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procontra | Ausgabe 6/2023

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Dezember <strong>2023</strong> – Januar 2024 | <strong>Ausgabe</strong> 99 | Jahrgang 17<br />

Das freie Finanzmagazin<br />

Gökers neue Masche<br />

Wie Mehmet Göker mit dubiosen<br />

PKV-Wechselgeschäften von Dubai<br />

aus weiterhin abkassiert<br />

Arbeitskraft neu denken<br />

Mit welchen Produkten und Konzepten<br />

die Durchdringungsquote<br />

nachhaltig erhöht werden kann<br />

Billionen neu anlegen<br />

Wie Lebensversicherer auf den<br />

Transfer ablaufender Verträge<br />

(nicht) vorbereitet sind<br />

Was bringt<br />

die Zukunft?<br />

36 steile Thesen für 2024


Perfekt für<br />

die Ansprache<br />

vermögender<br />

Kund:innen<br />

ANSPRACHEIMPULSE VERMÖGEN<br />

Was bewegt<br />

vermögende Kund:innen?<br />

Das bestehende Portfolio diversifizieren und stabilisieren, steuerliche Regelungen geschickt nutzen<br />

und Vermögenswerte bewusst vererben oder vorzeitig schenken – das sind Themen, die vermögende<br />

Kundinnen und Kunden bewegen.<br />

Als Partner in der Vorsorge und im Vermögensaufbau bieten wir Lösungen:<br />

• Um bestehende Anlageportfolien durch den Zugang zu<br />

Renditechancen alternativer Anlageklassen zu erweitern<br />

• Um flexibel zu investieren und dabei Steuervorteile von<br />

Renten-/Lebensversicherungen zu nutzen<br />

• Für die frühzeitige Gestaltung der Vermögensübertragung<br />

→ Erfahren Sie mehr zu unseren Anspracheimpulsen<br />

bei Ihrer persönlichen Maklerbetreuung oder unter<br />

makler.allianz.de/vermoegen


EDITORIAL | 3<br />

»2024 – ein Jahr voller Chancen«<br />

Im Rückspiegel auf <strong>2023</strong> sind die turbulenten Zeiten<br />

noch sichtbar. Inflationsrekorde, Energiekrise und Zinswende<br />

belasteten die Geldbeutel jedes Einzelnen und erschwerten<br />

die Argumentation in der Beratung – beispielsweise<br />

um für die private Altersvorsorge zu aktivieren.<br />

Doch der Blick nach vorn lässt hoffen. Das Lohnniveau<br />

folgt allmählich den Teuerungen der vergangenen Monate,<br />

und die zurückgewonnene Kaufkraft wird spürbar. Die Inflation<br />

zeigt in Richtung Zielniveau, ein zaghaftes Wachstum<br />

der Wirtschaft wird prognostiziert – immerhin.<br />

Der richtige Zeitpunkt, um mit der Altersvorsorge zu<br />

starten, ist eh immer „jetzt“ – denn der Faktor Zeit ist von<br />

unschätzbarem Wert. Die digitale Rentenübersicht und<br />

Reformpläne zur (geförderten) Altersvorsorge geben auch<br />

von politischer Seite Grund zur Hoffnung auf ein erfolgreiches<br />

Beraterjahr 2024.<br />

Sicherlich klart sich der Altersvorsorge-Himmel durch<br />

die angesprochenen Faktoren etwas auf. Doch die Bewölkung<br />

durch Dauer-Provisionsdebatte, EU-Kleinanlegerstrategie<br />

oder verkorkste Pflicht zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen<br />

bleibt für Berater dicht. Hinzu kommen<br />

rufschädigende Auftritte von „Verbraucherschützern“ in<br />

reichweitenstarken TV-Formaten, die die Branche wieder<br />

um Jahre zurückwerfen. Die Herausforderungen ändern<br />

sich lediglich, ihre Anzahl aber bleibt. Doch die Branche<br />

erwies sich schon mehrfach als „Überlebenskünstler“ und<br />

geschickt darin, den (politischen) Knüppeln auszuweichen.<br />

Vielmehr treibt es ihre Innovationskraft an, was nicht nur<br />

neue Geschäftsfelder und Chancen hervorbringt, sondern<br />

auch ein lösungsorientiertes Umgehen mit schwierigsten<br />

Rahmenbedingungen.<br />

Liebe Makler, liebe Leser,<br />

die <strong>procontra</strong>-Redaktion wünscht Ihnen<br />

eine aufschlussreiche <strong>Ausgabe</strong>.<br />

www.<strong>procontra</strong>-online.de<br />

@<strong>procontra</strong>online<br />

facebook.com/<strong>procontra</strong><br />

Matthias Hundt<br />

Chefredakteur<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Inhalt Dezember<br />

<strong>2023</strong> bis Januar 2024<br />

16 26<br />

48<br />

8 Starke Statements Experten,<br />

Interviewpartner und Leser<br />

mit klarer Meinung<br />

Investmentfonds<br />

16 »Weltuntergangsszenarien<br />

verkaufen sich immer gut«<br />

Wie man selbst ernannte<br />

Börsengurus entlarvt<br />

20 Etikett mit Mehrwert?<br />

EUGBS – was hinter dem neuen<br />

Öko-Label für den Anleihemarkt<br />

steckt<br />

22 Stresstest für ESG-Fonds<br />

„Grün“ schränkt ein und kostet<br />

Rendite, oder?<br />

26 Gesunde Beimischung Der<br />

Gesundheitssektor performt<br />

und macht Depots konjunkturunabhängiger<br />

Steile Thesen 2024<br />

Was bringen die Finanzmärkte im<br />

kommenden Jahr? Wie entwickeln<br />

sich der Maklermarkt und das Angebot<br />

der Versicherer? Wie steil wird<br />

die Bauzinskurve?<br />

Insgesamt 36 gewagte Thesen für<br />

2024 auf dem Prüfstand<br />

»Wir müssen jegliche<br />

europarechtswidrige<br />

Eingriffe in den<br />

Markt verhindern.«<br />

Norman Wirth<br />

AfW-Bundesverband<br />

Versicherungen<br />

34 »Weniger Abschluss-, dafür<br />

mehr Bestandspflegeprovision«<br />

Der Inter-Vertriebsvorstand<br />

über die Pläne mit der<br />

AO und den Maklern<br />

36 Arbeitskraft durchdringen<br />

Wie Kunden ihre Arbeitskraft<br />

wertschätzen und dann leichter<br />

absichern können<br />

40 Der Billionentransfer Die<br />

Erbschaftswelle fordert Versicherer<br />

ihre Wiederanlage zu<br />

verbessern<br />

42 Energieschub fürs Geschäft<br />

Welche Beratungsansätze<br />

das Gebäudeenergiegesetz<br />

mitbringt<br />

46 pro & contra Genial oder<br />

überflüssig? Zwei Meinungen<br />

zur Zahnzusatzpolice<br />

48 Preisdruck wächst Mehrere<br />

Faktoren treiben derzeit die<br />

Kosten für den wichtigen<br />

Schutz von Wohngebäuden<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Impressum<br />

Verlag und Redaktion<br />

Alsterspree Verlag GmbH<br />

Firmensitz: Großer Burstah 50–52, 20457 Hamburg<br />

Postanschrift:<br />

Kurfürstendamm 173/174, 10707 Berlin<br />

Telefon: +49 (0 30) 232 56 27 00<br />

www.<strong>procontra</strong>-online.de<br />

Herausgeber Philipp B. Siebert<br />

Chefredakteur Matthias Hundt<br />

Art Director Niels Flender, Sabine Müller<br />

66 82<br />

Layout und Infografik Sabine Müller<br />

Bildredaktion Roman Kulon, Eleonora Mavromati,<br />

Jakob Bettin<br />

Berater<br />

60 So ist’s Recht Urteile, die<br />

Makler kennen sollten<br />

62 »Für uns macht eine Fusion<br />

keinen Sinn« Interview mit<br />

Dietmar Bläsing und seiner<br />

Nachfolgerin beim Volkswohl<br />

Bund, Stefanie van Holt<br />

66 Geldgeile Grüße aus Dubai<br />

Wie Mehmet Göker weiterhin<br />

abkassiert und wie seine neue<br />

Masche genau läuft<br />

72 Die aufgebrochene Norm<br />

Durch welche Anpassungen<br />

die DIN 77230 endlich Verbreitung<br />

finden soll<br />

74 Land der Ahnungslosen Die<br />

Regierung will Finanzbildung<br />

bei Verbrauchern stärker<br />

fördern. Davon würden auch<br />

Berater profitieren<br />

Sachwerte<br />

82 »Crowdfunding ist kein<br />

Sprint, sondern ein Marathon«<br />

Alternativen in der<br />

Finanzierung von Projektentwicklungen<br />

84 Besonnenheit im Zins-Battle<br />

Wie sich AIFs aktuell dem<br />

Zinsniveau von Tagesgeldern<br />

stellen müssen<br />

88 Ein Quäntchen Luxus Wie<br />

Fractional Ownership Vermögensgüter<br />

stückchenweise<br />

ermöglicht<br />

Rubriken<br />

3 Editorial<br />

5 Impressum<br />

6 Personen- und<br />

Firmenverzeichnis<br />

90 Privat gefragt Holger Iben<br />

von bessergrün mit privaten<br />

Einblicken<br />

Lektorat TextSchleiferei.de<br />

Textbeiträge Mailin Bartknecht, Florian Burghardt,<br />

Carla Fritz, Heike Gorres, Matthias Hundt, Mandy<br />

Lange, Oliver Lepold, Dr. Hans-Jörg Naumer, Hannah<br />

Petersohn, Imke Reiher, Stefan Terliesner, Martin<br />

Thaler, Jan Wagner, Anne Mareile Walter<br />

Coverillustration Eleonora Mavromati<br />

Anzeigenberatung Nadin Korte<br />

n.korte@alsterspree.de, +49 (0)40 6 07 71 29 24<br />

Anzeigendisposition<br />

Sabine Müller, s.mueller@alsterspree.de<br />

Verlagsgeschäftsführer<br />

Philipp B. Siebert, Tilman J. Freyenhagen<br />

Verantwortlich für diese <strong>Ausgabe</strong><br />

i. S. d. P. Matthias Hundt<br />

Druckerei MÖLLER PRO MEDIA® GmbH<br />

Zeppelinstraße 6, 16356 Ahrensfelde,<br />

www.moellerdruck.de<br />

Leserservice<br />

leserbetreuung@<strong>procontra</strong>-online.de<br />

Abonnement<br />

abo@<strong>procontra</strong>-online.de<br />

Heftpreis: 4,80 Euro<br />

Jahresabonnement: 20 Euro für sechs <strong>Ausgabe</strong>n<br />

inkl. Versandkosten, inkl. USt.<br />

© <strong>2023</strong> für alle Beiträge bei Alsterspree Verlag<br />

GmbH. Nachdruck, Aufnahme in Onlinedienste sowie<br />

Vervielfältigung auf Datenträger nur nach vorheriger<br />

schriftlicher Zustimmung.<br />

Hinweis Den Artikeln, Empfehlungen, Charts, Tabellen<br />

und Diagrammen liegen Informationen zugrunde,<br />

die die Redaktion für verlässlich hält. Trotz sorgfältiger<br />

Auswahl der Quellen kann für die Richtigkeit<br />

des Inhalts keine Haftung übernommen werden. Die<br />

in <strong>procontra</strong> gemachten Angaben dienen der Unterrichtung<br />

und sind keine Aufforderung zum Kauf oder<br />

Verkauf von Wertpapieren.<br />

Für Mitglieder der nachfolgend aufgeführten Verbände<br />

ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten:<br />

AfW Bundesverband Finanzdienstleistungen e. V.<br />

Votum Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungsunternehmen<br />

in Europa e. V.<br />

Unser Druck ist zu 100 % klimaneutral. Der Innenteil<br />

wird auf 100 % Recyclingpapier gedruckt.<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


6 | PANORAMA Unternehmens- und Personenverzeichnis<br />

Index<br />

Unternehmens- und Personenverzeichnis<br />

UNTERNEHMEN<br />

#1:1 Assekuranzservice_____ 59<br />

Allianz__9, 12, 23, 37, 41, 71, 75 f.<br />

Alphabet___________________ 23<br />

Alte Leipziger________________41<br />

AmexPool__________________ 59<br />

Amundi_____________________ 76<br />

ASC________________________ 59<br />

Ascore______________________ 44<br />

Askuma____________________ 59<br />

Assekurata______________ 31, 33<br />

Astra Zeneca_______________ 27<br />

Audemars Piguet___________ 89<br />

Backup WRD_______________ 69<br />

Barmenia________________29, 63<br />

Berkshire Hathaway_________16<br />

bessergrün_________________ 90<br />

BioNTech___________________ 27<br />

BlackRock__________________ 78<br />

Brandgilde_________________ 90<br />

BVT_________________________ 86<br />

Cap Gemini_________________ 40<br />

Clarus______________________ 59<br />

Coca-Cola__________________ 23<br />

Condor______________________37<br />

Continentale________________41<br />

dagobertinvest_____________ 82<br />

Deka________________________ 13<br />

Deloitte_____________________33<br />

DEMV______________________ 59<br />

DePeMa____________________ 59<br />

Deutsche Makler Akademie_ 64<br />

Dr. Klein____________________ 79<br />

DWS________________________ 23<br />

eke finance_________________ 59<br />

Eli Lilly______________________ 27<br />

Enser Versicherungskontor_43 f.<br />

Ergo_____________________39, 46<br />

Ferrari______________________ 88<br />

FHM_________________________14<br />

Fidelity_____________________ 26<br />

Finanzcheck Rhein Main____ 70<br />

Finexity___________________ 88 f.<br />

Fonds Finanz_______________ 59<br />

Franke und Bornberg________37<br />

Frankfurter Leben___________33<br />

Generali___________10, 33, 69 ff.<br />

Gothaer______________29, 37, 63<br />

Guidewire__________________ 64<br />

HDI__________________ 32, 34, 37<br />

Helaba______________________ 13<br />

Hg Capital__________________ 59<br />

Hiscox______________________ 89<br />

Hoesch & Partner___________ 38<br />

Hubert Brück_______________ 43<br />

Hypoport___________________ 59<br />

ImmobilienScout24__________81<br />

Infitech_____________________ 59<br />

Inter_______________________34 f.<br />

Interhyp___________________79 f.<br />

Itzehoer____________________ 90<br />

Janus Henderson___________ 27<br />

JLL__________________________81<br />

Johnson & Johnson_________ 27<br />

Jung, DMS & Cie.___________ 59<br />

Komm______________________ 59<br />

Landeslebenshilfe___________33<br />

LBBW_______________________81<br />

LV 1871______________________37<br />

MEG_______________________67 f.<br />

Merck______________________ 27<br />

Metzler______________________15<br />

Michaelis Rechtsanwälte___ 67<br />

Microsoft___________________ 23<br />

Morgen & Morgen___________37<br />

Netfonds___________________ 32<br />

Novo Nordisk_______________ 27<br />

Nürnberger_________________ 34<br />

Patek Philippe______________ 88<br />

Pepsi_______________________ 23<br />

Postbank____________________75<br />

Primus Valor________________ 85<br />

Qualitypool_________________ 59<br />

René Jäger_______________69 ff.<br />

Roche______________________ 27<br />

RWB________________________ 87<br />

Sanofi______________________ 27<br />

Schnittker Versicherungsmakler_48<br />

Schufa_______________________75<br />

Scope_______________________14<br />

Signal Iduna_____________ 37, 39<br />

Soehnholz ESG_____________ 23<br />

Solvium Capital____________85 f.<br />

Standard Life________________37<br />

Swiss Life________________ 37, 39<br />

Talanx_______________________ 31<br />

Tesla_______________________ 32<br />

Timeless__________________ 88 f.<br />

Top Ten_____________________ 59<br />

Union Investment___________15<br />

United Health Group________ 27<br />

Versicherungsforen Leipzig_ 40<br />

Viridium_____________________33<br />

Volkswohl Bund ____________ 62<br />

Warburg Pincus____________ 59<br />

wefox______________________ 55<br />

Zurich___________________ 33, 41<br />

Zusatzversicherung Online__ 46<br />

PERSONEN<br />

Asmussen, Jörg_____________ 30<br />

Beck, Hanno______________ 16 ff.<br />

Bläsing, Dietmar__________62 ff.<br />

Breitag, Torsten_____________ 38<br />

Brück, Johannes___________42 f.<br />

Brunotte, Sabine____________ 59<br />

Buffett, Warren______________16<br />

Buschmann, Marco_________ 29<br />

Crockford, Gesa_____________81<br />

Echtermeyer, Martina_______ 44<br />

Eurich, Andreas_____________ 29<br />

Freudenberg, Jens__________ 86<br />

Friedrich, Marc______________18<br />

Göker, Mehmet___________66 ff.<br />

Gold, Alex__________________ 26<br />

Grimm, Andreas W._________ 58<br />

Hannich, Günter_____________18<br />

Hartigan, Mark_____________ 55<br />

Heermann, Lars______________ 31<br />

Heinz, Michael H._____________9<br />

Henkelmann, Carolin_______ 43<br />

Hirschbrich, Stephan ________15<br />

Holzer, Stefan___________ 37, 39<br />

Hörmann, Franz _____________18<br />

Huelsmann, Paul____________ 88<br />

Iben, Holger________________ 90<br />

Jäger, René_______________69 ff.<br />

Käfer-Rohrbach, Anja_____ 48 f.<br />

Kirschenmann, Karolin_______ 21<br />

Klein, Martin_______________ 56<br />

Knorr, Sonja_________________14<br />

König, Michael______________ 85<br />

Kopp, Matthias______________ 21<br />

Krüger, Joachim____________ 86<br />

Lindner, Christian____________75<br />

Losmann-Hartl, Ulrike______82 f.<br />

Lücke, Justus_______________ 40<br />

Math, Klaus________________ 38<br />

Möller, Klaus_______________72 f.<br />

Moraht, Mona______________ 55<br />

Müller, Dirk__________________18<br />

Nauhauser, Niels__________72 f.<br />

Naumer, Hans-Jörg_______ 9, 12<br />

O’Neill, Jim__________________ 13<br />

Opfermann, Philipp _______46 f.<br />

Perduss, Ron_________________9<br />

Peters, Anne________________ 44<br />

Popper, Karl_________________ 17<br />

Röhl, Christian W.________ 13, 89<br />

Ruß, Jochen________________ 28<br />

Saal, Thorsten_____________37 f.<br />

Sandner, Philipp____________ 78<br />

Schallenberger, Frank________81<br />

Schillinger, Michael________34 f.<br />

Schnittker, Holger_____ 11, 48 f.<br />

Scholz, Ania_________________14<br />

Schröter, Philipp____________ 87<br />

Seeger, Daniel______________ 46<br />

Söhnholz, Dirk______________ 23<br />

Stark-Watzinger, Bettina_____75<br />

Subran, Ludovic____________ 76<br />

Sucker-Kastl, Alina__________ 89<br />

Teicke, Julian_______________ 55<br />

Thurnes, Georg______________57<br />

Treu, Johannes____________75 f.<br />

van Holt, Stefanie________62 ff.<br />

Vis-Paulus, Cordula__________33<br />

von Maltzahn, Hans_________ 38<br />

Walk, Edgar_________________15<br />

Wamser, Torben_________ 37, 39<br />

Weik, Matthias_______________18<br />

Wiese, Sascha______________ 32<br />

Wirth, Norman__________24, 54<br />

Wreth, André______________85 f.<br />

Yon-Courtin, Stéphanie_____ 54<br />

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Sie auch nicht?<br />

www.newsletter.<strong>procontra</strong>-online.de<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Robert Raeder<br />

HanseMerkur KV-Produktentwicklung<br />

Viel Leistung, stabile<br />

Beiträge – unsere KV<br />

Nachhaltig kalkuliert<br />

Die Private Krankenvollversicherung der<br />

HanseMerkur überzeugt durch innovative Produkte<br />

und verlässliche Konditionen. Eine ausgewogene<br />

Tarifberechnung ist das Fundament<br />

für moderne Produktgestaltung und langfristige<br />

Beitragsstabilität. Ein Mehrwert für Ihre Kunden<br />

und ein Push für Ihren Vertriebserfolg, denn<br />

Hand in Hand ist HanseMerkur.


8 | PANORAMA Meinungsmacher<br />

Starke Statements<br />

Experten, Interviewpartner und <strong>procontra</strong>-Leser mit klaren Meinungen<br />

»Die Wiederanlage<br />

von Lebensversicherungen<br />

oder deren<br />

Verrentung gelingt<br />

noch zu selten.«<br />

Justus Lücke von den Versicherungsforen Leipzig<br />

über das riesige Potenzial der Wiederanlage, das<br />

Lebensversicherer noch nicht optimal ausschöpfen.<br />

Mehr dazu auf Seite 40<br />

»Geringe Finanzkompetenz tut<br />

richtig weh.«<br />

Ludovic Subran, Chefökonom der Allianz, ist einer der<br />

Experten, die im Beitrag zur Finanzbildung in Deutschland<br />

zu Wort kommen.<br />

Mehr dazu auf Seite 74<br />

»Das Geschäfts modell<br />

selbst ernannter Börsengurus<br />

beruht nun einmal<br />

auf Lautstärke.«<br />

Prof. Hanno Beck von der Hochschule<br />

Pforzheim über die Methoden, mit denen zwielichtige<br />

Crashpropheten sicherstellen, dass ihre Szenarien<br />

auch gehört werden.<br />

Mehr dazu auf Seite 16<br />

»Rückstände nicht nur in Schaden«<br />

Genauso sehe ich die aktuelle Situation auch, aber auch im Antragswesen<br />

ist momentan überall der Wurm drin ... (Anm. d. Red.: Laut<br />

dem BVK gibt es derzeit bei vielen Versicherern Arbeitsrückstände<br />

in den Schadenabteilungen. Den Unmut der Kunden darüber müssten<br />

letztlich die Vermittler ausbaden.)<br />

Ingo Cron, via Facebook<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Meinungsmacher PANORAMA | 9<br />

»Fachlich völlig falsch«<br />

Solchen Leuchten muss endgültig ein Maulkorb<br />

verpasst werden. Wir müssen uns zur Zulassung und<br />

Registrierung vor der IHK nackig machen, Pflichtweiterbildungszeiten<br />

nachweisen, und hier kommt<br />

ein Dahergelaufener und gibt fachlich völlig falsche<br />

Empfehlungen vor einem Millionenpublikum. (Anm.<br />

d. Red.: Der TV-Moderator Ron Perduss hatte in<br />

einer Stern-TV-Sendung eine Familie dazu beraten,<br />

wie sie Versicherungsbeiträge sparen kann. Dazu<br />

suchte er im Internet nach günstigeren Alternativen<br />

und riet auch zur ersatzlosen Kündigung von<br />

Verträgen. BVK-Präsident Michael H. Heinz mahnte<br />

Perduss daraufhin wegen unerlaubter Versicherungsberatung<br />

ab, der Ausgang ist noch offen.)<br />

Frank Dufeu, via Facebook<br />

»Fest- und Tagesgelder<br />

sind kein Vergleichsmaßstab<br />

für hochwertige<br />

Sachwertanlagen.«<br />

Joachim Krüger ist unabhängiger Wirtschaftsberater<br />

aus Stuttgart. Das gestiegene Zinsniveau<br />

muss auch er seinen Kunden richtig einordnen.<br />

»Nach norwegischem Modell«<br />

Bitte, wenn, dann alles in einen Staatsfonds nach<br />

norwegischem Modell! (Anm. d. Red.: In ihrem kürzlich<br />

vorgestellten Bericht fordern die Wirtschaftsweisen<br />

unter anderem, Riester durch einen öffentlich<br />

verwalteten Staatsfonds zu ersetzen.)<br />

Alexander Linn, via Facebook<br />

Mehr dazu auf Seite 84<br />

Kolumne<br />

Dr. Hans-Jörg Naumer<br />

leitet Global Capital Markets &<br />

Thematic Research von Allianz<br />

Global Investors<br />

»Disruption in 4D«<br />

Thematisches Investieren, verstanden als Kapitalanlage, die<br />

über Länder- oder Branchenschwerpunkte hinaus auf die<br />

langfristigen Trends setzt, scheint in der Anlegergunst<br />

immer mehr an Momentum zu gewinnen. Das zeigen nicht<br />

zuletzt die Mittelzuflüsse bei den Publikumsfonds. Das ist<br />

nur allzu verständlich, geht es doch darum, die Entwicklungslinien<br />

der allgegenwärtigen Disruption konstruktiv im<br />

Portfolio abzubilden. Eine Disruption, die in 4D – in vier<br />

Dimensionen – stattfindet: Die Deglobalisierung schreitet<br />

voran. Die geopolitische Plattenverschiebung drückt sich<br />

nicht nur in der Zerrüttung der Lieferketten aus, sondern<br />

wird auch von einem anderen, positiven Impuls verstärkt:<br />

der Digitalisierung. Wenn die Roboter immer preiswerter<br />

werden, wird das Produzieren in Übersee immer weniger<br />

vorteilhaft, die Rückverlagerung von Produktion dahin, wo<br />

die Abnehmer sind, einfacher und preiswerter. Dazu die<br />

Demografie. Demografisch wächst die Welt zwar weiter,<br />

wird dabei aber älter. Weltweit nimmt der Anteil der<br />

Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung ab. Lohn- und<br />

damit Inflationsdruck ist absehbar. Allein in Deutschland<br />

werden in den nächsten Jahren 400.000 Menschen mehr<br />

den Arbeitsmarkt verlassen, als neue dazukommen.<br />

Gleichzeitig setzt sich der Trend zur Dekarbonisierung der<br />

Weltwirtschaft fort. Deglobalisierung, Digitalisierung,<br />

Demografie und Dekarbonisierung sind die vier großen<br />

Dimensionen, die sich auch in Entwicklungen wie einer<br />

steigenden Rohstoffnachfrage und einer zunehmenden<br />

Verstädterung (Urbanisierung) ausdrücken. Diese Entwicklungen<br />

verstärken sich gegenseitig. Der Übergang zur<br />

klimaneutralen Wirtschaft ist ohne KI in den Energienetzen<br />

kaum vorstellbar. Dem Fachkräftemangel kann die Digitalisierung<br />

abhelfen. Am Ende stehen wir vor langen, anhaltenden<br />

Treibern von Wachstum. Langfristig orientierte Anleger<br />

sollten sich diese Trends genauer anschauen.<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


10 | PANORAMA Meinungsmacher<br />

Krankenzusatz auf dem Prüfstand<br />

Zahnzusatz – sinnvoller oder überflüssiger<br />

Versicherungsschutz?<br />

»Das BRICS-Label hat<br />

sich überlebt.«<br />

Christian Röhl ist Investor und sieht wie<br />

viele Experten in der BRICS-Familie kein<br />

homogenes Anlagegebiet mehr.<br />

Mehr dazu auf Seite 13<br />

Die Zahnzusatzversicherung<br />

zählt zu den beliebtesten<br />

Policen, auch wenn sie nicht vor<br />

einem existenzbedrohenden<br />

Risiko schützt. Doch lohnt sich<br />

die Police und sollte sie Kunden<br />

empfohlen werden? Die<br />

Meinung der <strong>procontra</strong>-Leser ist<br />

geteilt. 50 Prozent sagen: „Ja,<br />

die Police ist für viele Menschen<br />

eine gute Sache.“<br />

50<br />

Ja – sie ist für<br />

viele Menschen<br />

eine gute Sache.<br />

13<br />

37<br />

Nein – für den<br />

Schadenfall sollten<br />

eigene Rücklagen<br />

gebildet werden.<br />

Quelle: <strong>procontra</strong><br />

»Vertreter vs. Makler«<br />

Ich „liebe“ diese Statistiken. Vielleicht sollte man auch die<br />

Anzahl der Einfirmenvermittler in Beziehung zur Anzahl der<br />

Makler setzen. Dann sieht das Ergebnis ganz anders aus!<br />

(Anm. d. Red.: Laut einer GDV-Statistik sorgten Vertreter 2022<br />

für 39,2 Prozent des Leben-Neugeschäfts, Makler für 26,9 Prozent.)<br />

Markus Fuhrmann, via Facebook<br />

Riester: »Wir wollen konkrete<br />

Schritte folgen lassen.«<br />

Das Bundesfinanzministerium will die Ideen der Fokusgruppe<br />

Altersvorsorge angehen und das Gesetzgebungsverfahren<br />

dafür noch 2024 abschließen.<br />

Mehr dazu auf Seite 28<br />

»bAV als Benefit«<br />

Kann ich nicht bestätigen. Bei uns<br />

wird es eher mehr. Arbeitgeber<br />

müssen sich nur mehr darum kümmern,<br />

aus dem Angebot ein Benefit<br />

zu machen. (Anm. d. Red.: Eine<br />

Umfrage im Auftrag der Generali ergab,<br />

dass die derzeitige Inflation zu<br />

einem Rückgang der bAV-Verbreitung<br />

in mittelständischen Unternehmen<br />

führt.)<br />

Jürgen Götz, via Facebook<br />

»Es gelingt der Branche seit Jahren<br />

nicht, die Durchdringung bei der<br />

Arbeitskraftabsicherung zu erhöhen.«<br />

Stefan Holzer, Leiter Versicherungsproduktion Swiss Life Deutschland,<br />

über das Geschäft der Arbeitskraftabsicherung und<br />

Hemmnisse der Kunden, sich abzusichern.<br />

Mehr dazu auf Seite 36<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Meinungsmacher PANORAMA | 11<br />

»Größe entwickelt<br />

sich zu einem entscheidenden<br />

Wettbewerbsfaktor.«<br />

Sabine Brunotte kennt den Maklerpoolmarkt<br />

ganz genau und schätzt<br />

die mögliche Konsolidierung kleiner<br />

und großer Pools ein.<br />

Mehr dazu auf Seite 59<br />

»Einfluss aufs<br />

Risiko«<br />

Wer sein Haus umfangreich saniert,<br />

steigert damit auch den Wert der<br />

Immobilie. Der Einbau einer Solaranlage<br />

oder einer Wärmepumpe<br />

verändert nicht nur das Risiko,<br />

sondern hat auch direkten Einfluss<br />

auf die Versicherungssumme und<br />

rechtfertigt damit am Ende einen<br />

höheren Beitrag. (Anm. d. Red.: Im<br />

Interview mit <strong>procontra</strong> hatte Versicherungsmakler<br />

Holger Schnittker<br />

einmal mehr darauf verwiesen, wie<br />

wichtig es ist, in der Wohngebäudeversicherung<br />

stets die Versicherungssumme<br />

im Blick zu behalten.)<br />

Nico Streker, via Facebook<br />

PKV-<br />

Tarifwechsel:<br />

»Er wird<br />

schlechter<br />

versichert sein,<br />

ganz klar.«<br />

Mehmet Göker agiert weiterhin aus<br />

Dubai und schert sich dabei wenig<br />

um den neuen Versicherungsstatus<br />

„seiner“ Kunden.<br />

Mehr dazu exklusiv ab Seite 66<br />

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12 | INVESTMENTFONDS Steile Thesen 2024<br />

STEILE THESEN 2024<br />

+++ Der Leitzins wird wieder deutlich gesenkt+++ Rallye bei Tagesgeldzinsen setzt sich<br />

fort +++ Offene Immobilienfonds geraten unter Druck +++ Höhenflug beim DAX +++<br />

Boomjahr für Anleihen +++ BRICS-Fonds werden eingestampft +++<br />

Die Inflation flaut wieder ab, und<br />

das teils schneller als erwartet. Im<br />

Oktober dieses Jahres betrug sie im<br />

Euroraum 2,9 Prozent – das war schon<br />

deutlich weniger als im September<br />

(4,1 Prozent). Und tatsächlich: Nach<br />

zehn Zinserhöhungen in Folge ließ<br />

der EZB-Rat den Leitzins zuletzt unangetastet.<br />

Der Zinsgipfel ist erreicht und der<br />

Inflationsgipfel überschritten, glaubt<br />

auch Hans-Jörg Naumer, Director<br />

Global Capital Markets & Thematic<br />

Research bei Allianz Global Investors.<br />

Hieraus aber eine baldige, womöglich<br />

sogar noch schnelle Abfolge an Zinssenkungen<br />

ableiten zu wollen, hält<br />

Naumer für deutlich zu sportlich.<br />

Den Währungshütern geht es darum,<br />

Inflationserwartungen zu brechen.<br />

Das ist alles andere als eine leichte<br />

Aufgabe. So geht der Rückgang der<br />

STEILE THESE:<br />

»Der EZB-Leitzins wird<br />

wieder deutlich gesenkt.«<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Spekuliert wird bereits seit einiger<br />

Zeit, besonders seit die Inflation<br />

wieder abflaut: Senkt die EZB<br />

2024 den Leitzins wieder ab,<br />

auch um die kriselnde Wirtschaft<br />

wieder zu beleben?<br />

»Daraus eine<br />

baldige Abfolge an<br />

Zinssenkungen<br />

ableiten zu wollen,<br />

ist deutlich zu<br />

sportlich.«<br />

Hans-Jörg Naumer<br />

Allianz GI<br />

Inflation derzeit vor allem auf die<br />

niedrigeren Energiepreise zurück.<br />

Doch bleiben diese so niedrig? Man<br />

muss nur einmal in den Nahen Osten<br />

blicken, um Zweifel hieran zu bekommen.<br />

Hinzu kämen strukturelle Inflationstreiber,<br />

bemerkt Naumer. „Besonders<br />

die Kernrate der Inflation – also jene<br />

Bestandteile des Warenkorbs, die<br />

nicht zu Energie und den saisonal<br />

beeinflussten Nahrungsmittelpreisen<br />

gehören – bleibt weiter gefährdet.<br />

Hier dürfte sich vor allem auch ein<br />

erhöhter Lohndruck bemerkbar<br />

machen.“<br />

Naumer rät darum dazu, Hoffnungen<br />

des Marktes auf schnelle Zinssenkungen<br />

nicht leichtfertig zu übernehmen.<br />

„Derartige Hoffnungen dürften<br />

sich als verfrüht erweisen.“<br />

Da er von einer höheren Inflationsrate<br />

auch in Zukunft überzeugt ist, rät<br />

er den Anteil an Sachwerten – sprich<br />

Aktien – im Portfolio zu erhöhen.<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Eine Schwalbe macht bekanntlich<br />

noch keinen Sommer – genauso sollten<br />

einzelne Vorzeichen nicht mit einer<br />

abermaligen Zinswende gleichgesetzt<br />

werden.<br />

25 %<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Steile Thesen 2024 INVESTMENTFONDS | 13<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Der DAX verzeichnete <strong>2023</strong> allen<br />

Unkenrufe zum Trotz ein sehr erfolgreiches<br />

Jahr. Zeitweise notierte<br />

er bereits deutlich über 16.000<br />

Punkten – eine Entwicklung, die<br />

sich 2024 fortsetzen könnte.<br />

Der DAX war im Jahr <strong>2023</strong> deutlich<br />

auf der Erfolgsspur, auch wenn<br />

zuletzt leicht der Rückwärtsgang<br />

eingelegt wurde. Doch kann er diese<br />

Entwicklung auch im kommenden<br />

Jahr fortsetzen? Eine stotternde<br />

STEILE THESE:<br />

»Der DAX ertabliert sich<br />

bei über 16.000 Punkten.«<br />

Konjunktur, ein hohes Zinsniveau<br />

und zahlreiche geopolitische Krisen<br />

lassen dies fraglich erscheinen.<br />

Dennoch strahlen viele Analysten Optimismus<br />

aus. Bei der Deka sieht man<br />

zwar keine dynamische Entwicklung<br />

der Wirtschaft, jedoch eine stabile.<br />

Das Gleiche gilt für die Unternehmensgewinne,<br />

weswegen ein Anstieg<br />

auf bis zu 17.500 Punkten möglich<br />

erscheint. Eine Schätzung in gleicher<br />

Größenordnung gibt es auch von der<br />

Landesbank Hessen-Thüringen. Ihr<br />

zufolge haben die Konjunkturerwartungen<br />

sowie die Anlegerstimmung<br />

mittlerweile ihren Tiefpunkt erreicht,<br />

die Wachstumsschwäche sei eingepreist,<br />

die DAX-Unternehmen niedrig<br />

bewertet.<br />

Allerdings bestehen durchaus<br />

elementare Risiken, die den jetzigen<br />

Erwartungen einen gewaltigen Strich<br />

durch die Rechnung machen könnten.<br />

Man denke nur an den Krieg in<br />

Gaza oder den in der Ukraine.<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Der DAX dürfte auch im kommenden<br />

Jahr nach Einschätzung vieler Experten<br />

weiter die Erfolgswelle reiten. 16.000<br />

Punkte scheinen locker möglich – doch<br />

Vorsicht vor bösen Überraschungen.<br />

85 %<br />

Spätestens seit dem Überfall Russlands<br />

auf die Ukraine sind aus den sogenannten<br />

BRICS-Fonds BICS-Fonds<br />

geworden – russische Aktien sind<br />

praktisch nicht mehr handelbar. Auch<br />

bei den übrigen Ländern, aus denen<br />

sich das Akronym zusammensetzt, ist<br />

zu Vorsicht geraten. Über dem chinesischen<br />

Markt hängt das Damoklesschwert<br />

eines Konflikts mit Taiwan,<br />

die brasilianische Wirtschaft ist stark<br />

von den Rohstoffpreisen abhängig,<br />

und beim S kann man mittlerweile<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Vor über 20 Jahren erfand der<br />

britische Ökonom Jim O’Neill das<br />

BRIC-Kürzel und sorgte dafür, dass<br />

Zigtausende in die Schwellenländer<br />

investierten. Doch ist das<br />

Kürzel noch zeitgemäß?<br />

streiten, wer damit gemeint sein soll.<br />

Das BRICS-Akronym passe heute<br />

schlicht nicht mehr in die Zeit, ist der<br />

Autor und Investor Christian Röhl<br />

überzeugt. Zu unterschiedlich ist die<br />

Entwicklung der einzelnen Staaten.<br />

Daran ändert auch die Erweiterung<br />

der BRICS-Familie um sechs weitere<br />

Staaten zum Jahreswechsel nichts.<br />

Hier handle es sich vielleicht um eine<br />

Gemeinschaft, die ihre Interessen<br />

gegen den Westen poolt, so Röhl,<br />

nicht aber um ein homogenes Anlagegebiet:<br />

„Das BRICS-Label hat sich<br />

überlebt.“<br />

STEILE THESE:<br />

»Fondsgesellschaften stampfen<br />

Kategorie der BRICS-Fonds ein.«<br />

Anlegern rät er, lieber in die wesentlichen<br />

Regionen (Indien, Lateinamerika,<br />

China) zu investieren.<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Es ist sehr wahrscheinlich, dass BRICS-<br />

Fonds vom Markt verschwinden: entweder<br />

durch Umfirmierung oder durch<br />

eine Verschmelzung mit anderen Fonds.<br />

70 %<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


14 | INVESTMENTFONDS Steile Thesen 2024<br />

STEILE THESE:<br />

»Tagesgeldkonten<br />

mit über 5 Prozent<br />

Zinsen«<br />

STEILE THESE:<br />

»Offene Immobilienfonds<br />

geraten unter<br />

Abwertungsdruck.«<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Viele Banken haben auf die Zinswende schnell reagiert und<br />

die Zinsen für Tagesgeldkonten teils deutlich – wenn auch<br />

häufig nur befristet – erhöht. Der Konkurrenzkampf der Institute<br />

sorgt dabei stetig für attraktive Angebote.<br />

Die Zinswende hat <strong>2023</strong> dazu geführt, dass Sparer ihre<br />

Festgeldkonten wiederentdeckten. Viele Banken reagierten<br />

schnell und warben mit Zinsen jenseits der 4 Prozent<br />

um Neukunden – Angebote, die zugleich das Einmalbeitragsgeschäft<br />

der Lebensversicherer einbrechen ließen.<br />

Sah es vor wenigen Monaten noch so aus, als würden<br />

sich die Zinsrallye und der damit verbundene Überbietungswettbewerb<br />

der Banken auch im kommenden Jahr<br />

weiter fortsetzen, hat sich der Optimismus der Zinsjäger<br />

mittlerweile wieder gelegt.<br />

Inflation geht schneller zurück als erwartet<br />

Denn die Inflation ging schneller zurück als erwartet. Im<br />

Euroraum lag sie im Oktober nur noch bei 2,9 Prozent<br />

und damit nahe an der von der Europäischen Zentralbank<br />

angestrebten 2-Prozent-Schwelle. Am Markt wird<br />

deshalb verstärkt auf eine Zinssenkung gesetzt. Dennoch<br />

seien 5 Prozent Zinsen auf Tagesgeld nicht völlig utopisch,<br />

glaubt Ania Scholz von der FHM Finanzberatung<br />

– „allerdings wohl nur bei einer Bank, die neu auf dem<br />

Markt ist und Kunden gewinnen möchte“. Realistisch ist<br />

ein solches Angebot wohl auch nur für einen kürzeren<br />

Zeitraum von beispielsweise drei Monaten.<br />

Nachdem offene<br />

Immobilienfonds<br />

(OIF) seit der Krise<br />

im Jahr 2008 ein<br />

beeindruckendes<br />

Comeback feierten,<br />

geraten die Fonds mittlerweile wieder unter Druck.<br />

Nicht nur, dass viele Kunden derzeit andere Anlagen<br />

präferieren – zuletzt mussten offene Immobilienfonds<br />

zwei Monate nacheinander Mittelabflüsse hinnehmen<br />

–, auch das Abwertungsrisiko steigt. Es trifft vor allem<br />

Immobilien, die während der Hochpreisphase zwischen<br />

2019 und 2022 angekauft wurden, erklärt Scope-Expertin<br />

Sonja Knorr.<br />

Ein deutlich erhöhtes Risiko sieht sie auch bei US-Büroimmobilien<br />

in schlechten Lagen mit suboptimalem ESG-<br />

Profil und geringer Flächenflexibilität – deutsche OIF<br />

sind hier allerdings nur in geringem Umfang investiert.<br />

Doch auch hierzulande geht die Nachfrage nach Büroräumen<br />

zurück, was mehr und mehr auch in die Bewertungen<br />

der Fonds eingepreist werden dürfte.<br />

Bei Scope geht man davon aus, dass sich diese Bewertungsanpassungen<br />

letztlich auch in sinkenden Renditen<br />

für die Anleger niederschlagen werden. Die Auswirkungen<br />

dürften aber von Fonds zu Fonds unterschiedlich<br />

sein, wodurch der Rendite-Spread zwischen den einzelnen<br />

Fonds weiter steigen dürfte.<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Durch den rasanten Zinsanstieg<br />

hat sich das Marktumfeld für<br />

offene Immobilienfonds verändert.<br />

Die Anlegerlieblinge der<br />

vergangenen Jahre geraten auf<br />

einmal unter Druck.<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Marktweite Tagesgeldangebote<br />

jenseits der 5 Prozent sind kaum zu<br />

erwarten. Im Wettbewerb um die<br />

Kunden und bei einem Wiederauflodern<br />

der Inflation sind vereinzelte,<br />

begrenzte Angebote aber möglich.<br />

50 %<br />

Mehr als zwei Drittel aller Immobilien<br />

der OIF wurden vor 2019<br />

erworben und damit konservativer<br />

bewertet – dadurch sinkt der Abwertungsdruck.<br />

Dennoch steigt das<br />

Risiko für viele Fonds.<br />

65 %<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Steile Thesen 2024 INVESTMENTFONDS | 15<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Die Wechselwirkung von Zinsniveau<br />

und den Preisen von Anlei -<br />

hen sind häufig konträr. Da weitere<br />

Zinssteigerungen derzeit<br />

unwahrscheinlich sind, könnten<br />

viele Anleger zuschlagen.<br />

Lange Zeit herrschte Flaute für Anleihenanleger.<br />

Da Unternehmenskredite<br />

während der Niedrigzinsphase sehr<br />

günstig waren, war das Renditepotenzial<br />

von Anleihen gering. Das hat sich<br />

mittlerweile geändert.<br />

Die Notenbanken werden 2024 in den<br />

Zinssenkungsmodus wechseln, zeigt<br />

sich Stephan Hirschbrich, Leiter Rates<br />

im Portfoliomanagement Renten bei<br />

Union Investment, überzeugt – allerdings<br />

sei dieser Schritt größtenteils<br />

bereits eingepreist. „Der Ertrag für<br />

den Anleger wird weniger aus Kursgewinnen<br />

kommen, sondern vor<br />

allem aus den attraktiven Kupons“, so<br />

Hirschbrich.<br />

Eine wenig Gegenwind kommt durch<br />

die hohe Verschuldung vieler Staaten,<br />

wodurch das Angebot an Staatsanleihen<br />

am Markt steigt – schließlich<br />

treten auch die Notenbanken nicht<br />

mehr als Käufer auf. Insgesamt sei<br />

zwar für 2024 kein Boomjahr, aber ein<br />

sehr auskömmliches Rentenjahr zu<br />

erwarten, meint Hirschbrich. Interessant<br />

für ihn sind dabei in erster Linie<br />

Unternehmensanleihen mit guter bis<br />

sehr guter Bonität sowie US-Staatsan-<br />

STEILE THESE:<br />

»2024 wird für Anleihen<br />

zum Boomjahr.«<br />

leihen – diese haben ein besseres<br />

Risiko-Rendite-Profil als europäische<br />

Titel.<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Mit Anleihen können Investoren wieder<br />

Rendite machen – das wird sich aller<br />

Voraussicht nach auch mittelfristig nicht<br />

ändern, auch wenn der Begriff des<br />

Booms zu hoch gegriffen sein dürfte.<br />

70 %<br />

Ob Russland, Gaza oder Südostasien:<br />

Krisen und Konflikte nehmen auf der<br />

Welt gefühlt zu, und damit steigt auch<br />

die Nervosität der Anleger.<br />

Perfekte Aussichten für eine historisch<br />

hohe Volatilität an den Aktienmärkten?<br />

Nein, glaubt Edgar Walk,<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

STEILE THESE:<br />

»Aktienmärkte so<br />

volatil wie nie«<br />

Chefsvolkswirt bei Metzler Asset<br />

Management. Grund für diese Einschätzung<br />

ist ein Blick auf das Jahr<br />

<strong>2023</strong> – auch dieses war geprägt von<br />

deutlichen Leitzinserhöhungen, geopolitischen<br />

Krisen und rezessiven<br />

Tendenzen. Trotzdem führte es nicht<br />

zu einer extremen Volatilität. „So ist<br />

es wahrscheinlich, dass unter den<br />

gleichen Vorzeichen auch im Jahr<br />

2024 die Volatilität nicht dramatisch<br />

ansteigen wird“, so Walk.<br />

Nur zwei Szenarien könnten das<br />

ändern: ein Aktiencrash und ein<br />

Durchschütteln der Aktienmärkte<br />

infolge einer Reihe guter wie schlechter<br />

Nachrichten. Für beide Szenarien<br />

sieht Walk allerdings – Stand heute<br />

– wenig Anzeichen. Unkalkulierbar<br />

bleiben indes geopolitische Risiken,<br />

wie ein Überfall Chinas auf Taiwan<br />

oder der Konflikt in Nahost, die die<br />

Aktienmärkte hart treffen könnten.<br />

Die rasanten Leitzinserhöhungen<br />

der Zentralbanken sowie geopolitische<br />

Spannungen weltweit sorgen<br />

Trotz mancher Krise erwiesen sich die Märkte <strong>2023</strong> als stabil<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

für große Unruhe an den Märkten.<br />

und verhinderten eine extreme Volatilität. 2024 dürfte ähnlich<br />

verlaufen – unkalkulierbar bleiben jedoch geopolitische<br />

Diese Unruhe droht auch auf die<br />

Aktienmärkte überzugreifen. Krisen.<br />

25 %<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


16 | INVESTMENTFONDS Investmenttalk<br />

»Weltuntergangsszenarien<br />

verkaufen sich immer gut«<br />

Was „kaputte Uhren“, „Weltenretter“ und „mexikanische Scharfschützen“ mit Strategien<br />

von Börsengurus und Crashpropheten zu tun haben und wie man sie durchschauen kann,<br />

erläutert Hanno Beck, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Pforzheim.<br />

HG HEIKE GORRES<br />

<strong>procontra</strong>: In einem Interview haben<br />

Sie unter dem Titel „Ein Blick in die Zukunft?<br />

Methoden und Tricks der Börsengurus“<br />

verschiedene Ansätze aufgezeigt.<br />

Was ist für Sie ein Börsenguru?<br />

Hanno Beck: Ein Börsenguru ist<br />

jemand, der sich zur Börse und zu<br />

dazugehörigen Finanz- und Wirtschaftsthemen<br />

äußert und dem Menschen intellektuell<br />

und bisweilen auch mit dem<br />

Geld folgen. Ich unterscheide dabei<br />

in zwei Arten, ernannte und selbst ernannte.<br />

Selbst ernannte Gurus machen<br />

ihr Guru-Dasein zum Geschäftsmodell.<br />

Sie verkaufen Börsenbriefe, Anlageprodukte,<br />

Bücher oder ähnliche Dinge; sie<br />

leben davon, laut und omnipräsent zu<br />

sein. Ernannte Gurus dagegen werden<br />

dies entweder per Zufall – jemand hat<br />

einmal mit einer spektakulären Vorhersage<br />

richtig gelegen – oder durch langjährigen<br />

Erfolg. Oft steht der ernannte<br />

Guru in Verbindung mit einer großen<br />

Organisation, beispielsweise ein großer<br />

Was Sie erfahren werden:<br />

Was einen Börsenguru ausmacht<br />

Warum Untergangsszenarien funktionieren<br />

Wie man haltlose Theorien entlarven kann<br />

Vermögensverwalter, die ihm als Plattform<br />

dient und seinen Namen populär<br />

macht, wovon dann auch die Organisation<br />

profitiert.<br />

<strong>procontra</strong>: Was meinen Sie mit langjährigem<br />

Erfolg? Börsenerfolg oder Prognoseerfolg?<br />

Mein erster Gedanke war<br />

Warren Buffett mit Berkshire Hathaway.<br />

Beck: Das würde auch passen. Ich habe<br />

allerdings auch an Star-Fondsmanager<br />

gedacht, die jahrelang gute Ergebnisse<br />

abgeliefert haben. Die in irgendeiner<br />

Form gewisse Fertigkeiten demonstriert<br />

haben, die Sie annehmen lassen, dass<br />

»Geldanlage ist eine<br />

ernste, komplizierte<br />

Sache und nichts<br />

für den Zirkus.«<br />

sie besser sind oder mehr wissen als<br />

andere. Eine große Organisation wäre<br />

dann zum Beispiel eine Fondsgesellschaft.<br />

Beiden Formen von Gurus, den<br />

selbst ernannten wie den ernannten, ist<br />

gemein, dass man ihnen zutraut, besser<br />

in die Zukunft zu schauen als andere<br />

Marktteilnehmer – die moderne Version<br />

des Sehers.<br />

In einer weit gefassten Bedeutung des<br />

Begriffs Börsenguru könnte man auch<br />

solche darunter verstehen, die das<br />

Börsengeschehen verständlich erklären,<br />

einfache, praktische Ratschläge geben<br />

und eher auf Strategien und Instrumente<br />

als auf Prognosen abstellen. Diese<br />

Sorte Guru ist aber in der Regel wenig<br />

glamourös – wer will schon Ratschläge<br />

hören wie: „Investieren Sie nur in Dinge,<br />

die Sie verstehen“?<br />

<strong>procontra</strong>: Was sind die gängigsten<br />

Methoden und Tricks und wie können<br />

Zuhörer dem begegnen? Wen würden<br />

Sie beispielhaft nennen?<br />

Beck: Namen würde ich ungern nennen,<br />

Strategien schon. Wer möchte,<br />

kann für sich selbst vergleichen, welche<br />

Methode zu welchem Akteur passen<br />

könnte; das ist bereits sehr aufschlussreich.<br />

Da wäre zum einen die Strategie<br />

der kaputten Uhr. Man behauptet lange<br />

und hartnäckig, dass dies oder jedes<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Investmenttalk INVESTMENTFONDS | 17<br />

passieren wird – eines Tages wird es<br />

passieren. Das ist wie bei einer kaputten<br />

Uhr, die zweimal am Tag die korrekte<br />

Uhrzeit anzeigt. Sie können dem begegnen,<br />

indem Sie überlegen, wie viel Geld<br />

Sie hätten verdienen können, wenn Sie<br />

den Voraussagen und daraus abgeleiteten<br />

Ratschlägen nicht gefolgt wären.<br />

Bei der Nostradamus-Methode ist der<br />

Akteur möglichst unpräzise, macht<br />

vage Andeutungen, die dann von den<br />

Zuhörern oder Lesern mit konkretem<br />

Inhalt gefüllt werden. Der Akteur nennt<br />

entweder Zeit oder Kursziel, aber nicht<br />

beides. Damit erfüllt sich die Prophezeiung<br />

irgendwann schon. Als Gegenmaßnahme<br />

zwingen Sie ihn zu Präzision und<br />

fordern, dass er Zeit, Ziel und Region<br />

zugleich nennt. Nebulöse Prognosen<br />

haben keinen Wert. Die Lautsprecher-<br />

Hanno Beck<br />

ist Professor<br />

für Volkswirtschaftslehre<br />

an<br />

der Hochschule<br />

Pforzheim. Seine<br />

Forschungsschwerpunkte<br />

liegen im Bereich<br />

der verhaltensorientierten<br />

Ökonomik, der<br />

Medienökonomik<br />

und ausgewählter<br />

finanzwissenschaftlicher<br />

Themen, etwa<br />

Staatsverschuldung.<br />

»Das Geschäftsmodell<br />

selbst<br />

ernannter Gurus<br />

beruht nun einmal<br />

auf Lautstärke.«<br />

Methode ist vor allem etwas für selbst<br />

ernannte Gurus: Seien Sie laut, apodiktisch,<br />

bauen Sie bedrohliche Szenarien<br />

auf. Diese Strategie hat keinen Platz<br />

für Ausgewogenheit, für „sowohl als<br />

auch“ oder komplizierte Ausführungen.<br />

Sie erzählen eine plausible, einfache<br />

Geschichte, die Menschen verstehen<br />

und sich merken können. Um dem zu<br />

begegnen, überlegen Sie sich, was<br />

gegen diese These spricht. Nehmen Sie<br />

bewusst mit Argumenten die Gegenposition<br />

ein.<br />

<strong>procontra</strong>: Die Lautsprecher-Variante<br />

kommt häufig vor, was vielleicht auch<br />

daran liegt, dass sie eben laut ist …<br />

Beck: Das stimmt. Eine weitere, trickreiche<br />

Strategie nenne ich die Anti-Popper-Methode.<br />

Vom Philosophen Karl<br />

Popper stammt die Forderung, eine<br />

Hypothese so aufzustellen, dass man sie<br />

widerlegen kann. Stellen Sie als Guru<br />

also Behauptungen auf, die nicht zu widerlegen<br />

sind. Damit schützen Sie Ihre<br />

Ausführungen von vornherein gegen<br />

Einwände. Wenn Sie sagen: „Es gibt<br />

den Weihnachtsmann“, kann niemand<br />

beweisen, dass es ihn nicht gibt. Und<br />

wenn jemand behauptet, das Finanzsystem<br />

liege auf der Intensivstation, ist es<br />

schwierig, das Gegenteil zu beweisen,<br />

weil man nicht Dinge beweisen kann,<br />

die nicht sind.<br />

Bei der Methode „mexikanischer Scharfschütze“<br />

macht der Akteur möglichst<br />

viele Prognosen und sorgt dafür, dass<br />

die Leute sich nur an jene erinnern, die<br />

eingetroffen sind. Er schießt auf ein<br />

Scheunentor und zeichnet Zielscheiben<br />

um einige Einschusslöcher, die seine<br />

Treffsicherheit demonstrieren sollen.<br />

Fehlschläge fallen so nicht auf. Um dies<br />

zu durchschauen, betrachten Sie die<br />

Trefferquote aus allen Schüssen oder<br />

Prognosen. Die Weltenretter-Strategie<br />

besagt, dass jemand bei einer Prognose,<br />

die nicht eintrifft, sagt, sie sei nicht<br />

eingetreten, weil er rechtzeitig davor<br />

gewarnt hat und es deshalb Gegen-<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


18 | INVESTMENTFONDS Investmenttalk<br />

maßnahmen gab. Dieser Prognostiker<br />

steht als Held da und rettet gleichzeitig<br />

Job und Status als Guru.<br />

<strong>procontra</strong>: Einige solcher Gurus skizzieren<br />

seit Jahren Untergangsszenarien,<br />

etwa den Kollaps des Geldsystems für<br />

2013 und das Ende des Euro bis <strong>2023</strong>.<br />

Passiert ist von alledem nichts. Glauben<br />

diese Crashpropheten tatsächlich, dass<br />

ihre Prognosen eintreffen, oder sehen<br />

sie, dass es funktioniert und sie damit<br />

für Vorträge, Talkshows und ähnliche<br />

Formate gebucht zu werden?<br />

Beck: Schwer zu sagen, vermutlich<br />

beides. Denken Sie an die Lautsprecher-Methode:<br />

Warnungen vor Weltuntergängen<br />

verkaufen sich immer gut.<br />

Und je mehr man selbst daran glaubt,<br />

umso überzeugender ist man, wenn<br />

man solche Hypothesen verkauft. Zu<br />

letzterer Hypothese passt der Befund,<br />

dass manche Gurus ein problematisches<br />

Grundverständnis wirtschaftlicher Vorgänge<br />

haben. Das wiederum erleichtert<br />

es, im Brustton der Überzeugung Dinge<br />

zu sagen, die wissenschaftlich gesehen<br />

problematisch sind. Je weniger man<br />

weiß, umso überzeugter kann man alles<br />

Mögliche behaupten, solange es zumindest<br />

plausibel klingt. Es wäre interessant<br />

zu wissen, wie die Crashpropheten<br />

damit umgehen, dass ihre Prognosen<br />

bisher nicht eingetroffen sind. Man<br />

sollte sie einmal fragen.<br />

<strong>procontra</strong>: Einige Crashpropheten<br />

haben BWL studiert oder eine Ausbildung<br />

zum Bankkaufmann absolviert. Da<br />

würde ich weniger ein problematisches<br />

Grundverständnis wirtschaftlicher Vorgänge<br />

vermuten.<br />

Beck: Das kommt darauf an, wovon sie<br />

reden. Ich bin zum Beispiel Professor<br />

für Volkswirtschaftslehre. Wenn Sie<br />

mich zu einem Bilanzskandal fragen<br />

würden, würde ich dazu nichts sagen,<br />

da ich mich mit Bilanzregeln nicht<br />

auskenne. Aber wenn Sie sich mit<br />

jemandem über Wechselkurssysteme,<br />

Geldordnung und Ähnliches unterhalten<br />

»Bis Ende <strong>2023</strong><br />

erwarten wir das Ende<br />

der Gemeinschaftswährung<br />

Euro.«<br />

Marc Friedrich und Matthias Weik,<br />

beide Betriebswirte,<br />

2018 in einem Newsletter<br />

»Alle Währungen<br />

werden verschwinden,<br />

weil sie technisch nicht<br />

mehr funktionieren<br />

können. Ich schätze,<br />

dass es schon 2011<br />

so weit sein wird.«<br />

Franz Hörmann, Betriebswirt,<br />

2010 in einem Interview mit der<br />

Zeitung »Der Standard«<br />

»Wir werden innerhalb<br />

der nächsten fünf Jahre<br />

eine massive Krise<br />

bekommen.«<br />

Günter Hannich, Verwaltungswirt,<br />

2011 in einem Interview mit<br />

»Der Aktionär TV«<br />

»Es kommt seit Jahrhunderten<br />

alle paar<br />

Jahrzehnte zu einem<br />

Kollaps des Systems.<br />

(…) Wir wissen nicht,<br />

was auf uns zukommt,<br />

aber wir sind wieder<br />

am Ende dieses Zyklus<br />

angelangt.«<br />

Dirk Müller, Bankkaufmann und<br />

Kursmakler, 2011 in der TV-Talkshow<br />

»Markus Lanz«<br />

wollen, würde ich keinen Betriebswirt<br />

fragen, sondern einen Volkswirt. Das ist<br />

nicht abwertend gegen andere Ausbildungen<br />

gemeint, es geht einfach darum,<br />

zu einem Problem den passenden<br />

Experten zu befragen. Was solche Prognosen<br />

auch glaubhaft macht, ist, dass<br />

sie zumeist auch einen wahren Kern<br />

enthalten. So ist beispielsweise der Euro<br />

durchaus eine anfällige Konstruktion;<br />

die Möglichkeit, dass er in der heutigen<br />

Form irgendwann scheitert, ist durchaus<br />

gegeben. Und um diesen wahren Kern<br />

strickt man dann sein Weltuntergangsszenario.<br />

<strong>procontra</strong>: Einige der Akteure können<br />

komplexe Sachverhalte gut verständlich<br />

darlegen. Inwieweit sehen Sie ein echtes<br />

Anliegen, schwierige Zusammenhänge<br />

begreiflich zu machen, und inwieweit<br />

eher ein Geschäftsmodell mit öffentlichen<br />

Auftritten, Verkauf von Büchern,<br />

Seminaren und Anlageprodukten?<br />

Beck: Wer wirklich komplexe Zusammenhänge<br />

begreiflich machen will,<br />

braucht eine tiefe Sachkenntnis. Zudem<br />

kann er dann kaum publikumswirksame<br />

Schlagzeilen oder Thesen heraushauen,<br />

weil es keine einfachen Antworten und<br />

Rezepte für eine komplexe Welt gibt.<br />

Damit sind Sie für Talkshows uninteressant,<br />

große Verkaufszahlen werden Ihre<br />

Bücher auch nicht erzielen, und<br />

Seminare können Sie damit auch nicht<br />

verkaufen. Wer laut ist, kann nicht<br />

differenziert sein, wer differenziert sein<br />

will, kann nicht schreien. Das Geschäftsmodell<br />

selbst ernannter Gurus beruht<br />

nun einmal auf Lautstärke.<br />

Weiter im Thema<br />

Das vollständige<br />

Interview mit<br />

Prof. Dr. Hanno<br />

Beck, Hochschule<br />

Pforzheim, unter<br />

<strong>procontra</strong>-online.de<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


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20 | INVESTMENTFONDS ESG-Klassifizierung<br />

Etikett mit Mehrwert?<br />

Ein neues Öko-Label soll auf dem Bondmarkt für mehr Klarheit und<br />

weniger Greenwashing sorgen. Die Chancen sind durchwachsen.<br />

HG HEIKE GORRES<br />

Die EU führt einen eigenen Standard<br />

zur Klassifizierung ökologisch nachhaltiger,<br />

„grüner“ Anleihen ein, den<br />

„European Green Bond Standard“,<br />

kurz „EUGBS“. Das neue Label tritt<br />

voraussichtlich im Herbst 2024 in<br />

Kraft und ist freiwillig. Im Oktober<br />

hatte das EU-Parlament die Regelung<br />

für den Standard abgesegnet; die Zustimmung<br />

der Mitgliedsländer gilt als<br />

Formsache. „Grüne Anleihen werden<br />

zur Finanzierung oder Refinanzierung<br />

von Investitionen, Projekten,<br />

<strong>Ausgabe</strong>n oder Vermögenswerten<br />

verwendet, die zur Bewältigung von<br />

Klima- und Umweltproblemen beitragen“,<br />

erläutert das EU-Parlament.<br />

„Diese Verordnung legt einheitliche<br />

Anforderungen für Emittenten von<br />

Anleihen fest, die die Bezeichnung<br />

‚europäische grüne Anleihen‘ verwenden<br />

möchten.“<br />

Unternehmen und öffentliche Einrichtungen,<br />

die über eine grüne<br />

Anleihe Kapital aufnehmen wollen,<br />

können das neue Kennzeichen<br />

nutzen. Mindestens 85 Prozent der<br />

Gelder müssen in ökologisch nachhaltige<br />

Wirtschaftstätigkeiten oder<br />

Projekte fließen, die den Vorgaben<br />

der EU-Taxonomie entsprechen (siehe<br />

auch Infobox). Höchstens 15 Prozent<br />

dürfen anderweitig investiert werden.<br />

Die Nutzer müssen offenlegen, wie sie<br />

die Mittel aus der Anleihe verwenden<br />

und wie dies in ihre Pläne in Richtung<br />

einer nachhaltigeren Wirtschaft einfließt.<br />

Was Sie erfahren<br />

werden:<br />

Was die EU für ökologisch<br />

nachhaltige Anleihen vorgibt<br />

Welche die etabliertesten<br />

Green-Bond-Standards sind<br />

Was die Nachfrage nach dem<br />

EU-Kennzeichen trüben könnte<br />

Mit der Verordnung führt die EU ein<br />

verbindliches System für die Registrierung<br />

und Aufsicht externer Prüfer<br />

der EUGBS-Anleihen ein. Die Prüfer<br />

sollen sicherstellen, dass die Anleihe-<br />

Emittenten die Vorgaben einhalten.<br />

Insgesamt will die EU klarere Regeln<br />

für Emittenten schaffen, gegen Grünfärberei<br />

vorgehen und Anreize für die<br />

Emission grüner Anleihen geben. Der<br />

Illustration: Roman Kulon


ESG-Klassifizierung INVESTMENTFONDS | 21<br />

Markt für Green Bonds ist seit dem<br />

Start 2007 weltweit zwar deutlich gewachsen.<br />

Der Anteil an den gesamten<br />

Anleiheemissionen ist mit 3 bis 3,5<br />

Prozent allerdings gering.<br />

Geringe Renditeunterschiede<br />

„Die meisten akademischen Veröffentlichungen<br />

zeigen, dass grüne<br />

Anleihen mit der gleichen oder einer<br />

niedrigeren Rendite gehandelt werden<br />

als konventionelle Anleihen“, hält<br />

das Leibniz-Zentrum für Europäische<br />

Wirtschaftsforschung, ZEW, im Bericht<br />

„Braucht die Europäische Union<br />

einen weiteren Standard für grüne<br />

Anleihen?“ fest. Auf den Sekundärmärkten<br />

erscheine der Renditeunterschied<br />

allerdings bescheiden, ergänzt<br />

das Institut. Auf diesen Zweitmärkten<br />

werden Wertpapiere gehandelt, die<br />

bereits im Umlauf sind, mit der Börse<br />

als bekanntestem Vertreter.<br />

Angesichts der bereits etablierten<br />

Standards dürfte das neue EU-Label<br />

einen schweren Stand haben, vermutet<br />

das ZEW. Das sind insbesondere<br />

der Climate Bonds Standard der<br />

Climate Bonds Initiative (CBI) und<br />

die Green Bond Principles der International<br />

Capital Market Association<br />

(ICMA), beide ebenfalls freiwillig.<br />

Ersterer erfordert wie der EUGBS eine<br />

externe Prüfung und beruht auf Vorgaben<br />

der CBI-Taxonomie. Die ICMA-<br />

Prinzipien empfehlen eine externe<br />

Prüfung und basieren auf einem<br />

Katalog von Leitlinien und Kriterien.<br />

„Der EUGBS kann als eine Kombination<br />

der bereits bestehenden<br />

Standards verstanden werden“, sagt<br />

Karolin Kirschenmann, stellvertretende<br />

Leiterin des ZEW-Forschungsbereichs<br />

Altersvorsorge und nachhaltige<br />

Finanzmärkte. „Die Emittenten der<br />

Anleihen müssen allerdings zusätzliche,<br />

rechtsverbindliche Angaben<br />

machen. Wir gehen davon aus, dass<br />

Die Nachhaltigkeitsregeln der EU<br />

sie dadurch davon abgehalten werden,<br />

den EUGBS zu verwenden, zumal<br />

sich die Emittenten die Konformität<br />

ihrer Anleihen zur EU-Taxonomie<br />

auch jetzt schon bescheinigen lassen<br />

können.“ Für das ZEW entwickelt der<br />

EUGBS erst dann eine tatsächliche<br />

85 %<br />

Zu diesem Anteil müssen<br />

Gelder aus Anleihen nach dem<br />

EU-Standard in ökologisch<br />

nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten<br />

oder Projekte fließen.<br />

Long Story short<br />

Im Regelwerk der Taxonomie<br />

klassifiziert die EU ökologisch<br />

nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten,<br />

was dazu beitragen soll, Investitionen<br />

in solche Bereiche zu fördern. Sechs<br />

Ziele hat die EU hierzu festgelegt:<br />

Klimaschutz, Anpassung an den<br />

Klimawandel, nachhaltige Nutzung<br />

und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen,<br />

Übergang zu einer<br />

Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und<br />

Verminderung von Umweltverschmutzung<br />

sowie Schutz und<br />

Wiederherstellung der Biodiversität<br />

und der Ökosysteme. Als ökologisch<br />

nachhaltig gilt eine Wirtschaftstätigkeit,<br />

wenn sie zu mindestens einem<br />

dieser Ziele einen Beitrag leistet, kein<br />

anderes erheblich beeinträchtigt,<br />

Mindest-Sicherheitsstandards einhält<br />

und die Bewertungskriterien erfüllt,<br />

die für jede Aktivität und jedes<br />

Umweltziel zu erreichende Leistungsschwellen<br />

festlegen.<br />

Bedeutung, wenn die EU-Mitgliedsstaaten<br />

ihn für ihre eigenen Green-<br />

Bond-Emissionen verwenden oder<br />

wenn er für alle Emissionen grüner<br />

Anleihen verbindlich wird.<br />

Die Ausrichtung an der EU-Taxonomie<br />

birgt zudem einen grundlegenden<br />

Streitpunkt: die Einstufung von<br />

Atomenergie und fossilem Gas als<br />

nachhaltig im Juli 2022. „Private<br />

Anlegerinnen und Anleger werden<br />

nicht in ‚nachhaltige‘ Produkte<br />

investieren wollen, die das Taxonomie-Label<br />

tragen“, kommentierten<br />

Kritiker wie Matthias Kopp, Leiter des<br />

Bereichs Sustainable Finance beim<br />

WWF Deutschland, die Entscheidung.<br />

Inwieweit sich dies auf die Akzeptanz<br />

der neuen grünen Anleihen auswirkt,<br />

wird sich zeigen.<br />

EU führt neuen Standard für „grüne“ Anleihen ein.<br />

EU-Label bringt bei größeren Anforderungen keinen<br />

echten Mehrwert.<br />

Ausrichtung an EU-Taxonomie bringt Kontroversen mit sich.<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


22 | INVESTMENTFONDS Nachhaltigkeit<br />

Stresstest für ESG-Fonds<br />

Die Präferenzabfrage erfordert eine nachhaltige Fondsvariante, falls der Kunde sie<br />

möchte. Dabei sollte auf das eingeschränkte Investmentuniversum hingewiesen werden.<br />

JW JAN F. WAGNER<br />

Sind nachhaltige Investments fürs<br />

langfristige Sparen eine gute Idee?<br />

Diese Frage stellen sich Finanzanlagenvermittler<br />

spätestens seit Einführung<br />

der sogenannten „Nachhaltigkeitspräferenzabfrage“<br />

(NPA). Laut<br />

der NPA, die im August 2022 zunächst<br />

für Bank- und Versicherungsberater<br />

galt und seit dem Frühling <strong>2023</strong> nun<br />

auch für 34f-Vermittler, muss der<br />

Kunde explizit gefragt werden, ob<br />

sein Investment umwelt-, sozial- und<br />

governancespezifische (ESG) Kriterien<br />

berücksichtigen soll. Wenn ja, soll<br />

ihm ein passendes ESG-Investment<br />

empfohlen werden.<br />

ESG-Fonds haben jedoch im Vergleich<br />

zu konventionellen einen Nachteil:<br />

Der Ausschluss von Sektoren wie<br />

Rüstungsgüter oder die Favorisierung<br />

von Unternehmen mit einem niedrigen<br />

CO 2<br />

-Ausstoß verkleinern das<br />

Investmentuniversum und die Renditeoptionen<br />

fürs Fondsmanagement.<br />

Für die Performance muss das nicht<br />

zwingend schlecht sein. Die Fokus-<br />

Was Sie erfahren<br />

werden:<br />

Wie das Fondsuniversum<br />

eingeschränkt ist<br />

Welche Aussagekraft die<br />

kurzfristige Performance hat<br />

Die Handhabung bei der<br />

ESG-Abfrage<br />

Illustration: Roman Kulon


Nachhaltigkeit INVESTMENTFONDS | 23<br />

Performancevergleich: globale Aktienfonds mit und ohne ESG<br />

Jahre<br />

3 5 3 5 3 3<br />

3 5 3 5 3 5 3 5<br />

60,7<br />

50,4 51,4<br />

27,7<br />

39,5<br />

22,4<br />

29,8<br />

36,5<br />

24,7<br />

27,4<br />

24,9<br />

26,9<br />

41,5<br />

39,3<br />

Allianz<br />

Global<br />

Sustainability<br />

Allianz<br />

Global<br />

Equity Insights<br />

Deka-<br />

Nachhaltigkeit<br />

GlobalChampions<br />

Deka-<br />

Global<br />

Champions<br />

DWS<br />

Invest ESG<br />

Equity Income<br />

DWS<br />

Top Dividende<br />

Uni<br />

Nachhaltig<br />

Aktien Global<br />

Uni<br />

Global<br />

ESG-Fonds<br />

konventioneller Fonds<br />

Wertentwicklung in % kumuliert Quelle: Factsheets der Anbieter, eigene Recherche; Stand: 30.9.<strong>2023</strong><br />

3<br />

sierung auf eine bestimmte Gruppe<br />

von Unternehmen, das heißt auf<br />

solche mit guten ESG-Ratings, kann<br />

das Risiko in einem Portfolio senken,<br />

von einer bösen Überraschung am<br />

Kapitalmarkt erwischt zu werden.<br />

Man denke da an prominente Beispiele<br />

wie den VW-Dieselskandal. Es gibt<br />

auch zahlreiche Studien, die zeigen,<br />

dass eine ESG-Strategie das Portfolio<br />

schwankungsresistenter macht und<br />

somit zur Outperformance beiträgt.<br />

Geduldsprobe für Sparer<br />

Doch dafür muss der Sparer im<br />

Zweifel viel Geduld aufbringen. Denn<br />

angesichts der begrenzten Investmentmöglichkeiten<br />

können ESG-Investments<br />

den Anleger immer wieder<br />

Geld kosten. So hat eine Stichprobe<br />

bei vier globalen Aktienfonds ergeben,<br />

dass die Fonds ohne ESG in den<br />

letzten drei Jahren besser performt<br />

haben als die mit ESG (siehe Grafik).<br />

Grund für den Performanceunterschied<br />

sind Experten zufolge der Beginn<br />

des Ukraine-Kriegs im Frühjahr<br />

2022 sowie die höheren Energiepreise,<br />

die sowohl mit dem Krieg als auch<br />

mit dem Ende der Corona-Pandemie<br />

im selben Jahr zu tun haben. „Renditen<br />

von ESG-Investments waren bis<br />

zum Beginn des Kriegs meist nicht<br />

schlechter als die von vergleichbaren<br />

traditionellen Investments. Seitdem<br />

rentieren die bei Nachhaltigkeitsfonds<br />

meist ausgeschlossenen bzw.<br />

stark untergewichteten Branchen<br />

wie fossile Energie und Rüstung besonders<br />

gut“, sagt zum Beispiel der<br />

ESG-Experte Dirk Söhnholz (siehe<br />

Interview). Tatsächlich weisen die<br />

untersuchten konventionellen Fonds<br />

ein höheres Exposure zum Energiesektor<br />

auf als die ESG-Varianten. Im<br />

Falle des DWS-Fonds (Top Dividende)<br />

und des Allianz-Fonds (Global Equity<br />

Insights) gehörten größere Öl- und<br />

Gasunternehmen zu den Top-Ten-Beteiligungen<br />

im Portfolio.<br />

»Wie alle Investments<br />

können auch<br />

nachhaltige Anlagen<br />

zeitweise Renditenachteile<br />

haben.«<br />

Prof. Dr. Dirk Söhnholz<br />

Soehnholz ESG GmbH<br />

Zutreffend ist aber auch, dass die<br />

Schwäche der untersuchten ESG-<br />

Fonds nur vorübergehend sein<br />

könnte. Für die Stichprobe wurden<br />

Zeiträume von drei bis fünf Jahren gewählt,<br />

und dabei war der ESG-Fonds<br />

der DWS auf Sicht von fünf Jahren<br />

besser. Es gilt auch zu erwähnen, dass<br />

die Performance von ETFs, die die<br />

ESG-Indizes von MSCI abbilden, in<br />

den letzten drei Jahren etwas besser<br />

war als die von ETFs auf den MSCI<br />

World. Nur: Angesichts der hohen Gewichtung<br />

von Tech-Unternehmen wie<br />

Microsoft und Alphabet oder Süßgetränkeherstellern<br />

wie Coca-Cola und<br />

Pepsi in den ESG-Indizes kann man<br />

die berechtigte Frage stellen, ob sie<br />

wirklich so nachhaltig sind.<br />

Dilemma für Berater<br />

Die Stichprobe zeigt jedenfalls, dass<br />

der Vermittler vor einem Dilemma<br />

steht, wenn er im Rahmen der NPA<br />

feststellt, dass die Performance des<br />

ESG-Produkts schlechter ist als die<br />

des konventionellen Fonds. Was also<br />

tun? Branchenexperten meinen,<br />

dass im Beratungsgespräch durchaus<br />

erklärt werden sollte, dass die Begrenzung<br />

der Investmentmöglichkeiten<br />

Renditenachteile mit sich bringen<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


24 | INVESTMENTFONDS Nachhaltigkeit<br />

»Kurzfristige Renditen<br />

wenig aussagekräftig«<br />

Prof. Dr. Dirk Söhnholz, Geschäftsführer Soehnholz ESG GmbH<br />

<strong>procontra</strong>: Eine Stichprobe bei globalen<br />

Aktienfonds hat ergeben, dass<br />

die Fonds, die ESG-Kriterien berücksichtigen,<br />

in den letzten drei Jahren<br />

schlechter performt haben als die, die<br />

die Kriterien nicht berücksichtigen.<br />

Woran liegt das?<br />

Dirk Söhnholz: Renditen von ESG-Investments<br />

waren bis zum Beginn des<br />

Ukraine-Kriegs meist nicht schlechter<br />

als die von vergleichbaren traditionellen<br />

Investments. Seitdem rentieren<br />

bei Nachhaltigkeitsfonds meist<br />

ausgeschlossene bzw. stark untergewichtete<br />

Branchen wie fossile Energie<br />

und Rüstung besonders gut. Manche<br />

Nachhaltigkeitsanbieter gewichten<br />

auch Tech-Investments relativ niedrig,<br />

weil diese ihre Mindest-Sozialkriterien<br />

nicht erfüllen. Das Risiko von nachhaltigen<br />

war aber oft geringer als<br />

das von traditionellen Investments,<br />

weil gute ESG-Ratings meist niedrige<br />

Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsrisiken<br />

bedeuten, die einen<br />

immer wichtigeren Gesamtrisikoanteil<br />

ausmachen.<br />

<strong>procontra</strong>: Bestätigt die Stichprobe,<br />

dass Nachhaltigkeit den Kunden Geld<br />

kostet?<br />

Söhnholz: Wie alle Investments<br />

können auch nachhaltige Investments<br />

zeitweise Renditenachteile haben,<br />

aber auch Outperformance bringen,<br />

wie vor dem Beginn des Kriegs. Die<br />

Risiken von Investments, die ESG-Kriterien<br />

berücksichtigen, sind dagegen<br />

konzeptionell niedriger als die von<br />

traditionellen Investments. Viele<br />

Studien zeigen, dass man schon mit<br />

wenigen Wertpapieren sehr gut diversifizieren<br />

kann. Und auch mit breit<br />

gestreuten Index-Investments kann<br />

man sehr hohe Verluste erleiden, wie<br />

die Dotcom-Krise im Jahr 2000 oder<br />

die Finanzkrise 2008 gezeigt haben.<br />

<strong>procontra</strong>: Wie löst der Berater das<br />

Dilemma, dass er im Rahmen der ESG-<br />

Präferenzabfrage ein schlechteres<br />

ESG-Produkt vorschlagen müsste?<br />

Söhnholz: Vergangene und besonders<br />

kurzfristige Renditen allein sagen<br />

meist wenig über Produktqualität aus.<br />

Gut gemachte ESG-Produkte haben<br />

typischerweise geringere Risiken als<br />

traditionelle Investments. Manche<br />

Theoretiker erwarten, dass niedrigere<br />

ESG-Risiken auch mit geringeren<br />

Renditen verbunden sein müssten.<br />

Allerdings haben Portfolios mit<br />

geringen Schwankungen oft höhere<br />

Renditen gehabt. Aktuell relativ<br />

niedrige Bewertungen und die<br />

erwartete steigende Nachfrage nach<br />

nachhaltigen Investments können<br />

künftig gute Renditen bringen. Berater<br />

sollten aber weder künftige Undernoch<br />

Outperformance suggerieren.<br />

könnte. Gleichzeitig auch betonen,<br />

dass diese nur von kurzer Dauer sein<br />

könnten und dass man mit solch<br />

einem Investment etwas Positives<br />

bewirken möchte. Die Rendite steht<br />

also nicht im Vordergrund bei einer<br />

Entscheidung für ESG.<br />

AfW-Vorstand Norman Wirth ist<br />

jedoch von der langfristigen Perfor-<br />

mance von ESG-Investments überzeugt.<br />

Er sagt: „Persönlich bin ich<br />

davon überzeugt, dass sich, wegen der<br />

unbedingten Notwendigkeit einer<br />

Hinwendung zu mehr Nachhaltigkeit<br />

und dem dazu auch erklärten politischen<br />

Willen, ein langfristiges<br />

Engagement in nachhaltige Finanzprodukte<br />

definitiv auszahlen wird.“<br />

Long Story short<br />

ESG-Verbindlichkeit schränkt<br />

Investmentuniversum ein.<br />

Renditeeffekte sollten in der<br />

Beratung erklärt werden.<br />

Langfristige Outperformance<br />

dennoch möglich<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Policierung im Nullkommanix.<br />

Läuft einfach.


26 | INVESTMENTFONDS Gesundheitsfonds<br />

Gesunde Beimischung<br />

Der Fortschritt verschiebt auch die Grenzen der Medizin. Das sorgt für Dynamik in einem<br />

ansonsten defensiven Sektor. Fonds bieten sich für ein Langfristinvestment an.<br />

ST STEFAN TERLIESNER<br />

Was Sie erfahren<br />

werden:<br />

Wie der Gesundheitssektor<br />

gegenüber dem Gesamtmarkt<br />

performt<br />

Welche Fonds für ein Langfristinvestment<br />

infrage<br />

kommen<br />

Wie die Branche defensiv und<br />

wachstumsstark vereint<br />

Auch diesen Winter rollen Grippe-<br />

und Corona-Wellen über die<br />

Menschen hinweg. Dann reichen<br />

Ärzte und Apotheken wieder jede<br />

Menge Medikamente aus – und in<br />

den Kassen der Hersteller klingeln<br />

die Münzen. Die Gesundheit geht<br />

halt vor. Auch deshalb sollten Anleger<br />

ihrem Depot Anteile von Healthcare-<br />

Aktienfonds beimischen. Auf mittlere<br />

bis lange Sicht überzeugt ihre Performance<br />

(siehe Tabelle).<br />

Besser als der Gesamtmarkt<br />

Laut „Börsen-Zeitung“ hat der<br />

Branchenindex MSCI Healthcare von<br />

September 2008 bis September <strong>2023</strong><br />

eine Wertsteigerung von 462 Prozent<br />

erwirtschaftet, während der MSCI<br />

World in diesem Zeitraum auf eine<br />

Performance von 350 Prozent kam.<br />

Dabei falle die Volatilität, also das<br />

Ausmaß der Kursschwankungen und<br />

damit das Anlagerisiko, niedriger<br />

aus als beim gesamten Aktienmarkt.<br />

Die Outperformance hat der Sektor<br />

erzielt, obwohl viele Aktienkurse von<br />

Gesundheitskonzernen nach dem<br />

Boom während der Corona-Pandemie<br />

kräftig gesunken sind. Beobachtern<br />

zufolge sind Healthcare-Aktien derzeit<br />

im langfristigen Vergleich eher<br />

moderat bewertet.<br />

Zu einer chancenreichen Anlage<br />

macht den Gesundheitssektor vor<br />

allem die Wachstumsperspektive.<br />

Dies betont Alex Gold, Fondsmanager<br />

des Fidelity Global Health Care,<br />

gegenüber <strong>procontra</strong>: „Wir leben<br />

immer länger, und die Weltbevölkerung<br />

altert dramatisch. Die Nachfrage<br />

nach Gesundheitsleistungen nimmt<br />

zu. Diese Leistungen und Produkte<br />

sind für uns alle greifbar. Der Gesundheitssektor<br />

ist deswegen für Anleger<br />

interessant, die in einen defensiven,<br />

weitestgehend konjunkturunabhängigen<br />

Wirtschaftsbereich investieren<br />

Illustration: Eleonora Mavromati


Gesundheitsfonds INVESTMENTFONDS | 27<br />

wollen.“ Das gelte speziell für Bereiche<br />

wie Pharmazie, Biotechnologie,<br />

Gesundheitsversicherungen oder<br />

Medizintechnik.<br />

Unverzichtbare Produkte<br />

Den Anlagestrategen von Janus<br />

Henderson Investors zufolge haben<br />

85 Prozent des Sektors „defensive“ Eigenschaften.<br />

Denn so groß sei der Anteil<br />

an Arzneimitteln, medizinischen<br />

Geräten und Gesundheitsdiensten,<br />

und diese seien quasi unverzichtbar.<br />

Die restlichen 15 Prozent entfielen auf<br />

Biotechnologieunternehmen. Dieser<br />

Teilsektor umfasse auch innovative<br />

– und typischerweise volatile – Small-<br />

und Mid-Cap-Unternehmen, die ein<br />

größeres Wachstumspotenzial bieten.<br />

Ein Beispiel ist BioNTech.<br />

Die Ausführungen verdeutlichen<br />

die Breite des Anlageuniversums. In<br />

vielen Fonds enthalten sind die US-<br />

Firmen United Health Group, Thermo<br />

»Der Gesundheitssektor<br />

ist ein<br />

weitestgehend<br />

konjunkturunabhängiger<br />

Wirtschaftsbereich.«<br />

Alex Gold, Fondsmanager<br />

bei Fidelity International<br />

Fondsname<br />

Fisher, Eli Lilly, Johnson & Johnson<br />

und Merck & Co. Die USA sind der<br />

größte Markt für Gesundheitsprodukte<br />

und -dienstleistungen; es folgen<br />

China, Japan und Deutschland. Aus<br />

Europa häufiger in Healthcare-Fonds<br />

enthalten sind Roche, Sanofi und<br />

Astra Zeneca.<br />

»Volkskrankheiten« als Treiber<br />

Für Gesprächsstoff sorgt seit einigen<br />

Monaten Novo Nordisk aus Dänemark.<br />

In den vergangenen fünf Jahren<br />

ist die Aktie um rund 400 Prozent<br />

gestiegen, die Gesellschaft und ist<br />

jetzt das wertvollste europäische Börsenunternehmen.<br />

Ihren Höhenflug<br />

verdanken die Dänen der Nachfrage<br />

nach ihren Produkten gegen Diabetes<br />

ISIN<br />

und Fettleibigkeit. Bei Letzterer handelt<br />

es sich laut der Weltgesundheitsorganisation<br />

WHO um eine Krankheit<br />

Gesundheit fürs Depot<br />

Auswahl thesaurierender Aktienfonds; Ranking gemäß 3-Jahres-Performance<br />

Rendite p. a. in %<br />

3<br />

Jahre<br />

5<br />

Jahre<br />

10<br />

Jahre<br />

lfd.<br />

Kosten<br />

p. a. in %<br />

Fidelity Global Health Care Fund A EUR LU0261952419 5,4 7,6 9,9 1,9<br />

DWS Health Care Typ O DE0009769851 5,4 6,0 9,1 0,9<br />

JPM Global Healthcare A EUR LU0880062913 4,0 7,0 9,4 1,7<br />

Bellevue Medtech & Services B EUR LU0415391431 2,4 5,7 11,8 2,2<br />

Pictet Health P EUR LU0255978776 0,6 3,5 7,7 2,0<br />

Long Story short<br />

Quelle: Morningstar, Stand: 6.11.<strong>2023</strong><br />

mit epidemischen Ausmaßen. Zwei<br />

Drittel der Menschen in der EU seien<br />

zu dick, in Deutschland rund 57 Prozent.<br />

Novo Nordisk ist unter anderem<br />

mit seinem Appetitzügler Wegovy in<br />

diesem Markt aktiv. Das Unternehmen<br />

berichtete schon von Lieferengpässen.<br />

Konkurrenzprodukte gibt es<br />

von Eli Lilly und Roche.<br />

Solche Beispiele belegen die Dynamik<br />

im Gesundheitssektor. Innovationen<br />

eröffnen bei einzelnen Unternehmen<br />

immer wieder großes Kurspotenzial.<br />

Auch aus diesem Grund ist ein<br />

Investment in entsprechende Fonds<br />

interessant. Nach unten ist der Kurs<br />

einer Fondsanlage mittel- bis langfristig<br />

gut abgesichert, denn die wachsende<br />

Weltbevölkerung sowie die<br />

zunehmende Alterung und der<br />

steigende Wohlstand in vielen Staaten<br />

sorgen für solide Nachfrage.<br />

Für ihre Gesundheit geben Menschen immer Geld aus.<br />

Innovationen und Demografie sind Treiber im Gesundheitsmarkt.<br />

Healthcare-Fonds sind ein attraktives Langfristinvestment.<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


28 | VERSICHERUNGEN Steile Thesen 2024<br />

STEILE THESEN 2024<br />

+++ Riester-Rente reformiert +++ Fusionswelle bei VVaG +++ Elementarversicherung<br />

wird Pflicht +++ Wohngebäudeversicherung mit roten Zahlen +++ Versicherer geben<br />

Cybersparte auf +++ Sozialpartnermodell auf Kippe +++ ZZR als Ertragsquelle +++<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Magere Renditen, hohe Kosten<br />

und eine Abwendung des Vertriebs<br />

– die Riester-Rente hat<br />

ein schlechtes Image. Konkrete<br />

Reformvorschläge der Fokusgruppe<br />

Altersvorsorge lassen auf ein<br />

Revival hoffen.<br />

STEILE THESE:<br />

»Die neue Riester-Rente<br />

wird vorgestellt.«<br />

Im Juli dieses Jahres stellte die von<br />

der Bundesregierung eingesetzte<br />

Fokusgruppe private Altersvorsorge<br />

Reformvorschläge vor, die in der<br />

Branche überwiegend positiv aufgenommen<br />

wurden.<br />

Kein öffentlich verwalteter Staatsfonds,<br />

stattdessen Bestandsschutz für<br />

die 16 Millionen bestehenden Riester-<br />

Verträge. Die Garantievorgaben sollen<br />

flexibilisiert werden, sodass stärker<br />

am Kapitalmarkt investiert werden<br />

kann und weniger Investitionen in<br />

Rentenfonds notwendig sind. Zudem<br />

wird ein Altersvorsorgedepot,<br />

bei dem das Geld zum Beispiel in<br />

börsengehandelten Indexfonds (ETFs)<br />

angelegt wird, vorgeschlagen. Freiwillige<br />

Garantien für extrem sicherheitsorientierte<br />

Anleger sollen aber<br />

möglich bleiben.<br />

Des Weiteren sollen die Fördergrenzen<br />

steigen, ein Anbieterwechsel<br />

einfacher werden und eine bessere<br />

Vergleichbarkeit durch mehr Transparenz<br />

geschaffen werden. Allerdings<br />

wird auch eine Abkehr von der<br />

»Ich sehe Licht und<br />

Schatten. Es ist noch<br />

ein weiter Weg bis<br />

zum Gesetz.«<br />

Professor Dr. Jochen Ruß,<br />

Institut für<br />

Aktuarwissenschaften ifa<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Die Zinswende macht Riester-Renten wieder attraktiver, wodurch<br />

der Reformbedarf aber nicht verschwindet. Die Politik ist<br />

entschlossen, kommendes Jahr Nägel mit Köpfen zu machen.<br />

lebenslangen Verrentung vorgeschlagen.<br />

„Ich sehe im Abschlussbericht<br />

Licht und Schatten, vieles ist vage<br />

formuliert. Es ist noch ein weiter Weg<br />

bis zum Gesetzentwurf, wie die<br />

Umsetzung konkret erfolgt, bleibt<br />

spannend“, lautet die Einschätzung<br />

von Prof. Jochen Ruß vom Institut für<br />

Aktuarwissenschaften der Universität<br />

Ulm. Das Bundesfinanzministerium<br />

ist jedenfalls entschlossen: „Dem BMF<br />

ist es ein Anliegen, schnelle und<br />

konkrete gesetzgeberische Schritte<br />

folgen zu lassen. Das Gesetzgebungsverfahren<br />

dazu soll nach Vorstellung<br />

des BMFs im kommenden Jahr<br />

erfolgen und abgeschlossen werden“,<br />

sagte ein Sprecher auf Anfrage von<br />

<strong>procontra</strong>. Es geht also voran.<br />

80 %<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Steile Thesen 2024 VERSICHERUNGEN | 29<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Im September wurde bekannt,<br />

dass die Barmenia und die<br />

Gothaer Versicherungen einen<br />

Zusammenschluss auf Augenhöhe<br />

planen. Beide sind VVaG, eine<br />

gemeinsame Holding würde in die<br />

Assekuranz-Top-Ten aufsteigen.<br />

STEILE THESE:<br />

»Es kommt zu einer Fusionswelle<br />

unter den Versicherungsvereinen<br />

auf Gegenseitigkeit.«<br />

aktuellen Fall ergänzen sich zwei mittelgroße<br />

Versicherer mit der gleichen<br />

Rechtsform und einer ähnlichen<br />

Firmenkultur. Die Barmenia ist in der<br />

Krankenversicherung, die Gothaer<br />

im Bereich Komposit stark. Und: „Die<br />

Gothaer wächst insbesondere im Firmenkundenbereich<br />

über alle Sparten,<br />

die Barmenia zeigt eine sehr dynamische<br />

Entwicklung im Privatkundengeschäft“,<br />

so Dr. Andreas Eurich,<br />

Vorstandsvorsitzender der Barmenia<br />

bei Bekanntgabe der Pläne, zu denen<br />

auch eine dreijährige Beschäftigungsgarantie<br />

für die Arbeitsplätze der<br />

Mitarbeiter gehört.<br />

Kann die Barmenia Gothaer Finanzholding<br />

AG, die im dritten Quartal<br />

2024 vollzogen sein soll, Modell für<br />

weitere Fusionen sein? Schließlich<br />

verbessern sich Investitionskraft und<br />

Risikotragfähigkeit in einer größeren<br />

Markteinheit. Und die regulatorischen<br />

Herausforderungen dürften<br />

den Versicherungsunternehmen<br />

dann auch leichter fallen.<br />

Fusionen unter gleichberechtigten<br />

Partnern geschehen in der Versicherungswirtschaft<br />

nicht sehr häufig,<br />

Verschmelzungen und Übernahmen<br />

sind schon eher das Tagesgeschäft. Im<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Viele Wettbewerber werden den Fortgang der Fusion genauestens<br />

verfolgen. Ein Erfolg könnte durchaus ein starkes Signal<br />

für die weitere Konsolidierung in dieser Branche sein.<br />

55 %<br />

Elementargefahren durch Naturgewalten<br />

müssen in Deutschland<br />

speziell versichert werden. Sie werden<br />

in Kombination mit einer Gebäude-<br />

und Hausratversicherung oder durch<br />

Erweiterung bestehender Verträge<br />

abgeschlossen. In Deutschland ist<br />

bislang nur rund die Hälfte der Hausbesitzer<br />

gegen Elementargefahren<br />

geschützt. Aufgrund der enormen<br />

Schäden und der zunehmenden<br />

Häufigkeit von Elementarereignissen<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Sturmtief Bernd sorgte im Juli<br />

2021 für 33 Milliarden Euro<br />

Schäden. Nur ein Bruchteil davon<br />

war versichert. Eine Versicherungspflicht<br />

gegen Elementargefahren<br />

hätte vielerorts die Folgen<br />

abgemildert.<br />

durch den Klimawandel wird die Einführung<br />

einer Versicherungspflicht<br />

debattiert. Diese ist verfassungsrechtlich<br />

zwar möglich, wurde bisher aber<br />

von Justizminister Marco Buschmann<br />

(FDP) abgelehnt. Immerhin: Soweit<br />

der Bund selbst keine Regelung trifft,<br />

haben die Länder laut Grundgesetz<br />

die Gesetzgebungskompetenz dafür.<br />

Der Bundesrat stimmte im März <strong>2023</strong><br />

für die Einführung einer Pflichtversicherung<br />

für Elementarschäden. Das<br />

erhöht den Druck auf die Bundesregierung,<br />

zu handeln. Die FDP bleibt<br />

bisher aber bei ihrer Ablehnung, sie<br />

befürchtet ansonsten eine erhebliche<br />

STEILE THESE:<br />

»Elementarversicherung wird<br />

bundesweit zur Pflicht.«<br />

Erhöhung der Kosten für Wohnraum.<br />

Zudem werde der Anreiz für Präventionsmaßnahmen<br />

abgeschwächt.<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Die Branche ist in dieser Frage gespalten.<br />

Auf Bundesebene ist keine Pflichtversicherung<br />

in Sicht, aber zumindest<br />

einzelne Bundesländer könnten durchaus<br />

bald handeln.<br />

15 %<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


30 | VERSICHERUNGEN Steile Thesen 2024<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Die Vermittler werden immer älter,<br />

sowohl in der Ausschließlichkeit<br />

als auch im freien Maklervertrieb.<br />

Die Versicherungswirtschaft<br />

bemüht sich daher verstärkt um<br />

qualifizierten Nachwuchs.<br />

Der größte Part der Vermittler hat<br />

laut einer Studie des BVK ein Alter<br />

zwischen 50 und 59 Jahren. Fast die<br />

Hälfte der Berufsgruppe (44,5 Prozent)<br />

gehört zu dieser Alterskohorte.<br />

17,2 Prozent sind über 60. Knapp jeder<br />

sechste Vermittler ist demnach vom<br />

Ruhestand nicht mehr weit entfernt.<br />

Und nur 1,9 Prozent aller Befragten<br />

waren jünger als 30 Jahre.<br />

Das Nachwuchsproblem der Branche<br />

ist mit Händen zu greifen. Hinzu<br />

kommt, dass das traditionell schlechte<br />

Image es schwierig macht, junge<br />

Menschen für den Beruf eines<br />

Versicherungsvermittlers oder<br />

Finanzanlagenberaters zu begeistern.<br />

In der Schule findet Finanzbildung<br />

bisher kaum statt. Der klassische<br />

Einstieg erfolgt meist immer noch<br />

über eine Bank- oder Versicherungslehre.<br />

Eine Akademisierung des<br />

Beraterberufs hat seit der Regulierung<br />

des Berufsstandes kaum<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

STEILE THESE:<br />

»Versicherungsbranche erfährt<br />

einen dringend notwendigen<br />

Nachwuchsschub.«<br />

Ein Anfang ist gemacht, aber es wird noch viel mehr Anstrengungen<br />

brauchen, um das Potenzial junger, motivierter Menschen<br />

aus der Generation Z für den Vermittlerberuf zu aktivieren.<br />

stattgefunden. Auf der DKM ging man<br />

das Problem mit frischem Elan an.<br />

Erstmals war ein eigener Bereich für<br />

den Vermittlernachwuchs (Young<br />

DKM) mit eigenem Bühnenprogramm<br />

gestaltet. Zum zweiten<br />

Messetag wurden zudem mehr als<br />

300 junge Studierende eingeladen,<br />

sich einen eigenen Eindruck von der<br />

Versicherungsbranche zu machen.<br />

50 %<br />

STEILE THESE:<br />

»Versicherer<br />

kapitulieren<br />

vor Cyberrisiken<br />

und<br />

stellen<br />

Geschäft ein.«<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Cyberversicherungen haben Konjunktur,<br />

schließlich wachsen die<br />

Bedrohungen sowohl für private<br />

Haushalte als auch für Unternehmen.<br />

Damit steigt auch der Umfang der zu<br />

regulierenden Schäden. Laut GDV<br />

verzeichneten die Cyberversicherer<br />

2021 erstmals mehr Aufwendungen<br />

als Einnahmen. „Unter dem Strich<br />

betrug die Schaden-Kosten-Quote fast<br />

124 Prozent nach 65 Prozent ein Jahr<br />

zuvor“, rechnete Jörg Asmussen,<br />

Hauptgeschäftsführer des GDV, vor.<br />

Die Vertragszahlen legten weiter zu,<br />

2022 gingen Schäden und die Schaden-Kosten-Quote<br />

wieder zurück (auf<br />

78 Prozent). Aktuell werden steigende<br />

Beitragseinnahmen bei deutlich<br />

wachsendem Schadenaufwand<br />

verzeichnet. Die Cyberversicherung<br />

ist eine junge Sparte, die Anbieter<br />

sammeln noch Erfahrungen, dennoch<br />

möchte sich niemand eine<br />

chronisch defizitäre Sparte leisten.<br />

Die Versicherer plädieren daher für<br />

mehr Prävention, insbesondere im<br />

Mittelstand. Schließlich sollen<br />

Cyberversicherungen „das Restrisiko“<br />

eines erfolgreichen Angriffs absichern<br />

– dieser Schutz setze aber laut<br />

GDV ein gewisses Maß an IT-Sicherheit<br />

voraus.<br />

Laut Bitkom entstand der deutschen<br />

Wirtschaft 2022 ein Schaden von<br />

203 Milliarden Euro durch Diebstahl<br />

von IT-Ausrüstung/Daten, Spionage<br />

und Sabotage. 84 Prozent der Unternehmen<br />

waren betroffen.<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Mit einem umfassenden Rückzug der Anbieter aus dem Wachstumsmarkt<br />

Cyber ist nicht zu rechnen. Stattdessen werden<br />

eher die Anforderungen an die Sicherheit von Cyberversicherungen<br />

ebenso wie die Beiträge erhöht werden.<br />

25 %<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Steile Thesen 2024 VERSICHERUNGEN | 31<br />

STEILE THESE:<br />

»Sozialpartner modell<br />

wird wieder<br />

abgeschafft.«<br />

STEILE THESE:<br />

»Zinszusatzreserve wird<br />

wichtigste Ertragsquelle<br />

für Lebens versicherer.«<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Im 2018 eingeführten BRSG war das Sozialpartnermodell<br />

ein Herzstück. Arbeitgeber geben hier lediglich eine reine<br />

Beitragszusage. Doch in der Praxis wird dieser bAV-<br />

Durchführungsweg bisher kaum genutzt.<br />

Da die Betriebsrenten seit Jahren bei zuletzt rund<br />

21 Millionen aktiven Anwartschaften stagnieren, hatte<br />

die Große Koalition Arbeitgebern und Gewerkschaften<br />

mit dem BRSG die Möglichkeit eingeräumt, per<br />

Tarifvertrag Betriebsrenten mit reiner Beitragszusage<br />

einzuführen. Die Arbeitnehmer können hier zwar<br />

renditeträchtigere Anlagen auswählen, tragen aber<br />

auch weitgehend das Kapitalmarktrisiko. Sie erhalten<br />

keine Rentenhöhe garantiert. Doch bis heute gibt es<br />

nur ein einziges branchenweites Sozialpartnermodell,<br />

das von der Gewerkschaft IG BCE und dem Arbeitgeberverband<br />

BAVC für die chemisch-pharmazeutische<br />

Industrie vereinbart wurde. Ein Modell der Talanx mit<br />

der Gewerkschaft ver.di befindet sich seit längerer<br />

Zeit in der Genehmigungsphase bei der BaFin.<br />

Ablehnung bei den Gewerkschaften<br />

Der jüngste Tiefschlag: Der Gewerkschaftstag lehnte<br />

kürzlich das Sozialpartnermodell im Organisationsbereich<br />

der IG Metall ab. Dabei gab es schon weit<br />

gediehene Vorarbeiten der Gewerkschaft in Baden-<br />

Württemberg zusammen mit dem Arbeitgeberverband<br />

Südwest metall. Aber eine Betriebsrente ohne<br />

Garantien mit Kapitalmarktrisiko war der Klientel<br />

einfach nicht vermittelbar.<br />

Klassische Lebensversicherungen<br />

verkauften<br />

sich laut GDV im<br />

vergangenen Jahr<br />

wesentlich schlechter,<br />

die Zahl der Neuabschlüsse<br />

ging um<br />

18,8 Prozent zurück.<br />

Aufgrund der hohen<br />

Inflation rechneten Verbraucher mit spitzem Bleistift und<br />

reduzierten ihre Vorsorgeaufwendungen. Mit –15,8 Prozent<br />

verzeichneten auch Risikoversicherungen, zu denen<br />

Risikolebensversicherungen gehören, ein dickes Minus. Die<br />

Gründe liegen auf der Hand: viele Menschen verschoben<br />

aufgrund der gestiegenen Zinsen einen Immobilienkauf<br />

oder begruben ihre Pläne für ein Eigenheim.<br />

Entlastung erfahren die Lebensversicherer hingegen durch<br />

die Zinszusatzreserve (ZZR). Durch den raschen und erheblichen<br />

Zinsanstieg ist der Zuführungsbedarf zur ZZR weggefallen.<br />

Um ihre Garantieversprechen abzusichern, hatten<br />

die Lebenversicherer zuvor fast 100 Milliarden Euro zurückgestellt,<br />

meist über die Anzapfung stiller Reserven. Seit 2022<br />

gibt es erste Rückflüsse.<br />

„Die Versicherer können sich begründete Hoffnung machen,<br />

auch in Zukunft ZZR-Mittel abbauen zu können.<br />

Selbst falls die Zinsen wieder sinken sollten, ist zunächst<br />

nicht von einem Rückgang des Referenzzinses auszugehen“,<br />

so Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung<br />

bei Assekurata. Dies ergebe sich aus der zugrunde liegenden<br />

Berechnungsmethodik des Referenzzinses, für den Assekurata<br />

im Rahmen der Marktstudie verschiedene Zukunftsszenarien<br />

simuliert hat.<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Das Profil deutscher Lebensversicherer<br />

verändert sich nachhaltig.<br />

Das ehemalige Kerngeschäft spielt<br />

eine immer geringere Rolle, dafür<br />

ergeben sich durch die Zinswende<br />

erfreuliche Aussichten.<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Die Ampel hat sich im Koalitionsvertrag<br />

klar zum Sozialpartnermodell<br />

bekannt. Statt einer Abschaffung<br />

wird es eher auf eine<br />

Reform im Rahmen eines BRSG II<br />

(siehe Seite 57) hinauslaufen.<br />

65 %<br />

Die Anbieter werden abwägen, ob<br />

sie die frei werdenden Mittel aus der<br />

ZZR lieber dazu nutzen, die Überschussbeteiligung<br />

sofort zu erhöhen,<br />

oder ob sie die Risikotragfähigkeit<br />

weiter stärken.<br />

60 %<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


32 | VERSICHERUNGEN Steile Thesen 2024<br />

STEILE THESE:<br />

»Wohngebäudeabsicherung<br />

wird immer mehr<br />

zum Minusgeschäft.«<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Die Wohngebäudeversicherung gilt in Deutschland als defizitär.<br />

Aktuelle Rahmenbedingungen wie steigende Bau- und<br />

Lohnkosten lassen diese Sparte für Versicherer auch langfristig<br />

als unwirtschaftlich erscheinen.<br />

Im Katastrophenjahr 2021 betrug die Schaden-Kosten-Quote<br />

in der Wohngebäudeversicherung laut GDV<br />

139 Prozent, bei der Hälfte der Anbieter lag sie über<br />

100 Prozent. Makler berichteten von Beitragssteigerungen<br />

von bis zu 30 Prozent. Auch im vergangenen Jahr<br />

war die branchenweite Kennzahl mit 106 Prozent ein<br />

Verlustbringer. Viele Versicherer haben Beitragsanpassungen<br />

vorgenommen. Ein wesentlicher Grund dafür<br />

sind durch die Inflation massiv gestiegene Baukosten.<br />

Höhere Aufbaukosten für Wohnraum<br />

In Deutschland sind die meisten Gebäude zum gleitenden<br />

Neuwert versichert, das heißt ohne feste Versicherungssumme.<br />

Die Beiträge der Wohngebäudeversicherung<br />

werden jedes Jahr an die Baupreis- und<br />

Lohn kos ten entwicklung angepasst. Der Anpassungsfaktor<br />

betrug <strong>2023</strong> 14,7 Prozent, für 2024 liegt er bei 7,5 Prozent.<br />

„Bisher sind keine Rückzüge von Versicherern zu<br />

erkennen. Im Gegenteil, neue Tarife wurden bereits<br />

ausgerollt, weitere sollen folgen. Dabei spielen verbesserte<br />

Bedingungen, sicher aber auch eine angepasste<br />

Kalkulation, eine Rolle. Wir beobachten, dass Vorschäden<br />

bei der Antragsprüfung kritischer bewertet werden<br />

und es vermehrt zu Ablehnungen kommt“ betont Sascha<br />

Wiese, Leiter Privatkundengeschäft bei Netfonds.<br />

Tesla hat jüngst<br />

angekündigt, auch<br />

Telematik-Tarife<br />

im Rahmen seiner<br />

Kfz-Versicherung<br />

einzuführen.In<br />

Deutschland gibt<br />

es Telematik-Tarife<br />

zwar schon seit<br />

einiger Zeit, aber<br />

das Angebot blieb bisher übersichtlich. Manche Anbieter<br />

sehen diesen Ansatz kritisch, so hat etwa die HDI ihren<br />

Telematik-Tarif Ende 2019 eingestellt. Gerade neue Mobilitätsanbieter<br />

legen Wert darauf, dass der Kunde nur<br />

bezahlt, was er auch tatsächlich nutzt. Diese Philosophie<br />

steht hinter dem Konzept der Telematik-Tarife in der<br />

Kfz-Versicherung. Wer seine Fahrdaten tracken lässt und<br />

besonders sicher fährt, verursacht weniger Unfälle und<br />

kostet folglich den Versicherer weniger. Warum soll dieser<br />

Kunde nicht geringere Beiträge bezahlen als jemand,<br />

der riskanter fährt und öfter in Unfälle verwickelt ist?<br />

Zumal die Kundenbindung, wenn die Versicherer im<br />

Schadenfall überzeugen können, deutlich steigt. So<br />

könnten etwa die Sensorik im Fahrzeug und die damit<br />

verbundene App den Schadenfall melden, der dann<br />

erster Auslöser für weitere Kundenkommunikation ist.<br />

Zusatzinfos können über die App der Gesellschaft<br />

abgefragt werden, etwa Fotos von Lackschäden. Die<br />

Abwicklung geht schneller; Kunden werden digital auf<br />

dem Laufenden gehalten, was ihre Zufriedenheit<br />

steigert.<br />

STEILE THESE:<br />

»Telematik-Tarife<br />

schaffen den<br />

Durchbruch.«<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Mit Telematik-Tarifen können<br />

Versicherer das individuelle Fahrverhalten<br />

ihrer Kunden besser<br />

verstehen und personalisierte<br />

Versicherungstarife anbieten.<br />

Versicherte sehen dies jedoch oft<br />

noch skeptisch.<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Eine Wohngebäudeversicherung<br />

gehört zum Standardarsenal eines<br />

Versicherers, ein Rückzug wäre auch<br />

eine Imagefrage. Wer es sich leisten<br />

kann, wird weiter Flagge zeigen.<br />

35 %<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Um das volle Potenzial dieser<br />

Technologie auszuschöpfen, müssen<br />

noch Fragen des Datenschutzes<br />

gelöst und die bislang mangelnde<br />

Akzeptanz überwunden werden. Das<br />

ist nur eine Frage der Zeit.<br />

65 %<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Steile Thesen 2024 VERSICHERUNGEN | 33<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Sechs Jahre nach Einführung des<br />

Betriebsrentenstärkungsgesetzes<br />

nutzt lediglich jeder dritte<br />

Beschäftigte (37 Prozent) die Entgeltumwandlung<br />

in der bAV.<br />

STEILE THESE:<br />

»Arbeitgeber müssen über<br />

Recht auf Entgeltumwandlung<br />

aufklären.«<br />

Fast jeder zweite Arbeitnehmer<br />

(45 Prozent) nimmt laut einer Studie<br />

von Deloitte an, dass sein Arbeitgeber<br />

keine bAV anbietet, auch nicht im<br />

Rahmen der Entgeltumwandlung.<br />

Das ist der Hauptgrund dafür, dass<br />

keine bAV abgeschlossen wird. Dabei<br />

besteht ein gesetzlicher Anspruch<br />

darauf, wenn Beschäftigte in der<br />

gesetzlichen Rentenversicherung<br />

pflichtversichert sind. Doch müssen<br />

Arbeitgeber ihre Mitarbeiter nicht<br />

von sich aus auf den Anspruch auf<br />

Entgeltumwandlung im Rahmen der<br />

bAV hinweisen (BAG, Urteil vom<br />

21.1.2014, 3 AZR 807/11). Das zu ändern<br />

erscheint auf den ersten Blick<br />

sinnvoll, der Teufel liegt aber im<br />

Detail. „Es müsste genau definiert<br />

werden: Welche Inhalte, in welchem<br />

Format, wann muss wer in welcher<br />

Art informiert werden? Und wann ist<br />

sichergestellt, dass die Information<br />

nicht nur erteilt, sondern auch<br />

individuell verstanden wurde? Mit<br />

der Übergabe, dem Abholen, dem<br />

Lesen?“, listet bAV-Expertin Cordula<br />

Vis-Paulus die Knackpunkte auf. Und<br />

wer soll informieren? Der Chef, die<br />

Buchhaltung, die Personalabteilung<br />

oder der Makler? Kurz: So wird das<br />

nicht funktionieren.<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Eine Verpflichtung der Arbeitgeber,<br />

über die bAV zu informieren, ist nur auf<br />

dem Papier eine gute Idee. In der Praxis<br />

wirft sie zu viele komplexe Fragen auf.<br />

25 %<br />

Das Niedrigzinsmodell hat Lebensversicherer<br />

mit teuren Garantien für<br />

Altverträge stark unter Druck gesetzt.<br />

Einige Versicherer wurden über einen<br />

Unternehmensverkauf als Ganzes an<br />

einen externen Spezialisten (Run-off-<br />

Plattform) verkauft. Andere Gesellschaften<br />

schlossen ihr Neugeschäft<br />

und wickeln die Verträge seitdem<br />

selbst ab (interner Run-off). In der<br />

Öffentlichkeit, insbesondere von<br />

Verbraucherschützern, gab es dazu<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Ein Dutzend Lebensversicherer<br />

hat das Neugeschäft eingestellt<br />

und den Bestand per Verkauf<br />

an Externe abgewickelt. Runoffs<br />

sind umstritten, weil die<br />

„verkauften“ Kunden Nachteile<br />

befürchten.<br />

STEILE THESE:<br />

»Neue Runoff-Welle<br />

unter den<br />

Lebensversicherern.«<br />

viel Kritik. Indes zeigte eine Studie<br />

von Assekurata, dass Kunden oftmals<br />

von einem Run-off durch Ertragsvor-<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Der Markt wird sich weiter konsolidieren. Run-off-Modelle<br />

sind mittlerweile etabliert. Angesichts eines herausfordernden<br />

Marktumfelds werden weitere Bestandsverkäufe erfolgen.<br />

teile profitierten. Die Zinswende hat<br />

die Finanzierungsbedingungen für<br />

die Altgarantien vieler Lebensversicherer<br />

verbessert. Doch Run-offs<br />

setzen reichlich Kapital und Managementkapazitäten<br />

frei, die anderweitig<br />

genutzt werden können. In diesem<br />

Jahr etwa verkaufte die Generali<br />

Deutschland ihre Pensionskasse an<br />

die Frankfurter-Leben-Gruppe, die<br />

auch den Bestand der Landeslebenshilfe<br />

übernehmen will. Der Verkauf<br />

von 720.000 Verträgen der Zurich an<br />

Viridium wurde wegen Zweifeln an<br />

der Zustimmung der BaFin bisher<br />

nicht vollzogen.<br />

85 %<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


34 | VERSICHERUNGEN Vertriebswege<br />

»Weniger Abschluss-, dafür<br />

mehr Bestandspflegeprovision«<br />

Die Inter will ihre Vertreterzahl bis 2026 fast verdoppeln.<br />

Dafür setzt man auch auf ein neues Provisionsmodell.<br />

Im Interview erläutert Vertriebsvorstand Michael Schillinger die Pläne.<br />

FB FLORIAN BURGHARDT<br />

Was Sie erfahren werden:<br />

Warum die Inter nun stärker auf die AO setzt<br />

Mit welchen Anreizen sie neue Partner lockt<br />

Was das für Makler bedeutet<br />

<strong>procontra</strong>: Manche Versicherer, zum<br />

Beispiel HDI und Nürnberger, wollen<br />

ihre Ausschließlichkeitsorganisation in<br />

den nächsten Jahren deutlich ausbauen.<br />

Haben Sie das Gleiche vor?<br />

Michael Schillinger: Ja. Mit Blick auf<br />

den „War for Talents“ haben wir uns die<br />

Frage gestellt, wen wir für uns gewinnen<br />

möchten und welche Vertriebswege<br />

für unsere Kundenzielgruppen zur<br />

Verfügung stehen. Im Ergebnis war und<br />

ist für uns das erste Standbein die Ausschließlichkeitsorganisation<br />

(AO), gleich<br />

neben dem Maklervertrieb. Dabei ist<br />

die AO ein stabilisierender Faktor, denn<br />

gute Vertriebspartner schaffen Beratungsqualität<br />

für die eigenen Produkte.<br />

Infolge dieser Überlegungen haben wir<br />

unser Qualitätsniveau neu definiert und<br />

deshalb auch unseren Ausschließlichkeitsvertrieb<br />

ein wenig ausgedünnt. Für<br />

diese Vermittler haben wir jetzt auch<br />

»Unser Ziel sind<br />

350 gebundene<br />

Vertriebspartner<br />

im Jahr 2026,<br />

also beinahe eine<br />

Verdopplung.«<br />

ein neues Karrieremodell entwickelt.<br />

<strong>procontra</strong>: Wie sieht dieses aus?<br />

Schillinger: Es erfüllt mehrstufig<br />

unseren Qualitätsanspruch, beinhaltet<br />

aber gleichzeitig wertschätzende<br />

Vergütungselemente für die Vermittler.<br />

Das bedeutet, unsere Vertriebspartner<br />

erhalten weniger Abschluss-, dafür<br />

mehr Bestandspflegeprovision. Letztere<br />

bemisst sich dabei unter anderem an<br />

der Qualität der Kommunikation des<br />

Vermittlers mit seinen Kunden und<br />

deren Zufriedenheitsquote. Im Prinzip<br />

wird unsere AO nun auch offiziell und<br />

direkt für die gute Bestandspflegearbeit<br />

vergütet, die sie schon immer leistet.<br />

Auch viele Vertriebspartner, die schon<br />

seit Langem für uns tätig sind, haben<br />

mittlerweile auf das neue Modell umgestellt,<br />

da sie damit oft mehr verdienen<br />

als bisher.<br />

<strong>procontra</strong>: Was bedeutet diese Veränderung<br />

bei Ihnen personell? Wie viele<br />

Vertreter wollen Sie bekommen?<br />

Schillinger: Wir waren bei etwa 250<br />

und sind dann im Zuge der Neuordnung<br />

zunächst auf 200 runter. Unser Ziel sind<br />

350 gebundene Vertriebspartner im<br />

Jahr 2026, also beinahe eine Verdopplung.<br />

Um sie zu finden und für unseren<br />

neuen Qualitätsanspruch fit zu machen,<br />

haben wir eine eigene Akademie, und<br />

das Konzept scheint aufzugehen. Für<br />

<strong>2023</strong> hatten wir uns 20 neue Vertriebspartner<br />

als Ziel gesetzt, aber bereits<br />

Ende Oktober hatten wir schon 24, und<br />

es geht weiter. Die Leute kommen dabei<br />

aus anderen Ausschließlichkeitsorganisationen<br />

zu uns, aber auch aus völlig<br />

anderen Branchen, und durchlaufen<br />

dann unsere Akademie.<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Vertriebswege VERSICHERUNGEN | 35<br />

Auf der DKM in<br />

Dortmund verriet<br />

Inter-Vertriebsvorstand<br />

Michael<br />

Schillinger im<br />

Interview mit <strong>procontra</strong>-Redakteur<br />

Florian Burghardt<br />

Details zur neuen<br />

AO-Offensive<br />

seines Unternehmens.<br />

<strong>procontra</strong>: Müssen sich die Makler<br />

Sorgen machen, wenn die Inter nun so<br />

stark auf ihre eigene AO setzt?<br />

Schillinger: Nein, wir wachsen zum<br />

Beispiel in Kranken und Komposit zweistellig<br />

im Maklermarkt. Hier haben wir<br />

kürzlich auch die Teams innerhalb unserer<br />

Maklerbetreuung verändert, sodass<br />

wir unsere ungebundenen Vermittler in<br />

Zukunft noch spezialisierter unterstützen<br />

können.<br />

<strong>procontra</strong>: Bei der Ergo bekommt jeder<br />

Makler, auch sehr kleine Betriebe und<br />

Berufseinsteiger, eine Direktanbindung.<br />

Ist das bei Ihnen auch so?<br />

Schillinger: Mit uns kann der Makler<br />

komplett so zusammenarbeiten, wie er<br />

es will. Das heißt entweder über eine<br />

vollständige Direktanbindung oder nur<br />

über Pools. Er kann aber auch nur für<br />

einen Bereich, beispielsweise die Krankenversicherung,<br />

eine Direktanbindung<br />

mit uns wählen, weil er da vielleicht<br />

unseren Maklerbetreuer am besten<br />

findet. Komposit kann er dann trotzdem<br />

gerne über den Pool machen, wenn er Bestände der Maklerpools werden<br />

das möchte. Wir sind da sehr flexibel. größer und bringen allein durch ihre<br />

<strong>procontra</strong>: Viele Versicherer betonen Verwaltung und Betreuung eine gute<br />

immer wieder, dass ihnen der Maklervertriebsweg<br />

sehr wichtig ist. Gleich-<br />

Investoren müssen sich keine Sorgen<br />

Rendite. Da fließt also viel Geld, und die<br />

zeitig läuft immer mehr Geschäft über machen, dass sie durch mangelndes<br />

Maklerpools, die sich wiederum zunehmend<br />

an ausländische Investoren ver-<br />

Wenn es aber irgendwann nur noch<br />

Neugeschäft nicht genug verdienen.<br />

kaufen. Ist das eine gute Entwicklung? einen riesigen Pool gäbe, dann wären<br />

Schillinger: Es ist offensichtlich ein die Versicherer in einer starken Abhängigkeit<br />

von diesem. Der würde ihnen<br />

Business Case, der aufgeht, und<br />

sicherlich werden noch weitere Investoreneinstiege<br />

folgen. Je schneller die sie macht. Hier ist es sicherlich auch<br />

genau diktieren, wie er das Geschäft für<br />

Konsolidierung auf dem Maklermarkt eine Aufgabe der Regulatorik, dafür zu<br />

voranschreitet, desto eher wird es für sorgen, dass am Ende nicht ein einziger<br />

Investoren zu einer Cash Cow. Denn die Maklerpool marktbeherrschend wird.<br />

Long Story short<br />

Inter will durch AO-Stärkung mehr Planbarkeit.<br />

Neues Vergütungsmodell stellt viele Vertriebspartner besser.<br />

Makler haben freie Wahl bei der Zusammenarbeit.<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


36 | VERSICHERUNGEN Einkommenssicherung<br />

Arbeitskraft durchdringen<br />

Vielen Menschen ist der Wert ihrer Arbeitskraft nicht bewusst, entsprechend fehlt der<br />

Schutz. Flexible Tarife und der Weg über den Chef sollen die Absicherungsquote erhöhen.<br />

ST STEFAN TERLIESNER<br />

Illustration: Roman Kulon


Einkommenssicherung VERSICHERUNGEN | 37<br />

Was Sie erfahren werden:<br />

Welches Potenzial im AKS-Markt steckt<br />

Wo psychische Erkrankungen unterschätzt werden<br />

Vorbehalte und Wünsche der Kunden<br />

hin, dass gerade in dieser Zielgruppe<br />

das Risiko, aus psychologischen<br />

Gründen berufsunfähig zu werden,<br />

unterschätzt wird (siehe Grafik). Auf<br />

dem Gipfeltreffen Biometrie in der<br />

<strong>procontra</strong>-<strong>Ausgabe</strong> Oktober-November<br />

<strong>2023</strong> war das ein Thema.<br />

Da sind sich Versicherer, Vermittler<br />

und Verbraucherschützer ausnahmsweise<br />

mal einig: Der Verlust der<br />

Arbeitskraft muss finanziell abgesichert<br />

sein. Erste Wahl ist traditionell<br />

eine Berufsunfähigkeitspolice. Doch<br />

auch Grundfähigkeits- oder Schwere-<br />

Krankheiten-Versicherungen sollten<br />

gleichberechtigt an den Start der<br />

Beratung gehen, um nicht als „unliebsame“<br />

Notlösung wahrgenommen zu<br />

werden.<br />

Durchdringung bleibt schwach<br />

Trotz der hohen Notwendigkeit haben<br />

zig Millionen Bundesbürger keine<br />

BU-Police abgeschlossen. „Seit Jahren<br />

gelingt es unserer Branche nicht, die<br />

Durchdringungsquote von bundesweit<br />

rund einem Drittel zu erhöhen“,<br />

sagt zum Beispiel Stefan Holzer, Leiter<br />

Versicherungsproduktion von Swiss<br />

Life Deutschland und Mitglied der Geschäftsleitung,<br />

gegenüber <strong>procontra</strong>.<br />

Oder in Zahlen: Von rund 45 Millionen<br />

Beschäftigten in Deutschland<br />

haben nur rund 15 Millionen eine<br />

BU-Versicherung.<br />

An der Qualität der Produkte liegt das<br />

offenbar nicht. Analysehäuser bestätigen<br />

das im Schnitt hohe Leistungsniveau<br />

vieler Anbieter. So erhalten<br />

aktuell fast 100 BU-Tarife unterschiedlicher<br />

Anbieter von Franke und<br />

Bornberg die höchste Ratingnote.<br />

Nur einige Beispiele: Plus von Allianz,<br />

Comfort von Condor, Premium von<br />

Gothaer, Ego Top von HDI und BU<br />

Flex von Swiss Life. Die Teilnahme an<br />

der Analyse ist für Versicherer aller-<br />

dings freiwillig. Folglich finden sich<br />

dort eh nur vorzeigbare Tarife.<br />

Top-Leistungen dank<br />

Wettbewerb<br />

Das in weiten Teilen hohe Leistungsniveau<br />

der Tarife ist ein Beleg für<br />

den Kampf der Produktgeber und<br />

Vermittler – vielleicht nicht um jeden<br />

Kunden, aber zumindest um dieselben<br />

Zielgruppen. „Wir haben einen<br />

wettbewerbsstarken BU-Markt mit<br />

einem qualitativ sehr hochwertigen<br />

Schutz“, betont Torben Wamser,<br />

Product Owner für den Einkommensschutz<br />

bei Signal Iduna. Und er fügt<br />

hinzu, dass der Markt „dementsprechend<br />

kostenintensiv sein kann“.<br />

Das spiegeln auch die Beiträge wider.<br />

Umfragen belegen, dass deren Höhe<br />

ein Grund dafür ist, keine BU-Police<br />

zu kaufen.<br />

Bezahlbare Tarife können Versicherer<br />

anbieten, wenn sie auf Kunden mit<br />

vermeintlich geringem Risiko zielen;<br />

Akademiker zum Beispiel. Doch im<br />

Markt weisen erste Stimmen darauf<br />

Risiken bleiben draußen<br />

Thorsten Saal, Bereichsleiter Mathematik<br />

bei Morgen & Morgen, weist im<br />

Zusammenhang einer zunehmenden<br />

Ausdifferenzierung innerhalb eines<br />

Tarifs auf ein weiteres „großes Problem“<br />

hin: „Das macht den Tarif zwar<br />

für gute Risiken preislich attraktiv,<br />

erhöht aber die Gefahren einer Risikoselektion.<br />

Die teuren Risiken sind<br />

meistens bei Menschen zu finden,<br />

die sich eine adäquate Risikoabsicherung<br />

nicht mehr leisten können.“ So<br />

»Seit Jahren gelingt es unserer Branche<br />

nicht, die Durchdringungsquote von bundesweit<br />

rund einem Drittel zu erhöhen.«<br />

Stefan Holzer<br />

Swiss Life Deutschland<br />

ergebe sich eine Verlagerung der Abschlüsse<br />

in Richtung „guter Risiken“.<br />

Und wörtlich: „Für die breite Durchdringung<br />

ist das nicht förderlich.“<br />

Auf die Probleme reagieren die Versicherer<br />

mit neuen Lösungen. Eine<br />

Möglichkeit, Beiträge bezahlbar zu<br />

halten, ist ein Abschluss in jungen<br />

Jahren. Diesen Weg beschreiten<br />

immer mehr Produktanbieter. Standard<br />

Life Deutschland etwa bietet<br />

Studierenden aus „dem Großteil der<br />

Studienrichtungen“ seit Ende Juni<br />

die Möglichkeit, sich mit einer<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


38 | VERSICHERUNGEN Einkommenssicherung<br />

Maklers Meinung<br />

vereinfachten Gesundheitsprüfung gegen das<br />

BU-Risiko abzusichern. Und LV 1871 vertreibt seit<br />

Mai einen BU-Tarif für Schüler ab sechs Jahren.<br />

Mit wenigen Fragen zum Gesundheitszustand<br />

erhielten sie einen vollwertigen BU-Schutz. Laut<br />

Klaus Math, Vorstand des Versicherers, „kann<br />

sich die Risikoeinstufung nicht mehr verschlechtern,<br />

auch wenn später ein risikoreicher Beruf<br />

ergriffen werden sollte“.<br />

»Biometrie bleibt<br />

komplex«<br />

Hans von Maltzahn, bAV-Experte und<br />

Senior Berater bei Hoesch & Partner<br />

Ich sehe gute Chancen für mehr Abschlüsse im BU-Markt. Der<br />

Trend weist in die richtige Richtung: Mit 29 Jahren im Schnitt<br />

sind Versicherungsnehmende bei Abschluss einer BU heute<br />

wesentlich jünger als noch vor Jahren. Die niedrigeren<br />

monatlichen Beiträge erhöhen die Abschlusswahrscheinlichkeit.<br />

Ein zweiter Grund ist das gestiegene Finanzbildungsniveau,<br />

insbesondere bei den Risikogruppen für psychische<br />

Erkrankungen, welche oftmals zugleich zu den Besserverdienenden<br />

gehören. Beim Thema Aufklärung sehen wir den mit<br />

Abstand größten Hebel. Was an privaten Universitäten und<br />

Fachhochschulen bereits überwiegend Standard ist, lässt an<br />

öffentlichen Bildungseinrichtungen auf sich warten. Hier<br />

muss deutlich mehr getan werden! Denn dass die Komplexität<br />

biometrischer Versicherungen – wie eben einer BU – sinken<br />

wird, ist eher nicht zu erwarten. Erfreulicherweise sind<br />

der Zugang zu Informationen und die Kostentransparenz<br />

durch Vergleichsplattformen einerseits und die Integration<br />

digitaler Tools in die Beratung durch zum Beispiel Versicherungsmakler<br />

andererseits besser gewährleistet denn je.<br />

Makler sollten Wert darauf legen, die Beratungskomplexität<br />

zu reduzieren. Es braucht einen modernen Kommunikationsansatz,<br />

der über „Broschürensprech“ hinausgeht, denn<br />

Interessierte benötigen Entscheidungshilfen! Zu mehr<br />

BU-Abschlüssen könnte in Zukunft auch die betriebliche<br />

Vorsorge beitragen. Als bAV-Experte in unserem Haus sehe<br />

ich das wachsende Interesse von Unternehmen an Social<br />

Benefits, wie zum Beispiel eben einer betrieblichen BU-Versicherung.<br />

Solche Zusatzleistungen sind für Arbeitgeber im<br />

War for Talents ein wichtiges Instrument, um sich abzuheben<br />

und soziale Verantwortung zu zeigen.<br />

Flexibel zum Abschluss<br />

Solche Tarife bieten sogar auf lange Sicht eine<br />

gewisse Flexibilität; wie generell Verträge mit der<br />

Klausel Nachversicherungsgarantie. Dann kann<br />

die BU-Rente – oft ohne erneute Gesundheitsprüfung<br />

– erhöht werden, wenn sich zum Beispiel<br />

der Bedarf wegen Heirat oder Geburt eines<br />

Kindes ändert. Saal zufolge fragen einige Versicherer<br />

mittlerweile beispielsweise auch nicht<br />

mehr nach riskanten Hobbys oder Auslandsaufenthalten.<br />

Ob solche Entwicklungen zu mehr<br />

Abschlüssen führen, bleibt abzuwarten. Vermittler<br />

jedenfalls begrüßen die neuen Möglichkeiten.<br />

Für Makler Torsten Breitag ist „die Konfiguration<br />

der Gesamtabsicherung mit maximaler und belastbarer<br />

Flexibilität“ ein wichtiger Aspekt beim<br />

Abschluss einer BU-Police.<br />

Versicherungsmathematiker Saal sieht einen<br />

weiteren Trend in Richtung Flexibilität: „Immer<br />

mehr BU-Tarife bieten Leistungsbausteine an.“<br />

1/3<br />

Von 45 Millionen Beschäftigten hat nur jeder<br />

dritte eine BU-Police.<br />

Aufgabe der Vermittler sei es, die unterschiedlichen<br />

Optionen individuell passend zur Kundensituation<br />

zusammenzustellen. Insgesamt ist also<br />

durchaus Bewegung auf dem Markt für BU-Versicherungen,<br />

wenn auch erst nach Analyse der Tarifbedingungen<br />

erkennbar. Das bedeutet: Ohne<br />

Beratung finden Kunden nur mit Mühe einen<br />

bedarfsgerechten Schutz.<br />

GF-Police im Kommen<br />

Und falls Vermittler auf dem BU-Markt nicht<br />

fündig werden, gibt es auch dafür Möglichkeiten.<br />

Erstens Produktalternativen. Und zweitens den<br />

Weg über den Arbeitgeber.<br />

Eine weitere Lösung ist insbesondere eine<br />

Grundfähigkeitspolice (GF-Police). Dazu wieder<br />

Saal: „Die stark gestiegene Anzahl an GF-Tarifen<br />

zeigt die Bewegung hin zu Angeboten, die für den<br />

Kunden bezahlbar und durch die Leistungsaus-<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Einkommenssicherung VERSICHERUNGEN | 39<br />

Arbeitskraft in Gefahr<br />

Umfrage: Glauben Sie, dass Sie grundsätzlich in der Lage wären,<br />

bis zum gesetzlichen Rentenalter zu arbeiten?<br />

Nein, wegen meiner Psyche 11,6<br />

Nein, wegen meiner Physis 18,6<br />

Ja 31,8<br />

Ich bin bereits Rentner/-in 36,0<br />

Weiß nicht/keine Angaben 7,6<br />

Mehrfachnennungen möglich; Stichprobengröße: 2.515;<br />

Befragung im August <strong>2023</strong>; Angaben in % <br />

Quelle: LV 1871, Civey<br />

löser gut erklärbar scheinen.“ Einfach<br />

sei die Produktauswahl aber auch<br />

in diesem Fall nicht. Zum Beispiel<br />

würden die Versicherer die Leistungsauslöser<br />

unterschiedlich definieren.<br />

Auch könnten diese häufig als Option<br />

zu- oder abgewählt werden.<br />

Hinzu kommt die ständige Bewegung<br />

in der Tariflandschaft. Ergo zum<br />

Beispiel hat jetzt die GF-Police „Body<br />

Protect“ in drei Varianten auf den<br />

Markt gebracht. Dem Versicherer zufolge<br />

sind alle Typen mit Bausteinen<br />

kombinierbar. Eine Option sei „Sport<br />

Plus“. Zum Beispiel Hobbysportler,<br />

Yogatrainer und Sportlehrer könnten<br />

weitere Grundfähigkeiten absichern,<br />

die für viele Sportarten und Hobbys<br />

wichtig seien, wie zum Beispiel<br />

Kniegelenk, räumliches Sehen und<br />

Koordination. Ein anderer Baustein<br />

ist „Pflege Plus“. Wird die versicherte<br />

Person pflegebedürftig, erhalte sie zusätzlich<br />

zur vereinbarten Rente eine<br />

lebenslange Pflegerente in gleicher<br />

Höhe.<br />

Betrieb nicht vergessen<br />

Die zweite oben erwähnte Möglichkeit<br />

für Beschäftigte, noch in den Genuss<br />

einer BU-Police zu kommen, ist<br />

der Abschluss über den Betrieb. Das<br />

geht oft sogar mit Vorerkrankungen.<br />

Absicherungsexperte Wamser von<br />

Signal Iduna sieht „einen deutlichen<br />

Trend hin zur betrieblichen Vorsorge“,<br />

die neben einer Altersvorsorge<br />

Schutz gegen Krankheit, Verlust von<br />

Grundfähigkeiten und Berufsunfähigkeit<br />

enthalten kann.<br />

Für Holzer von Swiss Life Deutschland<br />

ist die betriebliche BU, die im<br />

Idealfall komplett vom Arbeitgeber finanziert<br />

wird, „der Schlüssel für eine<br />

höhere Durchdringung im Markt“.<br />

Den Tarif Swiss Life BU Pro habe man<br />

jetzt weiter ausgebaut, zum Beispiel<br />

um eine Beitragsübernahme bei auslaufender<br />

Lohnfortzahlung aufgrund<br />

längerer Krankheit. Auch für Chefs<br />

sei die betriebliche BU vorteilhaft.<br />

Arbeitgeber sicherten die finanzielle<br />

Existenz ihrer Mitarbeitenden für den<br />

Fall des Verlusts der Arbeitskraft ab<br />

und positionierten sich gleichzeitig<br />

als attraktive Unternehmen.<br />

Fazit: Der BU-Markt ist schwierig.<br />

Angesichts der Tarifvielfalt ist eine<br />

Beratung für eine bedarfsgerechte<br />

Produktauswahl wichtiger denn je.<br />

Eine BU-Police bleibt das erste Ziel,<br />

wenngleich die GF-Versicherung<br />

immer beliebter wird. Auch auf die<br />

Möglichkeit der Absicherung über<br />

den Betrieb können und sollten<br />

Berater hinweisen. Dann könnte sich<br />

irgendwann auch die Durchdringungsquote<br />

verbessern.<br />

Long Story short<br />

Nur jeder dritte Beschäftigte<br />

hat eine BU-Police.<br />

Flexible Tarife entkräften das<br />

Argument „Beitrag zu hoch“.<br />

Versicherer bauen eine Produktbrücke<br />

in die Betriebe.<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


40 | VERSICHERUNGEN LV-Wiederanlage<br />

Der Billionentransfer<br />

Durch die Erbschaftswelle steht ein Riesengeschäft für Lebensversicherer und Vermittler<br />

im Raum. Ebenso die Frage, ob das Kapital abfließt oder im Unternehmen verbleibt<br />

ST STEFAN TERLIESNER<br />

Was Sie erfahren<br />

werden:<br />

Warum Erbschaften Chancen<br />

und Risiko für Versicherer<br />

bedeuten<br />

Wie häufig/selten die<br />

Wiederanlage gelingt<br />

Welche Produkte zur Wiederanlage<br />

infrage kommen<br />

Vermögen im Wert von zig Milliarden<br />

Euro wird jedes Jahr in Deutschland<br />

vererbt. Aus der Sicht von Unternehmensberatern<br />

liegt hierin eine Chance<br />

für Versicherer und Vermittler,<br />

denn Kunden wünschen gerade bei<br />

Finanzangelegenheiten rund um eine<br />

Erbschaft oder die Vorbereitung einer<br />

Erbschaft eine persönliche Beratung.<br />

Größter Transfer aller Zeiten<br />

Cap Gemini geht im World Life Insurance<br />

Report <strong>2023</strong> auf das Potenzial<br />

von Erbschaften für Lebensversicherer<br />

ein. Die Analyse bezieht sich<br />

zwar auf die Weltbevölkerung. Die<br />

Ergebnisse sind aber auf Deutschland<br />

übertragbar. Demnach müssen Lebensversicherer<br />

bis 2040 mit einem<br />

erheblichen Abfluss verwalteten<br />

Vermögens rechnen. „Angesichts des<br />

größten Vermögenstransfers in der<br />

Geschichte ist die Branche mit finanziellen<br />

Unsicherheiten konfrontiert“,<br />

schreiben die Autoren.<br />

Derzeit besäßen Versicherungsnehmer<br />

ab 65 Jahren 40 Prozent der Assets<br />

under Management, was sich bei<br />

den 40 größten Versicherern auf 7,8<br />

Billionen US-Dollar addiere. Bis 2040<br />

werde dieses Vermögen an die Begünstigten<br />

übertragen, wobei 71 Prozent<br />

der Empfänger über 50 Jahre alt<br />

seien. Wer diesen Kunden passende<br />

Angebote machen kann, gehöre zu<br />

den Gewinnern der Erbschaftswelle.<br />

Zwei Seiten einer Medaille<br />

Das Thema freilich habe zwei Seiten,<br />

hebt Justus Lücke, Geschäftsführer<br />

der Versicherungsforen Leipzig, hervor.<br />

Er erklärt: „Einerseits bietet die<br />

Vererbung ein gewisses Potenzial für<br />

Versicherer, insbesondere Einmalbeiträge<br />

für sich zu gewinnen. Andererseits<br />

stellt der Ablauf von Lebens- und<br />

Rentenversicherungen mit Auszahlung<br />

an Begünstigte eine Heraus-<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


LV-Wiederanlage VERSICHERUNGEN | 41<br />

forderung für Versicherer dar.“ Laut<br />

Lücke findet das Einmalbeitragsgeschäft<br />

aktuell nur wenig Zuspruch bei<br />

Kunden. Ein Grund seien die wieder<br />

attraktiven Zinsangebote von Banken.<br />

Und abfließendes Kapital würden die<br />

Versicherer auch nur zu einem eher<br />

geringen Teil halten und zurückholen.<br />

„Die Wiederanlage der Mittel<br />

oder die Verrentung im Rahmen von<br />

Rentenpolicen gelingt noch zu selten.<br />

Die Wiederanlagequote liegt unter<br />

30 Prozent.“<br />

18,8<br />

Herrschaft der Alten<br />

Bevölkerung in Deutschland nach Altersgruppen im Jahr 2022<br />

24,5<br />

27,3<br />

Alter<br />

22,2<br />

7,2<br />

< 20 20 bis 40 40 bis 60 60 bis 80 80 bis 100 > 100<br />

0,0<br />

Neugeschäft sollte Abflüsse<br />

ausgleichen<br />

Das wiederum habe Konsequenzen.<br />

Durch die Abflüsse reduzierten sich<br />

die laufenden Beiträge. Zudem müssten,<br />

falls nicht genügend Neugeschäft<br />

zufließt, gegebenenfalls auch Kapitalanlagen<br />

mit aktuell stillen Lasten<br />

aufgelöst werden. „Dies übt Druck<br />

auf das Kapitalmarktergebnis aus“,<br />

resümiert der Experte.<br />

Eine Umfrage von <strong>procontra</strong> unter<br />

ein Dutzend Versicherern, wie alt<br />

deren Versicherungsnehmer im<br />

Schnitt sind, um Rückschlüsse<br />

auf demnächst abfließende Assets<br />

under Management zu ziehen, blieb<br />

weitgehend unbeantwortet. Das sei<br />

„geschäftsrelevant, darüber geben<br />

wir keine Auskunft“, begründete ein<br />

Unternehmen seine Zurückhaltung<br />

in diesem Punkt. Die Alte Leipziger<br />

teilte zumindest das Durchschnittsalter<br />

der versicherten Personen mit:<br />

45 Jahre.<br />

Bevölkerungsanteil in %<br />

renten mit Einmalzahlung (FlexInvest;<br />

reine Fondsanlage), Rente mit<br />

Einmalzahlung der Alte Leipziger<br />

Leben (DuoSmart; klassische und<br />

renditeorientierte Anlagen). Zudem<br />

biete die Gruppe den sicherheitsorientierten<br />

Dachfonds Trust Euro<br />

Relax an. Wer Geld nur parken<br />

möchte, könne das Kapitaldepot<br />

FlexCash nutzen. Und um Vermögen<br />

»Die Wiederanlagequote<br />

liegt unter<br />

30 Prozent.«<br />

Justus Lücke<br />

Geschäftsführer<br />

Versicherungsforen Leipzig<br />

Quelle: Statistisches Bundesamt<br />

zu Lebzeiten an die Nachkommen zu<br />

übertragen, stehe unter anderem eine<br />

Bausparlösung parat. Ähnliche<br />

Angebote machen Continentale,<br />

Allianz und Zurich. Die Continentale<br />

etwa bietet eigenen Angaben zufolge<br />

für größere Beträge aus Erbschaften<br />

oder abgelaufenen Policen bis<br />

300.000 Euro das ParkConcept<br />

Classic an, während die Allianz auf<br />

die Produkte Park Depot, Einmalbeitragsprodukte,<br />

SchatzBrief, Private-<br />

FinancePolice und VermögensPolice<br />

verweist. Stets, das betonte auch<br />

Zurich, komme es auf die individuellen<br />

Wünsche des Kunden an. Das<br />

Angebot an Lösungen sei breit. Die<br />

weitere Entwicklung wird zeigen,<br />

welchen Versicherern es gelingt, die<br />

Chancen der Erbschaftswelle zu<br />

nutzen und gleichzeitig das Risiko<br />

Kapitalabfluss auszugleichen.<br />

Breite Palette an Produkten<br />

Informationsbereiter waren die<br />

Unternehmen beim Thema Wiederanlage<br />

(der Erbe lässt das Kapital<br />

beim Versicherer) und erstmalige<br />

Anlage von Kapital aus Erbschaften<br />

von Neukunden. Die Alte Leipziger<br />

hält eine Palette an Möglichkeiten<br />

bereit: vor allem Sofortrente, Fonds-<br />

Long Story short<br />

Durch Erbschaften verlieren Versicherer zig Milliarden verwaltetes<br />

Vermögen.<br />

Wiederanlage und/oder Neugeschäft muss den Schwund ausgleichen.<br />

Die Produktpalette ist breit, aber noch zu wenig im Fokus der Kunden.<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


42 | VERSICHERUNGEN Gebäudeenergiegesetz<br />

Energieschub fürs Geschäft<br />

Die Energiewende zwingt zu Investitionen in teure Technik für Neubau und Bestand.<br />

Das ruft nach Versicherungsschutz und neuen Deckungskonzepten.<br />

CF CARLA FRITZ<br />

Was Sie erfahren<br />

werden:<br />

Wie Makler das GEG zur Kundenbindung<br />

nutzen können<br />

Was der Versicherungsmarkt<br />

bei PV & Co. in petto hat<br />

Wie Wärmepumpen als<br />

„Außenseiter“ in der WGV<br />

unterkommen<br />

Von der politisch verkündeten Energie-<br />

und Wärmewende zu PV- oder<br />

Solarthermieanlagen auf dem Dach<br />

oder Feld, zu Wallbox und Wärmepumpen<br />

im oder am Haus: Der Umstieg<br />

auf erneuerbare Energien ist<br />

im Gange und Versicherungsschutz<br />

vonnöten. Denn die Solarpflicht für<br />

Neubau wie Bestand greift in immer<br />

mehr Bundesländern und das Gebäudeenergiegesetz<br />

(GEG) ab 2024 bundesweit<br />

für die meisten Neubauten.<br />

„Die Leute sind verunsichert. Aber<br />

wenn sie sich etwas intensiver und<br />

fachlicher informieren, löst sich die<br />

Unsicherheit weitgehend auf.“ Das<br />

konnte Johannes Brück auch jüngst<br />

beobachten, bei einer Informationsveranstaltung<br />

seines Maklerhauses<br />

zum Gebäudeenergiegesetz. An<br />

seiner Seite: ein Architekt und ein auf<br />

PV-Anlagen spezialisierter Elektromeister.<br />

Das Publikum: Bestands- und<br />

potenzielle Kundschaft. Vertrauen<br />

Illustration: Roman Kulon


Gebäudeenergiegesetz VERSICHERUNGEN | 43<br />

Maklers Meinung<br />

Umstieg auf erneuerbares Heizen<br />

Klimafreundliches Heizen: Das gilt ab 1. Januar 2024.<br />

und Kundenbindung gleichermaßen<br />

aufbauen und gleichzeitig die passenden<br />

Deckungskonzepte liefern, so<br />

kann es gehen.<br />

Neubau<br />

Bauantrag ab dem 1.1.2024<br />

im Neubaugebiet:<br />

Heizung mit mindestens<br />

65 % erneuerbaren Energien<br />

außerhalb eines Neubaugebiets:<br />

Heizung mit mindestens<br />

65 % erneuerbaren Energien<br />

frühestens ab 2026<br />

Klären und aufklären<br />

Legt sich der Kunde eine Wärmepumpe<br />

zu, die außerhalb des Hauses<br />

steht, ist es nach Stand der Dinge<br />

am Makler zu klären, ob der laufende<br />

Wohngebäudevertrag dieses<br />

Risiko abdeckt. Bei den Produkten,<br />

die Brück seinen Kunden anbietet,<br />

„ist das automatisch so“. Dafür hat<br />

er gesorgt. Bei Photovoltaik geht er<br />

inzwischen über ein Standalone-Produkt<br />

auf Basis einer Elektronikversicherung.<br />

In der Regel sei das besser<br />

als „der Zusatzbaustein, der aus der<br />

Wohngebäudeversicherung für die<br />

PV-Anlage eine Allgefahrendeckung<br />

macht. Und preislich nimmt es sich<br />

auch fast nichts.“ Das ist grundsätzlich<br />

auch die Herangehensweise des<br />

Enser Versicherungskontors (EVK),<br />

das rund 6.000 PV-Anlagen im In-<br />

und Ausland betreut. „Wir haben mit<br />

dem Deckungskonzept Solarcover ein<br />

unternehmenseigenes Bedingungswerk<br />

und dazu Rahmenverträge<br />

mit mehreren Versicherern“, erklärt<br />

PV-Versicherungsspezialistin Carolin<br />

Henkelmann. Bei „Balkonkraftwerken“,<br />

die nur in Gebäude oder Hausrat<br />

versichert sind, sollten Kunden<br />

jedoch wissen, dass sie damit im<br />

Grunde lediglich die Gefahr Brand abgedeckt<br />

haben. „Bei Preisen von um<br />

die 700 Euro für solche Mini-PV-Anlagen<br />

stellt sich allerdings die Frage: Wo<br />

ist die Existenzbedrohung?“, merkt<br />

Brück an. Ob der Kunde als Besitzer<br />

und Betreiber hierfür Deckungsschutz<br />

im Rahmen seiner bestehenden<br />

Haftpflichtversicherung hat, sei<br />

die andere Frage, der man nachgehen<br />

sollte.<br />

Bestand<br />

Heizung funktioniert oder<br />

lässt sich reparieren:<br />

kein Heizungstausch vorgeschrieben<br />

Heizung ist kaputt –<br />

keine Reparatur möglich:<br />

Es gelten pragmatische Übergangslösungen.<br />

Bereits jetzt auf Heizung mit<br />

erneuerbaren Energien umsteigen und<br />

Förderung nutzen<br />

Agieren und reagieren<br />

Quelle: BMWK<br />

Sich durchfragen und filtern, das<br />

bleibt am Makler hängen – in einem<br />

Markt, der auf den ersten Peak bei<br />

Solar vor circa zwölf Jahren mittlerweile<br />

mit Bausteinlösungen für PV<br />

und Solarthermie in den meisten<br />

Wohngebäudeversicherungen<br />

reagiert hat. Bei anderen nachhaltigen<br />

Energien steht er am Anfang:<br />

Deckungsschutz für Wärmepumpen,<br />

Geothermie- sowie Windkraftanla-<br />

Sachversicherungsmakler<br />

Johannes Brück, Inhaber/<br />

Geschäftsführer Hubert Brück KG,<br />

Düsseldorf<br />

»Nur mit Update-<br />

Garantie«<br />

Wie schon 2012 haben wir heute<br />

wieder einen Peak bei Solar<br />

und deshalb auch verstärkte<br />

Nachfrage nach Deckungen<br />

für Photovoltaikanlagen.<br />

Gleichzeitig ist der Versicherungsmarkt<br />

hier noch massiv<br />

in Bewegung. Bei inneren<br />

Betriebsschäden etwa – bisher<br />

ein klassischer Ausschluss in<br />

der Elektronikversicherung<br />

und allenfalls in PV-Spezialkonzepten<br />

versicherbar – zieht<br />

er jetzt nach. Deshalb: Policen<br />

mit Update-Garantie nehmen.<br />

Damit man den PV-Vertrag<br />

nicht schon nach drei Jahren<br />

neu anpacken oder mit großem<br />

Aufwand den Versicherer<br />

wechseln muss.<br />

Das Problem bei klassischen<br />

Versicherungsprodukten: In<br />

allen Sparten handelt man sich<br />

irgendwann, allein durch die<br />

Alterung von Bedingungen,<br />

Haftungsprobleme ein. Im<br />

Schadenfall ist dann an vielen<br />

Stellen Stress programmiert.<br />

Die neu installierte PV-Anlage<br />

bietet auch die Chance, bei der<br />

Gelegenheit Altverträge<br />

endlich auf gescheite Bedingungen<br />

umzustellen. Wir arbeiten<br />

seit 2001 fast ausschließlich<br />

mit Produkten mit<br />

Update-Garantie.<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


44 | VERSICHERUNGEN Gebäudeenergiegesetz<br />

»Das Interesse<br />

dürfte wachsen«<br />

Martina Echtermeyer, Gruppenleitung Gewerbe und Privatkunden/Haftpflicht-Underwriter,<br />

EVK Enser Versicherungskontor<br />

<strong>procontra</strong>: Wie erleben Sie in Ihrer<br />

Beratung im Gebäudebereich die<br />

Energiewende?<br />

Martina Echtermeyer: Bei großen<br />

Selbstnutzern von Eigenstrom wie<br />

Gewerbe und Landwirtschaft ist die<br />

Nachfrage nach Absicherung von PV-<br />

Anlagen durchwachsen. Im Privatbereich<br />

kommt der Impuls eher von uns,<br />

wenn wir ohnehin nach neuen Risiken<br />

fragen. Für Wärmepumpen gibt es<br />

erste Voranfragen, aber es ist noch ein<br />

zögerliches Geschäft. Beim Abschluss<br />

überwiegt ganz klar PV mit dem<br />

Thema Speicher und Wallboxen für<br />

E-Autos. In den nächsten ein bis zwei<br />

Jahren dürfte das Interesse insgesamt<br />

wachsen, weil auch der Druck aus der<br />

Politik zunimmt.<br />

<strong>procontra</strong>: PV-Deckungen sind schon<br />

länger eingeführt, Wärmepumpen erst<br />

am Start und damit auch deren Risikoschutz.<br />

Was gibt der Markt hier her?<br />

Echtermeyer: Ein Standardprodukt<br />

wie bei PV-Policen, das man problemlos<br />

aus der Schublade ziehen und dem<br />

Kunden ohne Wenn und Aber anbieten<br />

kann, gibt es nach meinem Kenntnisstand<br />

für Wärmepumpen bisher nicht.<br />

Vermutlich weil dieses Risiko bislang<br />

noch nicht solche Relevanz entwickelt<br />

hat oder schlicht nicht bedacht wurde.<br />

In diesem Punkt hat der Versicherungsmarkt<br />

im Wohngebäudebereich<br />

– darunter fallen Wärmepumpen als<br />

Heizungstyp ja vorrangig – tatsächlich<br />

Nachholbedarf.<br />

<strong>procontra</strong>: Wo liegt das Problem?<br />

Echtermeyer: Die Schwierigkeit – da<br />

steht Haustechnik häufig außerhalb<br />

des Gebäudes, gehört aber zur Gebäudeausstattung.<br />

Auch wenn die<br />

Wärmepumpe in der Versicherungssumme<br />

berücksichtigt ist, würde sie in<br />

den meisten Schadenfällen doch aus<br />

der Deckung fallen, sofern sie nicht in<br />

einem geschlossenen Raum untergebracht<br />

ist. In einem Jahr sieht das<br />

wahrscheinlich anders aus.<br />

<strong>procontra</strong>: Wie verhelfen Sie Ihrer<br />

Kundschaft zu einer vernünftigen Absicherung?<br />

Echtermeyer: Die ersten Versicherer<br />

reagieren mit Zusatzvereinbarungen<br />

oder Klauseln. Es ist dann kein Hindernis<br />

für den Versicherungsschutz,<br />

dass Teile der Wärmepumpe draußen<br />

stehen, auch einfacher Diebstahl ist<br />

versichert. Das sind im Moment die<br />

Gerüste.<br />

<strong>procontra</strong>: Und wenn ein Unwetter de<br />

facto alles verhagelt?<br />

Echtermeyer: Hier suchen wir das<br />

Gespräch mit dem Versicherer.<br />

Letztlich ist es eine Frage des Verhandlungsgeschicks,<br />

wie umfänglich wir die<br />

Deckung gestalten können, ohne dass<br />

es teurer wird. Auch bei Wärmepumpen<br />

wird sich der Markt zeitnah<br />

entwickeln, ähnlich wie bei der PV mit<br />

kleinen Zusatzbausteinen, die man in<br />

die Wohngebäudeversicherung packen<br />

kann.<br />

gen sind noch nicht standardmäßig<br />

im Kleingedruckten verankert und<br />

auch Balkonkraftwerke oft noch<br />

nicht thematisiert. So weit im<br />

Stenogramm die Einschätzung von<br />

Anne Peters, Fachbereichsleiterin<br />

Komposit bei Ascore. Mit neuen<br />

Kriterien will das Ratinghaus 2024 bei<br />

Wohngebäude und Hausrat hier noch<br />

mehr ins Detail gehen: „Das betrifft<br />

auch einfachen Diebstahl. Danach<br />

wird gerade bei Wärmepumpen und<br />

Balkonkraftwerken häufig gefragt.“<br />

Weiter im<br />

Thema<br />

Mehr Informationen<br />

zum GEG ab 2024<br />

finden Sie hier:<br />

Foto: EVK Enser Versicherungskontor


Klartext to go...<br />

Der Podcast für alle 34er. Mit handverlesenen Expertentalks<br />

aus der Finanz- & Versicherungsbranche.<br />

Jeden zweiten Donnerstag, überall wo es Podcasts gibt.<br />

https://letscast.fm/sites/profino-podcast-dc9d8003/index<br />

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46 | VERSICHERUNGEN pro & contra: Zahnzusatz<br />

Zahnzusatzversicherung –<br />

sinnvoll oder überflüssig?<br />

Die Zahnzusatz gilt als eine der beliebtesten Krankenzusatzpolicen.<br />

Doch Versicherungsmakler Daniel Seeger und Verbraucherschützer Philipp Opfermann<br />

sind sich uneins über die Sinnhaftigkeit für Kunden.<br />

pro<br />

Ja, die Zahnzusatzversicherung<br />

schützt nicht vor einem existenzbedrohenden<br />

Risiko. Es geht nicht um<br />

sechs- oder siebenstellige Beträge im<br />

Versicherungsfall, wie bei einer RLV,<br />

BUV oder PHV. Es geht maximal um<br />

10.000 oder 15.000 Euro. Hört sich<br />

überschaubar an und nach einer vermeintlich<br />

unnötigen Police.<br />

Dennoch steigt die Nachfrage. Mittlerweile<br />

zählt Google jeden Monat fast<br />

100.000 Suchanfragen für das Keyword<br />

„Zahnzusatzversicherung“. Das<br />

hat zwei Gründe.<br />

Grund 1: Gepflegte Zähne sind heute<br />

nicht nur aus gesundheitlichen<br />

Aspekten, sondern ebenso aus ästhetischer<br />

Sicht für viele Menschen<br />

sehr wichtig. Keine schönen Zähne,<br />

kein Match bei Tinder. Professionelle<br />

Zahnreinigungen und umfassende<br />

Vorsorge werden immer beliebter.<br />

Und wenn es tatsächlich zum Ernstfall<br />

kommt, wünschen sich Patienten<br />

keine Kassenkrone aus Gold, sondern<br />

ein modernes Implantat in Zahnfarbe.<br />

Diese Behandlungen werden nicht<br />

oder nur zu einem geringen Anteil<br />

von der gesetzlichen Krankenkasse<br />

»Zahnzusatz gehört<br />

nicht zum ›unbedingt<br />

notwendigen‹<br />

Versicherungsschutz,<br />

ist aber für<br />

sehr viele Menschen<br />

eine gute Sache.«<br />

Daniel Seeger,<br />

Geschäftsführer der<br />

Zusatzversicherung Online GmbH<br />

bezahlt. Für die befundbezogene<br />

Regelversorgung entscheidet sich niemand,<br />

und der Festkostenzuschuss<br />

deckt bei Implantaten vielleicht<br />

20 Prozent der Kosten. Gute Zahnversicherungen<br />

bezahlen die professionelle<br />

Zahnreinigung und übernehmen<br />

bis zu 100 Prozent der Kosten für<br />

teuren Zahnersatz.<br />

Grund 2: Bei einer Zahnzusatzversicherung<br />

ist die Frage nicht, ob, sondern<br />

wann Leistungen in Anspruch<br />

genommen werden. Um die Dritten<br />

Zähne kommen wir alle nicht herum.<br />

Den Menschen ist das bewusst, und<br />

der Versicherungsbeitrag wird einer<br />

realen Leistung gegenübergestellt. Zudem<br />

wird die Versicherung „genutzt“.<br />

Zweimal pro Jahr wird beispielsweise<br />

die Zahnreinigung für 75 bis 100 Euro<br />

erstattet. Das fühlt sich für die Versicherten<br />

gut an, und deswegen ist die<br />

Nachfrage nach Zahnversicherungen<br />

so enorm hoch.<br />

Dann gibt es noch die „Sofortschutz“-<br />

Tarife, wie den Ergo Zahnersatz<br />

Sofort. Klar hat das nichts mit dem<br />

Versicherungsgedanken zu tun, denn<br />

der Leistungsfall ist bereits eingetreten.<br />

Für viele unserer Interessenten<br />

sind diese Tarife aber sinnvoll, weil sie<br />

sofort Hilfe bei der Kostenübernahme<br />

ihres Zahnersatzes erhalten. Jetzt<br />

kommt immer wieder das Argument,<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


pro & contra: Zahnzusatz VERSICHERUNGEN | 47<br />

dass der Monatsbeitrag von 20 oder<br />

30 Euro auch in einen ETF-Sparplan<br />

gelegt werden kann.<br />

Ja, genau, kann man machen. Aber<br />

wie viele Menschen machen das<br />

wirklich? Und wie viele sind so<br />

konsequent und fassen das Geld nicht<br />

an, bis die Dritten Zähne anstehen?<br />

Das sind die wenigsten. Eine Zahnzusatzversicherung<br />

ist also keinesfalls<br />

eine unnötige Police. Sie gehört nicht<br />

zum „unbedingt notwendigen“<br />

Versicherungsschutz, ist aber für sehr<br />

viele Menschen eine gute Sache.<br />

contra<br />

Als Student bin ich einen alten Opel<br />

Ascona gefahren. Gerne denke ich<br />

an viele Touren zurück. Bei großem<br />

Durst von Auto wie Fahrer und<br />

kleinem BAföG war mein Schätzchen<br />

aber nur haftpflichtversichert. Aus<br />

der Studentenmöhre ist längst die geräumige<br />

Familienkutsche geworden,<br />

deren Kratzer und Flecken auf den<br />

Sitzen von täglichem Einsatz, etlichen<br />

Kilometern und Reisen mit Kindern<br />

zeugen. Das Auto genießt aber<br />

immerhin noch Teilkaskoschutz. Ich<br />

bin mir also des Risikos bewusst und<br />

verzichte in Abwägung von Preis und<br />

Leistung auf Vollkasko.<br />

Auch die Leistungen der GKV sind<br />

in vielen Fällen nicht mehr „Vollkasko“.<br />

Gerade rund um Krone und<br />

Implantat fallen Rechnungen schnell<br />

vierstellig aus. Zumindest wenn es<br />

ein bisschen mehr sein soll als die<br />

Kassenleistung. Beispiel Krone: Eine<br />

zahnfarbene Variante aus Keramik<br />

für den Backenzahn kostet gut 1.000<br />

Euro. Bei einem Zuschuss der Kasse<br />

in Höhe von 210 Euro sind rund<br />

800 Euro selber zu zahlen. Das tut<br />

nicht nur am Zahn, sondern auch im<br />

Geldbeutel weh.<br />

Millionen Menschen möchten daher<br />

den eingeschränkten Schutz durch<br />

eine private Zahnzusatzversicherung<br />

verbessert wissen. Der Wunsch ist<br />

verständlich, und die Kassen machen<br />

»Letztlich gilt bei<br />

der Mundhygiene<br />

wie beim Versicherungsschutz:<br />

Pflege und Vorsorge<br />

verhindern größere<br />

Schäden.«<br />

Philipp Opfermann,<br />

Versicherungsexperte<br />

der Verbraucherzentrale<br />

Nordrhein-Westfalen<br />

es ihren Mitgliedern ja auch ganz<br />

leicht: sie schicken diesen unaufgefordert<br />

ein mehr oder weniger<br />

passendes Angebot vorausgefüllt mit.<br />

Schließlich sind sie ja oft genug Versicherungsvertreter<br />

ihres jeweiligen<br />

PKV-Partners. Auf diesem Wege werden<br />

sicher etliche Versicherte „eingesammelt“<br />

– eine individuelle Beratung<br />

dürfte auf der Strecke bleiben.<br />

Doch sollte auf diese keinesfalls verzichtet<br />

werden, ist der Markt doch unübersichtlich<br />

und Bedingungen und<br />

Leistungsumfang schwer vergleichbar.<br />

Viele Verträge stecken voller<br />

Tücken, und mancher Tarif entpuppt<br />

sich im Leistungsfall aufgrund von<br />

Zahnstaffeln oder Ausschlüssen als<br />

äußert lückenhaft. Nicht selten werden<br />

die Verträge im Laufe der Jahre<br />

mit steigenden Prämien auch gleich<br />

wieder ganz gekündigt.<br />

Da gilt es genau abzuwägen, ob es<br />

wirklich einer Zusatzversicherung<br />

bedarf. Existenzbedrohend ist das<br />

Risiko Zahn wohl kaum. Und anders<br />

als bei Haftpflicht oder Arbeitskraftabsicherung<br />

kann etwaigen Schäden<br />

vorgebeugt und eigene Rücklagen<br />

für den Schadensfall gebildet werden.<br />

So kann durch ein gut geführtes<br />

Bonusheft der GKV-Zuschuss erhöht<br />

werden. Regelmäßig zurückgelegtes<br />

Geld auf einem „Zahnkonto“ wirft<br />

Zinsen ab.<br />

Letztlich gilt bei der Mundhygiene<br />

genau wie beim Versicherungsschutz:<br />

Regelmäßige Pflege und Vorsorge<br />

verhindern oft größere Schäden. Zwar<br />

gibt es beim Besuch beim Versicherungsberater<br />

keinen Stempel ins<br />

Bonusheft, aber auch den Versicherungsschutz<br />

gilt es regelmäßig zu<br />

pflegen und zu kontrollieren. Nicht<br />

immer muss es dabei der Vollkaskoschutz<br />

sein.<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


48 | VERSICHERUNGEN Wohngebäudeversicherung<br />

Preisdruck wächst<br />

Die Kosten für Wohngebäudepolicen werden 2024 weiter steigen – genauso wie die Zahl<br />

der Wetterextreme. Gegen diese müssen sich Immobilienbesitzer aber gezielt absichern.<br />

IR IMKE REIHER<br />

Was Sie erfahren<br />

werden:<br />

Warum die WGV-Prämien<br />

weiter steigen<br />

Weshalb Elementarschutz<br />

derzeit eher Kür ist, aber<br />

Pflicht sein sollte<br />

Welche Anknüpfungspunkte<br />

sich für die Beratung bieten<br />

Aus Schaden sollte man im Idealfall<br />

klug werden – allerdings kann diese<br />

Lektion sehr kostspielig sein. Etwa bei<br />

einer Immobilie, wenn sie nicht ausreichend<br />

gegen Schäden abgesichert<br />

ist. Dem beugt die Wohngebäudeversicherung<br />

(WGV) vor, die immer<br />

häufiger die Prämien erhöhen muss.<br />

<strong>2023</strong> verteuerte sie sich im Schnitt<br />

um 14,7 Prozent. Gründe sind gestiegene<br />

Baukosten und hohe Energiepreise<br />

sowie zunehmende Wetterextreme.<br />

Diese wirken sich unmittelbar auf die<br />

Prämie aus, da es sich bei der WGV<br />

um eine Versicherung zum „gleitenden<br />

Neuwert“ handelt. Heißt: Im<br />

Schadenfall erstatten Versicherer zum<br />

Neuwert. „In welchem Umfang Beitrag<br />

und Leistung in der Wohngebäudeversicherung<br />

angepasst werden,<br />

richtet sich nach den vom Statistischen<br />

Bundesamt herausgegebenen<br />

Daten zur Entwicklung der Bau- und<br />

Lohnkosten“, erklärt Anja Käfer-<br />

Rohrbach, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin<br />

beim Gesamtverband<br />

der Deutschen Versicherungswirtschaft<br />

(GDV). Die nächste Preiserhöhung<br />

steht bereits 2024 an: Laut dem<br />

GDV verteuern sich die Policen dann<br />

im Schnitt erneut um 7,5 Prozent.<br />

Elementarschutz inkludieren<br />

Trotzdem sollten Besitzer nicht am<br />

falschen Ende sparen, sondern ihre<br />

Immobilie gegen existenzbedrohende<br />

Schäden versichern. Dazu zählen insbesondere<br />

solche, die durch Extremwetter<br />

und Naturkatastrophen entstehen<br />

können. Diese müssen über den<br />

Zusatzbaustein „Elementarschutz“ in<br />

die Police integriert werden. „Die Elementarversicherung<br />

ist für fast jeden<br />

Hausbesitzer wichtig, da besonders<br />

Starkregen nicht prognostizierbar ist“,<br />

sagt Holger Schnittker von Schnittker<br />

Versicherungsmakler aus Steinfeld.<br />

Die im Zuge des Klimawandels steigende<br />

Zahl der Wetterextreme unter-<br />

Illustration: Roman Kulon


Wohngebäudeversicherung VERSICHERUNGEN | 49<br />

streicht die Brisanz. Dennoch ist laut<br />

GDV nur rund die Hälfte der Gebäude<br />

in Deutschland richtig gegen Naturgefahren<br />

versichert.<br />

Das mag auch an den mitunter hohen<br />

Beiträgen für Elementarschutz liegen.<br />

Zwar hängen diese von verschiedenen<br />

Faktoren ab. Schnittker zufolge<br />

lassen sich aber grobe Hausnummern<br />

nennen: „Bei Wohngebäuden, die in<br />

den Zürs-Zonen 1 und 2 liegen, muss<br />

man mit einem Zuschlag von circa<br />

35 Prozent rechnen. In Zürs-Zone 3<br />

liegt er bei circa 300 Prozent, und Gebäude<br />

in Zürs-Zone 4 sind in der Regel<br />

nicht versicherbar.“<br />

Um die Gefahr einer Unterversicherung<br />

zu vermeiden, sollte die WGV<br />

regelmäßig geprüft werden – gerade<br />

wenn Altverträge übernommen<br />

werden. „Im Lauf der Jahre verändern<br />

sich Risiken, beispielsweise durch<br />

den Kauf einer Wärmepumpe oder<br />

den Bau eines Carports, und neue Gefahren<br />

kommen hinzu. Deshalb sollte<br />

der Versicherungsschutz regelmäßig<br />

geprüft und angepasst werden“,<br />

bringt es GDV-Fachfrau Käfer-Rohrbach<br />

auf den Punkt.<br />

Anknüpfungspunkte für Makler<br />

Auch wenn die steigenden Kosten für<br />

Wohngebäudeversicherungen kein<br />

attraktiver Aufhänger für Makler<br />

sind, sollten sie ihre Kunden dafür<br />

sensibilisieren. Viele Immobilienbesitzer<br />

unterschätzen die Risiken<br />

für künftige Schadenereignisse und<br />

die finanzielle Bredouille, in die sie<br />

geraten könnten. „Eine Überflutung<br />

durch Starkregen kann jeden treffen,<br />

an jedem Ort – ganz gleich, ob das<br />

Haus nun am Fluss steht oder nicht“,<br />

gibt Käfer-Rohrbach zu bedenken.<br />

Hier können Makler anknüpfen, um<br />

die Dringlichkeit einer WGV aufzuzeigen.<br />

Dabei sollten sie auf potenzielle<br />

Stolperfallen hinweisen, wie Ausschlusskriterien<br />

oder Feinheiten bei<br />

Naturgefahren verursachen Milliardenschäden<br />

Der Klimawandel macht Elementarschutz wichtiger.<br />

Sturm- und Hagelschäden<br />

weitere Naturgefahrenschäden<br />

(Elementar)<br />

400<br />

Angaben in Mio. € Quelle: GDV-Naturgefahrenreport <strong>2023</strong>, Seite 6<br />

Formulierungen und Klauseln, die im<br />

Schadenfall einen entscheidenden<br />

Unterschied machen. Zudem sollten<br />

Makler auf wichtige Leistungen wie<br />

den Einschluss von Schäden, die<br />

»Der Versicherungsschutz<br />

bestehender<br />

Verträge sollte<br />

regelmäßig geprüft<br />

und angepasst<br />

werden.«<br />

Anja Käfer-Rohrbach, GDV<br />

890<br />

Long Story short<br />

10 Überschwemmungsschäden<br />

2.700<br />

Sturm- und Hagelschäden<br />

Sachversicherung (Wohngebäude, Hausrat, Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft)<br />

Kfz-Versicherung (Voll- und Teilkasko)<br />

durch grobe Fahrlässigkeit entstehen,<br />

von Transport-, Abbruch- und Aufräumkosten<br />

sowie Mehrkosten durch<br />

neue Bauauflagen achten.<br />

Da sich die Preise für WGV und<br />

Zusatzbausteine stark unterscheiden,<br />

ist ein Anbieter- und Leistungsvergleich<br />

ein Muss. Makler sollten zudem<br />

auf die Option hinweisen, die Prämie<br />

durch Selbstbehalt zu reduzieren.<br />

Dies ist auch deswegen sinnvoll, weil<br />

ein Versicherer nach jeder Schadensregulierung<br />

den Vertrag kündigen<br />

kann und neuer Schutz gerade bei<br />

älteren oder Schadensimmobilien<br />

nicht immer leicht zu bekommen ist.<br />

Darum ist auch die Kündigung einer<br />

Police keine gute Idee, sofern noch<br />

keine neue gesichert ist.<br />

Inflation und steigende Kosten im Bausektor pushen Prämien.<br />

Extremwetter-Ereignisse erfordern (teuren) Elementarschutz.<br />

Viele Gebäude sind unzureichend oder gar nicht versichert.<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


50 | FOKUS INTER Versicherungsgruppe<br />

FOKUS<br />

INTER Versicherungsgruppe<br />

Ärzte brauchen mehr als<br />

Einkommenssicherung<br />

Der junge Orthopäde und Unfallchirurg<br />

hatte sich, nach aufreibenden Jahren in<br />

einer Klinik, endlich seinen Traum einer<br />

eigenen Praxis erfüllt. Das Wartezimmer<br />

war stets gut gefüllt, die Arbeit machte<br />

ihm Spaß, in seiner Freizeit hielt er sich<br />

mit Langstreckenläufen fit. Noch nie<br />

hatte er länger als zwei Tage krankheitsbedingt<br />

zu Hause bleiben müssen.<br />

Doch dann, drei Jahre nach der Praxisgründung,<br />

der Schock: Hodenkrebs. Als<br />

Mediziner war ihm sofort klar: Selbst<br />

bei einem günstigen Verlauf würde er<br />

durch Operation und Chemotherapie<br />

mit Reha für längere Zeit ausfallen. Sein<br />

Einkommen hatte er zwar durch eine<br />

Krankentagegeldpolice abgesichert.<br />

Doch die fixen Kosten waren dadurch<br />

nicht gedeckt: die Miete für die zentral<br />

gelegenen Altbaupraxisräume, die Kreditraten<br />

für die schicke Praxisausstattung,<br />

die Leasingraten für die Hightech-<br />

Gerätschaften und die Gehälter für die<br />

vier Mitarbeiterinnen. Die Folge: Nur<br />

durch einen privaten Notkredit konnte<br />

der Jungmediziner die Pleite abwenden.<br />

Sein Fall ist exemplarisch für eine<br />

Vielzahl niedergelassener Ärztinnen und<br />

Ärzte, gerade in der ersten, besonders<br />

Foto: Tom Werner<br />

stressigen Zeit nach der Niederlassung.<br />

Wie bei jeder Unternehmensgründung<br />

fallen Fragen der Absicherung gern<br />

hinten runter, weil das operative<br />

Geschäft die ganze Kraft und Aufmerksamkeit<br />

in Anspruch nimmt. Umso wichtiger<br />

ist es, die Zielgruppe der Arztpraxisinhaber<br />

für die beträchtlichen<br />

Risiken zu sensibilisieren, die aus einer<br />

schweren Erkrankung oder einem Unfall<br />

für die Liquidität erwachsen können.<br />

Neben der Einkommenssicherung sollte<br />

das Szenario eines längeren Praxisausfalls<br />

durchgespielt und -gerechnet<br />

werden. Schnell wird dabei klar, dass<br />

eine umfassende Absicherung auch<br />

dieses Risiko wirksam abdecken sollte.<br />

Dazu bietet sich die neue, verbesserte<br />

und unlängst zum „Versicherungsprodukt<br />

des Jahres“ gekürte Praxisausfallversicherung<br />

der INTER an. Die Gründe<br />

dafür erfahren Sie im Interview mit den<br />

Komposit-Maklerreferenten Andreas<br />

Herber und Fabian Zeth auf den<br />

Folgeseiten.<br />

<strong>procontra</strong> FOKUS in Zusammenarbeit mit INTER Versicherungsgruppe<br />

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INTER Versicherungsgruppe FOKUS | 51<br />

»Ein Risiko, das vielen Ärzten<br />

nicht bewusst ist«<br />

Andreas Herber und Fabian Zeth, Maklerreferenten Komposit bei der INTER, über den<br />

Liquiditätssicherungsbedarf niedergelassener Ärztinnen und Ärzte für den Fall einer<br />

längeren Arbeitsunfähigkeit und das Lösungspaket ihres Hauses.<br />

SW SEBASTIAN WILHELM<br />

<strong>procontra</strong>: Niedergelassene Ärztinnen<br />

und Ärzte gelten gemeinhin als finanziell<br />

gut situiert. Brauchen sie überhaupt<br />

Versicherungsschutz für ihre Liquidität?<br />

Andreas Herber: Ein klares Ja. In<br />

Deutschland gibt es rund 100.000<br />

Arztpraxen. Die meisten davon werden<br />

als Einzelpraxen geführt. Das heißt: Fällt<br />

der Praxisinhaber wegen Krankheit oder<br />

Unfall aus, wird es schwierig und teuer,<br />

die Praxis überhaupt am Laufen zu<br />

halten. Ein Risiko, das vielen niedergelassenen<br />

Ärztinnen und Ärzten gar nicht<br />

bewusst ist. Viele sichern ihr Einkommen<br />

zwar mit einer Krankentagegeldversicherung<br />

ab, denken aber nicht an<br />

die weiterlaufenden Betriebskosten<br />

und haben keine Praxisausfallversicherung.<br />

Bei der Beratung von Angehörigen<br />

medizinischer Berufe sollten Versicherungsmaklerinnen<br />

und -makler auf dieses<br />

Problem unbedingt hinweisen. Denn<br />

eine Praxisschließung kann weitreichende<br />

Folgen haben. Wer kümmert sich um<br />

die Patientinnen und Patienten? Wer<br />

stellt die Diagnosen? Wer unterschreibt<br />

Rezepte? Und was ist mit den laufenden<br />

Kosten für Mieten, Leasingraten für<br />

Geräte, weitere Finanzierungsverbindlichkeiten<br />

bei einem Kreditinstitut und<br />

für das Personal?<br />

<strong>procontra</strong>: Was empfehlen Sie den<br />

Heilkundigen zur Entschärfung dieser<br />

Risiken?<br />

Fabian Zeth: Grundsätzlich ist das<br />

finanzielle Risiko des Praxisinhabers<br />

unter zwei Gesichtspunkten zu betrachten.<br />

Auf der einen Seite werden ihm<br />

nach einer gewissen Zeit die Einnahmen<br />

und damit sein Einkommen teilweise<br />

oder sogar ganz wegbrechen. Nicht<br />

nur bei niedergelassenen Medizinern,<br />

aber insbesondere bei ihnen, sollte<br />

bekanntlich die Einkommenssicherung<br />

für den Fall einer längeren Krankheit im<br />

Rahmen einer Krankentagegeldversicherung<br />

erfolgen. Auf der anderen Seite<br />

laufen seine fixen Kosten weiter. Zur<br />

vollständigen Sicherung der Liquidität<br />

muss diese Lücke also geschlossen werden.<br />

Hierzu bietet sich eine Praxisausfallversicherung<br />

an, wie sie die INTER<br />

Versicherungsgruppe kürzlich neu<br />

auf den Markt gebracht hat. Wie eine<br />

Krankentagegeldversicherung bietet<br />

das neue Produkt Schutz bei krankheitsund<br />

unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit<br />

des versicherten Praxisinhabers. In diesen<br />

Fällen übernimmt sie die fortlaufenden<br />

Kosten und kommt für entgangenen<br />

Gewinn auf. In Kombination tragen<br />

Krankentagegeld- und Praxisausfallversicherung<br />

damit zu einer ganzheitlichen<br />

Einkommens- und Liquiditätssiche-<br />

»Versicherungsprodukt<br />

des Jahres<br />

<strong>2023</strong>«<br />

Im Oktober wurde die Praxisausfallversicherung<br />

der INTER vom<br />

Deutschen Institut für Service-<br />

Qualität (DISQ) zum Versicherungsprodukt<br />

des Jahres <strong>2023</strong> gewählt.<br />

An der Auswertung war neben<br />

Prof. Dr. Matthias Beenken von der<br />

Fachhochschule Dortmund auch<br />

Constantin Papaspyratos, Chefökonom<br />

beim Bund der Versicherten,<br />

beteiligt. Die Fachleute begründeten<br />

die Auszeichnung unter anderem<br />

wie folgt:<br />

„Interessantes Konzept insbesondere<br />

durch den Kündigungsverzicht<br />

bei der Premium-Variante und die<br />

Sonderleistungen bei Schwangerschaft<br />

und bei Wiedereingliederung.<br />

Gute bis sehr gute Leistungen<br />

im Vergleich zum Wettbewerb […]<br />

Eine sehr sinnvolle Anwendung. Bei<br />

Krankentagegeld in Verbindung mit<br />

der Praxisausfallversicherung gibt<br />

es viele Situationen, die ein Problem<br />

sind. Mit diesem Tool werden beide<br />

Verträge aufeinander abgestimmt,<br />

so dass diese vertraglichen Risiken<br />

berücksichtigt werden können.“<br />

<strong>procontra</strong> FOKUS in Zusammenarbeit mit INTER Versicherungsgruppe<br />

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52 | FOKUS INTER Versicherungsgruppe<br />

rung des Arztes bzw. der Ärztin bei.<br />

<strong>procontra</strong>: Wie genau grenzen sich die<br />

beiden Produkte voneinander ab?<br />

Zeth: Die Krankentagegeldversicherung<br />

ist eine Summenversicherung und<br />

kommt für einen vereinbarten Tagessatz<br />

auf. Die Praxisausfallversicherung ist<br />

eine Schadenversicherung. Sie leistet<br />

für einen konkreten und nachzuweisenden<br />

Schaden bis zu der vereinbarten<br />

Versicherungssumme. Versichert sind<br />

wie bereits beschrieben einerseits das<br />

Nettoeinkommen, anderseits die fortlaufenden<br />

Kosten und entgangener Gewinn.<br />

Die Leistungsdauer beider Produkte<br />

bei 100-prozentiger Arbeitsunfähigkeit<br />

endet unter anderem mit der Feststellung<br />

einer Berufsunfähigkeit. Im Falle<br />

der Ausfallversicherung gilt es allerdings<br />

noch eine sogenannte Haftzeit, also<br />

maximale Leistungsdauer, von 12, 18 bzw.<br />

24 Monaten zu berücksichtigen. Wesentliche<br />

Unterschiede liegen auch in den<br />

Kündigungsrechten des Versicherers …<br />

<strong>procontra</strong>: … wofür bekanntlich in<br />

den Sparten Kranken und Komposit<br />

grundsätzlich verschiedene Regelungen<br />

gelten.<br />

»Längere Ausfallzeiten<br />

niedergelassener<br />

Ärzte lassen sich<br />

nur durch eine kostspielige<br />

Praxisvertretung<br />

angemessen<br />

kompensieren.«<br />

Andreas Herber<br />

Zeth: Genau. Die Krankenversicherung<br />

sieht für den Versicherer zum Wohl<br />

seines Versicherungsnehmers keine<br />

Möglichkeiten vor, das Vertragsverhältnis<br />

im Leistungsfall oder zum Ende der<br />

Versicherungsperiode zu beenden. Als<br />

Sachversicherung mit den vorhandenen<br />

Kündigungsrechten des Versicherers<br />

im Schadenfall bzw. zum Ablauf scheint<br />

sich der Schutz einer Praxisausfallversicherung<br />

zunächst nachteilig für den<br />

Versicherungsnehmer darzustellen.<br />

Die INTER wirkt dem jetzt entgegen,<br />

indem sie auf ihr ordentliches Kündigungsrecht<br />

bis zum Ablauf des fünften<br />

Versicherungsjahres – bei Human- und<br />

Zahnmedizinern optional auch unbefristet<br />

– verzichtet. Damit stellt sie<br />

Praxisausfall dem Krankentagegeld in<br />

diesem Bereich gleich. Ziel der Produktgestaltung<br />

was es, Synergien zur Sparte<br />

Krankenversicherung zu schaffen und<br />

viele Leistungen der beiden Sparten<br />

anzugleichen. Unabhängig davon<br />

können beide Produkte unabhängig<br />

voneinander abgeschlossen werden.<br />

Die Praxisausfallversicherung also auch,<br />

wenn bereits eine Absicherung des<br />

Krankentagegeldes bei einem anderen<br />

Versicherer besteht.<br />

<strong>procontra</strong>: Wer kann und sollte die<br />

Praxisausfallversicherung abschließen<br />

– alle 80.000 Einzelpraxisinhaber<br />

hierzulande?<br />

Herber: Längere Ausfallzeiten niedergelassener<br />

Ärzte lassen sich nur durch<br />

eine kostspielige Praxisvertretung<br />

angemessen kompensieren. Deshalb<br />

haben alle niedergelassenen Ärzte<br />

in Einzel- und Gemeinschaftspraxen<br />

Bedarf an der Absicherung ihrer fortlaufenden<br />

Praxiskosten. Das betrifft<br />

Human- und Zahnmediziner ebenso wie<br />

Veterinärmediziner. Als Faustregel für<br />

den Bedarf bei Ausfall des versicherten<br />

Praxisinhabers gilt: Je weniger sich der<br />

Ausfall kompensieren lässt, je höher<br />

die fortlaufenden Kosten sind und je<br />

geringer die Absicherung über Krankentagegeld<br />

ist, desto größer ist der Bedarf<br />

an einer Praxisausfallversicherung. Das<br />

Höchsteintrittsalter wurde in unserem<br />

neuen Tarif kundenfreundlich auf 62<br />

Jahre erhöht, zuvor lag die Grenze bei<br />

59 Jahren. Der Vertrag endet automatisch<br />

bei 68 Jahren.<br />

<strong>procontra</strong>: Was genau leistet denn Ihre<br />

Praxisausfallversicherung?<br />

Herber: Die Praxisausfallversicherung<br />

der INTER gibt es in den Produktvari-<br />

<strong>procontra</strong> FOKUS in Zusammenarbeit mit INTER Versicherungsgruppe<br />

Anzeige


INTER Versicherungsgruppe FOKUS | 53<br />

anten Exklusiv und Premium, sodass<br />

sowohl preis- als auch leistungsorientierten<br />

Kunden ein für sie passendes<br />

Angebot zur Verfügung steht. Nach<br />

einer individuell vereinbarten Karenzzeit<br />

erstattet die Police für eine Dauer<br />

von bis zu 24 Monaten fortlaufende<br />

Praxiskosten. Dazu zählen Miete für die<br />

Praxisräume, Energiekosten, Personalkosten,<br />

Leasingraten und Finanzierungskosten.<br />

Auch Kosten für eine Praxisvertretung<br />

können zur Schadenminderung<br />

erstattet werden. So geschehen etwa<br />

im Fall einer Augenärztin, die sich eine<br />

Schultereckgelenkssprengung zugezogen<br />

hatte und wegen der notwendigen<br />

Operation längere Zeit ausgefallen war.<br />

Neben den laufenden Kosten erstattete<br />

die INTER die <strong>Ausgabe</strong>n für die Praxisvertretung<br />

in Höhe von 18.000 Euro. Ein<br />

solches Schadenbeispiel illustriert im<br />

Beratungsgespräch lebensnah, wie das<br />

abstrakte Risiko zur konkreten Wirklichkeit<br />

werden kann und warum es dann<br />

so wichtig ist, die INTER an seiner Seite<br />

zu haben.<br />

<strong>procontra</strong>: Welche Verbesserungen und<br />

»Die INTER verzichtet<br />

in der Praxisausfallversicherung<br />

auf ihr ordentliches<br />

Kündigungsrecht.«<br />

Highlights über das erhöhte maximale<br />

Eintrittsalter hinaus kennzeichnen die<br />

neue Praxisausfallversicherung der<br />

INTER noch?<br />

Fabian Zeth<br />

Zeth: Auch die Versicherungssummen<br />

haben wir attraktiver gestaltet. Statt<br />

wie bisher 150.000 Euro lässt sich<br />

nun eine Jahresversicherungssumme<br />

von bis zu 288.000 Euro vereinbaren.<br />

Eine weitere Besonderheit stellen<br />

psychische und psychosomatische<br />

Erkrankungen dar, die bisher bis zu drei<br />

Monate versichert waren. Den Schutz<br />

bieten wir nun im Premium-Produkt mit<br />

einer Dauer von vier Monaten an. Auch<br />

Erkrankungen durch eine Epidemie oder<br />

Pandemie – zum Beispiel Corona – sind<br />

versichert. In der Premium-Variante gibt<br />

es außerdem anders als zuvor keinen<br />

Ausschluss bei schwangerschaftsbedingten<br />

Erkrankungen mehr, und wir<br />

leisten bei Teilarbeitsunfähigkeit für<br />

die Wiedereingliederung nach längerer<br />

schwerer Krankheit. Als i-Tüpfelchen<br />

übernimmt die INTER auch die Kosten<br />

für die Praxiswiedereröffnung nach mindestens<br />

dreimonatigem Ausfall in Höhe<br />

von bis zu 2.500 Euro.<br />

<strong>procontra</strong>: Welche Karenzzeiten gelten<br />

für die Inanspruchnahme von Leistungen?<br />

Herber: Die Kunden können wählen<br />

zwischen 14, 21, 28 oder 42 Tagen Karenzzeit,<br />

die dann sowohl bei ambulanter<br />

als auch bei stationärer Behandlung<br />

gelten. Bei Unfällen mit einem voll<br />

stationären Krankenhausaufenthalt<br />

von mindestens 72 Stunden entfällt die<br />

Karenzzeit komplett.<br />

<strong>procontra</strong>: Wo erhalten interessierte<br />

Maklerinnen und Makler weitere Informationen<br />

und Beratungsunterstützung<br />

zum Liquiditätssicherungs-Bundle der<br />

INTER für Niedergelassene?<br />

Zeth: Die erste Adresse dafür ist das<br />

Maklerportal der INTER: www.makler.<br />

inter.de/komposit/gewerbe/praxisausfall/produktbeschreibung/#menu.<br />

Außerdem stehen die Maklerbetreuerinnen<br />

und -betreuer der INTER jederzeit<br />

gern für Fragen und Hilfestellungen zur<br />

Verfügung. Ab Januar werden sie nicht<br />

mehr nach Regionen, sondern nach<br />

Fachgebieten organisiert sein. Das<br />

bedeutet noch mehr fachliche Tiefe und<br />

eine fundierte Antwort auf jede<br />

erdenkliche Frage rund um die INTER-<br />

Produkte und -Services. Für die Beratung<br />

können unsere Kooperationspartnerinnen<br />

und -partner zudem einen<br />

praktischen Tagessatzrechner nutzen.<br />

INTER Versicherungsgruppe | Telefon: 08000 825-425 | maklerservice@inter.de | makler.inter.de<br />

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54 | BERATER Steile Thesen 2024<br />

STEILE THESEN 2024<br />

+++ Drohendes Provisionsverbot+++ wefox wird verkauft +++ Bald 47.000 Makler +++<br />

Inflation sinkt auf 2 Prozent +++ Vermittlerverbände fusionieren +++ Abfragepflicht zu<br />

ESG-Kriterien wird ausgesetzt +++ BRSG II kommt +++ Preise für Bestände steigen +++<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Art. 30 Abs. 5b im Entwurf der<br />

EU-Kleinanlegerstrategie enthält<br />

eine Formulierung, die zu einem<br />

Provisionsverbot für unabhängige<br />

Vermittler von Versicherungsanlageprodukten<br />

führen könnte.<br />

STEILE THESE:<br />

»Das Provisionsverbot<br />

für Makler kommt.«<br />

Der Aufschrei in der Branche war<br />

groß. Bisher ist nicht klar, ob sich der<br />

Begriff „Unabhängigkeit“ im Entwurf<br />

auf den Status des Maklers oder auf<br />

die Dienstleistung im Einzelfall als<br />

solche bezieht. Ergebnis im ersten<br />

Fall: „Makler, die Courtage erhalten,<br />

wären im Wettbewerb gegenüber gebundenen<br />

Vertretern massiv benachteiligt<br />

und diskriminiert. Sie wären<br />

praktisch nicht mehr wettbewerbsfähig“,<br />

so AfW-Vorstand Norman Wirth.<br />

Inzwischen wurden mehrere Gutachten<br />

erstellt und viel diskutiert. Klar<br />

ist: Die Provisionsverbote für das<br />

reine Ausführungsgeschäft (Execution-only)<br />

und im Falle eines Verstoßes<br />

gegen das bestmögliche Interesse<br />

des Kunden werden kommen. Was<br />

aber aus einem Provisionsverbot für<br />

die oben erwähnten Makler wird, ist<br />

bisher Auslegungssache. Die Berichterstatterin<br />

des EU-Parlaments,<br />

Stéphanie Yon-Courtin, hat sich<br />

jüngst deutlich gegen die Pläne der<br />

Kommission ausgesprochen. Offen<br />

ist, ob sie eine Mehrheit für ihre<br />

Haltung organisieren kann. Die<br />

Verbände – mittlerweile fordert auch<br />

»Wir müssen uns<br />

wehren und jegliche<br />

europarechtswidrige<br />

Eingriffe in den<br />

Markt verhindern.«<br />

Norman Wirth<br />

Bundesverband<br />

Finanzdienst leistung AfW<br />

der BVK die Streichung des umstrittenen<br />

Passus – argumentieren unentwegt.<br />

„Wir führen ständig Gespräche<br />

– mit Politikern in Deutschland und<br />

auf EU-Ebene, direkt oder über<br />

unseren europäischen Dachverband<br />

FECIF. Wir stimmen uns dabei mit<br />

guten Partnern in Deutschland und<br />

auf EU-Ebene ab“, so Wirth. Die<br />

Europawahlen im Juni 2024 werden<br />

den Gesetzgebungsprozess nicht<br />

unterbrechen, höchstens verzögern.<br />

Möglich wäre eine Kompromissfindung<br />

zwischen EU-Kommission,<br />

EU-Parlament und Rat der EU. Über<br />

rechtswissenschaftliche Munition<br />

verfügen die Verbände jedenfalls.<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Das Rennen ist offen. Es wäre aber nicht<br />

das erste Mal, dass die Argumente der<br />

Lobbyverbände des größten EU-Landes<br />

verfangen, insbesondere wenn man<br />

diesmal mit einer Stimme spricht.<br />

40 %<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Steile Thesen 2024 BERATER | 55<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Das wohl bekannteste InsurTech<br />

wefox steht am Scheideweg.<br />

Sechs Jahre nach Markteintritt<br />

schreibt es immer noch keine<br />

schwarzen Zahlen, sorgt aber mit<br />

turbulenten Strategieänderungen<br />

für Aufsehen.<br />

wefox vertreibt Versicherungen in<br />

Deutschland, Österreich und der<br />

Schweiz und wurde nach einer<br />

Finanzierungsrunde im vergangenen<br />

Jahr mit 4,5 Milliarden US-Dollar<br />

bewertet. Das eigentliche Versicherungsgeschäft<br />

ist unter der wefox<br />

STEILE THESE:<br />

»wefox wird verkauft.«<br />

Insurance AG mit Hauptsitz in Vaduz<br />

organisiert. In den letzten beiden<br />

Jahren häuften sich Meldungen über<br />

fragwürdige Wachstumsmethoden<br />

mittels Zukäufen von Maklerfirmen,<br />

Umstrukturierungen und Personalwechsel.<br />

Zuletzt gab es Änderungen<br />

im Oktober: Mark Hartigan soll<br />

künftig das Aufsichtsgremium „Board<br />

of Directors“ leiten, während Gründer<br />

Julian Teicke als Vize fungiert. Die<br />

diversen Neuausrichtungen zeichnen<br />

nicht gerade das Bild eines stringenten<br />

Players im deutschen Markt, der<br />

weiß, was er will. Zuletzt wurden<br />

bestehende Hausrat-, Haftpflicht- und<br />

Wohngebäudeversicherungen des<br />

eigenen Hauses ebenso wie die eigene<br />

Kfz-Versicherung eingestampft. Der<br />

Fokus soll nun stärker auf das<br />

Affi ni tygeschäft und neue Distributionskooperationen<br />

gelegt und nur<br />

noch ausgewählte Produkte vertrieben<br />

werden. Wieder eine Richtungsänderung<br />

des InsurTechs.<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Der Druck, endlich Profit zu erzielen,<br />

steigt. Noch scheint ausreichend Kapital<br />

vorhanden. Ein Verkauf des Versicherungsgeschäfts<br />

erscheint daher vorerst<br />

eher unwahrscheinlich, zumindest für<br />

2024.<br />

25 %<br />

Seit Umsetzung der Versicherungsvermittlerrichtlinie<br />

im Jahr 2007 sind<br />

Versicherungsvermittler/-berater,<br />

Finanzanlagenvermittler, Honorar-Finanzanlagenberater<br />

und Immobiliardarlehensvermittler<br />

verpflichtet, ihre<br />

Qualifikation nachzuweisen und sich<br />

ins Onlineregister der IHK-Organisation<br />

eintragen zu lassen.<br />

Vergleicht man die Zahlen der letzten<br />

Jahre, fallen Trends auf: Die Zahl der<br />

Vermittler insgesamt geht klar zurück:<br />

Von 248.704 (2013) über 196.756<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Derzeit (Oktober <strong>2023</strong>) gibt es<br />

46.407 im Vermittlerregister verzeichnete<br />

Versicherungsmakler.<br />

Die Branche bemüht sich aktiv<br />

um die Gewinnung qualifizierten<br />

Nachwuchses.<br />

(2020) bis 183.055 aktuell, was hauptsächlich<br />

am Rückgang der gebundenen<br />

Vertreter liegt. Bei den Maklerzahlen<br />

sehen wir Stagnation, nämlich<br />

von 46.375 (2013) über 46.054 (2020)<br />

bis aktuell 46.407.<br />

Warum sollte die Zahl steigen, wenn<br />

das Durchschnittsalter der Makler<br />

laut BVK bei 53 Jahren liegt? Werden<br />

wirklich weniger Kollegen in den<br />

Ruhestand gehen, als Jungmakler<br />

oder in den Maklerstatus wechselnde<br />

AO-Vertreter nachkommen? Mona<br />

Moraht, Leiterin Referat Gewerberecht<br />

DIHK, kann dazu keine exakte<br />

Prognose abgeben, sagt aber: „Wenn<br />

man sich die Zahlen anschaut, ist<br />

STEILE THESE:<br />

»Die Zahl der Versicherungsmakler<br />

knackt die Marke<br />

von 47.000.«<br />

vermutlich eher von einem Rückgang<br />

auszugehen.“<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Die 47.000er-Marke würde bereits<br />

bei einem überschaubaren Plus von<br />

1,3 Prozent geknackt. Wir glauben an die<br />

Attraktivät des Maklerberufs und sind<br />

hier positiv gestimmt.<br />

70 %<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


56 | BERATER Steile Thesen 2024<br />

STEILE THESE:<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Im Oktober 2022 erreichte die<br />

Inflation 8,8 Prozent, ausgelöst<br />

durch krisen- und kriegsbedingte<br />

Sondereffekte wie Lieferengpässe.<br />

Nun aber greifen die Zinserhöhungen<br />

der EZB. Wird das reichen?<br />

„Mittelfristig streben wir eine<br />

Inflationsrate von 2 Prozent an. Wir<br />

verstehen dieses Ziel als ein symmetrisches<br />

Ziel. Das heißt, unserer<br />

Auffassung nach ist eine zu niedrige<br />

Inflationsrate genauso negativ wie<br />

eine zu hohe Inflationsrate“, heißt es<br />

auf der Website der Europäischen<br />

Zentralbank (EZB). Aktuell (Oktober<br />

<strong>2023</strong>) steht die Inflationsrate auf 3,8<br />

Prozent, ein deutlicher Rückgang von<br />

den exorbitanten Raten der letzten<br />

zwei Jahre. Kein Wunder, die EZB hat<br />

in einer beispiellos raschen Abfolge<br />

»Die Inflationsrate kehrt<br />

auf das Zielniveau von<br />

2 Prozent zurück.«<br />

den Leitzins erhöht, auf mittlerweile<br />

4,5 Prozent. Weitere Zinserhöhungen<br />

werden vorerst nicht erwartet.<br />

Einerseits bleibt die Entwicklung der<br />

Löhne im Euroraum weiterhin ein<br />

wichtiger Inflationstreiber. Andererseits<br />

schwächt die konjunkturelle<br />

Lage im Euroraum die Inflation ab.<br />

Die Warenpreise werden 2024<br />

weiterhin zurückgehen. Die Europäi-<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Ja, die Inflation wird weiter fallen, sie wird aber – zumindest<br />

im Jahr 2024 – nicht das Wunschniveau von 2,0 Prozent erreichen,<br />

da es noch zu viele gegenläufige Effekte im Markt gibt.<br />

sche Kommission prognostiziert für<br />

2024 eine Inflationsrate für Deutschland<br />

von 2,8 Prozent. Laut einer<br />

Umfrage des ZEW erwarten Finanzmarktexperten<br />

für die Jahre 2024 und<br />

2025 im Median Inflationsraten von<br />

3,3 respektive 2,5 Prozent. Das<br />

Inflationsziel von 2 Prozent wird aus<br />

Sicht der Experten also nicht erreicht.<br />

Da schließen wir uns an.<br />

20 %<br />

Je mehr Mitglieder eine Interessenvertretung<br />

hat, desto besser ist ihre<br />

Relevanz und Wahrnehmung gegenüber<br />

der Politik. Während viele<br />

Branchen eine starke einheitliche<br />

Lobby haben, herrscht im Bereich der<br />

Finanzdienstleistungen jedoch eine<br />

historisch gewachsene Kleinstaaterei.<br />

Als wichtige Stimmen, jeweils mit<br />

eigener Lobbyarbeit in Berlin und<br />

Brüssel, gelten vor allem der BVK<br />

(wahrgenommen meist als Vertreter<br />

der gebundenen Vertreter), der AfW<br />

(unabhängige Makler) und Votum<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

STEILE THESE:<br />

»AfW, Votum<br />

und BVK fusionieren,<br />

um<br />

mit einer stärkeren<br />

Stimme<br />

für Vermittler<br />

zu sprechen.«<br />

(größere Vertriebe). Eine Fusion<br />

würde zu einer geeinten Stimme mit<br />

mehr Durchsetzungskraft führen.<br />

Nein, meint Martin Klein vom<br />

Votum-Verband, eine Fusion sei nicht<br />

sinvoll, dafür so viel Kooperation wie<br />

möglich. „Die Verbände haben so die<br />

Möglichkeit, in ihrer jeweiligen<br />

Stammmitgliedschaft die Stärken<br />

auszuspielen und damit alle Marktmeinungen<br />

in die Diskussion einzubringen.“<br />

Wenn bei maßgeblichen<br />

Themen der Politik gegenüber eine<br />

einheitliche Positionierung, und diese<br />

vielstimmig, vertreten wird, erhöhe<br />

das die Chancen, Gehör zu finden.<br />

In der Wahrnehmung in Politik und<br />

Presse ist es nachteilig, wenn sich<br />

Verbände für Partikularinteressen zum<br />

Beispiel für die AO oder den Bankenvertrieb<br />

auf Kosten anderer Vertriebswege<br />

profilieren.<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Um es plakativ zu sagen: Eher friert die Hölle zu! Allenfalls sehr<br />

langfristig mit einer neuen Generation von Führungspersonal<br />

mag die Fusion der Top-Vermittlerverbände möglich erscheinen,<br />

derzeit ist sie unrealistisch.<br />

5 %<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Steile Thesen 2024 BERATER | 57<br />

STEILE THESE:<br />

»Die Abfragepflicht zu<br />

Nachhaltigkeitspräferen<br />

zen wird ausgesetzt.«<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Versicherungsvermittler müssen seit August 2022, Finanzanlagenberater<br />

seit April <strong>2023</strong> die ESG-Präferenzen ihrer Kunden<br />

abfragen, ihre Produktempfehlungen danach ausrichten<br />

und dies dokumentieren.<br />

Es war das wichtigste regulatorische Thema des letzten<br />

Jahres: die überhastete Einführung einer Abfragepflicht<br />

von Vermittlern zu den Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer<br />

Kunden über eine EU-Verordnung. Und dies, obwohl zu<br />

diesem Zeitpunkt viele Produktgeber noch gar keinen<br />

klaren Rahmen für die Nachhaltigkeitseinstufung ihrer<br />

Produkte vorliegen hatten. Die Vermittler mussten also<br />

zeitweise im luftleeren Raum agieren. Zwar lieferten die<br />

Vermittlerverbände wie der AfW und Votum rasch<br />

Vorlagen und Empfehlungen. In der Praxis jedoch fand<br />

die regulatorische Maßnahme kaum Widerhall, geschweige<br />

denn Akzeptanz. Zu komplex, zu zeitraubend, zu<br />

unsicher – und die Kunden bestanden und bestehen<br />

auch nicht darauf. Laut AfW-Vermittlerbarometer, einer<br />

Umfrage unter 1.300 Vermittlern, hat nur gut jeder<br />

zweite Kunde (53 Prozent) an einer Beratung zu nachhaltigen<br />

Finanz- und Versicherungsprodukten Interesse und<br />

möchte über seine ESG-Präferenzen sprechen. 22 Prozent<br />

wollen das Thema überhaupt nicht anschneiden, und<br />

jedem vierten Kunden (25 Prozent) sind ESG-Aspekte in<br />

der Geldanlage egal! Da ist es einfacher, wenn der Kunde<br />

bei der Frage, ob er nachhaltige Produkte wünscht,<br />

„nein“ antwortet und dann das gesamte Abfrageprozedere<br />

gar nicht weiter zur Anwendung kommt.<br />

Mit dem Betriebs-<br />

rentenstärkungs-<br />

gesetz (BRSG)<br />

sollte die Betriebsrente<br />

bundesweit<br />

populärer<br />

werden. Die<br />

Effekte blieben<br />

STEILE THESE:<br />

»Das BRSG II wird<br />

vorgestellt.«<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Das BRSG trat 2018 in Kraft. Es<br />

bietet bessere steuer- und sozialversicherungsrechtliche<br />

Rahmenbedingungen<br />

für die bAV und soll<br />

die Verbreitung der Betriebsrente<br />

fördern. Zeit für eine Nachjustierung.<br />

indes überschaubar.<br />

Schon im Mai dieses Jahres forderte Dr. Georg<br />

Thurnes, Vorsitzender der aba Arbeitsgemeinschaft für<br />

bAV: „Es ist Zeit für ein Betriebsrentenstärkungsgesetz<br />

II.“ Ein mehrmonatiger Fachdialog beim Arbeitsministerium<br />

habe den Handlungsbedarf aufgezeigt und<br />

Vorschläge für eine Stärkung der Betriebsrente geliefert,<br />

zum Beispiel beim spärlich verbreiteten Sozialpartnermodell<br />

(siehe Seite 31). Derzeit tagt eine Dialoggruppe<br />

bAV im Bundesministerium für Arbeit und Soziales.<br />

Zu den diskutierten Ideen für ein BRSG II gehören etwa<br />

bei der Geringverdienerförderung nach § 100 EStG eine<br />

Erhöhung des Fördersatzes von 30 auf 40 oder 50<br />

Prozent und eine Dynamisierung der derzeit geltenden<br />

Gehaltsgrenze von 2.575 Euro. Die bAV stärker zu<br />

entbürokratisieren, zu deregulieren und zu digitalisieren<br />

wird ebenfalls gefordert. Dringender Handlungsbedarf<br />

sieht die aba auch im Finanzaufsichtsrecht. „Wir<br />

brauchen eine Anpassung der bestehenden Anforderungen<br />

an die Kapitalanlage, die Bedeckung und das<br />

Risikomanagement“, so Thurnes. So dürften etwa<br />

Altersversorgungseinrichtungen nicht undifferenziert<br />

der Finanzmarktregulierung unterworfen werden.<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Regulierung wird zwar evaluiert, aber<br />

selten zurückgenommen. Die Abfrage<br />

wird daher kaum wieder eingemottet<br />

werden. Es ist wahrscheinlicher, dass<br />

die Politik versucht, die Umsetzung<br />

deutlich zu vereinfachen.<br />

15 %<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Von einer flächendeckenden<br />

Verbreitung der Betriebsrente<br />

sind wir weit entfernt. Der<br />

Gesetzgeber muss reagieren,<br />

konkrete Vorschläge liegen auf<br />

dem Tisch. Sechs Jahre nach<br />

dem BRSG wird es Zeit.<br />

85 %<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


58 | BERATER Steile Thesen 2024<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Makler können organisch wachsen<br />

oder schneller über den Zukauf von<br />

Beständen. Dieser Markt ist aktuell<br />

hart umkämpft, wobei bestimmte<br />

Grundregeln der Bewertung eine<br />

wichtige Rolle spielen.<br />

Wer aktuell seinen Maklerbestand<br />

oder sein Unternehmen veräußern<br />

möchte, kann sich über mangelnde<br />

Angebote nicht beklagen. Die Nachfrage<br />

ist enorm, es herrscht ein<br />

Verkäufermarkt, der mit bis zu „100<br />

Prozent Maklerrente“ oder „Faktor 4<br />

auf die Bestandscourtage“ wirbt. In<br />

der Fachpresse berichten Gutacher,<br />

dass sie von rund 40 Interessenten<br />

kontaktiert werden, wenn sie einen<br />

Maklerbestand am Markt platzieren.<br />

Zwar hat die Zinswende die zuvor<br />

steigenden Preise in Teilen abgeschwächt,<br />

insbesondere bei großen<br />

Maklern. Aber: „Bei den kleineren<br />

Beständen von Versicherungsmaklern<br />

verschärft sich der Wettbewerb,<br />

weil die Pools versuchen ihre Bestände<br />

zu sichern und über Käufe ihrer<br />

Makler neue Bestände in ihre Bücher<br />

zu bekommen. Viele Makler haben<br />

auch die Sorge, dass sie aufgrund der<br />

zunehmenden Regulierung nicht<br />

groß genug sind, um dauerhaft<br />

existieren zu können. Diese Gruppe<br />

tritt immer stärker als Kaufinteressenten<br />

auf“, sagt Andreas W. Grimm,<br />

Gründer des Resultate Instituts.<br />

Zudem drängen Private-Equity-Groß-<br />

STEILE THESE:<br />

»Käufer reißen sich<br />

um Maklerbestände.«<br />

investoren auf der Suche nach<br />

attraktiven Renditen in den Markt.<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Bis 2030 werden Tausende Vermittelnde<br />

in Rente gehen und Bestände hinterlassen.<br />

Mit Top-Preisen können sie aber<br />

nur rechnen, wenn der Bestand gepflegt<br />

und digitalisiert ist.<br />

65 %<br />

Stellt man Kunden vor die Wahl, ob sie<br />

gegen Provision oder gegen Honoar<br />

beraten werden möchten, wählt die<br />

überwältigende Mehrheit erstere<br />

Variante. In der gewachsenen Struktur<br />

des Finanzberatungsmarktes und der<br />

„vermeintlich kostenlosen“ Beratung<br />

haben es reine Honorarberater nach<br />

wie vor schwer und fokussieren sich<br />

auf sehr vermögende Kunden. Im<br />

Vermittlerregister des DIHK sind<br />

derzeit (Oktober <strong>2023</strong>) 326 Versicherungsberater<br />

mit Erlaubnis nach<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Seit Langem wird die Honorarberatung<br />

als Alternative zur Provisionsberatung<br />

von Politik und Verbraucherschützern<br />

propagiert. Ohne Erfolg, denn vielen<br />

Kunden erscheinen kostendeckende<br />

Honorare als zu teuer.<br />

STEILE THESE:<br />

»Die Zahl der<br />

reinen Honorarberater<br />

geht deutlich<br />

zurück.«<br />

Paragraf 34d Absatz 2 GewO gelistet.<br />

Zudem sind 316 Honorar-Finanzanlagenberater<br />

nach 34h gelistet. Angesichts<br />

einer Gesamtzahl von 183.055<br />

Versicherungsvermittlern und 40.000<br />

Finanzanlagenvermittlern auf dem<br />

deutschen Markt sind das mikroskopische<br />

Anteile. Da wir davon ausgehen,<br />

dass die Branche ein drohendes<br />

Provisionsverbot aus Brüssel im<br />

Rahmen der EU-Kleinanlegerstrategie<br />

(siehe Seite 54) zu verhindern weiß,<br />

wird es vorerst keinen externen Schub<br />

für die Honorarberatung geben. Da<br />

die meist sehr erfahrenen Honorarberater<br />

auch älter werden, wird ihre Zahl<br />

langfristig sinken.<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Es gibt sie noch, engagierte und erfahrene<br />

Honorarberater, die – oftmals als<br />

Sachverständige – von ihrem Job leben<br />

können. Sie bedienen eine Nische und<br />

werden sich auch weiterhin am Markt<br />

behaupten – in geringerer Zahl.<br />

35 %<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Steile Thesen 2024 BERATER | 59<br />

STEILE THESE:<br />

»Versicherungsmakler<br />

dürfen sich nicht mehr<br />

›unabhängig‹ nennen.«<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Zwei aktuelle Gerichtsentscheidungen lassen sich so interpretieren,<br />

dass – anders als reine Honorarberater – Vermittler,<br />

die Provisionen erhalten, nicht mit dem Status der<br />

Unabhängigkeit werben dürfen.<br />

Die Unabhängigkeit gilt als identitätsstiftender Baustein<br />

des Maklerstatus. Der BGH stellte 1985 fest, dass Makler<br />

als „Sachwalter des Kunden“ auf der gleichen Stufe<br />

stehen wie sonstige Berater, also etwa Rechtsanwälte<br />

und Steuerberater. Anders als ein bei einem Versicherer<br />

abhängig beschäftigter Vertreter hat der Makler die Aufgabe,<br />

die Interessen seines Kunden, des Versicherungsnehmers,<br />

wahrzunehmen. Und entsprechend unabhängig<br />

passenden Versicherungsschutz für ihn zu finden.<br />

Noch nicht rechtskräftig<br />

Nun haben zwei aktuelle Urteile (AZ 33 O 15/23 Landgericht<br />

Köln, AZ 9 O 1081/22 Landgericht Bremen) die Frage<br />

der Unabhängigkeit mit der Vergütung verknüpft.<br />

Demnach dürfen Vermittler ihre Beratung nicht als<br />

unabhängig darstellen und auch nicht als reine Berater<br />

auftreten, wenn sie Provisionen von Versicherern oder<br />

Finanzinstituten erhalten. Es stünde nur Versicherungsberatern<br />

– also reinen Honorarberatern – das Adjektiv<br />

„unabhängig“ zu, schließt daraus der Verbraucherzentrale<br />

Bundesverband (vzbv). Die Verbraucherschützer<br />

hatten die Urteile gegen zwei Versicherungsmakler<br />

erstritten. Beide Entscheidungen ergingen an Landgerichten<br />

und sind noch nicht rechtskräftig.<br />

Wir erinnern uns:<br />

Schon vor Jahren<br />

hat der Versichererpool<br />

1:1 Assekuranzservice<br />

AG<br />

die kleineren Pools<br />

Clarus, Askuma,<br />

DePeMa und eke<br />

finance GmbH<br />

übernommen. Und die Hypoport-Tochter Qualitypool integrierte<br />

schrittweise den Maklerpool und Assekuradeur<br />

ASC sowie die AmexPool AG. Jung, DMS & Cie. kaufte den<br />

Investmentpool Komm und legte im Juni <strong>2023</strong> nach mit<br />

der Übernahme der Top-Ten-Gruppe. Hinzu kommen<br />

viele umfassende Kooperationen zwischen Maklerpools.<br />

„Größe entwickelt sich zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor.<br />

Sie verspricht Skaleneffekte und den<br />

Ausbau der Marktposition. Schon jetzt verläuft die<br />

Wachstumskurve sehr unterschiedlich“, sagt Pool-Expertin<br />

Sabine Brunotte. Sie verweist auf Finanzinvestoren<br />

wie Hg Capital und Warburg Pincus, die die Finanzreserven<br />

einzelner Pools auffüllen. So hat sich Hg Capital die<br />

Mehrheit von Fonds Finanz und des Maklerverbunds<br />

DEMV gesichert. Beide Unternehmen arbeiten nun unter<br />

dem gemeinsamen Dach der Infitech GmbH, und Fonds<br />

Finanz promotet das Maklerverwaltungsprogramm des<br />

DEMV bei seinen Maklern. Auf diese Weise treibt Hg den<br />

IT-Ausbau voran.<br />

STEILE THESE:<br />

»Die Konsolidierung<br />

der Maklerpools nimmt<br />

Fahrt auf.«<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Seit Jahren beteiligen sich Pools<br />

an Mitbewerbern, Dienstleistern<br />

und Partnern oder integrieren<br />

sie sogar komplett. Auch große<br />

Finanzinvestoren sind bereits auf<br />

den Plan getreten.<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Hier ist das letzte Wort noch nicht<br />

gesprochen, zumal die beiden Urteile<br />

auch abweichende Interpretationen<br />

zulassen. Es ist wahrscheinlich, dass<br />

höhere Instanzen den Status der Unabhängigkeit<br />

klarer fassen.<br />

20 %<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Es gibt keinen ersichtlichen Grund,<br />

warum dieser logische Trend stoppen<br />

sollte. Der Markt der Maklerpools<br />

wird auch 2024 weitere Übernahmen<br />

und Kooperationen sehen.<br />

90 %<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


60 | SO IST , S RECHT <br />

So ist , s Recht<br />

Relevante Urteile für Ihre Beratung<br />

AW ANNE MAREILE WALTER<br />

Wohngebäude<br />

Schwamm drüber?!<br />

Der Ausschluss von Schwammschäden<br />

aus dem Leistungsumfang von Gebäudeversicherungen<br />

ist nach einem<br />

Leitungswasserschaden rechtmäßig.<br />

Das bestätigte 2012 der BGH. Eine<br />

Hausbesitzerin klagte trotzdem und<br />

begründete das damit, dass ihr Haus in<br />

Holzständerbauweise errichtet wurde.<br />

Hier sei regelmäßig mit Schwammbefall<br />

zu rechnen, der Versicherungsnehmer<br />

werde also benachteiligt. Das sahen<br />

die Richter anders: Die BGH-Rechtsprechung<br />

beziehe alle Häuser mit ein, auch<br />

solche in Holzständerbauweise.<br />

OLG Köln, AZ: 9 U 19/23<br />

Krankenversicherung<br />

Strittiger Off-Label-Use<br />

Experimentelle Behandlungsmethoden,<br />

die nicht durch hinreichende Indizien<br />

gestützt sind, müssen von den gesetzlichen<br />

Kassen nicht bezahlt werden. Das<br />

geht aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts<br />

hervor. Darin ging es um<br />

einen 2020 geborenen, schwer kranken<br />

Jungen, der an einer unheilbaren Stoffwechselerkrankung<br />

leidet. Nachdem die<br />

Kasse die Kostenübernahme für eine<br />

Off-Label-Therapie abgelehnt hatte,<br />

reichten die Eltern Beschwerde ein. Aus<br />

Sicht der Richter wurden die Grundrechte<br />

des Kindes nicht verletzt.<br />

BVerfGE, AZ: 1 BvR 1790/23<br />

Berufsrecht<br />

»Unabhängige« Darstellung ist gegen das Gesetz<br />

Vermittler dürfen sich nicht als „unabhängig“ darstellen oder als Berater auftreten,<br />

wenn sie Provisionen erhalten. Das zeigen zwei Urteile nach Klagen<br />

des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv). Im ersten Fall hatte ein<br />

Makler Beratung angeboten, obwohl er über keine Zulassung als Versicherungsberater<br />

verfügte. Die Gewerbeformen des Honorarberaters und des<br />

Vermittlers sind per Gesetz getrennt, ein gleichzeitiges Betreiben verboten,<br />

so das richterliche Urteil. Im zweiten Fall warb eine Firma mit „unabhängiger<br />

Beratung“ und formulierte eine Erlaubnis nach 34d und 34f. Dadurch entstehe<br />

der irrtümliche Eindruck, es mit einem Honorarberater zu tun zu haben.<br />

Beide Urteile sind noch nicht rechtskräftig.<br />

LG Köln, AZ: 33 O 15/23, LG Bremen, AZ: 9 O 1081/22<br />

»Wer als Versicherungsvermittler tätig ist,<br />

darf nicht als Versicherungsberater tätig<br />

sein und umgekehrt.«<br />

Auszug aus der Urteilsbegründung, Landgericht Köln<br />

Illustration: Jakob Bettin


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62 | BERATER Maklermarkt<br />

»Für uns macht eine<br />

Fusion keinen Sinn«<br />

Mit Dietmar Bläsing wechselt einer der langgedientesten Versicherungsmanager<br />

Deutschlands in den Ruhestand. <strong>procontra</strong> sprach mit ihm und seiner Nachfolgerin<br />

Stefanie van Holt über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Volkswohl Bundes.<br />

HP HANNAH PETERSOHN MT MARTIN THALER<br />

<strong>procontra</strong>: 40 Jahre sind Sie nun beim<br />

Volkswohl Bund tätig, davon 26 Jahre<br />

im Vorstand und sechs als Vorstandssprecher.<br />

Auf welche Ereignisse blicken<br />

Sie als besonders prägend zurück?<br />

Dietmar Bläsing: Neben dem Ende der<br />

Steuerfreiheit für Lebensversicherungen<br />

2004, als man den Vertriebspartnern<br />

eine ganz neue Perspektive aufzeigen<br />

musste, und der Niedrigzinsphase<br />

ist das auf jeden Fall der Wandel des<br />

Volkswohl Bundes zum Maklerversicherer.<br />

Als ich hier 1983 als Azubi anfing,<br />

waren wir noch ein reiner Ausschließlichkeitsversicherer.<br />

Dadurch hatten wir<br />

ein großes Kostenproblem bei gleichzeitig<br />

nur geringer Produktivität – die Kostensätze<br />

waren damals wirklich jenseits<br />

von Gut und Böse. Mehrere Vertriebsvorstände<br />

sind daran gescheitert, die<br />

Effizienz zu erhöhen. Als letzte Option<br />

wurde versucht, den Vertrieb stärker zu<br />

diversifizieren. Glücklicherweise, muss<br />

Was Sie erfahren werden:<br />

man sagen, denn andernfalls gäbe es<br />

den Volkswohl Bund heute eventuell<br />

nicht mehr bzw. hätten wir fusionieren<br />

müssen.<br />

<strong>procontra</strong>: Makler kommen sicherlich<br />

nicht von alleine. Wie sind Sie vorgegangen?<br />

Wie der Umbau zum Maklerversicherer ablief<br />

Worin die größten Herausforderungen liegen<br />

»Wir haben die AO<br />

nie abgeschafft, sie<br />

ist über die Zeit<br />

weggeflutscht.«<br />

Dietmar Bläsing<br />

Bläsing: Maklerkontakte hatten wir zu<br />

Beginn kaum. Zum Glück kamen wir damals<br />

auf die gute Idee, es über Produkte<br />

zu versuchen. Für mich persönlich war<br />

Warum eine Fusion für den Volkswohl Bund nicht infrage kommt<br />

das eine tolle Möglichkeit: Als ich gerade<br />

drei Jahre mit meiner Ausbildung fertig<br />

war, erhielt ich zusammen mit einem<br />

neuen Kollegen, der Versicherungsmathematiker<br />

war, den Auftrag: „Macht<br />

mal spannende Produkte.“<br />

<strong>procontra</strong>: Waren Sie dann einfach<br />

kreativer als andere Versicherer?<br />

Bläsing: Jein. Zum einen haben wir<br />

begonnen, die Produkte ganzheitlich zu<br />

denken – das heißt nicht nur kalkulatorisch,<br />

sondern auch unter Marketinggesichtspunkten.<br />

Allerdings war der größte<br />

Hemmschuh für Produktinnovationen<br />

damals die IT, damals hieß sie noch EDV.<br />

Wir hatten das Glück, damals über ein<br />

relativ neues Bestandsführungssystem<br />

zu verfügen, das mehr konnte als die<br />

Systeme in anderen Häusern. Vielleicht<br />

hatten also die Kollegen genauso gute<br />

Ideen, konnten sie aber nicht umsetzen.<br />

<strong>procontra</strong>: Mittlerweile haben Sie so<br />

gut wie keine Ausschließlichkeit mehr.<br />

Haben Sie ihre AO mit den damaligen<br />

Beschlüssen bewusst beerdigt?<br />

Bläsing: Nein. Die Direktive lautete<br />

damals, den Vertrieb zu diversifizieren.<br />

Wir haben keine Maklerorganisation auf<br />

der grünen Wiese aufgebaut, sondern<br />

alle Geschäftsstellenleiter, Bezirksdirektoren<br />

etc. angewiesen, sich um freie<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Maklermarkt BERATER | 63<br />

Vertriebspartner zu bemühen. Diese<br />

Außendienstführungskräfte waren<br />

damals schon stark erfolgsabhängig honoriert<br />

und merkten dann, dass es sich<br />

für sie finanziell viel mehr lohnte, sich<br />

um freie Vertriebspartner als um eine<br />

höhere Effizienz in der AO zu kümmern.<br />

Die Genese zum Maklerversicherer war<br />

ein reiner Evolutionsprozess. Wir haben<br />

die AO nie abgeschafft, sie ist über die<br />

Zeit weggeflutscht.<br />

<strong>procontra</strong>: Mehrere Versicherer stärken<br />

derzeit wieder ihre AO, auch weil dadurch<br />

mehr Planbarkeit erreicht werden<br />

kann. Als Nachfolgerin von Herrn<br />

Bläsing, Frau van Holt: Denken Sie über<br />

einen solchen Schritt nach?<br />

Stefanie van Holt: Nein. Eine Ausschließlichkeit<br />

neu aufzubauen ist eine<br />

»Kontinuität ist<br />

entscheidend für<br />

unsere Vertriebspartner.«<br />

Stefanie van Holt<br />

ganz andere Geschichte, als in den<br />

Maklervertrieb einzusteigen. Wenn Sie<br />

eine AO aufbauen wollen, braucht es ein<br />

ganzes Bündel an Rahmenbedingungen,<br />

angefangen von der Weiterbildung bis<br />

hin zur IT, also Beratungssoftware und<br />

Vergleichstools, die sie der AO zur Verfügung<br />

stellen müssen. Das wären enorme<br />

Investitionen, die wir hier tätigen<br />

müssten. Unser Fokus bleibt deswegen<br />

auf den freien Vertriebspartnern.<br />

<strong>procontra</strong>: Richten wir den Blick aus<br />

der Vergangenheit in Richtung Zukunft.<br />

Frau van Holt, wo sehen Sie zukünftig<br />

die größten Herausforderungen für<br />

sich?<br />

van Holt: Die Digitalisierung wird<br />

sicherlich ein sehr relevantes Thema<br />

bleiben. Viele schauen ja immer nur<br />

auf die Produkte, doch die sind meist<br />

innerhalb eines halben Jahres von der<br />

Konkurrenz kopiert. Wir wollen darum<br />

Services stärker in den Blick nehmen<br />

und haben dafür gerade eine eigene Abteilung<br />

namens „Services Management“<br />

gegründet, die Vermittlern auch Tools<br />

für ihre Arbeit an die Hand geben soll.<br />

<strong>procontra</strong>: Bereitet Ihnen die zunehmende<br />

Regulatorik Kopfzerbrechen?<br />

van Holt: Das ist ein ganz wichtiger<br />

Punkt. Die Regulatorik wächst immer<br />

weiter, für uns und alle anderen in<br />

der Branche. Mit Folgen für die Neueinstellungen:<br />

Der Apparat, der nur<br />

für die Umsetzung der neuen Regeln<br />

und Gesetze zuständig ist, wächst<br />

immer weiter. Wir werden nicht darum<br />

herumkommen, diese umzusetzen. Die<br />

Herausforderung für uns wird aber sein,<br />

nicht nur die Regulatorik umzusetzen,<br />

sondern trotzdem kreativ zu bleiben<br />

und neue Themen und Services zu entwickeln,<br />

die auch kostenattraktiv sind.<br />

Schließlich muss die gesamte umzusetzende<br />

Regulatorik auch bezahlt werden.<br />

<strong>procontra</strong>: Erst vor Kurzem haben zwei<br />

Versicherer aus ihrer Nachbarschaft,<br />

die Gothaer und die Barmenia, erklärt,<br />

miteinander fusionieren zu wollen.<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


64 | BERATER Maklermarkt<br />

Ist eine Fusion für Ihr Unternehmen<br />

ebenfalls denkbar?<br />

van Holt: Wir unterstützen Kooperationen<br />

auf Branchenebene, die unseren<br />

Vertriebspartnern das Leben erleichtern.<br />

Beispiele wären hier die Deutsche<br />

Makler Akademie oder die easy-Login-<br />

Initiative. Hinter dieser Hürde, die wir<br />

den Vertriebspartnern dann gemeinschaftlich<br />

nehmen, fängt dann der<br />

Wettbewerb aber wieder an. Ein Zusammengehen<br />

mit anderen Versicherern<br />

steht für uns somit nicht zur Debatte.<br />

Bläsing: Eine Fusion macht für uns<br />

keinen Sinn. Wir sind immer organisch<br />

gewachsen und wollen das auch in<br />

Zukunft so beibehalten. Wir stehen<br />

anderen Versicherern aber immer als<br />

Produktpartner oder für Konsortiallösungen<br />

zu Verfügung. Ich spreche hier<br />

immer von der Großer-Kuchen-Theorie,<br />

die auch viele weitere Versicherer mit<br />

Maklervertrieb teilen. Sie besagt: Lass<br />

uns zusammen möglichst vielen Vertriebspartnern<br />

dabei helfen, dass sie<br />

auch morgen noch tätig sein können<br />

– das macht den Kuchen größer. Wenn<br />

das gelungen ist, dann geht der Wettbewerb<br />

los. Aber uns allen fällt es doch<br />

leichter, uns von einem großen statt von<br />

einem kleinen Kuchen ein Stück abzuschneiden.<br />

<strong>procontra</strong>: Herr Bläsing, Sie haben Ihre<br />

gesamte Karriere beim Volkswohl Bund<br />

verbracht, mit Frau van Holt übernimmt<br />

nun ein weiteres Eigengewächs die Geschäfte.<br />

Welche Vor-, aber auch Nachteile<br />

entstehen aus dieser Fokussierung<br />

auf nur einen Arbeitgeber?<br />

van Holt: Man kennt natürlich die hauseigene<br />

Kultur und die Abläufe. Ein ganz<br />

wichtiger Punkt ist auch, dass dadurch<br />

Kontinuität gewährleistet wird – das ist<br />

entscheidend für unsere Vertriebspartner.<br />

Es kommt nun niemand Neues, der<br />

alles verändern will, um dem Unternehmen<br />

seinen Stempel aufzudrücken.<br />

Herr Bläsing und ich haben die vergangenen<br />

Jahre vieles bereits zusammen<br />

»Uns allen fällt es<br />

doch leichter,<br />

uns von einem<br />

großen statt von<br />

einem kleinen<br />

Kuchen ein Stück<br />

abzuschneiden.«<br />

Dietmar Bläsing<br />

Background:<br />

Stefanie van Holt<br />

Stefanie van Holt hat Wirtschaftswissenschaft<br />

an der<br />

Leibniz Universität Hannover<br />

studiert. Durch einen Nebenjob<br />

am Lehrstuhl für Versicherungswirtschaft<br />

kam sie mit<br />

dem Thema Versicherungen in<br />

Kontakt.<br />

2006 begann sie schließlich<br />

als Researcher in der Knowledge<br />

Group Insurance bei der<br />

Boston Consulting Group.<br />

2007 wechselte sie als<br />

Vorstandsassistentin für den<br />

Bereich Vertrieb & Marketing<br />

zum Volkswohl Bund. Nach<br />

diversen weiteren Stationen<br />

im Vertrieb agiert van Holt seit<br />

2016 als Hauptabteilungsleiterin<br />

Vertriebsservice und<br />

Systeme. Im April kommenden<br />

Jahres übernimmt van Holt<br />

dann für den in den Ruhestand<br />

wechselnden Dietmar Bläsing<br />

dessen Position im Vorstand<br />

und ist zuständig für die<br />

Ressorts Marketing, Vertrieb,<br />

Vertriebsservice und -systeme<br />

sowie Personal.<br />

entschieden, um so auch Kontinuität zu<br />

gewährleisten.<br />

<strong>procontra</strong>: Es besteht allerdings die<br />

Gefahr, ständig im eigenen Saft zu<br />

schmoren.<br />

van Holt: Wir haben mittlerweile eine<br />

tolle Mischung aus erfahrenen Kräften,<br />

aber auch jungen, neuen Leuten, die<br />

zum Teil aus anderen Häusern stammen.<br />

Zugleich sorgen wir durch stetiges<br />

Netzwerken innerhalb, aber auch<br />

außerhalb der Branche dafür, dass wir<br />

uns ständig neuen Input ins Haus holen.<br />

Hier besteht innerhalb unseres Hauses<br />

eine große Offenheit, aber auch der<br />

explizite Wunsch, dass unsere Mitarbeiter<br />

von diesem Austausch Gebrauch<br />

machen. Entsprechend stellen wir dafür<br />

auch die notwendige Zeit zur Verfügung.<br />

<strong>procontra</strong>: Eines der Themen, über die<br />

es sich auszutauschen lohnt, ist sicherlich<br />

der demografische Wandel, der<br />

auch die Versicherer tangiert. Wo trifft<br />

er sie am schwersten?<br />

van Holt: Der demografische Wandel<br />

trifft uns jetzt bereits auf Personalebene,<br />

die Gewinnung neuer Mitarbeiter<br />

wird dadurch nicht leichter.<br />

<strong>procontra</strong>: Und auf Produktebene?<br />

Wird es hier hinsichtlich der Nachfrage<br />

zu Verschiebungen kommen?<br />

van Holt: Ich glaube, dass Altersvorsorge<br />

weiterhin ein wichtiges Thema bleiben<br />

wird – die Frage ist nur, in welcher<br />

Form. Auch in der Biometrie sehen wir<br />

weiter ein starkes Feld. Auch für junge<br />

Menschen nimmt ihre Gesundheit einen<br />

hohen Stellenwert ein – dieses Bewusstsein<br />

wurde durch die Corona-Pandemie<br />

noch einmal gestärkt.<br />

<strong>procontra</strong>: Immer weniger Menschen<br />

werden in Zukunft jedoch erwerbstätig<br />

sein, die Zielgruppe schrumpft also.<br />

van Holt: Das Bewusstsein hat sich aber<br />

gestärkt. Wie sich die schrumpfende<br />

Zielgruppe hier auf den Markt auswirken<br />

wird, bleibt also abzuwarten.<br />

<strong>procontra</strong>: Die Demografie trifft auch<br />

den Maklermarkt. Laut einer Guidewire-<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Maklermarkt BERATER | 65<br />

Studie wird jeder vierte Makler bis 2030<br />

verschwunden sein. Wie gehen Sie als<br />

Maklerversicherer mit dieser Entwicklung<br />

um?<br />

van Holt: Wir stellen fest, dass sich<br />

viele Makler professioneller aufstellen.<br />

Sie fokussieren sich auf einzelne Bereiche,<br />

schließen sich zusammen. Statt<br />

Einzelmakler betreiben immer häufiger<br />

größere Einheiten das Geschäft. Das<br />

erfolgt dann in einer ganz anderen Form<br />

und Dimension. Ich glaube darum nicht,<br />

dass das Gesamtgeschäft zurückgehen<br />

wird, sondern von weniger Menschen<br />

professioneller betrieben wird.<br />

Bläsing: Wir sind ja ein Anbieter, der<br />

überhaupt kein Endkundenmarketing,<br />

sondern ein reines B2B-Marketing<br />

betreibt. Das haben wir auch so im<br />

Leitbild stehen. Das heißt: Wir nehmen<br />

es bewusst in Kauf, dass Kunden uns<br />

weniger wahrnehmen als unseren Vertriebspartner.<br />

Wir brauchen zwischen<br />

uns und dem Kunden also immer ein B.<br />

Die Frage, ob dieses B aber immer der<br />

Makler sein muss, haben wir derzeit<br />

stark im Fokus und schauen, ob es da<br />

für uns noch andere Möglichkeiten gibt.<br />

<strong>procontra</strong>: Zum Beispiel?<br />

Bläsing: Das kann beispielsweise das<br />

Belegschaftsgeschäft oder das Thema<br />

Embedded Insurance sein. Wir stehen<br />

hier aber noch am Anfang. Das ist eine<br />

Frage, mit der wir uns aufgrund der sich<br />

verändernden Demografie schlicht und<br />

einfach beschäftigen müssen.<br />

<strong>procontra</strong>: Ganz am Anfang steht die<br />

Branche auch bei der Frage, wie sie mit<br />

dem Thema künstliche Intelligenz umgehen<br />

will. Wie sieht Ihr Ansatz aus?<br />

van Holt: Wir sind noch in einer Experimentierphase<br />

und haben als ersten<br />

Schritt ein abteilungsübergreifendes<br />

Team zusammengestellt, das herausfinden<br />

soll, welche möglichen Anwendungsbereiche<br />

es für die künstliche<br />

Intelligenz gibt.<br />

Bläsing: Es ist wichtig, die künstliche<br />

Intelligenz gerade von den Abteilungen<br />

»Wir stellen fest,<br />

dass sich viele Makler<br />

professioneller<br />

aufstellen.«<br />

Stefanie van Holt<br />

Long Story short<br />

Stefanie van Holt übernimmt ab April die Aufgaben Dietmar Bläsings.<br />

Der Volkswohl Bund setzt verstärkt auf Services.<br />

ausprobieren zu lassen, die Angst<br />

haben, durch die künstliche Intelligenz<br />

ersetzt zu werden. Diese Menschen<br />

verlieren dann womöglich diese Sorge<br />

und merken, dass die KI ihnen vielmehr<br />

helfen kann. Ich habe letztens in einem<br />

Vortrag gehört: Die meisten werden<br />

nicht durch die KI ersetzt, sondern<br />

durch jemanden, der sich damit<br />

auskennt. Das ist ein toller Satz. Im<br />

Hinblick auf den demografischen<br />

Wandel kann uns die KI auch dabei<br />

helfen, Aufgaben zu übernehmen, für<br />

die wir einfach keine Mitarbeiter mehr<br />

finden.<br />

Das Unternehmen schließt eine Fusion aus und will organisch wachsen.<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


66 | BERATER Das neue Göker-Konzept<br />

Geldgeile Grüße aus Dubai<br />

Mit dubiosen PKV-Tarifwechseln kassiert Mehmet Göker weiterhin ab.<br />

Diesmal aus Dubai und mithilfe eines Münchener Maklerbetriebs,<br />

der als Drehkreuz für das „Göker-Konzept“ fungiert.<br />

FB FLORIAN BURGHARDT MT MARTIN THALER<br />

Illustration: Jakob Bettin


Das neue Göker-Konzept BERATER | 67<br />

Was Sie erfahren werden:<br />

Wie Gökers Team in Dubai arbeitet<br />

Wer sein Schatten-Makler in Deutschland ist<br />

Wie manche Versicherer dagegen vorgehen<br />

„Mittagspause fällt heute aus“, schreit<br />

Mehmet Ercan Göker durch den 20.<br />

Stock des Bay Gate Towers in Dubai.<br />

Zu viele „geile Leads“ habe man abzutelefonieren.<br />

„Lasst uns weiter Geld<br />

machen. Attacke!“, fordert er seine<br />

Mitarbeiter auf. Die überwiegend jungen<br />

Männer sitzen an etwa 50 weißen<br />

Schreibtischen vor ihren Laptops,<br />

bewaffnet mit Handys und Headsets.<br />

Ein Teil der breiten Fensterfront ist<br />

mit einem großen Banner abgehängt.<br />

Darauf prangt das Logo der früheren<br />

MEG AG.<br />

Das ist kein schräges Märchen aus<br />

Tausendundeiner Nacht. Wer dem<br />

selbst ernannten Powerverkäufer auf<br />

Instagram folgt, kann fast täglich an<br />

solchen Einblicken teilhaben. Seit<br />

September ist Göker in dem arabischen<br />

Emirat zugange. Was er hier<br />

treibt, ist das nächste Level seines<br />

„Göker-Konzepts“. Schon vor ein paar<br />

Jahren – 2015 gab es dazu die ersten<br />

Berichte – ist der Gründer des 2009 in<br />

der Insolvenz aufgelösten MEG-Vertriebs<br />

unter die PKV-Tarifwechselberater<br />

gegangen. Damals noch mit<br />

einer Handvoll Schergen von seinem<br />

Haus in der Türkei aus. Seine „Kunden“<br />

sind privat Krankenversicherte,<br />

die von ihrem Recht auf Tarifwechsel<br />

innerhalb der Gesellschaft gemäß<br />

Paragraf 204 VVG Gebrauch machen,<br />

also vor allem im Ruhestand weniger<br />

PKV-Beitrag zahlen möchten.<br />

Eigentlich eine gute Möglichkeit für<br />

seriöse Berater, ihre Kunden finanziell<br />

zu entlasten und ihnen dennoch<br />

»Ich hatte die Hoffnung,<br />

im Rahmen<br />

dieser PKV-Treuhänderproblematik<br />

Krankenversicherungsbeiträge<br />

zurückzuerhalten.«<br />

weiterhin möglichst guten Versicherungsschutz<br />

zu verschaffen. Doch<br />

diese Andockstation für bestehende<br />

Krankenversicherungsverträge wird<br />

anscheinend auch von unseriösen<br />

Anbietern genutzt.<br />

Lead-Kunde<br />

Betrug auf Video<br />

So liegen unserer Redaktion wenige<br />

Monate alte Videoaufnahmen vor, die<br />

Göker bei seinen telefonischen Beratungsgesprächen<br />

zeigen. Immer wieder<br />

verspricht er seinen Kunden dabei<br />

Beitragsersparnisse von mehreren<br />

Hundert Euro pro Monat „auf Basis<br />

ihrer bisherigen Leistungen“. Dabei<br />

agiert er unter falschem Namen und<br />

gibt sich als der Jurist Dr. Christian<br />

Conrad aus. „Aufs Doktor können wir<br />

verzichten“, verkündet Göker dabei jovial.<br />

Auch seine Mitarbeiter bekamen<br />

zeitweise für ihre eigenen Gespräche<br />

maximal deutsche Namen verpasst,<br />

um vertrauensvoller zu wirken, was<br />

aus <strong>procontra</strong> vorliegenden internen<br />

Anweisungen hervorgeht. So wird beispielsweise<br />

Cafer K. zu Walter König<br />

und Gökhan I. zu Thomas Mann, wie<br />

uns ein Informant mitteilt. Mehrere<br />

Jahre, so tischt es Göker in dem uns<br />

vorliegenden Material den Angerufenen<br />

auf, habe er exakt bei ihrem<br />

privaten Krankenversicherer gearbeitet<br />

und sich mit diesem Wissen nun<br />

als Tarifwechselberater selbstständig<br />

gemacht. Echte Juristen von der Hamburger<br />

Kanzlei Michaelis, die wir die<br />

Situation haben einschätzen lassen,<br />

gehen davon aus, dass hier Betrug<br />

(Paragraf 263 StGB) oder mindestens<br />

versuchter Betrug sowie die unbefugte<br />

Verwendung akademischer Grade<br />

(Paragraf 132 a StGB) vorliegen.<br />

Wie solche Tarifwechsel „auf Basis<br />

der bisherigen Leistungen“ letztendlich<br />

aussehen, dazu liegen unserer<br />

Redaktion zahlreiche Beispiele vor.<br />

Hierbei handelt es sich um an Kunden<br />

gerichtete Angebote, die Göker<br />

und seine Vertriebspartner in ihrer<br />

internen WhatsApp-Gruppe zele brieren.<br />

Auf manche davon sind sie so<br />

stolz, dass Göker sie als Screenshots<br />

in seinen Instagram-Storys öffentlich<br />

zur Schau stellt. Acht davon haben<br />

wir von einem auf PKV-Tarifwechsel<br />

spezialisierten Maklerhaus analysieren<br />

lassen, das vor dem Hintergrund<br />

der Geschichte aber nicht namentlich<br />

genannt werden möchte. Ergebnis:<br />

Nur bei einem Angebot spricht unser<br />

PKV-Experte von „einem guten Plan“.<br />

In den anderen sieben Fällen haben<br />

die Versicherten nach dem Wechsel<br />

entweder deutlich schlechtere<br />

Leistungen, eine um 500 bis 2.100<br />

Euro erhöhte Selbstbeteiligung oder<br />

beides.<br />

Beispiel: Ein DKV-Kunde, der im<br />

ambulanten und dentalen Bereich<br />

rechtsgültige Honorarvereinbarungen<br />

über dem Höchstsatz der GOÄ<br />

bzw. GOZ mitversichert hatte (Tarif:<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


68 | BERATER Das neue Göker-Konzept<br />

Am4+ZM3+sd3), soll nach der „Optimierung“<br />

nur noch den 2,3-fachen<br />

Regelhöchstsatz erstattet bekommen<br />

(Wechsel in Tarif Et2). Das kann zum<br />

Beispiel beim Zahnersatz mehrere<br />

Tausend Euro weniger Leistung vom<br />

Versicherer bedeuten. Und: Aus Sicht<br />

seriöser Tarifwechselberater sollte<br />

man die Erhöhung der Selbstbeteiligung<br />

von der Beitragsersparnis<br />

abziehen, um auf die Nettoersparnis<br />

zu kommen. Hier bleibt Göker-Kunden<br />

oft gar nicht mehr so viel übrig.<br />

Berücksichtigt man dann noch eine<br />

geringere steuerliche Absetzbarkeit<br />

durch die nun niedrigeren Beiträge<br />

und rechnet auch noch das üppige<br />

Beraterhonorar mit ein, verwandelt<br />

sich bei einigen Kunden die anvisierte<br />

Ersparnis in ein Verlustgeschäft. Noch<br />

gar nicht berücksichtigt ist dabei, wie<br />

viel Geld sie im Krankheitsfall über<br />

die Jahre durch schlechtere Leistungen<br />

selbst drauflegen müssen.<br />

In einem der uns vorliegenden Videos<br />

lautet Gökers Fazit nach dem Telefonat<br />

mit einem wechselwilligen<br />

Kunden: „Er wird schlechter versichert<br />

sein, ganz klar.“ Erklärt wird<br />

dies dem Kunden nicht. Denn im<br />

Fokus steht die maximale Beitragsreduzierung,<br />

für deren Erreichung<br />

die Zieltarife teils sogar manipuliert<br />

dargestellt werden sollen – doch dazu<br />

später mehr.<br />

Monatsnetto: 100.000 Euro<br />

Aus Sicht von Dubais dubiosen Neubürgern<br />

können die Beiträge gar<br />

nicht tief genug gedrückt werden.<br />

Denn als „Erfolgshonorar“ für ihre<br />

Dienste verlangen sie die zwölffache<br />

Monatsersparnis direkt von den<br />

Kunden. Durchschnittlich 3.000 Euro<br />

Honorar sollen pro Vertrag herausspringen,<br />

davon 70 Prozent für den<br />

Vertriebspartner und 30 Prozent<br />

für „die Firma“, die Göker in seinen<br />

Instagram-Stories als MEG-Dubai<br />

»Er wird schlechter<br />

versichert sein,<br />

ganz klar.«<br />

Mehmet Göker<br />

bezeichnet. Das bedeutet konkret:<br />

Bringt der Wechsel eine monatliche<br />

Beitragsersparnis von 250 Euro, kassiert<br />

Göker direkt vom Kunden 3.000<br />

Euro als Honorar. Je mehr also an der<br />

Selbstbeteiligung geschraubt und am<br />

Leistungspaket reduziert wird, desto<br />

höher fällt der Verdienst aus. Anders<br />

als zu MEG-Zeiten haben Göker und<br />

seine Gesellen aufgrund der Honorarlösung<br />

keinerlei Stornohaftung zu<br />

fürchten wie im Provisionsvertrieb.<br />

Dazu kommt: In Dubai müssen sie<br />

aufgrund der Gesetzeslage keine Einkommensteuer<br />

bezahlen.<br />

Mit diesen Voraussetzungen und dem<br />

Versprechen, über 100.000 Euro netto<br />

im Monat zu verdienen, lockt Göker<br />

regelmäßig moralisch flexible Glücksritter<br />

in das Emirat am Persischen<br />

Golf. Auf seinen Social-Media-Kanälen<br />

– allein bei Instagram folgen ihm<br />

über 100.000 Menschen – präsentiert<br />

er den zu erwartenden Lifestyle in<br />

Form von Yachtausflügen und Wüstensafaris.<br />

Berührungsängste, sich<br />

mit dem Bad Boy der Branche einzulassen,<br />

scheint es keine zu geben.<br />

Zu sehr verfangen die scheinbaren<br />

Aussichten auf Geld und Luxus. Katja<br />

Das alte MEG-Logo hat<br />

auch in Dubai seinen<br />

Platz gefunden.<br />

M. beispielsweise, aus Gökers Heimatstadt<br />

Kassel stammend, erzählte kürzlich<br />

auf dessen Instagram-Kanal, sie<br />

habe das Ziel, die erste Millionärin in<br />

Gökers „Jungstruppe“ zu werden.<br />

Die meisten seiner Vertriebspartner<br />

geben vor der Kamera sogar offen zu,<br />

dass sie von Versicherungen keine<br />

Ahnung haben. Doch in das „Göker-<br />

Konzept“, wie der MEG-Gründer es<br />

nennt, setzen sie so große Hoffnungen<br />

auf schnellen Reichtum, dass sie<br />

bereitwillig 9.900 Euro – exklusive<br />

Flugtickets – für ein mehrtägiges<br />

Bootcamp mit ihrem Mentor bezahlen.<br />

Für diese Summe erhalten sie,<br />

laut digitalem Flyer, nicht nur ein<br />

Coaching mit Göker und ein Hotelzimmer<br />

in Dubai, sondern auch die<br />

ersten gut 200 Leads, also Kontaktdaten,<br />

die sie zu wechselwilligen privat<br />

Krankenversicherten leiten sollen.<br />

Doch wo kommen diese Leads eigentlich<br />

her und wie genau kann Mehmet<br />

Göker ohne Vermittlerzulassung<br />

in Deutschland PKV-Tarifwechsel<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Das neue Göker-Konzept BERATER | 69<br />

veranlassen? Dazu erhalten wir von<br />

ihm auf unsere Nachfrage hin keine<br />

Antworten. Fakt ist: Er coacht seine<br />

Mitarbeiter nicht nur, sondern führt<br />

auch selbst Beratungsgespräche am<br />

Telefon durch. „Warum sollte ich mir<br />

dieses Geld entgehen lassen?“, sagte<br />

er kürzlich auf Instagram. Im selben<br />

Video feiern ihn seine Mitarbeiter<br />

dafür, dass er als Führungskraft vorangeht.<br />

Zweifelhafte Leads<br />

<strong>procontra</strong> liegen dazu Unterlagen aus<br />

den Kreisen der „Göker-Konzept“-<br />

Teilnehmer vor. Unter anderem ist ein<br />

Telefonleitfaden dabei, mit dem die<br />

Vertriebspartner angeblich schnell<br />

und einfach sämtliche Einwände<br />

der Kunden wegbehandeln und<br />

diese vom Tarifwechsel überzeugen<br />

können. Doch sowohl unser aktueller<br />

Informant als auch Aussteiger aus<br />

einem NDR-Bericht von 2021 behaupten,<br />

dass Gökers vollmundige<br />

Versprechen bei kaum einem seiner<br />

Mitarbeiter zur Realität werden. Ständig<br />

müssten sie Leads nachkaufen,<br />

die sich in vielen Fällen als „wertlos“<br />

herausstellten: Die privat Krankenversicherten<br />

wüssten nicht, warum man<br />

sie anrufe, würden das Vorgehen als<br />

unseriös bezeichnen oder seien teilweise<br />

schon verstorben.<br />

Unsere Redaktion konnte Kontakt zu<br />

einigen der Leads aufnehmen. Kaum<br />

einer habe sich letztendlich auf einen<br />

Tarifwechsel eingelassen, aber fast<br />

alle berichten von Telefonterror. Sie<br />

seien teils mehrmals täglich angerufen<br />

und zum Wechsel ihres Tarifs gedrängt<br />

worden. Erst nach Androhung<br />

rechtlicher Schritte hätten die Anrufe<br />

aufgehört.<br />

Vier Betroffene sprachen ausführlich<br />

mit <strong>procontra</strong> über ihre Erlebnisse,<br />

wollen in unserem Bericht aber nicht<br />

namentlich genannt werden. Zu viel<br />

Sorge habe man vor eventuellen<br />

Kein Nachwuchs mangel:<br />

Gökers Lockrufe<br />

sind erfolgreich.<br />

Reaktionen der Tarifwechselberater.<br />

Drei der Lead-Kunden sagen uns, sie<br />

hätten sich vor zwei bis drei Jahren<br />

auf den Internetseiten von Anwaltskanzleien<br />

mit E-Mail-Adresse, Name<br />

und teilweise auch mit ihrem aktuellen<br />

Tarif und Beitrag eingetragen.<br />

„Ich hatte die Hoffnung, im Rahmen<br />

dieser PKV-Treuhänderproblematik<br />

Krankenversicherungsbeiträge<br />

zurückzuerhalten“, erzählt uns einer<br />

von ihnen am Telefon. Gökers Anrufer<br />

hätten einleitend gesagt, dass<br />

sie diese Aufgabe nun übernommen<br />

hätten und sich erkundigen wollten,<br />

ob noch Interesse an einer Beitragsersparnis<br />

bestehe. Das bestätigten<br />

gegenüber <strong>procontra</strong> auch zwei<br />

weitere Kunden. Zudem deckt es sich<br />

mit den Lerninhalten in dem uns zugespielten<br />

Telefonleitfaden. Arbeiten<br />

also Anwaltskanzleien mit Göker<br />

»Ein Berater der<br />

René Jäger AG hat<br />

den ihm von uns<br />

übersandten Tarifvergleich<br />

gefälscht,<br />

um den Zieltarif<br />

besser aussehen und<br />

den Leistungsverlust<br />

geringer erscheinen<br />

zu lassen.«<br />

Generali-Pressestelle<br />

zusammen? Auf <strong>procontra</strong>-Nachfrage<br />

erklärten alle genannten Kanzleien,<br />

von solchen Vorgängen nichts zu<br />

wissen. Eine von ihnen will nun aber<br />

intern überprüfen, ob Datenabflüsse<br />

stattgefunden haben könnten.<br />

Jäger – der Schattenmann<br />

Eine Gemeinsamkeit bestätigen uns<br />

alle vier Lead-Kunden: Sie seien nicht<br />

etwa von Telefonnummern aus der<br />

Türkei oder Dubai angerufen worden,<br />

sondern mit der Münchener Vorwahl<br />

089. Bei kritischen Nachfragen, etwa<br />

woher man ihre Daten habe, konnten<br />

die Anrufer dann nicht mehr zurückgerufen<br />

werden. Diese Nummern<br />

nutzen Gökers Vertriebspartner von<br />

überall auf der Welt. Laut <strong>procontra</strong>-<br />

Informationen stellt die Backup WRD<br />

GmbH aus München dafür die technische<br />

Infrastruktur zur Verfügung.<br />

Sie wird vertreten durch René Jäger,<br />

der sich auf der Internetseite der<br />

Firma selbst als „Datenschutzengel“<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


70 | BERATER Das neue Göker-Konzept<br />

9.900 €<br />

kostet die Teilnahme am »Göker-<br />

Konzept«, exklusive Flugtickets.<br />

bezeichnet. Doch dies ist nicht das<br />

einzige Amt, das Jäger im „Göker-Konzept“<br />

bekleidet. Viel bedeutender ist<br />

die Rolle, die er mit seiner anderen<br />

Firma einnimmt: der René Jäger AG,<br />

einem bei der IHK für München und<br />

Oberbayern eingetragenen Versicherungsmaklerunternehmen.<br />

Dieses ist<br />

der Dreh- und Angelpunkt, über den<br />

sämtliche Tarifwechselanträge bei<br />

den Krankenversicherern eingereicht<br />

werden. Dazu müssen die Versicherten<br />

der René Jäger AG ein Auftragsmandat<br />

unterschreiben (liegt <strong>procontra</strong><br />

vor), anschließend erhalten sie die<br />

Angebote zum Tarifwechsel. Alle vier<br />

Betroffenen haben uns dieses Vorgehen<br />

bestätigt. Zudem stellt sich Göker<br />

in den uns vorliegenden Videos als<br />

Mitarbeiter der René Jäger AG vor.<br />

Damit taucht der Münchener Makler<br />

als Gökers vermeintlicher Strohmann-Vermittler<br />

neben der Finanzcheck<br />

Rhein Main GmbH aus Frankfurt<br />

auf, über die im Jahr 2021 der<br />

NDR berichtete. Ein Jahr später stellte<br />

der PKV-Verband in München Strafanzeige<br />

wegen „Cold Calls“ zum Thema<br />

PKV-Tarifwechsel. Die Ermittlung<br />

von konkreten Beweisen und Zeugen<br />

gestaltete sich, laut PKV-Verband,<br />

angesichts des Auslandsbezugs aber<br />

schwierig, weshalb es nicht zur Klageerhebung<br />

kam. Nach <strong>procontra</strong>-Informationen<br />

richtete sich die Strafanzeige<br />

damals gegen den sogenannten<br />

„Verband der KV-Sachverständigen“,<br />

der die Internetseite ihr-beitragsoptimierer.de<br />

betrieb. Aus einem unserer<br />

Redaktion vorliegenden, noch nicht<br />

rechtskräftigen Urteil gegen die René<br />

Jäger AG geht aber hervor, dass diese<br />

die besagte Domain erworben und<br />

dem „Verband der KV-Sachverständigen“<br />

zur Verfügung gestellt hat.<br />

Die Seite ist mittlerweile zwar nicht<br />

mehr aufrufbar, sie ist aber offenbar<br />

mitsamt Fotos und Rechtschreibfehlern<br />

umgezogen auf pkv-hotline.<br />

de. Verantwortlich laut Impressum<br />

ist auch hier René Jäger. Der Verantwortliche<br />

der früheren Internetseite,<br />

Giuseppe G., zählt derweil in Dubai<br />

zu Gökers engsten Mitarbeitern, was<br />

regelmäßige Auftritte in Gökers Instagram-Beiträgen<br />

belegen. Kurzum:<br />

Trotz wechselnder Internetseiten und<br />

Solider Hintergrund –<br />

nicht in der Beratung,<br />

dafür im Fuhrpark<br />

Firmenbezeichnungen besteht der<br />

Kern des „Göker-Konzepts“ vermeintlich<br />

schon seit Jahren aus denselben<br />

Personen.<br />

Als wir ihn um eine Stellungnahme<br />

bitten und ihm Fragen zusenden,<br />

reagiert Jäger nicht. Unter anderem<br />

wollen wir von ihm wissen, woher er<br />

die Kontaktdaten der Versicherten<br />

hat und ob seine Vertriebspartner<br />

rechtswidrige „Cold Calls“ durchführen.<br />

Als wir ihn dann doch telefonisch<br />

erreichen, sagt uns Jäger, dass er sich<br />

zu dem Thema und unseren Fragen<br />

nicht äußern möchte.<br />

Generali klagte gegen Jäger<br />

Doch auch ohne seine Antworten<br />

kommt über die René Jäger AG viel<br />

ans Licht. <strong>procontra</strong> hat bei 18 privaten<br />

Krankenversicherern nachgefragt,<br />

zu denen uns Lead-Datensätze<br />

aus dem „Göker-Konzept“ vorliegen.<br />

Mehrere, vor allem große Anbieter<br />

sagten uns, dass unter ihren Kunden<br />

auch Tarifwechsel über die René<br />

Jäger AG durchgeführt wurden. Diese<br />

würden häufig deutlich reduzierte<br />

Leistungen und deutlich erhöhte<br />

Selbstbeteiligungen beinhalten.<br />

Die Generali Krankenversicherung<br />

bestätigte auf <strong>procontra</strong>-Nachfrage,<br />

dass sie gegen die René Jäger AG verschiedene<br />

Gerichtsverfahren führt.<br />

Mehrere Kunden hatten den Sachbearbeitern<br />

des Versicherers gemeldet,<br />

sie seien von Jägers Vertriebspartnern<br />

„kalt“ angerufen worden. Gegen<br />

einen erstinstanzlichen Erfolg der<br />

Generali in Sachen Kaltakquise (das<br />

noch nicht rechtskräftige Urteil liegt<br />

<strong>procontra</strong> vor) ist Jäger in Berufung<br />

gegangen; das Verfahren läuft noch.<br />

In einem anderen laufenden Gerichtsverfahren<br />

gegen Jäger geht es<br />

um den Vorwurf der Tariffälschung.<br />

„Ein Berater der René Jäger AG hat<br />

den ihm von uns übersandten Tarifvergleich<br />

gefälscht, um den Zieltarif<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Das neue Göker-Konzept BERATER | 71<br />

besser aussehen und den Leistungsverlust<br />

geringer erscheinen zu<br />

lassen“, heißt es dazu von der Pressestelle<br />

der Generali.<br />

Der Versicherer behandelt die René<br />

Jäger AG deshalb seit einiger Zeit<br />

intern als „auffälligen externen Berater“.<br />

Dabei handle es sich um Berater,<br />

bei denen der Verdacht bestehe, dass<br />

die Versicherungsnehmer kalt angerufen<br />

und nicht ausreichend über<br />

die Risiken eines Tarifwechsels aufgeklärt<br />

werden. Deshalb wende sich<br />

die Generali bei Tarifwechselanfragen<br />

der René Jäger AG nun direkt an ihre<br />

Kunden und verdeutliche diesen<br />

die Tragweite eines nachteiligen<br />

Wechsels nur zu Zwecken maximaler<br />

Ersparnis. Das ist ihr eigentlich<br />

untersagt, da das Auftragsmandat<br />

des Münchener Vermittlers dem<br />

Versicherer die Kontaktaufnahme<br />

im Laufe des Tarifwechsels untersagt.<br />

In Abstimmung mit der eigenen<br />

Rechtsabteilung habe man dieses<br />

Vorgehen mittlerweile aber etabliert.<br />

Vermutlich weil von Jäger und Göker<br />

nicht mit rechtlicher Gegenwehr zu<br />

rechnen ist. „Wünschenswert wäre,<br />

dass im Falle von Missbrauch bzw.<br />

Täuschung die zuständige IHK ermittelt“,<br />

sagte uns dazu ein Sprecher<br />

der Generali. Ob es dazu kommt, wird<br />

<strong>procontra</strong> weiterverfolgen.<br />

Auch bei der Allianz ist die René Jäger<br />

AG bekannt. Der Versicherer verweist<br />

uns gegenüber auf zwei BGH-Urteile<br />

(AZ IV ZR 165/12 und I ZR 274/14), die<br />

die Kontaktaufnahme zu den Kunden<br />

trotz Vollmacht erlauben. Die Allianz<br />

rät ihren Kunden in diesem Zusammenhang<br />

sogar explizit zu einer Beratung<br />

durch ihre Außendienstmitarbeiter,<br />

erklärt eine Sprecherin. Dieser<br />

Hinweis ist auch deshalb wichtig, weil<br />

viele der von uns befragten Krankenversicherer<br />

angeben, ihnen seien bei<br />

Vollmachten der Tarifwechselberater<br />

die Hände gebunden. Schließlich sei<br />

die PKV-Tarifwechselberatung gegen<br />

Honorar eine erlaubte und etablierte<br />

Geschäftsform.<br />

In seinem Element:<br />

Göker als Einpeitscher<br />

Dabei können sich privat Krankenversicherte<br />

jederzeit von ihrem betreuenden<br />

Makler zu einem Tarifwechsel<br />

beraten lassen. Auch die Versicherer<br />

müssen hier stets Informationen zur<br />

Verfügung stellen. Viele von ihnen<br />

haben sich diesbezüglich den Tarifwechselleitlinien<br />

des PKV-Verbands<br />

angeschlossen, die über die gesetzlichen<br />

Vorgaben hinausgehen. Dieses<br />

Recht offensiver zu bewerben, würde<br />

Göker und seinen Leuten sicher einigen<br />

Wind aus den Segeln nehmen.<br />

Und aktuell wäre das besonders sinnvoll.<br />

Denn der PKV-Verband warnt<br />

derzeit vor betrügerischen Werbeanrufen<br />

für einen PKV-Tarifwechsel,<br />

die zuletzt wieder zugenommen<br />

hätten. „Es liegen Hinweise vor, dass<br />

die Anrufer gewerbsmäßig aus dem<br />

Ausland gesteuert werden“, betont der<br />

Verband.<br />

Gleichzeitig preist Göker auf Social<br />

Media die Zeit von Mitte November<br />

bis Ende Januar als „die geilste Zeit<br />

des Jahres“ an, da nun viele Menschen<br />

ihre Beitragserhöhungen für 2024<br />

erhalten würden und wechselwillig<br />

seien. Sein Büro füllt sich zusehends,<br />

denn bis zu 500.000 Euro in zehn<br />

Wochen könne verdienen, wer jetzt<br />

zu ihm nach Dubai komme. Man solle<br />

sich einfach an ihn wenden. Auf<br />

unsere Nachfragen hat Göker jedoch<br />

nicht reagiert.<br />

Die »geilste Zeit des Jahres«<br />

Natürlich gibt es viele seriöse Vermittlerunternehmen,<br />

die qualitativ<br />

hochwertige PKV-Tarifwechsel durchführen,<br />

zumal dieses Thema zu einer<br />

umfassenden Beratung dazugehört.<br />

Unsere Recherchen zeigen aber, dass<br />

diese Option gleichzeitig eine offene<br />

Hintertür für moralisch flexible<br />

Quereinsteiger darstellt, die sich nur<br />

für ihr Honorar und wenig für die Absicherung<br />

ihrer Kunden interessieren.<br />

Long Story short<br />

Göker berät Kunden unter<br />

falschem Namen.<br />

Geschäft wird über die<br />

René Jäger AG eingereicht.<br />

Generali führt Gerichtsverfahren<br />

gegen Jäger.<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


72 | BERATER DIN 77230<br />

Die aufgebrochene Norm<br />

Seit Anfang 2019 gibt es die DIN 77230 für Finanzberater. Weil sie zu wenig Verbreitung<br />

findet, soll jetzt eine Überarbeitung für Schwung sorgen. Zweifel bleiben.<br />

ST STEFAN TERLIESNER<br />

Die DIN 77230 wird wenig genutzt<br />

und daher überarbeitet. Wie das Defino<br />

Institut für Finanznorm berichtet,<br />

wird das starre Abarbeiten von 42 in<br />

der Norm genannten Finanzthemen<br />

aufgebrochen. Künftig gibt es neun<br />

Module oder Bedarfsfelder, sodass<br />

auch Teilanalysen möglich sind.<br />

Bedarfsfelder seien zum Beispiel<br />

„Arbeitskraftverlust“ und „Sparen/<br />

Vermögen“. Diesen Modulen seien<br />

Finanzthemen fest zugeordnet.<br />

Was Sie erfahren<br />

werden:<br />

Welche Probleme es mit der<br />

DIN 77230 gibt<br />

Wie neue Teilanalysen Zeit<br />

und Arbeit ersparen<br />

Warum Banken einen<br />

anderen Weg gehen<br />

Einordnung am Ende<br />

Laut Defino erfahren Kunden auch<br />

bei Anwendung einer Teilanalyse am<br />

Ende, wo die im jeweiligen Bedarfsfeld<br />

auf Relevanz geprüften Finanzthemen<br />

im Gesamtranking der 42<br />

Themen positioniert sind. Dadurch<br />

bleibe der ganzheitliche Grundsatz<br />

der Norm gewahrt. Der modulare<br />

Aufbau spare Beratern und Kunden<br />

Zeit. Wer’s schneller mag, wähle die<br />

Teilanalyse. Einzige Bedingung für<br />

die Berufung der Berater auf die<br />

Norm sei die Einordnung der Teilanalyse-Themen<br />

in die gesamte Liste<br />

an Finanzthemen der DIN 77230. So<br />

sähen Verbraucher, „dass sie möglicherweise<br />

noch wichtigere Themen<br />

zu betrachten haben“, sagt Defino-<br />

Vorstand Klaus Möller.<br />

»Segmentierung ändert nichts«<br />

Die Norm war Anfang 2019 eingeführt<br />

worden, um die einer Beratung<br />

vorgelagerte Finanzanalyse eines<br />

Privathaushalts zu vereinheitlichen.<br />

Verbraucherschützer haben die Norm<br />

stets abgelehnt. „Daran ändert die<br />

Segmentierung in vorgeblich verschiedene<br />

Bedarfsfelder nichts“, sagt<br />

Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale<br />

Baden-Württemberg. Die<br />

Norm regele nicht die Beratung, sondern<br />

die Analyse. Und hier gebe sie<br />

den individuellen Bedarf durch eine<br />

selbst gegebene Priorisierung vor.<br />

Vor allem Banken hielten sich bisher<br />

mit der Anwendung der Norm<br />

Illustration: Roman Kulon


DIN 77230 BERATER | 73<br />

9<br />

Module oder Bedarfsfelder<br />

ermöglichen jetzt auch Teilanalysen.<br />

zurück oder setzten alternativ oder ergänzend<br />

auf eigene Anwendungen. Ein Grund für solche<br />

Eigenentwicklungen könnte eine vermeintliche<br />

Bevorzugung von Versicherungs- gegenüber<br />

Bankprodukten in der Analyse nach DIN sein,<br />

war schon bei Einführung der Norm zu hören.<br />

„Warum muss man das Berufsunfähigkeitsrisiko<br />

gegenüber der Altersvorsorge priorisieren?“, fragt<br />

Nauhauser und antwortet selbst: „Weil dieses<br />

Schema dem Produktverkauf vorbei am tatsächlichen<br />

Bedarf dient.“<br />

Möller erwidert: „Gegenstand der Betrachtung<br />

sind in der Norm nicht Produkte, sondern<br />

Risiken und Notwendigkeiten.“ Die Priorisierung<br />

der Themen folge wissenschaftlicher Logik,<br />

wonach zum Beispiel existenzbedrohliche<br />

Risiken vor nicht existenzbedrohlichen Risiken<br />

angegangen werden müssten. „In diesem Sinne<br />

ist es logisch, dass Arbeitskraftverlust vor<br />

Altersvorsorge rangiert.“<br />

Hilft die DIN 77230<br />

in der Beratung?<br />

Finanzanalyse wird für Kunden objektiver.<br />

Einsatz der Norm bringt mehr<br />

Haftungssicherheit.<br />

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der LV 1871.<br />

Kunden können zwischen Teil- und<br />

Gesamtanalyse wählen.<br />

Vorgegebene Priorisierung passt nicht<br />

zum individuellen Bedarf.<br />

DIN 77230 ist nur ein Analyse- und<br />

kein Beratungstool.<br />

Ergänzungen durch Anwender verwässern<br />

eine breite Verbreitung.<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


74 | BERATER Finanzbildung<br />

Land der Ahnungslosen<br />

Die Bundesregierung bereitet eine Finanzbildungsstrategie vor, um die Menschen fitter<br />

im Umgang mit Geld zu machen. Davon würden auch Finanzberater profitieren.<br />

ST STEFAN TERLIESNER<br />

Illustration: Roman Kulon


Finanzbildung BERATER | 75<br />

Was Sie erfahren werden:<br />

Warum Maklern eine besser<br />

informierte Kundschaft nutzt<br />

Welche Finanzdienstleister sich<br />

für Bildung engagieren<br />

Wem junge Kunden in Geldfragen<br />

vertrauen<br />

Sind Finanzberater schuld am fehlenden Finanzwissen<br />

der Bürger? Profitieren sie sogar von der<br />

allgemeinen Ahnungslosigkeit in Sachen Geld?<br />

Das sind gewagte Behauptungen. Bildung findet<br />

schließlich in den Schulen statt – und in den<br />

Familien mit ihrer Vorbildfunktion. Andererseits<br />

gibt es in Deutschland mehr als 200.000 Versicherungsvermittler<br />

und Finanzanlagenberater,<br />

die Tag für Tag ihre Kunden über Geldanlage und<br />

Versicherungen beraten. Bleibt von dem Gesagten<br />

nichts hängen?<br />

Nichtwissen fordert Berater<br />

<strong>procontra</strong> hat Johannes Treu, Wirtschaftsprofessor<br />

an der IU Internationale Hochschule in<br />

Erfurt, dazu befragt. Er beginnt seine Ausführungen<br />

so: „In einer idealen Welt würden Finanzberater<br />

ihre Kunden bei der Entscheidungsfindung<br />

unterstützen und die Lücken in deren Finanzwissen<br />

schließen.“ Die Berater hälfen Kunden<br />

dabei, fundierte Entscheidungen zu treffen, die<br />

ihren Anforderungen und Zielen entsprechen.<br />

„In diesem Fall wäre das Nichtwissen der Kunden<br />

eine Herausforderung für den Berater“, sagt Treu<br />

wohl auch mit Blick auf den notwendigen Zeitaufwand.<br />

„Andererseits“, fährt er fort, „können Finanzberater<br />

in Fällen von asymmetrischer Informationsverteilung<br />

einen großen persönlichen Vorteil aus<br />

der Situation ziehen. Sie könnten versucht sein,<br />

ihr größeres Wissen zu nutzen, um Produkte zu<br />

verkaufen, die für sie lukrativer sind, aber nicht<br />

unbedingt im besten Interesse der Kunden.“<br />

Vertrauen ist das A und O<br />

Aber wäre so ein Verhalten realistisch? Treu<br />

jedenfalls ist der Auffassung, dass das Ausnutzen<br />

eines Wissensvorsprungs für Finanzberater auf<br />

Dauer „kein nachhaltiges Geschäftsmodell sein<br />

kann, da es das Vertrauen untergräbt, das für die<br />

Beziehung zwischen Finanzberatern und ihren<br />

Kunden essenziell ist.“<br />

Analoges sagt – schon von Berufs wegen – ein<br />

Sprecher des Verbands BDVM: „Makler sind treuhänderische<br />

Sachwalter der Kunden und somit<br />

prädestiniert dafür, über eine Beratung in deren<br />

bestem Interesse die finanzielle Bildung ihrer<br />

Kundschaft nachhaltig zu fördern.“ Dem Sprecher<br />

zufolge profitieren Makler von einer besser<br />

informierten Kundschaft, die dann ja auch ihre<br />

finanziellen Lücken kenne. „Je mehr Bildung vorhanden<br />

ist, desto besser kann der unabhängige<br />

Versicherungsmakler differenziert über mögliche<br />

Absicherungs- und Vorsorgeoptionen im<br />

Markt beraten.“<br />

2.300 €<br />

kann fehlendes Finanzwissen einen Haushalt<br />

in Deutschland jährlich kosten.<br />

Quelle: Allianz<br />

Bundesregierung hat einen Plan<br />

Mehr Finanzwissen für alle Bürger hat sich jetzt<br />

auch die Bundesregierung auf die Fahne geschrieben.<br />

Aktuell basteln das Finanz- und das<br />

Bildungsministerium an einer entsprechenden<br />

nationalen Strategie, nachdem die Organisation<br />

für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit<br />

(OECD) wiederholt darauf hingewiesen<br />

hat, dass Deutschland das einzige Industrieland<br />

ohne nationale Finanzbildungsstrategie sei. Das<br />

wollen Christian Lindner und Bettina Stark-Watzinger<br />

jetzt ändern. Weil Bildung Ländersache ist,<br />

bleiben ihren Ministerien allerdings nur Appelle<br />

und der Aufbau einer zentralen Finanzbildungsplattform,<br />

welche Bildungsangebote bündelt.<br />

Dass Bedarf daran besteht, belegen Studien<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


76 | BERATER Finanzbildung<br />

Mach mich schlau<br />

Welche Quellen nutzen Sie,<br />

um sich finanziell (weiter) zu bilden?<br />

Familie 41,3<br />

Bücher, Zeitschriften 37,1<br />

Finanz-Websites 36,6<br />

Freunde, Bekannte 35,2<br />

Infos von Finanzdienstleistern 25,7<br />

Fachliteratur 24,3<br />

Finanzberater 23,5<br />

Influencer/soziale Medien 19,6<br />

Influencer/soziale Medien<br />

bei unter 25-Jährigen<br />

38,9<br />

Keine, da kein Interesse 10,7<br />

Angaben in %<br />

Quelle: IU Internationale Hochschule<br />

regelmäßig; allein in den vergangenen zwölf<br />

Monaten zum Beispiel von der OECD, der Finanzaufsicht<br />

BaFin, der Auskunftei Schufa, der<br />

Postbank, dem Versicherer Allianz sowie von der<br />

IU Internationale Hochschule unter Leitung von<br />

Professor Treu. Beispielhaft dafür hier nur das<br />

Ergebnis der IU-Kurzstudie: Von einem maximal<br />

möglichen Gesamtwert von 20 erreichten die<br />

befragten 1.202 Personen zwischen 16 und 65<br />

Jahren im Durchschnitt 10,7 Punkte. „Es besteht<br />

noch Luft nach oben“, resümiert Treu (siehe<br />

Grafik).<br />

TikTok als Ratgeber<br />

Bemerkenswert ist, dass laut IU-Umfrage fast<br />

40 Prozent der Menschen unter 25 Jahren soziale<br />

Medien wie Instagram, TikTok und YouTube<br />

nutzen, um sich in Finanzfragen zu informieren.<br />

Und trotz des zum Teil ausbaufähigen Finanzwissens<br />

würden Personen am ehesten ihren eigenen<br />

Entscheidungen trauen (82 Prozent), vor der<br />

Familie (60), Freunden (44) und Finanzberatern<br />

(39). Mehrfachnennungen waren hier erlaubt.<br />

Dazu Treu: „Wer sich selbst, der Familie oder<br />

Influencern zu stark vertraut, geht ein unnötiges<br />

Risiko ein.“ Auch deshalb seien dringend mehr<br />

Aufklärung und Bildungsinvestitionen notwendig.<br />

In die gleiche Richtung weist ein Ergebnis der erwähnten<br />

Allianz-Studie: Demnach kostet fehlendes<br />

Wissen einen durchschnittlichen Haushalt<br />

jedes Jahr 2.300 Euro. „Geringe Finanzkompetenz<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Finanzbildung BERATER | 77<br />

tut richtig weh“, betont Ludovic Subran, Chefökonom<br />

der Allianz. Und weiter: „Über lange<br />

Anlagezeiträume, zum Beispiel beim Sparen<br />

für den Ruhestand, kann das buchstäblich ein<br />

Vermögen kosten.“ Die gute Nachricht sei: Kluge<br />

Finanzentscheidungen zu treffen, sei keine Raketenwissenschaft.<br />

Wenn man sich Grundkenntnisse<br />

aneigne, habe man deutlich mehr Geld im<br />

Portemonnaie.<br />

Wirtschaft startet Kampagnen<br />

Aus der privaten Wirtschaft kommen seit geraumer<br />

Zeit Bildungsinitiativen. Aktuell hat die<br />

Allianz eigenen Angaben zufolge eine Online-<br />

Plattform für finanzielle Allgemeinbildung<br />

eingerichtet. Dort finde man leicht verständliche<br />

Informationen, könne interaktive Werkzeuge<br />

nutzen und sich für ein kostenloses Coaching<br />

durch Experten der Allianz anmelden. Das<br />

Problem: Das über die Allianz-Homepage zu erreichende<br />

Tool gibt es nur in Englisch. „Leicht<br />

verständlich“ ist das für viele Nutzer nicht.<br />

Neu sind Videos des Vermögensverwalters<br />

Amundi für junge Leute zum Thema Altersvorsorge,<br />

die über Social-Media-Kanäle ausgespielt<br />

werden. Vom Versichererverband GDV gibt es seit<br />

Langem die Initiativen „7 Jahre länger“ und<br />

„Stadt.Land.unter“. Die Kampagnen zielen stets<br />

auf eine bestimmte Zielgruppe ab. Für eine<br />

ganzheitliche Beratung sind unabhängige<br />

Finanzberater wichtig. Schuld am fehlenden<br />

Finanzwissen sind sie nicht. Laut Treu gibt es<br />

dafür mehrere Gründe, vor allem mangelnde<br />

schulische Bildung und keine offene Diskussion<br />

über Geld im sozialen Umfeld.<br />

Long Story short<br />

Das Finanzwissen der Deutschen ist ausbaufähig.<br />

Der finanzielle Pro-Kopf-Schaden beträgt rund 2.300 Euro p. a.<br />

Die Bundesregierung plant eine Finanzbildungsstrategie.<br />

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78 | SACHWERTE Steile Thesen 2024<br />

STEILE THESEN 2024<br />

Rekord bei Bauzinsen +++ Kryptos mit Kurspotenzial+++ Gold & Silber klaffen auseinander<br />

+++ Bestandsimmobilien fluten den Markt +++ Beteiligungen mit starken Investitionen<br />

+++ Fehlanzeige bei neuen Wohnungen +++ Immobilienmakler konsolidieren +++<br />

STEILE THESE:<br />

»Bitcoin springt wieder<br />

über 50.000 Euro.«<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Der Bitcoin konnte seinen Wert<br />

seit Dezember 2022 auf über<br />

32.600 Euro mehr als verdoppeln.<br />

Der Kurs verlief dabei recht stabil<br />

und nährt neue Kursfantasien.<br />

Als der Bitcoin im März 2021 erstmals<br />

über 50.000 Euro sprang, folgte binnen<br />

drei Monaten eine heftige Korrektur<br />

um fast 50 Prozent. Es dauerte<br />

dann wiederum nur vier Monate,<br />

um im November 2021 einen neuen<br />

Höchststand von über 56.000 Euro<br />

zu erklimmen. Als dann im gesamten<br />

Jahr 2022 der Wert auf 15.000 Euro zusammenschmolz,<br />

schien der gesamte<br />

Hype um Kryptowährungen endgültig<br />

beendet. Zumal andere Kryptos wie<br />

Ripple, Ethereum, Solana oder Dogecoin<br />

ähnlich verliefen.<br />

Doch mit der Ruhe kam die Trendwende.<br />

<strong>2023</strong> legte der Bitcoin bis<br />

Anfang November um etwa 100 Prozent<br />

zu. Ethereum (+67 %), Solana<br />

(+300 %) oder Chainlink (+125 %)<br />

performten im Windschatten des<br />

Bitcoins, ebenso wie viele andere<br />

kleinere Kryptos. Doch wie geht’s<br />

»Ich halte die<br />

These, mit Blick auf<br />

die Produktentwicklung<br />

und die schwindende<br />

Skepsis, für<br />

durchaus denkbar.«<br />

Prof. Philipp Sandner<br />

School of Finance & Management<br />

weiter? Der Anstieg des Bitcoins<br />

verlief <strong>2023</strong> wesentlich stabiler und<br />

damit gesünder als 2021. „Zahlreiche<br />

Banken in Deutschland und im<br />

Ausland bauen an Produkten und<br />

Lösungen, um Krypto-Assets anbieten<br />

zu können. Gerade in Europa entstehen<br />

hierfür gerade gute regulatorische<br />

Rahmenbedingungen. Weiterhin<br />

werden in den nächsten Monaten<br />

vermutlich in den USA die Bitcoin-<br />

ETFs genehmigt. All diese Entwicklungen<br />

dürften zu erhöhten Investitionen<br />

führen“, meint Philipp<br />

Sandner, Kryptoexperte und Professor<br />

an der Frankfurt School of Finance &<br />

Management. Zudem hätten Branchengrößen<br />

wie BlackRock ihre<br />

Skepsis gegenüber Bitcoin abgelegt,<br />

wovon auch andere Krypto-Assets,<br />

aufgrund ihrer Korrelation zum<br />

Bitcoin, profitieren dürften.<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Der stabile Anstieg im Jahr <strong>2023</strong> und<br />

die regulatorischen Fortschritte verleihen<br />

Bitcoin & Co. Rückenwind. Für das<br />

Niveau aus 2021 wäre eine Steigerung<br />

von circa 50 Prozent nötig. Sportlich,<br />

aber denkbar.<br />

75 %<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Steile Thesen 2024 SACHWERTE | 79<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Gegenüber dem zweiten Halbjahr<br />

2022 stiegen die Investitionen im<br />

ersten Halbjahr ’23 auf 6,2 Milliarden<br />

Euro (+44 %). Wiederholt<br />

sich dieses Wachstum, winkt das<br />

Niveau des ersten Halbjahres ’22.<br />

STEILE THESE:<br />

»Beteiligungsinvestitionen<br />

übersteigen im 1. Halbjahr 2024<br />

wieder 10 Milliarden Euro.«<br />

Der Beteiligungsmarkt hat sich <strong>2023</strong><br />

stabilisiert. Die Investitionen lagen im<br />

ersten Halbjahr bei 6,2 Milliarden<br />

Euro. Sie verteilten sich auf 426 Unternehmen,<br />

die mit Beteiligungskapital<br />

finanziert wurden, 322 mit Venture<br />

Capital. Kehren die Investitionen nun<br />

auf das Niveau des zweiten Halbjahres<br />

2021 (11,6 Milliarden Euro) und ersten<br />

Halbjahres 2022 (10,7 Milliarden)<br />

zurück? „Wir gehen von einem<br />

leichten Anstieg der Investitionsvolumina<br />

im ersten Halbjahr 2024 aus,<br />

wahrscheinlich über dem Niveau vom<br />

1. HJ <strong>2023</strong>“, meint der Bundesverband<br />

Beteiligungskapital (BVK). Jedoch<br />

hingen alle Entwicklungen weiterhin<br />

stark von der schwierigen Zins- und<br />

Konjunkturlage sowie dem Ukraineund<br />

Israelkonflikt ab. Das Zukunftsfinanzierungsgesetz<br />

(bei Redaktionsschluss<br />

noch nicht beschlossen)<br />

könnte mit der enthaltenen Neuregelung<br />

für die Mitarbeiterkapitalbeteiligung<br />

und der Streichung der Umsatzsteuer<br />

auf die Management-Fee ein<br />

positiver Anschub für die Branche<br />

sein. Die Beteiligungsgesellschaften<br />

sitzen auf viel Kapital, das investiert<br />

werden will. „Ein Anstieg auf zehn<br />

Milliarden wäre erfreulich und nicht<br />

abwegig“, so der BVK.<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Private Equity hat in der Vergangenheit<br />

bewiesen, sich auf geänderte Rahmenbedingungen<br />

einstellen zu können.<br />

Die globalen Unsicherheiten wiegen<br />

allerdings (zu) schwer für Rekordinvestitionen.<br />

35 %<br />

Das Zinsniveau hat sich <strong>2023</strong> rasant<br />

erhöht. Was Sparer freut, ist für<br />

Baufinanzierer aber ein Graus. Ende<br />

Oktober stiegen die Renditen für<br />

zehnjährige Bundesanleihen erstmals<br />

seit zwölf Jahren wieder über 3 Prozent.<br />

Da Banken ihre Immobiliendarlehen<br />

am Pfandbriefmarkt refinanzieren,<br />

zogen auch die Bauzinsen an.<br />

Doch wie weit noch? Laut Interhyp-<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

STEILE THESE:<br />

»Bauzinsen<br />

nur noch über<br />

5 Prozent«<br />

Bauzins-Trendbarometer im November<br />

rechnen die meisten Experten<br />

damit, dass der Leitzins zunächst bei<br />

4,5 Prozent verbleibt. Bauzinsen über<br />

5 Prozent werden dennoch wahrscheinlicher,<br />

da Interessenten<br />

tendenziell immer weniger Eigenkapital<br />

einbringen. Der durchschnittliche<br />

Beleihungswert stieg laut Dr.<br />

Klein von 80,7 (9/22) auf 85,9 (9/23).<br />

Das erhöht das Risiko der Banken,<br />

was den Bauzins treibt.<br />

Die Zinskurve zeigt weiter nach<br />

oben, und die Rendite für zehnjährige<br />

Bundesanleihen stieg<br />

im Oktober, erstmals seit zwölf<br />

Jahren, wieder über 3 Prozent.<br />

Daran orientieren sich auch die<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Je nach Beleihungswert und Zinsbindung notieren die Bauzinsen<br />

zwar schon jetzt über 5 Prozent. Aufgrund stabiler bis<br />

sinkender Erwartungen beim Leitzins sollte aber auch die Vier<br />

vor dem Komma weiter realistisch sein.<br />

20 %<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


80 | SACHWERTE Steile Thesen 2024<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Durch den jahrelangen Zinsverfall<br />

fielen Anschlussfinanzierungen in<br />

der Regel günstiger aus. Nun übersteigen<br />

die neuen Konditionen die<br />

einstigen Bauzinsen. Viele Baufis<br />

stehen damit auf Kippe.<br />

STEILE THESE:<br />

»Ab 2024 fliegen massenhaft<br />

Bestandsimmobilien<br />

auf den Markt.«<br />

vereinbart haben. Das ist die erste<br />

Generation, bei denen die Konditionen<br />

für die zweite Zinsbindung nun<br />

deutlich über denen der ersten liegen.<br />

Denn während sich vor zehn Jahren<br />

viele ihre Baufinanzierung für etwa<br />

2,5 Prozent sicherten, notiert nun bestenfalls<br />

eine Vier vor dem Komma.<br />

Steigt das Ausfallrisiko nun in den<br />

kommenden Jahren? „Der Großteil<br />

unserer Kunden, bei denen in den<br />

kommenden Jahren die Anschlussfinanzierung<br />

ansteht, hat sehr solide<br />

finanziert und die Zinsbindung und<br />

Tilgung so gestaltet, dass zum Zeitpunkt<br />

der Anschlussfinanzierung ein<br />

großer Teil des Kredits zurückgeführt<br />

ist. Wir sehen daher kein gestiegenes<br />

Ausfallrisiko durch den Zinsanstieg“,<br />

so die Interhyp auf Anfrage.<br />

Dennoch sei zu beobachten, dass<br />

Anschlussfinanzierer derzeit spürbar<br />

mit der Tilgung runtergehen, um das<br />

Zinsniveau auszugleichen. Das führt<br />

zu längeren Restlaufzeiten bei den<br />

Darlehen.<br />

Setzt man die Standardzinsbindung<br />

von zehn Jahren voraus, so müssen<br />

aktuell jene Hausbesitzer eine Anschlussfinanzierung<br />

finden, die 2013<br />

bzw. 2014 ihre erste Zinsbindung<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Anschlussfinanzierungen werden in den kommenden Jahren<br />

teurer im Vergleich zur ersten Zinsbindung. Wo diese bereits<br />

knapp kalkuliert war, steigt das Ausfallrisiko.<br />

65 %<br />

Die Bundesregierung hat 400.000<br />

neue Wohnungen pro Jahr versprochen.<br />

Die Realität sieht aber anders<br />

aus – 2022 wurden nur 295.300 neue<br />

Einheiten fertiggestellt. Dass das<br />

einstige Ziel überhaupt mal realistisch<br />

wird, bezweifelt nicht nur der<br />

Bundesverband deutscher Wohnungs-<br />

und Immobilienunternehmen<br />

(GdW): „Unter den aktuellen politischen<br />

und wirtschaftlichen Voraussetzungen<br />

können die sozial orientierten<br />

Wohnungsunternehmen nicht<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

In 2022 wurden lediglich 295.300<br />

neue Wohnungen gebaut. Da die<br />

Baugenehmigungen auch in <strong>2023</strong><br />

weiter zurückgehen, dürfte die<br />

Regierung ihr eigenes Ziel erneut<br />

klar verfehlen.<br />

mehr in bezahlbaren Wohnungsbau<br />

investieren. Statt des Regierungsziels<br />

muss mit der Fertigstellung von nur<br />

200.000 neuen Wohnungen jährlich<br />

gerechnet werden.“ Anhaltende<br />

Preisanstiege infolge von Zinssteigerungen<br />

und Langzeitauswirkungen<br />

der Corona-Krise, aber auch kostentreibende<br />

politische Vorgaben und<br />

Förderchaos würgen die Investitionsfähigkeit<br />

der sozial orientierten<br />

Wohnungsunternehmen insbesondere<br />

beim Wohnungsneubau ab. Die<br />

Zahl der fertiggestellten Wohnungen<br />

entfernt sich daher immer deutlicher<br />

vom Ziel der Bundesregierung. Der<br />

STEILE THESE:<br />

»Neubau: 400.000 neue<br />

Wohnungen werden zur Utopie.«<br />

GdW rechnet für 2024 mit nur<br />

214.000 neuen Wohnungen.<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Die aktuellen Rahmenbedingungen und<br />

die sinkende Zahl der Baugenehmigungen<br />

sprechen dafür, dass die Zahl der<br />

neuen Wohnungen weiter zurückgeht,<br />

statt dem Ziel der Regierung näher zu<br />

kommen.<br />

99 %<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Steile Thesen 2024 SACHWERTE | 81<br />

STEILE THESE:<br />

»Anzahl der<br />

Immo bilienmakler<br />

schrumpft stark.«<br />

Für lange Zeit war die Immobilienvermittlung fast ein<br />

Selbstläufer. Jeder suchte und wollte Wohneigentum, die<br />

Finanzierungsbedingungen waren paradiesisch. Doch<br />

die Trendwende am Immobilienmarkt hat das boomende<br />

Geschäft der Vermittler ins Stocken gebracht. Um<br />

41 Prozent sind laut JLL die Transaktionen 2022 gegenüber<br />

dem Vorjahr zurückgegangen.Die Finanzierungskosten<br />

steigen, potenzielle Käufer werden weniger. In der<br />

Folge reduzieren sich auch die Einnahmen vieler Makler,<br />

die sich mit Zukunftsängsten beschäftigen. „Die Zahl der<br />

Immobilienmakler wird dennoch nicht schrumpfen. Gerade<br />

jetzt ist ihre Rolle wichtiger denn je, da sie Orientierung<br />

bei der realistischen Preisfindung schaffen“, meint<br />

Dr. Gesa Crockford, Geschäftsführerin von Immobilien-<br />

Scout24. Das Interesse der Deutschen an Wohneigentum<br />

sei weiterhin hoch. „Die Anzahl der Kontaktanfragen auf<br />

unserer Plattform ist aktuell wieder fast auf dem Vor-Corona-Niveau,<br />

und die öffentlich zum Kauf angebotenen<br />

Immobilien liegen aktuell auf einem Höchststand“, berichtet<br />

Crockford.<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Kaufinteresse: aufgrund schwieriger Rahmenbedingungen<br />

weiter zurückhaltend. Gerade kleinere Makler spüren Umsatzeinbußen<br />

und den wachsenden Druck der großen Player.<br />

In dieser Phase gehe es darum, die Verunsicherung im<br />

Markt zu verstehen, die Beratungsleistung entsprechend<br />

anzupassen und das Geschäft weiter zu digitalisieren.<br />

Maklerbüros, denen das am besten gelingt, werden als<br />

Gewinner aus dieser Phase hervorgehen.<br />

Um eine eventuelle<br />

Über- oder<br />

Unterbewertung<br />

von Gold bzw.<br />

Silber gegenüber<br />

dem jeweils anderen<br />

Edelmetall zu<br />

erkennen, ziehen<br />

STEILE THESE:<br />

»Preisratio zwischen<br />

Gold und Silber springt<br />

auf über 100.«<br />

Experten die Preisratio<br />

heran. Sie gibt an, wie viele Unzen Silber nötig sind,<br />

um eine Unze Gold kaufen zu können. Mitte November<br />

waren 87 Silberunzen nötig, im April 2020 sogar 112. Aber<br />

wie geht’s weiter? Frank Schallenberger, Head of Commodity<br />

Research bei der LBBW: „2024 dürften Edelmetalle<br />

vom Zinssenkungsmodus der Notenbanken profitieren.“<br />

Für Gold rechnet er zwar nur mit einem Unzenpreis<br />

von 2.100 US-Dollar. Für Silber ist er aber optimistischer,<br />

aufgrund der industriellen Nachfrage, vor allem für<br />

Photovoltaikanlagen. „Die stabile industrielle Nachfrage<br />

dürfte auch in 2024 für ein Angebotsdefizit bei Silber<br />

sorgen und den Preis bis Ende 2024 auf 27 US-Dollar<br />

heben.“ Das wäre dann eine Preisratio von rund 78.<br />

Das Umschwenken der Notenbanken bezüglich der<br />

Zinsen wird Edelmetalle im kommenden Jahr pushen.<br />

„Wenn es tatsächlich nach oben geht, sprechen der<br />

höhere Hebel bei Silber und das sich auch für 2024<br />

abzeichnende Angebotsdefizit für eine Outperformance<br />

von Silber und damit eher für eine Gold-Silber-Ratio von<br />

80 oder weniger“, meint Schallenberg.<br />

+++ HINTERGRUND +++<br />

Nach der Rekordmarke von knapp<br />

112 im April 2020 sank die Preisratio<br />

zwischen Gold und Silber<br />

auf 66 (Februar 2021). Seitdem<br />

klettert sie wieder recht stabil und<br />

lag im November <strong>2023</strong> bereits<br />

bei 87.<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Unsicherheit durch Zinsanstieg,<br />

Preisentwicklung und politische Diskussionen<br />

erfordern weiter professionelle<br />

Beratung. Dennoch müssen<br />

Makler effizienter agieren, um diese<br />

Phase durchzustehen.<br />

35 %<br />

+++ PROGNOSE +++<br />

Die Vorzeichen sprechen für steigende<br />

Edelmetallpreise. Silber wird<br />

dann als Industriemetall stärker<br />

zulegen als Gold, was die sinkende<br />

Gold-Silber-Ratio senkt.<br />

10 %<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


82 | SACHWERTE Projektfinanzierungen<br />

»Crowdfunding ist kein Sprint,<br />

sondern ein Marathon«<br />

Für Immobilienentwickler wird es schwieriger, ihre Projekte zu stemmen. Ulrike Losmann-<br />

Hartl von der dagobertinvest GmbH bringt Crowdinvesting als Option ins Spiel.<br />

IR IMKE REIHER<br />

<strong>procontra</strong>: Seit wann sind Sie im<br />

Crowd investing aktiv?<br />

Ulrike Losmann-Hartl: Die Plattform ist<br />

2015/2016 an den Start gegangen und<br />

vermittelt ausschließlich Projektfinanzierungen<br />

im Wohnbau. Dabei stehen<br />

mittelgroße, nachvollziehbare Projekte<br />

im Fokus. Konkret sind das Ein- und<br />

Mehrfamilienhäuser sowie Mikroanlagen<br />

mit bis zu 20 Apartments. Bisher<br />

sind wir ausschließlich in der DACH-Region<br />

aktiv, stehen aber in den Startlöchern<br />

für Ost- und Mitteleuropa.<br />

<strong>procontra</strong>: Wer ist Ihre Zielklientel?<br />

Losmann-Hartl: Zum einen Projektentwickler,<br />

die immer öfter Fremdkapital<br />

brauchen, um Projekte zu stemmen,<br />

weil die Kreditvergaberichtlinien der<br />

Banken zusehends strikter werden und<br />

mehr Eigenkapital voraussetzen. Über<br />

Crowdinvesting lässt sich dies erhöhen.<br />

Zum anderen Investoren, die in die<br />

Entwicklung der jeweiligen Immobilie<br />

investieren. Diese Gruppe reicht vom<br />

Studenten bis zum institutionellen<br />

Großinvestor.<br />

<strong>procontra</strong>: Wie sehen die Rahmenbedingungen<br />

für Investoren aus?<br />

Losmann-Hartl: Das Mindestkapital<br />

beträgt 100 Euro für Kleinanleger und<br />

25.000 Euro für institutionelle Großanleger.<br />

Die Laufzeiten für einzelne<br />

Projekte liegen in der Regel bei 1 bis 3<br />

Was Sie erfahren<br />

werden:<br />

Warum Immobilien-Crowd-<br />

Projekte so hoch verzinst<br />

sind<br />

Welche Vorteile die europäische<br />

Schwarmfinanzierungslizenz<br />

bietet<br />

Wieso ein mutmaßlicher Ausfall<br />

mitunter doch keiner ist<br />

Jahren und die Verzinsung bei 8 bis<br />

12 Prozent.<br />

<strong>procontra</strong>: Wie kommt diese Verzinsung<br />

zustande?<br />

Losmann-Hartl: Da der Projektträger<br />

eine bestimmte Eigenkapitalquote für<br />

die Bankfinanzierung vorweisen muss<br />

und Mezzaninekapital dem Eigenkapital<br />

hinzugerechnet wird, sind Immobilienentwickler<br />

bereit, auch höhere Zinsen<br />

für Crowdkapital zu bezahlen. Da es<br />

sich um Risikokapital handelt, ist der<br />

Zinssatz höher als bei allen anderen<br />

Finanzierungen im Mix.<br />

<strong>procontra</strong>: Welche Risiken sollten Investoren<br />

bedenken?<br />

Losmann-Hartl: Für ängstliche Investoren<br />

ist Crowdfunding sicher nicht die<br />

beste Lösung. Es gibt etliche Projektimmanente<br />

Risiken, wie etwa ein Bau-,<br />

Zins- und Gesetzesrisiko. Nur deswegen<br />

ist der Projektträger bereit, so hohe<br />

Zinsen zu zahlen. Es ist Risikokapital,<br />

und ein Totalverlust ist möglich.<br />

<strong>procontra</strong>: Wie sichern Sie sich gegen<br />

derartige Szenarien ab?<br />

Losmann-Hartl: Als Plattform sind wir<br />

grundsätzlich nur Vermittler und haben<br />

keine Möglichkeit, bei Leistungsstörungen<br />

als Plattform die Anlegerinte ressen<br />

zu vertreten. De facto schließen<br />

Investoren einen Vertrag mit dem<br />

Projektträger. Insofern kann ein Investor<br />

Forderungen auch nur selbst anmelden<br />

und muss selbst tätig werden, um diese<br />

– sofern möglich – durchzusetzen. Das<br />

kann sehr kostenintensiv sein und muss<br />

auch nicht zum Erfolg führen.<br />

<strong>procontra</strong>: Klingt aus Investorensicht<br />

nicht sehr beruhigend. Wie reduzieren<br />

Sie das Risiko durch Pleiteprojekte?<br />

Losmann-Hartl: Jedes Projekt durchläuft<br />

eine umfassende Risikoprüfung.<br />

Dabei wird die Plausibilität geprüft<br />

– inklusive betriebswirtschaftlicher<br />

Analyse – und inwieweit es in das<br />

Portfolio passt. In letzter Zeit lehnen wir<br />

neun von zehn Projekten aufgrund zu<br />

geringer Eigenmittelausstattung oder<br />

mangelhafter Projektparameter ab.<br />

2022 waren es nur 60 bis 70 Prozent.<br />

Zudem sind wir bei Immobilienentwick-<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Projektfinanzierungen SACHWERTE | 83<br />

lern mit einem geringen Track Record<br />

sehr zurückhaltend. Wer die Finanzkrise<br />

2008 überlebt hat, hat deutlich bessere<br />

Karten. Wir haben bislang über 320 Projekte<br />

erfolgreich platziert, bei insgesamt<br />

fünf Ausfällen aus unterschiedlichen<br />

Gründen.<br />

<strong>procontra</strong>: Wie werden Investorengelder<br />

investiert?<br />

Losmann-Hartl: Für nicht ECSP-lizenzierte<br />

Plattformen erfolgt dies wegen<br />

der gesetzlichen Vorschriften ausschließlich<br />

über qualifizierte Nachrangdarlehen.<br />

Diese sind für Anleger nachteilig,<br />

da der Immobilienentwickler die<br />

Rückzahlung aufschieben kann, wenn<br />

er durch die Tilgung in eine finanzielle<br />

Schieflage gerät. Bei einer Pleite bekommen<br />

sie ihr Geld als Letzte wieder<br />

– wenn überhaupt. Diese Darlehen gibt<br />

es bei uns nicht mehr, nachdem wir im<br />

»Für ängstliche<br />

Investoren sind<br />

Crowdfunding-<br />

Investitionen sicher<br />

nicht die<br />

beste Lösung.«<br />

September eine ECSP-Lizenz erhalten<br />

haben. Seitdem ist es möglich, bankübliche<br />

Sicherheiten wie Garantien<br />

oder Pfandrechte im Grundbuch in den<br />

Verträgen zwischen den Investoren und<br />

Projektträgern zu vereinbaren. Dadurch<br />

gibt es jetzt einen unbedingten Rückzahlungspunkt<br />

am Ende der Laufzeit,<br />

der auch eine Insolvenz des Projektentwicklers<br />

auslösen kann. Zudem haben<br />

wir ein eigenes Inkasso-Institut, das Anlegerinteressen<br />

vertritt. Dies gestaltet<br />

die Sicherheiten, verwahrt sie während<br />

der Laufzeit und kann sie bei Zahlungsverzug<br />

verwerten.<br />

<strong>procontra</strong>: Bezahlen Investoren diesen<br />

Mehrwert?<br />

Losmann-Hartl: Ja. Seit September<br />

schließen alle Anleger parallel zur Investition<br />

auch einen Servicevertrag ab,<br />

für eine Gebühr von 0,5 Prozent jährlich<br />

auf die Gesamtinvestition. Im Fall einer<br />

Schieflage beim Projektentwickler erhalten<br />

sie dann einen Rechtsanspruch<br />

auf Durchsetzung der vereinbarten<br />

Sicherheiten – sowohl schuldrechtlich<br />

als auch dinglich.<br />

<strong>procontra</strong>: Sind die Investorengelder zu<br />

100 Prozent abgesichert?<br />

Losmann-Hartl: Nein, ein Ausfall ist<br />

immer noch möglich, weil wir uns<br />

weiterhin im Risikokapital bewegen.<br />

Wenn der Projektträger in Konkurs geht<br />

und die Konkursmasse zur Abdeckung<br />

aller Verbindlichkeiten nicht ausreicht,<br />

kann es trotz Sicherheiten zu Verlusten<br />

kommen – bis hin zu einem Totalausfall.<br />

Darum sollten Investoren auch nur Geld<br />

investieren, das sie nicht zeitnah<br />

brauchen, und zudem eher kleinere<br />

Beträge.<br />

Weiter im Thema<br />

Das vollständige Interview<br />

lesen Sie hier:<br />

Foto: Felicitas Matern


84 | SACHWERTE Zinsanstieg<br />

Besonnenheit im Zins-Battle<br />

Attraktive Anleihen, Fest- und Tagesgelder setzen die Sachwertbranche unter Druck.<br />

Dabei sollten diese Geldanlagen kein Vergleichsmaßstab für AIFs sein.<br />

OL OLIVER LEPOLD<br />

Was Sie erfahren werden:<br />

Wie die neue Normalität der AIF-Initiatoren<br />

aussieht<br />

Warum Festgelder keine Konkurrenz<br />

darstellen<br />

Wie Vermittler im Beratungsgespräch<br />

argumentieren können<br />

Frankfurt im September. Rund 200 Vermittelnde,<br />

die AIFs und Vermögensanlagen vertreiben,<br />

haben sich im Hotel Crown Plaza versammelt.<br />

Der vom Verband der Kapitalverwaltungsgesellschaften<br />

und Sachwertanbieter durchgeführte<br />

VKS Sachwert Kongress ist ausgebucht. Die<br />

Initiatoren stehen bereit, Antworten und Anregungen<br />

für das Beratungsgeschäft zu liefern.<br />

Das Interesse ist groß, denn Sachwertprodukte<br />

müssen durch den starken Zinsanstieg auf dem<br />

Illustration: Roman Kulon


Zinsanstieg SACHWERTE | 85<br />

Kaufkraft weiter in Gefahr<br />

Reale Geldentwertung trotz Zinsanstieg<br />

9<br />

8<br />

7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

-1<br />

2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 2022 <strong>2023</strong><br />

8/23<br />

6,1<br />

8/23<br />

4,25<br />

<strong>2023</strong><br />

3,92<br />

9/23<br />

2,68<br />

Angaben in %<br />

Leitzins der EZB Bauzinsen 10-jährige Sollzinsbindung<br />

Rendite 10-jährige Bundesanleihe Inflationsrate in Deutschland<br />

Quelle: Primus Valor/EZB<br />

Markt nun vermehrt mit attraktiven Fest- und<br />

Tagesgeldangeboten beim Kunden konkurrieren.<br />

Wie können Vermittler hier argumentieren?<br />

Die neue Normalität wirkt<br />

„Wir sind in einer neuen Normalität angekommen,<br />

in der sich viele Geschäftsmodelle verändert<br />

haben“, sagt Dr. Michael König, Leiter<br />

Vertrieb von Primus Valor. Fakt ist: Die EZB hat<br />

die Leitzinsen seit Juli 2022 rasant angehoben,<br />

so stark und schnell wie noch nie zuvor. Die<br />

Inflationsrate sinkt, bleibt aber dennoch oberhalb<br />

des Zielwerts von 2 Prozent (siehe Grafik).<br />

Dadurch ist die Notenbank zu weiterhin restriktiver<br />

Geldpolitik gezwungen. „Die Sparer erhalten<br />

nun überall Festzins- und Tagesgeldangebote mit<br />

einer Drei, fast schon einer Vier vor dem Komma.<br />

In diesem Marktumfeld müssen die Vorteile<br />

von Sachwerten klarer erklärt werden“, umreißt<br />

König die Sachlage.<br />

Oftmals lassen sich die vermeintlich attraktiven<br />

Festgeldzinsangebote bei einem Blick in die Bedingungen<br />

zerpflücken. André Wreth, Vertriebsvorstand<br />

Solvium Capital, berichtet den Vermittlern<br />

auf dem VKS Sachwert Kongress von einem<br />

Angebot einer italienischen Bank: 4,2 Prozent<br />

»Sprechen Sie mit Ihren Kunden, ob<br />

es in der Finanzplanung nur um die<br />

nächsten zwei Jahre geht oder etwas<br />

mit Hand und Fuß gewünscht ist.«<br />

André Wreth<br />

Solvium Capital<br />

für zwei Jahre Festanlage. „Bei einer Anlagedauer<br />

von drei Jahren gibt es schon deutlich weniger<br />

Zins, längerfristig existiert gar kein Angebot. Der<br />

Zins ist endfällig und die Bank ist so service-<br />

Foto: Stephan Rech


86 | SACHWERTE Zinsanstieg<br />

Maklers Meinung<br />

Es kommt derzeit immer<br />

wieder vor, dass Kunden<br />

Sachwertanlagen mit den<br />

aktuell attraktiven Fest- und<br />

Tagesgeldangeboten vergleichen<br />

und Letztere für die<br />

bessere Lösung halten. Das<br />

ist verständlich, ich sehe das<br />

gelassen. Solche Phasen gab<br />

es in der Vergangenheit<br />

immer wieder. Die Kapitalmarktzinsen<br />

steigen und die<br />

Banken geben einen Teil als<br />

Tagesgeld- oder Festgeldzinsen<br />

für ein paar Quartale an<br />

die Anleger weiter – aber nie<br />

für lange. Die (Lock-)Angebote<br />

gelten meist für 6 bis<br />

maximal 24 Monate. Laufzeiten<br />

von zwei bis fünf Jahren<br />

wird man da nicht finden.<br />

»Kein Vergleichsmaßstab<br />

für Sachwertanlagen«<br />

Joachim Krüger, unabhängiger<br />

Wirtschaftsberater aus Stuttgart<br />

orientiert, dass sie die 20-prozentige Quellensteuer<br />

dann gleich abzieht“, berichtet Wreth.<br />

„Sprechen Sie mit Ihren Kunden, ob es in der<br />

Finanzplanung nur um die nächsten zwei Jahre<br />

geht oder etwas mit Hand und Fuß gewünscht<br />

ist“, fordert Wreth.<br />

Fest- und Tagesgelder sind<br />

kein Vergleichsmaßstab für<br />

hochwertige Sachwertanlagen,<br />

denn Sach werte sind<br />

nach meiner langjährigen<br />

Berufserfahrung immer<br />

besser als Geld- oder<br />

Buchwerte. Das liegt daran,<br />

dass Sachwerte, also reale<br />

Werte, bei einer Inflation<br />

gewinnen und Geld-/Buchwerte<br />

an Wert verlieren.<br />

Zinsen sind Geldversprechen<br />

und hängen wie das Rückzahlungsversprechen<br />

von der<br />

Bonität der Banken ab. Wie<br />

sicher sind diese wirklich?<br />

Mein Leitspruch ist hier:<br />

Lieber bin ich Eigentümer als<br />

Gläubiger.<br />

Monatliche Auszahlungen<br />

statt endfälligem Zins<br />

Wreths Rat an Vermittler: Stellen Sie die höhere<br />

Flexibilität von Sachwertanlagen beim Kunden<br />

heraus. „Bei uns erhalten Kunden bei manchen<br />

Produkten monatliche Auszahlungen in Höhe<br />

von 1 Prozent. Da können sie mit der Liquidität<br />

ganz anders arbeiten“, unterstreicht Wreth. Er<br />

berichtet von Vermittlern, die rechtzeitig aus<br />

den Aktienmärkten Liquidität entnommen und<br />

einen Teil in AIFs bei Solvium Capital angelegt<br />

haben. Aus den laufenden Auszahlungen investieren<br />

sie wieder in Aktienfonds.<br />

Das Zinsumfeld muss den Kunden genau erklärt<br />

werden, notfalls gebetsmühlenartig. Die Absatzchancen<br />

für Sachwertanlagen sind da, auch<br />

weil es sich viele Banken einfach machen und<br />

verstärkt auf Anleihen setzen. „Anleihen sind<br />

schnell eingebucht, schnell abgerechnet, die<br />

Zahlen für die Bank stimmen. Aber auf lange<br />

Sicht kann der Kunde möglicherweise wieder der<br />

Leidtragende sein“, betont Jens Freudenberg, Geschäftsführer<br />

der BVT Unternehmensgruppe.<br />

Top-Argumente für die Beratung<br />

Das Problem: Wird über die Risiken denn umfassend<br />

aufgeklärt? Anleihen laufen eben nicht<br />

immer bis zum Ablaufdatum durch und erstatten<br />

nicht stets 100 Prozent des Kapitals zurück.<br />

„Dass im Verlauf auch mal Kursrisiken auftauchen<br />

können, wissen viele Kunden oft gar nicht.<br />

Diesen Bankkunden sollten alternative Möglichkeiten<br />

aufgezeigt werden“, so Freudenberg. Wer<br />

etwa im Beratungsgespräch die aktuelle Differenz<br />

zwischen Inflation und dem Anleihezins<br />

plakativ aufmalt, macht dem Kunden begreifbar,<br />

dass er mit Anleihen immer noch einen realen<br />

Vermögensverlust erzielt.<br />

Hinzu kommt ein Top-Argument: Beim laufenden<br />

Ertrag bieten AIFs und Anleihen womöglich<br />

ähnliche Auszahlungsprofile, aber am Ende hat<br />

der AIF die Chance auf deutlich mehr Gesamtrendite.<br />

Anleihen sind als reine Geldwerte von<br />

der Inflation betroffen. „Aber Sachwerte steigen<br />

in der Regel mit der Inflation im Wert. In fast<br />

allen Kalkulationen erhalten Kunden am Ende<br />

nicht wie bei Anleihen 100 Prozent zurück, sondern<br />

100 plus x!“, betont König.<br />

Freudenberg hat noch ein Argument für Berater,<br />

die ihren Kunden Alternativen im Sachwertbereich<br />

anbieten möchten: die Kapitalertragsfreigrenzen.<br />

In Deutschland wurde der Sparerpauschbetrag<br />

14 Jahre lang nicht erhöht und erst<br />

ab <strong>2023</strong> moderat von 800 auf 1.000 für Ledige<br />

und von 1.600 auf 2.000 Euro für Verheiratete<br />

angepasst. „In den USA hingegen können wir mit<br />

unseren Produkten Freibeträge nutzen, die von<br />

der US-Verwaltung jährlich an die Inflation angepasst<br />

werden“, hebt Freudenberg hervor.<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


Zinsanstieg SACHWERTE | 87<br />

Sachwerte sind spannender<br />

„Wir haben spannende Themen und zeitgemäße<br />

Produkte“, nennt Philipp Schröter, Leiter Relationship<br />

Management bei RWB, einen weiteren<br />

Vertriebsansatz. Denn anders als reine Geldanlagen<br />

liefern Sachwerte auch haptische Erlebnisse<br />

– Dinge zum Anfassen wie Container oder<br />

Immobilien, zu denen Kunden oft auch einen<br />

Bezug haben. „Die Geschichten liefern wir Ihnen,<br />

Sie müssen die Transformation von spannenden<br />

und sinnvollen Investments zum Kunden übernehmen“,<br />

so Schröter. Passende Vertriebsunterstützung<br />

liefern die Initiatoren gleich mit.<br />

Die Sachwertbranche ist sich einig, über spannende<br />

und vielfältige Angebote zu verfügen,<br />

deren Risiko erklärt und ins Verhältnis zum<br />

Markt gesetzt werden muss. Die Initiatoren<br />

werben daher verstärkt um engagierte Vermittler,<br />

die es sich im aktuellen Zinsumfeld zum<br />

Wohle ihrer Kunden nicht zu einfach machen<br />

und etwa auch komplexere AIFs erwägen.<br />

Profitieren Sachwerte<br />

vom Zinshoch?<br />

Sachwerte steigen mit der Inflation<br />

im Wert.<br />

AIFs haben mehr Chancen auf<br />

Gesamtrendite als Anleihen.<br />

Spannende Storys, die beim<br />

Kunden Resonanz finden<br />

Tages-/Festgeldanlagen erscheinen<br />

manchen Anlegern auf den ersten<br />

Blick attraktiver.<br />

Die Komplexität vieler AIFs setzt<br />

eine engagierte und sachkundige<br />

Beratung voraus.<br />

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<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong><br />

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88 | SACHWERTE Fractional Ownership<br />

Ein Quäntchen Luxus<br />

Durch Fractional Ownership können Privatanleger in Anteile von Luxus-Sachwerten wie<br />

teure Uhren oder Kunstwerke investieren. Experten warnen allerdings vor den Gefahren.<br />

HP HANNAH PETERSOHN<br />

Wie wär’s mit einem echten Banksy?<br />

Oder einer Patek Philippe? Einem seltenen<br />

Ferrari? Vielen Anlegern dürfte<br />

dafür das nötige Kleingeld fehlen. Wer<br />

dennoch am Luxussegment partizipieren<br />

will, könnte zumindest einen<br />

Bruchteil der Preziosen erwerben.<br />

Das Konzept, Eigentumsverhältnisse<br />

zu splitten, ist an sich nicht neu. Allerdings<br />

war das Investment lange Zeit<br />

einer eher wohlhabenderen Klientel<br />

vorbehalten. Heute ist das anders. Online-Plattformen<br />

wie Collectable oder<br />

Rares bieten Kunden den Erwerb von<br />

Anteilseigentum schon für wenige<br />

Dollar an. Allerdings steht der Handel<br />

nur US-Anlegern zur Verfügung.<br />

Hierzulande bietet das 2018 gegründete<br />

Berliner Start-up Timeless das<br />

sogenannte Fractional Ownership<br />

an. Allerdings wendet sich Timeless<br />

ausschließlich an Endkunden. Das<br />

Hamburger Unternehmen Finexity<br />

hingegen vertreibt seine Produkte<br />

auch über unabhängige Finanzberater.<br />

Kunden können ab 500 Euro in<br />

Anteile von kostbaren Boliden, Luxusimmobilien<br />

und -uhren, erlesenen<br />

Weinen, Streichinstrumenten, Gemälden<br />

oder Edelsteinen investieren.<br />

Dafür erwerben Tochterunternehmen<br />

für Finexity ein Asset. Der<br />

Vermögenswert wird dann in Anteile<br />

gestückelt, die digital verbrieft – also<br />

in Token umgewandelt – werden. Investoren<br />

werden auf der Blockchain<br />

gelistet. Laut CEO Paul Huelsmann<br />

entfallen dadurch bei einer Trans-<br />

Was Sie erfahren<br />

werden:<br />

Wie Kleinanleger in Luxuswerte<br />

investieren können<br />

Mit welchem Modell deutsche<br />

Anbieter operieren<br />

Welche Bedingungen für<br />

Investoren gelten<br />

aktion 80 Prozent der Gesamtkosten<br />

im Vergleich zur konventionellen<br />

Börse. Der Handel selbst ist kostenlos,<br />

Finexity erhebt aber Gebühren<br />

für die Lagerung und Versicherung<br />

eines Vermögenswerts in Höhe von<br />

durchschnittlich 4 Prozent auf jeden<br />

investierten Euro sowie 2 Prozent für<br />

die Produktstrukturierung.<br />

Illustration: Roman Kulon


Fractional Ownership SACHWERTE | 89<br />

Ungeklärte Fragen<br />

Anleger profitieren im Fall von Immobilieninvestments<br />

von der Wertentwicklung<br />

und den Ausschüttungen.<br />

„Bei den anderen Assets gibt es das<br />

Geld erst nach Ablauf der Haltedauer<br />

oder wenn Anleger ihre Anteile auf<br />

der Plattform verkaufen.“ Die Haltedauer<br />

liegt je nach Produkt bei 2 bis<br />

15 Jahren. Kunden haben in Bezug<br />

auf die Haltedauer kein Vetorecht.<br />

Deswegen ist es laut dem Investmentexperten<br />

Christian W. Röhl besonders<br />

wichtig, dass Treuhänder, Assetverwahrer<br />

und Verbriefungsgesellschaft<br />

seriös sind. Nach dem Verkauf gehen<br />

80 Prozent des Gewinns an die Kunden,<br />

20 Prozent an Finexity.<br />

Röhl sieht den anteiligen Besitz an<br />

Sachwerten kritisch. „Nach wie vor<br />

sind Lagerung, Versicherung und<br />

Transaktionskosten ein Thema.“ Im<br />

vergangenen Jahr wurden bei einem<br />

spektakulären Einbruch in Berlin<br />

mehrere Uhren gestohlen, auch<br />

solche von Timeless. Sie waren zwar<br />

entsprechend versichert und Anlegern<br />

wurden Kaufpreis und Gebühr<br />

erstattet, aber der Gewinn ist hin.<br />

Potenzial für Kunden …<br />

Wahr ist aber auch: Mit Fractional<br />

Ownership lässt sich Geld verdienen.<br />

„Es gibt sowohl bei Finexity als auch<br />

bei Timeless erfolgreiche Exits von<br />

den ersten Anlagegütern“, berichtet<br />

Röhl. Eine Luxusuhr von Audemars<br />

Piguet, die Royal Oak, hatte Timeless<br />

im März 2021 mit knapp 50.000 Euro<br />

bewertet, über ein Jahr später wurde<br />

sie für 90.000 Euro verkauft. Solche<br />

Erfolgsstorys locken Investoren an.<br />

Der Versicherer Hiscox spricht von<br />

einem Trend mit großem Potenzial.<br />

„Abgesehen von Kunstobjekten<br />

ist Fractional Ownership auch bei<br />

Ferienimmobilien und bei hochwertigen<br />

Oldtimern immer stärker<br />

im Kommen“, so Alina Sucker-Kastl,<br />

Underwriting Manager Art & Private<br />

Clients, anlässlich des Hiscox Online<br />

Trade Art Reports <strong>2023</strong>. Demnach<br />

wollen 61 Prozent der Befragten künftig<br />

auf diese Weise in Sammlerstücke<br />

investieren, bei jüngeren Käufern<br />

sind es sogar über drei Viertel.<br />

„Aber das ist etwas für denjenigen,<br />

der sonst schon alles hat“, hebt Röhl<br />

hervor. Er sieht das Investment lediglich<br />

als Ergänzung zu einem breiten<br />

Aktienportfolio.<br />

»Fractional Ownership<br />

ist auch bei<br />

Ferienimmobilien<br />

und hochwertigen<br />

Old timern immer<br />

stärker im Kommen.«<br />

Alina Sucker-Kastl<br />

Underwriting Manager<br />

Art & Private Clients bei Hiscox<br />

… und für Berater<br />

Etwa 40 Prozent der Finexity-Klientel<br />

kommen über angeschlossene<br />

Partner oder Anlagevermittler, die<br />

sowohl eine 34f-Erlaubnis als auch<br />

eine Lizenz nach dem Wertpapierinstitutsgesetz<br />

(WpIG) brauchen. Ohne<br />

Lizenz kann man sich als Tippgeber<br />

anschließen. Wer Finexity über die<br />

zur Verfügung gestellten Werbemittel<br />

und Informationen weiterempfiehlt,<br />

erhält Provisionen von bis zu<br />

5 Prozent bei Erstinvestments. „Stark<br />

regulierte und aufwendige Beratungsprozesse<br />

und Dokumentationsvorschriften<br />

entfallen für Tippgeber“,<br />

wirbt Finexity auf seiner Seite.<br />

Für Berater kann das Geschäft durchaus<br />

erträglich sein. Betrugen die<br />

Kosten für die Produkteinstellung<br />

zuvor 10 Prozent, sind es jetzt nur<br />

noch 2 Prozent. „Dadurch haben die<br />

Berater 8 Prozent gut, von denen sie<br />

4 oder 6 Prozent an die Investoren<br />

geben.“ Auch ist der Abwicklungsaufwand<br />

für Berater dank Blockchain<br />

gering.<br />

Röhl bezweifelt jedoch das Interesse<br />

von Finanzberatern an dem Geschäft.<br />

„Ich möchte den Finanzanlagenvermittler<br />

sehen, der jetzt Token von<br />

einer Kunstsammlung verkauft, und<br />

dann auch noch mit Provision.<br />

Aufwand und Risiko sind zu hoch.“<br />

Da ist ein Aktienfonds oder eine<br />

Versicherung naheliegender. Fractional<br />

Ownership ist demnach eher<br />

etwas für Selbstentscheider.<br />

Lohnt sich Fractional Ownership?<br />

Vertriebskosten für Anleger gering<br />

Gute Margen für Berater<br />

Sinnvolle Portfolioergänzung<br />

Verwahrung und Versicherung der<br />

Vermögenswerte fraglich<br />

Eingeschränkte Anlegerrechte<br />

Komplexes Thema für Berater<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


90 | PRIVAT GEFRAGT <br />

»Bei AC/DC und Metal<br />

drehe ich das Radio lauter«<br />

Holger Iben, Leiter Maklervertrieb Itzehoer Versicherungen, GF Brandgilde Versicherungskontor GmbH,<br />

GF bessergrün GmbH, im Itzehoer-Konzern seit 1998<br />

Zum Frühstück gibt es bei mir<br />

Vollkornbrot mit Honig und Käse. Aber<br />

nur am Wochenende, sonst frühstücke<br />

ich nicht.<br />

Meine wahre Leidenschaft ist<br />

der HSV, natürlich mit und zusammen<br />

mit meiner Familie.<br />

Meine Freizeit verbringe ich<br />

am liebsten<br />

mit der Familie und Freunden. Dann versuche<br />

ich regelmäßig Sport zu machen<br />

und gehe sehr gerne auf Reisen.<br />

Mein erstes Geld habe ich verdient als<br />

Servicekraft in einem Restaurant. Diese<br />

Leidenschaft in der Gastroszene hat<br />

mich bis heute nicht wieder losgelassen.<br />

Wenn es mal im Versicherungsbereich<br />

nicht mehr passt, übernehme ich einfach<br />

ein Hotel in Österreich. :)<br />

Nachhaltigkeit spielt beruflich eine<br />

große Rolle bei mir. Privat bedeutet<br />

die Thematik für mich<br />

für meine Kinder und zukünftige Generationen<br />

die Welt lebenswert zu halten<br />

und für mich als Küstenbewohner hinter<br />

dem Deich auch die nächsten Jahrzehnte<br />

noch hier wohnen zu können. Privat<br />

versuche ich das zu machen, was geht,<br />

ohne aber auf alles zu verzichten.<br />

Ich würde gern mal einen Tag lang<br />

tauschen mit …, um dann Folgendes<br />

zu tun:<br />

mit einem Spitzenpolitiker, um zu<br />

verstehen, warum es so schwer ist,<br />

Entscheidungen zu treffen. :) Vermutlich<br />

werde ich erkennen, dass die<br />

Grundlagen gar nicht so anders sind als<br />

in der Wirtschaft, aber die Zwänge alle<br />

davon abhalten.<br />

Jahrgang 1970, verheiratet,<br />

2 Söhne (23 + 16) und 2 Katzen<br />

Ihre Meinung bitte<br />

Eine strategische Ausrichtung<br />

wird für Makler immer<br />

wichtiger.<br />

Die meisten nachhaltigen<br />

Produkte sind zu komplex<br />

für Endkunden strukturiert.<br />

Nachhaltigen Produkten<br />

fehlt oft ein klares Leistungsversprechen.<br />

Am meisten Überwindung kostet mich<br />

morgens sehr früh aufzustehen und<br />

abends rechtzeitig ins Bett zu gehen.<br />

Meine aktuelle Buchempfehlung:<br />

„Die dunkle Seite des Gehirns“<br />

von Prof. Stefan Kölsch.<br />

Wahrer Luxus ist für mich<br />

nichts zu tun.<br />

Meine erste Tat zu Beginn eines<br />

Arbeitstages:<br />

Mails checken und schauen, was am Tag<br />

so anliegt.<br />

Diese Trends sehe ich 2024 in der<br />

Versicherungsbranche:<br />

Die Geschwindigkeit der Konsolidierung<br />

in der Branche wird weiter zunehmen.<br />

Die Themen Digitalisierung, Kundenzentrierung,<br />

Inflation und Nachhaltigkeit<br />

werden bedeutend bleiben.<br />

Das ist mein liebstes Reiseziel:<br />

Österreich im Sommer und Winter und<br />

immer Gran Canaria. Gerne alles als<br />

Homeoffice-Standort.<br />

Das Radio drehe ich lauter bei<br />

AC/DC und generell Metal.<br />

Wenn ich einen Tag lang Kanzler<br />

wäre, würde ich …<br />

mit Harbeck, Lindner und Merz in eine<br />

ganztägige Klausur gehen und versuchen,<br />

die dringlichsten Probleme zu<br />

„lösen“.<br />

Der größte Missstand in der Finanzund<br />

Versicherungsbranche ist<br />

das „selbstzentrierte Denken“ vieler<br />

Beteiligter.<br />

… so könnte der Missstand behoben<br />

werden:<br />

gemeinsam vom Kunden her denken<br />

und viel mehr kooperieren.<br />

<strong>procontra</strong> 6 | <strong>2023</strong>


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