabhängige Makler) und Votum<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
STEILE THESE:<br />
»AfW, Votum<br />
und BVK fusionieren,<br />
um<br />
mit einer stärkeren<br />
Stimme<br />
für Vermittler<br />
zu sprechen.«<br />
(größere Vertriebe). Eine Fusion<br />
würde zu einer geeinten Stimme mit<br />
mehr Durchsetzungskraft führen.<br />
Nein, meint Martin Klein vom<br />
Votum-Verband, eine Fusion sei nicht<br />
sinvoll, dafür so viel Kooperation wie<br />
möglich. „Die Verbände haben so die<br />
Möglichkeit, in ihrer jeweiligen<br />
Stammmitgliedschaft die Stärken<br />
auszuspielen und damit alle Marktmeinungen<br />
in die Diskussion einzubringen.“<br />
Wenn bei maßgeblichen<br />
Themen der Politik gegenüber eine<br />
einheitliche Positionierung, und diese<br />
vielstimmig, vertreten wird, erhöhe<br />
das die Chancen, Gehör zu finden.<br />
In der Wahrnehmung in Politik und<br />
Presse ist es nachteilig, wenn sich<br />
Verbände für Partikularinteressen zum<br />
Beispiel für die AO oder den Bankenvertrieb<br />
auf Kosten anderer Vertriebswege<br />
profilieren.<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Um es plakativ zu sagen: Eher friert die Hölle zu! Allenfalls sehr<br />
langfristig mit einer neuen Generation von Führungspersonal<br />
mag die Fusion der Top-Vermittlerverbände möglich erscheinen,<br />
derzeit ist sie unrealistisch.<br />
5 %<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Steile Thesen 2024 BERATER | 57<br />
STEILE THESE:<br />
»Die Abfragepflicht zu<br />
Nachhaltigkeitspräferen<br />
zen wird ausgesetzt.«<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Versicherungsvermittler müssen seit August 2022, Finanzanlagenberater<br />
seit April <strong>2023</strong> die ESG-Präferenzen ihrer Kunden<br />
abfragen, ihre Produktempfehlungen danach ausrichten<br />
und dies dokumentieren.<br />
Es war das wichtigste regulatorische Thema des letzten<br />
Jahres: die überhastete Einführung einer Abfragepflicht<br />
von Vermittlern zu den Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer<br />
Kunden über eine EU-Verordnung. Und dies, obwohl zu<br />
diesem Zeitpunkt viele Produktgeber noch gar keinen<br />
klaren Rahmen für die Nachhaltigkeitseinstufung ihrer<br />
Produkte vorliegen hatten. Die Vermittler mussten also<br />
zeitweise im luftleeren Raum agieren. Zwar lieferten die<br />
Vermittlerverbände wie der AfW und Votum rasch<br />
Vorlagen und Empfehlungen. In der Praxis jedoch fand<br />
die regulatorische Maßnahme kaum Widerhall, geschweige<br />
denn Akzeptanz. Zu komplex, zu zeitraubend, zu<br />
unsicher – und die Kunden bestanden und bestehen<br />
auch nicht darauf. Laut AfW-Vermittlerbarometer, einer<br />
Umfrage unter 1.300 Vermittlern, hat nur gut jeder<br />
zweite Kunde (53 Prozent) an einer Beratung zu nachhaltigen<br />
Finanz- und Versicherungsprodukten Interesse und<br />
möchte über seine ESG-Präferenzen sprechen. 22 Prozent<br />
wollen das Thema überhaupt nicht anschneiden, und<br />
jedem vierten Kunden (25 Prozent) sind ESG-Aspekte in<br />
der Geldanlage egal! Da ist es einfacher, wenn der Kunde<br />
bei der Frage, ob er nachhaltige Produkte wünscht,<br />
„nein“ antwortet und dann das gesamte Abfrageprozedere<br />
gar nicht weiter zur Anwendung kommt.<br />
Mit dem Betriebs-<br />
rentenstärkungs-<br />
gesetz (BRSG)<br />
sollte die Betriebsrente<br />
bundesweit<br />
populärer<br />
werden. Die<br />
Effekte blieben<br />
STEILE THESE:<br />
»Das BRSG II wird<br />
vorgestellt.«<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Das BRSG trat 2018 in Kraft. Es<br />
bietet bessere steuer- und sozialversicherungsrechtliche<br />
Rahmenbedingungen<br />
für die bAV und soll<br />
die Verbreitung der Betriebsrente<br />
fördern. Zeit für eine Nachjustierung.<br />
indes überschaubar.<br />
Schon im Mai dieses Jahres forderte Dr. Georg<br />
Thurnes, Vorsitzender der aba Arbeitsgemeinschaft für<br />
bAV: „Es ist Zeit für ein Betriebsrentenstärkungsgesetz<br />
II.“ Ein mehrmonatiger Fachdialog beim Arbeitsministerium<br />
habe den Handlungsbedarf aufgezeigt und<br />
Vorschläge für eine Stärkung der Betriebsrente geliefert,<br />
zum Beispiel beim spärlich verbreiteten Sozialpartnermodell<br />
(siehe Seite 31). Derzeit tagt eine Dialoggruppe<br />
bAV im Bundesministerium für Arbeit und Soziales.<br />
Zu den diskutierten Ideen für ein BRSG II gehören etwa<br />
bei der Geringverdienerförderung nach § 100 EStG eine<br />
Erhöhung des Fördersatzes von 30 auf 40 oder 50<br />
Prozent und eine Dynamisierung der derzeit geltenden<br />
Gehaltsgrenze von 2.575 Euro. Die bAV stärker zu<br />
entbürokratisieren, zu deregulieren und zu digitalisieren<br />
wird ebenfalls gefordert. Dringender Handlungsbedarf<br />
sieht die aba auch im Finanzaufsichtsrecht. „Wir<br />
brauchen eine Anpassung der bestehenden Anforderungen<br />
an die Kapitalanlage, die Bedeckung und das<br />
Risikomanagement“, so Thurnes. So dürften etwa<br />
Altersversorgungseinrichtungen nicht undifferenziert<br />
der Finanzmarktregulierung unterworfen werden.<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Regulierung wird zwar evaluiert, aber<br />
selten zurückgenommen. Die Abfrage<br />
wird daher kaum wieder eingemottet<br />
werden. Es ist wahrscheinlicher, dass<br />
die Politik versucht, die Umsetzung<br />
deutlich zu vereinfachen.<br />
15 %<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Von einer flächendeckenden<br />
Verbreitung der Betriebsrente<br />
sind wir weit entfernt. Der<br />
Gesetzgeber muss reagieren,<br />
konkrete Vorschläge liegen auf<br />
dem Tisch. Sechs Jahre nach<br />
dem BRSG wird es Zeit.<br />
85 %<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
58 | BERATER Steile Thesen 2024<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Makler können organisch wachsen<br />
oder schneller über den Zukauf von<br />
Beständen. Dieser Markt ist aktuell<br />
hart umkämpft, wobei bestimmte<br />
Grundregeln der Bewertung eine<br />
wichtige Rolle spielen.<br />
Wer aktuell seinen Maklerbestand<br />
oder sein Unternehmen veräußern<br />
möchte, kann sich über mangelnde<br />
Angebote nicht beklagen. Die Nachfrage<br />
ist enorm, es herrscht ein<br />
Verkäufermarkt, der mit bis zu „100<br />
Prozent Maklerrente“ oder „Faktor 4<br />
auf die Bestandscourtage“ wirbt. In<br />
der Fachpresse berichten Gutacher,<br />
dass sie von rund 40 Interessenten<br />
kontaktiert werden, wenn sie einen<br />
Maklerbestand am Markt platzieren.<br />
Zwar hat die Zinswende die zuvor<br />
steigenden Preise in Teilen abgeschwächt,<br />
insbesondere bei großen<br />
Maklern. Aber: „Bei den kleineren<br />
Beständen von Versicherungsmaklern<br />
verschärft sich der Wettbewerb,<br />
weil die Pools versuchen ihre Bestände<br />
zu sichern und über Käufe ihrer<br />
Makler neue Bestände in ihre Bücher<br />
zu bekommen. Viele Makler haben<br />
auch die Sorge, dass sie aufgrund der<br />
zunehmenden Regulierung nicht<br />
groß genug sind, um dauerhaft<br />
existieren zu können. Diese Gruppe<br />
tritt immer stärker als Kaufinteressenten<br />
auf“, sagt Andreas W. Grimm,<br />
Gründer des Resultate Instituts.<br />
Zudem drängen Private-Equity-Groß-<br />
STEILE THESE:<br />
»Käufer reißen sich<br />
um Maklerbestände.«<br />
investoren auf der Suche nach<br />
attraktiven Renditen in den Markt.<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Bis 2030 werden Tausende Vermittelnde<br />
in Rente gehen und Bestände hinterlassen.<br />
Mit Top-Preisen können sie aber<br />
nur rechnen, wenn der Bestand gepflegt<br />
und digitalisiert ist.<br />
65 %<br />
Stellt man Kunden vor die Wahl, ob sie<br />
gegen Provision oder gegen Honoar<br />
beraten werden möchten, wählt die<br />
überwältigende Mehrheit erstere<br />
Variante. In der gewachsenen Struktur<br />
des Finanzberatungsmarktes und der<br />
„vermeintlich kostenlosen“ Beratung<br />
haben es reine Honorarberater nach<br />
wie vor schwer und fokussieren sich<br />
auf sehr vermögende Kunden. Im<br />
Vermittlerregister des DIHK sind<br />
derzeit (Oktober <strong>2023</strong>) 326 Versicherungsberater<br />
mit Erlaubnis nach<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Seit Langem wird die Honorarberatung<br />
als Alternative zur Provisionsberatung<br />
von Politik und Verbraucherschützern<br />
propagiert. Ohne Erfolg, denn vielen<br />
Kunden erscheinen kostendeckende<br />
Honorare als zu teuer.<br />
STEILE THESE:<br />
»Die Zahl der<br />
reinen Honorarberater<br />
geht deutlich<br />
zurück.«<br />
Paragraf 34d Absatz 2 GewO gelistet.<br />
Zudem sind 316 Honorar-Finanzanlagenberater<br />
nach 34h gelistet. Angesichts<br />
einer Gesamtzahl von 183.055<br />
Versicherungsvermittlern und 40.000<br />
Finanzanlagenvermittlern auf dem<br />
deutschen Markt sind das mikroskopische<br />
Anteile. Da wir davon ausgehen,<br />
dass die Branche ein drohendes<br />
Provisionsverbot aus Brüssel im<br />
Rahmen der EU-Kleinanlegerstrategie<br />
(siehe Seite 54) zu verhindern weiß,<br />
wird es vorerst keinen externen Schub<br />
für die Honorarberatung geben. Da<br />
die meist sehr erfahrenen Honorarberater<br />
auch älter werden, wird ihre Zahl<br />
langfristig sinken.<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Es gibt sie noch, engagierte und erfahrene<br />
Honorarberater, die – oftmals als<br />
Sachverständige – von ihrem Job leben<br />
können. Sie bedienen eine Nische und<br />
werden sich auch weiterhin am Markt<br />
behaupten – in geringerer Zahl.<br />
35 %<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Steile Thesen 2024 BERATER | 59<br />
STEILE THESE:<br />
»Versicherungsmakler<br />
dürfen sich nicht mehr<br />
›unabhängig‹ nennen.«<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Zwei aktuelle Gerichtsentscheidungen lassen sich so interpretieren,<br />
dass – anders als reine Honorarberater – Vermittler,<br />
die Provisionen erhalten, nicht mit dem Status der<br />
Unabhängigkeit werben dürfen.<br />
Die Unabhängigkeit gilt als identitätsstiftender Baustein<br />
des Maklerstatus. Der BGH stellte 1985 fest, dass Makler<br />
als „Sachwalter des Kunden“ auf der gleichen Stufe<br />
stehen wie sonstige Berater, also etwa Rechtsanwälte<br />
und Steuerberater. Anders als ein bei einem Versicherer<br />
abhängig beschäftigter Vertreter hat der Makler die Aufgabe,<br />
die Interessen seines Kunden, des Versicherungsnehmers,<br />
wahrzunehmen. Und entsprechend unabhängig<br />
passenden Versicherungsschutz für ihn zu finden.<br />
Noch nicht rechtskräftig<br />
Nun haben zwei aktuelle Urteile (AZ 33 O 15/23 Landgericht<br />
Köln, AZ 9 O 1081/22 Landgericht Bremen) die Frage<br />
der Unabhängigkeit mit der Vergütung verknüpft.<br />
Demnach dürfen Vermittler ihre Beratung nicht als<br />
unabhängig darstellen und auch nicht als reine Berater<br />
auftreten, wenn sie Provisionen von Versicherern oder<br />
Finanzinstituten erhalten. Es stünde nur Versicherungsberatern<br />
– also reinen Honorarberatern – das Adjektiv<br />
„unabhängig“ zu, schließt daraus der Verbraucherzentrale<br />
Bundesverband (vzbv). Die Verbraucherschützer<br />
hatten die Urteile gegen zwei Versicherungsmakler<br />
erstritten. Beide Entscheidungen ergingen an Landgerichten<br />
und sind noch nicht rechtskräftig.<br />
Wir erinnern uns:<br />
Schon vor Jahren<br />
hat der Versichererpool<br />
1:1 Assekuranzservice<br />
AG<br />
die kleineren Pools<br />
Clarus, Askuma,<br />
DePeMa und eke<br />
finance GmbH<br />
übernommen. Und die Hypoport-Tochter Qualitypool integrierte<br />
schrittweise den Maklerpool und Assekuradeur<br />
ASC sowie die AmexPool AG. Jung, DMS & Cie. kaufte den<br />
Investmentpool Komm und legte im Juni <strong>2023</strong> nach mit<br />
der Übernahme der Top-Ten-Gruppe. Hinzu kommen<br />
viele umfassende Kooperationen zwischen Maklerpools.<br />
„Größe entwickelt sich zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor.<br />
Sie verspricht Skaleneffekte und den<br />
Ausbau der Marktposition. Schon jetzt verläuft die<br />
Wachstumskurve sehr unterschiedlich“, sagt Pool-Expertin<br />
Sabine Brunotte. Sie verweist auf Finanzinvestoren<br />
wie Hg Capital und Warburg Pincus, die die Finanzreserven<br />
einzelner Pools auffüllen. So hat sich Hg Capital die<br />
Mehrheit von Fonds Finanz und des Maklerverbunds<br />
DEMV gesichert. Beide Unternehmen arbeiten nun unter<br />
dem gemeinsamen Dach der Infitech GmbH, und Fonds<br />
Finanz promotet das Maklerverwaltungsprogramm des<br />
DEMV bei seinen Maklern. Auf diese Weise treibt Hg den<br />
IT-Ausbau voran.<br />
STEILE THESE:<br />
»Die Konsolidierung<br />
der Maklerpools nimmt<br />
Fahrt auf.«<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Seit Jahren beteiligen sich Pools<br />
an Mitbewerbern, Dienstleistern<br />
und Partnern oder integrieren<br />
sie sogar komplett. Auch große<br />
Finanzinvestoren sind bereits auf<br />
den Plan getreten.<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Hier ist das letzte Wort noch nicht<br />
gesprochen, zumal die beiden Urteile<br />
auch abweichende Interpretationen<br />
zulassen. Es ist wahrscheinlich, dass<br />
höhere Instanzen den Status der Unabhängigkeit<br />
klarer fassen.<br />
20 %<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Es gibt keinen ersichtlichen Grund,<br />
warum dieser logische Trend stoppen<br />
sollte. Der Markt der Maklerpools<br />
wird auch 2024 weitere Übernahmen<br />
und Kooperationen sehen.<br />
90 %<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
60 | SO IST , S RECHT <br />
So ist , s Recht<br />
Relevante Urteile für Ihre Beratung<br />
AW ANNE MAREILE WALTER<br />
Wohngebäude<br />
Schwamm drüber?!<br />
Der Ausschluss von Schwammschäden<br />
aus dem Leistungsumfang von Gebäudeversicherungen<br />
ist nach einem<br />
Leitungswasserschaden rechtmäßig.<br />
Das bestätigte 2012 der BGH. Eine<br />
Hausbesitzerin klagte trotzdem und<br />
begründete das damit, dass ihr Haus in<br />
Holzständerbauweise errichtet wurde.<br />
Hier sei regelmäßig mit Schwammbefall<br />
zu rechnen, der Versicherungsnehmer<br />
werde also benachteiligt. Das sahen<br />
die Richter anders: Die BGH-Rechtsprechung<br />
beziehe alle Häuser mit ein, auch<br />
solche in Holzständerbauweise.<br />
OLG Köln, AZ: 9 U 19/23<br />
Krankenversicherung<br />
Strittiger Off-Label-Use<br />
Experimentelle Behandlungsmethoden,<br />
die nicht durch hinreichende Indizien<br />
gestützt sind, müssen von den gesetzlichen<br />
Kassen nicht bezahlt werden. Das<br />
geht aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts<br />
hervor. Darin ging es um<br />
einen 2020 geborenen, schwer kranken<br />
Jungen, der an einer unheilbaren Stoffwechselerkrankung<br />
leidet. Nachdem die<br />
Kasse die Kostenübernahme für eine<br />
Off-Label-Therapie abgelehnt hatte,<br />
reichten die Eltern Beschwerde ein. Aus<br />
Sicht der Richter wurden die Grundrechte<br />
des Kindes nicht verletzt.<br />
BVerfGE, AZ: 1 BvR 1790/23<br />
Berufsrecht<br />
»Unabhängige« Darstellung ist gegen das Gesetz<br />
Vermittler dürfen sich nicht als „unabhängig“ darstellen oder als Berater auftreten,<br />
wenn sie Provisionen erhalten. Das zeigen zwei Urteile nach Klagen<br />
des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv). Im ersten Fall hatte ein<br />
Makler Beratung angeboten, obwohl er über keine Zulassung als Versicherungsberater<br />
verfügte. Die Gewerbeformen des Honorarberaters und des<br />
Vermittlers sind per Gesetz getrennt, ein gleichzeitiges Betreiben verboten,<br />
so das richterliche Urteil. Im zweiten Fall warb eine Firma mit „unabhängiger<br />
Beratung“ und formulierte eine Erlaubnis nach 34d und 34f. Dadurch entstehe<br />
der irrtümliche Eindruck, es mit einem Honorarberater zu tun zu haben.<br />
Beide Urteile sind noch nicht rechtskräftig.<br />
LG Köln, AZ: 33 O 15/23, LG Bremen, AZ: 9 O 1081/22<br />
»Wer als Versicherungsvermittler tätig ist,<br />
darf nicht als Versicherungsberater tätig<br />
sein und umgekehrt.«<br />
Auszug aus der Urteilsbegründung, Landgericht Köln<br />
Illustration: Jakob Bettin
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62 | BERATER Maklermarkt<br />
»Für uns macht eine<br />
Fusion keinen Sinn«<br />
Mit Dietmar Bläsing wechselt einer der langgedientesten Versicherungsmanager<br />
Deutschlands in den Ruhestand. <strong>procontra</strong> sprach mit ihm und seiner Nachfolgerin<br />
Stefanie van Holt über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Volkswohl Bundes.<br />
HP HANNAH PETERSOHN MT MARTIN THALER<br />
<strong>procontra</strong>: 40 Jahre sind Sie nun beim<br />
Volkswohl Bund tätig, davon 26 Jahre<br />
im Vorstand und sechs als Vorstandssprecher.<br />
Auf welche Ereignisse blicken<br />
Sie als besonders prägend zurück?<br />
Dietmar Bläsing: Neben dem Ende der<br />
Steuerfreiheit für Lebensversicherungen<br />
2004, als man den Vertriebspartnern<br />
eine ganz neue Perspektive aufzeigen<br />
musste, und der Niedrigzinsphase<br />
ist das auf jeden Fall der Wandel des<br />
Volkswohl Bundes zum Maklerversicherer.<br />
Als ich hier 1983 als Azubi anfing,<br />
waren wir noch ein reiner Ausschließlichkeitsversicherer.<br />
Dadurch hatten wir<br />
ein großes Kostenproblem bei gleichzeitig<br />
nur geringer Produktivität – die Kostensätze<br />
waren damals wirklich jenseits<br />
von Gut und Böse. Mehrere Vertriebsvorstände<br />
sind daran gescheitert, die<br />
Effizienz zu erhöhen. Als letzte Option<br />
wurde versucht, den Vertrieb stärker zu<br />
diversifizieren. Glücklicherweise, muss<br />
Was Sie erfahren werden:<br />
man sagen, denn andernfalls gäbe es<br />
den Volkswohl Bund heute eventuell<br />
nicht mehr bzw. hätten wir fusionieren<br />
müssen.<br />
<strong>procontra</strong>: Makler kommen sicherlich<br />
nicht von alleine. Wie sind Sie vorgegangen?<br />
Wie der Umbau zum Maklerversicherer ablief<br />
Worin die größten Herausforderungen liegen<br />
»Wir haben die AO<br />
nie abgeschafft, sie<br />
ist über die Zeit<br />
weggeflutscht.«<br />
Dietmar Bläsing<br />
Bläsing: Maklerkontakte hatten wir zu<br />
Beginn kaum. Zum Glück kamen wir damals<br />
auf die gute Idee, es über Produkte<br />
zu versuchen. Für mich persönlich war<br />
Warum eine Fusion für den Volkswohl Bund nicht infrage kommt<br />
das eine tolle Möglichkeit: Als ich gerade<br />
drei Jahre mit meiner Ausbildung fertig<br />
war, erhielt ich zusammen mit einem<br />
neuen Kollegen, der Versicherungsmathematiker<br />
war, den Auftrag: „Macht<br />
mal spannende Produkte.“<br />
<strong>procontra</strong>: Waren Sie dann einfach<br />
kreativer als andere Versicherer?<br />
Bläsing: Jein. Zum einen haben wir<br />
begonnen, die Produkte ganzheitlich zu<br />
denken – das heißt nicht nur kalkulatorisch,<br />
sondern auch unter Marketinggesichtspunkten.<br />
Allerdings war der größte<br />
Hemmschuh für Produktinnovationen<br />
damals die IT, damals hieß sie noch EDV.<br />
Wir hatten das Glück, damals über ein<br />
relativ neues Bestandsführungssystem<br />
zu verfügen, das mehr konnte als die<br />
Systeme in anderen Häusern. Vielleicht<br />
hatten also die Kollegen genauso gute<br />
Ideen, konnten sie aber nicht umsetzen.<br />
<strong>procontra</strong>: Mittlerweile haben Sie so<br />
gut wie keine Ausschließlichkeit mehr.<br />
Haben Sie ihre AO mit den damaligen<br />
Beschlüssen bewusst beerdigt?<br />
Bläsing: Nein. Die Direktive lautete<br />
damals, den Vertrieb zu diversifizieren.<br />
Wir haben keine Maklerorganisation auf<br />
der grünen Wiese aufgebaut, sondern<br />
alle Geschäftsstellenleiter, Bezirksdirektoren<br />
etc. angewiesen, sich um freie<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Maklermarkt BERATER | 63<br />
Vertriebspartner zu bemühen. Diese<br />
Außendienstführungskräfte waren<br />
damals schon stark erfolgsabhängig honoriert<br />
und merkten dann, dass es sich<br />
für sie finanziell viel mehr lohnte, sich<br />
um freie Vertriebspartner als um eine<br />
höhere Effizienz in der AO zu kümmern.<br />
Die Genese zum Maklerversicherer war<br />
ein reiner Evolutionsprozess. Wir haben<br />
die AO nie abgeschafft, sie ist über die<br />
Zeit weggeflutscht.<br />
<strong>procontra</strong>: Mehrere Versicherer stärken<br />
derzeit wieder ihre AO, auch weil dadurch<br />
mehr Planbarkeit erreicht werden<br />
kann. Als Nachfolgerin von Herrn<br />
Bläsing, Frau van Holt: Denken Sie über<br />
einen solchen Schritt nach?<br />
Stefanie van Holt: Nein. Eine Ausschließlichkeit<br />
neu aufzubauen ist eine<br />
»Kontinuität ist<br />
entscheidend für<br />
unsere Vertriebspartner.«<br />
Stefanie van Holt<br />
ganz andere Geschichte, als in den<br />
Maklervertrieb einzusteigen. Wenn Sie<br />
eine AO aufbauen wollen, braucht es ein<br />
ganzes Bündel an Rahmenbedingungen,<br />
angefangen von der Weiterbildung bis<br />
hin zur IT, also Beratungssoftware und<br />
Vergleichstools, die sie der AO zur Verfügung<br />
stellen müssen. Das wären enorme<br />
Investitionen, die wir hier tätigen<br />
müssten. Unser Fokus bleibt deswegen<br />
auf den freien Vertriebspartnern.<br />
<strong>procontra</strong>: Richten wir den Blick aus<br />
der Vergangenheit in Richtung Zukunft.<br />
Frau van Holt, wo sehen Sie zukünftig<br />
die größten Herausforderungen für<br />
sich?<br />
van Holt: Die Digitalisierung wird<br />
sicherlich ein sehr relevantes Thema<br />
bleiben. Viele schauen ja immer nur<br />
auf die Produkte, doch die sind meist<br />
innerhalb eines halben Jahres von der<br />
Konkurrenz kopiert. Wir wollen darum<br />
Services stärker in den Blick nehmen<br />
und haben dafür gerade eine eigene Abteilung<br />
namens „Services Management“<br />
gegründet, die Vermittlern auch Tools<br />
für ihre Arbeit an die Hand geben soll.<br />
<strong>procontra</strong>: Bereitet Ihnen die zunehmende<br />
Regulatorik Kopfzerbrechen?<br />
van Holt: Das ist ein ganz wichtiger<br />
Punkt. Die Regulatorik wächst immer<br />
weiter, für uns und alle anderen in<br />
der Branche. Mit Folgen für die Neueinstellungen:<br />
Der Apparat, der nur<br />
für die Umsetzung der neuen Regeln<br />
und Gesetze zuständig ist, wächst<br />
immer weiter. Wir werden nicht darum<br />
herumkommen, diese umzusetzen. Die<br />
Herausforderung für uns wird aber sein,<br />
nicht nur die Regulatorik umzusetzen,<br />
sondern trotzdem kreativ zu bleiben<br />
und neue Themen und Services zu entwickeln,<br />
die auch kostenattraktiv sind.<br />
Schließlich muss die gesamte umzusetzende<br />
Regulatorik auch bezahlt werden.<br />
<strong>procontra</strong>: Erst vor Kurzem haben zwei<br />
Versicherer aus ihrer Nachbarschaft,<br />
die Gothaer und die Barmenia, erklärt,<br />
miteinander fusionieren zu wollen.<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
64 | BERATER Maklermarkt<br />
Ist eine Fusion für Ihr Unternehmen<br />
ebenfalls denkbar?<br />
van Holt: Wir unterstützen Kooperationen<br />
auf Branchenebene, die unseren<br />
Vertriebspartnern das Leben erleichtern.<br />
Beispiele wären hier die Deutsche<br />
Makler Akademie oder die easy-Login-<br />
Initiative. Hinter dieser Hürde, die wir<br />
den Vertriebspartnern dann gemeinschaftlich<br />
nehmen, fängt dann der<br />
Wettbewerb aber wieder an. Ein Zusammengehen<br />
mit anderen Versicherern<br />
steht für uns somit nicht zur Debatte.<br />
Bläsing: Eine Fusion macht für uns<br />
keinen Sinn. Wir sind immer organisch<br />
gewachsen und wollen das auch in<br />
Zukunft so beibehalten. Wir stehen<br />
anderen Versicherern aber immer als<br />
Produktpartner oder für Konsortiallösungen<br />
zu Verfügung. Ich spreche hier<br />
immer von der Großer-Kuchen-Theorie,<br />
die auch viele weitere Versicherer mit<br />
Maklervertrieb teilen. Sie besagt: Lass<br />
uns zusammen möglichst vielen Vertriebspartnern<br />
dabei helfen, dass sie<br />
auch morgen noch tätig sein können<br />
– das macht den Kuchen größer. Wenn<br />
das gelungen ist, dann geht der Wettbewerb<br />
los. Aber uns allen fällt es doch<br />
leichter, uns von einem großen statt von<br />
einem kleinen Kuchen ein Stück abzuschneiden.<br />
<strong>procontra</strong>: Herr Bläsing, Sie haben Ihre<br />
gesamte Karriere beim Volkswohl Bund<br />
verbracht, mit Frau van Holt übernimmt<br />
nun ein weiteres Eigengewächs die Geschäfte.<br />
Welche Vor-, aber auch Nachteile<br />
entstehen aus dieser Fokussierung<br />
auf nur einen Arbeitgeber?<br />
van Holt: Man kennt natürlich die hauseigene<br />
Kultur und die Abläufe. Ein ganz<br />
wichtiger Punkt ist auch, dass dadurch<br />
Kontinuität gewährleistet wird – das ist<br />
entscheidend für unsere Vertriebspartner.<br />
Es kommt nun niemand Neues, der<br />
alles verändern will, um dem Unternehmen<br />
seinen Stempel aufzudrücken.<br />
Herr Bläsing und ich haben die vergangenen<br />
Jahre vieles bereits zusammen<br />
»Uns allen fällt es<br />
doch leichter,<br />
uns von einem<br />
großen statt von<br />
einem kleinen<br />
Kuchen ein Stück<br />
abzuschneiden.«<br />
Dietmar Bläsing<br />
Background:<br />
Stefanie van Holt<br />
Stefanie van Holt hat Wirtschaftswissenschaft<br />
an der<br />
Leibniz Universität Hannover<br />
studiert. Durch einen Nebenjob<br />
am Lehrstuhl für Versicherungswirtschaft<br />
kam sie mit<br />
dem Thema Versicherungen in<br />
Kontakt.<br />
2006 begann sie schließlich<br />
als Researcher in der Knowledge<br />
Group Insurance bei der<br />
Boston Consulting Group.<br />
2007 wechselte sie als<br />
Vorstandsassistentin für den<br />
Bereich Vertrieb & Marketing<br />
zum Volkswohl Bund. Nach<br />
diversen weiteren Stationen<br />
im Vertrieb agiert van Holt seit<br />
2016 als Hauptabteilungsleiterin<br />
Vertriebsservice und<br />
Systeme. Im April kommenden<br />
Jahres übernimmt van Holt<br />
dann für den in den Ruhestand<br />
wechselnden Dietmar Bläsing<br />
dessen Position im Vorstand<br />
und ist zuständig für die<br />
Ressorts Marketing, Vertrieb,<br />
Vertriebsservice und -systeme<br />
sowie Personal.<br />
entschieden, um so auch Kontinuität zu<br />
gewährleisten.<br />
<strong>procontra</strong>: Es besteht allerdings die<br />
Gefahr, ständig im eigenen Saft zu<br />
schmoren.<br />
van Holt: Wir haben mittlerweile eine<br />
tolle Mischung aus erfahrenen Kräften,<br />
aber auch jungen, neuen Leuten, die<br />
zum Teil aus anderen Häusern stammen.<br />
Zugleich sorgen wir durch stetiges<br />
Netzwerken innerhalb, aber auch<br />
außerhalb der Branche dafür, dass wir<br />
uns ständig neuen Input ins Haus holen.<br />
Hier besteht innerhalb unseres Hauses<br />
eine große Offenheit, aber auch der<br />
explizite Wunsch, dass unsere Mitarbeiter<br />
von diesem Austausch Gebrauch<br />
machen. Entsprechend stellen wir dafür<br />
auch die notwendige Zeit zur Verfügung.<br />
<strong>procontra</strong>: Eines der Themen, über die<br />
es sich auszutauschen lohnt, ist sicherlich<br />
der demografische Wandel, der<br />
auch die Versicherer tangiert. Wo trifft<br />
er sie am schwersten?<br />
van Holt: Der demografische Wandel<br />
trifft uns jetzt bereits auf Personalebene,<br />
die Gewinnung neuer Mitarbeiter<br />
wird dadurch nicht leichter.<br />
<strong>procontra</strong>: Und auf Produktebene?<br />
Wird es hier hinsichtlich der Nachfrage<br />
zu Verschiebungen kommen?<br />
van Holt: Ich glaube, dass Altersvorsorge<br />
weiterhin ein wichtiges Thema bleiben<br />
wird – die Frage ist nur, in welcher<br />
Form. Auch in der Biometrie sehen wir<br />
weiter ein starkes Feld. Auch für junge<br />
Menschen nimmt ihre Gesundheit einen<br />
hohen Stellenwert ein – dieses Bewusstsein<br />
wurde durch die Corona-Pandemie<br />
noch einmal gestärkt.<br />
<strong>procontra</strong>: Immer weniger Menschen<br />
werden in Zukunft jedoch erwerbstätig<br />
sein, die Zielgruppe schrumpft also.<br />
van Holt: Das Bewusstsein hat sich aber<br />
gestärkt. Wie sich die schrumpfende<br />
Zielgruppe hier auf den Markt auswirken<br />
wird, bleibt also abzuwarten.<br />
<strong>procontra</strong>: Die Demografie trifft auch<br />
den Maklermarkt. Laut einer Guidewire-<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Maklermarkt BERATER | 65<br />
Studie wird jeder vierte Makler bis 2030<br />
verschwunden sein. Wie gehen Sie als<br />
Maklerversicherer mit dieser Entwicklung<br />
um?<br />
van Holt: Wir stellen fest, dass sich<br />
viele Makler professioneller aufstellen.<br />
Sie fokussieren sich auf einzelne Bereiche,<br />
schließen sich zusammen. Statt<br />
Einzelmakler betreiben immer häufiger<br />
größere Einheiten das Geschäft. Das<br />
erfolgt dann in einer ganz anderen Form<br />
und Dimension. Ich glaube darum nicht,<br />
dass das Gesamtgeschäft zurückgehen<br />
wird, sondern von weniger Menschen<br />
professioneller betrieben wird.<br />
Bläsing: Wir sind ja ein Anbieter, der<br />
überhaupt kein Endkundenmarketing,<br />
sondern ein reines B2B-Marketing<br />
betreibt. Das haben wir auch so im<br />
Leitbild stehen. Das heißt: Wir nehmen<br />
es bewusst in Kauf, dass Kunden uns<br />
weniger wahrnehmen als unseren Vertriebspartner.<br />
Wir brauchen zwischen<br />
uns und dem Kunden also immer ein B.<br />
Die Frage, ob dieses B aber immer der<br />
Makler sein muss, haben wir derzeit<br />
stark im Fokus und schauen, ob es da<br />
für uns noch andere Möglichkeiten gibt.<br />
<strong>procontra</strong>: Zum Beispiel?<br />
Bläsing: Das kann beispielsweise das<br />
Belegschaftsgeschäft oder das Thema<br />
Embedded Insurance sein. Wir stehen<br />
hier aber noch am Anfang. Das ist eine<br />
Frage, mit der wir uns aufgrund der sich<br />
verändernden Demografie schlicht und<br />
einfach beschäftigen müssen.<br />
<strong>procontra</strong>: Ganz am Anfang steht die<br />
Branche auch bei der Frage, wie sie mit<br />
dem Thema künstliche Intelligenz umgehen<br />
will. Wie sieht Ihr Ansatz aus?<br />
van Holt: Wir sind noch in einer Experimentierphase<br />
und haben als ersten<br />
Schritt ein abteilungsübergreifendes<br />
Team zusammengestellt, das herausfinden<br />
soll, welche möglichen Anwendungsbereiche<br />
es für die künstliche<br />
Intelligenz gibt.<br />
Bläsing: Es ist wichtig, die künstliche<br />
Intelligenz gerade von den Abteilungen<br />
»Wir stellen fest,<br />
dass sich viele Makler<br />
professioneller<br />
aufstellen.«<br />
Stefanie van Holt<br />
Long Story short<br />
Stefanie van Holt übernimmt ab April die Aufgaben Dietmar Bläsings.<br />
Der Volkswohl Bund setzt verstärkt auf Services.<br />
ausprobieren zu lassen, die Angst<br />
haben, durch die künstliche Intelligenz<br />
ersetzt zu werden. Diese Menschen<br />
verlieren dann womöglich diese Sorge<br />
und merken, dass die KI ihnen vielmehr<br />
helfen kann. Ich habe letztens in einem<br />
Vortrag gehört: Die meisten werden<br />
nicht durch die KI ersetzt, sondern<br />
durch jemanden, der sich damit<br />
auskennt. Das ist ein toller Satz. Im<br />
Hinblick auf den demografischen<br />
Wandel kann uns die KI auch dabei<br />
helfen, Aufgaben zu übernehmen, für<br />
die wir einfach keine Mitarbeiter mehr<br />
finden.<br />
Das Unternehmen schließt eine Fusion aus und will organisch wachsen.<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
66 | BERATER Das neue Göker-Konzept<br />
Geldgeile Grüße aus Dubai<br />
Mit dubiosen PKV-Tarifwechseln kassiert Mehmet Göker weiterhin ab.<br />
Diesmal aus Dubai und mithilfe eines Münchener Maklerbetriebs,<br />
der als Drehkreuz für das „Göker-Konzept“ fungiert.<br />
FB FLORIAN BURGHARDT MT MARTIN THALER<br />
Illustration: Jakob Bettin
Das neue Göker-Konzept BERATER | 67<br />
Was Sie erfahren werden:<br />
Wie Gökers Team in Dubai arbeitet<br />
Wer sein Schatten-Makler in Deutschland ist<br />
Wie manche Versicherer dagegen vorgehen<br />
„Mittagspause fällt heute aus“, schreit<br />
Mehmet Ercan Göker durch den 20.<br />
Stock des Bay Gate Towers in Dubai.<br />
Zu viele „geile Leads“ habe man abzutelefonieren.<br />
„Lasst uns weiter Geld<br />
machen. Attacke!“, fordert er seine<br />
Mitarbeiter auf. Die überwiegend jungen<br />
Männer sitzen an etwa 50 weißen<br />
Schreibtischen vor ihren Laptops,<br />
bewaffnet mit Handys und Headsets.<br />
Ein Teil der breiten Fensterfront ist<br />
mit einem großen Banner abgehängt.<br />
Darauf prangt das Logo der früheren<br />
MEG AG.<br />
Das ist kein schräges Märchen aus<br />
Tausendundeiner Nacht. Wer dem<br />
selbst ernannten Powerverkäufer auf<br />
Instagram folgt, kann fast täglich an<br />
solchen Einblicken teilhaben. Seit<br />
September ist Göker in dem arabischen<br />
Emirat zugange. Was er hier<br />
treibt, ist das nächste Level seines<br />
„Göker-Konzepts“. Schon vor ein paar<br />
Jahren – 2015 gab es dazu die ersten<br />
Berichte – ist der Gründer des 2009 in<br />
der Insolvenz aufgelösten MEG-Vertriebs<br />
unter die PKV-Tarifwechselberater<br />
gegangen. Damals noch mit<br />
einer Handvoll Schergen von seinem<br />
Haus in der Türkei aus. Seine „Kunden“<br />
sind privat Krankenversicherte,<br />
die von ihrem Recht auf Tarifwechsel<br />
innerhalb der Gesellschaft gemäß<br />
Paragraf 204 VVG Gebrauch machen,<br />
also vor allem im Ruhestand weniger<br />
PKV-Beitrag zahlen möchten.<br />
Eigentlich eine gute Möglichkeit für<br />
seriöse Berater, ihre Kunden finanziell<br />
zu entlasten und ihnen dennoch<br />
»Ich hatte die Hoffnung,<br />
im Rahmen<br />
dieser PKV-Treuhänderproblematik<br />
Krankenversicherungsbeiträge<br />
zurückzuerhalten.«<br />
weiterhin möglichst guten Versicherungsschutz<br />
zu verschaffen. Doch<br />
diese Andockstation für bestehende<br />
Krankenversicherungsverträge wird<br />
anscheinend auch von unseriösen<br />
Anbietern genutzt.<br />
Lead-Kunde<br />
Betrug auf Video<br />
So liegen unserer Redaktion wenige<br />
Monate alte Videoaufnahmen vor, die<br />
Göker bei seinen telefonischen Beratungsgesprächen<br />
zeigen. Immer wieder<br />
verspricht er seinen Kunden dabei<br />
Beitragsersparnisse von mehreren<br />
Hundert Euro pro Monat „auf Basis<br />
ihrer bisherigen Leistungen“. Dabei<br />
agiert er unter falschem Namen und<br />
gibt sich als der Jurist Dr. Christian<br />
Conrad aus. „Aufs Doktor können wir<br />
verzichten“, verkündet Göker dabei jovial.<br />
Auch seine Mitarbeiter bekamen<br />
zeitweise für ihre eigenen Gespräche<br />
maximal deutsche Namen verpasst,<br />
um vertrauensvoller zu wirken, was<br />
aus <strong>procontra</strong> vorliegenden internen<br />
Anweisungen hervorgeht. So wird beispielsweise<br />
Cafer K. zu Walter König<br />
und Gökhan I. zu Thomas Mann, wie<br />
uns ein Informant mitteilt. Mehrere<br />
Jahre, so tischt es Göker in dem uns<br />
vorliegenden Material den Angerufenen<br />
auf, habe er exakt bei ihrem<br />
privaten Krankenversicherer gearbeitet<br />
und sich mit diesem Wissen nun<br />
als Tarifwechselberater selbstständig<br />
gemacht. Echte Juristen von der Hamburger<br />
Kanzlei Michaelis, die wir die<br />
Situation haben einschätzen lassen,<br />
gehen davon aus, dass hier Betrug<br />
(Paragraf 263 StGB) oder mindestens<br />
versuchter Betrug sowie die unbefugte<br />
Verwendung akademischer Grade<br />
(Paragraf 132 a StGB) vorliegen.<br />
Wie solche Tarifwechsel „auf Basis<br />
der bisherigen Leistungen“ letztendlich<br />
aussehen, dazu liegen unserer<br />
Redaktion zahlreiche Beispiele vor.<br />
Hierbei handelt es sich um an Kunden<br />
gerichtete Angebote, die Göker<br />
und seine Vertriebspartner in ihrer<br />
internen WhatsApp-Gruppe zele brieren.<br />
Auf manche davon sind sie so<br />
stolz, dass Göker sie als Screenshots<br />
in seinen Instagram-Storys öffentlich<br />
zur Schau stellt. Acht davon haben<br />
wir von einem auf PKV-Tarifwechsel<br />
spezialisierten Maklerhaus analysieren<br />
lassen, das vor dem Hintergrund<br />
der Geschichte aber nicht namentlich<br />
genannt werden möchte. Ergebnis:<br />
Nur bei einem Angebot spricht unser<br />
PKV-Experte von „einem guten Plan“.<br />
In den anderen sieben Fällen haben<br />
die Versicherten nach dem Wechsel<br />
entweder deutlich schlechtere<br />
Leistungen, eine um 500 bis 2.100<br />
Euro erhöhte Selbstbeteiligung oder<br />
beides.<br />
Beispiel: Ein DKV-Kunde, der im<br />
ambulanten und dentalen Bereich<br />
rechtsgültige Honorarvereinbarungen<br />
über dem Höchstsatz der GOÄ<br />
bzw. GOZ mitversichert hatte (Tarif:<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
68 | BERATER Das neue Göker-Konzept<br />
Am4+ZM3+sd3), soll nach der „Optimierung“<br />
nur noch den 2,3-fachen<br />
Regelhöchstsatz erstattet bekommen<br />
(Wechsel in Tarif Et2). Das kann zum<br />
Beispiel beim Zahnersatz mehrere<br />
Tausend Euro weniger Leistung vom<br />
Versicherer bedeuten. Und: Aus Sicht<br />
seriöser Tarifwechselberater sollte<br />
man die Erhöhung der Selbstbeteiligung<br />
von der Beitragsersparnis<br />
abziehen, um auf die Nettoersparnis<br />
zu kommen. Hier bleibt Göker-Kunden<br />
oft gar nicht mehr so viel übrig.<br />
Berücksichtigt man dann noch eine<br />
geringere steuerliche Absetzbarkeit<br />
durch die nun niedrigeren Beiträge<br />
und rechnet auch noch das üppige<br />
Beraterhonorar mit ein, verwandelt<br />
sich bei einigen Kunden die anvisierte<br />
Ersparnis in ein Verlustgeschäft. Noch<br />
gar nicht berücksichtigt ist dabei, wie<br />
viel Geld sie im Krankheitsfall über<br />
die Jahre durch schlechtere Leistungen<br />
selbst drauflegen müssen.<br />
In einem der uns vorliegenden Videos<br />
lautet Gökers Fazit nach dem Telefonat<br />
mit einem wechselwilligen<br />
Kunden: „Er wird schlechter versichert<br />
sein, ganz klar.“ Erklärt wird<br />
dies dem Kunden nicht. Denn im<br />
Fokus steht die maximale Beitragsreduzierung,<br />
für deren Erreichung<br />
die Zieltarife teils sogar manipuliert<br />
dargestellt werden sollen – doch dazu<br />
später mehr.<br />
Monatsnetto: 100.000 Euro<br />
Aus Sicht von Dubais dubiosen Neubürgern<br />
können die Beiträge gar<br />
nicht tief genug gedrückt werden.<br />
Denn als „Erfolgshonorar“ für ihre<br />
Dienste verlangen sie die zwölffache<br />
Monatsersparnis direkt von den<br />
Kunden. Durchschnittlich 3.000 Euro<br />
Honorar sollen pro Vertrag herausspringen,<br />
davon 70 Prozent für den<br />
Vertriebspartner und 30 Prozent<br />
für „die Firma“, die Göker in seinen<br />
Instagram-Stories als MEG-Dubai<br />
»Er wird schlechter<br />
versichert sein,<br />
ganz klar.«<br />
Mehmet Göker<br />
bezeichnet. Das bedeutet konkret:<br />
Bringt der Wechsel eine monatliche<br />
Beitragsersparnis von 250 Euro, kassiert<br />
Göker direkt vom Kunden 3.000<br />
Euro als Honorar. Je mehr also an der<br />
Selbstbeteiligung geschraubt und am<br />
Leistungspaket reduziert wird, desto<br />
höher fällt der Verdienst aus. Anders<br />
als zu MEG-Zeiten haben Göker und<br />
seine Gesellen aufgrund der Honorarlösung<br />
keinerlei Stornohaftung zu<br />
fürchten wie im Provisionsvertrieb.<br />
Dazu kommt: In Dubai müssen sie<br />
aufgrund der Gesetzeslage keine Einkommensteuer<br />
bezahlen.<br />
Mit diesen Voraussetzungen und dem<br />
Versprechen, über 100.000 Euro netto<br />
im Monat zu verdienen, lockt Göker<br />
regelmäßig moralisch flexible Glücksritter<br />
in das Emirat am Persischen<br />
Golf. Auf seinen Social-Media-Kanälen<br />
– allein bei Instagram folgen ihm<br />
über 100.000 Menschen – präsentiert<br />
er den zu erwartenden Lifestyle in<br />
Form von Yachtausflügen und Wüstensafaris.<br />
Berührungsängste, sich<br />
mit dem Bad Boy der Branche einzulassen,<br />
scheint es keine zu geben.<br />
Zu sehr verfangen die scheinbaren<br />
Aussichten auf Geld und Luxus. Katja<br />
Das alte MEG-Logo hat<br />
auch in Dubai seinen<br />
Platz gefunden.<br />
M. beispielsweise, aus Gökers Heimatstadt<br />
Kassel stammend, erzählte kürzlich<br />
auf dessen Instagram-Kanal, sie<br />
habe das Ziel, die erste Millionärin in<br />
Gökers „Jungstruppe“ zu werden.<br />
Die meisten seiner Vertriebspartner<br />
geben vor der Kamera sogar offen zu,<br />
dass sie von Versicherungen keine<br />
Ahnung haben. Doch in das „Göker-<br />
Konzept“, wie der MEG-Gründer es<br />
nennt, setzen sie so große Hoffnungen<br />
auf schnellen Reichtum, dass sie<br />
bereitwillig 9.900 Euro – exklusive<br />
Flugtickets – für ein mehrtägiges<br />
Bootcamp mit ihrem Mentor bezahlen.<br />
Für diese Summe erhalten sie,<br />
laut digitalem Flyer, nicht nur ein<br />
Coaching mit Göker und ein Hotelzimmer<br />
in Dubai, sondern auch die<br />
ersten gut 200 Leads, also Kontaktdaten,<br />
die sie zu wechselwilligen privat<br />
Krankenversicherten leiten sollen.<br />
Doch wo kommen diese Leads eigentlich<br />
her und wie genau kann Mehmet<br />
Göker ohne Vermittlerzulassung<br />
in Deutschland PKV-Tarifwechsel<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Das neue Göker-Konzept BERATER | 69<br />
veranlassen? Dazu erhalten wir von<br />
ihm auf unsere Nachfrage hin keine<br />
Antworten. Fakt ist: Er coacht seine<br />
Mitarbeiter nicht nur, sondern führt<br />
auch selbst Beratungsgespräche am<br />
Telefon durch. „Warum sollte ich mir<br />
dieses Geld entgehen lassen?“, sagte<br />
er kürzlich auf Instagram. Im selben<br />
Video feiern ihn seine Mitarbeiter<br />
dafür, dass er als Führungskraft vorangeht.<br />
Zweifelhafte Leads<br />
<strong>procontra</strong> liegen dazu Unterlagen aus<br />
den Kreisen der „Göker-Konzept“-<br />
Teilnehmer vor. Unter anderem ist ein<br />
Telefonleitfaden dabei, mit dem die<br />
Vertriebspartner angeblich schnell<br />
und einfach sämtliche Einwände<br />
der Kunden wegbehandeln und<br />
diese vom Tarifwechsel überzeugen<br />
können. Doch sowohl unser aktueller<br />
Informant als auch Aussteiger aus<br />
einem NDR-Bericht von 2021 behaupten,<br />
dass Gökers vollmundige<br />
Versprechen bei kaum einem seiner<br />
Mitarbeiter zur Realität werden. Ständig<br />
müssten sie Leads nachkaufen,<br />
die sich in vielen Fällen als „wertlos“<br />
herausstellten: Die privat Krankenversicherten<br />
wüssten nicht, warum man<br />
sie anrufe, würden das Vorgehen als<br />
unseriös bezeichnen oder seien teilweise<br />
schon verstorben.<br />
Unsere Redaktion konnte Kontakt zu<br />
einigen der Leads aufnehmen. Kaum<br />
einer habe sich letztendlich auf einen<br />
Tarifwechsel eingelassen, aber fast<br />
alle berichten von Telefonterror. Sie<br />
seien teils mehrmals täglich angerufen<br />
und zum Wechsel ihres Tarifs gedrängt<br />
worden. Erst nach Androhung<br />
rechtlicher Schritte hätten die Anrufe<br />
aufgehört.<br />
Vier Betroffene sprachen ausführlich<br />
mit <strong>procontra</strong> über ihre Erlebnisse,<br />
wollen in unserem Bericht aber nicht<br />
namentlich genannt werden. Zu viel<br />
Sorge habe man vor eventuellen<br />
Kein Nachwuchs mangel:<br />
Gökers Lockrufe<br />
sind erfolgreich.<br />
Reaktionen der Tarifwechselberater.<br />
Drei der Lead-Kunden sagen uns, sie<br />
hätten sich vor zwei bis drei Jahren<br />
auf den Internetseiten von Anwaltskanzleien<br />
mit E-Mail-Adresse, Name<br />
und teilweise auch mit ihrem aktuellen<br />
Tarif und Beitrag eingetragen.<br />
„Ich hatte die Hoffnung, im Rahmen<br />
dieser PKV-Treuhänderproblematik<br />
Krankenversicherungsbeiträge<br />
zurückzuerhalten“, erzählt uns einer<br />
von ihnen am Telefon. Gökers Anrufer<br />
hätten einleitend gesagt, dass<br />
sie diese Aufgabe nun übernommen<br />
hätten und sich erkundigen wollten,<br />
ob noch Interesse an einer Beitragsersparnis<br />
bestehe. Das bestätigten<br />
gegenüber <strong>procontra</strong> auch zwei<br />
weitere Kunden. Zudem deckt es sich<br />
mit den Lerninhalten in dem uns zugespielten<br />
Telefonleitfaden. Arbeiten<br />
also Anwaltskanzleien mit Göker<br />
»Ein Berater der<br />
René Jäger AG hat<br />
den ihm von uns<br />
übersandten Tarifvergleich<br />
gefälscht,<br />
um den Zieltarif<br />
besser aussehen und<br />
den Leistungsverlust<br />
geringer erscheinen<br />
zu lassen.«<br />
Generali-Pressestelle<br />
zusammen? Auf <strong>procontra</strong>-Nachfrage<br />
erklärten alle genannten Kanzleien,<br />
von solchen Vorgängen nichts zu<br />
wissen. Eine von ihnen will nun aber<br />
intern überprüfen, ob Datenabflüsse<br />
stattgefunden haben könnten.<br />
Jäger – der Schattenmann<br />
Eine Gemeinsamkeit bestätigen uns<br />
alle vier Lead-Kunden: Sie seien nicht<br />
etwa von Telefonnummern aus der<br />
Türkei oder Dubai angerufen worden,<br />
sondern mit der Münchener Vorwahl<br />
089. Bei kritischen Nachfragen, etwa<br />
woher man ihre Daten habe, konnten<br />
die Anrufer dann nicht mehr zurückgerufen<br />
werden. Diese Nummern<br />
nutzen Gökers Vertriebspartner von<br />
überall auf der Welt. Laut <strong>procontra</strong>-<br />
Informationen stellt die Backup WRD<br />
GmbH aus München dafür die technische<br />
Infrastruktur zur Verfügung.<br />
Sie wird vertreten durch René Jäger,<br />
der sich auf der Internetseite der<br />
Firma selbst als „Datenschutzengel“<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
70 | BERATER Das neue Göker-Konzept<br />
9.900 €<br />
kostet die Teilnahme am »Göker-<br />
Konzept«, exklusive Flugtickets.<br />
bezeichnet. Doch dies ist nicht das<br />
einzige Amt, das Jäger im „Göker-Konzept“<br />
bekleidet. Viel bedeutender ist<br />
die Rolle, die er mit seiner anderen<br />
Firma einnimmt: der René Jäger AG,<br />
einem bei der IHK für München und<br />
Oberbayern eingetragenen Versicherungsmaklerunternehmen.<br />
Dieses ist<br />
der Dreh- und Angelpunkt, über den<br />
sämtliche Tarifwechselanträge bei<br />
den Krankenversicherern eingereicht<br />
werden. Dazu müssen die Versicherten<br />
der René Jäger AG ein Auftragsmandat<br />
unterschreiben (liegt <strong>procontra</strong><br />
vor), anschließend erhalten sie die<br />
Angebote zum Tarifwechsel. Alle vier<br />
Betroffenen haben uns dieses Vorgehen<br />
bestätigt. Zudem stellt sich Göker<br />
in den uns vorliegenden Videos als<br />
Mitarbeiter der René Jäger AG vor.<br />
Damit taucht der Münchener Makler<br />
als Gökers vermeintlicher Strohmann-Vermittler<br />
neben der Finanzcheck<br />
Rhein Main GmbH aus Frankfurt<br />
auf, über die im Jahr 2021 der<br />
NDR berichtete. Ein Jahr später stellte<br />
der PKV-Verband in München Strafanzeige<br />
wegen „Cold Calls“ zum Thema<br />
PKV-Tarifwechsel. Die Ermittlung<br />
von konkreten Beweisen und Zeugen<br />
gestaltete sich, laut PKV-Verband,<br />
angesichts des Auslandsbezugs aber<br />
schwierig, weshalb es nicht zur Klageerhebung<br />
kam. Nach <strong>procontra</strong>-Informationen<br />
richtete sich die Strafanzeige<br />
damals gegen den sogenannten<br />
„Verband der KV-Sachverständigen“,<br />
der die Internetseite ihr-beitragsoptimierer.de<br />
betrieb. Aus einem unserer<br />
Redaktion vorliegenden, noch nicht<br />
rechtskräftigen Urteil gegen die René<br />
Jäger AG geht aber hervor, dass diese<br />
die besagte Domain erworben und<br />
dem „Verband der KV-Sachverständigen“<br />
zur Verfügung gestellt hat.<br />
Die Seite ist mittlerweile zwar nicht<br />
mehr aufrufbar, sie ist aber offenbar<br />
mitsamt Fotos und Rechtschreibfehlern<br />
umgezogen auf pkv-hotline.<br />
de. Verantwortlich laut Impressum<br />
ist auch hier René Jäger. Der Verantwortliche<br />
der früheren Internetseite,<br />
Giuseppe G., zählt derweil in Dubai<br />
zu Gökers engsten Mitarbeitern, was<br />
regelmäßige Auftritte in Gökers Instagram-Beiträgen<br />
belegen. Kurzum:<br />
Trotz wechselnder Internetseiten und<br />
Solider Hintergrund –<br />
nicht in der Beratung,<br />
dafür im Fuhrpark<br />
Firmenbezeichnungen besteht der<br />
Kern des „Göker-Konzepts“ vermeintlich<br />
schon seit Jahren aus denselben<br />
Personen.<br />
Als wir ihn um eine Stellungnahme<br />
bitten und ihm Fragen zusenden,<br />
reagiert Jäger nicht. Unter anderem<br />
wollen wir von ihm wissen, woher er<br />
die Kontaktdaten der Versicherten<br />
hat und ob seine Vertriebspartner<br />
rechtswidrige „Cold Calls“ durchführen.<br />
Als wir ihn dann doch telefonisch<br />
erreichen, sagt uns Jäger, dass er sich<br />
zu dem Thema und unseren Fragen<br />
nicht äußern möchte.<br />
Generali klagte gegen Jäger<br />
Doch auch ohne seine Antworten<br />
kommt über die René Jäger AG viel<br />
ans Licht. <strong>procontra</strong> hat bei 18 privaten<br />
Krankenversicherern nachgefragt,<br />
zu denen uns Lead-Datensätze<br />
aus dem „Göker-Konzept“ vorliegen.<br />
Mehrere, vor allem große Anbieter<br />
sagten uns, dass unter ihren Kunden<br />
auch Tarifwechsel über die René<br />
Jäger AG durchgeführt wurden. Diese<br />
würden häufig deutlich reduzierte<br />
Leistungen und deutlich erhöhte<br />
Selbstbeteiligungen beinhalten.<br />
Die Generali Krankenversicherung<br />
bestätigte auf <strong>procontra</strong>-Nachfrage,<br />
dass sie gegen die René Jäger AG verschiedene<br />
Gerichtsverfahren führt.<br />
Mehrere Kunden hatten den Sachbearbeitern<br />
des Versicherers gemeldet,<br />
sie seien von Jägers Vertriebspartnern<br />
„kalt“ angerufen worden. Gegen<br />
einen erstinstanzlichen Erfolg der<br />
Generali in Sachen Kaltakquise (das<br />
noch nicht rechtskräftige Urteil liegt<br />
<strong>procontra</strong> vor) ist Jäger in Berufung<br />
gegangen; das Verfahren läuft noch.<br />
In einem anderen laufenden Gerichtsverfahren<br />
gegen Jäger geht es<br />
um den Vorwurf der Tariffälschung.<br />
„Ein Berater der René Jäger AG hat<br />
den ihm von uns übersandten Tarifvergleich<br />
gefälscht, um den Zieltarif<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Das neue Göker-Konzept BERATER | 71<br />
besser aussehen und den Leistungsverlust<br />
geringer erscheinen zu<br />
lassen“, heißt es dazu von der Pressestelle<br />
der Generali.<br />
Der Versicherer behandelt die René<br />
Jäger AG deshalb seit einiger Zeit<br />
intern als „auffälligen externen Berater“.<br />
Dabei handle es sich um Berater,<br />
bei denen der Verdacht bestehe, dass<br />
die Versicherungsnehmer kalt angerufen<br />
und nicht ausreichend über<br />
die Risiken eines Tarifwechsels aufgeklärt<br />
werden. Deshalb wende sich<br />
die Generali bei Tarifwechselanfragen<br />
der René Jäger AG nun direkt an ihre<br />
Kunden und verdeutliche diesen<br />
die Tragweite eines nachteiligen<br />
Wechsels nur zu Zwecken maximaler<br />
Ersparnis. Das ist ihr eigentlich<br />
untersagt, da das Auftragsmandat<br />
des Münchener Vermittlers dem<br />
Versicherer die Kontaktaufnahme<br />
im Laufe des Tarifwechsels untersagt.<br />
In Abstimmung mit der eigenen<br />
Rechtsabteilung habe man dieses<br />
Vorgehen mittlerweile aber etabliert.<br />
Vermutlich weil von Jäger und Göker<br />
nicht mit rechtlicher Gegenwehr zu<br />
rechnen ist. „Wünschenswert wäre,<br />
dass im Falle von Missbrauch bzw.<br />
Täuschung die zuständige IHK ermittelt“,<br />
sagte uns dazu ein Sprecher<br />
der Generali. Ob es dazu kommt, wird<br />
<strong>procontra</strong> weiterverfolgen.<br />
Auch bei der Allianz ist die René Jäger<br />
AG bekannt. Der Versicherer verweist<br />
uns gegenüber auf zwei BGH-Urteile<br />
(AZ IV ZR 165/12 und I ZR 274/14), die<br />
die Kontaktaufnahme zu den Kunden<br />
trotz Vollmacht erlauben. Die Allianz<br />
rät ihren Kunden in diesem Zusammenhang<br />
sogar explizit zu einer Beratung<br />
durch ihre Außendienstmitarbeiter,<br />
erklärt eine Sprecherin. Dieser<br />
Hinweis ist auch deshalb wichtig, weil<br />
viele der von uns befragten Krankenversicherer<br />
angeben, ihnen seien bei<br />
Vollmachten der Tarifwechselberater<br />
die Hände gebunden. Schließlich sei<br />
die PKV-Tarifwechselberatung gegen<br />
Honorar eine erlaubte und etablierte<br />
Geschäftsform.<br />
In seinem Element:<br />
Göker als Einpeitscher<br />
Dabei können sich privat Krankenversicherte<br />
jederzeit von ihrem betreuenden<br />
Makler zu einem Tarifwechsel<br />
beraten lassen. Auch die Versicherer<br />
müssen hier stets Informationen zur<br />
Verfügung stellen. Viele von ihnen<br />
haben sich diesbezüglich den Tarifwechselleitlinien<br />
des PKV-Verbands<br />
angeschlossen, die über die gesetzlichen<br />
Vorgaben hinausgehen. Dieses<br />
Recht offensiver zu bewerben, würde<br />
Göker und seinen Leuten sicher einigen<br />
Wind aus den Segeln nehmen.<br />
Und aktuell wäre das besonders sinnvoll.<br />
Denn der PKV-Verband warnt<br />
derzeit vor betrügerischen Werbeanrufen<br />
für einen PKV-Tarifwechsel,<br />
die zuletzt wieder zugenommen<br />
hätten. „Es liegen Hinweise vor, dass<br />
die Anrufer gewerbsmäßig aus dem<br />
Ausland gesteuert werden“, betont der<br />
Verband.<br />
Gleichzeitig preist Göker auf Social<br />
Media die Zeit von Mitte November<br />
bis Ende Januar als „die geilste Zeit<br />
des Jahres“ an, da nun viele Menschen<br />
ihre Beitragserhöhungen für 2024<br />
erhalten würden und wechselwillig<br />
seien. Sein Büro füllt sich zusehends,<br />
denn bis zu 500.000 Euro in zehn<br />
Wochen könne verdienen, wer jetzt<br />
zu ihm nach Dubai komme. Man solle<br />
sich einfach an ihn wenden. Auf<br />
unsere Nachfragen hat Göker jedoch<br />
nicht reagiert.<br />
Die »geilste Zeit des Jahres«<br />
Natürlich gibt es viele seriöse Vermittlerunternehmen,<br />
die qualitativ<br />
hochwertige PKV-Tarifwechsel durchführen,<br />
zumal dieses Thema zu einer<br />
umfassenden Beratung dazugehört.<br />
Unsere Recherchen zeigen aber, dass<br />
diese Option gleichzeitig eine offene<br />
Hintertür für moralisch flexible<br />
Quereinsteiger darstellt, die sich nur<br />
für ihr Honorar und wenig für die Absicherung<br />
ihrer Kunden interessieren.<br />
Long Story short<br />
Göker berät Kunden unter<br />
falschem Namen.<br />
Geschäft wird über die<br />
René Jäger AG eingereicht.<br />
Generali führt Gerichtsverfahren<br />
gegen Jäger.<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
72 | BERATER DIN 77230<br />
Die aufgebrochene Norm<br />
Seit Anfang 2019 gibt es die DIN 77230 für Finanzberater. Weil sie zu wenig Verbreitung<br />
findet, soll jetzt eine Überarbeitung für Schwung sorgen. Zweifel bleiben.<br />
ST STEFAN TERLIESNER<br />
Die DIN 77230 wird wenig genutzt<br />
und daher überarbeitet. Wie das Defino<br />
Institut für Finanznorm berichtet,<br />
wird das starre Abarbeiten von 42 in<br />
der Norm genannten Finanzthemen<br />
aufgebrochen. Künftig gibt es neun<br />
Module oder Bedarfsfelder, sodass<br />
auch Teilanalysen möglich sind.<br />
Bedarfsfelder seien zum Beispiel<br />
„Arbeitskraftverlust“ und „Sparen/<br />
Vermögen“. Diesen Modulen seien<br />
Finanzthemen fest zugeordnet.<br />
Was Sie erfahren<br />
werden:<br />
Welche Probleme es mit der<br />
DIN 77230 gibt<br />
Wie neue Teilanalysen Zeit<br />
und Arbeit ersparen<br />
Warum Banken einen<br />
anderen Weg gehen<br />
Einordnung am Ende<br />
Laut Defino erfahren Kunden auch<br />
bei Anwendung einer Teilanalyse am<br />
Ende, wo die im jeweiligen Bedarfsfeld<br />
auf Relevanz geprüften Finanzthemen<br />
im Gesamtranking der 42<br />
Themen positioniert sind. Dadurch<br />
bleibe der ganzheitliche Grundsatz<br />
der Norm gewahrt. Der modulare<br />
Aufbau spare Beratern und Kunden<br />
Zeit. Wer’s schneller mag, wähle die<br />
Teilanalyse. Einzige Bedingung für<br />
die Berufung der Berater auf die<br />
Norm sei die Einordnung der Teilanalyse-Themen<br />
in die gesamte Liste<br />
an Finanzthemen der DIN 77230. So<br />
sähen Verbraucher, „dass sie möglicherweise<br />
noch wichtigere Themen<br />
zu betrachten haben“, sagt Defino-<br />
Vorstand Klaus Möller.<br />
»Segmentierung ändert nichts«<br />
Die Norm war Anfang 2019 eingeführt<br />
worden, um die einer Beratung<br />
vorgelagerte Finanzanalyse eines<br />
Privathaushalts zu vereinheitlichen.<br />
Verbraucherschützer haben die Norm<br />
stets abgelehnt. „Daran ändert die<br />
Segmentierung in vorgeblich verschiedene<br />
Bedarfsfelder nichts“, sagt<br />
Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale<br />
Baden-Württemberg. Die<br />
Norm regele nicht die Beratung, sondern<br />
die Analyse. Und hier gebe sie<br />
den individuellen Bedarf durch eine<br />
selbst gegebene Priorisierung vor.<br />
Vor allem Banken hielten sich bisher<br />
mit der Anwendung der Norm<br />
Illustration: Roman Kulon
DIN 77230 BERATER | 73<br />
9<br />
Module oder Bedarfsfelder<br />
ermöglichen jetzt auch Teilanalysen.<br />
zurück oder setzten alternativ oder ergänzend<br />
auf eigene Anwendungen. Ein Grund für solche<br />
Eigenentwicklungen könnte eine vermeintliche<br />
Bevorzugung von Versicherungs- gegenüber<br />
Bankprodukten in der Analyse nach DIN sein,<br />
war schon bei Einführung der Norm zu hören.<br />
„Warum muss man das Berufsunfähigkeitsrisiko<br />
gegenüber der Altersvorsorge priorisieren?“, fragt<br />
Nauhauser und antwortet selbst: „Weil dieses<br />
Schema dem Produktverkauf vorbei am tatsächlichen<br />
Bedarf dient.“<br />
Möller erwidert: „Gegenstand der Betrachtung<br />
sind in der Norm nicht Produkte, sondern<br />
Risiken und Notwendigkeiten.“ Die Priorisierung<br />
der Themen folge wissenschaftlicher Logik,<br />
wonach zum Beispiel existenzbedrohliche<br />
Risiken vor nicht existenzbedrohlichen Risiken<br />
angegangen werden müssten. „In diesem Sinne<br />
ist es logisch, dass Arbeitskraftverlust vor<br />
Altersvorsorge rangiert.“<br />
Hilft die DIN 77230<br />
in der Beratung?<br />
Finanzanalyse wird für Kunden objektiver.<br />
Einsatz der Norm bringt mehr<br />
Haftungssicherheit.<br />
JETZT AB 6 JAHREN<br />
GOLDEN BU-SCHUTZ FÜR KIDS?<br />
UNGEWÖHNLICH<br />
ZUKUNFTSSICHER.<br />
Speziell für Kinder entwickelt:<br />
Die flexible Schüler-Berufsunfähigkeitsversicherung<br />
der LV 1871.<br />
Kunden können zwischen Teil- und<br />
Gesamtanalyse wählen.<br />
Vorgegebene Priorisierung passt nicht<br />
zum individuellen Bedarf.<br />
DIN 77230 ist nur ein Analyse- und<br />
kein Beratungstool.<br />
Ergänzungen durch Anwender verwässern<br />
eine breite Verbreitung.<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
74 | BERATER Finanzbildung<br />
Land der Ahnungslosen<br />
Die Bundesregierung bereitet eine Finanzbildungsstrategie vor, um die Menschen fitter<br />
im Umgang mit Geld zu machen. Davon würden auch Finanzberater profitieren.<br />
ST STEFAN TERLIESNER<br />
Illustration: Roman Kulon
Finanzbildung BERATER | 75<br />
Was Sie erfahren werden:<br />
Warum Maklern eine besser<br />
informierte Kundschaft nutzt<br />
Welche Finanzdienstleister sich<br />
für Bildung engagieren<br />
Wem junge Kunden in Geldfragen<br />
vertrauen<br />
Sind Finanzberater schuld am fehlenden Finanzwissen<br />
der Bürger? Profitieren sie sogar von der<br />
allgemeinen Ahnungslosigkeit in Sachen Geld?<br />
Das sind gewagte Behauptungen. Bildung findet<br />
schließlich in den Schulen statt – und in den<br />
Familien mit ihrer Vorbildfunktion. Andererseits<br />
gibt es in Deutschland mehr als 200.000 Versicherungsvermittler<br />
und Finanzanlagenberater,<br />
die Tag für Tag ihre Kunden über Geldanlage und<br />
Versicherungen beraten. Bleibt von dem Gesagten<br />
nichts hängen?<br />
Nichtwissen fordert Berater<br />
<strong>procontra</strong> hat Johannes Treu, Wirtschaftsprofessor<br />
an der IU Internationale Hochschule in<br />
Erfurt, dazu befragt. Er beginnt seine Ausführungen<br />
so: „In einer idealen Welt würden Finanzberater<br />
ihre Kunden bei der Entscheidungsfindung<br />
unterstützen und die Lücken in deren Finanzwissen<br />
schließen.“ Die Berater hälfen Kunden<br />
dabei, fundierte Entscheidungen zu treffen, die<br />
ihren Anforderungen und Zielen entsprechen.<br />
„In diesem Fall wäre das Nichtwissen der Kunden<br />
eine Herausforderung für den Berater“, sagt Treu<br />
wohl auch mit Blick auf den notwendigen Zeitaufwand.<br />
„Andererseits“, fährt er fort, „können Finanzberater<br />
in Fällen von asymmetrischer Informationsverteilung<br />
einen großen persönlichen Vorteil aus<br />
der Situation ziehen. Sie könnten versucht sein,<br />
ihr größeres Wissen zu nutzen, um Produkte zu<br />
verkaufen, die für sie lukrativer sind, aber nicht<br />
unbedingt im besten Interesse der Kunden.“<br />
Vertrauen ist das A und O<br />
Aber wäre so ein Verhalten realistisch? Treu<br />
jedenfalls ist der Auffassung, dass das Ausnutzen<br />
eines Wissensvorsprungs für Finanzberater auf<br />
Dauer „kein nachhaltiges Geschäftsmodell sein<br />
kann, da es das Vertrauen untergräbt, das für die<br />
Beziehung zwischen Finanzberatern und ihren<br />
Kunden essenziell ist.“<br />
Analoges sagt – schon von Berufs wegen – ein<br />
Sprecher des Verbands BDVM: „Makler sind treuhänderische<br />
Sachwalter der Kunden und somit<br />
prädestiniert dafür, über eine Beratung in deren<br />
bestem Interesse die finanzielle Bildung ihrer<br />
Kundschaft nachhaltig zu fördern.“ Dem Sprecher<br />
zufolge profitieren Makler von einer besser<br />
informierten Kundschaft, die dann ja auch ihre<br />
finanziellen Lücken kenne. „Je mehr Bildung vorhanden<br />
ist, desto besser kann der unabhängige<br />
Versicherungsmakler differenziert über mögliche<br />
Absicherungs- und Vorsorgeoptionen im<br />
Markt beraten.“<br />
2.300 €<br />
kann fehlendes Finanzwissen einen Haushalt<br />
in Deutschland jährlich kosten.<br />
Quelle: Allianz<br />
Bundesregierung hat einen Plan<br />
Mehr Finanzwissen für alle Bürger hat sich jetzt<br />
auch die Bundesregierung auf die Fahne geschrieben.<br />
Aktuell basteln das Finanz- und das<br />
Bildungsministerium an einer entsprechenden<br />
nationalen Strategie, nachdem die Organisation<br />
für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit<br />
(OECD) wiederholt darauf hingewiesen<br />
hat, dass Deutschland das einzige Industrieland<br />
ohne nationale Finanzbildungsstrategie sei. Das<br />
wollen Christian Lindner und Bettina Stark-Watzinger<br />
jetzt ändern. Weil Bildung Ländersache ist,<br />
bleiben ihren Ministerien allerdings nur Appelle<br />
und der Aufbau einer zentralen Finanzbildungsplattform,<br />
welche Bildungsangebote bündelt.<br />
Dass Bedarf daran besteht, belegen Studien<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
76 | BERATER Finanzbildung<br />
Mach mich schlau<br />
Welche Quellen nutzen Sie,<br />
um sich finanziell (weiter) zu bilden?<br />
Familie 41,3<br />
Bücher, Zeitschriften 37,1<br />
Finanz-Websites 36,6<br />
Freunde, Bekannte 35,2<br />
Infos von Finanzdienstleistern 25,7<br />
Fachliteratur 24,3<br />
Finanzberater 23,5<br />
Influencer/soziale Medien 19,6<br />
Influencer/soziale Medien<br />
bei unter 25-Jährigen<br />
38,9<br />
Keine, da kein Interesse 10,7<br />
Angaben in %<br />
Quelle: IU Internationale Hochschule<br />
regelmäßig; allein in den vergangenen zwölf<br />
Monaten zum Beispiel von der OECD, der Finanzaufsicht<br />
BaFin, der Auskunftei Schufa, der<br />
Postbank, dem Versicherer Allianz sowie von der<br />
IU Internationale Hochschule unter Leitung von<br />
Professor Treu. Beispielhaft dafür hier nur das<br />
Ergebnis der IU-Kurzstudie: Von einem maximal<br />
möglichen Gesamtwert von 20 erreichten die<br />
befragten 1.202 Personen zwischen 16 und 65<br />
Jahren im Durchschnitt 10,7 Punkte. „Es besteht<br />
noch Luft nach oben“, resümiert Treu (siehe<br />
Grafik).<br />
TikTok als Ratgeber<br />
Bemerkenswert ist, dass laut IU-Umfrage fast<br />
40 Prozent der Menschen unter 25 Jahren soziale<br />
Medien wie Instagram, TikTok und YouTube<br />
nutzen, um sich in Finanzfragen zu informieren.<br />
Und trotz des zum Teil ausbaufähigen Finanzwissens<br />
würden Personen am ehesten ihren eigenen<br />
Entscheidungen trauen (82 Prozent), vor der<br />
Familie (60), Freunden (44) und Finanzberatern<br />
(39). Mehrfachnennungen waren hier erlaubt.<br />
Dazu Treu: „Wer sich selbst, der Familie oder<br />
Influencern zu stark vertraut, geht ein unnötiges<br />
Risiko ein.“ Auch deshalb seien dringend mehr<br />
Aufklärung und Bildungsinvestitionen notwendig.<br />
In die gleiche Richtung weist ein Ergebnis der erwähnten<br />
Allianz-Studie: Demnach kostet fehlendes<br />
Wissen einen durchschnittlichen Haushalt<br />
jedes Jahr 2.300 Euro. „Geringe Finanzkompetenz<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Finanzbildung BERATER | 77<br />
tut richtig weh“, betont Ludovic Subran, Chefökonom<br />
der Allianz. Und weiter: „Über lange<br />
Anlagezeiträume, zum Beispiel beim Sparen<br />
für den Ruhestand, kann das buchstäblich ein<br />
Vermögen kosten.“ Die gute Nachricht sei: Kluge<br />
Finanzentscheidungen zu treffen, sei keine Raketenwissenschaft.<br />
Wenn man sich Grundkenntnisse<br />
aneigne, habe man deutlich mehr Geld im<br />
Portemonnaie.<br />
Wirtschaft startet Kampagnen<br />
Aus der privaten Wirtschaft kommen seit geraumer<br />
Zeit Bildungsinitiativen. Aktuell hat die<br />
Allianz eigenen Angaben zufolge eine Online-<br />
Plattform für finanzielle Allgemeinbildung<br />
eingerichtet. Dort finde man leicht verständliche<br />
Informationen, könne interaktive Werkzeuge<br />
nutzen und sich für ein kostenloses Coaching<br />
durch Experten der Allianz anmelden. Das<br />
Problem: Das über die Allianz-Homepage zu erreichende<br />
Tool gibt es nur in Englisch. „Leicht<br />
verständlich“ ist das für viele Nutzer nicht.<br />
Neu sind Videos des Vermögensverwalters<br />
Amundi für junge Leute zum Thema Altersvorsorge,<br />
die über Social-Media-Kanäle ausgespielt<br />
werden. Vom Versichererverband GDV gibt es seit<br />
Langem die Initiativen „7 Jahre länger“ und<br />
„Stadt.Land.unter“. Die Kampagnen zielen stets<br />
auf eine bestimmte Zielgruppe ab. Für eine<br />
ganzheitliche Beratung sind unabhängige<br />
Finanzberater wichtig. Schuld am fehlenden<br />
Finanzwissen sind sie nicht. Laut Treu gibt es<br />
dafür mehrere Gründe, vor allem mangelnde<br />
schulische Bildung und keine offene Diskussion<br />
über Geld im sozialen Umfeld.<br />
Long Story short<br />
Das Finanzwissen der Deutschen ist ausbaufähig.<br />
Der finanzielle Pro-Kopf-Schaden beträgt rund 2.300 Euro p. a.<br />
Die Bundesregierung plant eine Finanzbildungsstrategie.<br />
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78 | SACHWERTE Steile Thesen 2024<br />
STEILE THESEN 2024<br />
Rekord bei Bauzinsen +++ Kryptos mit Kurspotenzial+++ Gold & Silber klaffen auseinander<br />
+++ Bestandsimmobilien fluten den Markt +++ Beteiligungen mit starken Investitionen<br />
+++ Fehlanzeige bei neuen Wohnungen +++ Immobilienmakler konsolidieren +++<br />
STEILE THESE:<br />
»Bitcoin springt wieder<br />
über 50.000 Euro.«<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Der Bitcoin konnte seinen Wert<br />
seit Dezember 2022 auf über<br />
32.600 Euro mehr als verdoppeln.<br />
Der Kurs verlief dabei recht stabil<br />
und nährt neue Kursfantasien.<br />
Als der Bitcoin im März 2021 erstmals<br />
über 50.000 Euro sprang, folgte binnen<br />
drei Monaten eine heftige Korrektur<br />
um fast 50 Prozent. Es dauerte<br />
dann wiederum nur vier Monate,<br />
um im November 2021 einen neuen<br />
Höchststand von über 56.000 Euro<br />
zu erklimmen. Als dann im gesamten<br />
Jahr 2022 der Wert auf 15.000 Euro zusammenschmolz,<br />
schien der gesamte<br />
Hype um Kryptowährungen endgültig<br />
beendet. Zumal andere Kryptos wie<br />
Ripple, Ethereum, Solana oder Dogecoin<br />
ähnlich verliefen.<br />
Doch mit der Ruhe kam die Trendwende.<br />
<strong>2023</strong> legte der Bitcoin bis<br />
Anfang November um etwa 100 Prozent<br />
zu. Ethereum (+67 %), Solana<br />
(+300 %) oder Chainlink (+125 %)<br />
performten im Windschatten des<br />
Bitcoins, ebenso wie viele andere<br />
kleinere Kryptos. Doch wie geht’s<br />
»Ich halte die<br />
These, mit Blick auf<br />
die Produktentwicklung<br />
und die schwindende<br />
Skepsis, für<br />
durchaus denkbar.«<br />
Prof. Philipp Sandner<br />
School of Finance & Management<br />
weiter? Der Anstieg des Bitcoins<br />
verlief <strong>2023</strong> wesentlich stabiler und<br />
damit gesünder als 2021. „Zahlreiche<br />
Banken in Deutschland und im<br />
Ausland bauen an Produkten und<br />
Lösungen, um Krypto-Assets anbieten<br />
zu können. Gerade in Europa entstehen<br />
hierfür gerade gute regulatorische<br />
Rahmenbedingungen. Weiterhin<br />
werden in den nächsten Monaten<br />
vermutlich in den USA die Bitcoin-<br />
ETFs genehmigt. All diese Entwicklungen<br />
dürften zu erhöhten Investitionen<br />
führen“, meint Philipp<br />
Sandner, Kryptoexperte und Professor<br />
an der Frankfurt School of Finance &<br />
Management. Zudem hätten Branchengrößen<br />
wie BlackRock ihre<br />
Skepsis gegenüber Bitcoin abgelegt,<br />
wovon auch andere Krypto-Assets,<br />
aufgrund ihrer Korrelation zum<br />
Bitcoin, profitieren dürften.<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Der stabile Anstieg im Jahr <strong>2023</strong> und<br />
die regulatorischen Fortschritte verleihen<br />
Bitcoin & Co. Rückenwind. Für das<br />
Niveau aus 2021 wäre eine Steigerung<br />
von circa 50 Prozent nötig. Sportlich,<br />
aber denkbar.<br />
75 %<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Steile Thesen 2024 SACHWERTE | 79<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Gegenüber dem zweiten Halbjahr<br />
2022 stiegen die Investitionen im<br />
ersten Halbjahr ’23 auf 6,2 Milliarden<br />
Euro (+44 %). Wiederholt<br />
sich dieses Wachstum, winkt das<br />
Niveau des ersten Halbjahres ’22.<br />
STEILE THESE:<br />
»Beteiligungsinvestitionen<br />
übersteigen im 1. Halbjahr 2024<br />
wieder 10 Milliarden Euro.«<br />
Der Beteiligungsmarkt hat sich <strong>2023</strong><br />
stabilisiert. Die Investitionen lagen im<br />
ersten Halbjahr bei 6,2 Milliarden<br />
Euro. Sie verteilten sich auf 426 Unternehmen,<br />
die mit Beteiligungskapital<br />
finanziert wurden, 322 mit Venture<br />
Capital. Kehren die Investitionen nun<br />
auf das Niveau des zweiten Halbjahres<br />
2021 (11,6 Milliarden Euro) und ersten<br />
Halbjahres 2022 (10,7 Milliarden)<br />
zurück? „Wir gehen von einem<br />
leichten Anstieg der Investitionsvolumina<br />
im ersten Halbjahr 2024 aus,<br />
wahrscheinlich über dem Niveau vom<br />
1. HJ <strong>2023</strong>“, meint der Bundesverband<br />
Beteiligungskapital (BVK). Jedoch<br />
hingen alle Entwicklungen weiterhin<br />
stark von der schwierigen Zins- und<br />
Konjunkturlage sowie dem Ukraineund<br />
Israelkonflikt ab. Das Zukunftsfinanzierungsgesetz<br />
(bei Redaktionsschluss<br />
noch nicht beschlossen)<br />
könnte mit der enthaltenen Neuregelung<br />
für die Mitarbeiterkapitalbeteiligung<br />
und der Streichung der Umsatzsteuer<br />
auf die Management-Fee ein<br />
positiver Anschub für die Branche<br />
sein. Die Beteiligungsgesellschaften<br />
sitzen auf viel Kapital, das investiert<br />
werden will. „Ein Anstieg auf zehn<br />
Milliarden wäre erfreulich und nicht<br />
abwegig“, so der BVK.<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Private Equity hat in der Vergangenheit<br />
bewiesen, sich auf geänderte Rahmenbedingungen<br />
einstellen zu können.<br />
Die globalen Unsicherheiten wiegen<br />
allerdings (zu) schwer für Rekordinvestitionen.<br />
35 %<br />
Das Zinsniveau hat sich <strong>2023</strong> rasant<br />
erhöht. Was Sparer freut, ist für<br />
Baufinanzierer aber ein Graus. Ende<br />
Oktober stiegen die Renditen für<br />
zehnjährige Bundesanleihen erstmals<br />
seit zwölf Jahren wieder über 3 Prozent.<br />
Da Banken ihre Immobiliendarlehen<br />
am Pfandbriefmarkt refinanzieren,<br />
zogen auch die Bauzinsen an.<br />
Doch wie weit noch? Laut Interhyp-<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
STEILE THESE:<br />
»Bauzinsen<br />
nur noch über<br />
5 Prozent«<br />
Bauzins-Trendbarometer im November<br />
rechnen die meisten Experten<br />
damit, dass der Leitzins zunächst bei<br />
4,5 Prozent verbleibt. Bauzinsen über<br />
5 Prozent werden dennoch wahrscheinlicher,<br />
da Interessenten<br />
tendenziell immer weniger Eigenkapital<br />
einbringen. Der durchschnittliche<br />
Beleihungswert stieg laut Dr.<br />
Klein von 80,7 (9/22) auf 85,9 (9/23).<br />
Das erhöht das Risiko der Banken,<br />
was den Bauzins treibt.<br />
Die Zinskurve zeigt weiter nach<br />
oben, und die Rendite für zehnjährige<br />
Bundesanleihen stieg<br />
im Oktober, erstmals seit zwölf<br />
Jahren, wieder über 3 Prozent.<br />
Daran orientieren sich auch die<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Je nach Beleihungswert und Zinsbindung notieren die Bauzinsen<br />
zwar schon jetzt über 5 Prozent. Aufgrund stabiler bis<br />
sinkender Erwartungen beim Leitzins sollte aber auch die Vier<br />
vor dem Komma weiter realistisch sein.<br />
20 %<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
80 | SACHWERTE Steile Thesen 2024<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Durch den jahrelangen Zinsverfall<br />
fielen Anschlussfinanzierungen in<br />
der Regel günstiger aus. Nun übersteigen<br />
die neuen Konditionen die<br />
einstigen Bauzinsen. Viele Baufis<br />
stehen damit auf Kippe.<br />
STEILE THESE:<br />
»Ab 2024 fliegen massenhaft<br />
Bestandsimmobilien<br />
auf den Markt.«<br />
vereinbart haben. Das ist die erste<br />
Generation, bei denen die Konditionen<br />
für die zweite Zinsbindung nun<br />
deutlich über denen der ersten liegen.<br />
Denn während sich vor zehn Jahren<br />
viele ihre Baufinanzierung für etwa<br />
2,5 Prozent sicherten, notiert nun bestenfalls<br />
eine Vier vor dem Komma.<br />
Steigt das Ausfallrisiko nun in den<br />
kommenden Jahren? „Der Großteil<br />
unserer Kunden, bei denen in den<br />
kommenden Jahren die Anschlussfinanzierung<br />
ansteht, hat sehr solide<br />
finanziert und die Zinsbindung und<br />
Tilgung so gestaltet, dass zum Zeitpunkt<br />
der Anschlussfinanzierung ein<br />
großer Teil des Kredits zurückgeführt<br />
ist. Wir sehen daher kein gestiegenes<br />
Ausfallrisiko durch den Zinsanstieg“,<br />
so die Interhyp auf Anfrage.<br />
Dennoch sei zu beobachten, dass<br />
Anschlussfinanzierer derzeit spürbar<br />
mit der Tilgung runtergehen, um das<br />
Zinsniveau auszugleichen. Das führt<br />
zu längeren Restlaufzeiten bei den<br />
Darlehen.<br />
Setzt man die Standardzinsbindung<br />
von zehn Jahren voraus, so müssen<br />
aktuell jene Hausbesitzer eine Anschlussfinanzierung<br />
finden, die 2013<br />
bzw. 2014 ihre erste Zinsbindung<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Anschlussfinanzierungen werden in den kommenden Jahren<br />
teurer im Vergleich zur ersten Zinsbindung. Wo diese bereits<br />
knapp kalkuliert war, steigt das Ausfallrisiko.<br />
65 %<br />
Die Bundesregierung hat 400.000<br />
neue Wohnungen pro Jahr versprochen.<br />
Die Realität sieht aber anders<br />
aus – 2022 wurden nur 295.300 neue<br />
Einheiten fertiggestellt. Dass das<br />
einstige Ziel überhaupt mal realistisch<br />
wird, bezweifelt nicht nur der<br />
Bundesverband deutscher Wohnungs-<br />
und Immobilienunternehmen<br />
(GdW): „Unter den aktuellen politischen<br />
und wirtschaftlichen Voraussetzungen<br />
können die sozial orientierten<br />
Wohnungsunternehmen nicht<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
In 2022 wurden lediglich 295.300<br />
neue Wohnungen gebaut. Da die<br />
Baugenehmigungen auch in <strong>2023</strong><br />
weiter zurückgehen, dürfte die<br />
Regierung ihr eigenes Ziel erneut<br />
klar verfehlen.<br />
mehr in bezahlbaren Wohnungsbau<br />
investieren. Statt des Regierungsziels<br />
muss mit der Fertigstellung von nur<br />
200.000 neuen Wohnungen jährlich<br />
gerechnet werden.“ Anhaltende<br />
Preisanstiege infolge von Zinssteigerungen<br />
und Langzeitauswirkungen<br />
der Corona-Krise, aber auch kostentreibende<br />
politische Vorgaben und<br />
Förderchaos würgen die Investitionsfähigkeit<br />
der sozial orientierten<br />
Wohnungsunternehmen insbesondere<br />
beim Wohnungsneubau ab. Die<br />
Zahl der fertiggestellten Wohnungen<br />
entfernt sich daher immer deutlicher<br />
vom Ziel der Bundesregierung. Der<br />
STEILE THESE:<br />
»Neubau: 400.000 neue<br />
Wohnungen werden zur Utopie.«<br />
GdW rechnet für 2024 mit nur<br />
214.000 neuen Wohnungen.<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Die aktuellen Rahmenbedingungen und<br />
die sinkende Zahl der Baugenehmigungen<br />
sprechen dafür, dass die Zahl der<br />
neuen Wohnungen weiter zurückgeht,<br />
statt dem Ziel der Regierung näher zu<br />
kommen.<br />
99 %<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Steile Thesen 2024 SACHWERTE | 81<br />
STEILE THESE:<br />
»Anzahl der<br />
Immo bilienmakler<br />
schrumpft stark.«<br />
Für lange Zeit war die Immobilienvermittlung fast ein<br />
Selbstläufer. Jeder suchte und wollte Wohneigentum, die<br />
Finanzierungsbedingungen waren paradiesisch. Doch<br />
die Trendwende am Immobilienmarkt hat das boomende<br />
Geschäft der Vermittler ins Stocken gebracht. Um<br />
41 Prozent sind laut JLL die Transaktionen 2022 gegenüber<br />
dem Vorjahr zurückgegangen.Die Finanzierungskosten<br />
steigen, potenzielle Käufer werden weniger. In der<br />
Folge reduzieren sich auch die Einnahmen vieler Makler,<br />
die sich mit Zukunftsängsten beschäftigen. „Die Zahl der<br />
Immobilienmakler wird dennoch nicht schrumpfen. Gerade<br />
jetzt ist ihre Rolle wichtiger denn je, da sie Orientierung<br />
bei der realistischen Preisfindung schaffen“, meint<br />
Dr. Gesa Crockford, Geschäftsführerin von Immobilien-<br />
Scout24. Das Interesse der Deutschen an Wohneigentum<br />
sei weiterhin hoch. „Die Anzahl der Kontaktanfragen auf<br />
unserer Plattform ist aktuell wieder fast auf dem Vor-Corona-Niveau,<br />
und die öffentlich zum Kauf angebotenen<br />
Immobilien liegen aktuell auf einem Höchststand“, berichtet<br />
Crockford.<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Kaufinteresse: aufgrund schwieriger Rahmenbedingungen<br />
weiter zurückhaltend. Gerade kleinere Makler spüren Umsatzeinbußen<br />
und den wachsenden Druck der großen Player.<br />
In dieser Phase gehe es darum, die Verunsicherung im<br />
Markt zu verstehen, die Beratungsleistung entsprechend<br />
anzupassen und das Geschäft weiter zu digitalisieren.<br />
Maklerbüros, denen das am besten gelingt, werden als<br />
Gewinner aus dieser Phase hervorgehen.<br />
Um eine eventuelle<br />
Über- oder<br />
Unterbewertung<br />
von Gold bzw.<br />
Silber gegenüber<br />
dem jeweils anderen<br />
Edelmetall zu<br />
erkennen, ziehen<br />
STEILE THESE:<br />
»Preisratio zwischen<br />
Gold und Silber springt<br />
auf über 100.«<br />
Experten die Preisratio<br />
heran. Sie gibt an, wie viele Unzen Silber nötig sind,<br />
um eine Unze Gold kaufen zu können. Mitte November<br />
waren 87 Silberunzen nötig, im April 2020 sogar 112. Aber<br />
wie geht’s weiter? Frank Schallenberger, Head of Commodity<br />
Research bei der LBBW: „2024 dürften Edelmetalle<br />
vom Zinssenkungsmodus der Notenbanken profitieren.“<br />
Für Gold rechnet er zwar nur mit einem Unzenpreis<br />
von 2.100 US-Dollar. Für Silber ist er aber optimistischer,<br />
aufgrund der industriellen Nachfrage, vor allem für<br />
Photovoltaikanlagen. „Die stabile industrielle Nachfrage<br />
dürfte auch in 2024 für ein Angebotsdefizit bei Silber<br />
sorgen und den Preis bis Ende 2024 auf 27 US-Dollar<br />
heben.“ Das wäre dann eine Preisratio von rund 78.<br />
Das Umschwenken der Notenbanken bezüglich der<br />
Zinsen wird Edelmetalle im kommenden Jahr pushen.<br />
„Wenn es tatsächlich nach oben geht, sprechen der<br />
höhere Hebel bei Silber und das sich auch für 2024<br />
abzeichnende Angebotsdefizit für eine Outperformance<br />
von Silber und damit eher für eine Gold-Silber-Ratio von<br />
80 oder weniger“, meint Schallenberg.<br />
+++ HINTERGRUND +++<br />
Nach der Rekordmarke von knapp<br />
112 im April 2020 sank die Preisratio<br />
zwischen Gold und Silber<br />
auf 66 (Februar 2021). Seitdem<br />
klettert sie wieder recht stabil und<br />
lag im November <strong>2023</strong> bereits<br />
bei 87.<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Unsicherheit durch Zinsanstieg,<br />
Preisentwicklung und politische Diskussionen<br />
erfordern weiter professionelle<br />
Beratung. Dennoch müssen<br />
Makler effizienter agieren, um diese<br />
Phase durchzustehen.<br />
35 %<br />
+++ PROGNOSE +++<br />
Die Vorzeichen sprechen für steigende<br />
Edelmetallpreise. Silber wird<br />
dann als Industriemetall stärker<br />
zulegen als Gold, was die sinkende<br />
Gold-Silber-Ratio senkt.<br />
10 %<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
82 | SACHWERTE Projektfinanzierungen<br />
»Crowdfunding ist kein Sprint,<br />
sondern ein Marathon«<br />
Für Immobilienentwickler wird es schwieriger, ihre Projekte zu stemmen. Ulrike Losmann-<br />
Hartl von der dagobertinvest GmbH bringt Crowdinvesting als Option ins Spiel.<br />
IR IMKE REIHER<br />
<strong>procontra</strong>: Seit wann sind Sie im<br />
Crowd investing aktiv?<br />
Ulrike Losmann-Hartl: Die Plattform ist<br />
2015/2016 an den Start gegangen und<br />
vermittelt ausschließlich Projektfinanzierungen<br />
im Wohnbau. Dabei stehen<br />
mittelgroße, nachvollziehbare Projekte<br />
im Fokus. Konkret sind das Ein- und<br />
Mehrfamilienhäuser sowie Mikroanlagen<br />
mit bis zu 20 Apartments. Bisher<br />
sind wir ausschließlich in der DACH-Region<br />
aktiv, stehen aber in den Startlöchern<br />
für Ost- und Mitteleuropa.<br />
<strong>procontra</strong>: Wer ist Ihre Zielklientel?<br />
Losmann-Hartl: Zum einen Projektentwickler,<br />
die immer öfter Fremdkapital<br />
brauchen, um Projekte zu stemmen,<br />
weil die Kreditvergaberichtlinien der<br />
Banken zusehends strikter werden und<br />
mehr Eigenkapital voraussetzen. Über<br />
Crowdinvesting lässt sich dies erhöhen.<br />
Zum anderen Investoren, die in die<br />
Entwicklung der jeweiligen Immobilie<br />
investieren. Diese Gruppe reicht vom<br />
Studenten bis zum institutionellen<br />
Großinvestor.<br />
<strong>procontra</strong>: Wie sehen die Rahmenbedingungen<br />
für Investoren aus?<br />
Losmann-Hartl: Das Mindestkapital<br />
beträgt 100 Euro für Kleinanleger und<br />
25.000 Euro für institutionelle Großanleger.<br />
Die Laufzeiten für einzelne<br />
Projekte liegen in der Regel bei 1 bis 3<br />
Was Sie erfahren<br />
werden:<br />
Warum Immobilien-Crowd-<br />
Projekte so hoch verzinst<br />
sind<br />
Welche Vorteile die europäische<br />
Schwarmfinanzierungslizenz<br />
bietet<br />
Wieso ein mutmaßlicher Ausfall<br />
mitunter doch keiner ist<br />
Jahren und die Verzinsung bei 8 bis<br />
12 Prozent.<br />
<strong>procontra</strong>: Wie kommt diese Verzinsung<br />
zustande?<br />
Losmann-Hartl: Da der Projektträger<br />
eine bestimmte Eigenkapitalquote für<br />
die Bankfinanzierung vorweisen muss<br />
und Mezzaninekapital dem Eigenkapital<br />
hinzugerechnet wird, sind Immobilienentwickler<br />
bereit, auch höhere Zinsen<br />
für Crowdkapital zu bezahlen. Da es<br />
sich um Risikokapital handelt, ist der<br />
Zinssatz höher als bei allen anderen<br />
Finanzierungen im Mix.<br />
<strong>procontra</strong>: Welche Risiken sollten Investoren<br />
bedenken?<br />
Losmann-Hartl: Für ängstliche Investoren<br />
ist Crowdfunding sicher nicht die<br />
beste Lösung. Es gibt etliche Projektimmanente<br />
Risiken, wie etwa ein Bau-,<br />
Zins- und Gesetzesrisiko. Nur deswegen<br />
ist der Projektträger bereit, so hohe<br />
Zinsen zu zahlen. Es ist Risikokapital,<br />
und ein Totalverlust ist möglich.<br />
<strong>procontra</strong>: Wie sichern Sie sich gegen<br />
derartige Szenarien ab?<br />
Losmann-Hartl: Als Plattform sind wir<br />
grundsätzlich nur Vermittler und haben<br />
keine Möglichkeit, bei Leistungsstörungen<br />
als Plattform die Anlegerinte ressen<br />
zu vertreten. De facto schließen<br />
Investoren einen Vertrag mit dem<br />
Projektträger. Insofern kann ein Investor<br />
Forderungen auch nur selbst anmelden<br />
und muss selbst tätig werden, um diese<br />
– sofern möglich – durchzusetzen. Das<br />
kann sehr kostenintensiv sein und muss<br />
auch nicht zum Erfolg führen.<br />
<strong>procontra</strong>: Klingt aus Investorensicht<br />
nicht sehr beruhigend. Wie reduzieren<br />
Sie das Risiko durch Pleiteprojekte?<br />
Losmann-Hartl: Jedes Projekt durchläuft<br />
eine umfassende Risikoprüfung.<br />
Dabei wird die Plausibilität geprüft<br />
– inklusive betriebswirtschaftlicher<br />
Analyse – und inwieweit es in das<br />
Portfolio passt. In letzter Zeit lehnen wir<br />
neun von zehn Projekten aufgrund zu<br />
geringer Eigenmittelausstattung oder<br />
mangelhafter Projektparameter ab.<br />
2022 waren es nur 60 bis 70 Prozent.<br />
Zudem sind wir bei Immobilienentwick-<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Projektfinanzierungen SACHWERTE | 83<br />
lern mit einem geringen Track Record<br />
sehr zurückhaltend. Wer die Finanzkrise<br />
2008 überlebt hat, hat deutlich bessere<br />
Karten. Wir haben bislang über 320 Projekte<br />
erfolgreich platziert, bei insgesamt<br />
fünf Ausfällen aus unterschiedlichen<br />
Gründen.<br />
<strong>procontra</strong>: Wie werden Investorengelder<br />
investiert?<br />
Losmann-Hartl: Für nicht ECSP-lizenzierte<br />
Plattformen erfolgt dies wegen<br />
der gesetzlichen Vorschriften ausschließlich<br />
über qualifizierte Nachrangdarlehen.<br />
Diese sind für Anleger nachteilig,<br />
da der Immobilienentwickler die<br />
Rückzahlung aufschieben kann, wenn<br />
er durch die Tilgung in eine finanzielle<br />
Schieflage gerät. Bei einer Pleite bekommen<br />
sie ihr Geld als Letzte wieder<br />
– wenn überhaupt. Diese Darlehen gibt<br />
es bei uns nicht mehr, nachdem wir im<br />
»Für ängstliche<br />
Investoren sind<br />
Crowdfunding-<br />
Investitionen sicher<br />
nicht die<br />
beste Lösung.«<br />
September eine ECSP-Lizenz erhalten<br />
haben. Seitdem ist es möglich, bankübliche<br />
Sicherheiten wie Garantien<br />
oder Pfandrechte im Grundbuch in den<br />
Verträgen zwischen den Investoren und<br />
Projektträgern zu vereinbaren. Dadurch<br />
gibt es jetzt einen unbedingten Rückzahlungspunkt<br />
am Ende der Laufzeit,<br />
der auch eine Insolvenz des Projektentwicklers<br />
auslösen kann. Zudem haben<br />
wir ein eigenes Inkasso-Institut, das Anlegerinteressen<br />
vertritt. Dies gestaltet<br />
die Sicherheiten, verwahrt sie während<br />
der Laufzeit und kann sie bei Zahlungsverzug<br />
verwerten.<br />
<strong>procontra</strong>: Bezahlen Investoren diesen<br />
Mehrwert?<br />
Losmann-Hartl: Ja. Seit September<br />
schließen alle Anleger parallel zur Investition<br />
auch einen Servicevertrag ab,<br />
für eine Gebühr von 0,5 Prozent jährlich<br />
auf die Gesamtinvestition. Im Fall einer<br />
Schieflage beim Projektentwickler erhalten<br />
sie dann einen Rechtsanspruch<br />
auf Durchsetzung der vereinbarten<br />
Sicherheiten – sowohl schuldrechtlich<br />
als auch dinglich.<br />
<strong>procontra</strong>: Sind die Investorengelder zu<br />
100 Prozent abgesichert?<br />
Losmann-Hartl: Nein, ein Ausfall ist<br />
immer noch möglich, weil wir uns<br />
weiterhin im Risikokapital bewegen.<br />
Wenn der Projektträger in Konkurs geht<br />
und die Konkursmasse zur Abdeckung<br />
aller Verbindlichkeiten nicht ausreicht,<br />
kann es trotz Sicherheiten zu Verlusten<br />
kommen – bis hin zu einem Totalausfall.<br />
Darum sollten Investoren auch nur Geld<br />
investieren, das sie nicht zeitnah<br />
brauchen, und zudem eher kleinere<br />
Beträge.<br />
Weiter im Thema<br />
Das vollständige Interview<br />
lesen Sie hier:<br />
Foto: Felicitas Matern
84 | SACHWERTE Zinsanstieg<br />
Besonnenheit im Zins-Battle<br />
Attraktive Anleihen, Fest- und Tagesgelder setzen die Sachwertbranche unter Druck.<br />
Dabei sollten diese Geldanlagen kein Vergleichsmaßstab für AIFs sein.<br />
OL OLIVER LEPOLD<br />
Was Sie erfahren werden:<br />
Wie die neue Normalität der AIF-Initiatoren<br />
aussieht<br />
Warum Festgelder keine Konkurrenz<br />
darstellen<br />
Wie Vermittler im Beratungsgespräch<br />
argumentieren können<br />
Frankfurt im September. Rund 200 Vermittelnde,<br />
die AIFs und Vermögensanlagen vertreiben,<br />
haben sich im Hotel Crown Plaza versammelt.<br />
Der vom Verband der Kapitalverwaltungsgesellschaften<br />
und Sachwertanbieter durchgeführte<br />
VKS Sachwert Kongress ist ausgebucht. Die<br />
Initiatoren stehen bereit, Antworten und Anregungen<br />
für das Beratungsgeschäft zu liefern.<br />
Das Interesse ist groß, denn Sachwertprodukte<br />
müssen durch den starken Zinsanstieg auf dem<br />
Illustration: Roman Kulon
Zinsanstieg SACHWERTE | 85<br />
Kaufkraft weiter in Gefahr<br />
Reale Geldentwertung trotz Zinsanstieg<br />
9<br />
8<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
-1<br />
2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 2022 <strong>2023</strong><br />
8/23<br />
6,1<br />
8/23<br />
4,25<br />
<strong>2023</strong><br />
3,92<br />
9/23<br />
2,68<br />
Angaben in %<br />
Leitzins der EZB Bauzinsen 10-jährige Sollzinsbindung<br />
Rendite 10-jährige Bundesanleihe Inflationsrate in Deutschland<br />
Quelle: Primus Valor/EZB<br />
Markt nun vermehrt mit attraktiven Fest- und<br />
Tagesgeldangeboten beim Kunden konkurrieren.<br />
Wie können Vermittler hier argumentieren?<br />
Die neue Normalität wirkt<br />
„Wir sind in einer neuen Normalität angekommen,<br />
in der sich viele Geschäftsmodelle verändert<br />
haben“, sagt Dr. Michael König, Leiter<br />
Vertrieb von Primus Valor. Fakt ist: Die EZB hat<br />
die Leitzinsen seit Juli 2022 rasant angehoben,<br />
so stark und schnell wie noch nie zuvor. Die<br />
Inflationsrate sinkt, bleibt aber dennoch oberhalb<br />
des Zielwerts von 2 Prozent (siehe Grafik).<br />
Dadurch ist die Notenbank zu weiterhin restriktiver<br />
Geldpolitik gezwungen. „Die Sparer erhalten<br />
nun überall Festzins- und Tagesgeldangebote mit<br />
einer Drei, fast schon einer Vier vor dem Komma.<br />
In diesem Marktumfeld müssen die Vorteile<br />
von Sachwerten klarer erklärt werden“, umreißt<br />
König die Sachlage.<br />
Oftmals lassen sich die vermeintlich attraktiven<br />
Festgeldzinsangebote bei einem Blick in die Bedingungen<br />
zerpflücken. André Wreth, Vertriebsvorstand<br />
Solvium Capital, berichtet den Vermittlern<br />
auf dem VKS Sachwert Kongress von einem<br />
Angebot einer italienischen Bank: 4,2 Prozent<br />
»Sprechen Sie mit Ihren Kunden, ob<br />
es in der Finanzplanung nur um die<br />
nächsten zwei Jahre geht oder etwas<br />
mit Hand und Fuß gewünscht ist.«<br />
André Wreth<br />
Solvium Capital<br />
für zwei Jahre Festanlage. „Bei einer Anlagedauer<br />
von drei Jahren gibt es schon deutlich weniger<br />
Zins, längerfristig existiert gar kein Angebot. Der<br />
Zins ist endfällig und die Bank ist so service-<br />
Foto: Stephan Rech
86 | SACHWERTE Zinsanstieg<br />
Maklers Meinung<br />
Es kommt derzeit immer<br />
wieder vor, dass Kunden<br />
Sachwertanlagen mit den<br />
aktuell attraktiven Fest- und<br />
Tagesgeldangeboten vergleichen<br />
und Letztere für die<br />
bessere Lösung halten. Das<br />
ist verständlich, ich sehe das<br />
gelassen. Solche Phasen gab<br />
es in der Vergangenheit<br />
immer wieder. Die Kapitalmarktzinsen<br />
steigen und die<br />
Banken geben einen Teil als<br />
Tagesgeld- oder Festgeldzinsen<br />
für ein paar Quartale an<br />
die Anleger weiter – aber nie<br />
für lange. Die (Lock-)Angebote<br />
gelten meist für 6 bis<br />
maximal 24 Monate. Laufzeiten<br />
von zwei bis fünf Jahren<br />
wird man da nicht finden.<br />
»Kein Vergleichsmaßstab<br />
für Sachwertanlagen«<br />
Joachim Krüger, unabhängiger<br />
Wirtschaftsberater aus Stuttgart<br />
orientiert, dass sie die 20-prozentige Quellensteuer<br />
dann gleich abzieht“, berichtet Wreth.<br />
„Sprechen Sie mit Ihren Kunden, ob es in der<br />
Finanzplanung nur um die nächsten zwei Jahre<br />
geht oder etwas mit Hand und Fuß gewünscht<br />
ist“, fordert Wreth.<br />
Fest- und Tagesgelder sind<br />
kein Vergleichsmaßstab für<br />
hochwertige Sachwertanlagen,<br />
denn Sach werte sind<br />
nach meiner langjährigen<br />
Berufserfahrung immer<br />
besser als Geld- oder<br />
Buchwerte. Das liegt daran,<br />
dass Sachwerte, also reale<br />
Werte, bei einer Inflation<br />
gewinnen und Geld-/Buchwerte<br />
an Wert verlieren.<br />
Zinsen sind Geldversprechen<br />
und hängen wie das Rückzahlungsversprechen<br />
von der<br />
Bonität der Banken ab. Wie<br />
sicher sind diese wirklich?<br />
Mein Leitspruch ist hier:<br />
Lieber bin ich Eigentümer als<br />
Gläubiger.<br />
Monatliche Auszahlungen<br />
statt endfälligem Zins<br />
Wreths Rat an Vermittler: Stellen Sie die höhere<br />
Flexibilität von Sachwertanlagen beim Kunden<br />
heraus. „Bei uns erhalten Kunden bei manchen<br />
Produkten monatliche Auszahlungen in Höhe<br />
von 1 Prozent. Da können sie mit der Liquidität<br />
ganz anders arbeiten“, unterstreicht Wreth. Er<br />
berichtet von Vermittlern, die rechtzeitig aus<br />
den Aktienmärkten Liquidität entnommen und<br />
einen Teil in AIFs bei Solvium Capital angelegt<br />
haben. Aus den laufenden Auszahlungen investieren<br />
sie wieder in Aktienfonds.<br />
Das Zinsumfeld muss den Kunden genau erklärt<br />
werden, notfalls gebetsmühlenartig. Die Absatzchancen<br />
für Sachwertanlagen sind da, auch<br />
weil es sich viele Banken einfach machen und<br />
verstärkt auf Anleihen setzen. „Anleihen sind<br />
schnell eingebucht, schnell abgerechnet, die<br />
Zahlen für die Bank stimmen. Aber auf lange<br />
Sicht kann der Kunde möglicherweise wieder der<br />
Leidtragende sein“, betont Jens Freudenberg, Geschäftsführer<br />
der BVT Unternehmensgruppe.<br />
Top-Argumente für die Beratung<br />
Das Problem: Wird über die Risiken denn umfassend<br />
aufgeklärt? Anleihen laufen eben nicht<br />
immer bis zum Ablaufdatum durch und erstatten<br />
nicht stets 100 Prozent des Kapitals zurück.<br />
„Dass im Verlauf auch mal Kursrisiken auftauchen<br />
können, wissen viele Kunden oft gar nicht.<br />
Diesen Bankkunden sollten alternative Möglichkeiten<br />
aufgezeigt werden“, so Freudenberg. Wer<br />
etwa im Beratungsgespräch die aktuelle Differenz<br />
zwischen Inflation und dem Anleihezins<br />
plakativ aufmalt, macht dem Kunden begreifbar,<br />
dass er mit Anleihen immer noch einen realen<br />
Vermögensverlust erzielt.<br />
Hinzu kommt ein Top-Argument: Beim laufenden<br />
Ertrag bieten AIFs und Anleihen womöglich<br />
ähnliche Auszahlungsprofile, aber am Ende hat<br />
der AIF die Chance auf deutlich mehr Gesamtrendite.<br />
Anleihen sind als reine Geldwerte von<br />
der Inflation betroffen. „Aber Sachwerte steigen<br />
in der Regel mit der Inflation im Wert. In fast<br />
allen Kalkulationen erhalten Kunden am Ende<br />
nicht wie bei Anleihen 100 Prozent zurück, sondern<br />
100 plus x!“, betont König.<br />
Freudenberg hat noch ein Argument für Berater,<br />
die ihren Kunden Alternativen im Sachwertbereich<br />
anbieten möchten: die Kapitalertragsfreigrenzen.<br />
In Deutschland wurde der Sparerpauschbetrag<br />
14 Jahre lang nicht erhöht und erst<br />
ab <strong>2023</strong> moderat von 800 auf 1.000 für Ledige<br />
und von 1.600 auf 2.000 Euro für Verheiratete<br />
angepasst. „In den USA hingegen können wir mit<br />
unseren Produkten Freibeträge nutzen, die von<br />
der US-Verwaltung jährlich an die Inflation angepasst<br />
werden“, hebt Freudenberg hervor.<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
Zinsanstieg SACHWERTE | 87<br />
Sachwerte sind spannender<br />
„Wir haben spannende Themen und zeitgemäße<br />
Produkte“, nennt Philipp Schröter, Leiter Relationship<br />
Management bei RWB, einen weiteren<br />
Vertriebsansatz. Denn anders als reine Geldanlagen<br />
liefern Sachwerte auch haptische Erlebnisse<br />
– Dinge zum Anfassen wie Container oder<br />
Immobilien, zu denen Kunden oft auch einen<br />
Bezug haben. „Die Geschichten liefern wir Ihnen,<br />
Sie müssen die Transformation von spannenden<br />
und sinnvollen Investments zum Kunden übernehmen“,<br />
so Schröter. Passende Vertriebsunterstützung<br />
liefern die Initiatoren gleich mit.<br />
Die Sachwertbranche ist sich einig, über spannende<br />
und vielfältige Angebote zu verfügen,<br />
deren Risiko erklärt und ins Verhältnis zum<br />
Markt gesetzt werden muss. Die Initiatoren<br />
werben daher verstärkt um engagierte Vermittler,<br />
die es sich im aktuellen Zinsumfeld zum<br />
Wohle ihrer Kunden nicht zu einfach machen<br />
und etwa auch komplexere AIFs erwägen.<br />
Profitieren Sachwerte<br />
vom Zinshoch?<br />
Sachwerte steigen mit der Inflation<br />
im Wert.<br />
AIFs haben mehr Chancen auf<br />
Gesamtrendite als Anleihen.<br />
Spannende Storys, die beim<br />
Kunden Resonanz finden<br />
Tages-/Festgeldanlagen erscheinen<br />
manchen Anlegern auf den ersten<br />
Blick attraktiver.<br />
Die Komplexität vieler AIFs setzt<br />
eine engagierte und sachkundige<br />
Beratung voraus.<br />
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<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong><br />
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88 | SACHWERTE Fractional Ownership<br />
Ein Quäntchen Luxus<br />
Durch Fractional Ownership können Privatanleger in Anteile von Luxus-Sachwerten wie<br />
teure Uhren oder Kunstwerke investieren. Experten warnen allerdings vor den Gefahren.<br />
HP HANNAH PETERSOHN<br />
Wie wär’s mit einem echten Banksy?<br />
Oder einer Patek Philippe? Einem seltenen<br />
Ferrari? Vielen Anlegern dürfte<br />
dafür das nötige Kleingeld fehlen. Wer<br />
dennoch am Luxussegment partizipieren<br />
will, könnte zumindest einen<br />
Bruchteil der Preziosen erwerben.<br />
Das Konzept, Eigentumsverhältnisse<br />
zu splitten, ist an sich nicht neu. Allerdings<br />
war das Investment lange Zeit<br />
einer eher wohlhabenderen Klientel<br />
vorbehalten. Heute ist das anders. Online-Plattformen<br />
wie Collectable oder<br />
Rares bieten Kunden den Erwerb von<br />
Anteilseigentum schon für wenige<br />
Dollar an. Allerdings steht der Handel<br />
nur US-Anlegern zur Verfügung.<br />
Hierzulande bietet das 2018 gegründete<br />
Berliner Start-up Timeless das<br />
sogenannte Fractional Ownership<br />
an. Allerdings wendet sich Timeless<br />
ausschließlich an Endkunden. Das<br />
Hamburger Unternehmen Finexity<br />
hingegen vertreibt seine Produkte<br />
auch über unabhängige Finanzberater.<br />
Kunden können ab 500 Euro in<br />
Anteile von kostbaren Boliden, Luxusimmobilien<br />
und -uhren, erlesenen<br />
Weinen, Streichinstrumenten, Gemälden<br />
oder Edelsteinen investieren.<br />
Dafür erwerben Tochterunternehmen<br />
für Finexity ein Asset. Der<br />
Vermögenswert wird dann in Anteile<br />
gestückelt, die digital verbrieft – also<br />
in Token umgewandelt – werden. Investoren<br />
werden auf der Blockchain<br />
gelistet. Laut CEO Paul Huelsmann<br />
entfallen dadurch bei einer Trans-<br />
Was Sie erfahren<br />
werden:<br />
Wie Kleinanleger in Luxuswerte<br />
investieren können<br />
Mit welchem Modell deutsche<br />
Anbieter operieren<br />
Welche Bedingungen für<br />
Investoren gelten<br />
aktion 80 Prozent der Gesamtkosten<br />
im Vergleich zur konventionellen<br />
Börse. Der Handel selbst ist kostenlos,<br />
Finexity erhebt aber Gebühren<br />
für die Lagerung und Versicherung<br />
eines Vermögenswerts in Höhe von<br />
durchschnittlich 4 Prozent auf jeden<br />
investierten Euro sowie 2 Prozent für<br />
die Produktstrukturierung.<br />
Illustration: Roman Kulon
Fractional Ownership SACHWERTE | 89<br />
Ungeklärte Fragen<br />
Anleger profitieren im Fall von Immobilieninvestments<br />
von der Wertentwicklung<br />
und den Ausschüttungen.<br />
„Bei den anderen Assets gibt es das<br />
Geld erst nach Ablauf der Haltedauer<br />
oder wenn Anleger ihre Anteile auf<br />
der Plattform verkaufen.“ Die Haltedauer<br />
liegt je nach Produkt bei 2 bis<br />
15 Jahren. Kunden haben in Bezug<br />
auf die Haltedauer kein Vetorecht.<br />
Deswegen ist es laut dem Investmentexperten<br />
Christian W. Röhl besonders<br />
wichtig, dass Treuhänder, Assetverwahrer<br />
und Verbriefungsgesellschaft<br />
seriös sind. Nach dem Verkauf gehen<br />
80 Prozent des Gewinns an die Kunden,<br />
20 Prozent an Finexity.<br />
Röhl sieht den anteiligen Besitz an<br />
Sachwerten kritisch. „Nach wie vor<br />
sind Lagerung, Versicherung und<br />
Transaktionskosten ein Thema.“ Im<br />
vergangenen Jahr wurden bei einem<br />
spektakulären Einbruch in Berlin<br />
mehrere Uhren gestohlen, auch<br />
solche von Timeless. Sie waren zwar<br />
entsprechend versichert und Anlegern<br />
wurden Kaufpreis und Gebühr<br />
erstattet, aber der Gewinn ist hin.<br />
Potenzial für Kunden …<br />
Wahr ist aber auch: Mit Fractional<br />
Ownership lässt sich Geld verdienen.<br />
„Es gibt sowohl bei Finexity als auch<br />
bei Timeless erfolgreiche Exits von<br />
den ersten Anlagegütern“, berichtet<br />
Röhl. Eine Luxusuhr von Audemars<br />
Piguet, die Royal Oak, hatte Timeless<br />
im März 2021 mit knapp 50.000 Euro<br />
bewertet, über ein Jahr später wurde<br />
sie für 90.000 Euro verkauft. Solche<br />
Erfolgsstorys locken Investoren an.<br />
Der Versicherer Hiscox spricht von<br />
einem Trend mit großem Potenzial.<br />
„Abgesehen von Kunstobjekten<br />
ist Fractional Ownership auch bei<br />
Ferienimmobilien und bei hochwertigen<br />
Oldtimern immer stärker<br />
im Kommen“, so Alina Sucker-Kastl,<br />
Underwriting Manager Art & Private<br />
Clients, anlässlich des Hiscox Online<br />
Trade Art Reports <strong>2023</strong>. Demnach<br />
wollen 61 Prozent der Befragten künftig<br />
auf diese Weise in Sammlerstücke<br />
investieren, bei jüngeren Käufern<br />
sind es sogar über drei Viertel.<br />
„Aber das ist etwas für denjenigen,<br />
der sonst schon alles hat“, hebt Röhl<br />
hervor. Er sieht das Investment lediglich<br />
als Ergänzung zu einem breiten<br />
Aktienportfolio.<br />
»Fractional Ownership<br />
ist auch bei<br />
Ferienimmobilien<br />
und hochwertigen<br />
Old timern immer<br />
stärker im Kommen.«<br />
Alina Sucker-Kastl<br />
Underwriting Manager<br />
Art & Private Clients bei Hiscox<br />
… und für Berater<br />
Etwa 40 Prozent der Finexity-Klientel<br />
kommen über angeschlossene<br />
Partner oder Anlagevermittler, die<br />
sowohl eine 34f-Erlaubnis als auch<br />
eine Lizenz nach dem Wertpapierinstitutsgesetz<br />
(WpIG) brauchen. Ohne<br />
Lizenz kann man sich als Tippgeber<br />
anschließen. Wer Finexity über die<br />
zur Verfügung gestellten Werbemittel<br />
und Informationen weiterempfiehlt,<br />
erhält Provisionen von bis zu<br />
5 Prozent bei Erstinvestments. „Stark<br />
regulierte und aufwendige Beratungsprozesse<br />
und Dokumentationsvorschriften<br />
entfallen für Tippgeber“,<br />
wirbt Finexity auf seiner Seite.<br />
Für Berater kann das Geschäft durchaus<br />
erträglich sein. Betrugen die<br />
Kosten für die Produkteinstellung<br />
zuvor 10 Prozent, sind es jetzt nur<br />
noch 2 Prozent. „Dadurch haben die<br />
Berater 8 Prozent gut, von denen sie<br />
4 oder 6 Prozent an die Investoren<br />
geben.“ Auch ist der Abwicklungsaufwand<br />
für Berater dank Blockchain<br />
gering.<br />
Röhl bezweifelt jedoch das Interesse<br />
von Finanzberatern an dem Geschäft.<br />
„Ich möchte den Finanzanlagenvermittler<br />
sehen, der jetzt Token von<br />
einer Kunstsammlung verkauft, und<br />
dann auch noch mit Provision.<br />
Aufwand und Risiko sind zu hoch.“<br />
Da ist ein Aktienfonds oder eine<br />
Versicherung naheliegender. Fractional<br />
Ownership ist demnach eher<br />
etwas für Selbstentscheider.<br />
Lohnt sich Fractional Ownership?<br />
Vertriebskosten für Anleger gering<br />
Gute Margen für Berater<br />
Sinnvolle Portfolioergänzung<br />
Verwahrung und Versicherung der<br />
Vermögenswerte fraglich<br />
Eingeschränkte Anlegerrechte<br />
Komplexes Thema für Berater<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
90 | PRIVAT GEFRAGT <br />
»Bei AC/DC und Metal<br />
drehe ich das Radio lauter«<br />
Holger Iben, Leiter Maklervertrieb Itzehoer Versicherungen, GF Brandgilde Versicherungskontor GmbH,<br />
GF bessergrün GmbH, im Itzehoer-Konzern seit 1998<br />
Zum Frühstück gibt es bei mir<br />
Vollkornbrot mit Honig und Käse. Aber<br />
nur am Wochenende, sonst frühstücke<br />
ich nicht.<br />
Meine wahre Leidenschaft ist<br />
der HSV, natürlich mit und zusammen<br />
mit meiner Familie.<br />
Meine Freizeit verbringe ich<br />
am liebsten<br />
mit der Familie und Freunden. Dann versuche<br />
ich regelmäßig Sport zu machen<br />
und gehe sehr gerne auf Reisen.<br />
Mein erstes Geld habe ich verdient als<br />
Servicekraft in einem Restaurant. Diese<br />
Leidenschaft in der Gastroszene hat<br />
mich bis heute nicht wieder losgelassen.<br />
Wenn es mal im Versicherungsbereich<br />
nicht mehr passt, übernehme ich einfach<br />
ein Hotel in Österreich. :)<br />
Nachhaltigkeit spielt beruflich eine<br />
große Rolle bei mir. Privat bedeutet<br />
die Thematik für mich<br />
für meine Kinder und zukünftige Generationen<br />
die Welt lebenswert zu halten<br />
und für mich als Küstenbewohner hinter<br />
dem Deich auch die nächsten Jahrzehnte<br />
noch hier wohnen zu können. Privat<br />
versuche ich das zu machen, was geht,<br />
ohne aber auf alles zu verzichten.<br />
Ich würde gern mal einen Tag lang<br />
tauschen mit …, um dann Folgendes<br />
zu tun:<br />
mit einem Spitzenpolitiker, um zu<br />
verstehen, warum es so schwer ist,<br />
Entscheidungen zu treffen. :) Vermutlich<br />
werde ich erkennen, dass die<br />
Grundlagen gar nicht so anders sind als<br />
in der Wirtschaft, aber die Zwänge alle<br />
davon abhalten.<br />
Jahrgang 1970, verheiratet,<br />
2 Söhne (23 + 16) und 2 Katzen<br />
Ihre Meinung bitte<br />
Eine strategische Ausrichtung<br />
wird für Makler immer<br />
wichtiger.<br />
Die meisten nachhaltigen<br />
Produkte sind zu komplex<br />
für Endkunden strukturiert.<br />
Nachhaltigen Produkten<br />
fehlt oft ein klares Leistungsversprechen.<br />
Am meisten Überwindung kostet mich<br />
morgens sehr früh aufzustehen und<br />
abends rechtzeitig ins Bett zu gehen.<br />
Meine aktuelle Buchempfehlung:<br />
„Die dunkle Seite des Gehirns“<br />
von Prof. Stefan Kölsch.<br />
Wahrer Luxus ist für mich<br />
nichts zu tun.<br />
Meine erste Tat zu Beginn eines<br />
Arbeitstages:<br />
Mails checken und schauen, was am Tag<br />
so anliegt.<br />
Diese Trends sehe ich 2024 in der<br />
Versicherungsbranche:<br />
Die Geschwindigkeit der Konsolidierung<br />
in der Branche wird weiter zunehmen.<br />
Die Themen Digitalisierung, Kundenzentrierung,<br />
Inflation und Nachhaltigkeit<br />
werden bedeutend bleiben.<br />
Das ist mein liebstes Reiseziel:<br />
Österreich im Sommer und Winter und<br />
immer Gran Canaria. Gerne alles als<br />
Homeoffice-Standort.<br />
Das Radio drehe ich lauter bei<br />
AC/DC und generell Metal.<br />
Wenn ich einen Tag lang Kanzler<br />
wäre, würde ich …<br />
mit Harbeck, Lindner und Merz in eine<br />
ganztägige Klausur gehen und versuchen,<br />
die dringlichsten Probleme zu<br />
„lösen“.<br />
Der größte Missstand in der Finanzund<br />
Versicherungsbranche ist<br />
das „selbstzentrierte Denken“ vieler<br />
Beteiligter.<br />
… so könnte der Missstand behoben<br />
werden:<br />
gemeinsam vom Kunden her denken<br />
und viel mehr kooperieren.<br />
<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>
FÜR MEINE<br />
BUSINESSKUNDEN<br />
VON HEUTE UND<br />
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Top-Kundenbewertung für Schadenservice (4,6 von 5 Sternen)<br />
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www.makler.inter.de • T 08000 825-425