Hopp_Sport im Fokus
SPORT IM FOKUS EXEKUTIVE FUNKTIONEN TRAINIEREN LEISTUNG OPTIMIEREN MENTALE STÄRKE AUSBILDEN SABINE KUBESCH SONJA HANSEN
- Seite 2 und 3: 1. Auflage © VERLAG BILDUNG plus H
- Seite 4 und 5: GRUSSWORT Liebe Sportfreunde, 1995
- Seite 6 und 7: INHALTSVERZEICHNIS GRUSSWORT VORWOR
- Seite 8 und 9: EXEKUTIVE FUNKTIONSFÄHIGKEITEN IM
- Seite 10 und 11: Seite 10
- Seite 12 und 13: 1 EXEKUTIVE FUNKTIONEN Exekutive Fu
- Seite 14 und 15: 9, 2, 5, 8 Je länger die Zahlenrei
- Seite 16 und 17: Informationen, die das individuelle
- Seite 18 und 19: SPORTARTSPEZIFISCHES TRAINING EXEKU
- Seite 20 und 21: Seite 20 Es ist schon möglich, das
- Seite 22 und 23: Lesen Sie nun die farbig gedruckten
- Seite 24 und 25: Ein Inhibitions-Training mit einer
- Seite 26 und 27: KOGNITIVE FLEXIBILITÄT Wenn sich S
- Seite 28 und 29: KALTE UND HEISSE EXEKUTIVE FUNKTION
- Seite 30 und 31: Erfassung von Selbstkontrolle durch
- Seite 32 und 33: ENTWICKLUNGSGESCHICHTEN - TEIL 1 WI
- Seite 34 und 35: TROTZ DIESER SCHWEREN VERLETZUNG Ü
- Seite 36 und 37: NACHGEFRAGT: EXEKUTIVE FUNKTIONEN N
- Seite 38 und 39: IM INTERVIEW: ARMIN EMRICH Armin Em
- Seite 40 und 41: selbst, wie kontrollieren wir uns g
- Seite 42 und 43: kann ein akustisches Zeichen helfen
- Seite 44 und 45: Wie viel an Rückmeldung erfolgt im
- Seite 46 und 47: 2 EINBLICKE IN DAS GEHIRN RÜCKBLIC
- Seite 48 und 49: Das Kleinhirn weist ebenfalls eine
- Seite 50 und 51: ANATOMISCHE UND FUNKTIONALE ASYMMET
SPORT IM FOKUS<br />
EXEKUTIVE FUNKTIONEN TRAINIEREN<br />
LEISTUNG OPTIMIEREN<br />
MENTALE STÄRKE AUSBILDEN<br />
SABINE KUBESCH<br />
SONJA HANSEN
1. Auflage<br />
© VERLAG BILDUNG plus<br />
Heidelberg 2017<br />
Alle Rechte vorbehalten<br />
Herausgeber: Spiel und <strong>Sport</strong> plus e. V.<br />
Idee, Konzeption und wissenschaftliche Inhalte: Dr. Sabine Kubesch,<br />
INSTITUT BILDUNG plus<br />
Umschlag, Illustration und Layout: Sonja Hansen, atelier-sonjahansen.de<br />
ISBN 978-3-95637-000-7<br />
verlag-bildungplus.org
SPORT IM FOKUS<br />
EXEKUTIVE FUNKTIONEN TRAINIEREN<br />
LEISTUNG OPTIMIEREN<br />
MENTALE STÄRKE AUSBILDEN
GRUSSWORT<br />
Liebe <strong>Sport</strong>freunde,<br />
1995 gründete ich meine Stiftung, um die Umsetzung gemeinnütziger<br />
Projekte zu ermöglichen. Der Schwerpunkt der Förderaktivitäten liegt in der<br />
Metropolregion Rhein-Neckar, mit der ich mich besonders verbunden fühle.<br />
Es werden Projekte gemeinnütziger Organisationen in den Bereichen Jugendsport,<br />
Medizin, Soziales und Bildung unterstützt.<br />
<strong>Sport</strong> fördert die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen, insbesondere<br />
<strong>Sport</strong> <strong>im</strong> Team vermittelt spielerisch Werte wie Fairness, Respekt und<br />
Verantwortung.<br />
Die Dietmar <strong>Hopp</strong> Stiftung unterstützt <strong>im</strong> Schwerpunkt die <strong>Sport</strong>arten Fußball, Handball, Eishockey und<br />
Golf. Dabei wird ein ganzheitlicher Ansatz mit dem Ziel verfolgt, Kindern und Jugendlichen auch außerhalb<br />
des <strong>Sport</strong>platzes eine Orientierung zu geben und sie fit für das Leben zu machen.<br />
Das vorliegende Lehrwerk „<strong>Sport</strong> <strong>im</strong> <strong>Fokus</strong>. Exekutive Funktionen trainieren, Leistung opt<strong>im</strong>ieren, mentale<br />
Stärke ausbilden“ richtet sich an Trainer, Übungsleiter und <strong>Sport</strong>pädagogen. Herausgeber von <strong>Sport</strong> <strong>im</strong> <strong>Fokus</strong><br />
ist Spiel und <strong>Sport</strong> plus, ein Verein, den meine Stiftung <strong>im</strong> Rahmen des Projektes „<strong>Sport</strong> <strong>im</strong> <strong>Fokus</strong> und<br />
exekutive Funktionen“ gefördert hat. Er möchte sportpädagogisch tätige Personen in die Lage versetzen,<br />
ihr Training und ihren Unterricht so zu gestalten, dass die Selbstregulationsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen<br />
und deren exekutive Funktionen gezielt gefördert werden.<br />
Fähigkeiten wie Kreativität, Aufmerksamkeit, Planungsfähigkeit und Durchhaltevermögen werden in der<br />
Wissenschaft den exekutiven Funktionen und der Selbstregulation zugeordnet. Sie steuern das eigene<br />
Denken und Verhalten und sind somit wichtige Faktoren für erfolgreiches Lernen und den kontrollierten<br />
Umgang mit den eigenen Gefühlen. Sie ermöglichen es, zielgerichtet und planvoll vorzugehen, aber dennoch<br />
offen zu sein für Veränderungen. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse machen deutlich, wie wichtig<br />
Bewegung, <strong>Sport</strong> und Spiel zeitlebens für die kognitive Entwicklung und die psychische Gesundheit sind.<br />
Damit sind gut entwickelte exekutive Funktionen und die Selbstregulationsfähigkeit nicht nur entscheidend<br />
für den Erfolg in der Schule, sondern auch <strong>im</strong> Beruf und <strong>im</strong> gesamten Leben.<br />
Mit dem vorliegenden Lehrwerk möchte Frau Dr. Sabine Kubesch die neuesten Erkenntnisse aus der<br />
Forschung zum Training exekutiver Funktionen für die sportliche Trainingspraxis verständlich und nutzbar<br />
machen.<br />
Ich wünsche allen Lesern viel Freude mit dem Lehrwerk und Erfolg bei der Umsetzung der gewonnenen<br />
Erkenntnisse.<br />
Mit sportlichem Gruß<br />
Ihr Dietmar <strong>Hopp</strong><br />
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VORWORT<br />
<strong>Sport</strong> <strong>im</strong> <strong>Fokus</strong> ist ein Projekt von Spiel und <strong>Sport</strong> plus e.V. Dieser gemeinnützige Verein, der vom Badischen<br />
<strong>Sport</strong>bund Nord e.V. und dem INSTITUT BILDUNG plus getragen wird, hat sich zum Ziel gesetzt, die exekutiven<br />
Funktionen und die Selbstregulationsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen <strong>im</strong> und durch den <strong>Sport</strong> zu fördern.<br />
Die Selbstregulation ermöglicht es, die Aufmerksamkeit, das Verhalten und die eigenen Emotionen zielgerichtet<br />
und bewusst steuern zu können. Gleichzeitig fördert die Selbstregulation den fairen Umgang miteinander. Diese<br />
Kompetenzen bauen auf gut entwickelten exekutiven Funktionen des Stirnhirns auf. Die exekutiven Funktionen<br />
und die Selbstregulationsfähigkeit können in alltäglichen Situationen und besonders <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> gut trainiert<br />
werden. Im <strong>Sport</strong> selbst sind gute exekutive Funktionsfähigkeiten, die zur Ausbildung mentaler Stärke und zur<br />
Förderung der Selbstdisziplin beitragen, eine entscheidende Komponente für den Erfolg.<br />
Filmaufnahmen aus dem Training verschiedener <strong>Sport</strong>arten mit Athletinnen und Athleten unterschiedlicher Alters-<br />
und Leistungsstufen zeigen exemplarisch, wie das Training exekutiver Funktionen und die Förderung der<br />
Selbstregulation <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> umgesetzt werden können. Die wissenschaftlichen Hintergründe sind in diesem Buch<br />
beschrieben. Spiel- und Übungsanleitungen, die in vielfältigen <strong>Sport</strong>arten eingesetzt werden können, neuropsychologische<br />
Test- und Trainingsverfahren, Fragen zur Wissensvertiefung sowie Interviews mit Trainern, <strong>Sport</strong>psychologen<br />
und <strong>Sport</strong>pädagogen ergänzen das Lehrwerk.<br />
Mit den Praxisbeispielen, die sowohl einfache wie auch hochtechnisierte Trainingsmethoden umfassen, erheben<br />
wir keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr geht es uns darum, Trainer, Übungsleiter und <strong>Sport</strong>pädagogen<br />
zu befähigen, die dargestellten Erkenntnisse und Förderbeispiele auf ihre <strong>Sport</strong>arten zu übertragen<br />
und für ihre jeweiligen Zielgruppen nutzbar zu machen.<br />
Wir danken allen Beteiligten, die an <strong>Sport</strong> <strong>im</strong> <strong>Fokus</strong> mitgewirkt haben, allen voran den Trainern, Übungsleitern<br />
und Lehrern für ihre großartige Arbeit, die sie Woche für Woche für Kinder und Jugendliche und damit für die<br />
Gesellschaft leisten. Den <strong>Sport</strong>lerinnen und <strong>Sport</strong>lern danken wir für ihren Einsatz während der Filmaufnahmen<br />
sowie ihren Eltern für das entgegengebrachte Vertrauen. Unser weiterer Dank gilt Fabian Roth von Baden TV,<br />
der sich bei den Dreharbeiten mit seiner Kamera so manchem <strong>Sport</strong>ler und Ball unerschrocken entgegengestellt<br />
und bei der Postproduktion unendliche Geduld und Ausdauer bewiesen hat. Nicht weniger ausdauernd und<br />
geduldig erledigte Hannelore Chaluppa das Lektorat. Ein herzliches Dankeschön an Ulrika Holl und Johanne<br />
Förster für ihre Mitarbeit in der Geschäftsstelle von Spiel und <strong>Sport</strong> plus e.V. Ein besonderer Dank geht an Jan<br />
Mayer, der uns einen spannenden Einblick in die sportpsychologische Arbeit der TSG 1899 Hoffenhe<strong>im</strong> ermöglicht<br />
hat, sowie an Marie Ottilie Frenkel, Heinz Janalik, Armin Emrich und Damir Dugandzic für ihre Expertise und<br />
ihre Bereitschaft, diese in Form von Interviews in das Lehrwerk einzubringen. Heinz Janalik danken wir darüber<br />
hinaus ganz herzlich für seine große Unterstützung des Projekts und des Vereins Spiel und <strong>Sport</strong> plus e. V. von<br />
Beginn an. Sonja Hansens Illustrationen haben bei der langen Arbeit an dem Lehrwerk <strong>im</strong>mer wieder für einen<br />
Motivationsschub gesorgt. Das Lehrwerk trägt ihre künstlerische Handschrift.<br />
Wir möchten uns bei Henrik Westerberg, dem <strong>Sport</strong>referenten der Dietmar <strong>Hopp</strong> Stiftung, bedanken, der mit<br />
großem inhaltlichen Interesse und wertvollen Anregungen das Projekt begleitet hat. Ohne die großzügige Unterstützung<br />
der Dietmar <strong>Hopp</strong> Stiftung wären wir als Verein nicht in der Lage gewesen, dieses Buch-Film-Projekt<br />
durchzuführen. Unser herzlicher Dank gilt deshalb Dietmar <strong>Hopp</strong>, der <strong>Sport</strong> <strong>im</strong> <strong>Fokus</strong> mit seiner Stiftung möglich<br />
gemacht hat.<br />
Dr. Sabine Kubesch, Dr. Florian Dürr,<br />
Wolfgang Eitel und Prof. Dr. Claus Wendt<br />
Spiel und <strong>Sport</strong> plus e.V.<br />
Spiel<br />
und<br />
<strong>Sport</strong><br />
pluS<br />
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INHALTSVERZEICHNIS<br />
GRUSSWORT<br />
VORWORT<br />
INHALTSVERZEICHNIS<br />
EXEKUTIVE FUNKTIONSFÄHIGKEITEN IM ÜBERBLICK<br />
PUNKT FÜR PUNKT<br />
BUCH & FILM - HINWEISE ZUR NUTZUNG<br />
1EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
ARBEITSGEDÄCHTNIS<br />
INHIBITION<br />
KOGNITIVE FLEXIBILITÄT<br />
KALTE UND HEISSE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
ENTWICKLUNGSGESCHICHTEN - TEIL 1<br />
WISSENSCHAFT - VON DER FORSCHUNG INS KLASSENZIMMER UND AUFS SPIELFELD<br />
NACHGEFRAGT: EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
IM INTERVIEW: ARMIN EMRICH<br />
«MEIN VERHALTEN MUSS AUCH IN DER NIEDERLAGE EIN POSITIV-KONSTRUKTIVES,<br />
EIN SELBSTREGULIERTES VERHALTEN SEIN.»<br />
2 EINBLICKE IN DAS GEHIRN<br />
RÜCKBLICK<br />
AUSBLICK<br />
EIN BLICK AUF DAS GEHIRN<br />
DER PRÄFRONTALE KORTEX - THE NEW KID ON THE BLOCK<br />
DER BLICK IN DAS GEHIRN<br />
ANATOMISCHE UND FUNKTIONALE ASYMMETRIEN<br />
PRÄFRONTALE SCHÄDIGUNGEN<br />
EXEKUTIVE FUNKTIONEN IM SCANNER<br />
ENTWICKLUNGSGESCHICHTEN - TEIL 2<br />
PRÄFRONTALER KORTEX - VOM EMBRYO ZUM SENIOR<br />
NACHGEFRAGT: EINBLICKE IN DAS GEHIRN<br />
IM INTERVIEW: DAMIR DUGANDZIC<br />
«MAN MUSS NICHT ALLE GLEICH BEHANDELN, ABER MAN MUSS ALLE GERECHT<br />
BEHANDELN! DAS GILT BIS IN DEN PROFIBEREICH.»<br />
3 DER SPORT MACHT‘S!<br />
STAND DER FORSCHUNG<br />
NEUROPLASTIZITÄT<br />
HIPPOKAMPALE NEUROGENESE<br />
DER WACHSTUMSFAKTOR BDNF<br />
KÖRPERLICHE AKTIVITÄT UND EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
EFFEKTE EINES MEHRMONATIGEN TRAININGS<br />
FITNESSEFFEKTE<br />
AKUTE BELASTUNGSEFFEKTE<br />
DURCH MEHR SPORT MIT WENIGER STRESS UND ANGST BESSER LERNEN<br />
SEROTONIN – SICH LAUFEND WOHLFÜHLEN<br />
SOZIALES LERNEN UND SOZIALE INTEGRATION DURCH DEN SPORT<br />
FAIRPLAY! SONST SCHLÄGT SPORT AUF DEN MAGEN<br />
FAZIT<br />
ENTWICKLUNGSGESCHICHTEN - TEIL 3<br />
EXEKUTIVE FUNKTIONEN - VOM ANFÄNGER ZUM PROFI<br />
NACHGEFRAGT: DER SPORT MACHT‘S!<br />
IM INTERVIEW: MARIE OTTILIE FRENKEL<br />
«DAS, WAS WIR IM KOPF AUS DER SITUATION MACHEN,<br />
ERMÖGLICHT ES HINTERHER ZU GEWINNEN ODER ZU VERLIEREN.»<br />
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4 SELBSTREGULATION<br />
FÖRDERUNG DER SELBSTREGULATION (SELBSTKONTROLLE)...<br />
DIE BAUSTEINE DES ERFOLGS<br />
MENTALE STÄRKE TRAINIEREN<br />
WENN DIE WILLENSKRAFT SCHWINDET<br />
DIE GRUNDLAGE FÜR EINEN STARKEN WILLEN: GLUKOSE<br />
GESUNDHEITSVERHALTEN FÜR DAS GEHIRN<br />
FÖRDERUNG DER SELBSTREGULATION DURCH BEWEGUNG, SPORT UND SPIEL<br />
FÖRDERUNG DER SELBSTREGULATION MIT PFIFF<br />
AUF DIE HALTUNG KOMMT ES AN!<br />
NICHT IMPULSIV, SONDERN BEDACHT REAGIEREN<br />
VERHALTEN ANALYSIEREN – KOMPETENZDEFIZIT ERKENNEN<br />
EINE VERBINDUNG HERSTELLEN<br />
GEMEINSAM EINE LÖSUNG SUCHEN<br />
ZIELÜBERPRÜFUNG<br />
UMSETZUNG IN DIE PRAXIS<br />
WIRKSAMKEITSANALYSE<br />
HEAD-TOES-KNEES-SHOULDERS-AUFGABE<br />
DER PFIFF-LEITFADEN<br />
NACHGEFRAGT: SELBSTREGULATION<br />
IM INTERVIEW: HEINZ JANALIK<br />
«ICH WEISS AUS INTERVIEWS, WAS IN KINDERN UND JUGENDLICHEN VOR SICH GEHT,<br />
WENN SIE STÄNDIG ERSATZLEUTE SIND, NICHT ZUM EINSATZ KOMMEN, WEIL IHNEN<br />
BESSERE VORGEZOGEN WERDEN.»<br />
5 SPIELE UND ÜBUNGEN<br />
VERHALTENSKODEX DER JUNGLÖWEN<br />
KOMMANDO-BALL<br />
PFIFF-PASS<br />
RECHEN-WURF<br />
ENTSCHEIDUNGSPASS<br />
JUBEL-SCHNICK-SCHNACK-SCHNUCK<br />
SPRINTWETTKAMPF<br />
INHIBITIONSFALLE<br />
ENTSCHEIDUNGSSPRINT<br />
2-BALL-SPIEL<br />
SCHNICK-SCHNACK-SCHNUCK-SPRINT<br />
LAUF-ABC-MEMORY<br />
FEUER-WASSER-STURM<br />
FROSCH FÄNGT HAI<br />
HINDERNISLAUF<br />
FLEXI-BALL<br />
SCHAKADI<br />
STÄBE WERFEN<br />
FALLENDER STAB<br />
IN DECKUNG<br />
ATEMGEWAHRSEIN<br />
BODYSCAN<br />
SCHMELZENDES EIS<br />
SELBSTGESPRÄCHE UMFORMULIEREN – ZWEI-SPALTEN-TECHNIK<br />
LITERATUR UND HINWEISE<br />
KAPITEL 1<br />
KAPITEL 2<br />
KAPITEL 3<br />
KAPITEL 4<br />
KAPITEL 5<br />
122<br />
122<br />
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123<br />
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EXEKUTIVE FUNKTIONSFÄHIGKEITEN IM ÜBERBLICK<br />
MENTALE STÄRKE<br />
WILLENSSTÄRKE<br />
SELBSTDISZIPLIN<br />
EXEKUTIVE FUNKTIONEN SELBSTREGULATION /<br />
SELBSTKONTROLLE<br />
ARBEITSGEDÄCHTNIS<br />
• Informationen<br />
kurzzeitig speichern<br />
• Mit gespeicherten<br />
Informationen arbeiten<br />
• Informationen aus<br />
Langzeitspeicher abrufen<br />
EMOTIONALE KONTROLLE<br />
• Emotionsregulation<br />
• Motivationsregulation<br />
• Belohnungsaufschub<br />
KOGNITIVE KONTROLLE<br />
• Strukturieren/ordnen/organisieren<br />
• Planen/Prioritäten setzen<br />
• Entscheiden<br />
• Handlungsschnelligkeit<br />
• Verhaltensmonitoring<br />
• Fehlererkennung<br />
• Fehlerkorrektur<br />
INHIBITION<br />
Verhalten<br />
• Impulskontrolle<br />
Aufmerksamkeit<br />
• <strong>Fokus</strong>sierte /<br />
selektive<br />
Aufmerksamkeit<br />
KOGNITIVE FLEXIBILITÄT<br />
Aufmerksamkeit<br />
• <strong>Fokus</strong> der<br />
Aufmerksamkeit<br />
gezielt wechseln<br />
AUFMERKSAMKEITS-<br />
STEUERUNG<br />
Verhalten<br />
• Umstellungsfähigkeit<br />
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PUNKT FÜR PUNKT<br />
Mit <strong>Sport</strong> <strong>im</strong> <strong>Fokus</strong> lenken wir den Blick auf das Training exekutiver Funktionen und auf die Förderung der<br />
Selbstregulation <strong>im</strong> <strong>Sport</strong>. Abgleitet vom roten <strong>Sport</strong>-<strong>im</strong>-<strong>Fokus</strong>-Farbkreis stehen die verschiedenen Farbkreise<br />
für spezifische exekutive Funktionen bzw. für komplexere Fähigkeiten, die auf den zentralen exekutiven<br />
Funktionen Arbeitsgedächtnis, Inhibition und kognitive Flexibilität aufbauen. Der Aufmerksamkeitssteuerung<br />
und der Emotionsregulation wurden eigene Farbkreise zugeordnet, weil sie für die Förderung<br />
der jungen <strong>Sport</strong>lerinnen und <strong>Sport</strong>ler und deren sportliche Leistungsfähigkeit von elementarer Bedeutung<br />
sind. Durch das gezielte Training exekutiver Funktionen und die Förderung der Selbstregulationsfähigkeit<br />
<strong>im</strong> <strong>Sport</strong> unterstützen die Trainerinnen und Trainer die Ausbildung der Selbstdisziplin und der mentalen<br />
Stärke ihrer Athletinnen und Athleten.<br />
<strong>Sport</strong> <strong>im</strong> <strong>Fokus</strong><br />
Im Lehrwerk weist der rote Farbkreis, das Logo von <strong>Sport</strong> <strong>im</strong> <strong>Fokus</strong>, auf inhaltlich passende<br />
Filme und Filmausschnitte hin.<br />
Arbeitsgedächtnis<br />
Der blaue Farbkreis steht für das Arbeitsgedächtnis und damit für die Fähigkeiten der <strong>Sport</strong>ler,<br />
Informationen aus dem Langzeitspeicher abzurufen (z.B. die individual- und mannschaftstaktischen<br />
Anweisungen des Trainers), Informationen kurzzeitig zu speichern (wie die aktuelle Situation<br />
auf dem Spielfeld) und mit gespeicherten Informationen arbeiten zu können (z.B. be<strong>im</strong><br />
Abgleich der aktuellen Spielsituation mit den eigenen technischen Fähigkeiten), um so die bestmögliche<br />
Entscheidung auf dem Spielfeld treffen zu können.<br />
Aufmerksamkeitssteuerung<br />
Bei der Aufmerksamkeitssteuerung unterscheidet man verschiedene Aufmerksamkeitsarten,<br />
die sich in zwei Gruppen einteilen lassen: 1. Die Aufmerksamkeitsselektivität: Sie bezieht sich<br />
auf die Frage: Worauf wird die Aufmerksamkeit gerichtet? Wird sie fokussiert, geteilt oder gewechselt?<br />
2. die Aufmerksamkeitsintensität: Wie stark und wie lange ist man konzentriert?<br />
Inhibition<br />
Der orangefarbene Punkt steht für die exekutive Funktion Inhibition, die die Fähigkeit unterstützt,<br />
einen spontanen Impuls unterdrücken zu können (z.B. um ein Revanchefoul zu vermeiden<br />
oder die Schiedsrichterentscheidung kommentarlos anzunehmen) und Störreize (z.B. aus<br />
den Zuschauerreihen oder in Form gegnerischer Aktionen) ausblenden zu können.<br />
Emotionsregulation<br />
Im <strong>Sport</strong>, <strong>im</strong> Spiel und in Wettkampfsituationen kommt es <strong>im</strong>mer wieder darauf an, die eigenen<br />
Emotionen und die Motivation (die mit Emotionen eng verbunden ist) zielführend steuern zu<br />
können. In entscheidenden Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren, stellt höchste Ansprüche<br />
an die Selbstregulationsfähigkeit. In solch emotional herausfordernden Situationen spricht<br />
man auch von „heißen“ exekutiven Funktionen.<br />
Kognitive Flexibilität<br />
Der grüne Farbkreis repräsentiert die kognitive Flexibilität und damit die Fähigkeit, das<br />
eigene Verhalten und die Aufmerksamkeit schnell und zielgerichtet umstellen zu können.<br />
Diese Fähigkeit ist in besonderem Maße, aber nicht ausschließlich, für schnelle Mannschaftssportarten<br />
von zentraler Bedeutung.<br />
Selbstregulation<br />
Der braune Farbkreis steht für komplexere selbstregulatorische, insbesondere kognitive Kontrollfähigkeiten,<br />
denen exekutive Funktionen zugrunde liegen und die die Selbstdisziplin und<br />
Willensstärke <strong>im</strong> Training und <strong>im</strong> Wettkampf unterstützen. Zu diesen kognitiven Kontrollfähigkeiten<br />
zählen wir u.a. die Entscheidungs- und Handlungsschnelligkeit, die Fähigkeiten planvoll,<br />
strukturiert und zielorientiert zu handeln, das eigene Verhalten zu beobachten und zu<br />
reflektieren, Fehler zu erkennen und zu korrigieren.<br />
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Seite 10
BUCH & FILM – HINWEISE ZUR NUTZUNG<br />
Buch oder Film?<br />
Diese Frage stellt sich bei <strong>Sport</strong> <strong>im</strong> <strong>Fokus</strong> nicht. Wir kombinieren beide Medien, um die Theorie anschaulich<br />
mit der Praxis verbinden zu können. Im vorliegenden Buch finden Sie deshalb be<strong>im</strong> Lesen <strong>im</strong>mer wieder<br />
dieses Filmsymbol:<br />
Dies ist der Verweis auf einen Film oder auf eine konkrete Filmstelle, die exemplarisch aufzeigt, wie Inhalte<br />
aus dem Buch in der Trainingspraxis umgesetzt werden können.<br />
Vom Buch zum Film<br />
In Kapitel 1 werden bspw. neuropsychologische Testverfahren zur Untersuchung und zum Training exekutiver<br />
Funktionen beschrieben. Mit den Filmen zu den Testverfahren erhalten Sie die Möglichkeit, Ihre<br />
eigenen und die exekutiven Funktionen Ihrer Athletinnen und Athleten auf die Probe zu stellen.<br />
Vom Film zum Buch<br />
In den Filmen finden Sie viele Spiel- und Übungsformen, mit denen exekutive Funktionen trainiert werden<br />
können. Eine Auswahl dieser Spiel- und Übungsformen aus den Filmen, die auf vielfältige <strong>Sport</strong>arten übertragbar<br />
sind, werden in Kapitel 5 des Lehrwerks beschrieben.<br />
Natürlich können Sie sich die Filme auch unabhängig vom Buch ansehen.<br />
Die <strong>Sport</strong>-<strong>im</strong>-<strong>Fokus</strong>-Filme finden Sie unter:<br />
spielsportplus.de<br />
youtube.com<br />
Die Fl<strong>im</strong>sequenzen, auf die <strong>im</strong> Buch hingewiesen wird, finden Sie ebenfalls unter:<br />
spielsportplus.de<br />
In den Texten dieses Buches wird aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung und der besseren Lesbarkeit<br />
auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen häufig verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen<br />
gelten gleichermaßen für beiderlei Geschlecht.<br />
Seite 11
1 EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Exekutive Funktionen sind kognitive Kontrollfunktionen, die <strong>im</strong>mer dann zum Einsatz kommen, wenn routinemäßige<br />
Abläufe zur Aufgabenbewältigung nicht ausreichen. Wir gehen und laufen, ohne dass wir dazu die<br />
exekutiven Funktionen benötigen. Das haben wir <strong>im</strong> Alter von ein bis zwei Jahren gelernt und kurze Zeit später<br />
automatisiert. Gehen und Laufen wurden durch Übung Schritt für Schritt zu Routinehandlungen, die in<br />
aller Regel keine bewusste Steuerung und somit keine exekutiven Funktionen mehr erfordern.<br />
Filmverweis:<br />
• Tanzen 1<br />
• Fechten1<br />
Im <strong>Sport</strong> sind die exekutiven Funktionen jedoch nahezu ständig gefordert – selbst be<strong>im</strong> Laufen. So zum Beispiel<br />
dann, wenn sich dem Angreifer be<strong>im</strong> Lauf in Richtung Tor ein Gegenspieler in den Weg stellt, um ihm den<br />
Ball abzunehmen. Dann wird das Stirnhirn der Spieler aktiv, in dem die exekutiven Funktionen <strong>im</strong> Wesentlichen<br />
repräsentiert sind. Nun gilt es, in kürzester Zeit die Situation auf dem Spielfeld wahrzunehmen und mit<br />
Einsatz der exekutiven Funktionen die richtige Entscheidung zu treffen: Der angreifende Spieler kann versuchen,<br />
nach einem Tempodribbling den Ball mit einer gezielten Aktion direkt ins Tor zu lenken, eine Finte oder<br />
Flanke einzuleiten oder einen Pass zu spielen. Je besser die exekutiven Funktionen des angreifenden Spielers<br />
ausgebildet sind, desto leichter fällt es ihm, die bestmögliche Entscheidung zu treffen und die entsprechende<br />
motorische Handlung erfolgreich auszuführen. Aber was versteht man unter exekutiven Funktionen nun<br />
ganz konkret? Die Bezeichnung „exekutive Funktionen“ wird seit den 1970er-Jahren in der Neurologie, der<br />
Klinischen Neuropsychologie und der kognitiven Neurowissenschaft verwendet. 1 Seit ca. 2005 hält sie Einzug<br />
auch in andere Wissenschaftsbereiche, wie in die <strong>Sport</strong>wissenschaft und die Pädagogik. Es gibt zahlreiche Definitionen<br />
und theoretische Modelle zu den exekutiven Funktionen. 2 In diesem Buch wird der <strong>Fokus</strong> auf drei<br />
Basisfunktionen gelegt, die entscheidend dafür sind, wie gut man Aufmerksamkeit, Verhalten, Motorik und<br />
Emotionen kontrollieren bzw. steuern kann. Dieser Fähigkeit zur Selbstregulation unterliegen das Arbeitsgedächtnis,<br />
die Inhibition und die kognitive Flexibilität, die zu den exekutiven Funktionen gezählt werden. 3<br />
ARBEITSGEDÄCHTNIS<br />
Das Arbeitsgedächtnis besteht nach dem in der Wissenschaft bekannten Modell von Baddeley und Hitch 4 aus<br />
zwei Subsystemen: einem Kurzzeitspeicher für verbale und einem für visuell-räumliche Informationen. Den<br />
Subsystemen ist ein Kontrollsystem übergeordnet, die sogenannte zentrale Exekutive. Da kontrollierte Prozesse<br />
Aufmerksamkeit erfordern, wird die zentrale Exekutive auch als ein Aufmerksamkeitssystem verstanden,<br />
mit dessen Hilfe Verarbeitungsprioritäten gesetzt, Routineabläufe unterbrochen und nicht routinemäßig ablaufende<br />
Prozesse überwacht werden können. 5 Arbeitsgedächtnis und Aufmerksamkeitskontrolle stehen so<br />
in einem engen Zusammenhang.<br />
Visuellräumlicher<br />
Kurzzeitspeicher<br />
Arbeitsgedächtnis<br />
Zentrale Exekutive<br />
Verbaler<br />
Kurzzeitspeicher<br />
Vereinfachte Darstellung des Arbeitsgedächtnismodells nach Baddeley u. Hitch 4<br />
Seite 12
Die zentrale Exekutive ermöglicht die Manipulation der in den Subsystemen gespeicherten Informationen.<br />
Unter Manipulation versteht man, dass mit den gespeicherten Informationen gearbeitet werden kann. Ein<br />
gängiges Beispiel für den Einsatz des Arbeitsgedächtnisses und die Manipulation gespeicherter Informationen<br />
sind Kopfrechenaufgaben. Als Beispiel hier eine Aufgabe für Kinder der dritten Klasse: „Dividiere den 5.<br />
Teil von 200 durch 2 und addiere dann 15.“ Damit die Kinder diese Aufgabe <strong>im</strong> Kopf lösen können, müssen sie<br />
zunächst die gesamte Aufgabenstellung <strong>im</strong> verbalen Kurzzeitspeicher aufrechterhalten. Mit Einsatz der zentralen<br />
Exekutiven führen sie den ersten Rechenschritt aus (200 : 5), ohne den restlichen Teil der Aufgabe zu<br />
vergessen. Das erste Zwischenergebnis (40) müssen die Kinder ebenfalls <strong>im</strong> verbalen Kurzzeitspeicher präsent<br />
halten, während sie die zweite Rechenoperation durchführen, was erneut eine Manipulation der <strong>im</strong> verbalen<br />
Kurzzeitspeicher präsentierten Information erfordert (40 : 2). Als weiterer Rechenschritt muss das zweite<br />
Zwischenergebnis (20) ebenfalls abgespeichert und 15 hinzuaddiert werden.<br />
Ohne Einsatz des Arbeitsgedächtnisses sind solche mehrschrittigen Aufgaben nicht zu lösen. Dieses Beispiel<br />
macht zum einen deutlich, wie wichtig das Arbeitsgedächtnis für die Bearbeitung schulischer Aufgaben ist,<br />
zum andern macht es bewusst, vor welch großen Herausforderungen Kinder und Jugendliche be<strong>im</strong> täglichen<br />
Lernen stehen, wenn sie über ein nicht gut ausgebildetes Arbeitsgedächtnis verfügen. 6<br />
Filmverweis:<br />
• Handball 1<br />
Hier ein kleiner Test für Ihren verbalen Kurzzeitspeicher: Sehen Sie sich die nachfolgenden Buchstaben<br />
ca. 5 Sekunden lang an, und decken Sie sie anschließend mit einer Hand ab. Damit Sie die Buchstaben <strong>im</strong><br />
Arbeitsgedächtnis ausreichend lange speichern können, ist es notwendig, dass Sie sie aktiv aufrechterhalten,<br />
indem Sie sie laut oder subvokal (innerlich bzw. gedanklich) wiederholen. Ohne diese aktive Aufrechterhaltung<br />
würden die Gedächtnisspuren, die die Buchstaben in Ihrem Gehirn bilden, bereits innerhalb von ein bis<br />
zwei Sekunden zerfallen. 7 Hier nun die Aufgabe:<br />
W, C, T, B, D, G<br />
Jetzt versuchen Sie es einmal mit diesen Buchstaben:<br />
X, G, K, O, L, S<br />
Welche Buchstabenreihe war für Sie schwieriger zu merken? Die erste? So sollte es nach dem Effekt der phonologischen<br />
Ähnlichkeit sein. Dieser besagt, dass ähnlich klingende Elemente schwerer zu behalten sind als<br />
verschieden klingende. 5<br />
Neben der phonologischen Ähnlichkeit wird die Arbeitsgedächtnisleistung auch durch den Wortlängeneffekt<br />
best<strong>im</strong>mt. Von der Länge der Wörter (vermehrt bezogen auf die Aussprechdauer, weniger auf die Anzahl der<br />
Silben) hängt es ab, wie viele Wörter <strong>im</strong> Arbeitsgedächtnis gespeichert werden können.<br />
BALL, RASEN, TISCH, SPORT, HOCKEY<br />
sind nach dem Wortlängeneffekt leichter <strong>im</strong> verbalen Kurzzeitspeicher aufrechtzuerhalten als<br />
FUSSBALL, RASENFLÄCHE, TISCHTENNIS, SPORTSCHUH, HOCKEYSCHLÄGER<br />
Jetzt noch ein kleiner Test für Ihre zentrale Exekutive. Das bedeutet, dass Sie bei der nächsten Aufgabe die<br />
zu speichernden Informationen manipulieren, also mit ihnen arbeiten müssen. Sie sehen nachfolgend eine<br />
Zahlenreihe abgebildet. Schauen Sie sich diese für wenige Sekunden an, decken Sie sie anschließend mit einer<br />
Hand ab, und nennen Sie sie zunächst in richtiger, danach in umgekehrter Reihenfolge:<br />
Seite 13
9, 2, 5, 8<br />
Je länger die Zahlenreihe, desto schwieriger die Aufgabe.<br />
Bei den nachfolgenden 5 Zahlen ist das Arbeitsgedächtnis stark gefordert, wenn Sie sie in umgekehrter<br />
Reihenfolge wiedergeben:<br />
3, 7, 2, 9, 5<br />
Während solche verbalen Informationen (wie Zahlen, Buchstaben, Worte oder Objekte) <strong>im</strong> verbalen Arbeitsgedächtnis<br />
verarbeitet werden, werden visuelle Wahrnehmungen und Vorstellungen vorwiegend <strong>im</strong> visuell-räumlichen<br />
Arbeitsgedächtnis, dem sogenannten visuell-räumlichen Notizblock, gespeichert und weiterverarbeitet.<br />
5 Ein Test, der zur Messung des visuell-räumlichen Arbeitsgedächtnisses oftmals eingesetzt wird,<br />
ist der Blockspannentest. Dabei zeigt der Versuchsanleiter nacheinander auf drei, vier oder mehr verschiedene<br />
Blöcke, die die Versuchsperson in richtiger bzw. umgekehrter Reihenfolge wiedergeben soll. 1<br />
Filmverweis:<br />
• Handball 2<br />
Die Arbeitsgedächtniskapazität ist stark begrenzt, insbesondere <strong>im</strong> Vergleich zum Langzeitgedächtnis, in dem<br />
wir viele Informationen zum Teil überdauernd speichern können. Ältere Jugendliche und junge Erwachsene<br />
sind in der Lage, sich bis zu sieben (plus/minus zwei) Informationen, wie Worte, Objekte, Ziffern und Positionen,<br />
für eine kurze Zeitspanne von wenigen Sekunden zu merken. Wenn es darum geht, mit den gespeicherten<br />
Informationen zu arbeiten bzw. diese gedanklich zu manipulieren, reduziert sich die Kapazität. Ein<br />
vierjähriges Kind kann zwei Zahlen, ein 15-Jähriger ca. fünf Zahlen in umgekehrter Reihenfolge wiedergeben. 8<br />
Die Entwicklung des Arbeitsgedächtnisses verläuft parallel zur Entwicklung des Stirnhirns (präfrontaler Kortex;<br />
siehe Kapitel 2). Entsprechend können Kindergartenkinder weniger Informationen aufnehmen und verarbeiten<br />
als Grundschulkinder und diese wiederum weniger als ältere Kinder und Jugendliche. Die Arbeitsgedächtniskapazität<br />
verbessert sich kontinuierlich bis etwas zum 15. Lebensjahr, dann stagniert die Leistungskurve bis<br />
zum Alter von etwa 35 Jahren, bevor sie wieder abn<strong>im</strong>mt. 9<br />
Anzahl der durchschnittlich<br />
gespeicherten Items<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
5 8 10 13 16 22 35 45 55 65<br />
visuell-räumliches Arbeitsgedächtnis<br />
verbales Arbeitsgedächtnis<br />
Filmverweis:<br />
• PFiFF/Grundschule 1<br />
Alter in Jahren<br />
Modifiziert nach Alloway 9 (Seite 4); Kapazität des verbalen und visuell-räumlichen Kurzzeitspeichers<br />
Die gute Nachricht aber ist: Das Arbeitsgedächtnis kann trainiert werden. Dabei zeigen sich in Studien sowohl<br />
nahe Transfereffekte (von einer trainierten Arbeitsgedächtnisaufgabe zu einer nicht trainierten Arbeitsgedächtnisaufgabe)<br />
als auch weite Transfereffekte mit Verbesserungen hinsichtlich Intelligenz, 10 Aufmerksamkeit 11 und<br />
Lernleistungen. 12,13,14 Da das Arbeitsgedächtnistraining kognitiv stark herausfordernd ist, hängen die Effekte<br />
eines solchen Trainings jedoch nicht nur von der Trainingszeit und der Trainingshäufigkeit ab, sondern auch<br />
von individuellen Faktoren wie Temperament, 15 Motivation und „Need for Cognition“ (Bedürfnis nach kognitiv<br />
anstrengenden Tätigkeiten). 13<br />
Seite 14
Zu den Arbeitsgedächtnisaufgaben, die in Studien zum Training des Arbeitsgedächtnisses eingesetzt werden,<br />
zählt die sogenannte N-Back-Aufgabe. In der 1-Back-Variante muss sich die Versuchsperson daran erinnern,<br />
ob die gegenwärtig präsentierte Information (akustisch oder visuell oder kombiniert akustisch-visuell dargeboten)<br />
mit der übereinst<strong>im</strong>mt, die unmittelbar davor präsentiert wurde. Entsprechend muss die Versuchsperson<br />
in der 2-Back-Variante abgleichen, ob der aktuell dargebotene St<strong>im</strong>ulus mit dem übereinst<strong>im</strong>mt, der<br />
zwei Durchgänge zuvor dargeboten wurde (Vergleichbares gilt für die weiteren Aufgabenvarianten 3-Back,<br />
4-Back etc.).<br />
Das Arbeitsgedächtnis der Probanden muss also die zuvor präsentierten Informationen zum einen <strong>im</strong> Kurzzeitspeicher<br />
aufrechterhalten und zum anderen, durch Einsatz der zentralen Exekutive, mit der aktuell dargebotenen<br />
Information abgleichen. Wissenschaftliche Studien zum Arbeitsgedächtnistraining zeigen, dass man<br />
mit einem Training von ca. 20 Trainingseinheiten über einen Zeitraum von vier Wochen an fünf Trainingstagen<br />
pro Woche mit je 20 Trainingsminuten pro Tag die Arbeitsgedächtnisleistung um ca. 60 bis 80 Prozent verbessern<br />
und so um durchschnittlich zwei bis drei N-Back-Level steigern kann (bei einer akustischen N-Back-Aufgabe<br />
zum Beispiel von N-Back-Level 3.55 auf 6.40). 13 Deutliche Verbesserungen des Arbeitsgedächtnisses<br />
können sich also bereits nach einem intensiven mehrwöchigen kognitiven Training einstellen. 14<br />
3-Back<br />
N-Back-Aufgabe<br />
Filmverweis:<br />
• N-Back: Teste dein Arbeitsgedächtnis<br />
SPORT IM FOKUS –<br />
DAS ARBEITSGEDÄCHTNIS<br />
Was bedeuten diese neurowissenschaftlichen Erkenntnisse zum<br />
Arbeitsgedächtnis für den Trainer und Übungsleiter? Da die<br />
Arbeitsgedächtniskapazität begrenzt ist, müssen sich auch die<br />
Trainer und Übungsleiter begrenzen, was die Menge an Informationen<br />
in Form von Trainingshinweisen, Aufgabenstellungen,<br />
Feedback etc. anbelangt. Je jünger die Heranwachsenden, desto<br />
weniger Informationen können die <strong>Sport</strong>ler aufnehmen, verarbeiten<br />
und umsetzen. Der Trainer und Übungsleiter sollte aber<br />
nicht nur die altersbezogenen Unterschiede der Arbeitsgedächtniskapazität<br />
<strong>im</strong> Blick haben, sondern sich auch der großen individuellen<br />
Unterschiede bewusst sein. In einer Grundschulklasse<br />
von etwa 30 Kindern <strong>im</strong> Alter von 7 bis 8 Jahren weisen in der<br />
Regel drei Kinder eine Arbeitsgedächtnisleistung von 4-Jährigen<br />
und weitere drei Kinder eine Arbeitsgedächtnisleistung von<br />
11-Jährigen auf. 16 Diese Leistungsunterschiede stellen Lehrerinnen<br />
und Lehrer, aber auch Übungsleiter und Trainer – z.B. bei<br />
Erläuterungen oder bei der Vergabe von Arbeitsaufträgen – vor<br />
eine große Herausforderung, da Kinder und Jugendliche nur so<br />
viele Informationen verarbeiten können, wie es ihre Arbeitsgedächtnisleistung<br />
zulässt.<br />
Seite 15
Informationen, die das individuelle Fassungsvermögen des Arbeitsgedächtnisses übersteigen, sind nicht<br />
mehr zugänglich und <strong>im</strong> Grunde gelöscht. Das bedeutet, dass die zu speichernden Informationen nochmals<br />
dargeboten und aufmerksam verarbeitet werden müssen. 16<br />
Filmverweis:<br />
• Turnen 1<br />
• Tanzen 2<br />
Bevor der Trainer oder Übungsleiter seine Anweisungen gibt, muss er also<br />
zunächst sicherstellen, dass die jungen <strong>Sport</strong>ler ihre Aufmerksamkeit auf<br />
die zu speichernden Informationen richten und ablenkende oder störende<br />
Reize bewusst ausblenden. Wie eng das Arbeitsgedächtnis und die<br />
Aufmerksamkeit miteinander verbunden sind, zeigt sich darin, dass das<br />
Training des Arbeitsgedächtnisses zur Verbesserung der Aufmerksamkeitsleistung<br />
beiträgt. 11 Die bewusste Aufmerksamkeitskontrolle und das<br />
Arbeitsgedächtnis der Kinder und Jugendlichen sind damit eine wichtige<br />
Grundlage für den Trainingserfolg und die Trainingseffizienz.<br />
Filmverweis:<br />
• Hockey 1<br />
Doch nicht nur das verbale, auch das visuell-räumliche Arbeitsgedächtnis ist für den <strong>Sport</strong> von großer Bedeutung.<br />
Alle räumlichen Informationen, die der Spieler auf dem Spielfeld wahrn<strong>im</strong>mt, wie Lauf- und Passwege,<br />
die sich ständig verändernden Spielerpositionen und auch die Flugkurve des Balles, werden von ihm wahrgenommen<br />
und über das Arbeitsgedächtnis verarbeitet. Mit Hilfe des Arbeitsgedächtnisses trifft der Spieler<br />
seine Entscheidungen auf dem Spielfeld. Je trainierter sein Arbeitsgedächtnis, desto leichter fällt es ihm, die<br />
bessere taktische Entscheidung zu treffen. 17<br />
Filmverweis:<br />
• <strong>Sport</strong>psychologie 1 – TSG 1899 Hoffenhe<strong>im</strong><br />
• Fußball 1<br />
Erste Studien belegen, dass es für den <strong>Sport</strong>ler von Vorteil ist, sein Arbeitsgedächtnis unter körperlicher<br />
Belastung zu trainieren. Der Mehrwehrt eines solchen Trainings gegenüber einem rein kognitiven Arbeitsgedächtnistraining<br />
zeigt sich darin, dass sich das kombiniert körperlich-kognitive Training in einer höheren<br />
kognitiven Leistungsfähigkeit unter körperlicher Belastung auszeichnet. 18 Anders ausgedrückt: Trainiert der<br />
<strong>Sport</strong>ler sein Arbeitsgedächtnis unter körperlicher Beanspruchung, dann kann er sein Arbeitsgedächtnis unter<br />
körperlicher Belastung effizienter einsetzen, als wenn das Arbeitsgedächtnistraining in Ruhe (<strong>im</strong> Sitzen)<br />
durchgeführt wurde.<br />
Seite 16
Filmverweis:<br />
• Hockey 2<br />
• Handball 3<br />
Damit das Zusammenspiel auf dem Platz bestmöglich funktioniert, sollten die Spieler also nicht nur körperlich<br />
und technisch auf einem Leistungsniveau spielen, sondern auch kognitiv vergleichbar stark sein. Ein wesentlicher<br />
Trainingsaspekt <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> sollte deshalb auf dem Aufbau der kognitiven Leistungsfähigkeit liegen.<br />
Ein gezieltes Training des Arbeitsgedächtnisses liefert dafür eine wichtige Grundlage. Idealerweise wird das<br />
Arbeitsgedächtnistraining in die normalen Spielabläufe auf dem Spielfeld integriert, was das nachfolgende<br />
Beispiel mit der Passfolge verdeutlichen soll.<br />
D<br />
C<br />
B<br />
A<br />
Abbildung modifiziert nach Übung von Horst Hrubesch (08.10.2013), 19 B- und A-Junioren, Aufwärmen, Passen und Entgegenstarten,<br />
www.dfb.de.<br />
In der oben dargestellten Übung passt A zu B und läuft seinem Abspiel nach. Gleichzeitig startet C dem inneren<br />
Hütchen entgegen, wo er das Zuspiel von B erhält. Anschließend lässt C auf D prallen, der die Passfolge in umgekehrter<br />
Reihenfolge startet. Die Spieler müssen sich bei dieser Aufwärmübung ca. zwei bis vier Informationen<br />
(Lauf- und Passwege) aufrechterhalten. Solche Aufwärmübungen können dazu eingesetzt werden, die Spieler<br />
nicht nur körperlich, sondern auch kognitiv auf die nachfolgenden Trainingsanforderungen vorzubereiten. Um<br />
einen ausreichenden kognitiven Trainingsreiz zu setzen, sollten die Spieler der genannten Altersklasse weitere<br />
Informationen verarbeiten, wie das be<strong>im</strong> ExF-Training erfolgt.<br />
Seite 17
SPORTARTSPEZIFISCHES TRAINING EXEKUTIVER<br />
FUNKTIONEN MIT EXF<br />
Bis zu 7 Farbsignale auf 2 Ebenen.<br />
Die Farben stehen für ein spezifisches Spielverhalten<br />
eines oder mehrerer Mit- oder Gegenspieler bzw. für<br />
veränderte Spielsituationen, die best<strong>im</strong>mte Aktionen<br />
zur Folge haben.<br />
Filmverweis:<br />
• Fußball 2<br />
Die Entscheidungs- und Handlungsschnelligkeit der<br />
Spieler hängt wesentlich von deren exekutiven Funktionen<br />
ab. Je mehr Lichtsignale eingesetzt werden,<br />
desto stärker werden die exekutiven Funktionen<br />
eingesetzt und trainiert.<br />
Be<strong>im</strong> ExF-Training, das zum gezielten Training exekutiver Funktionen in Mannschaftssportarten wie Fußball<br />
und Handball entwickelt wurde, werden bis zu vier ExF-Trainingsgeräte variabel auf dem Spielfeld eingesetzt<br />
und in vielfältige Trainingsabläufe und -übungen integriert.<br />
Filmverweis:<br />
• Fußball 3<br />
• Handball-ExF<br />
Durch den Einsatz mehrerer Säulen können komplexere Trainingsformen (z.B. mit Anschlussaktionen) trainiert<br />
werden. Mit bis zu sieben Farbsignalen auf jeweils zwei Ebenen, die über ein Tablet angesteuert werden,<br />
wird das Arbeitsgedächtnis der Spieler sukzessive gesteigert trainiert. Die Lichtsignale stehen in Abhängigkeit<br />
der Übungsform für best<strong>im</strong>mte Aktionen der Mit- und Gegenspieler, die die Entscheidungsmöglichkeiten der<br />
Spieler beeinflussen. Zum Training der Inhibition und damit zum Training der Impulskontrolle und der selektiven<br />
bzw. fokussierten Aufmerksamkeit können in den Übungen Farben als Stoppsignale gesetzt oder als<br />
Störreize eingeblendet werden. Um den Aufmerksamkeitswechsel zu trainieren, sind die Spieler gefordert,<br />
den <strong>Fokus</strong> der Aufmerksamkeit gezielt zu verändern, z.B. vom unteren zum oberen und wieder zurück zum<br />
unteren Lichtsignal. Oder die Spieler müssen beide Signale berücksichtigen und trainieren so die geteilte<br />
Aufmerksamkeit. Durch den Wechsel der Farbsignale sind die Spieler zudem gefordert, ihr (motorisches) Verhalten<br />
bzw. ihre Spielaktionen flexibel anzupassen. Die Signalgebung erfolgt randomisiert (zufällig verteilt),<br />
damit ist ExF für die Spieler nicht berechenbar. Oder aber der Trainer steuert die Signale manuell. Dies kann<br />
in drei Geschwindigkeiten (langsam, mittel, schnell) erfolgen, sodass eine passende Signalgebung für jeden<br />
Leistungsbereich möglich ist. Je schneller die Signale erfolgen, desto schneller müssen die Spieler die Entscheidungen<br />
treffen.<br />
Im Folgenden ist eine Passübung aus dem ExF-Training 20 beschrieben, bei der bis zu zwei ExF-Trainingsgeräte<br />
mit jeweils bis zu 6 Lichtsignalen eingesetzt werden. Die Stationen 1 - 4 werden mit je einem Spieler besetzt,<br />
wobei der Spieler an Station 1 einen Ball hat. Hinter ihm stehen die anderen Spieler der Trainingsgruppe mit<br />
je einem Ball.<br />
Seite 18
v10<br />
w<br />
v10<br />
w<br />
v10<br />
w<br />
v5<br />
v5<br />
w<br />
v10 w<br />
v5<br />
w<br />
v10 w<br />
v5<br />
w<br />
v10 w<br />
v15 w<br />
v15 w<br />
v15 w<br />
v10 w<br />
v10 w<br />
v10 w<br />
Übung 1 Übung 2 Übung 3<br />
Ablauf Übung 1:<br />
Spieler an Station 1 dribbelt schräg nach links an mit dem Ziel, mit links einen Druckpass zu Spieler<br />
an Station 2 zu spielen. Der Spieler an Station 2 bietet sich gegengleich an und behält dabei ExF 1<br />
<strong>im</strong> Blick. Die jeweilige Aufgabe, die durch ExF 1 nach Vorgabe des Trainers gestellt wird, ist zu erfüllen.<br />
Druckpass von Spieler 1 zu Spieler 2. Ballannahme und -mitnahme (in der Regel) von Spieler 2 mit<br />
links; dann Druckpass mit links durch das Passtor zu Spieler 3. Ab Ballannahme durch Spieler 2 hat Spieler<br />
3 an Station 3 die Signale von ExF 2 zu beachten und diese entsprechend zu verarbeiten. Spieler<br />
3 n<strong>im</strong>mt den Ball mit Blickrichtung nach Station 4 an; idealerweise spielt 3 einen Druckpass zu<br />
Spieler 4, der sich in einem leichten Bogen entgegenkommend anbietet, sobald Spieler 3 den Ball hat. Spieler<br />
4 n<strong>im</strong>mt nun den Ball mit links an und mit und dribbelt mit dem Ball nach Vorgabe des Trainers und nach<br />
Signal der ExF Säule 2 zur Ziellinie (auf Weg A oder B). Spieler wechseln jeweils zur folgenden Station, sodass<br />
ein Rundlauf entsteht.<br />
Ablauf Übung 2:<br />
Filmverweis:<br />
• Fußball 4<br />
Ablauf Übung 3:<br />
Übung 3 ist die letzte und damit die kognitiv anspruchsvollste Übung, die erst dann gespielt wird, wenn die<br />
20, 21<br />
vorangegangenen Übungen wiederholt erfolgreich absolviert wurden.<br />
Oberes und unteres Signal, 6 Farben, das untere Signal dient als Störreiz, der inhibiert werden soll.<br />
ExF 1: Spieler dribbeln, passen und laufen wie oben <strong>im</strong> Ablauf 1 beschrieben. Spieler 2 beobachtet be<strong>im</strong> Anbieten<br />
ExF 1 und sagt laut die Farben. Wenn Spieler 1 den Druckpass gespielt hat, muss Spieler 2 kurz vor der<br />
Ballannahme und -mitnahme noch einmal die Farbe sagen, die nach Passabgabe durch Spieler 1 erscheint.<br />
Die Farbe, bei der Spieler 1 abspielt, entscheidet den weiteren Ablauf: „rot“ & „grün“: Spieler 1 zu Spieler 2,<br />
dann Ballannahme und -mitnahme durch Spieler 2; „blau“ & „gelb“: Spieler 1 zu Spieler 2, der lässt prallen,<br />
Ballannahme und -mitnahme durch Spieler 1; „weiß“ & „pink“: Spieler 1 zu Spieler 2, der lässt prallen, Spieler<br />
1 lässt prallen, Ballannahme und -mitnahme durch Spieler 2. ExF 2: Spieler 1 oder 2 Druckpass zu Spieler 3,<br />
der kurz vor Ballannahme und Tempodribbling die Farbe von ExF 2 ruft; Pass zu Spieler 4. Spieler 4 muss sich<br />
ab dem Moment, an dem Spieler 3 den Ball am Fuß hat, anbieten und die Farben von ExF 2 laut sagen, bis er<br />
den Ball am Fuß hat. Die Farbe, bei der Spieler 4 ann<strong>im</strong>mt, entscheidet: „rot“ & „grün“: Laufweg A; „blau“ &<br />
20, 21<br />
„gelb“: Laufweg B; „weiß“ & „pink“: Laufweg A und auf der Ziellinie nach innen zu B ziehen.<br />
Dieses Beispiel aus dem ExF-Training macht deutlich, wie das kognitive Training exekutiver Funktionen mit<br />
dem sporartspezifischen Training verbunden werden kann und wie die Schwierigkeitsstufen sukzessive gesteigert<br />
werden sollten, damit die kognitiven Anforderungen an die Spieler <strong>im</strong>mer einen Trainingsreiz darstellen.<br />
Seite 19
Seite 20<br />
Es ist schon möglich, dass man mal einen Ball verpasst,<br />
weil die Unterhaltung auf dem Nachbarplatz einfach zu interessant ist.
INHIBITION<br />
Eine zweite wichtige zentrale exekutive Funktion ist die Inhibition (Hemmung). Sie unterstützt die Fähigkeit,<br />
einem ersten oder starken Impuls widerstehen zu können, um das zu tun, was zur Aufgabenbewältigung am<br />
meisten geeignet oder erforderlich ist, nämlich eine Aufgabe fertigzustellen. Auch wenn man versucht ist<br />
aufzugeben, weil die Aufgabe schwerfällt oder weil sie langweilig ist. Inhibition heißt, die eigenen Emotionen<br />
<strong>im</strong> Griff zu haben, einen Gedanken oder ein Verhalten, wenn notwendig und sinnvoll, zu unterbrechen, die<br />
Aufmerksamkeit willentlich zu lenken und selbst unter Ablenkung fokussiert zu bleiben. Diese und weitere<br />
Kompetenzen, die auf einer geschulten inhibitorischen Kontrolle aufbauen, sind für viele Kontexte von großer<br />
Bedeutung. Sie sind eine wichtige Grundlage für die Entwicklung von Selbstdisziplin und für Erfolge in der<br />
Schule, am Arbeitsplatz, <strong>im</strong> Studium und <strong>im</strong> <strong>Sport</strong>.<br />
Obwohl es eine große Anzahl von Studien zur inhibitorischen Kontrolle und zu deren neuronalen System gibt,<br />
existieren bislang wenige Studien, die sich mit ihrer Trainierbarkeit befasst haben. Es zeichnet sich aber ab,<br />
dass die Inhibition trainierbar ist. 22, 24, 27, 28 Transfereffekte eines solchen Trainings und begleitende neuronale<br />
Veränderungen sind bis heute allerdings nur unzureichend untersucht.<br />
Ein häufig eingesetztes neuropsychologisches Testverfahren zur Messung der Inhibitionsleistung ist die<br />
Stroop-Aufgabe (benannt nach dem US-amerikanischen Psychologen John Ridley Stroop [1897-1973]). Bei<br />
dieser Aufgabe werden Farbwörter (wie z.B. das Wort „rot“) in einer von fünf Farben abgedruckt (z.B. rot,<br />
braun, grün, blau, lila; siehe unten). Daraus ergeben sich zwei Bedingungen: eine kongruente Bedingung, bei<br />
der das Farbwort mit der Farbe übereinst<strong>im</strong>mt (z.B. das Wort „rot“ wird in der Farbe rot geschrieben) und<br />
eine inkongruente Bedingung, bei der die Wortbedeutung nicht mit der Farbe übereinst<strong>im</strong>mt (z.B. das Wort<br />
„rot“ wird in der Farbe blau geschrieben). Die inkongruenten Testbedingungen werden zur Untersuchung<br />
inhibitorischer Prozesse eingesetzt. Da man – insbesondere als Erwachsener – gewohnt ist, Wörter zu lesen,<br />
sind stärkere Kontrollprozesse gefordert, wenn man den spontanen Impuls „zu lesen“ inhibieren muss.<br />
Um den Stroop-Effekt selbst zu erfahren, lesen Sie so schnell wie möglich die unten stehenden Farbwörter<br />
einer jeden Zeile von links nach rechts:<br />
grün<br />
lila<br />
braun<br />
blau<br />
rot<br />
rot<br />
blau<br />
lila<br />
grün<br />
braun<br />
braun<br />
grün<br />
rot<br />
lila<br />
blau<br />
lila<br />
rot<br />
blau<br />
braun<br />
grün<br />
blau<br />
braun<br />
grün<br />
rot<br />
lila<br />
Seite 21
Lesen Sie nun die farbig gedruckten Wörter:<br />
grün<br />
lila<br />
braun<br />
blau<br />
rot<br />
rot<br />
blau<br />
lila<br />
grün<br />
braun<br />
braun<br />
grün<br />
rot<br />
lila<br />
blau<br />
lila<br />
rot<br />
blau<br />
braun<br />
grün<br />
blau<br />
braun<br />
grün<br />
rot<br />
lila<br />
Studien zeigen, dass sich die Geschwindigkeit be<strong>im</strong> Lesen von schwarz gedruckten und farbig gedruckten<br />
Farbwörtern nicht unterscheidet. Langsamer werden die Reaktionszeiten aber dann, wenn der automatisierte<br />
Prozess des Lesens inhibiert und die Farbe, in der das Wort abgedruckt ist, genannt werden soll. 23 Versuchen<br />
Sie es einmal, und testen Sie die exekutive Funktion Inhibition an sich selbst:<br />
lila<br />
grün<br />
blau<br />
rot<br />
braun<br />
braun<br />
lila<br />
grün<br />
blau<br />
rot<br />
rot<br />
braun<br />
lila<br />
grün<br />
blau<br />
blau<br />
rot<br />
braun<br />
lila<br />
grün<br />
grün<br />
blau<br />
rot<br />
braun<br />
lila<br />
Be<strong>im</strong> Stroop-Test lenken die Probanden ihre Aufmerksamkeit auf die Farbe des Farbwortes und blenden<br />
die Wortbedeutung aus bzw. inhibieren diese. Bei Flanker-Aufgaben, mit denen man die selektive Aufmerksamkeit<br />
und die Inhibition (das Ausblenden) von ablenkenden Reizen testet, lenken die Probanden die<br />
Aufmerksamkeit auf den mittleren St<strong>im</strong>ulus einer Reihe von Zeichen. Dieser Zielst<strong>im</strong>ulus wird mit einer<br />
Aufgabe verbunden, z.B.:<br />
bei<br />
und<br />
bei<br />
besteht die Aufgabe darin, die rechte Maus-Taste zu drücken<br />
die linke Maus-Taste.<br />
Seite 22
Die Zeichen links und rechts vom Zielst<strong>im</strong>ulus sind die Flankierreize, die bei den Flanker-<br />
Aufgaben ignoriert (inhibiert) werden sollten.<br />
In den kongruenten Testbedingungen sind identische Zeichen nebeneinander angeordnet;<br />
in unserem Beispiel:<br />
oder<br />
rechte Taste drücken<br />
linke Taste drücken.<br />
Diese kongruenten Aufgaben erfordern geringere Aufmerksamkeitsprozesse als die inkongruenten<br />
Testbedingungen, bei denen das mittlere Zeichen (Zielst<strong>im</strong>ulus) von nicht identischen<br />
Zeichen flankiert wird:<br />
oder<br />
linke Taste drücken<br />
rechte Taste drücken.<br />
In diesen Situationen müssen die Probanden eine Konfliktsituation lösen. In neurowissenschaftlichen<br />
Studien, in denen die selektive Aufmerksamkeit von Kindern und Jugendlichen mit Flanker-Aufgaben<br />
untersucht wurde, konnte nachgewiesen werden, dass diese von akuter körperlicher<br />
Belastung und einer hohen kardiovaskulären Leistungsfähigkeit profitiert (vgl. Kapitel 3).<br />
Weitere gängige Aufgaben zur Messung der Inhibition sind Stopp-Signal- und GoNogo-<br />
Aufgaben. Dabei wird untersucht, wie gut es gelingt, eine (bereits eingeleitete) Wahlreaktionsentscheidung<br />
zu inhibieren, also zu hemmen. In solchen Aufgaben erscheint in zufällig verteilter<br />
Reihenfolge eines von zwei Symbolen (in unserem Beispiel eine Fliege mit weißen oder mit<br />
blauen Flügeln), auf das mit einer von zwei motorischen Aktionen reagiert werden muss (z.B.<br />
bei Fliege mit weißen Flügeln: Schlage mit der rechten Hand auf den Tisch; bei Fliege mit blauen<br />
Flügeln: Schlage mit der linken Hand auf den Tisch). Diese Reaktionen gelten als Go-Bedingung<br />
(„schlagen“). In den weniger häufig vorkommenden Stopp- oder Nogo-Bedingungen sollen<br />
die Versuchspersonen nicht auf den Tisch schlagen. In diesen Testbedingungen erscheint<br />
mit (NoGo-Bedingung) oder kurz nach (Stopp-Bedingung) dem Einblenden der Fliege ein weiteres<br />
optisches Signal (in unserem Beispiel ein „Hundehaufen“; es könnte aber auch ein akustisches<br />
Signal [z.B. ein Ton] sein). Dieses Beispiel macht deutlich, dass die Inhibitionsleistung<br />
von der Arbeitsgedächtnisleistung beeinflusst wird. Damit der richtige Schlag ausgeführt und<br />
der Impuls zu schlagen gehemmt werden können, muss der Proband die Aufgabenstellungen<br />
während des Tests beständig <strong>im</strong> Arbeitsgedächtnis aufrechterhalten.<br />
LINKE HAND RECHTE HAND NICHT SCHLAGEN<br />
Stopp-Signal-Paradigma<br />
Filmverweis:<br />
• Stopp-Signal-Aufgabe: Teste deine Inhibition<br />
Seite 23
Ein Inhibitions-Training mit einer Stopp-Signal-Aufgabe mit steigendem Schwierigkeitsgrad von 10 Trainingseinheiten<br />
à 6 Minuten in einem Zeitraum von 3 Wochen führte bei jungen Erwachsenen <strong>im</strong> Alter zwischen<br />
18 und 30 Jahren <strong>im</strong> Vergleich zu einer Kontrollaufgabe (eine vergleichbare Wahlreaktionsaufgabe<br />
ohne Stopp-Signal) zu einer Verbesserung der Inhibitionsleistung. 24<br />
SPORT IM FOKUS – DIE INHIBITION<br />
Solche Inhibitionsprozesse, bei der eine bereits eingeleitete motorische Aktion kurzfristig gehemmt werden<br />
muss, finden sich vermutlich in allen <strong>Sport</strong>arten. Die Inhibition ist <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> <strong>im</strong>mer dann gefordert, wenn es<br />
darum geht, die Emotionen, das Verhalten und die Aufmerksamkeit zu kontrollieren.<br />
IMPULSKONTROLLE<br />
FRUSTRATIONSTOLERANZ<br />
Filmverweis:<br />
• Handball 4<br />
• Fechten 2<br />
• Kempokan 1 und 2<br />
FOKUSSIERTE AUFMERKSAMKEIT<br />
Es ist weiter davon auszugehen, dass das Training insbesondere in schnellen Mannschaftssportarten, wie<br />
Handball, Fußball und Hockey, aber auch in Rückschlagspielen wie Tennis, Tischtennis, Badminton und Squash<br />
und vielen weiteren <strong>Sport</strong>arten, das nicht selten über Jahre hinweg mehrmals in der Woche stattfindet, bei<br />
Weitem das Inhibitionstraining der oben beschriebenen Studie 24 übersteigt. Ein wichtiger Einflussfaktor der<br />
Leistungsfähigkeit in solchen reaktionsschnellen <strong>Sport</strong>arten kann die Inhibitionsleistung der Athleten sein. Bei<br />
jungen niederländischen Fußballspielern <strong>im</strong> Alter zwischen 8 und 16 Jahren konnte nachgewiesen werden,<br />
dass die Spieler aus der höchsten Liga <strong>im</strong> Vergleich zu Spielern aus den unteren Ligen über eine bessere Inhibitionsleistung<br />
– gemessen mit einer Stopp-Signal-Aufgabe – verfügen. In der Arbeitsgedächtnisleistung unterschieden<br />
sich die jungen Fußballer der beiden Leistungsstufen nicht. 25 Aus dieser Studie geht nicht hervor,<br />
ob die leistungsstärkeren Fußballspieler deshalb erfolgreicher sind, weil sie über bessere Inhibitionsprozesse<br />
verfügen oder weil sie durch das intensivere Training besser in ihrer Inhibitionsleistung werden. Vermutlich<br />
spielen beide Faktoren eine Rolle.<br />
Bei Baseballspielern konnten Trainingseffekte auf die Inhibitionsleistung bereits nachgewiesen werden.<br />
Be<strong>im</strong> spannenden Duell zwischen Batter (Schlagmann) und Pitcher (Werfer) darf der Batter am Home Plate<br />
den Baseball nicht schlagen, wenn der Pitcher den Ball an der Strike Zone (Bereich über dem Home Plate<br />
zwischen Achsel- und Brusthöhe des Batters) vorbei wirft. 26 Dies wird dann als „Ball“ für den Pitcher gewertet.<br />
Seite 24
Da die Bälle innerhalb der Strike Zone jedoch vergleichsweise<br />
einfach zu schlagen sind, versucht der Pitcher, seine Bälle mit<br />
Effet zu werfen. Durch einen solchen Pitch ist es für den Batter<br />
schwer einzuschätzen, ob der Ball innerhalb oder außerhalb<br />
der Strike Zone fliegt, wodurch er zu einer Ausholbewegung<br />
verleitet wird. Fliegt der Ball außerhalb der Strike Zone und<br />
der Batter führt eine Ausholbewegung aus, wird dies als Fehler<br />
für den Batter und so als Strike gewertet.<br />
Während der Baseballspieler also bei jeder Schlagaktion in<br />
kürzester Zeit eine klare Go- oder Nogo-Entscheidung treffen<br />
muss, ob er zu einem Schlag ausholt oder nicht, kann der Tennisspieler<br />
einen Ball, der <strong>im</strong> Aus landet, schlagen, ohne dass<br />
dies als Fehler geahndet wird. Dieses besondere Training des<br />
Entscheidungsverhaltens spiegelt sich in den GoNogo-Reaktionszeiten<br />
von Baseballspielern wider. Baseballspieler verfügen<br />
<strong>im</strong> Vergleich zu Tennisspielern und <strong>im</strong> Vergleich zu Personen,<br />
die weder Baseball noch Tennis spielen, über kürzere<br />
GoNogo-Reaktionszeiten. In ihren einfachen Reaktionszeiten<br />
unterscheiden sie sich jedoch nicht – weder von den Tennisspielern<br />
noch von den Nicht-Athleten. Innerhalb verschiedener<br />
Leistungsgruppen <strong>im</strong> Baseball zeigten Kida und Kollegen:<br />
Je höherklassig die Baseballspieler spielten, desto kürzer waren<br />
deren GoNogo-Reaktionszeiten. 27 In ihrer Langzeitstudie<br />
konnten die Wissenschaftler zudem nachweisen, dass ein<br />
zweijähriges Schlagtraining <strong>im</strong> Baseball die GoNogo-, nicht<br />
aber die einfachen Reaktionszeiten verbessert. 27 Diese Studie belegt, dass die Inhibition sportartspezifisch<br />
trainiert werden kann. Je intensiver das Training, desto besser die inhibitorische Verhaltenskontrolle.<br />
Ähnlich wie be<strong>im</strong> Baseball versucht auch der Fechter, seinen Gegner zu einer Reaktion zu verleiten. Dazu<br />
setzt er Finten ein. Eine Finte kann den Fechter in die Lage versetzen, eine eigentlich beabsichtige Aktion<br />
auszuführen. Be<strong>im</strong> Vergleich von Fechtern mit Nichtfechtern zeigten sich jedoch erst dann Unterschiede in<br />
der Inhibitionsleistung, wenn neben dem Fechten auch die körperliche Fitness in die Datenauswertung einbezogen<br />
wurde. Be<strong>im</strong> Vergleich von Fechtern und Nichtfechtern führten weder die Fitness noch das Fechttraining<br />
für sich genommen zu verbesserten Reaktionszeiten. Durchschnittlich fitte Fechter machten in den<br />
GoNogo-Aufgaben vergleichbar viele Fehler wie durchschnittliche Nichtfechter. Die körperlich fitteren Fechter<br />
jedoch machten signifikant weniger Fehler als die fitteren Nichtfechter. Erst die Kombination aus Fechten und<br />
höherer Fitness führte zu einer besseren inhibitorischen Kontrolle. 28<br />
Inhibitionsprozesse beeinflussen nicht nur die Verhaltenskontrolle, sondern auch die Kontrolle bzw. die Steuerung<br />
der Aufmerksamkeit und somit die Aufmerksamkeitsleistung. Auch hier gilt für unterschiedliche Altersgruppen:<br />
je höher die kardiovaskuläre Leistungsfähigkeit und damit die körperliche Fitness, desto besser die<br />
Aufmerksamkeitsleistung (vgl. Kapitel 3). Aufmerksamkeit gilt <strong>im</strong> Fechten als eine der wichtigsten psychologischen<br />
Faktoren, insbesondere der weite externale und der enge Aufmerksamkeitsfokus bzw. der Wechsel<br />
zwischen beiden Aufmerksamkeitsformen. 27 Da Fechtbewegungen sehr schnell ausgeführt werden, kommt es<br />
darauf an, Zielbereiche früh zu erkennen. Die besten Fechter zeichnen sich dadurch aus, dass sie mehr Informationen<br />
aus den Bewegungen des Gegners herausfiltern können, die sie befähigen, gegnerische Attacken<br />
vorherzusehen. 29 Hierbei ist das Arbeitsgedächtnis ein entscheidender Faktor. Eine hohe körperliche Fitness<br />
und trainierte exekutive Funktionen unterstützen demnach den Fechter in seiner Fechtleistung.<br />
Filmverweis:<br />
• Fechten 3<br />
• Stabfechten<br />
ACHSEL-<br />
HÖHE<br />
KNIE-<br />
HÖHE<br />
STRIKE<br />
ZONE<br />
Seite 25
KOGNITIVE FLEXIBILITÄT<br />
Wenn sich Situationen kurzfristig ändern, wenn es gefordert ist, das eigene Verhalten oder Denken zu unterbrechen,<br />
wenn es sinnvoll ist, neue Wege einzuschlagen, um Probleme effizient und kreativ zu lösen, wenn<br />
es notwendig ist, bereits gefasste Absichten wieder aufzugeben, da sich Ziele, äußere Umstände oder Erwartungen<br />
verändern, wenn sich unerwartet eine Chance eröffnet, die es zu ergreifen gilt, dann ist die kognitive<br />
Flexibilität gefordert. Sie ermöglicht es, den <strong>Fokus</strong> der Aufmerksamkeit gezielt zu wechseln, sich schnell auf<br />
neue Situationen einzustellen und andere Perspektiven einnehmen zu können. In solchen Situationen ist es<br />
wichtig, bevorzugte oder erlernte Antworttendenzen zu inhibieren und Gedächtnisinhalte durch die zentrale<br />
Exekutive zu überwachen und anzupassen. Das Arbeitsgedächtnis und die Inhibition unterstützen auf diese<br />
Weise die kognitive Flexibilität. Dies macht deutlich, dass die voneinander unterscheidbaren exekutiven Funktionen:<br />
das Arbeitsgedächtnis, die Inhibition und die kognitive Flexibilität, sich wechselseitig beeinflussen.<br />
Filmverweis:<br />
• Handball 5<br />
• Hockey 3<br />
• Tanzen 3<br />
• Tanzen 4<br />
Zusammenwirken von Arbeitsgedächtnis, Inhibition und kognitiver Flexibilität<br />
Wie eng das Zusammenspiel der kognitiven Flexibilität mit dem Arbeitsgedächtnis und der Inhibition ist, wird<br />
auch bei der Bearbeitung sogenannter Switch-Aufgaben (Tests zum Aufgabenwechsel) deutlich, die zur Untersuchung<br />
der kognitiven Flexibilität eingesetzt werden. Sehen wir uns eine von vielen möglichen Switch-Aufgaben<br />
einmal genauer an.<br />
Bei dieser Aufgabe werden Bilder mit Gegenständen aus Mannschafts- und Individualsportarten gezeigt. Diese<br />
Gegenstände sind entweder weiß oder blau hinterlegt. Die Aufgabe besteht darin, zwischen zwei Aufgaben<br />
zu wechseln. Entweder muss man auf den Bildhintergrund achten oder auf die <strong>Sport</strong>art. Besteht die Aufgabe<br />
darin, auf den Bildhintergrund zu achten, muss man aufgrund der Farbe eine Entscheidung treffen. Ist der<br />
Bildhintergrund weiß, muss man mit der linken Hand auf den Tisch schlagen. Ist der Bildhintergrund blau,<br />
muss man mit der rechten Hand auf den Tisch schlagen. Wird man dazu aufgefordert, die Aufmerksamkeit auf<br />
die <strong>Sport</strong>art zu lenken, dann gilt folgende Regel: Bei einem Gegenstand aus einer Mannschaftssportart: linke<br />
Hand heben, bei einem Gegenstand aus einer Individualsportart: rechte Hand heben.<br />
Bei allen Switch-Aufgaben gibt es Testdurchgänge, bei der die Aufgabenstellung gleich bleibt (Wiederholungsdurchgänge),<br />
und Aufgaben, bei denen die Aufgabenstellung wechselt (Wechseldurchgänge) und so die kognitive<br />
Flexibilität gefordert ist.<br />
SPORT<br />
FARBE<br />
INDIVIDUAL-<br />
SPORTART<br />
MANNSCHAFTS-<br />
SPORTART<br />
BLAU<br />
WEISS<br />
LINKE<br />
HAND HEBEN<br />
RECHTE<br />
HAND HEBEN<br />
LINKE<br />
HAND SCHLAGEN<br />
RECHTE<br />
HAND SCHLAGEN<br />
Task-Switch-Aufgabe<br />
Seite 26
Filmverweis:<br />
• Swich-Aufgabe: Teste deine kognitive Flexibilität<br />
Auch bei solchen Switch-Aufgaben hat sich gezeigt, dass man mit diesen Messverfahren die exekutiven Funktionen<br />
nicht nur testen, sondern auch trainieren kann. Sowohl bei Kindern als auch bei Jugendlichen und jungen<br />
Erwachsenen <strong>im</strong> Alter zwischen 7 und 20 Jahren wurde nachgewiesen, dass ein Training mit Switch-Aufgaben<br />
zur Verbesserung der kognitiven Flexibilität beitragen kann 30, 31 und dass durch dieses Training auch<br />
andere exekutive Funktionen gefördert werden. 32<br />
SPORT IM FOKUS – DIE KOGNITIVE FLEXIBILITÄT<br />
Die Umstellungsfähigkeit ist <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> in vielen Situationen gefordert: Der schnelle Wechsel von Verteidigung<br />
auf Angriff in zahlreichen <strong>Sport</strong>spielen sowie das Training der Umstellungsfähigkeit bei variablem taktischen<br />
Vorgehen, die Rhythmusvorgabe durch die Musik be<strong>im</strong> Tanzen, die veränderte Körperwahrnehmung be<strong>im</strong><br />
Schw<strong>im</strong>men oder be<strong>im</strong> Skifahren, die unterschiedlichen Wurftechniken in der Leichtathletik, die Flugphasen<br />
und Rotationen um die eigene Körperachse be<strong>im</strong> Turnen und der Waldlauf <strong>im</strong> Dunkeln, all das sind nur wenige<br />
Beispiele von Situationen <strong>im</strong> <strong>Sport</strong>, für die die kognitive Flexibilität eine große Rolle spielt. 33 Da die Flexibilität<br />
hier eine zentrale kognitive Komponente darstellt, lässt sie sich auch sehr gut und vielfältig trainieren. Viele<br />
Kompetenzen, die <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> gefordert sind, wie z.B. die Entscheidungs- und Handlungsschnelligkeit, setzen ein<br />
gut trainiertes Arbeitsgedächtnis, aber auch eine hohe kognitive Flexibilität voraus, die durch inhibitorische<br />
Prozesse unterstützt werden.<br />
Filmverweis:<br />
• Handball 6<br />
• Handball 7<br />
• Tanzen 5<br />
Aber nicht nur die Umstellungsfähigkeit der <strong>Sport</strong>ler ist <strong>im</strong> Training und Wettkampf gefordert, sondern auch<br />
die der Trainer und Übungsleiter. Sie müssen ständig zwischen verschiedenen Tätigkeiten wechseln: Anweisungen<br />
geben, Gruppen einteilen, Spielmaterialien organisieren, auf-, um- und abbauen, Spielabläufe überwachen,<br />
Bewegungsabläufe korrigieren, Spieler ermahnen, sie coachen, das Spielgeschehen mit ihnen reflektieren,<br />
Emotionen kontrollieren usw.<br />
Filmverweis:<br />
• Hockey 4<br />
• Hockey 5<br />
• Turnen 2<br />
• Handball-ExF 1<br />
Seite 27
KALTE UND HEISSE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Während man bei abstrakten Aufgaben in neutralen Kontexten von „kalten“ exekutiven Funktionen spricht,<br />
spricht man bei risikoreicheren Entscheidungsprozessen, bei denen die Regulation von Emotionen und<br />
Motivationsprozessen gefordert sind, von „heißen“ exekutiven Funktionen. In diesem Kapitel soll diese Unterscheidung<br />
an Testverfahren deutlich gemacht werden. 34<br />
TESTS ZUR MESSUNG KALTER EXEKUTIVER FUNKTIONEN<br />
Alle bisher beschriebenen Testverfahren zur Messung exekutiver Funktionen beinhalten abstrakte Entscheidungsprozesse,<br />
die bei älteren Kindern, bei Jugendlichen und Erwachsenen zur Messung kalter exekutiver<br />
Funktionen eingesetzt werden. Bei kleineren Kindern werden einfachere Testaufgaben gestellt oder gängige<br />
Testverfahren abgewandelt. So wird bei Kindern <strong>im</strong> Kindergartenalter der Stroop-Test als Tag-und-Nacht-Aufgabe<br />
durchgeführt, da die Inhibition des Lesens <strong>im</strong> Kindergartenalter noch nicht greift.<br />
Tag!<br />
Bei der<br />
Mondkarte<br />
sagst du „Tag“, bei<br />
der Sonnenkarte<br />
sagst du<br />
„Nacht“.<br />
Tag-und-Nacht-Aufgabe<br />
Eine weitere Aufgabe zur Testung der kalten Inhibition bei kleinen Kindern ist das Hand-Spiel.<br />
Zeige ich<br />
den Finger,<br />
zeigst du die<br />
Faust.<br />
Zeige<br />
ich die Faust,<br />
zeigst du<br />
den Finger.<br />
Hand-Spiel<br />
Seite 28
TESTS ZUR MESSUNG HEISSER EXEKUTIVER FUNKTIONEN<br />
Motivational und emotional bedeutsame Aufgaben zur Messung heißer exekutiver Funktionen, die bei kleinen<br />
Kindern eingesetzt werden, sind die Weniger-ist-mehr-Aufgabe und Aufgaben zum Belohnungsaufschub.<br />
Die<br />
Süßigkeiten, auf die<br />
du zeigst, werden weggenommen.<br />
Die anderen<br />
darfst du behalten.<br />
Weniger-ist-mehr-Aufgabe<br />
1 Sticker<br />
sofort!<br />
4 Sticker<br />
später!<br />
Belohnungsaufschub-Aufgabe<br />
Zu den motivational und emotional bedeutsamen Aufgaben bei älteren Kindern und Jugendlichen zählen die<br />
Glücksspiel-Aufgabe und der Delayed-Discounting-Test. Bei der Glücksspiel-Aufgabe werden den Versuchspersonen<br />
(am Computer) vier Kartenstapel gezeigt. Die Spieler haben einen Einsatz von 2.000 Dollar. Sie müssen<br />
nacheinander jeweils eine Karte aus einem der vier Stapel auswählen. Die Stapel A und B ermöglichen<br />
kurzfristig hohe Gewinne (100 Dollar), führen aber<br />
Schlechtere<br />
Kartenstapel<br />
Bessere<br />
Kartenstapel<br />
langfristig zu hohen Geldverlusten. Stapel C und D ermöglichen<br />
kurzfristig kleinere Geldgewinne (50 Dollar),<br />
sind aber langfristig vorteilhaft aufgrund der geringeren<br />
Verluste. Bei dem Delayed-Discouting-Test<br />
stehen die Probanden vor der Wahl zwischen einer<br />
sofortigen, kleineren (50 Cent) und einer aufgeschobenen,<br />
größeren (10 Dollar) Belohnung. 35<br />
Hohe Geldgewinne/<br />
Verluste<br />
langfristig ungünstiger<br />
Mäßige Geldgewinne/<br />
Verluste<br />
langfristig besser<br />
Glücksspiel-Aufgabe<br />
Seite 29
Erfassung von Selbstkontrolle durch Wahlentscheidung<br />
zwischen sofortiger kleinerer Belohnung und größerer<br />
späterer Belohnung.<br />
Sofort!<br />
Später!<br />
Delayed-Discounting-Test<br />
Bei der Weniger-ist-mehr-Aufgabe, bei Glücksspiel- und Belohnungsaufschub-Aufgaben werden Emotionsund<br />
Motivationsprozesse der Probanden gezielt angeregt, weshalb sie sich zur Messung heißer exekutiver<br />
Funktionen eignen. Obwohl dieselben exekutiven Funktionen sowohl der Leistungsfähigkeit bei heißen als<br />
auch bei kalten Testverfahren zugrunde liegen, zeigt sich, dass Kindern und Jugendlichen die Selbstregulation<br />
in neutralen Kontexten einfacher und früher gelingt als in emotional herausfordernden Situationen. 36<br />
SPORT IM FOKUS – HEISSE UND KALTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Im <strong>Sport</strong> spielen risikoreiche Entscheidungen, Emotionen und Motivationsprozesse eine zentrale Rolle. Damit<br />
ist der <strong>Sport</strong> und nicht zuletzt der Wettkampfsport ein hervorragendes Spielfeld, in dem Kinder und Jugendliche<br />
exekutive Funktionen in „heißen“ Situationen trainieren und so ihre Selbstregulationsfähigkeit ausbilden<br />
können. Auch in normale Trainingsabläufe lassen sich emotional herausfordernde Situationen integrieren.<br />
Filmverweis:<br />
• Fußball 5<br />
• Hockey 6<br />
• Hockey 7<br />
• Turnen 3<br />
• Fechten 4<br />
• Kempokan 3<br />
• PFiFF/Grundschule 2<br />
Welche Rolle die heißen und kalten exekutiven Funktionen <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> spielen und wie diese <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> bzw. <strong>im</strong><br />
<strong>Sport</strong>unterricht gefördert werden können, wird noch einmal <strong>im</strong> nachfolgenden Interview mit Armin Emrich<br />
deutlich (38ff.). Seine Aussagen zum <strong>Sport</strong>unterricht, zum Verhalten von Schülern und <strong>Sport</strong>lehrern lassen<br />
sich auf das Vereinstraining, auf die Athleten und Trainer übertragen. Die Bereiche Emotions- und Motivationsregulation<br />
werden auch in den weiteren Interviews thematisiert und in Kapitel 4 zur Selbstregulation<br />
ausführlicher behandelt.<br />
Seite 30
Von einem Auto, das, nachdem man seine Kinder vom <strong>Sport</strong> abgeholt hat,<br />
eher einem Pumakäfig gleicht.<br />
Seite 31
ENTWICKLUNGSGESCHICHTEN - TEIL 1<br />
WISSENSCHAFT<br />
VON DER FORSCHUNG<br />
INS KLASSENZIMMER UND AUFS SPIELFELD
DIE BEZEICHNUNG “EXEKUTIVE FUNKTIONEN” WURDE 1973 VON<br />
PROF. KARL H. PRIBRAM (1919-2015) EINGEFÜHRT. DER BEDEUTENDE<br />
GEHIRNFORSCHER, PSYCHOLOGE UND PHILOSOPH FORSCHTE<br />
UND LEHRTE 30 JAHRE AN DER STANFORD UNIVERSITÄT.<br />
PRIBRAM GILT ALS DER „MAGELLAN DES GEISTES“.<br />
EXEKUTIVE FUNKTIONEN WERDEN ALS „UMBRELLA TERM“, ALS SAMMELBEGRIFF<br />
FÜR UNTERSCHIEDLICHE FUNKTIONEN UND FÄHIGKEITEN BEZEICHNET.<br />
Exekutive Funktionen<br />
Kernkomponenten<br />
der Selbstregulation,<br />
Selbstkontrolle<br />
und Willensstärke.<br />
INZWISCHEN GEHT MAN VON ÜBER 30 DEFINI-<br />
TIONEN UND KONZEPTEN AUS, DIE EXEKUTIVE<br />
FUNKTIONEN BESCHREIBEN UND ERKLÄREN.<br />
Arbeitsgedächtnis<br />
Informationen<br />
kurzzeitig speichern,<br />
aktualisieren und<br />
weiterverarbeiten.<br />
Initiieren<br />
Eine Tätigkeit selbstständig<br />
einleiten.<br />
Inhibition<br />
Spontane Impulse<br />
und Emotionen unterdrücken.<br />
Aufmerksamkeit<br />
willentlich lenken<br />
(fokussieren).<br />
Irrelevante Reize<br />
ausblenden.<br />
Kognitive Flexibilität<br />
<strong>Fokus</strong> der Aufmerksamkeit<br />
gezielt<br />
wechseln.<br />
Sich auf neue<br />
Situationen schnell<br />
einstellen.<br />
Andere Perspektiven<br />
einnehmen.<br />
Komplexe Fähigkeiten<br />
Monitoring<br />
(Überwachen)<br />
Ordnen/Organisieren/<br />
Strukturieren<br />
Planen<br />
Problemlösen<br />
Entscheiden<br />
ERSTE WICHTIGE ERKENNTNISSE ZU DEN<br />
EXEKUTIVEN FUNKTIONEN STAMMEN AUS<br />
KLINISCHEN BEOBACHTUNGEN AM MENSCHEN<br />
MIT UNFALLVERURSACHTEN GEHIRNSCHÄ-<br />
DIGUNGEN UND AUS TIERSTUDIEN, BEI<br />
DENEN MAN LÄSIONEN<br />
EXPERIMENTELL<br />
ERZEUGT HAT.<br />
1848 ERLITT DER 25-JÄHRIGE PHINEAS<br />
P. GAGE BEI EISENBAHNARBEITEN IN<br />
CAVENDISH (VERMONT, USA) EINEN<br />
SCHWEREN UNFALL. BEI EINER SELBST<br />
GELEGTEN SPRENGUNG SCHOSS IHM<br />
EINE EISENSTANGE DURCH DEN KOPF.<br />
SIE DURCHBOHRTE DEN SCHÄDEL UND<br />
DURCHDRANG DEN FRONTO-ORBITALEN<br />
UND PRÄFRONTALEN KORTEX IN DER<br />
LINKEN HEMISPHÄRE.
TROTZ DIESER SCHWEREN VERLETZUNG ÜBERLEBTE<br />
GAGE. ER WAR NACH DEM UNFALL BEI BEWUSSTSEIN,<br />
KONNTE FRAGEN BEANTWORTEN, DEN UNFALLHER-<br />
GANG BESCHREIBEN UND WAR IN DER LAGE ZU GEHEN.<br />
DENNOCH HATTE DER UNFALL WEITREICHENDE FOL-<br />
GEN. ER FÜHRTE ZU STARKEN PERSÖNLICHKEITSVER-<br />
ÄNDERUNGEN. DER EINST FREUNDLICHE UND BELIEBTE<br />
JUNGE MANN WURDE NACH DEM UNFALL ALS IMPUL-<br />
SIV, LAUNISCH, RESPEKTLOS, UNGEDULDIG, EIGENSIN-<br />
NIG, KINDISCH UND UNZUVERLÄSSIG BESCHRIEBEN.<br />
GAGES FALL MACHTE IN DER MEDIZINISCHEN FOR-<br />
SCHUNG DEN ZUSAMMENHANG ZWISCHEN PERSÖN-<br />
LICHKEIT UND FRONTALLAPPEN DEUTLICH. GLEICHZEI-<br />
TIG VERLOR GAGE NACH AUSSAGEN SEINES ARZTES<br />
DURCH DEN UNFALL SEINEN GESCHÄFTSSINN UND<br />
DIE ENERGIE UND AUSDAUER FÜR DIE UMSETZUNG<br />
ALL SEINER PLÄNE. DIESE BESCHREIBUNG SPIEGELT<br />
GAGES BEEINTRÄCHTIGTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
UND FÄHIGKEITEN WIDER. GAGES SCHÄDEL UND DIE<br />
EISENSTANGE, DIE SEINEN SCHÄDEL DURCHBOHRTE,<br />
SIND IM WARREN ANATOMICAL MUSEUM DER HARVARD<br />
UNIVERSITY ZU SEHEN.<br />
RUND 100 JAHRE SPÄTER KONNTE C. F. JACOBSEN<br />
AN PRIMATEN ZEIGEN, DASS SCHÄDIGUNGEN IM PRÄ-<br />
FRONTALEN KORTEX VON AFFEN DEREN FÄHIGKEIT<br />
BEEINTRÄCHTIGT, INFORMATIONEN ÜBER EINEN KUR-<br />
ZEN ZEITRAUM ABZUSPEICHERN.<br />
1935/36 SETZTE JACOBSEN DAZU VERZÖGERTE VERGLEICHSAUFGABEN (DELAYED RESPONSE TASK) EIN, BEI<br />
DENEN DEN TIEREN ZUNÄCHST EINE FUTTERSTELLE GEZEIGT WURDE. DER BLICK AUF DIE FUTTERSTELLE<br />
WURDE ANSCHLIESSEND FÜR EIN BESTIMMTES INTERVALL (DELAY VON CA. 10 BIS 100 SEKUNDEN) VERHIN-<br />
DERT. ANSCHLIESSEND ERFOLGTE DIE AUFGABENANTWORT (RESPONSE). DER AFFE ERHIELT DAS FUTTER<br />
ALS BELOHNUNG, WENN ER SICH AN DIE FUTTERSTELLE ERINNERN KONNTE. AUF DIESE WEISE BEGANN DIE<br />
ERFORSCHUNG DES ARBEITSGEDÄCHTNISSES. SOLCHE VERZÖGERTEN VERGLEICHSAUFGABEN WERDEN<br />
AUCH NOCH HEUTE STANDARDMÄSSIG ZUR UNTERSUCHUNG DES ARBEITSGEDÄCHTNISSES EINGESETZT.<br />
SEIT DEM AUSGEHENDEN 20. JAHRHUNDERT WERDEN EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
MIT MODERNEN BILDGEBENDEN VERFAHREN WIE DEM EEG UND DER FMRT AUCH AN<br />
GESUNDEN PERSONEN UNTERSUCHT. DABEI WERDEN GEHIRNAKTIVITÄTEN UND<br />
GEHIRNSTRUKTUREN SICHTBAR, DIE BEI DER BEARBEITUNG NEUROPSYCHOLOGISCHER<br />
AUFGABEN ZUR UNTERSUCHUNG EXEKUTIVER FUNKTIONEN AKTIV SIND.<br />
ELEKTROENZEPHALOGRAFIE (EEG)<br />
DAS ELEKTROENZEPHALOGRAMM<br />
MISST DIE ELEKTRISCHE AKTI-<br />
VITÄT FEUERNDER NEURONEN<br />
AN DER SCHÄDELOBERFLÄCHE<br />
BZW. AN DER KOPFHAUT.
FUNKTIONELLE MAGNETRESONANZTOMOGRAPHIE (FMRT)<br />
SAUERSTOFFREICHES BLUT WIRD ZU AKTIVEN NEURONEN TRANSPORTIERT, DADURCH HABEN SIE ANDERE<br />
MAGNETISCHE EIGENSCHAFTEN ALS NICHT AKTIVE NEURONE. DIESE UNTERSCHIEDE IN DER GEHIRNAKTIVI-<br />
TÄT MACHT DAS FMRT SICHTBAR.<br />
Study 59390<br />
Series 603<br />
Image 45<br />
ID service<br />
Date<br />
2322<br />
847<br />
1384<br />
leftmotorex<br />
TR 0 00<br />
TE: 0 00<br />
Window 500<br />
Level 500<br />
406<br />
1 1 53<br />
177<br />
1966 1990 1995 2000 2005 2009 2011 2014<br />
MIT DEM EINSATZ BILDGEBENDER VERFAHREN BEI DER UNTERSUCHUNG<br />
EXEKUTIVER FUNKTIONEN STIEGEN AUCH DIE WISSENSCHAFTLICHEN<br />
FACHPUBLIKATIONEN ZU DEN EXEKUTIVEN FUNKTIONEN RASANT AN.<br />
ABER SELBST MIT GANZ EINFACHEN SPIELERISCHEN METHODEN LAS-<br />
SEN SICH EXEKUTIVE FUNKTIONEN UND DIE DARAUF AUFBAUENDE<br />
SELBSTREGULATIONSFÄHIGKEIT UNTERSUCHEN:<br />
MARSHMALLOW TEST<br />
HEAD-TOES-KNEES-<br />
SHOULDERS-AUFGABE<br />
ZAHLEN-, BUCHSTABEN-,<br />
OBJEKTSPANNEN-AUFGABEN<br />
VORWÄRTS/RÜCKWÄRTS<br />
HATTEN SICH ANFÄNGLICH NUR ÄRZTE UND PSYCHOLOGEN<br />
MIT DEN EXEKUTIVEN FUNKTIONEN BEFASST, ...<br />
... INTERESSIEREN SICH HEUTE UNTERSCHIED-<br />
LICHSTE PERSONEN- UND BERUFSGRUPPEN FÜR<br />
DIESE WICHTIGEN GEHIRNFUNKTIONEN UND<br />
FÄHIGKEITEN, DA SIE EINEN STARKEN UND VIEL-<br />
FÄLTIGEN EINFLUSS AUF DAS TÄGLICHE LEBEN<br />
UND DEN LERNERFOLG HABEN; DAZU ZÄHLEN<br />
TRAINER, SPORT- UND MUSIKWISSENSCHAFTLER,<br />
ÖKONOMEN, SOZIOLOGEN, SPIELEENTWICKLER,<br />
ELTERN, SENIOREN, PÄDAGOGEN, SCHÜLER,<br />
SCHULBUCHVERLAGE...<br />
Seite 35
NACHGEFRAGT: EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Nachfolgend finden Sie Fragen, die Sie nach intensiverem Lesen des 1. Kapitels und nach Durchsicht der darin<br />
erwähnten Filme bzw. Filmausschnitte beantworten können. Sollten Sie sich bei der Beantwortung der Fragen<br />
nicht sicher sein, dann lesen Sie die entsprechenden Textstellen noch einmal nach, denn wie be<strong>im</strong> Training <strong>im</strong><br />
<strong>Sport</strong> kommt es auch be<strong>im</strong> Lernen von Fakten auf das Wiederholen an.<br />
Exekutive Funktionen und Selbstregulation<br />
• Nennen Sie drei exekutive Funktionen.<br />
• In welchen Situationen sind exekutive Funktionen gefordert, in welchen Situationen sind sie nicht <strong>im</strong><br />
Einsatz?<br />
• Sind die verschiedenen exekutiven Funktionen als voneinander unabhängige Funktionen zu verstehen?<br />
• Sind exekutive Funktionen trainierbar?<br />
• Beschreiben Sie den Unterschied von „heißen“ und „kalten“ exekutiven Funktionen.<br />
• In welchem Zusammenhang stehen die exekutiven Funktionen mit der Fähigkeit zur Selbstregulation?<br />
• Begründen Sie, weshalb der <strong>Sport</strong> sich besonders dazu eignet, exekutive Funktionen zu trainieren und<br />
Selbstregulation zu üben.<br />
Das Arbeitsgedächtnis<br />
• Beschreiben Sie das Arbeitsgedächtnismodell nach Baddeley und Hitch (1974).<br />
• Beschreiben Sie zwei Testverfahren zur Messung des verbalen Arbeitsgedächtnisses.<br />
• Beschreiben Sie ein Testverfahren zur Messung des visuellen-räumlichen Arbeitsgedächtnisses.<br />
• Nennen Sie ein Beispiel für Lernleistungen, die vom Arbeitsgedächtnis abhängen.<br />
• In welchen Situationen ist das Arbeitsgedächtnis <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> gefordert?<br />
• Worauf sollten Sie als Trainer, Übungsleiter oder Lehrer be<strong>im</strong> Formulieren von Aufgabenstellungen achten?<br />
• Beschreiben Sie die Speicherkapazität des Arbeitsgedächtnisses.<br />
• Von welchen Faktoren hängt die Arbeitsgedächtniskapazität ab?<br />
• Beschreiben Sie eine Übung aus dem <strong>Sport</strong>, die zum Training des verbalen Arbeitsgedächtnisses eingesetzt<br />
werden kann.<br />
• Beschreiben Sie eine Übung aus dem <strong>Sport</strong>, die zum Training des visuell-räumlichen Arbeitsgedächtnisses<br />
eingesetzt werden kann.<br />
Die Inhibition<br />
• Nennen Sie eine andere Bezeichnung für den Begriff „Inhibition“.<br />
• Nennen Sie ein Beispiel für Inhibition in Bezug auf die Verhaltenssteuerung.<br />
• Nennen Sie ein Beispiel für Inhibition in Bezug auf die Aufmerksamkeitssteuerung.<br />
• Nennen Sie drei neuropsychologische Testverfahren zur Messung der Inhibition.<br />
• Nennen Sie drei Situationen aus dem <strong>Sport</strong>, in denen die inhibitorische Kontrolle gefordert ist.<br />
• Wie lässt sich die Inhibition <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> trainieren? Nennen Sie zwei Beispiele.<br />
Kognitive Flexibilität<br />
• Was versteht man unter kognitive Flexibilität – bezogen auf das Verhalten?<br />
• Was versteht man unter kognitive Flexibilität – bezogen auf die Aufmerksamkeit?<br />
• Nennen Sie ein neuropsychologisches Testverfahren zur Messung der kognitiven Flexibilität.<br />
• In welchen Situationen ist kognitive Flexibilität be<strong>im</strong> Lernen gefordert?<br />
• In welchen Situationen ist kognitive Flexibilität <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> gefordert?<br />
• Beschreiben Sie eine Übung aus dem <strong>Sport</strong>, die zum Training der kognitiven Flexibilität eingesetzt<br />
werden kann.<br />
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IM INTERVIEW: ARMIN EMRICH<br />
Armin Emrich ist Fachleiter für <strong>Sport</strong> am Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung<br />
in Freiburg, ehemaliger Handball-Nationalspieler und Handball-Bundestrainer.<br />
«MEIN VERHALTEN MUSS AUCH IN DER NIEDERLAGE<br />
EIN POSITIV KONSTRUKTIVES, EIN SELBSTREGULIERTES<br />
VERHALTEN SEIN.» 37<br />
Sabine Kubesch: Armin, kannst du exemplarisch aufzeigen, wie die Förderung<br />
der Selbstregulation <strong>im</strong> <strong>Sport</strong>unterricht umgesetzt werden kann?<br />
Armin Emrich: Ein Beispiel: Ich war neulich zu Gast in einer Mittelstufenklasse.<br />
Die Kollegin, die mich gebeten hat, in ihren <strong>Sport</strong>unterricht<br />
zu kommen, hatte über ihre Schüler gesagt: „Die sind so etwas von<br />
überdreht und aktiv und undiszipliniert.“ Sie hatte sie nicht <strong>im</strong> Griff.<br />
Am Ende der Stunde ging es darum, die Weichbodenmatte aufzuräumen. Ich<br />
habe folgende Aufgabe gestellt: „Schafft ihr es gemeinsam, nach einem<br />
Startkommando innerhalb von einer Minute die Weichbodenmatte ordentlich<br />
aufzuräumen? Es darf keiner mehr irgendeinen Ton von sich geben. Nur<br />
mit Blickkontakt und Körpersprache.“ Die Schüler foppen sich ja be<strong>im</strong><br />
Aufräumen. Der eine zieht an der Matte, der andere drückt, am besten<br />
liegt noch einer darunter. Sie suchen Grenzerfahrungen. Aber sie haben<br />
es ohne einen Ton geschafft. Jetzt muss natürlich die Belohnung kommen.<br />
Die Wette habe ich verloren. Es ging darum, wer den Kuchen für die letzte<br />
<strong>Sport</strong>stunde vor den Ferien backt. Das mit der Wette mache ich gerne.<br />
Das ist ja nichts anderes als ein Anreizsystem.<br />
Das heißt, du arbeitest in Situationen, in denen Schüler <strong>im</strong> <strong>Sport</strong>unterricht<br />
Schwierigkeiten haben mit der Selbstregulation, mit spielerischen Elementen.<br />
Du schaffst einen Anreiz mit einer Wette oder mit einer Belohnung,<br />
und du gibst klare Startkommandos und Zielzeiten vor.<br />
Realistische und altersgemäße Wetten, Zeitvorgaben, Belohnung. Ohne<br />
eine Herausforderung fehlt der Anreiz.<br />
Würde dir das auch gelingen, wenn du nicht nur als Gast, sondern jede Woche<br />
in dieser Klasse wärst?<br />
Davon gehe ich aus. Dabei helfen klare Regeln und Rituale. Schüler wollen<br />
gefordert sein. In meinem Unterricht ist zum Beispiel Pünktlichkeit<br />
für mich sehr wichtig. Ob das jetzt eine Schulklasse mit jüngeren Schülern<br />
ist oder eine Oberstufenklasse. Schüler fordern Regeln und deren<br />
Einhaltung ein. Selbst Erwachsene in der studentischen Ausbildung. Dort<br />
gilt: Wer als Letzter zur Tür hereinkommt, schreibt das Protokoll. Wir<br />
haben dann die Regel leicht verändert: Wer als Letzter hereinkommt und<br />
ist über die Zeit, schreibt das Protokoll. Weil der Student, der Letzter<br />
war, zu Recht gesagt hatte: „Ich bin zwar Letzter, aber ich bin<br />
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pünktlich.“ So haben wir gemeinsam die Ziele miteinander abgesteckt. Das<br />
funktioniert. Es kommt mal einer abgehetzt, weil er vorher eine Besprechung<br />
hatte; das ist der Alltag. Aber die Regel heißt: Er ist nun mal<br />
der Letzte und zu spät, ob begründet<br />
oder unbegründet, und<br />
schreibt deshalb das Protokoll.<br />
Und sie akzeptieren das,<br />
ohne Diskussion. Nun kannst du<br />
ES MUSS EINE SINNHAFTIGKEIT HIN-<br />
TER DEN SPIELREGELN SEIN, SONST<br />
BEWIRKEN WIR GAR NICHTS.<br />
fragen: Ist das Selbstregulation, Fremdregulation oder pädagogischer<br />
Drill? Es geht einfach darum, Spielregeln miteinander zu vereinbaren.<br />
Die Schüler müssen dahinterstehen und sagen: „Ok, die Spielregeln machen<br />
Sinn.“ Es muss eine Sinnhaftigkeit hinter den Spielregeln sein, sonst<br />
bewirken wir gar nichts. Und das funktioniert. Davon bin ich aufgrund<br />
langjähriger Erfahrung überzeugt.<br />
Hierzu fällt mir ein, was Monika Brunsting 38 schreibt. Sie betont <strong>im</strong> Zusammenhang<br />
mit schulischem Lernen, wie hilfreich Zeitvorgaben sind. Sie geben<br />
den Aufgaben einen sportlichen Touch.<br />
Und sie beschreibt, wie wichtig die Reflexion für den Lernprozess ist.<br />
Das kann ich voll bestätigen: Sich bewusst machen, was war, ein Feedback<br />
geben, die gemeinsame Analyse, das Ganze noch einmal reflektieren und<br />
so kontrollieren. Der Blick zurück ist deshalb so wichtig, weil wir daraus<br />
für die Zukunft lernen können (Filmverweis: Handball 8, Tanzen 6).<br />
Insbesondere be<strong>im</strong> Erlernen der Selbstregulation. Was ist gut gelaufen,<br />
was nicht? Was können wir verändern, was sind die Ziele der Klasse, und<br />
was sind meine eigenen selbstregulatorischen Ziele, damit es das nächste<br />
Mal besser läuft.<br />
Bei der Reflexion gilt, was <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem Lernen <strong>im</strong>mer gilt: Man<br />
lernt Reflexion durch Übung. Durch wiederholtes Reflektieren, wie du es<br />
am Ende jeder <strong>Sport</strong>stunde machst, werden bei den Schülern die für die Reflexion<br />
zuständigen neuronalen Netze ausgebildet und gestärkt. Das schafft<br />
eine Distanz zum Erlebten und unterstützt situationsangemessenes Verhalten<br />
gerade in den Situationen, in denen Selbstregulation schwerfällt. Also<br />
insbesondere dann, wenn Emotionen <strong>im</strong> Spiel sind.<br />
Die Emotionen spielen <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> eine herausragende Rolle. Sie zeigen<br />
sich in der Leistungsbereitschaft, <strong>im</strong> mannschaftsdienlichen Verhalten,<br />
in einem übertriebenen Eigenwillen oder in einer deutlichen Aggressionssteigerung<br />
in Bezug<br />
auf Verstöße gegen<br />
Spielregeln. Sich beherrschen,<br />
vor allem<br />
bei einem Spielstand,<br />
der für uns bedeutet:<br />
Wir sind auf der Verliererstraße.<br />
Bei einem<br />
Rückstand <strong>im</strong> Spiel<br />
ES GEHT UM DIE FRAGE, WIE KONTROLLIERE<br />
ICH MICH SELBST, WIE KONTROLLIEREN WIR<br />
UNS GEGENSEITIG?<br />
DIE SCHÜLER LERNEN NICHT NUR SIEGE<br />
GEMEINSAM ZU FEIERN, SONDERN AUCH<br />
NIEDERLAGEN GEMEINSAM ZU ERTRAGEN.<br />
steigt in der Regel Aggression, die Selbstregulation ist dringend gefordert.<br />
Die ist aber nicht bei allen Schülern gleich gut ausgeprägt.<br />
Deshalb muss ich solche Situationen besprechen, sonst schaukeln sich<br />
die Aggressionen hoch. Es geht um die Frage, wie kontrolliere ich mich<br />
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selbst, wie kontrollieren wir uns gegenseitig? Die Schüler lernen nicht<br />
nur Siege gemeinsam zu feiern, sondern auch Niederlagen gemeinsam zu<br />
ertragen. Es geht und, um die Schulung von Schlüsselkompetenzen, um Tugenden<br />
<strong>im</strong> Umgang mit anderen und Tugenden <strong>im</strong> Umgang mit mir selbst. Das<br />
bedeutet Teamfähigkeit, akzeptieren, dass der Gegner gewonnen hat, und<br />
Niederlagen ertragen lernen. Mein Verhalten muss auch in der Niederlage<br />
ein positiv konstruktives, ein selbstreguliertes Verhalten sein.<br />
Was sich hier empfiehlt: Gruppen oder Mannschaften bei einer möglichst<br />
ähnlichen Spielidee über zwei, drei oder vier Termine zusammenzulassen,<br />
damit sich dort ein Teamgeist entwickeln kann. Wenn ich heute in der<br />
Verlierermannschaft bin und das nächstes Mal in der Siegermannschaft,<br />
dann habe ich eine völlig neue Gruppe. Die Gruppendynamik ist wichtig,<br />
um Sozialkompetenz, soziales Verhalten und Selbstregulation lernen zu<br />
können. Wenn die Gruppe zu schnell wechselt, ist keine Nachhaltigkeit in<br />
diesem Lernprozess gegeben.<br />
Es kann ja auch sein, dass ich heute selbst in Topform bin, aber meine<br />
Mitspieler nicht. Jetzt muss ich lernen, dass der Teamgedanke und die<br />
Teamfähigkeit nur in gemeinsamer Bewältigung der Situation zu positiven<br />
Ergebnissen führen. Jeder muss sich mit seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />
in den Mannschaftsgedanken einbringen. Wir wissen ja alle, die<br />
Mannschaft ist nur so stark wie das schwächste Glied. Das schwächste<br />
Glied muss aber stark gemacht werden. Das muss die Gruppe machen! Gib<br />
dem Einzelnen die Chance sich einzubringen. Dazu muss ich mich selbst<br />
zurücknehmen können. Und gib du dein Bestes, um die Mannschaft stark zu<br />
machen. Das erfordert und schult die Selbstregulation.<br />
Mannschaftssportarten scheinen also <strong>im</strong> Besonderen geeignet, Selbstregulation<br />
zu üben und so zu erlernen?<br />
Exakt. Nehmen wir Streetball als eine besondere Variante, bei der die<br />
Schüler selbst anzeigen müssen, wenn sie ein Foul oder eine Regelwidrigkeit<br />
begangen haben. Das Spiel funktioniert also auch ohne Spielleiter<br />
und ohne Schiedsrichter.<br />
Ab welcher Klassenstufe spielt man Streetball?<br />
Sobald die Schüler das Regelwerk kennen, sie die Regeln und die Spielidee<br />
umsetzen können, können sie Streetball spielen. Das ist für mich keine<br />
Altersfrage. Die Schüler lernen, sich gegenseitig zu kontrollieren. War<br />
das ein Foul, oder war das kein Foul? Das funktioniert selbst bei kleinen<br />
Kindern, wenn sie Fußball auf dem Bolzplatz spielen. Sie vereinbaren die<br />
Spielfeldgröße, sie haben einen Spielball, sie vereinbaren die Torgröße,<br />
und sie vereinbaren sogar die Regeln. Dort spielen sie Fußball, in der<br />
Schülersprache heißt es: „sie bolzen“, und das Spiel gelingt. Für mich<br />
müssen dabei drei Bedingungen erfüllt sein. Erstens: Gelingt das Spiel?<br />
Zweitens: Sind alle Schüler einbezogen? Nur wenn sie einbezogen und<br />
nicht ausgeschlossen sind, können sie sich am Spiel aktiv beteiligen.<br />
Nur wenn sie aktiv beteiligt sind, können sie Spielfähigkeit erwerben.<br />
Drittens: Macht das Spiel Spaß? Spielspaß beinhaltet Erfolgserlebnisse.<br />
Sie können ihre Leistungen auf sich und ihre Mannschaft zurückführen.<br />
Sie sind motiviert, weil sie Erfolgserlebnisse haben. Und die Erfolgs-<br />
Seite 40
erlebnisse bewirken wieder eine höhere Leistungs- und Lernbereitschaft,<br />
aber innerhalb der vereinbarten Regeln, die die Kinder selbst draußen<br />
be<strong>im</strong> freien Spiel aufstellen. Sie sind bereits in der Lage, das Spiel<br />
zu initiieren, das Spiel aufrechtzuerhalten bzw. das Spiel wieder in<br />
Gang zu setzen, wenn es zu einer Spielstockung wegen Meinungsverschiedenheiten<br />
oder Regelwidrigkeiten kommt. Das ist nichts anderes als eine<br />
Anwendung und Weiterentwicklung der Selbstregulation.<br />
Aber zurück zum <strong>Sport</strong>unterricht:<br />
Ich kann als <strong>Sport</strong>lehrer<br />
nicht gleichzeitig in drei Feldern<br />
Schiedsrichter sein. Nun<br />
kann man Schülerschiedsrichter<br />
einsetzen. Allerdings versuchen<br />
Schüler, <strong>im</strong>mer wenn ein<br />
Schülerschiedsrichter eingesetzt<br />
wird, Regelwidrigkeiten<br />
zu provozieren. Denn was der<br />
Schülerschiedsrichter nicht<br />
pfeift, ist ja richtig. Haben<br />
wir keinen Schiedsrichter,<br />
KINDER HABEN, WENN SIE ZUM<br />
SPORTUNTERRICHT KOMMEN, IN DER<br />
REGEL EINEN GANZ NORMALEN UND<br />
GESUNDEN BEWEGUNGSDRANG.<br />
WENN SIE IN IHREM BEWEGUNGS-<br />
DRANG SICH ZUNÄCHST EINFACH<br />
NUR MAL AUSTOBEN WOLLEN –<br />
SCHREIEN, JUBELN, LAUFEN –, DANN<br />
SOLLEN SIE DIESE PHASE HABEN. DA-<br />
FÜR IST DER SPORTUNTERRICHT DA.<br />
sind die Schüler selbst verantwortlich. Das heißt, das selbstinitiierte<br />
Spiel und das selbstständige Einhalten von Regeln dient der Schulung der<br />
Selbstregulation.<br />
Welche Herausforderungen stellt der Beginn der <strong>Sport</strong>stunde dar?<br />
Kinder haben, wenn sie zum <strong>Sport</strong>unterricht kommen, in der Regel einen<br />
ganz normalen und gesunden Bewegungsdrang. Wenn sie in ihrem Bewegungsdrang<br />
sich zunächst einfach nur mal austoben wollen – schreien, jubeln,<br />
laufen –, dann sollen sie diese Phase haben. Dafür ist der <strong>Sport</strong>unterricht<br />
da. Was wichtig ist in Verbindung mit den exekutiven Funktionen<br />
und der Selbstregulation: Es muss klare Regeln geben. Was sind unsere<br />
Spielregeln, wenn wir gemeinsam zur <strong>Sport</strong>halle laufen oder wenn ich die<br />
Halle betrete? Was darf ich, was darf ich nicht? Was ist sinnvoll? Denn<br />
auch hier gilt wieder: Die Regel muss für die Kinder eine Sinnhaftigkeit<br />
haben. Kurze Zeit später, <strong>im</strong> Unterricht, ist konzentriertes Zuhören an<br />
der Reihe. Diese Phasen des konzentrierten Zuhörens müssen konsequent<br />
eingefordert und mit den Kindern geübt werden.<br />
Wie erlernen die Kinder diese Umstellungsfähigkeit? Gerade war noch die<br />
Phase des Tobens, kurz darauf benötigen sie die Flexibilität und Inhibition,<br />
weil es jetzt darauf ankommt, still und aufmerksam zu sein. Viele Kinder<br />
haben größere Probleme mit der Umstellungsfähigkeit. Wie begleitet man<br />
solche Übergänge? Und wie begleitet man Kinder mit schwach ausgebildeten<br />
exekutiven Funktionen, denen die Umstellungsfähigkeit besonders schwerfällt?<br />
Gibt man diesen Kindern mehr Zeit? Was sollte ein Lehrer in solchen<br />
Situationen tun? Wie übt er die kognitive Flexibilität?<br />
Als Praktiker bedeutet das für mich, klare Grenzen zu setzen und nicht<br />
länger Zeit zu geben. Wenn ich länger Zeit gebe, bedeutet das doch, ich<br />
muss mich noch nicht konzentrieren. Soll die Selbstregulation und die<br />
<strong>Fokus</strong>sierung jetzt greifen, dann genau jetzt und nicht später. Dabei<br />
Seite 41
kann ein akustisches Zeichen helfen, ein Zuruf, ein Pfiff. Dann ist<br />
klar, zwischen diesem und dem nächsten Pfiff ist eine konzentrierte Phase.<br />
Und in dieser Phase muss sich jeder regulieren, und ich muss auf den,<br />
der das nicht kann, besonders achten. Für mich gibt es keine Überlegung,<br />
dort einen Zeitpuffer, eine Zeitspanne zu setzen. Jetzt heißt es, sich<br />
zu konzentrieren. Das ist die Regel.<br />
Zuvor erziele ich einen Übergang durch eine klare Ansage: „Jetzt noch<br />
fünf Minuten freies Spiel, dann kommen wir zusammen und starten los!“<br />
Das ist ein Intervall zur Vorbereitung. Das bedeutet, in fünf Minuten<br />
muss ich mich neu orientieren. Sind die fünf Minuten vorüber, gibt es<br />
keine Übergangsphase mehr, weder für die, die sich gut steuern können,<br />
noch für die Kinder, die mit der Selbstregulation größere Schwierigkeiten<br />
haben. Dann heißt es, sich zu beherrschen und sich zu konzentrieren.<br />
Wenn die fünf Minuten vorbei sind – Schnitt! Dann darf es keinen<br />
zeitlichen Puffer mehr geben. Das muss klar sein. Eine Differenzierung<br />
ist für mich nur gegeben, wie lange jetzt ein konzentriertes Arbeiten<br />
möglich ist. Es gibt Schüler, die können sich länger konzentrieren und<br />
andere kürzer. Dort muss ich differenzieren. Ich muss mit ihnen üben,<br />
sich zunehmend länger zu konzentrieren. Aber wenn ein Startpunkt gesetzt<br />
wird, muss die Konzentration, die Aufmerksamkeit eingefordert werden.<br />
Mit der Aufmerksamkeitssteuerung und der Umstellungsfähigkeit sind wir<br />
bei den exekutiven Funktionen, die ja der Fähigkeit zur Selbstregulation<br />
unterliegen. Anders formuliert: Gut ausgebildete exekutive Funktionen unterstützen<br />
die Fähigkeit zur Selbstregulation. Woran erkennst du <strong>im</strong> <strong>Sport</strong>unterricht,<br />
ob Schüler über gut oder weniger gut ausgebildete exekutive<br />
Funktionen verfügen?<br />
Wenn wir exemplarisch Spiele nehmen. Kleine Spiele, kleine <strong>Sport</strong>spiele,<br />
große <strong>Sport</strong>spiele, dann sieht man deutliche Unterschiede in den<br />
exekutiven Funktionen, natürlich auch altersspezifische Unterschiede.<br />
Ein einfaches Parteispiel bedeutet: miteinander spielen, das Erkennen<br />
der eigenen Situation und die der Mitspieler und Gegenspieler. Ich muss<br />
bei jedem Ballkontakt Entscheidungen treffen. Selbst ohne Ballkontakt<br />
muss ich eine Entscheidung treffen. Das bedeutet, Ballung vermeiden,<br />
anbieten, freilaufen. Das betrifft auch die taktische Fähigkeit, sich<br />
spielgemäß, situationsbedingt zu verhalten und gleichzeitig die vereinbarten<br />
Regeln zu berücksichtigen. Bei den kleinen <strong>Sport</strong>spielen gibt es<br />
viele Regeln. Zudem werden Variablen der Spielorganisation dort ständig<br />
verändert. Das heißt, wir verändern Spielregeln, Spielfeld, Spielball,<br />
Spielerzahl. Diese Veränderungen muss ich <strong>im</strong> Arbeitsgedächtnis<br />
aufrechterhalten, um flexibel entscheiden zu können. Davon betroffen<br />
sind auch alle koordinativen Elemente wie Geschicklichkeit, Beweglichkeit,<br />
Orientierungsfähigkeit, Differenzierungsfähigkeit. In Bezug auf<br />
die exekutiven Funktionen bedeutet das, Spielsituationen zu erkennen<br />
und Entscheidungen zu treffen. In der Flüssigkeit des Spiels oder, anders<br />
ausgedrückt, an der Geschwindigkeit, in der ich eine Spielsituation<br />
wahrnehme, erkenne und meine Entscheidung treffe, zeigt sich, wie stark<br />
die exekutiven Funktionen ausgeprägt sind. Selbst bei Grundschulkindern<br />
sieht man unterschiedliche Fähigkeiten, den Ball anzunehmen und den Ball<br />
zunächst einmal zu kontrollieren, was natürlich auch mit der technischen<br />
Fertigkeit zu tun hat. Je größer die Gruppe, desto schwerer fällt es<br />
gerade den kleinen Kindern, eine Entscheidung zu treffen.<br />
Seite 42
Jetzt haben wir viel über Mannschaftssportarten gesprochen. Wo findet das<br />
Training exekutiver Funktionen in den Individualsportarten statt?<br />
Zum Beispiel in der<br />
Leichtathletik be<strong>im</strong><br />
Weitsprung: Du musst<br />
zielgenau vom Brett abspringen,<br />
du darfst<br />
nicht übertreten. Wir<br />
springen zunächst aus<br />
einem größeren Intervall,<br />
dann machen wir das<br />
Intervall kleiner. Dabei<br />
DA DAS ARBEITSGEDÄCHTNIS EIN SEHR<br />
GUTER PRÄDIKTOR FÜR SCHULISCHE<br />
LERNLEISTUNGEN IST, SOLLTE DAS AR-<br />
BEITSGEDÄCHTNIS DER SCHÜLER GEZIELT<br />
TRAINIERT WERDEN. HIERZU BIETET DER<br />
SPORTUNTERRICHT ZAHLREICHE MÖG-<br />
LICHKEITEN.<br />
sind exekutive Funktionen gefordert, wie Aufmerksamkeitssteuerung, Inhibition,<br />
Flexibilität und auch planvolles Vorgehen. Oder be<strong>im</strong> Turnen:<br />
Hier müssen sich die Schüler zunächst die einzelnen Elemente einer Übung<br />
merken, diese umsetzen und in Bruchteilen von Sekunden die Aufmerksamkeit<br />
auf die jeweils kritischen Punkte bei der Bewegungsausführung<br />
lenken: die Kippbewegung <strong>im</strong> richtigen Moment einleiten, die Ellenbogen<br />
<strong>im</strong> Stütz am Reck durchdrücken, kurz danach die Beine be<strong>im</strong> Umschwung parallel<br />
halten, die Füße strecken und so weiter. Und dies be<strong>im</strong> Vorturnen<br />
oder bei der Benotung unter Nervosität und Anspannung. Das schult die<br />
exekutiven Funktionen und die Selbstregulation. Und eine eingeübte Bodenbahn<br />
wird zum Arbeitsgedächtnistraining, wenn die Schüler den Ablauf<br />
rückwärts turnen. Das heißt, ich beginne mit der letzten Übung und ende<br />
mit der ersten. Solche Arbeitsgedächtnisaufgaben lassen sich beliebig<br />
variieren: Ich beginne mit dem mittleren Element und turne dann zunächst<br />
die Übung, die dem mittleren Element vorausgeht, und anschließend die<br />
Übung, die diesem Element nachfolgt. Es gibt erste Studien, die belegen,<br />
dass ein kombiniert körperlich-kognitives Training des Arbeitsgedächtnisses<br />
stärkere Effekte auf das Arbeitsgedächtnis erzielt als ein<br />
rein kognitives. Da das Arbeitsgedächtnis ein sehr guter Prädiktor für<br />
schulische Lernleistungen ist, sollte das Arbeitsgedächtnis der Schüler<br />
gezielt trainiert werden. Hierzu bietet der <strong>Sport</strong>unterricht zahlreiche<br />
Möglichkeiten.<br />
Stellt der <strong>Sport</strong>unterricht denn auch besondere Ansprüche an die exekutiven<br />
Funktionen der <strong>Sport</strong>lehrer?<br />
Der <strong>Sport</strong>unterricht beinhaltet eine hohe Emotionalität, verbunden mit<br />
einer hohen Bewegungsintensität. Diese Intensität der Emotionalität und<br />
der Bewegungsintensität haben wir in keinem anderen Unterricht, in keinem<br />
anderen Unterrichtsraum, ob jetzt Frontalunterricht oder Gruppenunterricht.<br />
Die Organisationsform spielt keine Rolle. Die <strong>Sport</strong>lehrer<br />
benötigen eine hohe Selbstregulation in Bezug auf organisatorisches<br />
Vorgehen, in Bezug auf Führung der Klasse, in Bezug auf Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten,<br />
Umgang mit Emotionen und mit Aggressionen. Dafür<br />
ist es notwendig, selbst sehr gut kontrolliert und reguliert zu sein,<br />
um in der richtigen Art und Weise pädagogisch wertvoll zu agieren und zu<br />
reagieren, insbesondere, wenn es zu emotional unkontrolliertem Verhalten<br />
von Schülern kommt. Denn die unkontrollierte Emotionalität des Schülers<br />
provoziert natürlich eine Gegenreaktion des Lehrers, und das darf bei<br />
ihm nicht in eine Überreaktion ausarten.<br />
Seite 43
Wie viel an Rückmeldung erfolgt <strong>im</strong> <strong>Sport</strong>unterricht individualisiert?<br />
Höchst intensiv. Da sind wir be<strong>im</strong> Coaching. Zurufen, Lob, anstacheln,<br />
motivieren, begleiten, verbale Hilfestellungen: „Streng dich an!“, „Lauf<br />
zurück!“, „Hilf!“. Im <strong>Sport</strong>unterricht muss ich ständig individuelle<br />
Rückmeldung geben.<br />
Du bist mit deiner Aufmerksamkeit also <strong>im</strong>mer be<strong>im</strong> Schüler?<br />
Ja. Hier müssen wir aber auch klar unterscheiden zwischen dem Unterricht<br />
<strong>im</strong> Klassenz<strong>im</strong>mer und dem in der <strong>Sport</strong>halle. In der <strong>Sport</strong>halle ist nahezu<br />
<strong>im</strong>mer beobachtbar, was der Schüler gerade macht. Was <strong>im</strong> Klassenz<strong>im</strong>mer ja<br />
nicht so der Fall ist. Ich sehe nicht, was hat der da für ein Problem an<br />
seinem Platz. Aber ich sehe, ob er den Korbleger richtig ausführt oder<br />
nicht. Oder ob er zu spät anläuft, zu schräg anläuft, zu früh oder zu<br />
spät abspringt. Das Verhalten ist beobachtbar, und damit sind auch die<br />
exekutiven Funktionen beobachtbar. Gleichzeitig ist die Einzelkorrektur<br />
für jeden anderen Schüler eine Orientierung. Wenn ich den Zuruf be<strong>im</strong><br />
Korbleger: „Ellbogen unter den Ball“ gebe, hören das alle und kontrollieren<br />
sich selbst. Ich arbeite dabei gerne mit einfachen Merksätzen.<br />
Im Volleyball: „Hör deine Technik.“ Ist ein Klatschen oder ein lockeres<br />
Klacken zu hören? Während der Technikphase sollte aber absolute Ruhe in<br />
der Halle herrschen, die Konzentration liegt auf: „Hör deine Technik.<br />
Hör deine eigene Technik und hör die Technik von deinem Partner.“ Und<br />
die Schüler sagen dann: „Hey, das war ein Klatscher.“<br />
Wie entscheidend ist die Persönlichkeit des <strong>Sport</strong>lehrers, wie entscheidend<br />
ist sein methodisches Vorgehen?<br />
Ich glaube, dass der <strong>Sport</strong>lehrer die entscheidende Person ist. Was erwarten<br />
die Schüler von einem Lehrer? Fachkenntnis, eine klare Ansage,<br />
Verlässlichkeit und eine gute Beziehungsebene. Die Beziehungsebene prägt<br />
der Lehrer. Wenn die nicht funktioniert, herrscht keine motivierende<br />
Lernatmosphäre. In diesem Fall nützt der beste methodische Vermittlungsweg<br />
nichts. Der Lehrer wird seine Schüler auf der Beziehungs-und Sachebene<br />
nicht erreichen, er wird sie nicht „am Nerv treffen“. Der Lehrer<br />
selbst ist der Dreh- und Angelpunkt des Unterrichts- und Lerngeschehens.<br />
Es liegt also kein Widerspruch darin, wenn ein Lehrer streng ist, regelgeleitet<br />
vorgeht, Disziplin einfordert und gleichzeitig seinen Schülern viel<br />
Wertschätzung entgegenbringt?<br />
Ohne Wertschätzung kannst du Regeln aufstellen und einfordern wie du<br />
willst. Es muss beides <strong>im</strong> Gleichschritt gehen, es muss beides vorhanden<br />
sein.<br />
Man neigt dazu, <strong>im</strong>mer dann, wenn etwas nicht gut läuft, zu tadeln, wenn etwas<br />
gut läuft, erachtet man das oftmals als selbstverständlich – auch oder<br />
gerade <strong>im</strong> Zusammenhang mit der Selbstregulation. Das Lob bleibt häufig aus.<br />
Seite 44<br />
Es braucht auch dann, wenn es gut funktioniert, eine deutliche Rückmeldung,<br />
Anerkennung, Zuwendung. Das Lob ist ein Feedback an die Schüler,<br />
sie motiviert nach Hause schicken, damit sie Lust bekommen auf die<br />
nächste Stunde.
Damit sie Lust aufs Lernen bekommen?<br />
Genau, Lust auf Leistung, Lust auf Anstrengung und Lust aufs Lernen!<br />
Kommt es in diesem Zusammenhang nicht auch darauf an, Situationen, in<br />
denen Schüler nicht gut selbstreguliert sind, als Chance zu begreifen,<br />
Selbstregulation mit ihnen üben zu können? Denn ohne wiederkehrendes Üben<br />
können sie es nicht lernen. Wir wissen, dass die kindliche Selbstregulationsfähigkeit,<br />
weitgehend unabhängig von der sozialen Herkunft der Kinder,<br />
unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrer Intelligenz, best<strong>im</strong>mt, wie erfolgreich,<br />
wohlhabend, gesund und sozial integriert die Schüler in ihrem<br />
weiteren Lebensverlauf sein werden.<br />
Das muss hier deutlich hervorgehen. Das hat mich als Junglehrer <strong>im</strong>mer<br />
genervt. Warum schon wieder? Ich hab‘s doch erst gesagt. Man denkt, Hebel<br />
umgelenkt und es funktioniert. Tür <strong>im</strong> Schloss und zu. Aber an jedem<br />
Tag musst du wieder und wieder und wieder mit den Schülerinnen und Schülern<br />
an ihrem Verhalten, an ihrer Selbstregulationsfähigkeit arbeiten!<br />
Seite 45
2 EINBLICKE IN DAS GEHIRN<br />
RÜCKBLICK<br />
Im ersten Kapitel haben Sie wichtiges Grundlagenwissen zu den exekutiven Funktionen erworben. Sie haben<br />
nun drei zentrale exekutive Funktionen vor C3 Augen: das Arbeitsgedächtnis, P3 die Inhibition und die kognitive<br />
Flexibilität. Sie haben erfahren, dass diese Stirnhirnfunktionen trainierbar und sowohl für den Lernerfolg wie<br />
auch für die sportliche Leistungsfähigkeit von großer Bedeutung sind. Und Sie haben neuropsychologische<br />
Testverfahren kennengelernt, die zur Untersuchung und teilweise zum Training exekutiver Funktionen eingesetzt<br />
werden.<br />
Kombiniert man die neuropsychologischen Testverfahren mit dem Einsatz moderner bildgebender Verfahren<br />
wie der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) N2oder dem Elektroenzephalogramm (EEG) werden<br />
Gehirnaktivtäten und Gehirnstrukturen sichtbar, die bei der Bearbeitung neuropsychologischer Aufgaben<br />
aktiv sind.<br />
O1<br />
+20µV<br />
C4<br />
O2<br />
CNV<br />
-20µV<br />
Das Elektroenzephalogramm misst die elektrische Aktivität feuernder Neuronen an der Schädeloberfläche. 1<br />
700 -600 -400 -200 0 200 -400 600 700 700 -600 -400 -200 0 200<br />
Flanker- Target-<br />
T<strong>im</strong>e (ms)<br />
Onset Onset<br />
1,5 Tesla Magnetresonanztomograph 2<br />
Die funktionelle MR-Bildgebung (fMRT) ermöglicht es, die neuronale Aktivität kognitiver und perzeptueller<br />
Leistungen darzustellen. Sauerstoffreiches Blut wird zu den aktiven Neuronen transportiert, dadurch haben<br />
die aktiven Neurone andere magnetische Eigenschaften als nicht aktive Neurone. Diese Unterschiede in der<br />
Gehirnaktivität macht das fMRT sichtbar.<br />
Seite 46
AUSBLICK<br />
Im folgenden Kapitel werfen wir einen Blick in das Gehirn. Wir werden uns ein Bild davon machen, welche<br />
Gehirnstrukturen gefordert sind, wenn man das visuell-räumliche Arbeitsgedächtnis, die Inhibition und die<br />
kognitive Flexibilität bei der Bearbeitung einer Blockspannen-, einer Stopp-Signal- und einer Switch-Aufgabe<br />
einsetzt. Dadurch wird die besondere Bedeutung des präfrontalen Kortex für die Steuerung exekutiver Funktionen<br />
deutlich, wenn auch weitere kortikale und subkortikale (unter der Großhirnrinde gelegene) Strukturen<br />
die exekutiven Funktionen beeinflussen und damit ein weitverzweigtes Netzwerk an kognitiven Kontrollprozessen<br />
beteiligt ist.<br />
EIN BLICK AUF DAS GEHIRN<br />
Doch zunächst betrachten wir das Gehirn von außen. Es liegt <strong>im</strong> Inneren des Kopfes, <strong>im</strong> Schädel. Der Schädel<br />
schützt das Gehirn vor Verletzungen und Erschütterungen. In der Abbildung ist die linke der beiden Großhirnhälften<br />
(Cerebrum) dargestellt. Auffällig ist die gefaltete Struktur der Großhirnrinde (Kortex). Die Faltungen<br />
sind <strong>im</strong> Laufe der Evolution entstanden, da das Volumen des Kortex schneller gewachsen ist als der Schädel.<br />
Die Windungen werden als Gyri (Singular: Gyrus) und die Furchen als Sulci (Singular: Sulcus) bezeichnet. Am<br />
hinteren unteren Bereich des Kortex liegt das Kleinhirn (Cerebellum), das mit dem Hirnstamm verbunden ist.<br />
Der Hirnstamm geht nach unten in das Rückenmark über. Er reguliert Aufmerksamkeits- und Wachheitszustände<br />
und steuert lebenswichtige Funktionen wie die Atmung und den Herzschlag. 3<br />
Großhirn<br />
Kleinhirn<br />
Lage des Gehirns <strong>im</strong> Schädel. 4<br />
Seite 47
Das Kleinhirn weist ebenfalls eine stark gefurchte Oberfläche auf. Es erhält sensorische Informationen aus<br />
dem Rückenmark sowie motorische Informationen aus der Großhirnrinde und weitere Informationen über<br />
das Gleichgewicht aus dem Innenohr. Über diese Informationen reguliert das Kleinhirn Kraft und Ausmaß<br />
sowie Planung und zeitliche Abfolge von Bewegungen. Darüber hinaus kontrolliert es die Körperhaltung und<br />
die Koordination von Kopf- und Augenbewegungen. 5 Das Kleinhirn unterstützt aber nicht nur motorische<br />
Prozesse und Lernvorgänge, sondern auch kognitive Fähigkeiten, indem es Funktionen des Kortex moduliert. 6<br />
Man n<strong>im</strong>mt an, dass das Kleinhirn über seine reziproken (wechselseitigen) Verbindungen zum dorsolateralen<br />
präfrontalen Kortex auch auf die exekutiven Funktionen einwirkt. Es beeinflusst Planungs- und Handlungsfunktionen,<br />
die Problemlösefähigkeit und auch das Arbeitsgedächtnis. 6 Die Interaktion des präfrontalen Kortex<br />
mit dem Kleinhirn kann eine Erklärung dafür liefern, weshalb insbesondere noch nicht automatisierte<br />
koordinative Übungen, bei denen sowohl das Kleinhirn als auch Aufmerksamkeitsprozesse des präfrontalen<br />
Kortex stark gefordert sind, positiv auf die exekutiven Funktionen einwirken.<br />
DER PRÄFRONTALE KORTEX – THE NEW KID ON THE BLOCK 7<br />
Betrachten wir nun den präfrontalen Kortex etwas detaillierter:<br />
Der präfrontale Kortex umfasst den vorderen Teil und damit rund die Hälfte des Frontallappens, dem stammesgeschichtlich<br />
(phylogenetisch) jüngsten Teil des Neokortex. Er grenzt sich von den hinteren Anteilen des<br />
Frontallappens ab, zu denen der pr<strong>im</strong>ärmotorische (Ausführung von Bewegungen), der prämotorische (Bewegungsplanung,<br />
Einleitung von Bewegungen), der supplementärmotorische (Bewegungsplanung) sowie der<br />
vordere cinguläre Kortex (kortikaler Anteil des l<strong>im</strong>bischen Systems; zuständig für die Überwachung von Handlungen<br />
und deren Folgen) zählen. 8,9<br />
Der präfrontale Kortex ist be<strong>im</strong> Menschen am stärksten ausgeprägt. Er n<strong>im</strong>mt einen Anteil von 29 Prozent <strong>im</strong><br />
Gesamtkortex ein (gegenüber 3,5 Prozent bei Katzen und 11,5 Prozent bei Makaken, die zu den anpassungsfähigsten<br />
Pr<strong>im</strong>aten zählen). Aufgrund seiner max<strong>im</strong>alen Ausdehnung be<strong>im</strong> Menschen gilt der präfrontale Kortex<br />
als der „menschlichste“ Teil des Gehirns, der Bewusstsein, Selbstbewusstsein und die Fähigkeit, Konzepte<br />
und Perspektiven zu entwickeln, ermöglicht. 8<br />
Der präfrontale Kortex selbst wird unterteilt in einen dorsolateralen präfrontalen, einen medialen und einen<br />
orbitofrontalen Anteil. 10<br />
DER BLICK IN DAS GEHIRN<br />
Der präfrontale Kortex hat vielfältige Verbindungen zu anderen Gehirnstrukturen, so z.B. zum Thalamus <strong>im</strong><br />
Zwischenhirn (aufgrund seiner starken wechselseitigen Faserbeziehungen zum Kortex bzw. zur Großhirnrinde<br />
auch „Tor zur Großhirnrinde“ genannt 11 ) und zu den Basalganglien unterhalb der Großhirnrinde. Diese drei<br />
Gehirnbereiche bilden eine Funktionsschleife, in der sowohl sensorische als auch motorische und kognitive<br />
Informationen verarbeitet werden. 12 Darüber hinaus steht der präfrontale Kortex, neben dem cingulären Kortex,<br />
mit zwei weiteren wichtigen Strukturen des l<strong>im</strong>bischen Systems <strong>im</strong> Austausch: mit dem Hippokampus<br />
und mit der Amygdala (Mandelkern). Beide befinden sich sowohl in der rechten als auch in der linken Gehirnhälfte<br />
tief <strong>im</strong> Innern des Schläfenlappens (Temporallappen). Der Hippokampus spielt eine bedeutende Rolle<br />
für Lern- und Gedächtnisprozesse. Der Mandelkern gilt <strong>im</strong> Zusammenhang mit der Verarbeitung von Emotionen<br />
als die wichtigste Struktur des l<strong>im</strong>bischen Systems. 4 Über diese Verbindungen nehmen der präfrontale Kortex<br />
und die exekutiven Funktionen Einfluss auf emotionale Prozesse und auf Lern- und Gedächtnisleistungen.<br />
Oberhalb der Hippocampi und der Mandelkerne befindet sich das Corpus callosum (Balken). Dieses große<br />
Faserbündel ermöglicht den Informationsaustausch zwischen den beiden Gehirnhälften.<br />
Seite 48
Seite 49
ANATOMISCHE UND FUNKTIONALE ASYMMETRIEN<br />
Man n<strong>im</strong>mt an, dass Menschen, die keinen ausgeprägten Rechts-Links-Unterschied aufweisen, über einen<br />
intensiveren Informationsaustausch zwischen den beiden Gehirnhälften (Hemisphären) verfügen als Personen<br />
mit starkem Rechts-Links-Unterschied. 13 Mit diesem interhemisphärischen Austausch stehen vermutlich<br />
strukturelle und funktionale Rechts-Links-Asymmetrien in Verbindung, die auch als Lateralisierung bezeichnet<br />
werden. 13<br />
Anatomische (strukturelle) Asymmetrien finden sich beispielsweise <strong>im</strong> Kleinhirn. Die rechte Kleinhirnhemisphäre<br />
(insbesondere bei Rechtshändern) hat ein größeres Volumen als die linke. Ähnlich verhält es sich mit<br />
dem Hippokampus. Der Hippokampus in der rechten Hemisphäre ist in der Regel größer als der Hippokampus<br />
in der linken Hemisphäre. Dagegen ist die kortikale Dichte <strong>im</strong> linken lateralen (seitlichen) Frontalkortex größer<br />
als <strong>im</strong> rechten. 13<br />
Funktionale Asymmetrien, die sich vermutlich aus genetischen Faktoren und aus Zufallsfaktoren entwickeln,<br />
zeigen sich in Wahrnehmungsleistungen sowie in kognitiven Leistungen und in der motorischen Kontrolle.<br />
Während beispielsweise auditorische Sprachlaute vor allem linkshemisphärisch verarbeitet werden, erfolgt<br />
die Verarbeitung von Musik oder von Umgebungsgeräuschen rechtsseitig. Die rechte Großhirnhälfte steuert<br />
schwerpunktmäßig die sensorischen und motorischen Prozesse der linken Körperhälfte, die linke Großhirnhälfte<br />
dagegen die der rechten Körperhälfte. Gleichzeitig erfolgt die Steuerung der Fein- und Zielmotorik vor<br />
allem durch die linke Großhirnhälfte, die Haltung und der Stand werden vermehrt von der rechten Hemisphäre<br />
beeinflusst.<br />
Funktionale Asymmetrien, die kognitive Leistungen betreffen, findet man u.a. <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem<br />
Hippokampus, den exekutiven Funktionen und bei Entscheidungsprozessen, bei denen der rechte präfrontale<br />
Kortex stärker durchblutet ist als der linke. Der linksseitige Hippokampus wirkt stärker an der Encodierung<br />
(Entschlüsselung) und dem Abruf verbaler Informationen mit, dagegen werden räumliche Informationen verstärkt<br />
vom rechten Hippokampus verarbeitet. Die selektive Aufmerksamkeit ist, wie die Selbstkontrolle, vor<br />
allem eine Leistung der rechten Gehirnhälfte; das verbale Arbeitsgedächtnis wird dagegen schwerpunktmäßig<br />
von der linken Hemisphäre gesteuert.<br />
Trotz all dieser Asymmetrien geht man davon aus, dass beide Gehirnhälften sich bei den verschiedenen spezifischen<br />
Funktionen gegenseitig ergänzen, also in komplementärer Form zusammenarbeiten, weshalb die<br />
Untersuchung dieser Interaktionen zunehmend in den <strong>Fokus</strong> der Wissenschaft rückt. 13 Kehren wir nun aber<br />
wieder zum präfrontalen Kortex und damit auch zu den exekutiven Funktionen zurück.<br />
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Seite 51
PRÄFRONTALE SCHÄDIGUNGEN<br />
Untersuchungen an Patienten mit Frontalhirnschädigungen haben das Wissen über die Funktionen des präfrontalen<br />
Kortex entscheidend erweitert. Dabei führen Schäden (Läsionen) in diesem Bereich des Gehirns,<br />
verursacht z.B. durch Unfälle, Schlaganfälle, Anfalls- und Tumorerkrankungen, teilweise zu gegensätzlichen<br />
Symptomen, die sich auf der Ebene von Persönlichkeitsveränderungen, des Sozialverhaltens und der kognitiven<br />
Leistungsfähigkeit widerspiegeln.<br />
Wesensveränderungen<br />
Während Läsionen <strong>im</strong> medialen präfrontalen Kortex in der Regel keine stärkeren Beeinträchtigungen der Intelligenz,<br />
der Sprache oder des deklarativen Gedächtnisses (Gedächtnis für Fakten und Ereignisse) zur Folge<br />
haben, führen sie nicht selten zu Wesensveränderungen, die sich in zwei Formen ausprägen können:<br />
1. in einer Antriebsstörung mit Aktivitätsverlust bis hin zum akinetischen Mutismus, bei dem die Patienten<br />
zwar wach, aber erstarrt und regungslos sind oder<br />
2. in Form einer Enthemmung, mit grundloser Heiterkeit, sprunghaftem Verhalten, labiler, meist heiterer,<br />
aber auch schnell umschlagender St<strong>im</strong>mung und reduzierter Empathiefähigkeit. 10<br />
Diese Wesensveränderungen sind in der Regel auf Schädigungen <strong>im</strong> orbitofrontalen und ventromedialen<br />
präfrontalen Kortex zurückzuführen. Patienten mit Läsionen in diesen Arealen sind zwar häufig in der Lage,<br />
die Konsequenzen ihres Verhaltens und das Verhalten anderer Personen richtig einzuschätzen, sie zeigen aber<br />
ein gestörtes Sozialverhalten, das u.a. mit verminderten Inhibitionsfunktionen in Zusammenhang gebracht<br />
wird. 10<br />
Beeinträchtigungen der exekutiven Funktionen<br />
Weitere, durch Frontalhirnschädigungen beeinträchtigte exekutive Funktionen zeigen sich be<strong>im</strong> Problemlösen,<br />
be<strong>im</strong> Planen und Entscheiden sowie bei der Initiierung und Inhibition von Handlungen. Man spricht in<br />
diesem Zusammenhang von einem dysexekutiven Syndrom, das aber nicht nur durch Schädigungen <strong>im</strong> präfrontalen<br />
Kortex, sondern auch durch Läsionen in anderen kortikalen und subkortikalen Arealen verursacht<br />
wird. 10<br />
Schädigungen <strong>im</strong> präfrontalen Kortex können dabei in Abhängigkeit ihrer Lokalisation zwei Kategorien zugeordnet<br />
werden:<br />
1. Dorsolaterale Hirnschädigungen bewirken eine mangelnde Fähigkeit, Handlungen planen zu können.<br />
2. Frontomediale Schädigungen führen verstärkt zu einem Energieverlust. Diese Patienten sind häufig unentschlossen<br />
und entscheidungsarm. 10<br />
Schädigungen <strong>im</strong> medialen präfrontalen Kortex äußern sich zudem in Form von Regelverstößen bzw. <strong>im</strong><br />
Missachten von Instruktionen. Regelverstöße sind teilweise auf eine allgemeine Überforderungssituation<br />
aufgrund einer gestörten Monitoring-Funktion zurückzuführen. Diese Überwachungsfunktion dient der<br />
Regulierung des Verhaltens bei sich verändernder äußerer Umgebung bzw. bei veränderten Umgebungsreizen.<br />
Beeinträchtigungen der kognitiven Flexibilität aufgrund von frontalen Hirnschädigungen äußern sich<br />
in perseverativem (verharrendem) Verhalten und rigiden (starren) Antwortmustern. Gleichzeitig können auch<br />
Arbeitsgedächtnisdefizite Folge einer Frontalhirnschädigung sein. 10<br />
Läsionsstudien machen den Zusammenhang des präfrontalen Kortex mit den exekutiven Funktionen deutlich,<br />
die auf den Antrieb, die Emotionalität, das Sozialverhalten und so auf die Gesamtpersönlichkeit des Menschen<br />
Einfluss nehmen können. 10<br />
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Seite 53
EXEKUTIVE FUNKTIONEN IM SCANNER<br />
In den nachfolgenden Abbildungen sind die Gehirnstrukturen hervorgehoben, die bei der Bearbeitung einer<br />
Blockspannen-, einer Stopp-Signal- und einer Task-Switch-Aufgabe (bei gesunden Probanden) aktiv sind.<br />
Die Testverfahren sind in diesem Buch auf den Seiten 14 (Blockspanne/visuell-räumliches Arbeitsgedächtnis),<br />
23 (Stopp-Signal-Aufgabe/Inhibition) und 26f. (Task Switch/kognitive Flexibilität) beschrieben. Da das<br />
visuell-räumliche Arbeitsgedächtnis, die Impulskontrolle und die kognitive Flexibilität wichtige Funktionen<br />
und Fähigkeiten für den sportlichen Erfolg sind, wird an diesen Abbildungen nochmals deutlich, wie wichtig<br />
insbesondere der präfrontale Kortex auch für die sportliche Leistungsfähigkeit ist.<br />
ARBEITSGEDÄCHTNIS<br />
WAHRNEHMEN<br />
WETTKAMPF<br />
DERLAGE<br />
GEGNER AKTION ENTSCHEIDUNG SIEG NIE-<br />
REAKTION PASSEN DRIBBELN BOXER ABGEBEN TOR-<br />
SCHUSS REAKTION SYSTEM AUFSTELLUNG HANDBALL SCHUSS KUGEL BALL<br />
WURF HOCKEY SCHLAG ENTSCHEIDEN WERFEN PASSEN SPORT BEWE-<br />
GUNG UNANGEPASST ÜBERRASCHEND INFORMATIONEN GEHIRN<br />
BEWEGUNG EMOTION ABSCHALTEN UMDENKEN SCHLENZEN KÖP-<br />
FEN SEHEN TOR ELFMETER ECKE PFIFF WECHSEL KONTER FIXIEREN SEHEN<br />
SEKUNDEN JETZT LAUFEN DURCHHALTEN MUT ZUVERSICHT TENNIS<br />
SPIEL KOPF SCHLÄGER REAGIEREN MOMENT<br />
SUPERIOR FRONTALER KORTEX<br />
KOGNITIVE KONTROLLE,<br />
BEWEGUNGSKONTROLLE<br />
ENTSCHEIDEN<br />
HANDLUNGSSCHNELLIGKEIT<br />
INTRAPARIETALER KORTEX<br />
VISUELLE STEUERUNG<br />
VON BEWEGUNG<br />
ERKENNEN VON REIZEN<br />
DORSOLATERALER<br />
PRÄFONTALER KORTEX<br />
ANTWORTAUSWAHL<br />
NUKLEUS CAUDATUS<br />
HEMMUNG UND MODULIERUNG<br />
MOTORISCHER IMPULSE<br />
VISUELL-RÄUMLICHES<br />
ARBEITSGEDÄCHTNIS<br />
Gehirnaktivierung bei der Bearbeitung einer Blockspannen-Aufgabe zur Messung des visuell-räumlichen Arbeitsgedächtnisses. 11<br />
Seite 54
SCHNELLES STOPPEN<br />
EMOTIONSREGULATION<br />
INHIBITION<br />
KONTROLLIERTE RISIKOBEREITSCHAFT<br />
IMPULSKONTROLLE<br />
WETTKAMPF NIEDERLAGE GEGNER AKTION ENTSCHEIDUNG SIEG<br />
REAKTION PASSEN DRIBBELN BOXER ABGEBEN<br />
TORSCHUSS REAKTION SYSTEM AUFSTELLUNG HANDBALL SCHUSS KUGEL<br />
BALL WURF HOCKEY SCHLAG ENTSCHEIDEN WERFEN PASSEN SPORT<br />
BEWEGUNG UNANGEPASST ÜBERRASCHEND INFORMATIONEN GE-<br />
HIRN BEWEGUNG EMOTION ABSCHALTEN UMDENKEN SCHLEN-<br />
ZEN KÖPFEN SEHEN TOR ELFMETER ECKE PFIFF WECHSEL KONTER<br />
FIXIEREN SEHEN SEKUNDEN JETZT LAUFEN DURCHHALTEN MUT ZUVER-<br />
SICHT TENNIS SPIEL KOPF SCHLÄGER REAGIEREN MOMENT<br />
DORSOLATERALER<br />
PRÄFONTALER KORTEX<br />
REGELREPRÄSENTATION<br />
UND ANTWORTAUSWAHL<br />
INFERIORER FRONTALER GYRUS<br />
PRÄSUPPLEMENTÄRMOTORISCHER KORTEX<br />
ANTWORTHEMMUNG<br />
SUBTHALAMISCHER NUKLEUS<br />
VORDERER<br />
CINGULÄRER KORTEX<br />
ÜBERWACHUNG UND<br />
FEHLERERKENNUNG<br />
Gehirnaktivierung bei der Bearbeitung einer Stopp-Signal-Aufgabe zur Messung der Inhibition bzw. der Impulskontrolle. 11<br />
Seite 55
FLEXIBILITÄT<br />
SCHNELLES UMSCHALTEN<br />
KREATIVITÄT HANDLUNGSSCHNELLIGKEIT<br />
INTUITION<br />
WETTKAMPF NIEDERLAGE GEGNER AKTION ENTSCHEIDUNG SIEG<br />
REAKTION PASSEN DRIBBELN BOXER ABGE-<br />
BEN TORSCHUSS REAKTION SYSTEM AUFSTELLUNG HANDBALL<br />
SCHUSS KUGEL BALL WURF HOCKEY SCHLAG ENTSCHEIDEN<br />
WERFEN PASSEN SPORT BEWEGUNG UNANGEPASST ÜBERRA-<br />
SCHEND INFORMATIONEN GEHIRN BEWEGUNG EMOTION<br />
ABSCHALTEN UMDENKEN SCHLENZEN KÖPFEN SEHEN TOR<br />
ELFMETER ECKE PFIFF WECHSEL KONTER FIXIEREN SEHEN SEKUN-<br />
DEN JETZT LAUFEN DURCHHALTEN MUT ZUVERSICHT TENNIS<br />
SPIEL KOPF SCHLÄGER REAGIEREN MOMENT<br />
PRÄSUPPLEMENTÄRMOTORISCHER<br />
KORTEX<br />
ANTWORTHEMMUNG<br />
SUPPLEMENTÄRMOTORISCHER<br />
KORTEX<br />
VORBEREITUNG/PLANUNG UND<br />
INTERNE INITIIERUNG VON BEWEGUNG<br />
HINTERER CINGULÄRER KORTEX<br />
DORSOLATERALER<br />
PRÄFONTALER KORTEX<br />
ANPASSUNG DES VERHALTENS<br />
BEI UNERWARTETER VERÄNDERUNG<br />
REGELREPRÄSENTATION<br />
UND ANTWORTAUSWAHL<br />
VORDERER<br />
PRÄFRONTALER KORTEX<br />
HANDLUNGSPLANUNG BEI NICHT<br />
VORHERSEHBAREN BEDINGUNGEN,<br />
ENTSCHEIDUNGSPROZESSEN<br />
THALAMUS<br />
AUFMERKSAMKEITSKONTROLLE,<br />
VERBINDET SENSORISCHE<br />
INFOMRATIONEN AUS DEM<br />
KÖRPER MIT DEM KORTEX<br />
VORDERER<br />
CINGULÄRER KORTEX<br />
ÜBERWACHUNG UND<br />
FEHLERERKENNUNG<br />
Gehirnaktivierung bei der Bearbeitung einer Switch-Aufgabe zur Messung der kognitiven Flexibilität. 11<br />
Seite 56
Seite 57
ENTWICKLUNGSGESCHICHTEN - TEIL 2<br />
PRÄFRONTALER KORTEX<br />
VOM EMBRYO ZUM SENIOR<br />
DAS GEHIRN BESTEHT AUS GESCHÄTZTEN 100 MILLIARDEN NERVENZELLEN, DEN NEURONEN.<br />
DAS SIND IN ETWA SO VIELE, WIE ES STERNE IN UNSERER GALAXIE GIBT.<br />
JEDES NEURON BESTEHT<br />
AUS EINEM ZELLKÖRPER<br />
MIT ZELLKERN, ZAHL-<br />
REICHEN VERZWEIGTEN<br />
DENDRITEN UND EINEM<br />
LANGEN AXON.<br />
Zellkörper<br />
Dendriten<br />
Synapsen<br />
NEURONE HABEN DIE FUNKTION, INFORMATIONEN ZU SPEICHERN, ZU VERARBEITEN UND AN ANDERE<br />
NEURONE WEITERZUGEBEN.<br />
ÜBER DAS AXON LEITET DAS NEURON INFORMATIONEN AN ANDERE NEURONE WEITER. DIE AXONE KÖN-<br />
NEN AN DEN DENDRITEN UND AM ZELLKÖRPER DER EMPFÄNGERNEURONE ANSETZEN UND INFORMATIO-<br />
NEN IN FORM VON ELEKTRISCHEN IMPULSEN (AKTIONSPOTENZIALE) ÜBERTRAGEN. DIE ÜBERTRAGUNG<br />
DER IMPULSE FINDET DANN AUF CHEMISCHEM WEG AN DEN SYNAPSEN STATT. 14<br />
Axon<br />
SYNAPSEN KÖNNEN DURCH IHREN GEBRAUCH WACHSEN, WODURCH SICH IHRE VERBINDUNG UND<br />
ÜBERTRAGUNG VERSTÄRKT. DAS IST DIE NEURONALE GRUNDLAGE VON LERNEN. WIE STARK ODER<br />
SCHWACH DIE SYNAPSENSTÄRKE IST, HÄNGT DAVON AB, WIE VIELE IMPULSE DIE SYNAPSE ZUVOR ER-<br />
REICHT HABEN. ES KOMMT DAMIT AUF UNSERE ERFAHRUNGEN UND BEIM SPORT INSBESONDERE AUF<br />
JEDE ÜBUNGS- ODER TRAININGSEINHEIT AN.<br />
SYNAPSEN, DIE NICHT MEHR BEANSPRUCHT WERDEN, BILDEN SICH WIEDER ZURÜCK.<br />
USE IT AND GET MORE OF IT!<br />
USE IT OR LOOSE IT!
DA JEDES NEURON MIT BIS ZU 10.000 ANDEREN NERVENZELLEN IN VERBINDUNG TRETEN KANN, ERGE-<br />
BEN SICH DARAUS ETWA 100 BILLIONEN SYNAPSEN. 14<br />
DIESE ANZAHL ENTSPRICHT, GERECHNET IN DOLLAR, DEM INFLATIONSBEREINIGTEN GESAMTWERT AL-<br />
LER WELTWEIT GEFERTIGTEN PRODUKTE DER LETZTEN TAUSEND JAHRE. 15<br />
DIE NEURONE DER GROSSHIRNRINDE (KORTEX) SIND<br />
IN 6 SCHICHTEN ANGEORDNET. DIESER AUFBAU IST<br />
BEREITS IM 7. MONAT DES FETUS ERKENNBAR. 16<br />
I<br />
II<br />
III<br />
IV<br />
V<br />
VI<br />
BEI DER GEBURT SIND DIE NEURONE<br />
DES KORTEX VON SÄUGLINGEN ALSO<br />
BEREITS VORHANDEN, IHRE DENDRI-<br />
TEN SIND JEDOCH NUR ANSATZWEI-<br />
SE AUSGEBILDET.<br />
UND AUCH DAS ZELLVOLUMEN IST<br />
KLEINER ALS BEI ERWACHSENEN.<br />
WEITERE FAKTOREN, DIE DIE GEHIRNENTWICKLUNG MASSGEBLICH BEEINFLUSSEN, HÄNGEN MIT DER<br />
SYNAPTISCHEN DICHTE, DER ZUNEHMENDEN MYELINISIERUNG UND DEN GESTEIGERTEN KONZENTRATIO-<br />
NEN VERSCHIEDENER BOTENSTOFFE IM GEHIRN ZUSAMMEN.<br />
DIE SYNAPTISCHE DICHTE NIMMT VOR DER GEBURT SCHNELL ZU. NACH DER GEBURT KOMMT ES SOGAR<br />
ZU EINER KURZZEITIGEN ÜBERPRODUKTION VON SYNAPSEN. DIESE BILDET SICH ABER ANSCHLIESSEND<br />
WIEDER ZURÜCK, BIS IM ALTER VON CA. 16 JAHREN DIE ANZAHL DER SYNAPSEN IM PRÄFRONTALEN KORTEX<br />
DER VON ERWACHSENEN ENTSPRICHT. FUNKTIONAL BETRACHTET IST DAS ABER KEIN VERLUST, DENN DER<br />
RÜCKGANG NICHT BEANSPRUCHTER SYNAPSEN ERMÖGLICHT EINE HÖHERE EFFIZIENZ DER INFORMATI-<br />
ONSVERARBEITUNG. 3<br />
ABER SELBST IM JUGENDALTER IST DIE ENTWICKLUNG DES PRÄFRONTALEN KORTEX IMMER NOCH NICHT<br />
ABGESCHLOSSEN. MAGNETRESONANZTOMOGRAFISCHE UNTERSUCHUNGEN ZEIGEN, DASS DIE ENT-<br />
WICKLUNG DES PRÄFRONTALEN KORTEX NICHT VOR DEM 30. LEBENSJAHR VOLLENDET IST. MAN VERMU-<br />
TET VIELMEHR, DASS SEINE ENTWICKLUNG WEIT LÄNGER ANDAUERT. 16<br />
5 Jahre 30 Jahre<br />
AUSMASS DER REIFUNG DER GROSSHIRNRINDE (ANSICHT VON OBEN): VON ROT (NOCH NICHT AUSGE-<br />
REIFT) ÜBER GELB, GRÜN, HELLBLAU ZU DUNKELBLAU (VOLLSTÄNDIG AUSGEREIFT). 3
IM JUNGEN ERWACHSENENALTER GEHT DIE REIFUNG KOGNITIVER FUNKTIO-<br />
NEN MIT EINER ZUNAHME AN WEISSER SUBSTANZ (MYELINISIERUNG) EINHER.<br />
WENN DIE AXONE DER NERVENZELLEN MIT EINER MYELINSCHICHT UMMANTELT<br />
SIND, KÖNNEN AKTIONSPOTENZIALE SCHNELLER WEITERGELEITET WERDEN.<br />
OHNE MYELINSCHICHT WERDEN DIE ELEKTRISCHEN IMPULSE MIT EINER GE-<br />
SCHWINDIGKEIT VON 3 M PRO SEKUNDE ÜBERTRAGEN. MYELINISIERTE AXONE<br />
LEITEN SIE DAGEGEN MIT BIS ZU 110 M PRO SEKUNDE WEITER. DIE ZUNEHMENDE<br />
MYELINISIERUNG UNTERSTÜTZT EBENFALLS DIE INFORMATIONSVERARBEITUNG<br />
IM GEHIRN UND BEWIRKT EINE VERBESSERUNG KOGNITIVER FUNKTIONEN. 14<br />
Axon<br />
Ranvier-<br />
Schnürring<br />
Myelinscheide<br />
DAS MYELIN UMSCHLIESST NICHT DAS GESAMTE AXON, SONDERN IST IN REGELMÄSSIGEN ABSTÄNDEN<br />
IMMER WIEDER UNTERBROCHEN (EINGESCHNÜRT). DER IMPULS (RECHTS) SPRINGT VON SCHNÜRRING ZU<br />
SCHNÜRRING UND ERMÖGLICHT SO EINE SCHNELLERE IMPULS- BZW. INFORMATIONSWEITERLEITUNG. 14<br />
DIE MYELINISIERUNG IST IN DEN SCHICHTEN 2 UND 3<br />
ALS LETZTES ABGESCHLOSSEN. DIE NEURONE DIESER<br />
SCHICHTEN SIND FÜR DIE ENTWICKLUNG KOGNITIVER<br />
FUNKTIONEN WICHTIG. 16<br />
I<br />
II<br />
III<br />
IV<br />
V<br />
VI
5 years 15 years 45 years 60 years 90 years<br />
DIE AXONE, DIE VOM PRÄFRONTA-<br />
LEN KORTEX IN ANDERE KORTI-<br />
KALE GEBIETE REICHEN UND DA-<br />
RÜBER AUFMERKSAMKEITS- UND<br />
KOGNITIVE KONTROLLPROZESSE<br />
BEEINFLUSSEN, ENTWICKELN SICH<br />
KONTINUIERLICH VON DER KIND-<br />
HEIT BIS ZU EINEM ALTER VON CA.<br />
45 JAHREN.<br />
ANSCHLIESSEND KOMMT ES ZU<br />
EINEM FORTSCHREITENDEN RÜCK-<br />
GANG DER MYELINISIERUNG IM<br />
WEITEREN LEBENSVERLAUF. 16<br />
NEUROTRANSMITTER WIE DOPAMIN, NORADRENALIN UND SEROTONIN SIND BEREITS ZUM ZEITPUNKT<br />
DER GEBURT IM PRÄFRONTALEN KORTEX NACHWEISBAR. IHRE HÖCHSTE KONZENTRATION ERREICHEN SIE<br />
ABER EBENFALLS ERST IM JUNGEN ERWACHSENENALTER. NORMALE ALTERUNGSPROZESSE WERDEN VON<br />
EINEM RÜCKGANG DER NEUROTRANSMITTERKONZENTRATIONEN UND KOGNITIVEN FÄHIGKEITEN BEGLEI-<br />
TET. FÜR DIE EXEKUTIVEN FUNKTIONEN SPIELT DER NEUROTRANSMITTER DOPAMIN EINE ZENTRALE ROL-<br />
LE. SEINE KONZENTRATION IST IM PRÄFRONTALEN KORTEX IN DER 3. SCHICHT AM HÖCHSTEN.<br />
DIE ENTWICKLUNG DES PRÄFRONTALEN KORTEX WIRD DURCH GENETISCHE FAKTOREN, ABER VOR AL-<br />
LEM AUCH DURCH DIE INTERAKTION DES ORGANISMUS MIT SEINER UMWELT BESTIMMT. KOGNITIVE WIE<br />
KÖRPERLICHE BEANSPRUCHUNGEN NEHMEN EINEN STARKEN EINFLUSS AUF DIE ENTWICKLUNG, AUF-<br />
RECHTERHALTUNG UND VERNETZUNG VON NEURONEN. DA JEDE KÖRPERLICHE BEANSPRUCHUNG AUCH<br />
EINEN KOGNITIVEN REIZ DARSTELLT, TRAGEN SPORT UND BEWEGUNG IM HOHEN MASSE DAZU BEI, NICHT<br />
NUR KÖRPERLICH, SONDERN AUCH GEISTIG FIT ZU WERDEN UND DIES MIT DEUTLICH ERHÖHTER WAHR-<br />
SCHEINLICHKEIT AUCH EIN LEBEN LANG ZU BLEIBEN.
NACHGEFRAGT: EINBLICKE IN DAS GEHIRN<br />
Grundlagenwissen – Gehirn<br />
• Wozu dient der Schädel?<br />
• Nennen Sie zwei bildgebende Verfahren, die zur Untersuchung von Aktivitäten des Gehirns eingesetzt<br />
werden.<br />
• Wie begründet man die gefaltete Struktur der Großhirnrinde?<br />
• Nennen Sie zwei Gehirnstrukturen, die unterhalb der Großhirnrinde liegen.<br />
• Nennen Sie zwei Funktionsbereiche des Kleinhirns.<br />
• Was versteht man unter Lateralisierung? Nennen Sie zwei Formen.<br />
Der präfrontale Kortex – Besonderheiten, Aufbau und Vernetzung<br />
• Nennen Sie zwei Besonderheiten des präfrontalen Kortex – eine hinsichtlich seiner Entwicklungsgeschichte<br />
und eine in Bezug auf seine Größenausdehnung.<br />
• Nennen Sie drei Bereiche, in die der präfrontale Kortex unterteilt werden kann.<br />
• Mit welchen subkortikalen Strukturen steht der präfrontale Kortex <strong>im</strong> Austausch? Nennen Sie drei Strukturen<br />
und deren wesentliche Funktionen.<br />
Verletzungen <strong>im</strong> präfrontalen Kortex<br />
• Nennen Sie drei Bereiche, auf die sich Schädigungen des präfrontalen Kortex auswirken können.<br />
• Beschreiben Sie typische und dabei gegensätzliche Symptome von Läsionen <strong>im</strong> präfrontalen Kortex.<br />
• Was versteht man unter einem dysexekutiven Syndrom?<br />
• Nennen Sie verschiedene Verhaltensweisen, an denen man ein dysexekutives Syndrom erkennen kann.<br />
MASTER-FRAGEN<br />
Exekutive Funktionen <strong>im</strong> Scanner<br />
• Das visuell-räumliche Arbeitsgedächtnis (gemessen mit einer Blockspannen-Aufgabe) unterstützt Athleten<br />
bei ihrer Entscheidungs- und Handlungsschnelligkeit. Welche Funktionen kommen dabei<br />
* dem dorsolateralen präfrontalen Kortex,<br />
* dem superior frontalen Kortex und<br />
* dem Nukleus caudatus zu?<br />
• Wenn es darum geht, auf dem Spielfeld eine motorische Aktion kurzfristig zu stoppen (gemessen mit einer<br />
Stopp-Signal-Aufgabe), sollten <strong>Sport</strong>lerinnen und <strong>Sport</strong>ler über eine gute inhibitorische Kontrolle verfügen.<br />
Welche Rolle spielen dabei<br />
* der dorsolaterale präfrontale Kortex,<br />
* der vordere cinguläre Kortex, und, <strong>im</strong> Zusammenspiel,<br />
* der superior frontale Kortex, der inferiore frontale Gyrus, der präsupplementärmotorische Kortex und<br />
der subthalamische Nukleus?<br />
• Insbesondere in den schnellen Mannschaftssportarten kommt es auf die Umstellungsfähigkeit, die kognitive<br />
Flexibilität, der <strong>Sport</strong>lerinnen und <strong>Sport</strong>ler an. Anhand einer Task-Switch-Aufgabe lässt sich diese Fähigkeit<br />
untersuchen. Welche Funktionen haben dabei<br />
* der dorsolaterale präfrontale Kortex,<br />
* der vordere präfrontale Kortex,<br />
* der vordere cinguläre Kortex,<br />
* der hintere cinguläre Kortex,<br />
* der präsupplementärmotorische Kortex,<br />
* der supplementärmotorische Kortex,<br />
* der hintere cinguläre Kortex und<br />
* der Thalamus?<br />
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Von Olympia – nachts um 3 Uhr.<br />
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IM INTERVIEW: DAMIR DUGANDZIC<br />
Damir Dugandzic, M.A. <strong>Sport</strong>wissenschaft, Fußball-Lehrer und Stützpunktkoordinator<br />
des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) in Karlsruhe. Von 2014-2016 Co-Trainer der DFB<br />
U15-Nationalmannschaft.<br />
«MAN MUSS NICHT ALLE GLEICH BEHANDELN, ABER MAN<br />
MUSS ALLE GERECHT BEHANDELN! DAS GILT BIS IN DEN<br />
PROFIBEREICH.»<br />
Sabine Kubesch: Wissenschaftliche Studien belegen<br />
die Bedeutsamkeit exekutiver Funktionen für Erfolge<br />
<strong>im</strong> Fußball bis in die obersten Leistungsbereiche.<br />
Dass Impulskontrolle und kognitive Flexibilität <strong>im</strong> Fußball gefordert sind,<br />
liegt auf der Hand. Weniger offensichtlich für den Trainer und die Spieler<br />
ist die Rolle des Arbeitsgedächtnisses.<br />
Damir Dugandzic: Ich hab mir diese Frage auch gestellt: Welche Rolle<br />
spielt das Arbeitsgedächtnis <strong>im</strong> Fußball? An einem s<strong>im</strong>plen Beispiel ist<br />
es mir bewusst geworden, und zwar bei Standardsituationen. In der Analyse<br />
fragt man sich: «Wieso steht der Gegenspieler frei? Wir haben doch<br />
vorher ganz klar zugeteilt.» Es gab Arbeitsaufträge, Wenn-dann-Situationen,<br />
wie ein Spieler in best<strong>im</strong>mten Situationen auf den Gegenspieler<br />
oder die gegnerische Mannschaft reagieren soll. Das funktioniert aber<br />
oft nicht, weil ein, zwei oder drei Personen den Auftrag oder die Aufgabe,<br />
die sie in der Situation hatten, nicht mehr parat haben – insbesondere<br />
in Stresssituationen. Wenn alles ruhig ist, man 3:0 führt und die<br />
Situation <strong>im</strong> Griff hat, dann funktioniert das Ganze. Aber es gibt oft<br />
Situationen gegen Ende des Spiels, wenn es Spitz auf Knopf steht und es<br />
vorher eine Aktion gab, die nicht glücklich lief, dann sind diese Handlungsanweisungen<br />
plötzlich weg. Bei der Zuteilung eines Gegenspielers<br />
in Standardsituationen ist es am augenscheinlichsten, weil da der Effekt<br />
am größten ist. Ein Gegentor ist passiert, und die Trainer fragen sich:<br />
«Wie konnte das passieren? Das war doch vorher ganz klar abgesprochen.»<br />
Das Arbeitsgedächtnis «versagt» also selbst dann, wenn Situationen und<br />
Abläufe vorher eindeutig abgesprochen wurden?<br />
Richtig. Die Spieler haben nicht mehr vor Augen, was abgesprochen wurde.<br />
Deshalb werden seit ein paar Jahren Matchbooks eingesetzt, mit denen<br />
die Spieler vor einer Einwechslung Instruktionen erhalten. In anderen<br />
<strong>Sport</strong>arten gibt es das schon wesentlich länger. Im American Football<br />
haben die Spieler Playbooks am Unterarm. Die kann man aufklappen. Darin<br />
stehen die Spielzüge. Der Trainer sagt nur noch: «Spielzug Fire, Storm<br />
oder Rock». Die Spieler können dann während des Spiels das Playbook<br />
aufklappen und haben so noch einmal vor Augen, wie der nächste Spielzug<br />
geht.<br />
Wäre das <strong>im</strong> Fußball auch erlaubt?<br />
Ich glaube, es gibt keine Regeln, die das aktuell verbieten würden.<br />
Aber <strong>im</strong> Football sind die Abläufe auch strukturierter; die Spielzüge<br />
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sind leichter zu standardisieren. Im Fußball sind die Freiheitsgrade<br />
einfach ein bisschen größer. Aber vom Ansatz her sind diese Playbooks<br />
nicht verkehrt.<br />
Was muss ein Fußballspieler vor Augen haben?<br />
Mit der Vororientierung informiert sich der Spieler über die Gesamtspielsituation,<br />
bevor er an den Ball kommt. Durch den Schulterblick<br />
sieht er, was hinter seinem Rücken passiert. Diese Informationen muss<br />
er aufrechterhalten. Als Spieler muss ich mich nun so freilaufen und<br />
anbieten, dass ich an den Ball komme, aber weiter die wahrgenommenen<br />
Informationen parat habe und ständig aktualisiere: «Wo ist mein direkter<br />
Gegenspieler, wo ist der nächste Gegenspieler, wo ist mein Mitspieler,<br />
welche Aktion wäre vermeintlich die nächste oder sogar die übernächste,<br />
weil davon meine eigene Handlung wieder abhängt?» Dazu braucht es<br />
das Arbeitsgedächtnis. Aber wenn es nicht funktioniert, ist es nicht so<br />
schl<strong>im</strong>m, weil die Folgen oftmals nicht so tragisch sind; es kommt «nur»<br />
zum Ballverlust.<br />
Und deshalb ist die Bedeutung des Arbeitsgedächtnisses in Standardsituationen<br />
zwar nicht relevanter, aber doch offensichtlicher?<br />
Genau. Also man hat eine ruhende Situation, man hat zwischendurch theoretisch<br />
noch mal Zeit, um zu reflektieren, sich der Aufgabe bewusst zu<br />
werden, und trotzdem funktioniert es häufig nicht.<br />
Du machst mit der Vororientierung auf eine weitere wichtige Funktion des<br />
Arbeitsgedächtnisses aufmerksam. Es geht ja nicht nur darum, die Aufgabe<br />
und die taktischen Anweisungen in der jeweiligen Situation vor Augen zu<br />
haben, was eine Funktion des Arbeitsgedächtnisses ist – Informationen aus<br />
dem Langzeitspeicher abzurufen –, sondern der Spieler muss die Anweisungen<br />
mit der jeweiligen Spielsituation abgleichen. Be<strong>im</strong> Arbeitsgedächtnis<br />
spricht man von der Fähigkeit,<br />
DAS IST EINE BESONDERHEIT DES<br />
FUSSBALLS, DASS ES UNHEIMLICH<br />
VIELE FREIHEITSGRADE GIBT. ICH ER-<br />
KLÄRE DEN SPIELERN, DASS SIE ZWEI<br />
SCHRITTE DENKEN MÜSSEN, UND<br />
ZWAR IN BEIDE RICHTUNGEN. DIE<br />
EIGENE AKTION BEGINNT NÄMLICH<br />
NICHT ERST, WENN ICH ANGESPIELT<br />
WERDEN KANN, SONDERN BEREITS<br />
EINE SITUATION VORHER.<br />
mit gespeicherten Informationen<br />
arbeiten zu können. Da ist<br />
ja <strong>im</strong>mer eine gewisse Transferleistung<br />
notwendig: Ich muss<br />
das, was ich an Trainerinformationen<br />
<strong>im</strong> Arbeitsgedächtnis<br />
aufrechterhalte, mit dem, was<br />
ich sehe und höre, abgleichen<br />
und aufgrund dieser Wahrnehmungen,<br />
meines Wissen und meiner<br />
fußballerischen Fähigkeiten<br />
die Entscheidung treffen.<br />
Das ist eine Besonderheit des Fußballs, dass es unhe<strong>im</strong>lich viele Freiheitsgrade<br />
gibt. Ich erkläre den Spielern, dass sie zwei Schritte denken<br />
müssen, und zwar in beide Richtungen. Die eigene Aktion beginnt nämlich<br />
nicht erst, wenn ich angespielt werden kann, sondern bereits eine Situation<br />
vorher. Ich spiele meinen Ball nicht nur von A nach B, sondern<br />
ich muss überlegen, welche Intention B verfolgen wird, um selbst wieder<br />
in Aktion treten zu können. Und dann merkt man, dass es unhe<strong>im</strong>lich vie-<br />
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le Möglichkeiten gibt – auch von der Spielfortsetzung her. Der Spieler<br />
muss in der Lage sein, in kurzer Zeit für sich die beste Entscheidung<br />
zu treffen und diese dann auch umzusetzen. Als Trainer versucht man eigentlich<br />
nur, was heißt «nur», zu harmonisieren in dem Sinne, dass die<br />
Spieler zu einer ähnlichen Entscheidung kommen und diese dann gemeinsam<br />
schnell umsetzen können. Am Ende kommt dann so etwas wie ein flüssiges<br />
Kombinationsspiel heraus.<br />
Bei Entscheidungsprozessen ist erneut das Arbeitsgedächtnis gefordert. Das<br />
wird in bildgebenden Studien sichtbar. Ganz gleich, ob bei einer Inhibitions-,<br />
Flexibilitäts- oder Arbeitsgedächtnisaufgabe. Zum Zeitpunkt der<br />
Entscheidung ist der dorsolaterale präfrontale Kortex aktiv – die Gehirnstruktur,<br />
die dem Arbeitsgedächtnis zugordnet wird. Das Arbeitsgedächtnis<br />
korreliert mit dem Lernerfolg und wird in Intelligenztests erhoben. Im Fußball<br />
und anderen Mannschaftssportarten spricht man von Spielintelligenz.<br />
Was zeichnet einen Spieler mit hoher Spielintelligenz aus?<br />
Wenn man einem Spieler eine hohe Spielintelligenz zuschreibt, fragt man<br />
sich als Trainer: «Worauf basiert das Ganze? Warum ist diese Entscheidung<br />
gerade so gut? Wie kommt er in die Situation, eine gute Entscheidung<br />
treffen zu können?» Man sagt dann: «Er ist vororientiert, oder er<br />
steht einfach schon super, hat ein tolles Stellungsspiel, aber warum?»<br />
Dazu gehören die Antizipation und dass der Spieler frühzeitig in beide<br />
Richtungen einen Schritt weiterdenken kann, wozu er das Arbeitsgedächtnis<br />
einsetzt.<br />
Im Training des Arbeitsgedächtnisses sehe ich ein hohes Potenzial, die<br />
sportliche Leistungsfähigkeit zu opt<strong>im</strong>ieren, und zwar gerade in <strong>Sport</strong>arten,<br />
in denen die Athleten viele Entscheidungen treffen müssen. Aber was<br />
zeigen die aktuellen Daten? Leistungssportlich trainierende Fußballspieler<br />
sind breitensportlich trainierenden in der Inhibition und in der kognitiven<br />
Flexibilität überlegen. Sie unterscheiden sich aber nicht oder kaum in<br />
ihrer Arbeitsgedächtnisleistung. Das ist aber nicht verwunderlich, denn das<br />
Arbeitsgedächtnis wird <strong>im</strong> Training nicht so trainiert und beansprucht, wie<br />
es trainiert werden sollte, um in der Arbeitsgedächtnisleistung tatsächlich<br />
eine Leistungssteigerung zu erzielen. Hier sollten die Erkenntnisse<br />
aus der kognitiven Neurowissenschaft zum Training des Arbeitsgedächtnisses<br />
stärker berücksichtigt werden.<br />
Was ich nicht weiß, ist, ob es <strong>im</strong> Bereich des Arbeitsgedächtnisses<br />
spezifische Leistungen sind oder ob es sich um generelle Leistungen<br />
handelt. Also, ob es sich um eine sportartspezifische oder besser kontextspezifische<br />
Arbeitsgedächtnisleistung handelt. In den Studien wurde<br />
das Arbeitsgedächtnis ja in allgemeiner Form gemessen.<br />
Man hat gängige und bewährte Testverfahren zur Messung des Arbeitsgedächtnisses<br />
teilweise in Kombination mit anderen exekutiven Funktionen wie der<br />
Inhibition und der kognitiven Flexibilität eingesetzt, um prüfen zu können,<br />
ob exekutive Funktionen, die in allgemeiner Form, also kontextunabhängig,<br />
erfasst wurden, mit der Leistungsfähigkeit <strong>im</strong> Fußball korrelieren.<br />
Und es hat sich gezeigt, was wir aus Studien zum Lernerfolg schon länger<br />
wissen: Exekutive Funktionen korrelieren sowohl mit der Lernleistung als<br />
auch mit der Leistungsfähigkeit <strong>im</strong> Fußball. Exekutive Funktionen prognos-<br />
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tizieren sogar Lernleistungen wie auch Erfolge in der Torvorbereitung und<br />
<strong>im</strong> Torabschluss – und dies über Jahre.<br />
Gleichzeitig wissen wir, dass es in begrenzter Form Transfereffekte gibt.<br />
Trainiere ich das Arbeitsgedächtnis, kommt es zu einer Verbesserung der<br />
Aufmerksamkeitsleistung und von schulischen Leistungen. Setzt man sein<br />
Arbeitsgedächtnis unter körperlicher Belastung ein, sollte es idealerweise<br />
unter körperlicher Belastung trainiert werden; das zeigen erste Daten.<br />
Be<strong>im</strong> Training exekutiver Funktionen gilt: Je alltagsnäher und komplexer<br />
man sie trainiert oder, anders ausgedrückt, je weniger Transfer notwendig<br />
ist, desto stärker sind die Trainingseffekte.<br />
Mit einem Training des Arbeitsgedächtnisses, der Inhibition und der kognitiven<br />
Flexibilität trainiert man den präfrontalen Kortex. Der präfrontale<br />
Kortex steuert diese höchsten kognitiven Funktionen. Damit ist er am<br />
Planen, am Entscheiden und an der zielorientierten Verhaltens- und Aufmerksamkeitssteuerung<br />
beteiligt. Der präfrontale Kortex ist <strong>im</strong> Grunde der<br />
„Muskel“ <strong>im</strong> Kopf, der diese Fähigkeiten, Funktionen und Prozesse steuert<br />
und koordiniert, die nicht nur, aber auch für den Fußball relevant sind.<br />
Diesen Muskel sollte ein Fußballspieler ebenso selbstverständlich trainieren,<br />
wie er auch seine Bauchmuskulatur, z.B. mit Situps, trainiert, obwohl<br />
er diese Übung zu keinem Zeitpunkt <strong>im</strong> Spiel ausführen muss.<br />
Das Beispiel mit der Kraft und den Situps ist eigentlich nicht schlecht.<br />
Ähnlich ist es mit der Grundlagenausdauer, die brauche ich für alle<br />
<strong>Sport</strong>arten, aber es gibt auch eine sportartspezifische Ausdauer, und die<br />
unterscheidet sich <strong>im</strong> Handball von der <strong>im</strong> Fußball oder <strong>im</strong> Radfahren. Du<br />
hast Spieler, da ist es tatsächlich so, dass zwischen speziellen oder<br />
spezifischen Fähigkeiten und generellen Fähigkeiten eine hohe Korrelation<br />
besteht. Aber es gibt auch den umgekehrten Fall, bei dem du denkst:<br />
«Allgemein nicht so gut ausgebildet, aber spezifisch top! Er ist <strong>im</strong> Fußball<br />
sehr aufmerksam, kann sich viel merken und Handlungen analysieren,<br />
aber <strong>im</strong> schulischen Bereich nicht.»<br />
Wir wissen, dass die Effekte eines Arbeitsgedächtnistrainings von individuellen<br />
Faktoren wesentlich best<strong>im</strong>mt werden. Dazu zählen Motivation, Temperament<br />
und in diesem Zusammenhang auch die Selbstregulationsfähigkeit.<br />
Ein Arbeitsgedächtnistraining ist kognitiv sehr herausfordernd. Wer sich<br />
dazu nicht motivieren kann, wird auch vom Arbeitsgedächtnistraining nicht<br />
profitieren, ganz gleich, wie oft er daran teiln<strong>im</strong>mt. Er wird nicht die<br />
nötige Motivation und Aufmerksamkeit dazu aufbringen. Und ohne Motivation<br />
und Aufmerksamkeit bekommst du nichts ins Arbeitsgedächtnis. Deshalb ist<br />
es für mich kein Widerspruch, wenn ein Spieler <strong>im</strong> Training sehr fokussiert<br />
ist, eine hohe Aufmerksamkeitsleistung zeigt, aber in der Schule zum Beispiel<br />
viele Flüchtigkeitsfehler macht.<br />
Ganz unabhängig davon sind<br />
die Spielsportarten stark<br />
entscheidungsgeprägt. Entscheidungen<br />
spielen sich zentral<br />
ab, werden nur peripher<br />
ENTSCHEIDUNGEN SPIELEN SICH<br />
ZENTRAL AB, WERDEN NUR PERIPHER<br />
AUSGEFÜHRT. DESWEGEN MUSS ICH<br />
IN DER «BIRNE» FIT SEIN.<br />
ausgeführt. Deswegen muss ich in der «Birne» fit sein. Wir versuchen<br />
von der Reihenfolge her zunächst zu schauen und zu trainieren: Werden<br />
die richtigen Entscheidungen getroffen? Dann kommt es darauf an, die<br />
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ichtige Entscheidung a) schnell zu treffen und b) schnell umzusetzen.<br />
Leider ist es in der Realität aber oftmals umgekehrt: Man schaut, dass<br />
a) jemand athletisch und b) kognitiv schnell ist. Später wird dann trainiert,<br />
dass das dann auch noch richtig ist, was der Spieler macht. Aber<br />
ich glaube, das funktioniert nicht oder nur schlecht.<br />
Kannst du ein, zwei Situationen beschreiben, die deutlich machen, wie viele<br />
Entscheidungen ein Spieler manchmal zu treffen hat?<br />
Nehmen wir den Abstoß des Torwarts. Der Torwart legt sich den Ball zum<br />
Abstoß hin, also er bringt den Ball fliegend ins Spiel. Das ist dann<br />
die sogenannte Spieleröffnung. Rein faktisch gibt es 14 verschiedene<br />
Möglichkeiten, wie ich das Spiel eröffnen kann. Und dann muss die Mannschaft<br />
oder auch der jeweilige Spieler in der Lage sein zu erkennen,<br />
welche von diesen 14 Möglichkeiten aufgrund der Formation des Gegners<br />
überhaupt aktuell ist. Wie hoch stehen sie? Versuchen sie ein Angriffspressing?<br />
Sind sie ganz nah in der eigenen Hälfte, oder ziehen sie sich<br />
zurück und man hat genügend Zeit? In welcher Formation stehen sie? Haben<br />
sie vorne einen, zwei, drei Spieler? Stellen sie zu, das heißt, sind sie<br />
direkt zugeordnet, oder lassen sie einen Spieler frei und wollen uns<br />
wohin locken? Also welche Taktik hat der Gegner, und wie reagiert die<br />
Gegentaktik darauf? Und das ist eine ruhende Situation, es ist noch kein<br />
Ball gespielt, und ich habe noch Zeit, mir zu überlegen, was ich mache.<br />
Dann muss ich nicht nur selbst die Entscheidung treffen, sondern muss<br />
noch erkennen, welche Entscheidungen haben denn meine Mitspieler getroffen?<br />
Also theoretisch kann ich als Torwart eine Idee haben, wie ich<br />
das Spiel eröffnen will, aber mein Innenverteidiger hat eine ganz andere.<br />
Ich will kurz rausspielen, aber er bewegt sich schon ins Mittelfeld<br />
und erwartet den langen Ball. Also müssen wir jetzt noch sehen, wie wir<br />
gemeinsam eine Lösung finden oder gemeinsam eine Entscheidung treffen<br />
und das ohne abgesprochene Zeichen. Es gibt irgendwann ein Zeichen, wenn<br />
man nämlich keine Lösung gefunden hat oder sie unterschiedlich ist. Der<br />
Tormann winkt und sagt dann: «Geh nach vorne oder biete dich kurz an!»<br />
Es gibt tatsächlich einen ganzen Strauß an Möglichkeiten, wie die Situation<br />
richtig eingeleitet werden könnte. Dann muss man sich überlegen,<br />
wie grenze ich das Ganze ein <strong>im</strong> Sinne von, was für Spielmöglichkeiten<br />
erlaubt mir denn der Gegner durch sein taktisches Verhalten? So fällt<br />
schon mal ein Teil der Möglichkeiten heraus. Und, ich muss mich fragen,<br />
welche Entscheidungen haben meine Mitspieler getroffen? So bleiben noch<br />
wenige, ein, zwei oder drei Abstoßmöglichkeiten übrig, unter denen ich<br />
mich für eine entscheide.<br />
Zusätzlich muss ich doch sicher noch Entscheidungen zur technischen Ausführung<br />
treffen?<br />
Ja, und vielleicht gibt es vom Trainer noch eine ganz andere Anweisung.<br />
Hier muss ich dann abwägen: Ist die Idee des Trainers passend<br />
für die Situation oder nicht? Oder der Trainer hat uns auf den Gegner<br />
eingestellt, der tritt aber plötzlich ganz anders auf. Das ist <strong>im</strong>mer<br />
ein Wechselspiel. Es gibt dann auch noch spezifische Momente. Also beispielsweise<br />
die Frage: Ist das der Anfang des Spiels, und ich kann erst<br />
mal ruhig beginnen, oder ist es die Endsituation des Spiels, wir sind <strong>im</strong><br />
Rückstand, müssen schnell spielen und noch ein Tor schießen? Also die<br />
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Situation, die spezifische, die bedingt dann auch mal andere Entscheidungsmöglichkeiten.<br />
Es ist unhe<strong>im</strong>lich komplex.<br />
Und wie sieht es bei den Feldspielern und deren Entscheidungsmöglichkeiten<br />
aus?<br />
Du hast zum Beispiel einen Ballbesitz am Flügel. Der ballführende Spieler<br />
entscheidet sich für ein Dribbling, eins gegen eins, und zieht nach<br />
innen. Jetzt gibt es in der Situation ganz unterschiedliche Spielfortsetzungsmöglichkeiten.<br />
Die einfachste wäre, er schießt aufs Tor, aus 20<br />
Metern. Aber auch nur, wenn er denkt, die Möglichkeit besteht, weil er<br />
den Ball in Richtung Tor spielen kann. Die zweite Möglichkeit ist, er<br />
versucht einen Mitspieler in eine Aktion zu bringen. Und dann hat man<br />
ganz oft Läufe in die Tiefe, <strong>im</strong> Rücken des Gegenspielers, und versucht,<br />
den Ball durch ein Passfenster durchzuspielen. Die sind aber <strong>im</strong>mer nur<br />
kurz offen, weil der Gegner sich dynamisch verhält und nicht statisch<br />
in seiner Position verharrt. Durch seine Bewegungen ist mal eine Lücke<br />
da, schließt sich aber wieder, eine Lücke geht auf, eine Lücke geht zu.<br />
Wichtig ist dann das T<strong>im</strong>ing. Mein Mitspieler läuft, aber die Lücke ist<br />
zu, ich kann nicht spielen, danach steht er vielleicht <strong>im</strong> Abseits. So<br />
hat man zwei/drei Spieler und theoretisch vier/fünf Möglichkeiten und<br />
Spielfortsetzungen, aber die sind <strong>im</strong>mer nur ganz kurz für Zehntelsekunden<br />
möglich. Und danach hat man einen dynamischen Prozess, es gibt<br />
wieder eine neue Spielsituation, in der es drei/vier Möglichkeiten gibt.<br />
Nach einer halben Sekunde ändert sich das Spiel wieder in seiner Dynamik,<br />
und neue Möglichkeiten tun sich auf. Und plötzlich gibt es keine<br />
Möglichkeit mehr, weil ich den Zeitpunkt verpasst habe und weil der<br />
Gegenspieler auch reagiert hat, und der ist jetzt so nah, dass ich das<br />
Spiel gar nicht mehr nach vorne fortsetzen kann, sondern dass ich den<br />
Ball sichern und versuchen muss, meinen Körper zwischen Gegenspieler und<br />
Ball zu bringen, ohne dass ich den Ball verliere.<br />
Wie komplex! Und wie trainiert man das?<br />
Tatsächlich versucht man, Spielsituationen nachzustellen und das auch<br />
wieder so komplex wie möglich. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, zum<br />
Beispiel durch Start-Stopp (Filmverweis: Handball 9), man friert ein und<br />
sagt: «Stopp! Welche Möglichkeiten hätten wir in der Situation gerade<br />
gehabt? Oder welche Möglichkeiten erkennst du jetzt? Wie könnten wir<br />
das Spiel fortsetzen?» Anschließend wird die Situation <strong>im</strong> Zeitlupentempo<br />
nach- und durchgespielt. Oder der Trainer friert eine Spielsituation<br />
ein und fragt: «Ok, wir haben jetzt die Situation, wie hätte man die<br />
Situation anders lösen können?» Oder: «Es war besonders gut gelöst, ich<br />
möchte dir nur zeigen warum und wie du das <strong>im</strong> Prinzip auch auf andere<br />
Situationen anwenden kannst.» Und man lässt gerne durchspielen und macht<br />
die Konsequenz der Handlung klar. Die Entscheidung, die getroffen wurde,<br />
war falsch, und das ist die Konsequenz, die daraus erfolgt, und das ist<br />
das Ergebnis. Man kann das natürlich auch <strong>im</strong> Nachgang per Videoanalyse<br />
machen und gemeinsam überlegen, was wären die Möglichkeiten gewesen,<br />
oder warum war die Situation erfolgreich, warum hat das geklappt? Und<br />
man kann diese Situation auf andere Bereiche übertragen, damit man das<br />
Muster und das Prinzip erkennt und versteht.<br />
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Erinnern sich die Spieler <strong>im</strong> Nachgang an diese Situationen, und haben sie<br />
ihre Fehler bewusst wahrgenommen?<br />
Da unterscheiden sich die Spieler tatsächlich. Einige können die Situationen<br />
wiedererkennen und sagen: «Da hab ich eine Entscheidung getroffen,<br />
die würd ich jetzt anders treffen.» Und andere sagen: «War doch<br />
alles gut!»<br />
Man erkennt auch Unterschiede in der Bereitschaft, analysieren zu wollen.<br />
Es gibt Spieler, die kommen und sagen: «Können wir uns nachher noch<br />
zusammensetzen und das gemeinsam angucken?» Die schaffen den Übertrag<br />
und andersherum: Wenn du «den Hund zum Jagen tragen» musst, dann wird<br />
es schwer. Und du musst differenzieren, wie viele Informationen du weitergibst.<br />
Einigen kannst du einfach mehr sagen, weil sie mehr wissen<br />
wollen. Ein anderer hat ein geringeres Interesse, und dem gibst du auch<br />
weniger Informationen, weil mit mehr macht er zu.<br />
Wie ist es, wenn eine falsche Entscheidung getroffen wurde, die aber erfolgreich<br />
war? Wie geht man damit als Trainer um?<br />
ABER MAN SOLLTE CHRONOLOGISCH<br />
VORGEHEN: WAR DIE ENTSCHEIDUNG,<br />
DIE GETROFFEN WURDE, RICHTIG<br />
ODER NICHT, UNABHÄNGIG DAVON,<br />
OB AM ENDE DOCH WAS POSITIVES<br />
DABEI RAUSKAM.<br />
Aus Trainersicht schaut man in der Regel<br />
von hinten. Wenn es erfolgreich<br />
war, dann war’s gut. Wenn er ein Tor<br />
geschossen hat, dann hat er die richtige<br />
Entscheidung getroffen. Der Zweck<br />
heiligt also die Mittel. Wenn das Ergebnis<br />
gut ist, dann war das richtig,<br />
was vorher gemacht wurde. Aber man sollte chronologisch vorgehen: War<br />
die Entscheidung, die getroffen wurde, richtig oder nicht, unabhängig<br />
davon, ob am Ende doch was Positives dabei rauskam.<br />
Gibt es <strong>im</strong> Fußball auch unbewusste Entscheidungen?<br />
Ich glaube, es gibt so gut wie keine unbewussten Handlungen. Also, wenn<br />
ich als Trainer Wert darauf lege, dass meine Spieler nur unbewusste<br />
Handlungen machen, dann werde ich keine Mannschaft trainieren können,<br />
sondern in irgendeiner Form müssen es schon bewusste Handlungen sein,<br />
weil ich versuche, die Handlungen aufeinander abzust<strong>im</strong>men. Deswegen<br />
sind es in der Regel bewusste Handlungen. Vielleicht muss man hier stärker<br />
differenzieren zwischen wissend/unwissend und bewusst/unbewusst. Es<br />
gibt unbewusste Handlungen, die auf einem Wissen fußen. Es kann aber<br />
nicht die Absicht in einer Mannschaftssportart sein, unbewusstes Handeln<br />
ohne wissenden Hintergrund zu trainieren.<br />
Welche Rolle spielt die Inhibition und damit die Impulskontrolle und die<br />
fokussierte Aufmerksamkeit?<br />
Auf dem Fußballplatz sieht man das in Torabschlusssituationen, wenn<br />
sich ein Spieler entschieden hat und sich darauf fokussiert, selbst die<br />
Situation durch den Torabschluss zu lösen und alle anderen Möglichkeiten<br />
ausblendet, oder wenn sich jemand verzettelt. Dann ist der Abspielzeitpunkt<br />
verzögert, weil er zu lange überlegt, mach ich es selbst oder<br />
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spiel ich ab. Und plötzlich ist die Situation vorbei, ist der Zeitpunkt<br />
überschritten, in der eine Situation erfolgreich gewesen wäre. Oder ein<br />
Spieler macht einen technischen Fehler, und dann fragst du dich, warum?<br />
Der Spieler sagt: «Ich konnte mich nicht entscheiden, ich hab mir überlegt,<br />
soll ich passen, soll ich spielen, passen oder spielen?» und macht<br />
dann ein Mittelding. Oder er macht ein oder zwei Kontakte und es kommen<br />
so anderthalb raus, und der Ball springt zu weit weg. Dann leidet die<br />
technische Ausführung, weil er zwischen zwei Entscheidungen schwankt.<br />
Spieler, die es erfolgreich können, sagen dann manchmal: «Den Mitspieler<br />
und freien Nebenmann habe ich gar nicht gesehen. Der war am Anfang da,<br />
aber dann war er weg, und dann hab ich das Ganze so ausgeblendet und war<br />
nur noch auf diese Situation fokussiert.»<br />
Und dann ist man auch wieder <strong>im</strong> Spagat als Trainer und sagt: «Ok, ich<br />
möchte, dass er so lange wie möglich eigentlich alles <strong>im</strong> Blick hat,<br />
alle Optionen. Wie kann er den besser postierten Spieler übersehen?»<br />
Aber gleichzeitig, um eine Sache erfolgreich zum Abschluss zu bringen,<br />
muss er auch die Fähigkeit haben, das Andere auszublenden. Man versucht<br />
dann nur, am Zeitpunkt zu arbeiten, denn wenn er auf den Gegenspieler<br />
zudribbelt, ist er irgendwann so nah drauf, dass er keine Option mehr<br />
hat. Durch diese Dynamik <strong>im</strong> Fußball hängen die exekutiven Funktionen eng<br />
miteinander zusammen. Wir wollen ja auch die Flexibilität drin haben. Er<br />
fokussiert sich auf die Aufgabe, und plötzlich gibt es eine Situation<br />
oder einen kleinen Faktor, der sich verändert, und dann müsste er wieder<br />
umschwenken und einen zweiten Lösungsweg einschlagen können. Es ist ein<br />
fließender Prozess mit parallelen Abläufen.<br />
Tatsächlich beeinflussen sich die exekutiven Funktionen wechselseitig. Sie<br />
stehen in einem engen Zusammenhang und beeinflussen so vielfältige Kompetenzen<br />
auch <strong>im</strong> Fußball. Ein besseres Arbeitsgedächtnis unterstützt den<br />
Spieler dabei, nicht nur die Traineranweisung in der jeweiligen Situation<br />
parat zu haben, sondern auch zu erkennen, wann eine Spielsituation es erfordert,<br />
gegen die Anweisung des Trainers zu handeln. Auch hierzu liegen<br />
Studienergebnisse vor.<br />
Das ist ein riesiger Entwicklungsschritt innerhalb einer Spielerkarriere.<br />
Nämlich es zu schaffen, das Wissen situativ anwenden zu können. Es<br />
kommt vor, dass man als Trainer eine Anweisung gibt und diese wird eins<br />
zu eins umgesetzt, unabhängig von der Spielsituation. Der Spieler muss<br />
aber erkennen, dass das jetzt nicht passt. Er muss in der Lage sein,<br />
Informationen, die vorher gegeben wurden, zu ignorieren und zu sagen:<br />
generell richtig, aber nicht in dieser Situation. Das ist ein großer<br />
Schritt. Beziehungsweise, das unterscheidet tatsächlich gute von sehr<br />
guten Spielern.<br />
Viele junge Spieler versuchen, es für den Trainer bestmöglich zu machen.<br />
Eltern haben da eine wichtige Funktion. Man sieht bei jungen Spielern<br />
häufig, dass sie nach einer Aktion rausschauen, an den Spielfeldrand,<br />
und gucken, ob die Bestätigung von außen kommt, das war jetzt gut,<br />
schlecht oder richtig oder falsch. Und es ist einfach so, dass es die<br />
Eltern nicht beurteilen können, manche Trainer vielleicht auch nicht,<br />
also von der fachlichen Seite, weil sie die Spielerperspektive nicht<br />
hatten. Die sehen das aus einem komplett anderen Blickwinkel, und was<br />
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sie erkennen, kann der Spieler nicht erkennen und umgekehrt. Deswegen<br />
sind viele Anweisungen nicht hilfreich, weil es überhaupt nicht matcht.<br />
Das muss man dem Spieler klarmachen, dass es eigentlich nichts bringt<br />
rauszugucken, weil die Entscheidung dort nicht getroffen werden kann.<br />
Wenn ich an meine eigene Karriere zurückdenke, ich hab das nicht wahrgenommen.<br />
Keine einzelnen Reaktionen, nur die Grundst<strong>im</strong>mung, Unzufriedenheit<br />
oder hohe Zufriedenheit. Das berichten viele. Wir machen das auch<br />
unseren Trainern klar: «Eure Anweisungen sind nicht irrelevant, aber die<br />
werden während eines Spiels kaum wahrgenommen, nur in den Pausen, bei<br />
Auswechslungen oder Systemumstellungen.» Als Trainer siehst du <strong>im</strong> Spiel<br />
nur, was du mit den Spielern <strong>im</strong> Training erarbeitet hast. Du siehst <strong>im</strong><br />
Spiel nicht, was du plötzlich neu einbringen willst, das funktioniert<br />
nicht, weil die Spieler tatsächlich voll auf das Spiel fokussiert sind<br />
und deine Instruktionen nicht wahrnehmen. Aber was sie merken, ist, ob<br />
du gut oder schlecht drauf bist, ob du positiv oder negativ gest<strong>im</strong>mt<br />
bist, ob du verärgert bist oder nicht verärgert, durch den Ton, durch<br />
die St<strong>im</strong>mlage, durch Handzeichen, durch Abwinken, das n<strong>im</strong>mst du wahr<br />
als Spieler und du bemerkst, da st<strong>im</strong>mt was nicht. Der ist unzufrieden.<br />
Mehr nicht, weil die Situation dich so stark einn<strong>im</strong>mt, sie so komplex<br />
ist. Das ist tatsächlich eine Multitasking-Aufgabe, die nicht funktioniert.<br />
Ich kann mich nicht auf den Gegenspieler konzentrieren und auf<br />
den Ball, und dann kommt noch der Trainer und sagt: «Geh nach links!»<br />
Und der Vater ruft: «Geh nach rechts!» und der Mitspieler sagt wieder<br />
etwas anderes.<br />
Die Spielsituation ist also schon so komplex, dass da keine kognitive<br />
Kapazität da ist, die Aufmerksamkeit auch noch auf die Kommentare und<br />
Anweisungen von außen zu lenken?<br />
Als Trainer muss man überlegen, wann man die Anweisung gibt. Nach Möglichkeit<br />
in der Spielpause oder an Spieler, die nicht beteiligt sind.<br />
Du erwartest, dass alle Spieler auf die Situation fokussiert sind. Es<br />
gibt ein einfaches Prinzip: «Verhalte dich so, dass du entweder anspielbar<br />
bist oder Zugriff auf den Gegenspieler hast!» Bei einem Ballverlust<br />
kannst du schnellstmöglich wieder versuchen, den Ball zu erobern und bei<br />
eigenem Ballbesitz gut anspielbar zu sein. Und dadurch ist der Spieler<br />
eigentlich die ganze Zeit erstens fokussiert und zweitens in Bewegung.<br />
Es bleibt wenig Zeit und Raum, um andere Dinge wahrzunehmen. Du greifst<br />
dann eigentlich nur zurück auf die Sachen, die du <strong>im</strong> Training, in Wiederholungen<br />
<strong>im</strong>mer wieder erarbeitet hast.<br />
Siehst du einen Unterschied hinsichtlich der Bedeutsamkeit exekutiver<br />
Funktionen <strong>im</strong> Breiten- und <strong>im</strong> Leistungssport?<br />
Ich sehe da keinen Unterschied. Vor Jahren gab es eine Kampagne, die<br />
hieß: «Fußball ist mehr als ein 1:0.» Ich glaube, dass man durch das<br />
Training exekutiver Funktionen einen viel größeren Übertrag auf das gesamte<br />
Verhalten, auf die Persönlichkeit hat, nicht nur in der <strong>Sport</strong>art<br />
selbst. Deswegen spielt der Leistungsbereich keine Rolle. Die Frage ist<br />
vielmehr, wie ich das trainiere, mit welcher Intensität, Häufigkeit und<br />
Dauer.<br />
Seite 72
Ich denke, es ist ein Talentmerkmal, wie stark die Ausprägung in den<br />
exekutiven Funktionen ist. Das zeigen inzwischen auch Studien. Im Leistungssportbereich<br />
gibt es Spieler, die haben bessere exekutive Funktionen<br />
als andere. Gleichzeitig ist es <strong>im</strong> Breitensport ein wichtiger<br />
Ansatz, weil dann auch der<br />
Übertrag in andere Bereiche<br />
machbar ist. Nicht nur <strong>im</strong><br />
<strong>Sport</strong>, sondern auch in der<br />
Schule und <strong>im</strong> Verhalten außerhalb<br />
der Schule.<br />
ICH GLAUBE, DASS MAN DURCH DAS<br />
TRAINING EXEKUTIVER FUNKTIONEN<br />
EINEN VIEL GRÖSSEREN ÜBERTRAG<br />
AUF DAS GESAMTE VERHALTEN, AUF<br />
DIE PERSÖNLICHKEIT HAT, NICHT NUR<br />
IN DER SPORTART SELBST.<br />
Exekutive Funktionen sind<br />
auch ein wichtiger Prädiktor<br />
für die Frage, ob jemand <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> den Übergang vom Junior- in den Seniorbereich<br />
schafft, also vom Amateur- in den Profibereich. Im Fußball ist<br />
dieser Flaschenhals sehr eng. Die Zahlen und die Übergangswahrscheinlichkeit<br />
sind sehr gering. Wenn ein Bundesligist eine U19-Mannschaft hat<br />
und es schafft, dass ein Spieler in den Profikader aufrückt, ist es gut.<br />
Wenn es zwei sind aus diesen 25er-Kadern, sagt man: «Das ist super!»<br />
Also die Übergangsrate ist äußerst gering. Und man fragt sich <strong>im</strong>mer:<br />
«Wer sind diejenigen, die das schaffen?» Und ohne tatsächlich genaue Daten<br />
zu haben, es sind oft die Spieler, die enorme Willensstärken haben,<br />
ein ganz hohes Maß an Eigenmotivation und Frustrationstoleranz, nicht<br />
die talentiertesten <strong>im</strong> Sinne von: «Wow, was der technisch alles kann!»,<br />
sondern die, die Extraschichten einlegen, die bereit sind, über die Maßen<br />
hinaus an sich zu arbeiten, zu trainieren, die mit Rückschlägen sehr<br />
gut umgehen können, sei es mit Verletzungen, aber auch, wenn der Trainer<br />
sie nicht aufstellt. Die sagen: «Ok, ich sitz auf der Bank, aber nicht<br />
lange, denn ich werde es ihm zeigen, dass ich besser bin!» Ein anderer<br />
ist unzufrieden und wechselt den Verein. Und dann passiert das Gleiche<br />
dort auch, und du wunderst dich, weshalb ein 18-jähriger Spieler schon<br />
in sieben Vereinen gespielt hat.<br />
Damit man sich zielführend regulieren kann, muss man sich zuerst seines<br />
Verhaltens bewusst werden.<br />
Es gibt Spieler, denen musst du erklären, warum? Die wollen tatsächlich<br />
wissen, warum etwas funktioniert oder nicht funktioniert, und können<br />
auch nur auf Grundlage dieser Information ihre eigene Handlung steuern.<br />
Andere Spieler, die erreicht man so nicht. Wenn man einen Dribbling-Parcours<br />
aufbaut, dann sieht man recht schnell zwei unterschiedliche Spielertypen.<br />
Der Eine trainiert und wird es entsprechend den Anweisungen<br />
des Trainers machen. Und wenn er am dritten Hütchen hängenbleibt, geht<br />
er zurück zum Anfang und macht es wieder. Das ist der «Warum»-Spieler.<br />
Der Andere macht es be<strong>im</strong> ersten Mal so, wie der Trainer es gesagt hat,<br />
be<strong>im</strong> zweiten Mal lässt er mal ein Hütchen aus, be<strong>im</strong> dritten Mal baut er<br />
einen Trick ein und be<strong>im</strong> vierten Mal macht er was anderes. Und wenn er<br />
einen Fehler macht, macht er einfach weiter.<br />
Den Ersten, den hätte ich gern als Innenverteidiger oder als Defensivspieler<br />
<strong>im</strong> Mittelfeld. Der spielt risikolos und findet <strong>im</strong>mer die Lösung,<br />
die vermeintlich die beste ist. Man will <strong>im</strong> Ballbesitz bleiben, das ist<br />
nicht spektakulär, aber solide und vernünftig. Der Andere ist der Frei-<br />
Seite 73
geist, der macht auch Sachen, die der Gegner nicht erwartet, er spielt<br />
kreativ. Das ist auch super. Dieser Fähigkeit sollte man ihm auch nicht<br />
berauben. So findest du alle Spielertypen auf dem Platz.<br />
Wenn man Kreativität untersucht, dann ist der <strong>Fokus</strong> nicht mehr eng, sondern<br />
weit. Die Aktivität <strong>im</strong> präfrontalen Kortex geht zurück. Dann braucht man<br />
also beide Spielertypen?<br />
Absolut! Das ist das Interessante am Mannschaftssport, dass man diese<br />
unterschiedlichen Charaktere, Persönlichkeiten in einer Mannschaft hat.<br />
Das ist von großer Relevanz für den Trainer. Er muss sich dessen bewusst<br />
sein, weil sie auch eine andere Ansprache brauchen, eine andere Führung,<br />
eine andere Korrektur.<br />
Untersucht und arbeitet ihr auch am Selbstbild der Spieler? Die Psychologin<br />
und Stanford-Professorin Carol Dweck 20 unterscheidet zwischen einem<br />
statischen und einem dynamischen Selbstbild. Jemand mit einem dynamischen<br />
Selbstbild bezieht die Dinge auf sich und seinen Einsatz. Nach einem Misserfolg<br />
sagt er: «Ich muss mich mehr anstrengen, mehr reinknien, um besser<br />
zu werden.» Er n<strong>im</strong>mt Herausforderungen an. Jemand mit einem statischen<br />
Selbstbild sagt: «Das geht nicht, das kann ich nicht oder brauch ich<br />
nicht!» Das Selbstbild lässt sich erheben. Und man kann aus einem statischen<br />
Selbstbild ein dynamisches entwickeln.<br />
Bei der Eingangssichtung in unseren DFB-Stützpunkten haben wir mehrere<br />
Möglichkeiten, in das Talentförderprogramm aufgenommen zu werden. Eine<br />
Möglichkeit ist, unsere Trainer sind vor Ort und sichten an den Wochenenden<br />
und schauen sich die Spieler an. Spieler, die positiv auffallen,<br />
werden dann eingeladen. Die andere Möglichkeit, Vereinstrainer können<br />
Spieler melden, und dann gibt es einen Sichtungstag. Da gibt es eine<br />
Aufgabe, die <strong>im</strong> Grunde das Selbstbild testet. Es ist eine Aufgabe, die<br />
die Spieler überfordert, also die so schwer ist, dass es nicht be<strong>im</strong><br />
ersten Mal zu machen ist. Die Aufgabe wird dem jeweiligen Entwicklungsstand<br />
angepasst. Ich muss als Trainer schauen: Wie ist das Können, wie<br />
ist der Wissensstand der Spieler, und ich muss dann die Aufgabe individuell<br />
anpassen. Ein s<strong>im</strong>ples Beispiel: ein Parcours, der den Spieler<br />
überfordert. Und dann geht es nicht darum, wie gut er die Aufgabe löst,<br />
sondern wie er mit der Herausforderung umgeht. Ist es ein Spieler, der<br />
Frustrationstoleranz zeigt, der sagt: «Ich hab’s be<strong>im</strong> ersten Mal nicht<br />
geschafft, egal, ich versuch’s be<strong>im</strong> zweiten Mal, be<strong>im</strong> dritten Mal.» Wie<br />
wird dieses vermeintliche Scheitern wahrgenommen, vor allem in dieser<br />
Stresssituation, weil er weiß, die gucken jetzt zu, ich werde gesichtet.<br />
Es geht dabei auch um das soziale Lernen: Teilt jemand sein eigenes Wissen,<br />
oder freut er sich darüber, dass es der Mitspieler nicht kann und<br />
er besser ist, oder sagt er: «Ich kann es, der Andere nicht. Ich helfe<br />
ihm und zeig ihm, wie’s geht.» Das finde ich enorm wichtig. Also teilt<br />
jemand sein Können. Das sind diskrete Hinweise, die wir nicht explizit<br />
auf dem Sichtungsbogen vermerken, aber die ich unseren Trainern an die<br />
Hand gebe. «Achtet darauf, denn das sind relevante Hinweise darauf, ob<br />
jemand Talent hat und wie er mit Talent umgeht.»<br />
Und in der Verbandsauswahl fordere ich von jedem Spieler nach dem Spiel<br />
ein Feedback, und zwar nicht <strong>im</strong> Sinne von: «Ich hab zwei Tore geschos-<br />
Seite 74
sen, alles super!», sondern: «Was war aus Sicht des Spielers gut, und<br />
was könnte er besser machen?» Ich bitte dann auch <strong>im</strong>mer die Eltern darum,<br />
dass es die Spieler selbst machen. Man merkt an den Formulierungen,<br />
ob es der Spieler selbst geschrieben hat oder ob ein Elternteil dahinterstand.<br />
Was ich so nicht erwartet habe, die Spieler sind sehr selbstkritisch,<br />
unhe<strong>im</strong>lich selbstkritisch. Es kommt äußerst selten vor, dass<br />
sich jemand lobt oder über die Maßen lobt, sondern viele sagen in der<br />
Regel: «Gut, aber… Es gibt noch das und das, an dem ich noch arbeiten<br />
kann oder dass ich be<strong>im</strong> nächsten Mal besser oder anders machen würde.»<br />
Die ausgewählten Spieler zeichnen sich in diesen Merkmalen aus.<br />
Deine Erfahrungen decken sich mit Studienergebnissen zur Bedeutung der<br />
Selbstregulation <strong>im</strong> Fußball. Vergleicht man die Top-Scorer aus dem Leistungssport<br />
mit den Top-Scorern aus dem Breitensport, so zeichnen sich<br />
die erfolgreichsten leistungssportlich trainierenden jugendlichen Fußballspieler<br />
durch eine höhere Selbstregulationsfähigkeit aus, und zwar in den<br />
Bereichen Selbstreflexion und Leistungsbereitschaft. 21 Sie sind sich ihrer<br />
Stärken und Schwächen mehr bewusst und ziehen eher die entsprechenden Konsequenzen<br />
daraus. Ich brauche das Bewusstsein, um mein Verhalten ändern zu<br />
können. Trainer sollten an der Ausbildung der Reflexionsfähigkeit ihrer<br />
<strong>Sport</strong>ler arbeiten.<br />
Es ist ein schwieriger Spagat, ich nenn es «Um-zu-Mentalität». Als<br />
Trainer und Spieler verfolgt man Ziele, man macht etwas, um etwas zu<br />
erreichen oder um etwas zu tun. Ganz plakativ: «Ich trainiere jetzt,<br />
um später in der Bundesliga<br />
zu spielen oder am nächsten<br />
Sonntag aufgestellt zu werden.»<br />
Es geht so weit, dass<br />
es heißt: «Wir machen ein<br />
ES IST POSITIV, WENN JEMAND IM SPIEL<br />
AUFGEHT, WEIL DAS DIE BASIS FÜR<br />
ALLES ANDERE IST.<br />
Abschlussspiel <strong>im</strong> Training», und die Trainer regen sich darüber auf,<br />
wenn die Spieler den Spielstand nicht kennen. Sie sagen: «Wir spielen,<br />
um zu gewinnen, denn am Wochenende wollen wir auch gewinnen!» Auf der<br />
anderen Seite aber ist Spielen Selbstzweck. Sie sollen auch spielen, um<br />
Spaß und Freude zu haben. Aber man fördert das nicht. Es ist positiv,<br />
wenn jemand <strong>im</strong> Spiel aufgeht, weil das die Basis für alles andere ist.<br />
Er verliert sich <strong>im</strong> Spiel, weil es ihm so viel Freude bereitet – das<br />
eigene Bewegen, Handeln und die Selbsterfahrung, dass die vermeintliche<br />
Konsequenz nicht handlungsbest<strong>im</strong>mend ist. Also er spielt nicht, um zu<br />
gewinnen, sondern er spielt um des Spielens willen. Und das ist doch<br />
auch der Grund, warum man mit dem Fußballspielen anfängt. Aber das verliert<br />
sich dann manchmal, wird aberzogen, abtrainiert. Es ist wichtig,<br />
dass man sich das als Trainer bewusst macht.<br />
... und sich in solchen Phasen zurückn<strong>im</strong>mt und das freie Spiel zulässt?<br />
Das merkt man manchmal an unseren Auswahlspielern, die sagen: «Trainer,<br />
können wir heute nicht einfach nur spielen?» Sie trainieren täglich und<br />
höchst instruiert. Es gibt keine freien Phasen. Also abseits dessen,<br />
dass vielleicht die Belastung zu hoch ist. «Wir möchten einfach nur mal<br />
so kicken ohne Regeln, ohne Stopp!» Und das ist tatsächlich wichtig!<br />
Seite 75
Auch dann wenn man nur zwei Trainingseinheiten in der Woche hat?<br />
Also die Frage ist tatsächlich, was ist das Ziel, was ist die Zielsetzung<br />
des Spielers? Wenn jemand zwe<strong>im</strong>al in der Woche trainiert und sagt:<br />
«Ich geh dahin, weil es mir Spaß macht, weil meine Freunde da sind»,<br />
dann sind das auch die Faktoren, die ich fördern muss.<br />
Obwohl die ja auch erfolgreich sein wollen.<br />
ERFOLG IST EIN WICHTIGER KITT, FAST<br />
NICHTS HÄLT SO GUT ZUSAMMEN, WIE<br />
GEMEINSAM ERFOLGREICH ZU SEIN.<br />
Natürlich, ohne Zweifel! Aber ich werde<br />
die Spieler sehr schnell verlieren,<br />
wenn ich den Erfolg in den Vordergrund<br />
stelle. Erfolg ist ein wichtiger Kitt,<br />
fast nichts hält so gut zusammen, wie gemeinsam erfolgreich zu sein.<br />
Aber wir haben eine große Drop-out-Problematik <strong>im</strong> Bereich der 13-, 14-,<br />
15-Jährigen, und der Hauptgrund ist die Beziehung zum Trainer (Filmverweis:<br />
Kempokan 4). Die Pubertät ist keine einfache Phase, aber der Grund,<br />
warum sie aufhören ist: «Mit dem Trainer komm ich nicht zurecht. Er sagt<br />
mir, was ich machen soll und schnauzt mich an!» Hier macht es tatsächlich<br />
einen Unterschied, ob ich breitensportorientiert trainiere oder<br />
ob man sagt: «Ich bin Leistungssportler, der Wettkampf best<strong>im</strong>mt mein<br />
Training!» Diese <strong>Sport</strong>ler sehen zum Großteil das Training als notwendige<br />
Voraussetzung, um die Leistung am Wochenende oder <strong>im</strong> Wettkampf zu<br />
erbringen. Sie haben eine Ruhe, fast schon eine Selbstaufgabe <strong>im</strong> Sinne<br />
von: «Ich widme den Großteil meiner Freizeit dieser Aufgabe.» Nichtsdestotrotz<br />
geht es darum, ihnen <strong>im</strong>mer wieder bewusst zu machen, warum sie<br />
das tun, was sie tun. Die Frage ist: «Warum machst du das Ganze jetzt,<br />
in diesem Moment?» Und wenn einer sagt: «Das macht mir keinen Spaß, ich<br />
mach’s nur, weil mein Vater<br />
sagt, ich soll es machen,<br />
oder weil ich einen Vertrag<br />
bekommen habe», dann wird es<br />
in der Regel scheitern.<br />
ICH GLAUBE, DASS IM FUSSBALL FÜR<br />
DEN MANNSCHAFTLICHEN ERFOLG<br />
ZWEI ASPEKTE UNHEIMLICH BEDEUT-<br />
SAM SIND: ERSTENS REGELN UND<br />
ZWEITENS TRANSPARENZ.<br />
Ich glaube, dass <strong>im</strong> Fußball<br />
für den mannschaftlichen Erfolg zwei Aspekte unhe<strong>im</strong>lich bedeutsam sind:<br />
Erstens Regeln und zweitens Transparenz. Welche Funktion hat die Regel<br />
und warum hat man sie, wann gelten die Regeln, für wen gelten die Regeln,<br />
ob in jedem Kontext, und welche Konsequenzen leiten sich daraus ab? Und<br />
dass man diese tatsächlich auch fair anwendet. Man muss nicht alle gleich<br />
behandeln, aber man muss alle gerecht behandeln! Das gilt bis in den<br />
Profibereich. Wenn die Spieler das Gefühl haben, der Trainer ist gerecht<br />
und fair, und zwar zu allen, hat das eine unhe<strong>im</strong>lich große Wirkung und<br />
Akzeptanz. Aber wenn ich das Gefühl habe, das sind Lieblingsspieler, die<br />
werden anders behandelt, wird das als unfair erlebt und erfährt keine<br />
Akzeptanz. Fußball ist da natürlich durch die Medienpräsenz nochmal anders<br />
wirksam, und deswegen muss man unterscheiden zwischen öffentlicher<br />
Kritik und interner Kritik. Das können die Spieler auch gut unterscheiden.<br />
Aber dieses interne Verhalten, da erwarten die Spieler – und das<br />
hat sich vielleicht innerhalb der letzten Jahre gewandelt – Transparenz<br />
und Ehrlichkeit. Und wenn das gegeben ist, hat man eine gute Beziehung<br />
zwischen Trainer und Athleten. Und dann wird der Trainer auch tatsächlich<br />
respektiert und wertgeschätzt und umgekehrt ebenso.<br />
Seite 76
Aber in der Kabine, wenn es nicht so gut läuft und der Trainer harte Töne<br />
anschlägt, das müssen die Spieler doch schlucken können?<br />
Genau. Es wird geschluckt, wenn man das Gefühl hat, der Nachbar, der<br />
Kapitän ist, bei dem wär das genauso, wenn er diese Leistung gebracht<br />
hätte. Nicht, dass es wenige Sündenböcke gibt, die <strong>im</strong>mer angegangen werden,<br />
sondern wenn es tatsächlich ein faires Verhalten ist, dann wird es<br />
geschluckt. Also das Schlucken verbunden mit: Das war gerechtfertigt,<br />
und es ist ok, weil es a) transparent und b) fair ist (vgl. 96f.).<br />
Es gab mal vor fünf/sechs Jahren eine Untersuchung der UEFA bei englischen<br />
Premier League-Spielern: «Was erwarten Sie von einem guten<br />
Trainer?» Der wichtigste Aspekt war Respekt und ein weiterer Fairness.<br />
Die Spieler sollten dann beschreiben, welche Eigenschaften der Trainer<br />
haben sollte. Es gab einen Spieler von Chelsea, der wollte tatsächlich<br />
klare, direkte Anweisungen, der möchte wissen, was will der Trainer und<br />
das setzt er um und auch mit einer gewissen Härte. Gleichzeitig war die<br />
Beziehung auch ein ganz wichtiger Punkt. Sie wollten eine gute Beziehung<br />
zum Trainer haben, fast ein «Vater-Sohn-Verhältnis». Wenn man das<br />
hinkriegt: toll!<br />
Gibt es Verhaltensregeln, auf die du besonderen Wert legst?<br />
Wir haben hier bei Lehrgängen, vor allem bei den jüngeren Spielern <strong>im</strong><br />
U12- oder U13-Bereich, abseits des Verhaltens auf dem Platz nur eine<br />
Verhaltensregel: «Immer wenn du denkst, es könnte Ärger geben, lass es<br />
sein!»<br />
Durch diese Regel sind sie gefordert, kurz innezuhalten und zu reflektieren?<br />
Richtig. Sie müssen kurz stoppen und überlegen, welche Konsequenzen würde<br />
mein Handeln haben. Und daran kannst du sie <strong>im</strong>mer wieder erinnern:<br />
«Überleg, was du tust!» So muss man nicht viel sagen, es braucht keine<br />
expliziten Handlungsanweisungen. Sie müssen sich der eigenen Handlungen<br />
und der Konsequenzen bewusst werden. Wir müssen nur einfordern, dass sie<br />
sich das bewusst machen. Und sie wissen in der Regel ganz gut, was sie<br />
machen dürfen und was sie besser unterlassen sollten. Wir fragen dann<br />
manchmal nur: «Was würdest du denn zu Hause tun?»<br />
Die Kinder werden von ihren Eltern gebracht, und man sieht ganz oft,<br />
dass die Mutter die <strong>Sport</strong>tasche trägt. Dann sag ich ihm: «Oh mein Gott!<br />
Mir wär das peinlich, wenn meine Mama hinter mir laufen und die <strong>Sport</strong>tasche<br />
tragen würde.» Oder eine Mutter wollte in die Kabine rein und ihrem<br />
Sohn noch die Schuhe binden. Der Sohn hat die Mutter rausgeschickt,<br />
denn da saßen 25 andere, und plötzlich ist es peinlich. Nachher kam die<br />
Mutter und sagte: «Au, das war eine gute Erfahrung, denn zuhause muss<br />
ich ihm alles hinrichten.» Nach der Sichtung, in der Abschlussrede sage<br />
ich den Spielern <strong>im</strong>mer meinen Wunsch für die Zukunft, dass ich es toll<br />
fände, wenn sie ihre <strong>Sport</strong>tasche selber richten würden. Und wenn etwas<br />
fehlt, also wenn sie ins Training kommen und es fehlen die Kickschuhe,<br />
müssen sie sich fragen, warum? Weil sie sie vergessen haben. Und ich<br />
sage ihnen, dass es eigentlich normal ist, dass sie auch die <strong>Sport</strong>tasche<br />
wieder auspacken und zumindest die Sachen vor die Waschmaschine legen.<br />
Seite 77
Das Schöne sind dann die Reaktionen der Eltern. Die sagen: «Wissen Sie<br />
was, ich hab es ihm schon hundertmal gesagt, aber jetzt macht er’s, weil<br />
Sie es gesagt haben!»<br />
Damit förderst du die Selbstdisziplin der Kinder. Dirk Nowitzki hatte einmal<br />
in einem Interview sinngemäß gesagt, dass er sich <strong>im</strong>mer wieder bewusst<br />
gemacht habe, dass gerade irgendwo irgendjemand trainiert, und deshalb ist<br />
er in die Halle gegangen und hat Extraschichten eingelegt und individuell<br />
trainiert.<br />
Vor drei Wochen hatte ich einen Lehrgang mit der U14. Wir haben Übungen<br />
gemacht, Passform. Danach hab ich sie zusammengerufen und gesagt: «Ich<br />
hätte gern eine Benotung, jeder soll sich selbst benoten.» Und dann<br />
kamen tatsächlich Noten zwischen 4 und 6 raus. Ich habe dann gefragt:<br />
«Warum ist das so, und welche Konsequenz resultiert daraus?» Ein Spieler<br />
meinte, er habe zu wenig geübt. «Ok, das st<strong>im</strong>mt, aber wie können<br />
wir das jetzt besser machen?» Die erste Aussage war: «Wir haben keine<br />
Zeit dafür <strong>im</strong> Training.» Ich frage dann: «Wie können wir es <strong>im</strong> Training<br />
trotzdem hinbekommen?» Es gibt dann <strong>im</strong>mer das Problem mit dem starken<br />
und dem schwachen Fuß. Also kann man <strong>im</strong> Training gezielt den schwachen<br />
Fuß trainieren. Man stellt sich absichtlich auf die andere Seite einer<br />
Übungsform. Und es gibt viel freie Zeit vor dem Training. Die erste<br />
Viertelstunde ist oft nicht geplant, da hast du Zeit, was zu machen,<br />
und du kannst noch 5 Minuten nach dem Training dranhängen. Wenn du 50<br />
Wiederholungen und das zwe<strong>im</strong>al in der Woche machst, dann hast du 100<br />
Wiederholungen in der Woche, <strong>im</strong> Monat 400, übers Jahr hinweg bist du bei<br />
fast 5.000 Wiederholungen. Und wenn du das 5.000 Mal machst, dann merkst<br />
du den Unterschied. Wenn man den Spielern das bewusst macht, dann sagen<br />
sie: «Aha, ok, so hab ich das noch nicht gesehen.»<br />
Es gibt die 10.000-Stunden-Regel. Es braucht bis zum Alter von 20 Jahren<br />
10.000 Übungsstunden, um eine Fertigkeit perfekt zu beherrschen. Wie viele<br />
Stunden trainiert ein Fußballspieler bis zum Alter von 20 Jahren?<br />
Lange nicht so viel! Dazu kommt, dass sich die Bewegungswelt von Kindern<br />
und Jugendlichen über die Jahre hinweg stark verändert hat. Vielleicht<br />
ist das instruierte Training und Lernen häufiger geworden. Aber die<br />
freien Phasen haben deutlich abgenommen, sodass ich glaube, dass insgesamt<br />
der Trainings- und Spielumfang weniger geworden ist. Es kommt tatsächlich<br />
nicht mehr so häufig<br />
vor, dass Kinder sich verabreden,<br />
dass sie sagen: «Wir<br />
gehen heute Nachmittag raus<br />
kicken.» Ohne das romantisieren<br />
zu wollen, aber vor 20<br />
Jahren war das so, du hast<br />
jeden Nachmittag gekickt und praktische Erfahrung mit dem Fußball gesammelt.<br />
Das ist jetzt nicht mehr so. Du hast zwe<strong>im</strong>al bis dre<strong>im</strong>al die<br />
Woche angeleitetes Training, aber diese freien Spielphasen fehlen. Was<br />
jetzt dazukommt, die Erfahrungen mit der Play Station und dem Gezocke.<br />
Da sind sie recht fit. Da hat sich sogar die Sprache verändert. Ich hab<br />
Begrifflichkeiten einführen müssen, die aus FIFA 16 stammen. Die kannte<br />
ich vorher gar nicht.<br />
OHNE DAS ROMANTISIEREN ZU WOLLEN,<br />
ABER VOR 20 JAHREN WAR DAS SO, DU<br />
HAST JEDEN NACHMITTAG GEKICKT UND<br />
PRAKTISCHE ERFAHRUNG MIT DEM FUSS-<br />
BALL GESAMMELT.<br />
Seite 78
Kannst du ein Beispiel nennen?<br />
Es war eine Situation <strong>im</strong> Spiel, in der ein Spieler zu einem anderen gesagt<br />
hat: «Sweate den Ball!» Da habe ich gefragt: «Also Entschuldigung:<br />
sweaten, was heißt sweaten?» «Kennst du das?» «Ah ja, klar!» «Kennst<br />
du das auch?» «Ja!» «Ok, dann bin ich wohl der Einzige, der das nicht<br />
kennt. Was heißt sweaten?» «Naja, den Ball vor dem Tor quer legen.»<br />
«Woher habt ihr das?» «Von FIFA 16.» «Ah ja, ok. Wenn das alle wissen,<br />
dann sag ich halt das nächste Mal nicht: spiel quer, sondern sweate und<br />
dann wissen alle, was gemeint ist.»<br />
Aber sie verbringen Stunden über Stunden damit. Kann man das positiv<br />
bewerten, weil es zumindest mit Fußball zu tun hat? Auch wenn man weiß,<br />
dass eine Spielkonsole dafür sorgt, dass die Noten in der Schule schlechter<br />
werden und dass Aufmerksamkeitsprobleme mit steigendem Medienkonsum<br />
zunehmen?<br />
Zumindest lernen sie dabei komplexere Dinge. Sie lernen zwar nicht selber<br />
mit dem Ball umzugehen, aber sie kennen die Spielsituationen und<br />
auch da wieder Muster: Überzahl, Unterzahl, wer ist frei, wer ist nicht<br />
frei, mit wem kann ich spielen, mit wem nicht? Also sie sind, glaube<br />
ich, taktisch fitter, aber tatsächlich schlechter in der Ausführung.<br />
Wie ist deine Einschätzung zur Ausbildung der Fußballtrainer?<br />
Bisher baut die Ausbildung darauf auf, dass am Anfang <strong>im</strong>mer eine stark<br />
fachliche Ausbildung erfolgt, <strong>im</strong> Sinne von Übungsanleitung. Welche Übungen<br />
muss ich aussuchen, um etwas zu erzielen und mit welcher Methodik?<br />
Je höher es in der Ausbildung geht, desto mehr wird aus dem Trainer ein<br />
Coach. Aber ich finde, es gehört andersrum. Der Coach liegt eigentlich<br />
quer oder ist die Basis für alles. Trainer ist, so ähnlich wie Lehrer,<br />
kein Beruf, sondern eine Berufung.<br />
Die Fachkompetenz ist<br />
wichtig, aber nicht das Entscheidende,<br />
weil ich sie mir<br />
aneignen kann. Als Trainer muss<br />
ich über eine große Sozialkompetenz<br />
verfügen. Ich muss die<br />
Bereitschaft haben, auf den<br />
Menschen, auf mein Gegenüber<br />
einzugehen. Das muss ich wollen und können. Und wenn auf diesen Boden<br />
der Samen der Fachkompetenz fällt, dann geht die Saat auf. Andersherum<br />
aber nicht. Deshalb frag ich in der Trainerausbildung <strong>im</strong>mer die Trainer:<br />
«Was hättet ihr gerne für einen Trainer? Wollt ihr jemanden, der fachlich<br />
überragend gut ist, aber zum Lachen in den Keller geht? Oder wollt<br />
ihr jemanden, bei dem man sagt: Das Training macht total Spaß, ich geh<br />
unhe<strong>im</strong>lich gern dorthin. Es macht so viel Fetz, aber ich lerne nichts<br />
dazu. Wenn ihr nur diese Schwarz-weiß-Möglichkeit hättet, was würdet ihr<br />
machen?» Sie sagen dann: «Ich will Spaß!», und: «Zu dem geh ich gerne,<br />
auch wenn ich nichts dazulerne.» Aber wenn zu dieser Fähigkeit dann noch<br />
die fachliche Kompetenz dazukommt, super! Umgekehrt bist du nicht lange<br />
dabei. Und das unterscheidet gute von schlechten Trainern. Du kannst<br />
methodisch, fachlich überragend sein, aber wenn der Zugang fehlt, wird<br />
TRAINER IST, SO ÄHNLICH WIE LEHRER, KEIN<br />
BERUF, SONDERN EINE BERUFUNG. DIE FACH-<br />
KOMPETENZ IST WICHTIG, ABER NICHT DAS<br />
ENTSCHEIDENDE, WEIL ICH SIE MIR ANEIG-<br />
NEN KANN. ALS TRAINER MUSS ICH ÜBER EINE<br />
GROSSE SOZIALKOMPETENZ VERFÜGEN.<br />
Seite 79
man scheitern. Und umgekehrt: Es gibt viele gute Trainer, erfolgreiche,<br />
die sind menschlich klasse, fachlich nicht so gut, aber kompensieren<br />
das, indem sie delegieren können und ein Team haben. Mir fehlt in einem<br />
Bereich die Kompetenz, aber dafür habe ich den und den und den und das<br />
geht. Sozialkompetenz zu delegieren ist schwer, man kann sie nicht kompensieren.<br />
Manche machen aber auch teilweise das, die sagen: «Ich hab<br />
einen Co-Trainer, der ist dann für das Gefühl in der Mannschaft zuständig.»<br />
Das ist aber schwer.<br />
Mit dem Gefühl sind wir bei den Emotionen. Hoch emotional ist ja <strong>im</strong>mer<br />
das Elfmeterschießen. Nach welchen Kriterien werden der oder die Schützen<br />
ausgesucht?<br />
Die Regel ist, man fragt: «Wer fühlt sich bereit, wer fühlt sich dazu in<br />
der Lage?» Dann braucht man bei den Spielern sehr viel Aufmerksamkeit<br />
auf die eigene Person: Wie fühl ich mich gerade? Fühl ich mich der Situation<br />
gewachsen? Hab ich die Grundkompetenz, und fühl ich mich jetzt<br />
augenblicklich auch in der Lage, diese umsetzen zu können? Weil es heute<br />
gut lief oder nicht gut lief, weil ich ein Wehwehchen verspür, weil ich<br />
die letzten drei Elfmeter reingeschossen habe oder verschossen habe.<br />
Dann forderst du als Trainer ganz bewusst diese Aufmerksamkeit ein und<br />
verlässt dich auch darauf. Im Training erzeugst du diese Aufmerksamkeit<br />
mit dem Prognosetraining oder mit dem Konsequenztraining (Filmverweis:<br />
Fußball 6). Aber es ist unhe<strong>im</strong>lich schwer, diese Spielsituation oder<br />
die Aufmerksamkeit in einer Spielsituation <strong>im</strong> Training zu reproduzieren.<br />
Man versucht, in der Intensität und in den Anforderungen über dem<br />
Spielniveau zu trainieren. Also, man macht kleinere Räume, erzeugt einen<br />
höheren Druck und sagt den Spielern: «Wenn du es <strong>im</strong> Training schaffst,<br />
dann kommt dir das <strong>im</strong> Spiel total leicht vor.» Dadurch erhöht man den<br />
Aufmerksamkeitsdruck. Und um noch schwierigere Situationen zu lösen,<br />
brauchst du einfach Aufmerksamkeit, <strong>Fokus</strong>sierung etc.<br />
Und wie schaffen es die Spieler, sich herunterzuregulieren?<br />
Man bildet es aus, indem man Rituale einführt. In extremer Form sieht<br />
man das bei Cristiano Ronaldo, wenn er zum Freistoß anläuft. Ohne es<br />
zu wissen, glaube ich, es ist tatsächlich ein Ritual. Er n<strong>im</strong>mt <strong>im</strong>mer<br />
den gleichen Anlauf: drei/vier Schritte nach hinten, zwei Schritte<br />
nach links, schnauft durch und dann geht’s los. Ritualisierungen bei<br />
solchen standardisierten Situationen wie Freistoß, Elfmeter, wo man<br />
die Möglichkeit dazu hat, können hilfreich sein. Viele nutzen das als<br />
Einstieg zum Spiel, ein gewisses Ritual, um sich <strong>im</strong>mer wieder in eine<br />
ähnliche St<strong>im</strong>mungslage zu bringen. Das ist eine Selbstnivellierung,<br />
also ein Selbstweckruf, um eine ähnliche St<strong>im</strong>mungslage zu bekommen und<br />
gleichzeitig sich selbst den Startschuss zu geben: «Das ist für mich der<br />
Startpunkt, jetzt bin ich <strong>im</strong> Wettkampfmodus!»<br />
Ein Profispieler aus England hat mir einen Unterschied zwischen Deutschland<br />
und England bewusst gemacht. Bei den englischen Spielern ist es so,<br />
dass sie diese lange Vorbereitungsphase vor dem Spieltag nicht hatten,<br />
sondern sie haben zu Hause übernachtet, kamen zum Spiel, und da war<br />
die Familie noch dabei, selbst bis eineinhalb Stunden vor dem Spiel war<br />
das ganz normal. Aber es war klar, 75 Minuten vorher aus, vorbei! Das<br />
Seite 80
war der Startschuss, jetzt beginnt die explizite Vorbereitung auf das<br />
Spiel. Als er in Deutschland gespielt hat, gab es schon einen Tag vorher<br />
ein gemeinsames Abendessen, dann Abreise zum Hotel, Übernachtung.<br />
Dieser frühe Startschuss zum Spiel war für ihn zu lang. Er konnte die<br />
Konzentration, die Aufmerksamkeit bis zum Spiel nicht so lange aufrechterhalten.<br />
Mit der Aufmerksamkeit be<strong>im</strong> Elfmeter ist es ähnlich. Der Elfmeter beginnt<br />
mit dem Pfiff des Schiedsrichters. Vorher, der lange Weg vom<br />
Mittelkreis bis zum Elfmeterpunkt, eine gefühlte Ewigkeit, gehört noch<br />
nicht zur unmittelbaren Vorbereitung. Hier können ritualisierte Abläufe<br />
helfen. Die Vorbereitung beginnt erst dann, wenn der Schiedsrichter den<br />
Elfmeter mit seinem Pfiff freigibt. Dann sind es bis zur Ausführung nur<br />
noch 3 Sekunden…<br />
Seite 81
„IM OKTOBER 2000 SCHAFFTEN ES<br />
FORSCHER DER DUKE UNIVERSITY MIT EINER<br />
STUDIE IN DIE NEW YORK TIMES, DIE<br />
BELEGTE, DASS<br />
KÖRPERLICHE BEWEGUNG BEI<br />
DER BEHANDLUNG VON<br />
DEPRESSIONEN BESSER IST ALS<br />
SERTRALIN (ZOLOFT).<br />
WAS FÜR EINE NACHRICHT! LEIDER WURDE<br />
SIE AUF SEITE 14 IM GESUNDHEITS- UND FIT-<br />
NESSTEIL VERSTECKT.<br />
WÜRDE KÖRPERLICHE BEWEGUNG<br />
IN PILLENFORM ANGEBOTEN, WÄRE<br />
IHR DIE DICKE SCHLAGZEILE AUF<br />
DER TITELSEITE SICHER, UM ALS<br />
DAS WUNDERMITTEL<br />
DES JAHRHUNDERTS SCHLECHTHIN<br />
GEPRIESEN ZU WERDEN.“ 1<br />
brain<br />
vital<br />
Vitamin B[ewegung] SPORTEINHEITEN<br />
365 Einheiten<br />
Möglichst täglich 30 Min. und mehr, mit einer hohen Dosis<br />
Spaß.<br />
<strong>Sport</strong>- und Bewegungseinheiten zur Aufrechterhaltung der<br />
körperlichen und kognitiven Leistungsfähigkeit und der psychischen<br />
Gesundheit.<br />
Für Erwachsene und Heranwachsende jeden Alters geeignet.<br />
Wirkstoffe: Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF), freies<br />
Tryptophan (f-TRP), Serotonin (5-HT), Dopamin (DA), Fairplay,<br />
soziale Interaktion, Selbstwirksamkeit und Wohlbefinden.<br />
Lesen Sie die gesamte Packungsbeilage sorgfältig durch,<br />
denn sie enthält wichtige Informationen für Sie.<br />
Dieses Arzne<strong>im</strong>ittel ist auch ohne Verschreibung erhältlich.<br />
Um einen bestmöglichen präventiven Schutz bzw.<br />
Behandlungserfolg zu erzielen, müssen Brainvital Vitamin<br />
B[ewegung] <strong>Sport</strong>einheiten jedoch regelmäßig angewendet<br />
werden.<br />
• Heben Sie die Packungsbeilage auf. Vielleicht möchten<br />
Sie diese später noch einmal lesen.<br />
• Fragen Sie Ihren Trainer oder Übungsleiter, wenn Sie<br />
weitere Informationen oder einen Rat benötigen.<br />
• Wenn sich vorübergehende Symptome wie aufke<strong>im</strong>ende<br />
Motivationslosigkeit einstellen, nicht aufgeben! Sie<br />
trainieren auf diese Weise Ihre Selbstregulationsfähigkeit<br />
und Willensstärke.<br />
• Wenn Sie eine Nebenwirkung wie Muskelkater oder<br />
eine Erkältung beeinträchtigt, informieren Sie Ihren<br />
Trainer, Übungsleiter oder Trainingspartner und legen<br />
Sie eine kurze Trainingspause ein.<br />
Inhalt der Packungsbeilage<br />
• Stand der Forschung<br />
• Neuroplastizität<br />
• Hippokampale Neurogenese<br />
• Wachstumsfaktor BDNF<br />
• Körperliche Aktivität und exekutive Funktionen<br />
• Effekte eines mehrmonatigen Trainings<br />
• Fitnesseffekte<br />
• Akute Belastungseffekte<br />
• Durch mehr <strong>Sport</strong> mit weniger Stress und Angst besser<br />
lernen<br />
• Serotonin. Sich laufend wohlfühlen<br />
• Soziales Lernen und soziale Integration durch den <strong>Sport</strong><br />
• Fairplay! Sonst schlägt <strong>Sport</strong> auf den Magen<br />
• Fazit<br />
Seite 82
3 DER SPORT MACHT‘S!<br />
STAND DER FORSCHUNG<br />
Mit den gesundheitlichen Wirkungen von <strong>Sport</strong> und Bewegung auf körperliche Prozesse verbindet man häufig<br />
zunächst die potenzielle Reduzierung eines zu hohen Körpergewichts. Bekannt ist auch die vorbeugende und<br />
therapeutische Wirkung von sportlichen Aktivitäten. Das gilt vor allem bei Rückenbeschwerden, Gelenkverschleiß,<br />
Stoffwechselkrankheiten und bei chronischer Herzinsuffizienz. Zum Allgemeinwissen zählt auch, dass<br />
körperliche Aktivität lebensverlängernd wirkt. In der Copenhagen City Heart Study, in die <strong>im</strong> Zeitraum von<br />
1976 bis 2003 17.589 gesunde Männer und Frauen <strong>im</strong> Alter von 20 bis 98 Jahren einbezogen wurden, konnte<br />
nachgewiesen werden, dass sich die Lebenserwartung durch regelmäßiges Joggen bei Männern um mehr als<br />
sechs Jahre und bei Frauen um mehr als fünfeinhalb Jahre erhöht. 2 Körperliche Aktivität reduziert das Risiko,<br />
von Krankheiten mit den höchsten Mortalitätsraten, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zerebrovaskuläre<br />
Erkrankungen, Darm- und Brustkrebs, betroffen zu werden. 3, 4, 5 Hier gilt es in der Kindheit anzusetzen, denn<br />
sie ist eine entscheidende Lebensphase, in der man das Gesundheitsverhalten nachhaltig formen kann. 6<br />
Diesen wichtigen und positiven Zusammenhängen zwischen <strong>Sport</strong>, Bewegung und körperlicher Gesundheit<br />
steht jedoch eine sehr hohe Zahl an übergewichtigen Menschen gegenüber. Davon sind in Deutschland laut<br />
Statistischem Bundesamt etwa jedes siebte Kind und jeder zweite Erwachsene betroffen. 7 Dabei profitiert<br />
nicht nur der Körper von <strong>Sport</strong> und Bewegung. Körperliche Aktivität trägt auch maßgeblich zur geistigen<br />
Gesundheit und zur kognitiven Leistungsfähigkeit bei (zur Übersicht 8 ).<br />
Welchen Einfluss <strong>Sport</strong> und Bewegung auf Gehirnprozesse ausüben, wird erst seit vergleichsweise wenigen<br />
Jahren erforscht. Das Wissen um die Möglichkeit, durch muskuläre Beanspruchung auf das Gehirn einzuwirken,<br />
ist also noch sehr jung. So wurde in der medizinischen Ausbildung bis etwa Mitte der 1980er-Jahre<br />
vermittelt, dass über körperliche Aktivität nicht einmal die Gehirndurchblutung verändert werden könne. 9<br />
Inzwischen weiß man nicht nur, dass selbst durch einfache Formen muskulärer Beanspruchung (wie spazieren<br />
gehen) die regionale Gehirndurchblutung erhöht wird, sondern man kann auch belegen, dass durch Bewegungsformen<br />
unterschiedlicher Art, Dauer und Intensität zahlreiche Anpassungen auf zellulärer, molekularer<br />
und neurochemischer Ebene verursacht werden, die emotionale, soziale und kognitive Prozesse beeinflussen.<br />
Dabei machen <strong>Sport</strong> und Bewegung auch vor den exekutiven Funktionen nicht halt, die in hohem Maße mit<br />
der schulischen Lernleistung korrelieren. 9<br />
Die Zusammenhänge zwischen körperlicher Aktivität und Gehirnprozessen, die <strong>im</strong> Folgenden beschrieben<br />
werden, belegen, dass <strong>Sport</strong> und Bewegung für verschiedene Bereiche unseres geistigen Lebens von großer<br />
Bedeutung sind und dass wir zeitlebens über muskuläre Beanspruchung die Lernleistung des Gehirns steigern<br />
sowie auf das Sozialverhalten und die psychische Gesundheit Einfluss nehmen können.<br />
NEUROPLASTIZITÄT<br />
Körperliche Aktivität fördert Gehirnprozesse, indem sie auf die Struktur und Funktionsweise des Gehirns einwirkt.<br />
Bereits <strong>im</strong> Fetalstadium wird durch die Bewegungen des Kindes und der Mutter die Bildung, Entwicklung<br />
und Vernetzung von Nervenzellen angeregt. Die Anzahl der Nervenzellen und die gezielten Verbindungen,<br />
die sie mit anderen Neuronen eingehen, ermöglichen eine große Bandbreite von Verhaltensreaktionen<br />
und fördern die Entwicklung der Intelligenz. Bewegung zählt deshalb zu den wichtigsten St<strong>im</strong>ulationen des<br />
fetalen Gehirns. 10<br />
Bei 4- bis 6-jährigen Kindern zeigte sich, dass Kinder mit höherer motorischer Leistungsfähigkeit in den Bereichen<br />
Kraft, Schnelligkeit, Beweglichkeit und Koordination auch bessere kognitive Grundfunktionen aufweisen<br />
als körperlich weniger leistungsstarke Kinder. 11 Während der Kindheit erfolgt die Bildung und Vernetzung von<br />
Nervenzellen besonders schnell. Um synaptische Verbindungen herzustellen bzw. aufrechtzuerhalten, sollten<br />
Heranwachsenden täglich Beanspruchungen von ca. 60 Prozent der individuellen körperlichen Höchstleistung<br />
ermöglicht werden. 12 Das bedeutet, dass Kinder und Jugendliche täglich mindestens einmal „ins Schwitzen<br />
kommen“ sollten. Die Bewegungs- und <strong>Sport</strong>angebote in Kindergärten, Schulen und Vereinen sind deshalb<br />
so bedeutsam, weil in einer wichtigen Entwicklungsphase des Gehirns auf die Struktur, Funktion und Vernetzung<br />
von Nervenzellen eingewirkt und dadurch das emotionale und soziale Verhalten sowie die kognitive<br />
und schulische Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen positiv beeinflusst werden kann.<br />
Seite 83
Die Anpassungsvorgänge <strong>im</strong> Zentralnervensystem, die durch die Lebenserfahrungen best<strong>im</strong>mt werden,<br />
wodurch alle Gehirne einzigartig sind, bezeichnet man als Neuroplastizität. 13 Das Gehirn besitzt die bemerkenswerte<br />
Fähigkeit, sich beständig den Erfordernissen seines Gebrauchs anzupassen. Dieser Vorgang ist nicht<br />
auf eine best<strong>im</strong>mte Lebensphase beschränkt, sondern läuft während des gesamten Lebens eines Organismus<br />
ab, zunächst sehr schnell, später langsamer. 14 Die aktivitätsabhängige Neuroplastizität bildet die Grundlage<br />
dafür, dass körperliche Aktivität über den gesamten Lebensverlauf auf die Neuroanatomie und auf chemische<br />
Prozesse <strong>im</strong> Gehirn einwirken kann.<br />
Wenn man sich bewegt, steigt gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit einer kognitiven Reaktion. Das Gehirn eines<br />
körperlich aktiven Menschen stellt sich auf diesen Zusammenhang ein, indem es ein erhöhtes Potenzial für<br />
strukturelle Plastizität und Anpassungsfähigkeit zur Verfügung stellt. 15 Nach einer aktuellen Metaanalyse reduziert<br />
sich das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, durch körperliches Training um ca. 18 Prozent. 16 „Jeder<br />
hat eine Chance, die nichts kostet, und das ist Bewegung“, 17 so bringt der Gehirnforscher Gerd Kempermann<br />
die hohe Bedeutsamkeit eines körperlichen Trainings für das Gehirn auf den Punkt und bezieht sich dabei<br />
insbesondere auf die durch körperliche Aktivität bedingte Neubildung von Nervenzellen (Neurogenese) <strong>im</strong><br />
Hippokampus.<br />
HIPPOKAMPALE NEUROGENESE<br />
Diese unerwartete und zugleich bedeutende Form von Neuroplastizität wurde 1998 entdeckt. 18 Der Hippokampus<br />
ist notwendig für deklarative (verbalisiertes Wissen über Fakten und Ereignisse), episodische (Erinnerungen<br />
an persönlich erfahrene Ereignisse) und räumliche Lern- und Gedächtnisprozesse. 19,20 Zu diesem<br />
Zeitpunkt war allerdings noch nicht eindeutig geklärt, ob die hippokampale Neurogenese nicht nur von struktureller,<br />
sondern auch von funktioneller Bedeutung ist. Dabei ging es in erster Linie um die Frage nach der Integration<br />
neuer Nervenzellen in bereits bestehende Neuronenverbände und darum, ob durch die hippokampale<br />
Neurogenese Lernprozesse entscheidend verbessert werden können. 21 Im Jahr 2000 wurde schließlich<br />
der Nachweis erbracht, dass die neu gebildeten Neuronen tatsächlich mit den bestehenden neuronalen Netzwerken<br />
synaptisch verschaltet werden. Auf diese Weise spielen sie eine bedeutende Rolle be<strong>im</strong> Wiedererwerb<br />
von Fähigkeiten, die durch Neuronenuntergang verloren gegangen sind. 13,22 Im darauffolgenden Jahr<br />
hat sich gezeigt, dass die nachwachsenden Neuronen <strong>im</strong> Hippokampus für Lernprozesse wichtig sind und ein<br />
schnelleres Lernen ermöglichen als ältere Nervenzellen. 13 In Bezug auf räumliche Gedächtnisprozesse werden<br />
die neu gebildeten Neuronen bevorzugt be<strong>im</strong> Lernen und Erinnern von neuen Gedächtnisinhalten aktiviert. 23<br />
Hippokampus und Lernen<br />
Seite 84
Diese Erkenntnisse sind faszinierend, ging man doch bis in die 1990er-Jahre davon aus, dass ein Nachwachsen<br />
von Nervenzellen <strong>im</strong> erwachsenen Gehirn nicht möglich sei. Dass zudem noch eine Gehirnstruktur davon betroffen<br />
ist, der eine zentrale Rolle bei Lern- und Gedächtnisprozessen zukommt, ließ die Fachwelt erstaunen.<br />
Die Neubildung von Nervenzellen <strong>im</strong> Hippokampus wird durch körperliche Aktivität entscheidend angeregt,<br />
wodurch dem <strong>Sport</strong> ein über viele Jahre unbekannter, bedeutender Stellenwert <strong>im</strong> Hinblick auf die Förderung<br />
kognitiver Funktionen zukommt. 9 Körperliche Aktivität, vor allem in Form von Ausdauerbelastungen, fördert<br />
das Neuronenwachstum <strong>im</strong> Hippokampus, indem sich neurale Stammzellen zu neuronalen Vorläuferzellen<br />
weiterentwickeln, an ihren Zielort wandern und dort zu funktionsfähigen Neuronen werden. Die Anzahl der<br />
neu gebildeten Nervenzellen lässt sich dabei durch körperliches Training verdoppeln. 24 Neben einem körperlichen<br />
Training regt auch geistige Aktivität die hippokampale Neurogenese an. Geht der kognitiven Beanspruchung<br />
ein körperliches Training voraus, hat dies einen additiven Effekt. Rund 30 Prozent mehr Nervenzellen<br />
bilden sich in der Kombination von körperlicher und nachfolgender kognitiver Aktivität als durch eine der<br />
beiden St<strong>im</strong>ulationen für sich genommen. 25<br />
WACHSTUMSFAKTOR BDNF<br />
Der <strong>im</strong> Blutserum (flüssiger Anteil des Blutes ohne feste Bestandteile wie Blutplättchen, rote und weiße Blutkörperchen)<br />
zirkulierende neurotrophe Wachstumsfaktor BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor) wird<br />
<strong>im</strong> Hippokampus und in den Thrombozyten gebildet. Der BDNF-Spiegel <strong>im</strong> Blutserum korreliert mit dem<br />
Volumen des Hippokampus. Ein niedriger Spiegel weist dabei auf eine Verkleinerung des Hippokampus hin.<br />
Erniedrigte BDNF-Spiegel zeigen sich z.B. bei Depressionen, Burnout, Schlafstörungen und chronischem<br />
Stress. 26,27 Der BDNF, der die synaptische Plastizität sowie das Wachstum und Überleben von Nervenzellen<br />
erhöht, kann die Blut-Hirn-Schranke (den Übergang vom Blut ins Gehirn) frei passieren.<br />
Neurotropher Wachstumsfaktor BDNF<br />
Körperliche Aktivität führt zu einem Ansteigen des BDNF-Spiegels. Sowohl tägliches Ausdauertraining als<br />
auch ein Training, das nur jeden zweiten Tag erfolgt, bewirken einen Anstieg des BDNF. Mit zunehmender<br />
Laufdauer steigt die BDNF-Konzentration dabei progressiv an. Selbst nach einem drei Monate andauernden<br />
täglichen Training ist noch ein Anstieg festzustellen, und noch einige Tage nach Belastungsende kann eine<br />
Erhöhung des BDNF-Proteins nachgewiesen werden. Ein weiterer Test zeigt die Langzeitwirkung des<br />
Ausdauertrainings. Zwei Wochen nach dem dre<strong>im</strong>onatigen Training wurde in einer sehr kurzen zweiten<br />
Trainingseinheit ein BDNF-Anstieg auf einem Niveau nachgewiesen, das üblicherweise ein mehrwöchiges<br />
Training erfordern würde. Daraus wird abgeleitet, dass ein molekulares Gedächtnis für die BDNF-Beeinflussung<br />
durch körperliche Belastung existiert. 28 Das molekulare Gedächtnis führt möglicherweise dazu, dass ein<br />
durch längeres Training erreichtes BDNF-Niveau zu einem späteren Zeitpunkt über eine kürzere Phase an<br />
Ausdauertraining schnell wieder erreicht werden kann.<br />
Effektives Vokabellernen wird ebenfalls mit einem BDNF-Anstieg, angeregt durch körperliche Aktivität,<br />
in Verbindung gebracht. Neurologen des Universitätsklinikums Münster konnten nachweisen, dass das<br />
Seite 85
Vokabellernen nach einer kurzen, intensiven anaeroben Belastung (zwei Sprints à drei Minuten mit steigender<br />
Geschwindigkeit bei über 10 mmol/l Laktat) 20 Prozent schneller erfolgt als nach einer längeren, wenig<br />
intensiven aeroben Belastung (40 Minuten bei 2 mmol/l Laktat) und ebenfalls schneller als nach einer Ruhebedingung<br />
(15 Minuten). Die intensive körperliche Belastung ging mit einer erhöhten BDNF-Konzentration <strong>im</strong><br />
Blut einher. Während der kurzzeitige Lernerfolg dem BDNF-Anstieg zugeschrieben wurde, wurde die verbesserte<br />
mittlere Behaltensleistung (von einer Woche) nach dem Sprint mit einer erhöhten peripheren (<strong>im</strong> Blut<br />
gemessenen) Dopaminkonzentration in Verbindung gebracht. Die verbesserte langfristige Behaltensleistung<br />
(bis zu acht Wochen) korrelierte mit einer erhöhten Adrenalinkonzentration <strong>im</strong> Blut. 29<br />
Unabhängig von einem BDNF-Anstieg konnte <strong>im</strong> Tierexper<strong>im</strong>ent gezeigt werden, dass die Kombination aus<br />
körperlicher Aktivität (Ausdauerbelastung) und kognitiver Aufgabe die Arbeitsgedächtnisleistung verbessert.<br />
Dieser Effekt wurde weder durch eine reine Ausdauerbelastung, die nur in dieser Form einen signifikanten<br />
BDNF-Anstieg bei den Tieren bewirkte, noch durch die kognitive Aufgabe allein erzielt. 30 Dass das Arbeitsgedächtnis<br />
stärker von einem kombiniert körperlich-kognitiven Training als von einem rein kognitiven Training<br />
profitiert, wurde inzwischen auch bei Menschen nachgewiesen. 31 Damit sind wir bei den exekutiven Funktionen<br />
und deren Beeinflussung durch körperliche Aktivität angelangt.<br />
KÖRPERLICHE AKTIVITÄT UND EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Man unterscheidet bei den Effekten von körperlicher Aktivität auf exekutive Funktionen zwischen akuten Trainingseffekten,<br />
die sich während der körperlichen Belastung oder unmittelbar danach einstellen, und Effekten,<br />
die durch ein regelmäßiges Training über mehrere Wochen oder Monate und eine gesteigerte körperliche<br />
Fitness erzielt werden. Durch körperliche Aktivität und Fitness geförderte exekutive Funktionen zeigen sich<br />
unter anderem <strong>im</strong> Zusammenhang mit der Aufmerksamkeitssteuerung (Flanker-Test 32,33,34 ), der Inhibition<br />
(Stroop-Test 35 ) und der Arbeitsgedächtnisleistung (N-Back-Aufgabe 36 ; zur Übersicht siehe 37 ).<br />
EFFEKTE EINES MEHRMONATIGEN TRAININGS<br />
Durch die Entwicklung der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT), mit der Gehirnaktivitäten bei<br />
der Bearbeitung von kognitiven Aufgaben dargestellt werden können, wurden die wichtigsten Fortschritte<br />
in der Gehirnforschung erzielt. 13 Bislang gibt es nur sehr wenige fMRT-Studien, mit denen mögliche Effekte<br />
von körperlicher Aktivität und körperlicher Fitness auf kognitive Funktionen und Gehirnstrukturen von Heranwachsenden<br />
untersucht wurden. Im Rahmen einer solchen Studie nahmen 8- bis 9-jährige Kinder über einen<br />
Zeitraum von neun Monaten fünfmal wöchentlich an einem etwa 70-minütigen <strong>Sport</strong>programm teil, das<br />
nachmittags, zwei Stunden nach Unterrichtsende, durchgeführt wurde. Das Programm FITKIDS besteht aus<br />
motorischen Aufgaben und Kräftigungsübungen und zielt ohne Wettkampfcharakter, in spielerischer Form,<br />
insbesondere auf eine Steigerung der aeroben Leistungsfähigkeit ab. 37<br />
Bei den sportlich aktiven Kindern (Interventionsgruppe) kam es <strong>im</strong> Anschluss an das neunmonatige <strong>Sport</strong>programm<br />
<strong>im</strong> Vergleich zu den Kindern aus der Wartekontrollgruppe in der inkongruenten Testbedingung<br />
einer Flanker-Aufgabe (vgl. Kapitel 1, 23f.) zu einem Rückgang der neuronalen Aktivität <strong>im</strong> rechten vorderen<br />
(anterioren) präfrontalen Kortex. Inkongruente Flanker-Aufgaben erfordern eine hohe kognitive Kontrolle,<br />
insbesondere eine gute Aufmerksamkeitssteuerung, und dabei die Fähigkeit, Störreize effektiv ausblenden zu<br />
können. Diese Fähigkeit steht in einem engen Zusammenhang mit der schulischen Lernleistung. 37<br />
Die Gehirnaktivierung der Kinder aus der Interventionsgruppe glich sich dabei der Aktivierung junger Erwachsener<br />
an. Die Leistungsfähigkeit bzw. die Gehirnfunktionen und die Gehirnaktivität von jungen Erwachsenen<br />
gelten als Modell für ein opt<strong>im</strong>al ausgereiftes und funktionierendes Gehirn. Bei der Kontrollgruppe war dagegen<br />
keine Veränderung der neuronalen Aktivität <strong>im</strong> anterioren präfrontalen Kortex nachzuweisen. In der<br />
neutralen Testbedingung der Flanker-Aufgabe, in der keine höhere Anforderung an die kognitive Kontrolle<br />
gestellt wird, unterschied sich die Gehirnaktivität der Erwachsenen nicht von der der Kinder – weder aus der<br />
Interventions- noch aus der Kontrollgruppe. 37<br />
Seite 86
Die Auswertung der Verhaltensdaten, d.h. der Reaktionszeiten und die Fehleranalyse ergab, dass sich die Leistungsfähigkeit<br />
der Interventionsgruppe in der inkongruenten Testbedingung von Messzeitpunkt 1 (vor dem<br />
9-monatigen <strong>Sport</strong>programm) nach Messzeitpunkt 2 (nach dem 9-monatigen <strong>Sport</strong>programm) verbesserte.<br />
Dabei machten die Kinder zum 2. Messzeitpunkt nur noch vergleichbar viele Fehler wie junge Erwachsene.<br />
Die Kinder aus der Kontrollgruppe zeigten keine Verbesserung in der Aufmerksamkeitssteuerung. 37<br />
Diese Daten sprechen für neuroplastische Adaptionen des rechten anterioren präfrontalen Kortex bei<br />
Kindern, angeregt durch ein mehrmonatiges körperliches Training mit einer Bewegungszeit von etwa einer<br />
Stunde. Der anteriore präfrontale Kortex unterstützt die Fähigkeit, aufgabenrelevante Informationen über die<br />
Zeit aufrechtzuerhalten. Bei Kindern scheint sich durch ein körperliches Training die Gehirnaktivität dahingehend<br />
anzupassen, dass sich ihre kognitiven Kontrollstrategien denen von jungen Erwachsenen angleichen:<br />
von einer schnellen reaktiven Kontrolle hin zu einer flexibleren, anhaltend zielorientierten Kontrolle. 37 Dabei<br />
scheinen sich bei 8- bis 9-jährigen Kindern verstärkt höhere Belastungsintensitäten bei 55 bis 80 Prozent der<br />
max<strong>im</strong>alen Herzfrequenz <strong>im</strong> Vergleich zu mittleren Belastungsintensitäten positiv auf die exekutiven Funktionen<br />
auszuwirken. 39 (Studienergebnisse zu den Effekten von Kampfkunst siehe 166.)<br />
FITNESSEFFEKTE<br />
Fitnesseffekte wurden in einer weiteren fMRT-Studie bei 9- bis 10-jährigen Kindern untersucht. Man wollte<br />
prüfen, ob körperlich fittere Kinder <strong>im</strong> Vergleich zu weniger körperlich leistungsstarken Kindern Unterschiede<br />
in der Gehirnaktivierung bei der Bearbeitung einer Flanker-Aufgabe zeigen. Dabei waren Unterschiede zum<br />
einen zwischen den Testbedingungen (kongruent bzw. neutral vs. inkongruent) und zum anderen hinsichtlich<br />
der Testdurchgänge (frühe vs. späte Testdurchgänge) messbar. 34 Unabhängig von der körperlichen Leistungsfähigkeit<br />
zeigten die Kinder in der kongruenten Testbedingung (z.B.
Die Auswertung ereigniskorrelierter Potenziale bei C3 der Durchführung P3eines GoNogo-Flanker-Paradigmas (zur<br />
Messung von Inhibition und Aufmerksamkeitssteuerung unter Einbeziehung des Arbeitsgedächtnisses und der<br />
kognitiven Flexibilität) ergab bei körperlich leistungsstärkeren Jugendlichen <strong>im</strong> Alter zwischen 13 und 14 Jahren<br />
<strong>im</strong> Vergleich zu weniger körperlich fitten Jugendlichen zum einen eine signifikant größere CNV-Amplitude, 43 was<br />
für erhöhte vorbereitende Aufmerksamkeitsprozesse spricht. Zum anderen zeigen die leistungsstärkeren Schüler<br />
<strong>im</strong> Vergleich zu den weniger körperlich leistungsstarken Schülern eine reduzierte N2-Amplitude. 44<br />
C4<br />
N2<br />
+20µV<br />
O1<br />
höhere Fitness<br />
geringere Fitness<br />
O2<br />
CNV<br />
FLANKIERREIZ<br />
01<br />
DD DD<br />
-20µV<br />
-700 -600 -400 -200 0 200 400 600 700<br />
700 -600 -400 -200 0 200 -400 600 700 700 -600 -400 -200 0 20<br />
FLANKIERREIZ ZIELSTIMULUS<br />
T<strong>im</strong>e (ms)<br />
Zunächst besteht die Aufgabe darin,<br />
Flankerdie<br />
Aufmerksamkeit<br />
Targetauf<br />
4 identische Flankierreize (Buchstaben) zu lenken.<br />
Dabei wird die CNV-Kurve ausgewertet, um Rückschlüsse auf die Aufmerksamkeitsleistung zu ziehen.<br />
Onset Onset<br />
Die an der Elektrode O1 abgeleitete elektrische Aktivität – <strong>im</strong> Bereich der CNV-Kurve – weist darauf hin, dass<br />
die untersuchten körperlich fitteren Jugendlichen auf die Flankierreize mit einer höheren Aufmerksamkeit<br />
reagieren als die weniger körperlich fitten Jugendlichen.<br />
höhere Fitness<br />
geringere Fitness<br />
FLANKIERREIZ<br />
ZIELSTIMULUS<br />
Target<br />
DDBDD<br />
Flanker<br />
DDUDD<br />
Go<br />
F3<br />
DD DD<br />
DDVDD<br />
Nogo<br />
DDDDD<br />
-700 -600 -400 -200 0 200 400 600 700<br />
FLANKIERREIZ<br />
ZIELSTIMULUS<br />
Anschließend erscheint ein Zielst<strong>im</strong>ulus. Die Jugendlichen müssen dabei die Aufgabenstellung <strong>im</strong> Arbeitsgedächtnis<br />
aufrechterhalten und eine der beiden folgenden Aktionen ausführen: Ist der Zielst<strong>im</strong>ulus ein B oder<br />
ein U, sollten die Probanden eine Reaktionstaste so schnell wie möglich drücken (Go-Bedingung). Ist der Zielst<strong>im</strong>ulus<br />
ein D oder ein V, sollten sie die Taste nicht drücken (Nogo-Bedingung: Inhibition). Die N2 45 stellt die<br />
EKP-Komponente dar, die mit der Antwortüberwachung und der Inhibition von Reaktionen assoziiert wird.<br />
Anhand dieser Kurve lässt sich die exekutive Kontrolle bzw. die Inhibition von Antworttendenzen messen.<br />
Seite 88
Diese Studienergebnisse deuten darauf hin, dass die körperliche Fitness die Leistung des exekutiven Systems<br />
verbessert, indem die geistige Anstrengung bei Prozessen der Handlungsüberwachung reduziert wird. Eine<br />
reduzierte N2-Amplitude von körperlich leistungsstärkeren Schülern spiegelt damit eine effizientere kognitive<br />
Kontrolle wider. Daraus lässt sich folgern, dass die Gehirne von körperlich leistungsfähigeren Jugendlichen<br />
effizienter arbeiten als die von Jugendlichen mit geringerer Fitness.<br />
Körperlich fitte Jugendliche zeigen also bessere Leistungen in Flanker-Aufgaben als weniger fitte. Von einer<br />
akuten Belastung scheinen die weniger fitten Jugendlichen jedoch stärker zu profitieren als die körperlich<br />
leistungsstärkeren Jugendlichen. 46 Körperliche Fitness wirkt dabei nicht nur positiv auf die der Lernleistung<br />
zugrunde liegenden exekutiven Funktionen von Kindern ein, sondern sie korreliert ebenfalls mit einem besseren<br />
Abschneiden in Lernleistungstests.<br />
47, 48<br />
Der Zusammenhang zwischen einer gesteigerten kognitiven Leistungsfähigkeit und Fitnesseffekten geht auch<br />
aus einer Langzeitstudie hervor, die alle zwischen 1950 und 1976 geborenen schwedischen wehrpflichtigen<br />
Männer erfasst. In dieser Studie wurde nachgewiesen, dass eine Zunahme an kardiovaskulärer Leistungsfähigkeit<br />
<strong>im</strong> Alter zwischen 15 und 18 Jahren die kognitive Leistungsfähigkeit <strong>im</strong> Alter von 18 Jahren voraussagt.<br />
Die Zunahme der kardiovaskulären Leistungsfähigkeit steht dabei in einem positiven Zusammenhang mit der<br />
Intelligenz. Die körperliche Leistungsfähigkeit mit 18 Jahren wiederum sagte die Leistungsfähigkeit in Studium<br />
und Beruf sowie den sozioökonomischen Status <strong>im</strong> weiteren Lebensverlauf voraus. 49<br />
AKUTE BELASTUNGSEFFEKTE<br />
Akute Belastungseffekte auf exekutive Funktionen konnten u.a. bei jungen Erwachsenen nach einer 20-minütigen<br />
Yoga-Einheit 50 sowie bei jugendlichen Schülern nach einer 10- bis 14-minütigen Ausdauerbelastung<br />
mit 2 intensiven Belastungseinheiten, 53 nach einer 10-minütigen koordinativen 54 und einer 30-minütigen<br />
koordinativ- und ausdauerorientierten <strong>Sport</strong>unterrichtseinheit nachgewiesen werden. 55 Im Vergleich zu einer<br />
Ruhebedingung konnten diese Schüler nach dem <strong>Sport</strong>unterricht Störreize besser ausblenden. Dieser<br />
Effekt zeigte sich jedoch nicht nach einer 5-minütigen Bewegungspause <strong>im</strong> Klassenz<strong>im</strong>mer bei mittlerer Intensität.<br />
55 Nach einer 4-minütigen hochintensiven Bewegungspause (FUNtervals) jedoch wurden Verbesserungen<br />
in der selektiven Aufmerksamkeit von 9- bis 11-jährigen Schülern erzielt. 56 Die Wirksamkeit solcher<br />
kurzen, belastungsintensiven Bewegungspausen zeigt sich nicht nur auf kognitiver Ebene, sondern spiegelt<br />
sich auch <strong>im</strong> Verhalten der Schüler wider. Grundschüler sind <strong>im</strong> weiteren Verlauf der Stunde nach kurzen,<br />
belastungsintensiven Pausen weniger motorisch unruhig und abgelenkt als Schüler, die sich in Unterrichtspausen<br />
körperlich nicht belastet haben. 57<br />
Die (modifizierte) Bewegungspause „Popcorn“ aus FUNtervals wird mit einer kleinen Geschichte eingeleitet.<br />
Ziel ist es, Popcorn für ein Schul- oder <strong>Sport</strong>fest herzustellen. Alle Bewegungen sollen so schnell wie möglich<br />
und mit größtmöglichen Bewegungsumfängen ausgeführt werden. Jede der 4 Bewegungsaufgaben umfasst<br />
20 Sekunden. Nach jeder Übung folgen 10 Sekunden Pause. Die gesamte Abfolge wird einmal wiederholt,<br />
sodass das Intervalltraining vier Minuten umfasst.<br />
1.<br />
Holt den Mais aus dem obersten Regal und schüttet ihn in einen<br />
großen Topf, der vor euch auf dem Boden steht (<strong>im</strong> Wechsel nach<br />
oben strecken und runter in die Hocke gehen).<br />
2.<br />
Das Popcorn poppt in die Höhe<br />
(Hochsprünge mit gespreizten Armen und Beinen)<br />
Seite 89
3.<br />
Verladet das Popcorn in einen riesigen Sack<br />
(in die Hocke gehen, Arme in Vorhalte in Richtung Boden;<br />
anschließend aufstehen und Arme nach oben führen und<br />
seitwärts ausstrecken)<br />
4.<br />
Das Popcorn muss nun so schnell wie möglich ausgeliefert werden,<br />
damit es noch warm am Ziel ankommt (auf der Stelle sprinten).<br />
5.<br />
Oh, nein! Das Popcorn ist verbrannt. Schnell zurück und <strong>im</strong> nächsten<br />
Durchgang noch mehr Popcorn machen.<br />
In einer weiteren Studie an Schulkindern wurde nachgewiesen, dass sich nach einer 20-minütigen mittleren<br />
Ausdauerbelastung (Walking) nicht nur die Fähigkeit verbesserte, Störreize auszublenden, sondern auch bessere<br />
Ergebnisse in den Schulleistungstests erzielt wurden. 32 Diese Daten werden durch eine Metaanalyse gestützt,<br />
die belegt, dass sich die kognitive Leistungsfähigkeit von Schulkindern während und unmittelbar nach einer akuten<br />
Belastung verbessert. Verbesserungen sind auch noch nach einer Verzögerung von bis zu 20 Minuten nach<br />
der körperlichen Beanspruchung nachweisbar. 58 Aufgrund von Studienergebnissen, die eine Kausalität zwischen<br />
körperlicher Fitness bzw. körperlicher Belastung und verbesserten exekutiven Funktionen sowie Lernleistungen<br />
belegen, sollte dem <strong>Sport</strong>unterricht und dem außerunterrichtlichen <strong>Sport</strong>angebot an Schulen ein weitaus größerer<br />
Stellenwert zukommen. Will man die akuten positiven Effekte auf die Aufmerksamkeitsleistung von Schülern<br />
<strong>im</strong> Anschluss an eine körperliche Belastung nutzen, sollten der <strong>Sport</strong>unterricht und darüber hinausgehende<br />
<strong>Sport</strong>angebote nicht in den Randstunden stattfinden, sondern möglichst täglich vor anderen wichtigen Fächern<br />
sowie vor Hausaufgaben- und weiteren Lernzeiten platziert werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass<br />
exekutive Funktionen von Kindern und Jugendlichen sowohl von einer akuten körperlichen Belastung als auch<br />
von neurophysiologischen Adaptionen, angeregt durch ein längerfristiges körperliches Training, profitieren. Wie<br />
bereits beschrieben, zeichnet sich zudem ab, dass eine Kombination aus körperlichem und kognitivem Training<br />
für die Förderung exekutiver Funktionen <strong>im</strong> Besonderen geeignet ist. 30,31 Ein solches Training findet sich insbesondere<br />
in schnellen Mannschaftssportarten wie Handball, Fußball und Basketball (vgl. Kapitel 1).<br />
VERBESSERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN:<br />
• Akute Belastungseffekte: koordinative Übungen, kurze intensive Bewegungspausen, <strong>Sport</strong>unterricht, Yoga<br />
• Fitnesseffekte: gesteigerte kardiovaskuläre Leistungsfähigkeit<br />
• Trainingseffekte: <strong>Sport</strong>artspezifisches Training, spielerische <strong>Sport</strong>konzepte (z.B. FITKids, PFiFF)<br />
DURCH MEHR SPORT MIT WENIGER STRESS UND ANGST BESSER LERNEN<br />
Während, wie bereits beschrieben, körperliche Aktivität und die dadurch bedingte Steigerung neurotropher<br />
Wachstumsfaktoren die hippokampale Neurogenese st<strong>im</strong>ulieren, kann wiederholter Stress schädigend auf<br />
die Hippokampusformation einwirken. 20 So wurde die verstärkte Neubildung von Nervenzellen nur bei freiwilliger<br />
und nicht bei erzwungener körperlicher Belastung nachgewiesen. 24 Zwar scheint Stress das Überleben<br />
der neu gebildeten Neuronen nicht direkt zu beeinflussen, er führt jedoch zu einem Rückgang der<br />
Neurogenese 24 und darüber hinaus zu einem allgemeinen (interindividuell unterschiedlichen) reversiblen,<br />
aber auch irreversiblen Verlust von hippokampalen Neuronen. 20 Stresshormone bewirken zum einen, dass<br />
weniger Glukose in das Gehirn aufgenommen werden kann, wodurch sich das Energieangebot verringert.<br />
Seite 90
Zum anderen erhöhen sie die Toxizität des Neurotransmitters Glutamat. Beide Faktoren führen zu Schäden<br />
am Hippokampus und dadurch zu einer Leistungsminderung hippokampaler Funktionen. In weiterer Folge<br />
kann chronischer Stress zum Zelluntergang <strong>im</strong> Hippokampus beitragen und sich damit ungünstig auf das<br />
Lernen und Behalten auswirken. 13<br />
Es hat sich gezeigt, dass Spitzensportler auf psychischen Stress signifikant ruhiger, weniger ängstlich und<br />
in einer besseren St<strong>im</strong>mung reagieren als untrainierte Menschen. 59 Tierexper<strong>im</strong>entelle neurobiologische<br />
Studien zeigen ebenfalls, dass körperliche Aktivität einen Schutz vor den negativen Folgen von Stress darstellen<br />
kann. Umgekehrt stellt die erzwungene Bewegungslosigkeit einen besonders hohen Stressfaktor dar. Eine<br />
zweistündige Immobilisierung führt bei Tieren zu einem Anstieg des Stresshormons Corticosteron (entspricht<br />
be<strong>im</strong> Menschen dem Stresshormon Kortisol) <strong>im</strong> Hippokampus, der auch noch eine Stunde nach Beendigung<br />
der Ruhigstellung andauert. Bewegungslosigkeit bzw. mangelnde Bewegungsmöglichkeiten bedeuten also<br />
Stress für den Organismus. Der durch diesen Stress ausgelöste Rückgang des neurotrophen Wachstumsfaktors<br />
BDNF <strong>im</strong> Hippokampus ist noch zehn Stunden später nachweisbar. Eine Ausdauerbelastung bewirkt<br />
dagegen bei zuvor durch Ruhigstellung gestressten, aber auch bei nicht gestressten Tieren eine Steigerung<br />
sowohl der Corticosteron- als auch der BDNF-Konzentration. 60 Der durch Stress bedingte Corticosteronanstieg<br />
und der Corticosteronanstieg, der durch muskuläre Beanspruchung in Form von Ausdauerbelastungen<br />
verursacht wird, haben also entgegengesetzte Folgen in Bezug auf den Wachstumsfaktor BDNF. Muskuläre<br />
Beanspruchung kann auf diese Weise dem negativen Effekt von Stress entgegenwirken.<br />
Die stressfreie körperliche Aktivität ist gleichzeitig die Voraussetzung dafür, dass muskuläre Beanspruchung<br />
positiv auf den Hippokampus einwirken kann. Dies hat Konsequenzen für den Schulsport. Eine Voraussetzung<br />
dafür, dass durch den <strong>Sport</strong>unterricht die Neubildung von Nervenzellen angeregt werden kann, ist, dass die<br />
Schülerinnen und Schüler gerne am <strong>Sport</strong>unterricht teilnehmen. Von den Schülern der 4., 7. und 9. Klasse<br />
freuen sich zwei Drittel auf jede <strong>Sport</strong>unterrichtseinheit. Etwa 15 Prozent dieser Altersgruppen würden <strong>Sport</strong><br />
dagegen abwählen. Mit zunehmendem Alter geht der Spaß am <strong>Sport</strong>unterricht deutlich zurück, 61 obwohl der<br />
<strong>Sport</strong> bei Jugendlichen aller sozialen Schichten die am häufigsten betriebene und subjektiv wichtigste Freizeitaktivität<br />
darstellt. 62 Das <strong>Sport</strong>angebot der Schulen sollte sich aus diesem Grund stärker an den Wünschen<br />
der Schülerinnen und Schüler orientieren und vor allem Erfolgserlebnisse vermitteln.<br />
Obwohl mit zunehmendem Alter der Spaß am <strong>Sport</strong>unterricht abn<strong>im</strong>mt, fühlen sich die Schülerinnen und<br />
Schüler der genannten Klassenstufen <strong>im</strong> <strong>Sport</strong>unterricht deutlich wohler als in der Schule insgesamt. Während<br />
drei Viertel dieser Gruppe gerne am <strong>Sport</strong>unterricht teiln<strong>im</strong>mt, gehen nur 50 Prozent gerne in die Schule.<br />
Das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler <strong>im</strong> <strong>Sport</strong>unterricht ist also höher als das allgemeine<br />
Wohlbefinden in der Schule. 61 Gleichzeitig führt ein größeres Angebot am <strong>Sport</strong>unterricht bzw. Schulsport zu<br />
einer Verbesserung des Sozialverhaltens.<br />
Von 1993 bis 1997 wurde in einem Modellversuch an einer Grundschule die tägliche <strong>Sport</strong>stunde in den Klassen<br />
eins bis vier eingeführt. Dabei hatte man mit Zust<strong>im</strong>mung der Eltern zugunsten des erweiterten <strong>Sport</strong>unterrichts<br />
die Stundenzahl anderer Fächer gekürzt. Dies betraf unter anderem den Deutschunterricht. Nach<br />
Ablauf der vier Schuljahre schnitten die Schülerinnen und Schüler dieser Schule <strong>im</strong> Vergleich zu einer Kontrollschule<br />
in den Bereichen motorische Leistungsfähigkeit, Arbeits- und Sozialverhalten besser ab. So war<br />
ein weniger starkes aggressives Verhalten um die Hälfte seltener als in der Kontrollschule, und insgesamt war<br />
mittleres aggressives Verhalten zu beobachten. Überdies kam es zu keinem Leistungsabfall in den gekürzten<br />
Fächern. 63 Das belegen inzwischen auch internationale Studien. Ein Ausbau des <strong>Sport</strong>- und Bewegungsangebots<br />
an Schulen in Form von mehr <strong>Sport</strong>unterricht, bewegtem Unterricht, Bewegungspausen <strong>im</strong> Klassenz<strong>im</strong>mer<br />
und bewegten Pausen <strong>im</strong> Schulhof, der es Kindern <strong>im</strong> Schultag wiederholt ermöglicht, körperlich aktiv zu<br />
sein, trägt zu einer Verbesserung oder zumindest zu keiner Verschlechterung der Lernleistung bei und hat zudem<br />
positive Effekte auf die Konzentrationsleistung und das Sozialverhalten der Schülerinnen und Schüler.<br />
64, 65<br />
Wie wichtig positive Emotionen be<strong>im</strong> Lernen sind, zeigt sich in bildgebenden Studien. Zwar trägt auch Angst<br />
dazu bei, dass wir unangenehme Erlebnisse sehr schnell lernen. Aber Angst verhindert gleichzeitig das, was<br />
be<strong>im</strong> Lernen erreicht werden soll: die Verknüpfung des neu zu Lernenden mit bereits bekannten Inhalten und<br />
die Anwendung des Gelernten auf andere Situationen und Beispiele. Aus diesem Grund fällt es Menschen<br />
mit Prüfungsangst schwer, einfache, aber Kreativität erfordernde Lösungen zu finden. 13 Es wurde nachgewiesen,<br />
dass der emotionale Kontext, in dem die Einspeicherung von neutralen Wörtern geschieht, einen<br />
modulierenden Einfluss auf die spätere Erinnerungsleistung hat. 66 Wörter werden dann am besten erinnert,<br />
wenn sie in einem positiven emotionalen Kontext gelernt werden. Dabei kann die Aktivierung unterschiedli-<br />
Seite 91
cher Gehirnregionen ein späteres Erinnern vorhersagen, je nachdem, in welchen emotionalen Kontext Wörter<br />
eingespeichert werden. Während das erfolgreiche Einspeichern von Wörtern in einen positiven emotionalen<br />
Kontext eine Aktivität <strong>im</strong> Bereich des Hippokampus und Parahippokampus zeigte, fand eine Aktivierung der<br />
Amygdala während des erfolgreichen Einspeicherns in einen negativen emotionalen Kontext. Die Amygdala ist<br />
es, die es uns ermöglicht, angsterzeugende Erlebnisse schnell zu lernen, um sie zu einem späteren Zeitpunkt zu<br />
vermeiden. Erfolgreiches Einspeichern in einem neutralen Kontext aktiviert dagegen den frontalen Kortex. Diese<br />
Ergebnisse machen deutlich, wie eng Emotion und Kognition (Gefühl und Denken) miteinander verbunden sind.<br />
Auf den Punkt gebracht, sagen sie aus, dass Lernen bei guter Laune am besten funktioniert. 13<br />
Überträgt man dieses Wissen auf die Schule, indem man den emotionalen Kontext be<strong>im</strong> Wörterlernen mit<br />
dem Klassenkl<strong>im</strong>a gleichsetzt, das <strong>im</strong> Wesentlichen von der Unterrichtsführung des Lehrers und einer positiven<br />
Lehrer-Schüler-Beziehung best<strong>im</strong>mt wird, so gilt Folgendes: Soll erfolgreich gelernt werden, indem<br />
der Hippokampus be<strong>im</strong> Lernen zum Zuge kommt, muss eine positive Grundst<strong>im</strong>mung be<strong>im</strong> Lernen erzeugt<br />
werden, was beispielsweise durch ein gezieltes Lob vom Lehrer erfolgen kann. Was für das Lernen von Wörtern<br />
gilt, gilt <strong>im</strong> Übrigen auch für die sportliche Leistungsfähigkeit und damit auch für den <strong>Sport</strong>unterricht.<br />
Eine Untersuchung von 92 Hauptschülerinnen und Hauptschülern aus 9 Klassen des 5. und 6. Schuljahres<br />
hatte ergeben, dass vor allem sehr ängstliche Schülerinnen und Schüler ihre sportliche Leistungsfähigkeit<br />
nicht nur durch Training, sondern allein durch wenige gezielte, ermutigende Äußerungen der <strong>Sport</strong>lehrerin/<br />
des <strong>Sport</strong>lehrers deutlich steigern konnten. Dies betraf die Leichtathletikleistung be<strong>im</strong> Schlagballwurf, be<strong>im</strong><br />
Weitsprung und am stärksten be<strong>im</strong> 50-Meter-Lauf. 67 Lob kann also „Beine machen“! Dieses Ergebnis zeigt,<br />
wie stark die Lernleistung der Schülerinnen und Schüler von der Person der Lehrerin bzw. des Lehrers abhängt.<br />
Das gilt für die sportliche Leistungsfähigkeit ebenso wie für die Lernleistung in anderen Unterrichtsfächern.<br />
68 Der Einfluss von körperlicher Aktivität ist auf affektiver Ebene abhängig von der Dosis der Belastung.<br />
In einer EEG-Studie wurden 20 Versuchspersonen einer 30-minütigen Fahrradergometer-Belastung bei 55<br />
bzw. 70 Prozent der max<strong>im</strong>alen Sauerstoffaufnahme (VO2max) sowie einer Ruhebedingung unterzogen. 69<br />
Vor der Belastung und zu mehreren Messzeitpunkten nach der Ausdauerbelastung wurden die St<strong>im</strong>mung<br />
und die Zustandsangst gemessen und mit den Ergebnissen der EEG-Ableitung in Beziehung gesetzt. Während<br />
Ruhe und Ausdauerbelastung bei 55 Prozent VO2max keine affektiven Veränderungen bewirkten, sagte eine<br />
größere linksfrontale Gehirnaktivierung vor der Belastungsbedingung bei 70 Prozent eine gesteigerte St<strong>im</strong>mung<br />
und verringerte Zustandsangst voraus. Sieben Probandinnen und Probanden, die nach der Ausdauerbelastung<br />
eine starke relative linksfrontale Aktivierung <strong>im</strong> EEG aufwiesen, berichteten nach der Ausdauerbelastung<br />
damit übereinst<strong>im</strong>mend von einem Rückgang der Angst. Dagegen führte die Ergometerbelastung<br />
bei sieben Probandinnen und Probanden mit anschließender starker relativer rechtsseitiger frontaler Aktivierung<br />
zu einem Anstieg der Angst. Diese Untersuchungsergebnisse deuten zum einen darauf hin, dass die<br />
affektive Reaktion nach Ausdauerbelastungen von der Ruheaktivität frontaler Gehirnregionen beeinflusst<br />
wird; zum anderen zeigt diese EEG-Studie, dass affektive Veränderungen durch körperliche Aktivität dosisabhängig<br />
sind. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Wirkung von Ausdauerbelastungen hinsichtlich des<br />
Wohlbefindens individuell unterschiedlich ausfällt. In Bezug auf die Belastungsintensität haben Ausdauerbelastungen<br />
von 70 Prozent der individuellen Leistungsfähigkeit eine höhere Wirkung als mittlere Belastungsintensitäten.<br />
An Eiweiß gebundenes<br />
Tryptophan.<br />
Fettverbrennung wird durch<br />
<strong>Sport</strong> angeregt. Es kommt zu<br />
einem Anstieg freier Fettsäuren.<br />
Die freien Fettsäuren<br />
lösen das Eiweiß<br />
vom Tryptophan.<br />
Es befindet sich 75% mehr<br />
freies Tryptophan <strong>im</strong> Blut.<br />
Im Blut<br />
Auch andere Aminosäuren wollen<br />
den Transporter besetzen, werden<br />
aber durch die körperliche Belastung<br />
von der Muskulatur aufgenommen.<br />
Seite 92
SEROTONIN – SICH LAUFEND WOHLFÜHLEN<br />
<strong>Sport</strong>liche Aktivität bewirkt einen Anstieg des Botenstoffs Serotonin <strong>im</strong> Gehirn. Der Neurotransmitter<br />
Serotonin beeinflusst auf struktureller Ebene die Bildung neuronaler Netzwerke in seinen weitreichenden<br />
Zielgebieten. Obwohl prozentual gesehen dem zentralen serotonergen System des menschlichen Gehirns<br />
nur eine geringe Rolle zukommt (über 90 Prozent des <strong>im</strong> Körper befindlichen Serotonins sind <strong>im</strong> Magen-<br />
Darm-Trakt, weitere fast 10 Prozent sind in den Thrombozyten nachweisbar; auf das Gehirn entfällt lediglich<br />
etwa 1 Prozent des <strong>im</strong> gesamten Körper befindlichen Serotonins), 70 ist die funktionsgebende Relevanz des<br />
serotonergen Systems nicht zu unterschätzen. Man geht davon aus, dass es <strong>im</strong> Zentralnervensystem kaum<br />
eine Nervenzelle gibt, die nicht in ihrer Funktion durch Serotonin beeinflusst wird. 70 Der Neurotransmitter<br />
Serotonin beeinflusst praktisch alle zentralnervös gesteuerten Funktionen und ist so beteiligt an der Regulation<br />
von St<strong>im</strong>mung, Appetit, Schlaf, Schmerzverarbeitung, neuroendokrinen Funktionen, Angst, Gedächtnis,<br />
Aggression, Stressverarbeitung, motorischer Aktivität und der zirkadianen Rhythmik. 70 Serotonin ist deshalb<br />
bei den unterschiedlichsten psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen, wie Parkinson, Chorea<br />
Huntington, Restless-legs- und Gilles-de-la-Tourette-Syndrom, bei Multipler Sklerose, Migräne, Depressionen,<br />
Zwangs-, Angst- und Persönlichkeitsstörungen, Schizophrenien, Suchterkrankungen, bei Schlaf- und<br />
Essstörungen, Demenz und be<strong>im</strong> kindlichen hyperkinetischen Syndrom, von Bedeutung. 70 Kann das Serotoninsystem<br />
aufgrund genetischer oder nachteiliger frühkindlicher Entwicklungsbedingungen nicht opt<strong>im</strong>al<br />
ausreifen, besteht, so vermutet man, schon früh die Prädisposition für <strong>im</strong>pulsives, antisoziales, aggressives<br />
und/oder melancholisches Verhalten, woraus in der weiteren Folge neurologisch-psychiatrische Erkrankungen<br />
entstehen können. 70<br />
Ausgangsstoff für die Serotoninbiosynthese ist die Aminosäure Tryptophan. 70 Bei Ausdauerbelastungen geht<br />
das an das Plasmaeiweiß gebundene Tryptophan (TRP) durch den Anstieg freier Fettsäuren in eine freie Form<br />
(f-TRP) über und kann damit die Blut-Hirn-Schranke passieren. 71 Die Transportrate an diesem Übergang hängt<br />
von der relativen Größe der peripheren Plasmaspiegel ab. Da die verzweigtkettigen Aminosäuren, die mit<br />
der gesteigerten Konzentration an freiem Tryptophan um den Eintritt in das Gehirn konkurrieren, verstärkt<br />
von der Muskulatur aufgenommen werden, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das f-TRP an der Blut-Hirn-<br />
Schranke einen Transporter besetzen und auf diese Weise in das Gehirn gelangen kann. Aus Tryptophan wird<br />
schließlich Serotonin synthetisiert. 71<br />
= Eiweiß<br />
= Tryptophan<br />
= freie Fettsäure<br />
= Carrier (Transporter)<br />
= andere Aminosäuren<br />
= Serotonin<br />
Das freie Tryptophan besetzt<br />
einen Carrier und kann damit die<br />
Blut-Hirn-Schranke passieren.<br />
Das freie Tryptophan<br />
befindet sich damit <strong>im</strong><br />
Gehirn.<br />
Das freie Tryptophan wird<br />
in Serotonin umgewandelt.<br />
In den ersten<br />
10 Erholungsminuten steigt<br />
die Serotoninkonzentration<br />
nochmals an.<br />
Im Gehirn<br />
Blut-Hirn-Schranke<br />
Seite 93
<strong>Sport</strong>liche Belastungen können über die Steigerung der Serotoninbiosynthese eine Zunahme der zentralen<br />
serotonergen Aktivität bewirken. Die nachgewiesene st<strong>im</strong>mungssteigernde und angstlösende Wirkung des<br />
<strong>Sport</strong>s sowie die Verbesserung geistiger Funktionen, wie der exekutiven Funktionen, 72 nach körperlicher<br />
Belastung werden unter anderem auf Mechanismen zurückgeführt, die letztlich dazu führen, vermehrt Serotonin<br />
bereitzustellen. An gesunden Probandinnen und Probanden wurde nachgewiesen, dass eine Erhöhung<br />
der Serotoninkonzentration durch die Verabreichung eines serotoninsteigernden Antidepressivums über<br />
einen Zeitraum von ein bis vier Wochen zu positiven Effekten hinsichtlich Persönlichkeit und Verhalten (wie<br />
Reizbarkeit, beleidigendes Verhalten, negativer Affekt und Zugehörigkeitsgefühl) 73 führt. Regelmäßiges sportliches<br />
Training lässt folglich positive Effekte (u.a. auf die Selbstregulationsfähigkeit) bei Menschen sowohl mit<br />
als auch ohne psychopathologische Beeinträchtigungen erwarten.<br />
SOZIALES LERNEN UND SOZIALE INTEGRATION DURCH DEN SPORT<br />
Während das Abspeichern von Fakten und Ereignissen durch den Hippokampus erfolgt, findet soziales Lernen<br />
weitgehend <strong>im</strong> Stirnhirn statt, das erst mit ca. 30 Jahren vollständig entwickelt ist und allgemeine Regeln<br />
lernt. 13 Für das Lernen von allgemeinen Regeln gilt Folgendes: Die Regeln, die wir in einem best<strong>im</strong>mten Kontext<br />
lernen, können wir auf andere Kontexte übertragen. Von sozialen Kompetenzen und Werten, die über<br />
den <strong>Sport</strong> vermittelt und erlebt werden, wie Teamfähigkeit, Leistungsbereitschaft und Disziplin, können wir<br />
folglich in anderen Bereichen profitieren.<br />
Wenn Kinder und Jugendliche <strong>Sport</strong> treiben, lernen sie Selbstwirksamkeit, d.h., sie lernen: „Ich kann es!“,<br />
und sie lernen: „Wenn ich mir Mühe gebe, werde ich besser.“ Wenn man trainiert, lernt man, und allmählich<br />
beherrscht man einen Bewegungsablauf, den man vorher noch nicht konnte, und das macht unmittelbar<br />
Freude und bedeutet Erfolg. Auf diese Weise lernen die Heranwachsenden, dass Lernen Freude macht und<br />
zum Erfolg führen kann. Und wenn sie zudem in einem Wettkampf bestehen oder an einer Aufführung teilnehmen,<br />
dann lernen sie, dass sie in der Lage sind, eigene Ängste zu überwinden. Somit lernen sie auf eine<br />
allgemeine Art wichtige Kompetenzen. Das Gehirn ist nicht dazu geeignet, Einzelheiten zu lernen. Im Gehirn<br />
speichert man allgemeines Wissen über die Welt. Einzelne Fakten sind vergleichsweise unwichtig. 13 Wichtig<br />
ist das, was man an Fertigkeiten, Fähigkeiten, Einstellungen und Haltungen erlernt. Und dies gilt es in<br />
der Schule und <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> zu vermitteln, weil man diese Kompetenzen <strong>im</strong> Leben ständig benötigt. Über den<br />
<strong>Sport</strong> ist es möglich, die Leistungsbereitschaft von Kindern und Jugendlichen sowie die adäquate Ausformung<br />
sozialer Umgangsregeln und damit die Selbstregulation zu fördern, die auch in anderen Lebensbereichen<br />
wichtig sind. Gerade der <strong>Sport</strong> in der Gemeinschaft, in der soziale Interaktion stattfindet, ist deshalb ein idealer<br />
Ort, an dem Kinder und Jugendliche „für das Leben lernen“. Auch auf Grundlage dieser Erkenntnisse sollte<br />
dem <strong>Sport</strong>unterricht an Schulen und den Vereinsangeboten eine größere Bedeutung zugesprochen werden.<br />
Bereits eine frühe motorische St<strong>im</strong>ulation von Kleinkindern führt später, <strong>im</strong> Alter von vier bis sechs Jahren,<br />
zu einer höheren sozialen Kontaktbereitschaft und Selbstständigkeit. Kinder mit geringeren motorischen Fähigkeiten<br />
weisen dagegen eine geringere Kontaktbereitschaft sowie einen niedrigeren Beliebtheitsgrad auf<br />
als motorisch geschickte Kinder. 74 Vor allem übergewichtige Kinder sind sozialen Stigmatisierungen und damit<br />
dem Risiko einer ungünstigen psychosozialen Entwicklung ausgesetzt. 75 Soziale Ausgrenzung erfahren auch<br />
Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Schichten oder Kinder mit Migrationshintergrund in besonderem<br />
Maße. Diese gesellschaftlichen Gruppen weisen in <strong>Sport</strong>vereinen eine erheblich niedrigere Mitgliederquote<br />
auf als deutsche Kinder. 70 Vergleicht man den erteilten <strong>Sport</strong>unterricht in den verschiedenen Schulformen,<br />
sind Kinder aus bildungsfernen Schichten aber nicht nur <strong>im</strong> Vereinssport, sondern auch hinsichtlich des Schulsports<br />
benachteiligt, denn sie erhalten auch weniger <strong>Sport</strong>unterricht. 61<br />
Selbst milde Formen sozialer Ausgrenzung verursachen Schmerz <strong>im</strong> Gehirn. Dies bestätigen bildgebende Studien,<br />
mit denen nachgewiesen werden konnte, dass bereits soziale Ausgrenzung durch eine ballspielende<br />
77, 78<br />
Gruppe zu einem vergleichbaren Aktivitätsmuster <strong>im</strong> Gehirn führt, wie physisch empfundener Schmerz.<br />
An diesen beiden Empfindungen ist der anteriore cinguläre Kortex beteiligt (vgl. 48). Bei dieser Hirnstruktur<br />
handelt es sich um ein Alarmsystem, das in Konfliktsituationen aktiviert wird. Dabei macht es für das Gehirn<br />
offenbar keinen Unterschied, ob ihm durch körperlich oder psychisch wahrgenommenen Schmerz signalisiert<br />
wird: Hier ist etwas nicht in Ordnung!<br />
Seite 94
VORDERER CINGULÄRER KORTEX<br />
BLAU<br />
ACC-Aktivierungen findet man bei sozialer Ausgrenzung, unter körperlichem Schmerz und in der inkongruenten Bedingung einer Stroop-Aufgabe.<br />
Somit steht der <strong>Sport</strong> vor einer zentralen Herausforderung. <strong>Sport</strong> hat eine wichtige Integrationsfunktion. Er sollte<br />
so organisiert sein, dass Kinder und Jugendliche Erfolgserlebnisse erfahren und eine Position einnehmen können,<br />
die sie zu einem wichtigen Bestandteil der Gruppe bzw. der Mannschaft macht. In jeder <strong>Sport</strong>einheit sollte<br />
deshalb das Ziel verfolgt werden, kooperatives Verhalten von Kindern und Jugendlichen zu fördern. Kooperation<br />
bedeutet dabei vor allem auch Rücksichtnahme gegenüber untrainierteren oder körperlich Schwächeren. Das<br />
erfordert Verhaltensweisen, die man von Kindern nicht uneingeschränkt erwarten kann, sondern die <strong>im</strong> Laufe<br />
der Entwicklung erlernt werden müssen. 13 Wertgeleitetes Handeln wird über das Frontalhirn gesteuert, dessen<br />
Verbindungen zu anderen Gehirnbereichen als Letztes mit einer isolierenden Myelinschicht versehen werden.<br />
Nicht myelinisierte Nervenfasern können Informationen (Aktionspotenziale) nur langsam weiterleiten und sind<br />
deshalb nicht voll funktionsfähig. Das bedeutet aber nicht, dass wertgeleitetes Handeln erst nach Abschluss der<br />
Myelinisierung erlernt werden kann. Heranwachsende benötigen dafür ausreichend Zeit und Raum zum Probehandeln.<br />
Unterstützt wird dieser Prozess durch gute Vorbilder und klare Regeln. Diese sind <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> eindeutig<br />
definiert und werden bei Nichteinhaltung sanktioniert. Aus diesem Grund sollten durch den <strong>Sport</strong>, neben Leistungsbereitschaft<br />
und Durchsetzungsvermögen, sowohl wichtige sportspezifische als auch sportübergreifende<br />
Werte wie Teamgeist, Toleranz, Verantwortungsbewusstsein und Fairness bis in die letzte Jahrgangsstufe nicht<br />
nur theoretisch vermittelt, sondern auch <strong>im</strong> Spiel regelmäßig erprobt werden. Es gibt sie also, die Möglichkeit,<br />
über <strong>Sport</strong> soziale Kompetenzen zu erlernen. Aber dies geschieht in erster Linie durch eigenes Handeln <strong>im</strong> <strong>Sport</strong>.<br />
Seite 95
FAIRPLAY! SONST SCHLÄGT SPORT AUF DEN MAGEN<br />
77 Prozent der Schülerinnen und Schüler und 79 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer sehen eine wichtige Aufgabe<br />
des <strong>Sport</strong>unterrichts darin, den fairen Umgang miteinander zu üben und zu fördern. Für Schulleiterinnen<br />
und Schulleiter, Lehrerinnen und Lehrer stellt Fairness damit das wichtigste Ziel des <strong>Sport</strong>unterrichts dar. 61<br />
Für das Gehirn ist faires Verhalten gleichzusetzen mit einem Sieg. Auf unfaires Verhalten reagiert es dagegen<br />
mit Schmerz und körperlichem Unwohlsein über die Aktivierung des Gehirnabschnitts, der den Magen<br />
repräsentiert. Verhält sich ein <strong>Sport</strong>ler fair, werden be<strong>im</strong> Beobachter das gehirneigene Belohnungssystem<br />
und, damit verbunden, das ventrale Striatum und der orbitofrontale Kortex aktiviert. 79 Die Aktivierung dieses<br />
Belohnungssystems bei kooperativem Verhalten verstärkt dieses Verhalten und motiviert den Beobachter<br />
selbst zur Kooperation. 13 Aus diesem Grund sind gute Vorbilder <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> so wichtig. Durch faires Verhalten<br />
des <strong>Sport</strong>lers reagiert das Gehirn des Beobachters aufgrund der gesteigerten Aktivierung <strong>im</strong> ventralen Striatum<br />
und <strong>im</strong> orbitofrontalen Kortex mit Zust<strong>im</strong>mung und Empathie. Das faire Verhalten motiviert den Beobachter<br />
auf diese Weise dazu, sich ebenfalls kooperativ und fair zu verhalten. Fairness bekommt dem Gehirn<br />
also ebenso gut wie ein Sieg, denn in beiden Fällen wird das Belohnungssystem über dieselben neuronalen<br />
Mechanismen aktiviert. Unfaires Verhalten quittiert das Gehirn dagegen über die Aktivierung der rechten<br />
Insel mit körperlichem Unwohlsein. 80<br />
FAIRPLAY<br />
VENTRALES STRIATUM<br />
ORBITOFRONTALER KORTEX<br />
UNFAIRNESS<br />
RECHTE INSEL<br />
Seite 96
Damit der <strong>Sport</strong> uns nicht auf den Magen schlägt, gibt es Regeln und Schiedsrichter bzw. <strong>Sport</strong>lehrer, Übungsleiter<br />
und Trainer, aber auch die <strong>Sport</strong>ler selbst, die auf die Einhaltung der Regeln achten. Bei Nichteinhaltung<br />
der Regeln wird der <strong>Sport</strong>ler über eine dritte und neutrale Instanz, den Schiedsrichter bzw. das Kampf- oder<br />
Schiedsgericht, bestraft. Für das Gehirn ist es nicht bedeutend, dass die geschädigte Person selbst die Sanktionierung<br />
durchführt. Bildgebende Studien haben gezeigt, dass es, neurobiologisch betrachtet, ausreicht, wenn<br />
Recht durch einen Dritten gesprochen wird, dann nämlich wird das ventrale Striatum des Belohnungssystems<br />
aktiviert. 81 Der <strong>Sport</strong> schafft ideale Rahmenbedingungen dafür, sich gemäß den Spielregeln zu verhalten und<br />
auf diese Weise faires bzw. kooperatives und damit selbstreguliertes Verhalten zu erlernen.<br />
Filmverweis:<br />
• Fechten 5<br />
FAZIT<br />
Das Gehirn ist anpassungsfähiger als ein trainierter Muskel; es gilt als das anpassungsfähigste Organ des<br />
menschlichen Körpers überhaupt. Die Neuroplastizität schafft die Voraussetzung dafür, dass über <strong>Sport</strong> und<br />
Bewegung auf die Gehirnstrukturen und deren Funktionen eingewirkt werden kann. Dieser Prozess, der<br />
bereits <strong>im</strong> Fetalstadium einsetzt, hält über die gesamte Lebensspanne an und ist damit von der Kindheit bis<br />
ins hohe Alter von Bedeutung.<br />
Auf struktureller Ebene fördert körperliche Aktivität die Neubildung, das Wachstum, die Aufrechterhaltung<br />
und Vernetzung von Nervenzellen. Diese Adaptionen erfolgen unter anderem auf der Grundlage einer belastungs-<br />
und trainingsbedingten Erhöhung neurotropher Wachstumsfaktoren und über die gesteigerte Konzentration<br />
von Neurotransmittern wie Serotonin. Die Anzahl der Nervenzellen und die Verbindung, die sie mit<br />
anderen Neuronen eingehen, beeinflussen dabei kognitive, emotionale und soziale Funktionen. Insbesondere<br />
exekutive Funktionen und die Fähigkeit zur Selbstregulation, die für die Lernleistung von Kindern und<br />
Jugendlichen, aber auch für deren sozial-emotionale Entwicklung wichtig sind, können <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> und durch<br />
den <strong>Sport</strong>unterricht gefördert werden. Soziales Lernen findet <strong>im</strong> Stirnhirn statt, in dem allgemeine Regeln<br />
repräsentiert sind. Es erfolgt am günstigsten durch eigenes Handeln in der Gruppe. Dabei können soziale<br />
Werte, die über den <strong>Sport</strong> vermittelt werden, auf andere Kontexte übertragen werden. Wer durch den <strong>Sport</strong><br />
lernt, Erfolge zu erarbeiten und Niederlagen zu bewältigen, wird von diesen Kompetenzen auch in anderen<br />
Lebensbereichen profitieren. Ist das <strong>Sport</strong>angebot in Kindergärten, Schulen und Vereinen also darauf ausgerichtet,<br />
die Selbstregulation von Kindern und Jugendlichen zu fördern, kann die dort erlernte Selbstregulationsfähigkeit<br />
auf andere Bereiche und Lernsituationen übertragen werden. Dabei gilt es zu beachten, dass<br />
das Erlernen der Selbstregulation nicht von heute auf morgen und nicht allein aufgrund von Einsicht erfolgt.<br />
Da der präfrontale Kortex sich langsam entwickelt und vergleichsweise langsam lernt, benötigen Kinder und<br />
Jugendliche <strong>im</strong> Laufe ihrer Entwicklung sehr viele Situationen, in denen sie selbstreguliertes Verhalten üben<br />
und auf diese Weise lernen können. Ein <strong>Sport</strong>angebot, das auf die Förderung der exekutiven Funktionen und<br />
der Selbstregulation ausgerichtet ist, kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten. 9<br />
Das psychische Wohlbefinden steht ebenfalls in einem engen Zusammenhang mit körperlicher Aktivität.<br />
„Verbrennt“ der Körper durch sportliche Aktivität Fett, bewirkt dies einen Anstieg von Serotonin <strong>im</strong> Gehirn,<br />
der sich positiv auf das Wohlbefinden auswirkt, indem die St<strong>im</strong>mung gesteigert und aggressives Verhalten<br />
reduziert wird. Die durch körperliche Aktivität angeregte Serotoninbiosynthese unterstützt auf diese Weise<br />
die Selbstregulationsfähigkeit. Serotonin hat zudem einen st<strong>im</strong>ulierenden Einfluss auf den Wachstumsfaktor<br />
BDNF, der die Neurogenese anregt. Über die durch muskuläre Beanspruchung induzierte Neubildung von<br />
Nervenzellen <strong>im</strong> Hippokampus werden Lern- und Gedächtnisprozesse gefördert. Voraussetzung dafür ist,<br />
dass man ohne Stress, d.h. freiwillig und mit Freude seine körperliche Leistungsfähigkeit trainiert. Gleichzeitig<br />
schützt körperliche Aktivität vor den negativen Folgen von Stress und damit vor einem Rückgang neurotropher<br />
Wachstumsfaktoren. Für die Förderung von Lernprozessen ist es weiterhin wichtig, dass ohne Angst und<br />
damit ohne die Aktivierung der Amygdala, also in einem positiven emotionalen Kontext über den Hippokampus<br />
gelernt wird. Es gilt daher also, über muskuläre Beanspruchung Angst abzubauen und das Wohlbefinden<br />
zu steigern, damit über positive Emotionen die Lernleistung verbessert werden kann. Durch <strong>Sport</strong> und Bewegung<br />
läuft Lernen also leichter!<br />
Seite 97
ENTWICKLUNGSGESCHICHTEN - TEIL 3<br />
EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
VOM ANFÄNGER ZUM PROFI<br />
EXEKUTIVE FUNKTIONEN ENTWICKELN SICH FORTLAUFEND VON DER FRÜHEN KINDHEIT<br />
(AB CA. 1 JAHR) BIS INS ERWACHSENENALTER (VON CA. 30 JAHREN). DIE ENTWICKLUNG<br />
DER EXEKUTIVEN FUNKTIONEN VERLÄUFT PARALLEL ZUR ENTWICKLUNG DES PRÄFRON-<br />
TALEN KORTEX. JE WEITER DER PRÄFRONTALE KORTEX ENTWICKELT IST, DESTO BESSER<br />
ARBEITEN DIE EXEKUTIVEN FUNKTIONEN. MIT ZUNEHMENDEM ALTER KÖNNEN SICH<br />
EXEKUTIVE FUNKTIONEN WIEDER ZURÜCKBILDEN.<br />
EXEKUTIVE FUNKTIONEN ÜBER DIE LEBENSSPANNE<br />
EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Leistungszunahme<br />
mit zunehmendem<br />
Alter<br />
Höchstwert <strong>im</strong> jungen<br />
Erwachsenenalter<br />
Möglicher Rückgang<br />
<strong>im</strong> höheren Alter<br />
1 3 5 12 20 30 60<br />
ALTER (JAHRE)<br />
NEBEN DER GENETISCH VORPROGRAMMIERTEN STRUKTURELLEN<br />
REIFUNG DES GEHIRNS WIRD DIE ENTWICKLUNG DER EXEKUTI-<br />
VEN FUNKTIONEN DURCH DIE KOGNITIVEN HERAUSFORDERUN-<br />
GEN IM ALLTAG UND BEIM LERNEN (IMPLIZITES TRAINING ÜBER<br />
JAHRE) BEEINFLUSST. EIN GEZIELTES (EXPLIZITES) TRAINING –<br />
AB EINEM ZEITRAUM VON MEHREREN WOCHEN – KANN DIESEN<br />
ENTWICKLUNGSPROZESS ENTSCHEIDEND UNTERSTÜTZEN UND<br />
ZUR ERFAHRUNGSABHÄNGIGEN REIFUNG DES GEHIRNS UND<br />
DAMIT ZUR FÖRDERUNG DER EXEKUTIVEN FUNKTIONEN WESENT-<br />
LICH BEITRAGEN. 82<br />
OFFENE FORSCHUNGSFRAGEN BESTEHEN ZUR INTER-<br />
AKTION VON GENEN UND UMWELT SOWIE ZU<br />
EINFLUSSFAKTOREN WIE ERNÄHRUNG, STRESS, MOTI-<br />
VATION, EMOTIONEN UND SOZIALEN PROZESSEN AUF<br />
DIE ENTWICKLUNG EXEKUTIVER FUNKTIONEN.
ENTWICKLUNG<br />
EXEKUTIVER<br />
FUNKTIONEN<br />
STÄRKERE<br />
VERNETZUNG<br />
INNERHALB EINES<br />
LOKALEN<br />
NETZWERKES<br />
STRUKTURELLE<br />
UND FUNKTIONELLE<br />
VERNETZUNG<br />
VERSCHIEDENER<br />
GEHIRNREGIONEN<br />
• Zunehmende<br />
Myelinisierung von<br />
Axonen.<br />
• Der Abbau von<br />
weniger genutzten<br />
synaptischen<br />
Verbindungen, der bis<br />
nach der Pubertät anhält,<br />
bewirkt eine effizientere<br />
Informationsverarbeitung.<br />
• Zunahme an<br />
Neurotransmitterkonzentrationen.<br />
GEZIELTES<br />
KOGNITIVES<br />
TRAINING<br />
über mehrere<br />
Wochen/Monate<br />
KOGNITIVE<br />
HERAUS-<br />
FORDERUNGEN<br />
IM ALLTAG<br />
UND BEIM LERNEN<br />
über Jahre<br />
GENETISCH<br />
VORPROGRAMMIERTE<br />
REIFUNG<br />
UMWELTEINFLÜSSE<br />
Interaktion des<br />
Organismus mit seiner<br />
Umwelt
DIE KOMBINIERTE WIRKUNG DER FORTSCHREITENDEN MYELINISIERUNG<br />
UND DER REDUZIERTEN SYNAPTISCHEN DICHTE KANN DEN HÄUFIG BEOB-<br />
ACHTETEN AKTIVITÄTSRÜCKGANG FRONTALER REGIONEN BEI KOGNITI-<br />
VEN AUFGABEN MIT ZUNEHMENDEM ALTER ERKLÄREN.<br />
KINDER ZEIGEN IM VERGLEICH ZU JUGENDLICHEN UND ERWACHSENEN<br />
EINE WEITRÄUMIGERE UND DIFFUSERE AKTIVITÄT IM FRONTALEN<br />
KORTEX. MIT ZUNEHMENDEM ALTER WIRD BEI DER BEARBEITUNG EINER<br />
KOGNITIVEN AUFGABE DIE AKTIVIERUNG RÄUMLICH BEGRENZTER.<br />
DIESE FOKALE AKTIVIERUNG STEHT FÜR EINE EFFIZIENTERE INFORMA-<br />
TIONSVERARBEITUNG. MAN SPRICHT IN DIESEM ZUSAMMENHANG AUCH<br />
VON EINEM „FEINTUNING“ DER FÜR DIE AUFGABE ENTSCHEIDENDEN<br />
NEURONALEN SYSTEME. 83<br />
Pass!<br />
He, das nervt!<br />
Hör auf!<br />
ENTWICKLUNGSBEDINGTE VERÄNDERUNG IN<br />
DER GEHIRNAKTIVIERUNG BEI EINER GONOGO-<br />
AUFGABE ZU ZWEI MESSZEITPUNKTEN INNER-<br />
HALB EINER STICHPROBE – GEMESSEN IM ALTER<br />
VON 9 UND EIN WEITERES MAL IM ALTER VON<br />
11 JAHREN. BLAU HERVORGEHOBEN SIND DIE<br />
KORTEXBEREICHE, BEI DENEN EIN RÜCKGANG<br />
IN DER GEHIRNAKTIVIERUNG IM VERLAUF DER<br />
ZWEI JAHRE GEMESSEN WURDE. NUR IM VEN-<br />
TRALEN PRÄFRONTALEN KORTEX WURDE EINE<br />
ZUNAHME AN AKTIVIERUNG NACHGEWIESEN<br />
(ORANGE/ROT DARGESTELLT). WISSENSCHAFT-<br />
LER GEHEN DAVON AUS, DASS EINE AKTIVIE-<br />
RUNG IN DIESEM BEREICH ENTSCHEIDEND FÜR<br />
DIE AUFGABENBEARBEITUNG IST. 83<br />
Was macht ihr am<br />
Wochenende?<br />
GLEICHZEITIG NIMMT, UNABHÄNGIG VOM ALTER,<br />
DIE AKTIVIERUNG IM PRÄFRONTALEN KORTEX<br />
MIT ZUNEHMENDER EXPERTISE UND AUTOMATI-<br />
SIERUNG AB. EXPERTEN ZEIGEN IM VERGLEICH<br />
ZU ANFÄNGERN EINE ALLGEMEIN GERINGERE<br />
GEHIRNAKTIVIERUNG, VERBUNDEN MIT EINER<br />
ZUNAHME AN AKTIVIERUNG IN STARK AUFGA-<br />
BENRELEVANTEN GEHIRNBEREICHEN.<br />
BEI JUNGEN SPORTLERN, DEREN PRÄFRONTA-<br />
LER KORTEX UND EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
SICH NOCH IN DER ENTWICKLUNGSPHASE
Kopf<br />
hoch be<strong>im</strong><br />
Prellen!<br />
Wenn ich den<br />
Ball nach dem<br />
Prellen in beide<br />
Hände nehme...<br />
Lass<br />
dir Zeit!<br />
3 Sekunden sind<br />
ganz schön lang<br />
lang!<br />
Pass genau und<br />
nicht zu stark.<br />
Dein Mitspieler<br />
muss den Ball auch<br />
fangen können.<br />
... darf<br />
ich den Ball<br />
nicht länger als<br />
3 Sekunden<br />
halten...<br />
Du kannst auch<br />
einen Schlagwurf<br />
aus dem Stand<br />
spielen.<br />
Und denk an den<br />
langen Arm!<br />
... darf ich<br />
noch einen, zwei<br />
oder drei Schritte<br />
machen und<br />
dann aufs Tor<br />
werfen...<br />
... kann<br />
ich den Ball zu<br />
einem Mitspieler<br />
passen...<br />
1 2 3<br />
BEFINDEN UND BEI DENEN MOTORISCHE ABLÄUFE<br />
NOCH NICHT AUTOMATISIERT ABLAUFEN, AR-<br />
BEITET DAS GEHIRN ALSO AUF HOCHTOUREN,<br />
ABER NOCH NICHT EFFIZIENT. IHR EXEKUTIVES<br />
SYSTEM IST DAMIT IN VIELEN TRAININGS-<br />
ABLÄUFEN NICHT SELTEN STARK GEFORDERT<br />
BIS ÜBERFORDERT. KLARE REGELN UND RITUA-<br />
LISIERTE ABLÄUFE ENTLASTEN DAS EXEKUTIVE<br />
SYSTEM DER JUNGEN ATHLETEN UND UNTER-<br />
STÜTZEN SO IHRE AUFMERKSAMKEITS- UND<br />
IMPULSKONTROLLE, IHR ARBEITSGEDÄCHTNIS<br />
UND IHRE UMSTELLUNGSFÄHIGKEIT.<br />
... darf ich<br />
den Ball nicht<br />
mehr prellen.<br />
WERDEN DIE GRUNDTECHNIKEN BEHERRSCHT UND SIND DIE SPIEL-<br />
REGELN VERINNERLICHT, BLEIBT MEHR KOGNITIVE KAPAZITÄT, UM<br />
IN KOMPLEXEN SPIELSITUATIONEN FOKUSSIERT ZU BLEIBEN, DIE<br />
RICHTIGEN ENTSCHEIDUNGEN ZU TREFFEN UND HANDLUNGS-<br />
SCHNELL REAGIEREN ZU KÖNNEN. AUCH DABEI UNTERSTÜTZEN<br />
DEN SPIELER GUT ENTWICKELTE BZW. GEZIELT TRAINIERTE EXE-<br />
KUTIVE FUNKTIONEN.
NACHGEFRAGT: DER SPORT MACHT‘S!<br />
Neuroplastizität<br />
• Was versteht man unter Neuroplastizität?<br />
• Auf welche Gehirnprozesse n<strong>im</strong>mt körperliche Aktivität Einfluss?<br />
• Nennen Sie zwei Beispiele, die deutlich machen, dass <strong>Sport</strong> und Bewegung über die gesamte Lebensspanne<br />
für die kognitive Leistungsfähigkeit förderlich ist.<br />
Hippokampale Neurogenese<br />
• Erläutern Sie die Bedeutung des Hippokampus für Lernprozesse.<br />
• Was versteht man unter Neurogenese?<br />
• Welchen Einfluss übt ein körperliches Training auf den Hippokampus aus?<br />
• Warum sollte man sich vor dem Lernen körperlich belasten?<br />
Wachstumsfaktor BDNF<br />
• Wofür steht die Abkürzung BDNF?<br />
• Welchen Einfluss übt ein Ausdauertraining auf den BDNF aus?<br />
• Welche anderen körperlichen Belastungsformen beeinflussen die BDNF-Konzentration und in weiterer<br />
Form Lernleistungen?<br />
Exekutive Funktionen<br />
• Nennen Sie je zwei Beispiele für Effekte<br />
* eines mehrmonatigen körperlichen Trainings,<br />
* einer gesteigerten körperlichen Fitness und<br />
* von akuten Belastungen auf exekutive Funktionen.<br />
• Beschreiben Sie einen Übungsablauf für ein 4-minütiges Intervalltraining, mit dem auf die selektive Aufmerksamkeit<br />
und die Verhaltenssteuerung positiv eingewirkt werden kann.<br />
Weitere Einflussbereiche von <strong>Sport</strong> und Bewegung<br />
• Erklären Sie die aggressions- und stressreduzierende, st<strong>im</strong>mungssteigernde sowie angstlösende Wirkung<br />
von <strong>Sport</strong> bzw. körperlicher Aktivität.<br />
• Was unterscheidet den Hippokampus vom präfrontalen Kortex in Bezug aufs Lernen?<br />
• Welche Auswirkungen hat soziale Ausgrenzung auf das Gehirn?<br />
• Worauf kommt es be<strong>im</strong> Lernen sozialer Kompetenzen <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> an?<br />
• Was bewirkt unfaires Verhalten <strong>im</strong> Gehirn?<br />
• Was aktiviert faires Verhalten <strong>im</strong> Gehirn?<br />
Entwicklungsgeschichten Teil 3 – Exekutive Funktionen<br />
• Beschreiben Sie einen normalen Entwicklungsverlauf exekutiver Funktionen <strong>im</strong> Lebensverlauf.<br />
• Welche Faktoren beeinflussen die Entwicklung exekutiver Funktionen?<br />
• Welche Chance besteht in einem gezielten Training exekutiver Funktionen?<br />
• Wie erklärt man sich <strong>im</strong> Verlauf der Gehirnentwicklung den Rückgang an neuronaler Aktivität bei einer<br />
Aufgabe?<br />
• Durch welche (weiteren) Faktoren wird der Aktivitätsrückgang beeinflusst?<br />
• Erklären Sie eine mögliche kognitive Überforderung von Kindern und Jugendlichen in komplexeren Spielsituationen.<br />
Seite 102
Seite 103
IM INTERVIEW: MARIE OTTILIE FRENKEL<br />
Dr. Marie Ottilie Frenkel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für <strong>Sport</strong> und<br />
<strong>Sport</strong>wissenschaft, Universität Heidelberg, angewandte <strong>Sport</strong>psychologin und Lehrerin<br />
für Psychologie, <strong>Sport</strong> und Französisch an einem Heidelberger Gymnasium.<br />
«DAS, WAS WIR IM KOPF AUS DER SITUATION MACHEN,<br />
ERMÖGLICHT ES HINTERHER, ZU GEWINNEN ODER ZU VERLIEREN.»<br />
Sabine Kubesch: Warum sucht ein Athlet einen <strong>Sport</strong>psychologen auf?<br />
Marie Ottilie Frenkel: Die Gründe dafür sind vielfältig. Einmal kann es<br />
sein, dass die Person Leistungseinbußen z.B. in der Form hat: Im Training<br />
bringe ich Bestleistung, da breche ich meine eigenen Rekorde. Aber<br />
<strong>im</strong> Wettkampf, in dem Moment, in dem es eigentlich drauf ankommt, gelingt<br />
mir der Leistungsabruf nicht. Das heißt, in einer Drucksituation, wie es<br />
ein Wettkampf darstellt, ist die Person nicht mehr in der Lage, normale<br />
Leistungen zu erbringen. In der <strong>Sport</strong>psychologie spricht man in so einem<br />
Fall vom Trainingsweltmeister. Das ist so eine klassische Situation.<br />
Es kann aber auch sein, dass der <strong>Sport</strong>ler den <strong>Sport</strong>psychologen aufsucht,<br />
weil er sagt: Ich bin eigentlich ganz gut in meiner <strong>Sport</strong>art. Ich merke,<br />
dass ich motorisch an der Spitze bin, mit den besten Athleten konkurrieren<br />
kann, dass ich also, was das körperliche Training angeht, alles<br />
ausreize. Aber ich möchte jetzt gerne wissen, ob ich auf der mentalen<br />
Seite noch etwas machen kann, was ich bislang übersehen habe. Man sucht<br />
also auch dann einen <strong>Sport</strong>psychologen auf, wenn man körperlich nicht<br />
mehr rausholen kann, wenn man <strong>im</strong> Kader ist und international mitmischt<br />
und zu den Top 10 gehört. Wenn ein Athlet also den Wunsch hat, zu prüfen,<br />
ob er mental alles richtig macht. Ob er auf der psychologischen Seite<br />
die psychologische Flexibilität, um die es in der <strong>Sport</strong>psychologie geht,<br />
und die Selbstregulation, die er hat, auch voll ausschöpft.<br />
Du sprichst von Flexibilität und Selbstregulation, da sind wir ja genau bei<br />
unserem Thema. Sie beeinflussen also die sportliche Leistungsfähigkeit?<br />
<strong>Sport</strong>liche Leistung wird durch viele Faktoren bedingt. Zum Beispiel: wie<br />
oft trainiere ich, wie gut trainiere ich, was habe ich für einen Trainer<br />
und was für ein Trainingsumfeld, das mich unterstützt. Und dann mein eigener<br />
Körper: Wie fit bin ich <strong>im</strong> Moment, wie verletzungsfrei war ich in<br />
den letzten Monaten und in den letzten Jahren. Dann das soziale Umfeld,<br />
das mich unterstützt. Schließlich die Psyche. Und interessant ist das<br />
Verhältnis. Jede dieser vier Faktoren kann ein Viertel ausmachen und in<br />
dem Moment, wo ich Druck habe, in dem Moment, wo ich <strong>im</strong> Wettkampf bin, wo<br />
ich Leistung unter Druckbedingungen abrufen muss, verändert sich dieses<br />
Verhältnis. Dann kann es sein, dass quasi dem mentalen, dem psychischen<br />
Faktor eine viel größere Rolle zukommt als nur ein Viertel.<br />
UMFELD<br />
UMFELD<br />
PSYCHE<br />
SPORTLICHE<br />
LEISTUNG<br />
KÖRPER<br />
PSYCHE<br />
LEISTUNG<br />
UNTER DRUCK<br />
KÖRPER<br />
Einflussfaktoren<br />
sportlicher<br />
Leistungsfähigkeit 84<br />
TRAINING<br />
TRAINING<br />
Seite 104
Prof. Hans Eberspächer, der als Gründungsvater der angewandten <strong>Sport</strong>psychologie<br />
gilt, hat <strong>im</strong>mer gesagt, das Mentale kann 100 Prozent einer<br />
Leistung ausmachen. 85 Damit hat er gemeint, dass das Mentale eben eine<br />
Leistung auch zum Kippen bringen kann. Wie be<strong>im</strong> Trainingsweltmeister <strong>im</strong><br />
Wettkampf, der nicht mehr in der Lage ist, aufgrund von Versagensängsten,<br />
von Druck, von negativen Erlebnissen, von Stress seine normale<br />
Leistung abzurufen. Das Mentale sollte in der Regel die Leistung unterstützen.<br />
Es ist das Ziel, das man zusammen mit dem <strong>Sport</strong>psychologen<br />
erarbeitet, dass unsere Kognitionen und Emotionen, also die Art, wie<br />
wir denken und fühlen, die Leistung opt<strong>im</strong>al unterstützen. Damit man die<br />
Leistung auch unter Stressbedingungen dann, wenn die Psyche einen größeren<br />
Anteil hat, abrufen kann.<br />
Dazu kommt eine Komponente, die eine ganz besondere Bedeutung hat, nämlich<br />
die Bewertung. Man darf nicht vergessen, dass wir Menschen sind,<br />
die Dinge ständig bewerten. Wenn ich in einer entscheidenden Situation<br />
bin, z.B. wenn ich einen Elfmeter schießen soll, dann ist meine eigene<br />
Sicht auf die Situation, meine Bewertung unglaublich entscheidend. Wenn<br />
mir der Torwart übergroß erscheint, er besondere Fähigkeiten hat, wenn<br />
ich davon ausgehe, dass er meinen Schuss ganz sicher halten wird, dann<br />
habe ich schlechte Startvoraussetzungen. Dann werde ich geprägt von dieser<br />
negativen Bewertung. Wenn ich aber die Einstellung habe: Der Torwart<br />
ist gut, aber ich bin es ebenfalls. Mein Schuss ist sicher, ich habe die<br />
Fähigkeiten, den Ball jetzt ins Tor zu versenken, das richtig gut zu<br />
machen, mein Bestes zu geben. Mit dieser Bewertung gehen ganz andere Gedankengänge<br />
einher, darauf stellt sich ein Gefühl von Selbstwirksamkeit<br />
ein, was natürlich den opt<strong>im</strong>alen Leistungsabruf wesentlich erleichtert.<br />
Also eine ganz wichtige Komponente ist die Bewertung der Situation. Wie<br />
nehme ich die Situation wahr? Welches Label gebe ich der Situation?<br />
Das, was wir <strong>im</strong> Kopf aus der Situation machen, ermöglicht es hinterher,<br />
zu gewinnen oder zu verlieren. Andre Agassi hat mal gesagt: „Ich habe<br />
W<strong>im</strong>bledon 10.000-mal <strong>im</strong> Kopf gewonnen.“ Ein <strong>Sport</strong>ler, der einen siegreichen<br />
Ausgang <strong>im</strong> Kopf hat und<br />
diesen <strong>im</strong>mer wieder durchspielt,<br />
geht mit einer positiven Bewertung<br />
in den Wettkampf, und das gewünschte<br />
Ergebnis kann sich viel<br />
eher einstellen. Wenn man dagegen<br />
z.B. be<strong>im</strong> Golf kurz vor dem Putten<br />
denkt, ich treffe best<strong>im</strong>mt nicht,<br />
dann ist die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass man nicht trifft, viel größer.<br />
Dann haben die Gedanken eine<br />
gewisse Macht über uns bzw. einen<br />
gewissen Einfluss auf unser Tun.<br />
Die spannende Frage, die die angewandte<br />
<strong>Sport</strong>psychologie versucht<br />
zu beantworten, ist: Was gibt es<br />
für Methoden, mit denen ich arbeiten<br />
kann, um den Leistungsabruf zu erleichtern, um die Gedanken und<br />
Gefühle so zu steuern, dass sie die Leistungen unterstützen und nicht,<br />
dass sie den Leistungsabruf verhindern? Darum geht es in der <strong>Sport</strong>psychologie!<br />
DIE SPANNENDE FRAGE, DIE DIE<br />
ANGEWANDTE SPORTPSYCHOLOGIE<br />
VERSUCHT ZU BEANTWORTEN, IST:<br />
WAS GIBT ES FÜR METHODEN, MIT<br />
DENEN ICH ARBEITEN KANN, UM DEN<br />
LEISTUNGSABRUF ZU ERLEICHTERN,<br />
UM DIE GEDANKEN UND GEFÜHLE<br />
SO ZU STEUERN, DASS SIE DIE LEIS-<br />
TUNGEN UNTERSTÜTZEN UND NICHT,<br />
DASS SIE DEN LEISTUNGSABRUF<br />
VERHINDERN? DARUM GEHT ES IN<br />
DER SPORTPSYCHOLOGIE!<br />
Seite 105
Du besprichst als <strong>Sport</strong>psychologin also mit dem <strong>Sport</strong>ler die Gedanken, die<br />
ihn oder sie in einer Wettkampfsituation begleiten?<br />
Genau! Das Vorgehen ist ganz strukturiert. Man hat zunächst ein Erstgespräch<br />
und legt mit dem <strong>Sport</strong>ler dessen Ziele fest. Dann folgen diagnostische<br />
Maßnahmen. Mit dieser Eingangsdiagnostik stellt man dann<br />
das Profil des <strong>Sport</strong>lers fest: Was hat er für Schwächen, was sind seine<br />
Stärken. Das ermöglicht dann eine gezieltere Intervention und eine<br />
genaue Zielformulierung. Wichtig dabei ist, dass die Intervention die<br />
Stärken nutzt, die der <strong>Sport</strong>ler mitbringt, um die gegebenen Schwächen<br />
zu überwinden. Man versucht heute ressourcenorientiert vorzugehen. Und<br />
wirklich erst ausführlich <strong>im</strong> Vorfeld zu klären, was ist da, was funktioniert<br />
schon ganz gut <strong>im</strong> Training und auch <strong>im</strong> Wettkampf. Und wie kann<br />
man dabei den <strong>Sport</strong>ler noch mehr unterstützen.<br />
Es gibt ein Modell, das von drei Ebenen ausgeht. 86 Das unterscheidet einmal<br />
das sportpsychologische Grundlagentraining auf der niedrigsten Ebene,<br />
dann das Fertigkeitstraining auf der zweiten Ebene und auf der dritten<br />
Ebene eine Krisenintervention. Diese kann für <strong>Sport</strong>ler, die bereits<br />
die sportpsychologischen Grundlagen und die Fertigkeiten beherrschen,<br />
z.B. <strong>im</strong> Fall einer Verletzung oder in einem Reha-Fall notwendig sein.<br />
Dabei gibt es eine Art von Überwachung – das nennt man Monitoring –,<br />
mit der ich dann in regelmäßigen Zeitabständen prüfe: Was haben wir gemacht,<br />
was hat die Intervention verändert, hat es was gebracht oder muss<br />
man eventuell die Maßnahmen entsprechend anpassen? Wenn wir nachher über<br />
einzelne Fälle sprechen, wird das noch einmal konkreter.<br />
GRUNDLAGENTRAINING<br />
Atemübungen<br />
Progressive<br />
Muskelentspannung<br />
Autogenes<br />
Training<br />
Teambuilding<br />
FERTIGKEITSTRAINING<br />
Zielsetzung<br />
Entwicklung des<br />
Bewegungsgefühls<br />
KRISENINTERVENTION<br />
Rehabilitation<br />
nach Verletzungen<br />
Selbstgesprächsregulation<br />
Selbstwirksamkeitsüberzeugung<br />
Aufmerksamkeitsregulation<br />
Vorstellungsregulation<br />
Misserfolgsverarbeitung<br />
Psychotherapie<br />
Karriereende<br />
Konflikte in der<br />
Mannschaft<br />
<strong>Sport</strong>psychologische Interventionen und Einsatzbreiche 87<br />
Lass uns doch gleich einmal konkret werden. Kannst du am Beispiel eines<br />
<strong>Sport</strong>lers beschreiben, wie eine sportpsychologische Diagnostik aussehen<br />
kann?<br />
Einer meiner <strong>Sport</strong>ler, mit dem ich zusammenarbeite, ist Speedskifahrer.<br />
Er gehört zur Weltspitze. Mit ihm hat sich <strong>im</strong> Gespräch herausgestellt,<br />
dass er über eine sehr gute Selbstregulationsfähigkeit verfügt. Es gelingt<br />
ihm gut, seine Gedanken so zu formulieren oder so zu steuern,<br />
dass sie seine Leistungen unterstützen. Er führt hauptsächlich positive<br />
Seite 106
Selbstgespräche mit sich, seine Ziele waren ihm klar, auch die Zwischenziele,<br />
um das langfristige Ziel zu erreichen. Er war eingeladen zu einem<br />
Wettkampf, zu dem nur die 10 Besten der Welt eingeladen waren. Es ging<br />
darum, einen Weltrekordversuch zu starten. Es war für ihn eine große<br />
Ehre, dabei sein zu dürfen. Bei diesem Wettkampf war sein Ziel, seine<br />
persönliche Bestzeit zu verbessern. Er war motorisch auf der Höhe, er<br />
war körperlich topfit trainiert. Er kam auf mich zu mit dem Wunsch, auf<br />
der mentalen Seite noch etwas rauszuholen, um sicher zu sein, dass er<br />
seine Bestleistung in diesem Wettkampf abrufen kann. Er hatte auch von<br />
sportpsychologischen Methoden eine Ahnung. Er hatte einige Bücher dazu<br />
gelesen und Erfahrung mit Entspannungsmethoden, wie der progressiven<br />
Muskelrelaxation und Atmungsentspannung. Das sind klassische Methoden,<br />
die man mit <strong>Sport</strong>lern oft macht und die zu einer Aktivationsregulation<br />
beitragen. Er hatte auch schon mentales Training <strong>im</strong> Sinne eines „Fahrplans“<br />
seiner Bewegung gemacht und die Knotenpunkte dazu erarbeitet.<br />
Mit den klassischen sportpsychologischen Maßnahmen wäre man bei ihm also<br />
nicht besonders weit gekommen. Die hatte er bereits erprobt. Deshalb war<br />
die Frage: Was können wir darüber hinausgehend machen?<br />
In der Eingangsdiagnostik, wir haben den Erholungs-Belastungs-Fragebogen<br />
88 eingesetzt, stellte sich heraus, dass er bei sieben Punkten dieses<br />
Fragebogens Verbesserungsbedarf hatte. Und diese sieben Punkte des Fragebogens,<br />
bestehend aus 53 Items, haben wir uns rausgepickt und haben<br />
sie in sehr regelmäßigen Zeitabständen <strong>im</strong>mer wieder erfragt. Zum Beispiel,<br />
wie ist sein Schlafverhalten kurz vor dem Wettkampf und kurz nach<br />
dem Wettkampf, wie ist es nach einer psychologischen Intervention? Und<br />
wie ist es mit der Nachhaltigkeit der psychologischen Intervention? Das<br />
Gleiche haben wir zur emotionalen Erschöpfung gemacht. Die beeinflusst<br />
auch die Selbstregulationsfähigkeit und die Selbstwirksamkeitsüberzeugung.<br />
Wir haben dann mit diesem Monitoring, mit dem diagnostischen Instrument<br />
des Erholungs-Belastungs-Fragebogens, <strong>im</strong>mer wieder begleitend<br />
geschaut und nicht nur <strong>im</strong> Gespräch herausgefunden, wie die Maßnahme, die<br />
er täglich ausgeführt hat, <strong>im</strong> Vergleich zu den Ausgangswerten wirkt. Wir<br />
haben also versucht, die Effekte der Intervention zu quantifizieren, um<br />
nicht nur eine qualitative Aussage zu bekommen.<br />
Dieser Erholungs-Belastungs-Fragebogen fragt also auch nach der Selbstregulationsfähigkeit.<br />
Wie konkret misst er sie?<br />
Ein Item bezieht sich auf die Selbstregulation, bei dem man auf einer<br />
Skala von 0 („nie“) bis 6 („<strong>im</strong>mer“) einschätzen muss, wie gut man sich,<br />
jeweils bezogen auf die letzten drei Tage und Nächte,<br />
1. mental auf eine sportliche Leistung vorbereiten,<br />
2. während einer sportlichen Leistung selbst antreiben,<br />
3. vor einer sportlichen Leistung voll motivieren und<br />
4. vor einer sportlichen Leistung klare Ziele setzen konnte.<br />
Es gibt dann weitere Items, die die somatische, also die körperliche<br />
Erholung bzw. Belastung und die emotionale Erholung bzw. Erschöpfung<br />
erfragen.<br />
Seite 107
Lass uns noch einmal zu den Gründen zurückkehren, weshalb sich ein <strong>Sport</strong>ler<br />
an einen <strong>Sport</strong>psychologen wendet. Du hattest den Trainingsweltmeister<br />
genannt und den Speedskifahrer, der körperlich topfit ist, aber prüfen<br />
möchte, ob es bei ihm mental noch ein Verbesserungspotenzial gibt. Kannst<br />
du weitere Gründe nennen?<br />
Es gibt <strong>Sport</strong>ler, die kommen und sagen: „Ich musste aus Verletzungsgründen<br />
pausieren und starte jetzt einen Wiedereinstieg“ oder: „Ich bin <strong>im</strong> Moment<br />
nur Ersatzspieler und möchte wieder Stammspieler werden.“ Ein Skifahrer,<br />
der einen schl<strong>im</strong>men Sturz hatte und ihn bewältigen möchte, oder jemand,<br />
der in ein Motivationsloch fällt, der z.B. sagt: „Ich habe so viele Jahre<br />
täglich meine sechs bis sieben Stunden Schw<strong>im</strong>mtraining absolviert, wie<br />
soll es jetzt weitergehen? Will ich das weitermachen oder sollte ich mich<br />
neu orientieren?“ Ein anderer steht nahe am Karriereende. Es kann auch<br />
sein, dass ein Trainer auf einen <strong>Sport</strong>psychologen zukommt. Zum Beispiel<br />
bei Unst<strong>im</strong>migkeiten in Mannschaftsportarten. Wenn der Trainer nicht mehr<br />
klarkommt, kann es sinnvoll sein, eine externe Person einzubeziehen. Dann<br />
kann ein <strong>Sport</strong>psychologe mit dem Team und mit dem Trainer arbeiten. Bei<br />
jugendlichen oder kindlichen Athleten können es auch schulische Probleme<br />
sein oder wenn es <strong>im</strong> sozialen Umfeld Probleme gibt, die das Training<br />
negativ beeinflussen. Dann wenden sich auch Eltern mit ihren Kindern an<br />
einen <strong>Sport</strong>psychologen. Zum Beispiel, wenn der Druck so groß ist, dass<br />
das Kind nicht alles auf die Reihe kriegt: das Kadertraining und die<br />
schulischen Anforderungen. Es kommt zu vielen Fehltagen in der Schule,<br />
weil viele Auswärtswettkämpfe oder Trainingslager <strong>im</strong> Ausland anstehen.<br />
Wie intensiv begleitet ein <strong>Sport</strong>psychologe einen Athleten?<br />
Am Anfang ist die Anleitung des <strong>Sport</strong>psychologen groß, aber man möchte<br />
dahin kommen, dass der <strong>Sport</strong>ler lernt, die Methoden, die ihm der<br />
<strong>Sport</strong>psychologe beigebracht hat, selbst anzuwenden, und dass er selbst<br />
einschätzen kann, in welcher Situation welche sportpsychologische Trainingsform<br />
den größeren Nutzen hat. Man wandert somit <strong>im</strong>mer mehr hin zu<br />
einer Individualisierung, bei der der <strong>Sport</strong>ler <strong>im</strong>mer mehr Verantwortung<br />
bekommt und der <strong>Sport</strong>psychologe <strong>im</strong>mer weniger begleiten muss – bis der<br />
<strong>Sport</strong>psychologe dann als Supervisor fungiert und nur noch in gewissen<br />
Zeitabständen zurate gezogen wird. Zuvor müssen aber ein Wissensaufbau<br />
und eine Ist-Analyse erfolgen. Und erst dann, wenn die sportpsychologische<br />
Maßnahme <strong>im</strong> Training funktioniert, wendet man sie auch <strong>im</strong> Wettkampf<br />
an. Die Annahme, dass man z.B. ein Training der Vorstellungsregulation<br />
direkt auf den Wettkampf anwenden kann, ist eine falsche. Es geht eine<br />
lange Übungsphase <strong>im</strong> Training voraus, bevor man in der Lage ist, sie <strong>im</strong><br />
Wettkampf anzuwenden.<br />
1.Edukation<br />
2.Ist Analyse<br />
3.Üben<br />
4.Anwenden<br />
Wissensaufbau<br />
(Warum ist das<br />
wichtig für eine<br />
opt<strong>im</strong>ale Leistung?)<br />
Wie wende ich diese<br />
Technik <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> an?<br />
Was mache ich schon?<br />
Was hat sich<br />
bewährt?<br />
Was nicht?<br />
Training<br />
Wettkampf<br />
Individualisierung<br />
<strong>Sport</strong>psychologische Begleitung 89<br />
Anleitung durch den <strong>Sport</strong>psychologen<br />
Seite 108
Nehmen wir einen Handballspieler, der Schwierigkeiten hat, einen Siebenmeter<br />
sicher zu verwandeln. Er sollte also Techniken wie Selbstinstruktion<br />
und Vorstellungsregulation bereits <strong>im</strong> Training üben. Wie kann man sich das<br />
konkret vorstellen?<br />
Verschiedene sportpsychologische Trainingsformen beziehen sich auf Kognitionen.<br />
Eine davon ist die Überprüfung der Selbstgespräche. Selbstgespräche<br />
kann man regulieren, zunächst gilt es aber, negative Selbstgespräche<br />
zu identifizieren. Wenn ich die gefunden habe, versuche ich,<br />
sie in positive Monologe umzuformulieren und <strong>im</strong> Training einzuüben, um<br />
sie später <strong>im</strong> Wettkampf anwenden zu können (vgl. 184f.).<br />
Es ist den <strong>Sport</strong>lern also gar nicht <strong>im</strong>mer bewusst, dass sie negative<br />
Selbstgespräche führen?<br />
Genau! Es ist ganz menschlich, dass wir auch mal sch<strong>im</strong>pfen und negativ<br />
denken. Aber es ist wichtig, dass man sich bewusst macht, welche Gespräche<br />
führe ich denn typischerweise mit mir? Bin ich vom Typ her eher<br />
einer, der <strong>im</strong>mer denkt, das Glas ist schon halb leer, oder sehe ich in<br />
dem halbvollen Glas, dass da durchaus noch einiges drin ist. Und wenn<br />
man dann die Neigung identifiziert hat, best<strong>im</strong>mte Arten von Selbstgesprächen<br />
zu führen, die aber ungünstig für den Leistungsabruf sind,<br />
dann ist das eine Thematik, die man bearbeiten kann. 90 Das fällt dann in<br />
die kognitive-behaviorale Interventionsschiene, weil man versucht, eine<br />
Kognition, wie sie gerade vorhanden ist, zu verändern und günstiger zu<br />
machen, damit sie die Leistung unterstützt.<br />
Eine andere sportpsychologische Trainingsform ist die Aktivationsregulation<br />
(Filmverweis: Fechten 6), die in zwei Richtungen gehen kann. Wenn ich zu<br />
angespannt oder zu aufgeregt bin, dann muss ich mich beruhigen und kann dafür<br />
Entspannungsmethoden einsetzen. Beliebte Methoden sind die Atemregulation<br />
oder die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson. Es kann aber auch<br />
Autogenes Training sein oder eine achtsamkeitsbasierte Übung zum Atemgewahrsein.<br />
Es gibt aber auch den Fall, dass der <strong>Sport</strong>ler zu wenig erregt ist, er<br />
ein zu geringes Aktivationsniveau vor dem entscheidenden Wettkampf,<br />
wie dem 100-Meter-Lauf, hat. Bei dem <strong>Sport</strong>ler müsste man dann Maßnahmen<br />
anwenden, die mobilisierend wirken, die den <strong>Sport</strong>ler puschen. Das<br />
können beispielsweise schnelle, schwunghafte Bewegungen wie Hocksprünge<br />
sein, das Anhören einer energetisierenden Musik oder das Einstellen auf<br />
Herausforderung durch entsprechende Selbstgepräche. Das ist der zweite<br />
Themenblock, der in der <strong>Sport</strong>psychologie wichtig ist.<br />
Man kann eine Zielanalyse mit dem <strong>Sport</strong>ler machen, d.h. über die Motivation<br />
mit dem <strong>Sport</strong>ler sprechen, über seine Zwischenziele. Man kann Ziele<br />
planen und festlegen und schauen, wie man die Ziele am besten erreicht.<br />
Dabei wendet man das Smart-Prinzip aus der Psychologie an. Die Ziele<br />
müssen realistisch, terminiert und kurz und präzise formuliert sein. Man<br />
kann auch mit einer Mannschaft Mannschaftsziele formulieren. Das ist ein<br />
ganz wichtiges Tool, wenn man nicht mit Individualsportlern, sondern mit<br />
Teamsportlern arbeitet.<br />
Seite 109
Eine weitere Methode der <strong>Sport</strong>psychologie ist das Mentale Training. 91<br />
Dabei geht es darum, eine best<strong>im</strong>mte Bewegung planmäßig und wiederholt<br />
<strong>im</strong>mer wieder vor dem inneren Auge wie einen Film ablaufen zu lassen. Das<br />
kann eine Handlung sein, wie z.B. das Siegen bei einem Wettkampf oder<br />
auch ein best<strong>im</strong>mter Bewegungsablauf, ein Technikmerkmal, eine Schlüsselstelle<br />
in einer rhythmischen <strong>Sport</strong>gymnastik, in einer Bodenkür oder<br />
die Bodenkür selbst. Um eine innere Landkarte von der Bewegung zu bekommen,<br />
muss man zunächst ganz detailliert eine Bewegungsbeschreibung<br />
erarbeiten, die Knotenpunkte extrahieren und sie dann sprachlich markieren.<br />
Anschließend vollzieht man anhand der Kurzinstruktion mental<br />
die Bewegung. Das verlangt ganz viel Arbeitsgedächtnis, weil man den<br />
Abgleich mit dem Langzeitgedächtnis hat. Und es verlangt ein gewisses<br />
Maß an kognitiver Umschaltfähigkeit. Das verlangt auch Inhibition oder<br />
kognitive Kontrolle. Wenn ich nämlich merke, mein innerer Film bricht<br />
ab, und ich fange <strong>im</strong>mer wieder von neuem mit dem Bewegungsablauf an<br />
oder ich habe eine Störung <strong>im</strong> Film, sodass ich Teile der Bewegung überspringe,<br />
dann muss ich mich kontrollieren und den Bewegungsfluss fehlerfrei<br />
reproduzieren. Das ist ein wesentliches Tool in der klassischen<br />
<strong>Sport</strong>psychologie, das man vielfältig einsetzen kann, z.B. um best<strong>im</strong>mte<br />
Techniken zu verbessern, aber auch, um neue Situationen <strong>im</strong> Vorfeld zu<br />
antizipieren und zu trainieren. Das kann man auch gut in verletzungsbedingten<br />
Pausen einsetzen oder wenn man sich in einer Situation befindet,<br />
in der man nicht trainieren kann, z.B. die Skifahrer, die <strong>im</strong> Lift sitzen<br />
und die Abfahrtsroute vor der eigentlichen Abfahrt mental noch einmal<br />
genau durchgehen. Das Mentale Training ist eine Technik, zu der es viele<br />
empirische Studien gibt und die in den meisten <strong>Sport</strong>arten und bei den<br />
meisten <strong>Sport</strong>lern auf großen Anklang stößt.<br />
Lässt sich das Mentale Training auch in Mannschaftssportarten, bei einem<br />
ganzen Team einsetzen?<br />
Manche <strong>Sport</strong>psychologen üben mit Mentalem Training taktische Spielzüge<br />
ein, so etwa Jan Mayer in Hoffenhe<strong>im</strong> mit Kindern oder auch Hans-Dieter<br />
Hermann mit der Nationalelf <strong>im</strong> Fußball. Da wird auch mit Gruppen gearbeitet,<br />
in Gruppensituationen. Die Spieler liegen auf dem Boden und<br />
stellen sich gemeinsam eine best<strong>im</strong>mte Spielsituation vor. Das ist eine<br />
Möglichkeit, mit Teamsportlern mental zu trainieren.<br />
Mentales Training <strong>im</strong> weiteren Sinne kann alles umfassen, alle sportpsychologischen<br />
Trainingsformen. Unter Mentales Training kann auch die<br />
Selbstgesprächsregulation fallen. Und Mentales Training <strong>im</strong> engeren Sinn<br />
kann sich auf die Vorstellungsregulation beziehen. Damit ist dann wirklich<br />
nur das reine Visualisieren von Bewegungsabläufen gemeint. Deshalb<br />
spreche ich auch lieber von Vorstellungsregulation als von Mentalem<br />
Training, um so eine Begriffsverwirrung zu vermeiden.<br />
Ein anderer Bereich wäre der Bereich des Trainings der Kompetenzüberzeugung.<br />
91 Da wären wir bei deinem Handballspieler, der den Siebenmeter<br />
übt. Be<strong>im</strong> Kompetenzüberzeugungstraining gibt es zwei Varianten: einmal<br />
das Prognosetraining, bei dem ich vor dem Wurf eine Prognose abgeben<br />
muss, z.B.: In welche Ecke des Tores habe ich vor zu werfen, oder wie<br />
viele von zehn Würfen werde ich verwandeln.<br />
Seite 110
Eine weitere Variante ist das Training der Nichtwiederholbarkeit. Da<br />
habe ich nur einen alles entscheidenden Wurf. Wenn meine Prognose nicht<br />
eintrifft, erfolgt eine Strafe. Das kann zum Beispiel eine Strafaufgabe<br />
<strong>im</strong> Trainingslager sein, wie z.B. das Geschirr abräumen oder spülen oder<br />
eine sportliche Zusatzaufgabe, die ich machen muss, wie Extrarunden laufen<br />
oder etwas zum Wohle der Mannschaft machen.<br />
Und man darf den missglückten Wurf nicht wiederholen und muss das Training<br />
vielleicht sogar verlassen?<br />
Das wäre die Hardcore-Variante, die man durchaus mit den <strong>Sport</strong>lern ausmachen<br />
kann, wenn man das so möchte. Das Kompetenzüberzeugungstraining<br />
kann nach einer Einweisung durch den <strong>Sport</strong>psychologen auch sehr gut von<br />
Trainern selbstständig durchgeführt werden.<br />
Mit dem positiven Nebeneffekt, dass ich dabei auch <strong>im</strong>mer die Aufmerksamkeit<br />
der <strong>Sport</strong>ler schule. Wenn mein Verhalten eine Konsequenz hat, dann lenke<br />
ich viel bewusster und gezielter meine Aufmerksamkeit auf die anstehende<br />
Aufgabe.<br />
Das finde ich einen schönen Einwurf. In dem Moment, wo die Situation<br />
für mich subjektiv bedeutsam ist, ist der Druck ja auch höher. Oder es<br />
gibt eine objektive Bedeutsamkeit, beispielsweise einen Qualifikationswettkampf.<br />
Bin ich erfolgreich, kann ich in der nächsten Runde oder be<strong>im</strong><br />
nächsten internationalen Wettkampf dabei sein. Aber <strong>im</strong>mer dann, wenn die<br />
objektive oder subjektive Bedeutsamkeit besonders hoch ist, dann ist der<br />
Kopf anfälliger für das, was wir Monkey Mind nennen, den Affengeist. Die<br />
Affen stehen in dieser Metapher für die einzelnen Gedanken. Die Gedanken<br />
können bei sehr hoher Bedeutsamkeit eines Ereignisses sehr schnell hin<br />
und her springen. Wie die Äffchen von einem Baum zum anderen. Wenn die<br />
Gedanken so hin und her springen, ist die Wahrscheinlichkeit größer,<br />
dass die Leistung versagt. Es geht also darum, sich bewusst zu machen:<br />
was sind meine typischen Gedanken, die mich <strong>im</strong> Wettkampf beschäftigen:<br />
• zum Ergebnis,<br />
• zur Sinnhaftigkeit,<br />
• zu irrelevanten Details,<br />
• in der Vergangenheit,<br />
• zu negativen Emotionen und<br />
• zu negativen Konsequenzen.<br />
Monkey Mind<br />
Seite 111
Was können solche Gedanken sein?<br />
Es kann sein, dass ich typischerweise <strong>im</strong> Wettkampf <strong>im</strong>mer den Vergleich<br />
mit anderen <strong>Sport</strong>lern suche. Dass ich anstatt mit der Aufmerksamkeit,<br />
bei mir zu bleiben, bei meiner Vorbereitung, bei meiner Einst<strong>im</strong>mung auf<br />
die Leistung <strong>im</strong> Wettkampf, darauf konzentriert bin, was die anderen machen.<br />
Dann können Gedanken kommen wie: „So gut wie der bin ich heute best<strong>im</strong>mt<br />
nicht.“ Man beginnt, sich mit anderen zu vergleichen, obwohl der<br />
MAN BEGINNT, SICH MIT ANDE-<br />
REN ZU VERGLEICHEN, OBWOHL<br />
DER VERGLEICH IM MOMENT GAR<br />
NICHTS ZUR SACHE TUT, WEIL ER<br />
SICH AUF DIE ZUKUNFT BEZIEHT.<br />
DIESER GEDANKE IST HINFÄLLIG.<br />
ES WIRD SICH IM WETTKAMPF<br />
HERAUSSTELLEN, WER DER BES-<br />
SERE IST.<br />
Vergleich <strong>im</strong> Moment gar nichts zur Sache<br />
tut, weil er sich auf die Zukunft bezieht.<br />
Dieser Gedanke ist hinfällig. Es wird sich<br />
<strong>im</strong> Wettkampf herausstellen, wer der Bessere<br />
ist. Das ist so ein typischer Affengeist.<br />
Mit dem Speedskifahrer, von dem ich vorhin<br />
sprach, hatte ich die Affengeist-Metapher<br />
auch in einer der ersten Sitzungen besprochen.<br />
Wir hatten uns für eine achtsamkeitsbasierte<br />
Intervention entschieden und den<br />
Bodyscan 92 eingeführt. Den Bodyscan habe ich<br />
aufs Band gesprochen, und er hatte die Aufgabe, dieses Band täglich anzuhören<br />
und den Bodyscan durchzuführen (vgl. 180f.). Er hat berichtet,<br />
dass seine Gedanken oder Affen am Anfang des Bodyscans häufig ganz wild<br />
und laut waren. Nach einer Weile ist es ihm aber gelungen, seine vollkommene<br />
Aufmerksamkeit auf die Instruktionen des Bodyscans zu legen -<br />
weg von seinen Gedanken, die ihn <strong>im</strong> Alltag beschäftigen, die mit der Arbeit,<br />
mit der Familie oder dem Training zu tun haben. Es können Gedanken<br />
sein, die sich auf die Vergangenheit oder auf die Zukunft beziehen, auf<br />
die nächste Wettkampfherausforderung zum Beispiel. Bei Achtsamkeit ist<br />
es wichtig zu lernen, Herr zu werden über diese Gedanken, aber auch zu<br />
realisieren, dass diese Gedanken normal sind und dazugehören, dass wir<br />
oft eins mit unseren Gedanken oder Gefühlen sind. Aber in dem Moment,<br />
in dem ich mir bewusst mache, was mich beschäftigt, habe ich einen entscheidenden<br />
Schritt getan. Erst dann bin ich nämlich in der Lage, Herr<br />
über diese Gedanken zu werden und sie ruhiger werden zu lassen.<br />
Auch hier haben wir wieder einen engen Bezug zu den exekutiven Funktionen.<br />
Sie ermöglichen die zielgerichtete und bewusste Steuerung von Aufmerksamkeit,<br />
Verhalten und Emotionen. Selbstregulation erfordert Aufmerksamkeit,<br />
und mit Achtsamkeitsübungen lässt sich also Aufmerksamkeit schulen und die<br />
Selbstregulationsfähigkeit unterstützen.<br />
Ja, und es geht darum, den <strong>Sport</strong>ler in die Lage zu versetzen, sehr<br />
schnell <strong>im</strong> Training oder <strong>im</strong> Wettkampf zu merken, wenn seine Gedanken<br />
woanders sind, wenn ihn Gedanken beschäftigen, die mit der eigentlichen<br />
sportlichen Handlung nichts zu tun haben.<br />
Seite 112
Und wenn er die ablenkenden Gedanken wahrn<strong>im</strong>mt, wie gelingt es ihm, diese<br />
zu unterbrechen?<br />
Man kann sich ein Stoppschild vor das innere Auge führen und zu sich<br />
sagen: Stopp! Der Gedanke hat <strong>im</strong> Augenblick hier nichts zu suchen, den<br />
betrachte ich später. Das kann eine Sorge sein, die mich beschäftigt,<br />
oder bei Kinderathleten die Vorfreude auf<br />
MAN MUSS UMSCHALTEN UND SICH<br />
INHIBIEREN KÖNNEN. MAN MUSS<br />
ALSO LERNEN, GEDANKEN ODER<br />
TÄTIGKEITEN, DIE FÜR DIE AKTUELLE<br />
SITUATION, DAS TRAINING ODER<br />
DEN WETTKAMPF NICHT RELEVANT<br />
SIND, ZU UNTERDRÜCKEN.<br />
den kommenden Geburtstag am Wochenende,<br />
die <strong>im</strong> Training <strong>im</strong>mer wieder auftaucht.<br />
Das ist ein großer Schritt, den das Kind<br />
selbst machen muss und der es befähigt,<br />
aufmerksamer zu sein. Der Trainer sieht<br />
vielleicht an dem Verhalten des Kindes,<br />
dass es <strong>im</strong> Moment verträumt wirkt, abwesend<br />
erscheint, er kann aber nicht in den<br />
Kopf des Kindes reinschauen. Es erfordert<br />
gleichzeitig eine gewisse kognitive Flexibilität. Man muss umschalten<br />
und sich inhibieren können. Man muss also lernen, Gedanken oder Tätigkeiten,<br />
die für die aktuelle Situation, das Training oder den Wettkampf<br />
nicht relevant sind, zu unterdrücken. Das alles sind Teilmechanismen,<br />
die bei der Achtsamkeit mit reinspielen.<br />
Welche Rolle spielt die Achtsamkeitsschulung innerhalb der <strong>Sport</strong>psychologie?<br />
Das Konstrukt stammt ursprünglich aus der Klinischen Psychologie. Achtsamkeitstraining<br />
als psychotherapeutische Interventionsmethode dient<br />
der Stressregulation, dem Schmerzmanagement oder dem Umgang mit schwierigen<br />
Emotionen. In den letzten fünf bis zehn Jahren hat es ins Bildungswesen<br />
Einzug gehalten. In der <strong>Sport</strong>psychologie verstehen wir unter<br />
Achtsamkeit eine best<strong>im</strong>mte Form der Aufmerksamkeitslenkung. Und diese<br />
Form der Aufmerksamkeitslenkung hat drei Merkmale. Erstens, die Aufmerksamkeit<br />
ist bewusst auf den gegenwärtigen Moment gerichtet und damit<br />
gegenwartszentriert. Zweitens, man n<strong>im</strong>mt eine Haltung ein, die nicht<br />
wertend ist. Und diese nicht wertende Haltung geht einher mit einer<br />
nicht wertenden Akzeptanz: Ich akzeptiere, dass ich best<strong>im</strong>mte Gefühle<br />
habe und dass diese auch da sein dürfen. Sie sind ein Teil von mir. Ich<br />
bin aber nicht das Gefühl, das ich habe, oder der Gedanke, den ich habe,<br />
sondern ich löse mich von ihnen. Sie sind Konstrukte unseres Geistes,<br />
und auf diese Weise gewinnen wir Abstand zu unseren Gedanken. Das Ziel<br />
ist also, körperliche Empfindungen, Gedanken und Gefühle wahrzunehmen<br />
und diese zu akzeptieren. In einer Situation, in der ich nicht achtsam<br />
bin, ruft ein Reiz automatisch eine best<strong>im</strong>mte Reaktion hervor. In der<br />
gleichen Situation würde ich durch eine achtsame Haltung eine Lücke zwischen<br />
Reiz und Reaktion schalten und nicht automatisiert, <strong>im</strong>pulsartig,<br />
reflexartig „reagieren“, sondern reflektiert und situationsangepasst<br />
„antworten“. Und da Achtsamkeit eine Fertigkeit ist, kann man Achtsamkeit<br />
üben und auf diese Weise lernen. Das ist die Grundlage, von der wir<br />
erstmal ausgehen.<br />
Seite 113
Und was ist der Nutzen für den <strong>Sport</strong>ler? Mit welchem Ziel setzt man Achtsamkeit<br />
in der <strong>Sport</strong>psychologie ein?<br />
EIN SPORTLER, DER PSYCHOLOGISCH<br />
FLEXIBEL BLEIBT, IST AUCH IN DER LAGE,<br />
SEINE SPORTLICHE LEISTUNG ABZU-<br />
RUFEN. EIN SPORTLER, DER SICH IM<br />
FALSCHEN MOMENT ÄRGERT UND IM<br />
FALSCHEN MOMENT ZU SEHR FREUT,<br />
IM FALSCHEN MOMENT DEN STIMULUS<br />
EXTERNER ART ZU SEHR FOKUSSIERT,<br />
STATT BEI SICH, BEI DER BEWEGUNG,<br />
BEI DER SPORTLICHEN HANDLUNG<br />
ZU BLEIBEN, HAT KEINE GELUNGENE<br />
PSYCHOLOGISCHE FLEXIBILITÄT. ER IST<br />
NICHT IN DER LAGE, SEINE MENTALE<br />
LEISTUNG ZU UNTERSTÜTZEN.<br />
Die <strong>Sport</strong>ler können dadurch eine psychologische Flexibilität gewinnen.<br />
Und jetzt sind wir wieder bei den exekutiven Funktionen. Das oberste<br />
Ziel ist es, mit achtsamem Verhalten und der achtsamen Haltung psychologisch<br />
flexibler zu reagieren. Und ein <strong>Sport</strong>ler, der psychologisch<br />
flexibel bleibt, ist auch in der Lage, seine sportliche Leistung abzurufen.<br />
Ein <strong>Sport</strong>ler, der sich <strong>im</strong> falschen<br />
Moment ärgert und <strong>im</strong> falschen Moment zu<br />
sehr freut, <strong>im</strong> falschen Moment den St<strong>im</strong>ulus<br />
externer Art zu sehr fokussiert,<br />
statt bei sich, bei der Bewegung, bei<br />
der sportlichen Handlung zu bleiben, hat<br />
keine gelungene psychologische Flexibilität.<br />
Er ist nicht in der Lage, seine<br />
mentale Leistung zu unterstützen.<br />
Im <strong>Sport</strong> ist es ganz wichtig, <strong>im</strong>mer wieder<br />
festzustellen, wo mein <strong>Fokus</strong> liegt.<br />
Ist er in der Gegenwart, liegt er auf<br />
der sportlichen Handlung, die ich gerade<br />
ausführe? Wenn ich wahrnehme, ich beschäftige<br />
mich gerade mit Dingen aus der<br />
Vergangenheit, das stehen zu lassen, das<br />
zu akzeptieren, dass dies der Fall ist,<br />
aber, und das ist der dritte Schritt, seine Wahrnehmung und Aufmerksamkeit<br />
dann wieder zurück auf den gegenwärtigen Moment zu richten. Darauf<br />
kommt es an! Und das ist, was Kindern in der Regel sehr schwerfällt.<br />
Merkmale achtsamkeitsbasierter Aufmerksamkeitslenkung<br />
1. Die Aufmerksamkeit ist bewusst auf den gegenwärtigen Moment gerichtet<br />
und damit gegenwartszentriert.<br />
2. Man n<strong>im</strong>mt eine Haltung ein, die nicht wertend ist. Die nicht wertende<br />
Haltung geht einher mit einer nicht wertenden Akzeptanz.<br />
3. Die Wahrnehmung und Aufmerksamkeit wieder zurück auf den gegenwärtigen<br />
Moment lenken. 93<br />
Für kleinere Kinder ist bereits der erste Schritt, das Wahrnehmen, nicht<br />
einfach. Man kann von einem 5- oder 6-Jährigen, der noch nicht über eine<br />
kognitive innere Landkarte verfügt, der die Gedanken noch nicht gut in<br />
Worte fassen kann, verlangen, dass er von sich aus merkt, wann er den<br />
gegenwärtigen Moment verlässt und ob er sich mit seinen Gedanken in der<br />
Vergangenheit oder in der Zukunft befindet. Dabei können aber der Trainer<br />
oder die Eltern <strong>im</strong> Alltag dem Kind eine Hilfestellung geben, indem<br />
sie <strong>im</strong>mer wieder fragen: Wo bist du gerade mit deiner Aufmerksamkeit?<br />
Man bekommt so <strong>im</strong> Gespräch viele Rückmeldungen darüber, was das Kind<br />
eigentlich beschäftigt. Dann kann man entsprechend eingreifen.<br />
Seite 114
Eine schöne Übung heißt „Blätter auf den Fluss legen“. Man kann sich<br />
mit so einer bildlichen Metapher an einem Fluss befinden. Und für jeden<br />
Gedanken, für jede Sorge, die man hat und die nichts mit dem sportlichen<br />
Event zu tun hat, ein Blatt zurechtlegen und diesen Gedanken auf das<br />
Blatt legen, in den Fluss werfen und durch das fließende Wasser wegziehen<br />
lassen. Ob es Blätter auf einem Fluss sind oder Gedanken, die in<br />
einem Kästchen eingesperrt sind, das ich beiseitelege und dann rausholen<br />
kann, wenn es Raum dafür gibt, ist nicht entscheidend. Wichtig ist es,<br />
ins Gespräch zu kommen und zu merken, was meinen Athleten gerade beschäftigt.<br />
Im Training kann man z.B. regelmäßig kurze Atemgewahrseins-<br />
Übungen einsetzen: „Wenn du merkst, dass deine Gedanken woanders sind,<br />
dann gehe in eine Ecke der Turnhalle oder gehe an die Wand, drehe dich<br />
um und n<strong>im</strong>m zehn tiefe Atemzüge. Besinne dich auf deinen Atemzyklus.<br />
Versuche deine Aufmerksamkeit nur auf das Einströmen des Atems durch<br />
die Nase, das tiefe Wandern des Atems in den Bauchbereich und das Ausatmen<br />
durch den Mund zu legen. Dann merkst du, wie sich dein Körper<br />
beruhigt, wie dein Puls langsamer wird und deine Gedanken sich wieder<br />
auf die sportliche Handlung richten. Dann gehst du wieder zurück zur<br />
Gruppe und versuchst, konzentrierter weiterzuturnen.“ Das könnte auch<br />
der Trainer <strong>im</strong> Training veranlassen und entsprechend fördern, indem er<br />
solche Atemgewahrseins-Übungen <strong>im</strong> Liegen, <strong>im</strong> Stehen oder bei best<strong>im</strong>mten<br />
Bewegungen, wie Dehnbewegungen, ins Training einbaut.<br />
Mit dem Ziel, Aufmerksamkeit zu fokussieren und dadurch Aufmerksamkeit zu<br />
gewinnen, aber auch um zu entspannen?<br />
Die Entspannung ist ein Nebeneffekt, die sich von alleine einstellen<br />
kann. Sie ist nicht das vorrangige Ziel. Das vorrangige Ziel ist die<br />
<strong>Fokus</strong>sierung auf den Moment. Damit erhöht sich die kognitive Kapazität,<br />
um die wichtigen Bestandteile der sportlichen Handlung gut ausüben und<br />
den Anweisungen des Trainers folgen zu können. Das ist der Mehrwert auf<br />
der Ebene der Aufmerksamkeit.<br />
Bei der Kunstturngemeinschaft Heidelberg (KTG) hast du das von dir<br />
entwickelte Achtsamkeitstraining 8-sam 94 eingeführt. Die Trainer setzen<br />
Atemgewahrseins-Übungen dann <strong>im</strong> Training ein, wenn sie feststellen, dass die<br />
Aufmerksamkeit der jungen Turner nachlässt.<br />
ICH GLAUBE, ES BEDARF SEHR VIEL FEIN-<br />
GEFÜHL VON SEITEN DES TRAINERS. ER<br />
MUSS ERKENNEN, DASS SEINE SCHÜTZ-<br />
LINGE GERADE KOGNITIV ÜBERLASTET<br />
UND NICHT MEHR AUFNAHMEBEREIT<br />
SIND, DASS SIE EIN KURZES REFRESH-<br />
MENT FÜR DIE AUFMERKSAMKEIT, FÜR<br />
DIE KOGNITIVE KAPAZITÄT BENÖTIGEN.<br />
Ich glaube, es bedarf sehr viel Feingefühl<br />
von Seiten des Trainers. Er<br />
muss erkennen, dass seine Schützlinge<br />
gerade kognitiv überlastet und nicht<br />
mehr aufnahmebereit sind, dass sie<br />
ein kurzes Refreshment für die Aufmerksamkeit,<br />
für die kognitive Kapazität<br />
benötigen. Das könnte so eine<br />
Atemübung sein, wie sie Christian<br />
Berberich (Filmverweis: Turnen 4,<br />
Kempokan 5) macht. Aber auch das<br />
setzt eine Flexibilität des Trainers<br />
voraus.<br />
Seite 115
Ich habe mir für das Training diese oder jene Ziele gesetzt. Dann merke<br />
ich <strong>im</strong> Laufe des Trainings, dass ich <strong>im</strong> Rückstand bin mit der Zeit, dass<br />
ich nicht hinkomme, weil die <strong>Sport</strong>ler länger brauchen, als ich eingeplant<br />
habe. Das erfordert Flexibilität und den Mut zu sagen, ich mache<br />
jetzt dennoch eine Achtsamkeitsübung und kreiere so eine Lücke, weil ich<br />
hinterher einen Mehrwert davon habe, weil <strong>Sport</strong>ler mit einem aufgetankten<br />
Aufmerksamkeitsakku besser trainieren können.<br />
Und ich glaube auch, dass der Trainer eine gewisse eigene Erfahrung in<br />
der Achtsamkeit mitbringen sollte, um die Kinder gut anzuleiten und die<br />
Übungen frei an ihre Bedürfnisse und ihr kognitives Niveau anzupassen.<br />
Das ist sicherlich etwas, was durch Übung besser wird. Da würde ich jedem<br />
Trainer, jedem Lehrer Mut machen, es zunächst auszuprobieren, aber<br />
auch Fortbildungen zur Achtsamkeit zu besuchen und sich mit anderen<br />
Trainern dazu auszutauschen. Am Anfang kann es hilfreich sein mit Instruktionen<br />
auf Arbeitsblättern zu arbeiten und Achtsamkeitsübungen bei<br />
verschiedenen Klassen und <strong>Sport</strong>gruppen einzusetzen. Irgendwann wird man<br />
<strong>im</strong>mer freier in der Gestaltung der Anweisungen und kann sportartspezifische<br />
Komponenten in die Achtsamkeitsübung einfließen lassen.<br />
Damit Achtsamkeit und damit die Selbstregulation auch in emotionalen Situationen<br />
gelingt, wäre es sicherlich hilfreich, Achtsamkeit <strong>im</strong>mer wieder <strong>im</strong><br />
Alltag zu üben.<br />
Das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt. Und ich bin froh, dass du es<br />
direkt ansprichst. Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, diese Achtsamkeitssequenzen<br />
nur <strong>im</strong> sportlichen Training einzubauen, sie sollten<br />
überall in den Alltag einfließen. Man kann achtsam gehen, man kann achtsam<br />
laufen und sogar achtsam hetzen. Man kann auch Sorgen und Ängste<br />
achtsam wahrnehmen.<br />
Im <strong>Sport</strong> kann man fragen: Was ist dein Monster, was ist deine Angst, was<br />
ist deine Grundsorge? Hier gibt es das Bild eines Wanderers, der einen<br />
best<strong>im</strong>mten Weg gehen möchte, zur Insel mit der strahlenden Sonne, wo ihn<br />
Entspannung und Wohlbefinden erwarten. Wenn dich dann aber eine Angst,<br />
ein Monster woanders hinleiten möchte, wie gehst du damit um? Auf diese<br />
Frage geben auch Kinder ganz unterschiedliche Antworten. Die einen wollen<br />
das Monster bekämpfen, das sind diejenigen, die ganz aktiv reingehen<br />
und einen großen Kontrolldrang haben. Ich muss es in den Griff kriegen,<br />
ich muss dieses Monster überwältigen, ich muss versuchen, es zu verjagen,<br />
damit ich meinen Weg zur Insel gehen kann. Und es gibt welche, die<br />
dann einen ganz anderen Weg als den geplanten einschlagen. Es gibt ganz<br />
unterschiedliche Arten, damit umzugehen mit diesen inneren Monstern.<br />
Aber das, was die Akzeptanz vorgibt, wäre zu sagen: „Das Monster darf<br />
da sein, aber ich verliere mein Ziel nicht aus den Augen. Ich nehme es<br />
einfach mit auf meine Reise zu meiner Insel, die das Ziel darstellt.“<br />
Dieses Bild kann man auch bei Kindern einsetzen und auf den sportlichen<br />
Kontext übertragen. Man kann es auch mit einer Schulklasse, beispielsweise<br />
zum Leistungsdruck, <strong>im</strong> Schulkontext besprechen. Ich finde, das ist<br />
eine ganz wundervolle Art, um mit Kindern ins Gespräch zu kommen.<br />
Seite 116
Achtsamkeitsbasierter Umgang mit dem „inneren Monster“ 95<br />
Und wie ist nun die Achtsamkeit innerhalb der <strong>Sport</strong>psychologie einzuordnen?<br />
Da hilft ein Rückblick auf die Entwicklung aus der Klinischen Psychologie.<br />
Es gab in der Verhaltenstherapie zunächst mal die Einsicht, dass<br />
die vorherrschenden klinischen Verfahren verworfen wurden. Das nennt<br />
man die erste Welle der Verhaltenstherapie. Da hat man angenommen, dass<br />
man schädliches Verhalten, wie z.B. eine Angstattacke oder eine Panikattacke,<br />
durch ein günstiges Verhalten, z.B. durch das Einsetzen von<br />
Entspannungsverfahren, ersetzen muss.<br />
Dann ging die Einsicht weiter, dass man das soziale Lernen und die Kognition<br />
in den Vordergrund gestellt hat. Die zweite Welle ist also dadurch<br />
gekennzeichnet, dass man das problematische Verhalten, wie z.B. ein ungünstiger<br />
Gedanke, ein ungünstiges Selbstgespräch durch eine günstige,<br />
eine positive Selbstgesprächsformulierungen ersetzt. Also man ändert<br />
irrationale Gedanken, die die Leistung nicht unterstützen. In diese<br />
zweite Welle der Verhaltenstherapie, bei der die kognitiven Prinzipien<br />
<strong>im</strong> Vordergrund stehen, fallen dann auch die Methoden der klassischen<br />
<strong>Sport</strong>psychologie rein. Man schaut sich die Kognitionen dabei genau an<br />
und verändert diese.<br />
Bei der dritten Welle der Verhaltenstherapie geht man davon aus, dass<br />
die Gedanken und Gefühle funktionale psychologische Phänomene sind.<br />
Dass nicht der Gedanken an sich in seiner Eigenheit verändert wird,<br />
sondern die Relation von mir zu dem Gedanken. Ich verändere, indem ich<br />
sage: „Der Gedanke darf sein, aber meine Beziehung zu ihm ist eine andere.<br />
Der Gedanke beherrscht mich nicht, ich bin nicht der Gedanke, oder<br />
ich bin nicht eins mit dem Gedanken, sondern ich habe einen Gedanken,<br />
er ist ein Teil von mir und ich akzeptiere ihn.“ Hier setzen die achtsamkeitsbasierten<br />
Ansätze an. Meiner Ansicht nach ergänzen sich beide<br />
Bereiche sehr gut: die klassischen Tools der <strong>Sport</strong>psychologie und die<br />
achtsamkeitsbasierten Methoden.<br />
Man kann in der <strong>Sport</strong>psychologie beide einsetzen. Man kann mit dem <strong>Sport</strong>ler<br />
ein Training der Vorstellungsregulation machen und gleichzeitig sein<br />
Atemgewahrsam, sein Körpergewahrsam mit achtsamkeitsbasierten Übungen<br />
schulen. Ich glaube, wichtig ist eine Kombination aus beiden zu finden.<br />
Und nicht alle <strong>Sport</strong>ler springen auf eine Methode an. Man muss schauen,<br />
welche Methode passt zu welchem <strong>Sport</strong>ler und zu welcher Aufgabenstellung,<br />
zu welcher Problemstellung, die ich mit der Intervention bearbeiten will.<br />
Seite 117
1.Welle: Vorherrschende klinische Verfahren werden verworfen.<br />
Schädliches Verhalten wird durch konstruktives Verhalten ersetzt<br />
(z.B. Angstattacken durch Entspannung).<br />
2.Welle: Soziales Lernen und kognitive Prinzipien <strong>im</strong> Vordergrund.<br />
Problematisches Verhalten wird durch Ändern der Kognitionen bekämpft<br />
(z.B. ändern irrationaler Gedanken).<br />
KLASSISCHE SPORTPSYCHOLOGISCHE METHODEN<br />
3.Welle: Gedanken und Gefühle sind funktionale psychologische Phänomene.<br />
Verändert wird nicht der Inhalt der Gedanken, sondern die Beziehungen zu ihnen.<br />
ACHTSAMKEITSBASIERTE ANSÄTZE<br />
Die drei Wellen der Verhaltenstherapie 95<br />
Ab welchem Alter beginnt man, mit Kindern sportpsychologisch zu arbeiten?<br />
Bei den Spitzenathleten ist es möglich, ab einem Alter von ca. 10 Jahren<br />
sinnvoll klassische sportpsychologische Methoden, wie das Mentale Training<br />
und die Selbstgesprächsregulation, einzusetzen. Dabei macht es Sinn,<br />
in der Gruppe vorzugehen, weil die Kinder das aus der Schule kennen. In<br />
kleineren Gruppen mit vier bis sechs Kindern ist es opt<strong>im</strong>al. Hier kann<br />
man Grundlagen aufbauen, die <strong>im</strong> Jugendalter dann opt<strong>im</strong>iert werden. 96<br />
In unsere Achtsamkeitsstudie bei der Kunstturngemeinschaft Heidelberg<br />
haben wir mit Kindern <strong>im</strong> Alter zwischen fünf und zehn Jahren gearbeitet.<br />
Die Herausforderung war, ein Programm zu konzipieren und es sprachlich<br />
so zu gestalten, dass sowohl die Zehnjährigen sich angesprochen fühlen<br />
als auch die Fünfjährigen mitkommen. Es war also eine altersinhomogene<br />
Gruppe. Mit fünf- oder sechsjährigen Kindern kann man sehr einfache Vorformen<br />
der Achtsamkeit machen, z.B. kurz gestaltete Atemübungen. Dabei<br />
ist es wichtig, die Instruktionen auf den Punkt zu bringen, nicht zu<br />
viel reinzupacken, nicht zu komplex zu werden und von den Kindern nicht<br />
zu viel zu erwarten. Sie können keine Selbstgespräche analysieren und<br />
Gedanken klar in Sprache formulieren. Ein 10-Jähriger kann das eher,<br />
weil er kognitiv reifer ist.<br />
Kurz zu einem ganz anderen Punkt: Welche Ausbildung durchläuft ein <strong>Sport</strong>psychologe?<br />
Von allen <strong>Sport</strong>psychologen, die Coaching anbieten, haben die meisten einen<br />
psychologischen Background. Deutlich weniger machen zum Beispiel die<br />
asp-Curriculum-Ausbildung bei der Arbeitsgemeinschaft für <strong>Sport</strong>psychologie;<br />
97 sie haben ursprünglich <strong>Sport</strong>wissenschaft studiert. Ein sehr geringer<br />
Teil der <strong>Sport</strong>psychologen haben Psychologie studiert und zusätzlich eine<br />
vier- bis fünfjährige Ausbildung in Verhaltenstherapie absolviert. Sie<br />
sind damit befugt, auch klinische Maßnahmen einzuleiten. Ein <strong>Sport</strong>psychologe<br />
ist in aller Regel also kein Therapeut. In dem Moment, wenn er z.B.<br />
den Eindruck hat, der <strong>Sport</strong>ler leide unter einer Depression, muss er den<br />
<strong>Sport</strong>ler an einen Psychotherapeuten oder Psychiater verweisen.<br />
Seite 118
Ich glaube, <strong>im</strong> Interview wurde ganz deutlich, dass die Förderung der Selbstregulation<br />
ein zentraler Bestandteil der <strong>Sport</strong>psychologie ist. Die Selbstregulationsfähigkeit<br />
basiert auf den exekutiven Funktionen, auf die du auch<br />
<strong>im</strong>mer wieder eingegangen bist. Aber sind die exekutiven Funktionen tatsächlich<br />
auch schon in der <strong>Sport</strong>psychologie angekommen? Die Neuropsychologie<br />
befasst sich ja intensiv mit den exekutiven Funktionen. Wie intensiv befassen<br />
sich die <strong>Sport</strong>psychologen mit diesen Gehirnfunktionen und exekutiven<br />
Fähigkeiten? Sie stehen ja in einem engen Zusammenhang mit der sportlichen<br />
Leistungsfähigkeit, wie zum Beispiel <strong>im</strong> Fußball.<br />
Ich glaube, bislang ist es ein Randbereich, in den sich jemand einliest,<br />
wenn er daran Interesse hat. Interessant ist zum Beispiel die Frage,<br />
wann der präfrontale Kortex so weit entwickelt ist, dass Selbstregulationsfähigkeit<br />
möglich ist. Hier gibt es ein Modell von Phil Zelazo, der<br />
sagt, <strong>im</strong> Alter von fünf bis sechs Jahren beginnt sich die Selbstreflexionsfähigkeit<br />
zu entwickeln. 98 Der präfrontale Kortex ist zwar noch nicht<br />
ausgereift, aber man kann best<strong>im</strong>mte Top-down- und Bottom-up-Prozesse<br />
der Informationsverarbeitung durch ein Training der Reflexionsfähigkeit<br />
oder auch konkret durch ein Training der Achtsamkeit verbessern. Neurowissenschaftliche<br />
Erkenntnisse sind aber nicht Teil der Ausbildung,<br />
z.B. des asp-Curriculums für <strong>Sport</strong>psychologie.<br />
Noch nicht!<br />
Ja, noch nicht, das wäre hier wohl die richtige Formulierung. Man hat<br />
sich damit mal <strong>im</strong> Studium befasst. In der Neuropsychologie als Grundlagenfach,<br />
aber nicht auf die <strong>Sport</strong>psychologie spezifisch zugeschnitten.<br />
Die Neurowissenschaft hat innerhalb der Angewandten <strong>Sport</strong>psychologie noch<br />
nicht Einzug gehalten. Auch<br />
nicht in Bezug auf die Konzepte,<br />
die sprachlichen<br />
Begriffe und die Arbeitsdefinitionen.<br />
Ihr redet ja<br />
von exekutiven Funktionen,<br />
wir benutzen die Begriffe<br />
in der <strong>Sport</strong>psychologie gar<br />
nicht. Ich kenne sie nur,<br />
weil ich die Studie mit<br />
Kindern gemacht habe, und<br />
aus der Entwicklungspsychologie.<br />
Da hat die Begrifflichkeit<br />
eine gewisse Tradition, nicht aber in der <strong>Sport</strong>psychologie. Aber<br />
wenn man genau hinschaut, was eigentlich die unterschiedlichen Methoden<br />
der <strong>Sport</strong>psychologie machen, dann zielen die ja oft genau auf die Unterstützung<br />
des Arbeitsgedächtnisses, die Opt<strong>im</strong>ierung der kognitiven Flexibilität<br />
und manchmal auch auf die Verbesserung der Inhibition ab. Aber<br />
sie werden nicht explizit geschult. Die Methode des Vorstellungstrainings<br />
<strong>im</strong>pliziert ja viele Komponenten der exekutiven Funktionen, aber man würde<br />
in der <strong>Sport</strong>psychologie nicht mit diesen Begriffen hantieren. Das liegt<br />
wohl in den zwei unterschiedlichen Forschungstraditionen begründet. Aber<br />
ich glaube, dass die Disziplinen voneinander viel lernen könnten.<br />
DIE METHODE DES VORSTELLUNGSTRAININGS<br />
IMPLIZIERT JA VIELE KOMPONENTEN DER<br />
EXEKUTIVEN FUNKTIONEN, ABER MAN WÜRDE<br />
IN DER SPORTPSYCHOLOGIE NICHT MIT DIESEN<br />
BEGRIFFEN HANTIEREN. DAS LIEGT WOHL IN<br />
DEN ZWEI UNTERSCHIEDLICHEN FORSCHUNGS-<br />
TRADITIONEN BEGRÜNDET. ABER ICH GLAUBE,<br />
DASS DIE DISZIPLINEN VONEINANDER VIEL<br />
LERNEN KÖNNTEN.<br />
Seite 119
Es macht <strong>im</strong>mer Sinn, über die Grenzen der eigenen Disziplin zu blicken.<br />
Und das ist es, was ich in den letzten fünf Jahren auf den Kongressen<br />
beobachtet habe, auf nationalen und internationalen sportpsychologischen<br />
Tagungen. Da sind plötzlich Kollegen aus der Klinischen Psychologie,<br />
Kollegen aus der Neurowissenschaft, Kollegen, die stärker exper<strong>im</strong>entell<br />
arbeiten (Filmverweis: <strong>Sport</strong>psychologie TSG 1899 Hoffenhe<strong>im</strong>).<br />
KLASSISCHE METHODEN DER SPORTPSYCHOLOGIE 91,99<br />
• Selbstgesprächsregulation<br />
• Mentales Training oder Vorstellungsregulation<br />
• Aufmerksamkeitsregulation<br />
• Aktivationsregulation (entspannen/mobilisieren)<br />
• Zielanalyse<br />
• Motivationsanalyse<br />
• Prognosetraining<br />
• Training der Nichtwiederholbarkeit<br />
NEUE METHODEN DER SPORTPSYCHOLOGIE<br />
• Achtsamkeitsschulung 100<br />
• Kognitives Training (u.a. der exekutiven Funktionen)<br />
Abschließend interessiert uns natürlich noch, wie die achtsamkeitsbasierte<br />
Intervention bei dem Speedskifahrer, den du betreut hast, gewirkt hat. Hat<br />
er sie <strong>im</strong> Wettkampf eingesetzt? Hat sie seine Leistung unterstützt und vor<br />
allem, konnte er seine Bestzeit unterbieten?<br />
Dass er sie wochen-, gar monatelang täglich angewendet hat, hat sich für<br />
ihn gelohnt. Im entscheidenden Wettkampf kam es zwischen den einzelnen<br />
Durchläufen direkt vor seiner letzten Fahrt zu Trubel und zu einer längeren<br />
Zeitverzögerung. Anstatt sich von der Nervosität anstecken zu lassen,<br />
hat er von den Übungen profitiert: Er blieb ganz bei sich und steuerte<br />
seine Aufmerksamkeit ganz gezielt und fokussierte nur auf die Linie, die<br />
er fahren wollte. Als er das „Go“ bekam, war er, wie er selbst sagte,<br />
„eins mit der Piste“ und hat „die Linie aufgefressen“. Er ist einfach<br />
gefahren. Und hat seine bisherige Rekordzeit deutlich unterboten.<br />
Seite 120
Seite 121
4 SELBSTREGULATION<br />
FÖRDERUNG DER SELBSTREGULATION (SELBSTKONTROLLE) = FÖRDERUNG<br />
MENTALER STÄRKE (WILLENSSTÄRKE) = FÖRDERUNG DER SELBSTDISZIPLIN<br />
Wenn man als <strong>Sport</strong>ler die Fähigkeit verliert, seine Emotionen zu regulieren und sein Verhalten <strong>im</strong> Griff zu<br />
haben, wenn man nicht die Selbstdisziplin aufbringt, regelmäßig, motiviert und konzentriert am Training teilzunehmen,<br />
wenn man den Willen verliert, sich dem Mannschaftsgedanken unterzuordnen, Anstrengungsbereitschaft<br />
zu zeigen und Leistung zu erbringen, dann bleiben auch die sportlichen Erfolge aus.<br />
Aufgaben, die Selbstdisziplin und Willenskraft erfordern, lassen sich in vier Bereiche einteilen:<br />
1. Kontrolle der Gedanken,<br />
2. Kontrolle der Emotionen,<br />
3. Impulskontrolle be<strong>im</strong> Widerstehen von Versuchungen und<br />
4. Leistungskontrolle. 1<br />
Damit wird deutlich, dass Willenskraft, mentale Stärke, Selbstkontrolle, Selbstregulation und Selbstdisziplin in<br />
einem engen Zusammenhang stehen und <strong>im</strong> Grunde dieselben Kompetenzen umschreiben.<br />
In einer großangelegten Studie zur Erhebung persönlicher Charakterstärken wurde Selbstdisziplin <strong>im</strong> Vergleich<br />
zu anderen Tugenden wie Ehrlichkeit, Humor, Güte und Kreativität an letzter Stelle genannt. Dagegen stand bei<br />
den persönlichen Schwächen der weltweit zwei Millionen Befragten mangelnde Selbstdisziplin ganz oben auf<br />
der Liste. 1 Gleichzeitig ist bei Studierenden Selbstdisziplin die einzige von über 30 Persönlichkeitseigenschaften,<br />
die <strong>im</strong> direkten Zusammenhang mit den Noten gemessen wurde. Mit einer hohen Selbstdisziplin nehmen Erfolge<br />
und, in weiterer Folge, Selbstbewusstsein und Zufriedenheit zu. 1<br />
DIE BAUSTEINE DES ERFOLGS<br />
Um Zufriedenheit zu erlangen, blickt man auf das Erreichte zurück. Verfügt man über einen starken Willen, eine<br />
hohe Selbstregulationsfähigkeit und Selbstdisziplin, erreicht man <strong>im</strong> Leben mehr. Um sich weiter zu motivieren,<br />
sollte man den Blick nach vorne, in die Zukunft lenken und zunächst ein klares und realistisches Ziel formulieren.<br />
Bei Kindern sind kurzfristige Ziele, wie z.B. heute <strong>im</strong> Training bei Ansagen konzentriert zuzuhören, wirkungsvoller<br />
als langfristige Ziele. Bei Jugendlichen haben sich dagegen langfristige Ziele als wirksamer erwiesen, 1 z.B. am<br />
Ende der Saison ein best<strong>im</strong>mtes Element turnen zu können, als Torschützenkönig in die Winterpause zu gehen,<br />
den Aufstieg zu schaffen oder die Meisterschaft zu gewinnen. Je älter die Heranwachsenden, desto besser sind<br />
sie in der Lage zu erkennen, dass sie mit jeder Trainingseinheit ihrem Ziel näher kommen können, wenn sie sich<br />
<strong>im</strong> Training entsprechend verhalten, wozu sie Selbstdisziplin aufbringen müssen und diese dabei ausbilden. Dafür<br />
sollten sich die <strong>Sport</strong>ler ihre Ziele <strong>im</strong>mer wieder vor Augen führen bzw. diese <strong>im</strong> Arbeitsgedächtnis präsent<br />
halten. Übungsleiter und Trainer können sie dabei unterstützen, indem sie mit ihnen über die Ziele sprechen<br />
und sie ihnen <strong>im</strong>mer wieder bewusst machen. Bei der Zielsetzung gilt: Je weniger und je klarer die Ziele definiert<br />
sind, desto besser! 1<br />
Nachdem das Ziel oder die Ziele feststehen, sollte man in regelmäßigen Abständen das eigene Verhalten kontrollieren<br />
bzw. beobachten (Verhaltensmonitoring) und prüfen, ob man sich zieladäquat verhält (Bin ich bei<br />
der Anweisung des Trainers tatsächlich konzentriert? Versuche ich gerade, die Übung in dem höchstmöglichen<br />
Tempo durchzuführen? Sind die Knie und Fußspitzen gestreckt?). Die Selbstbeobachtung wird dadurch unterstützt,<br />
indem man andere daran teilnehmen lässt. 1 Als Trainer kann man auf ein Zeichen die Trainingssituation<br />
kurz unterbrechen, und die <strong>Sport</strong>ler sollen prüfen, ob sie sich gerade gemäß ihren Zielen oder den Vorgaben<br />
des Trainers verhalten. Die Selbstbeobachtung unterstützt die Motivation, die durch das Feedback des Trainers,<br />
einer zeitlich verzögerten sozialen (z.B. einer gemeinsamen Unternehmung) oder materiellen Belohnung (zur<br />
Meisterschaft gibt es ein Meister-Shirt) weiter gestärkt wird.<br />
Seite 122
MENTALE STÄRKE TRAINIEREN<br />
Selbstdisziplin und Willensstärke lassen sich wie ein Muskel trainieren. Sie wachsen mit ihren Aufgaben 2 und<br />
lassen sich durch die Änderung gewohnheitsmäßiger Verhaltensweisen stärken. Gerade zu sitzen, in vollständigen<br />
und grammatikalisch richtigen Sätzen zu sprechen, Sch<strong>im</strong>pfwörter zu vermeiden, auf den Tonfall, eine<br />
deutliche Aussprache und auf Tischmanieren zu achten – diese und unzählige weitere erzieherische Verhaltensübungen<br />
tragen bei regelmäßigem Einsatz dazu bei, die Willensstärke zu trainieren und Selbstdisziplin auszubilden.<br />
1 Übertragen auf das Training sind das Verhaltensweisen wie pünktlich zum Training zu erscheinen,<br />
Kritik des Trainers anzunehmen, Schiedsrichterentscheidungen zu akzeptieren, nicht zu foulen, be<strong>im</strong> Auf- und<br />
Abbau der Geräte ohne Aufforderung zu helfen, Ordnung in der Umkleidekabine zu halten u.v.m. Werden diese<br />
Verhaltensweisen mit der Zeit zur Gewohnheit, erfordern sie keine Willenskraft mehr. Sie werden allmählich zu<br />
automatisierten Verhaltensweisen, die keiner bewussten Kontrolle mehr bedürfen. 1<br />
Willenskraft und Selbstdisziplin sind auch notwendig, um die Aufmerksamkeit zielgerichtet zu steuern, sich<br />
nicht ablenken zu lassen, an einer Aufgabe dranzubleiben, ohne dabei das Ziel aus dem Blick zu verlieren. Hobbys,<br />
die diese Fähigkeiten und somit exekutive Funktionen, Aufmerksamkeit und Disziplin erfordern, eignen<br />
sich daher auch zu deren Ausbildung. Dazu zählt nicht zuletzt das Training <strong>im</strong> <strong>Sport</strong>, in dem auf die Ausbildung<br />
dieser Kompetenzen Wert gelegt wird.<br />
Probanden, die in Studien ihre Willensstärke entweder durch regelmäßige Fitnessübungen, durch Veränderung<br />
ihrer Lerngewohnheiten oder durch Finanzplanung trainiert haben, konnten zu einem späteren Zeitpunkt<br />
ihre Aufmerksamkeit gezielter steuern und Versuchungen besser widerstehen, insbesondere in Situationen, in<br />
denen ihre Willenskraft bereits reduziert war. Die Probanden wurden in den trainierten Bereichen besser (die<br />
<strong>Sport</strong>ler wurden fitter, die Lerner und Haushaltsplaner effizienter), sie verbesserten sich aber auch in anderen<br />
Bereichen. Diejenigen, die planvoll gelernt hatten, trieben öfter <strong>Sport</strong> und gaben weniger Geld aus, und die<br />
Haushaltsplaner und <strong>Sport</strong>ler lernten besser. Willensanstrengungen in einem Bereich fördern also die Willenskraft<br />
in anderen Bereichen. 1 Trainieren Kinder und Jugendliche ihre Willensstärke, Selbstkontrolle und Selbstdisziplin<br />
<strong>im</strong> <strong>Sport</strong>, profitieren sie davon somit auch in anderen Lebens- und Lernbereichen.<br />
Filmverweis<br />
• Handball 10<br />
• Kempokan 6 und 7<br />
• Handball-ExF 2<br />
WENN DIE WILLENSKRAFT SCHWINDET<br />
Wir verfügen nicht über ein unerschöpfliches Reservoir an Willensstärke. Viele Tätigkeiten des Alltags zehren<br />
an derselben Ressource, die uns für Willenskraft, Selbstkontrolle und Selbstdisziplin zur Verfügung steht. 1 Bis<br />
Kinder und Jugendliche am späten Nachmittag/Abend zum Training kommen, haben bereits viele Situationen<br />
ihre Willenskraft und so auch ihre Selbstdisziplin geschwächt. Dazu gehören z.B. Schlafmangel nach einem ereignisreichen<br />
Wochenende, ein langer Schultag, Hausaufgaben und Klassenarbeitsvorbereitung, Konflikte mit<br />
Lehrern, Freunden, Eltern oder Geschwistern und, mehr denn je, die Entscheidungsvielfalt <strong>im</strong> Internet.<br />
Symptome begrenzter Willenskraft zeigen sich in einer intensiveren Wahrnehmung (alles erscheint lauter), einer<br />
erhöhten Reizbarkeit und Impulsivität, einer reduzierten Frustrationstoleranz und geringeren Kompromissbereitschaft.<br />
Die Urteilsfähigkeit leidet ebenso wie der Gerechtigkeitssinn, und je erschöpfter der Wille, desto<br />
schwerer fallen Entscheidungen. 1 Das sollte vor allem Trainern und <strong>Sport</strong>lern bewusst sein, die in <strong>Sport</strong>arten<br />
aktiv sind, die viele und schnelle Entscheidungen erfordern.<br />
Seite 123
DIE GRUNDLAGE FÜR EINEN STARKEN WILLEN: GLUKOSE<br />
Das Gehirn macht bei Erwachsenen nur zwei Prozent des Körpergewichts aus, verbraucht aber 20 Prozent seiner<br />
Energie. Willensstärke (mentale Stärke), Selbstkontrolle (Selbstregulation) und Selbstdisziplin erfordern sehr viel<br />
Energie; ihr Treibstoff ist Glukose, weshalb <strong>im</strong> Umkehrschluss Unterzucker den Willen, die Selbstkontrolle und<br />
Selbstdisziplin schwächt. 2 Mit einem niedrigen Blutzuckerspiegel fällt es also schwerer, konzentriert bei der Sache<br />
zu bleiben, die richtigen Entscheidungen zu treffen und herausfordernde Aufgaben erfolgreich zu meistern.<br />
Filmverweis<br />
• Turnen 5<br />
Glukose ist ein Einfachzucker, den der Körper aus den unterschiedlichsten Nahrungsmitteln bei der Verdauung<br />
bildet. Um Willensstärke über einen möglichst langen Zeitraum zu erhalten, sollte man Nahrungsmittel ohne<br />
oder mit einem niedrigen glykämischen Index zu sich nehmen. Dazu gehören u.a. Gemüse, Obst, Nüsse, Käse,<br />
Fisch und Fleisch. Diese Nahrungsmittel werden langsamer in Glukose umgewandelt als die Kohlenhydrate in<br />
Kartoffeln, Weißbrot und Süßigkeiten. Diese Kohlenhydrate mit einem hohen glykämischen Index werden zwar<br />
schnell in Glukose umgewandelt, sie haben aber auch einen schnellen Rückgang des Blutzuckerspiegels zur Folge.<br />
1 Der Rückgang erfolgt durch eine hohe Insulinausschüttung, die eine gesteigerte Aufnahme von Glukose in<br />
Muskel- und Fettzellen bewirkt. Während Glukose den Körper direkt mit Energie versorgt, muss sie für die Energieversorgung<br />
des Gehirns zunächst in Neurotransmitter umgewandelt werden. Da Schlaf die Glukoseverwertung<br />
und die Selbstbeherrschung verbessert, sollte zur Unterstützung der Selbstdisziplin auch auf ausreichend<br />
Schlaf geachtet werden. 1<br />
EINFLUSSFAKTOREN<br />
POSITIV<br />
• Obst, Gemüse, Nüsse, Fisch,<br />
Fleisch, Käse<br />
• Ausreichend langer Nachtschlaf<br />
• Echte Ruhephasen am Tag<br />
• Reizarme Umgebung<br />
• Selbstreguliertes (planvolles)<br />
Lernen (dadurch weniger Stress)<br />
• Freundschaften, Familie<br />
NEGATIV<br />
• Süßigkeiten, Weißbrot<br />
• Schlafmangel<br />
• Reizüberflutung, Internet<br />
• Stress<br />
• Konflikte<br />
WILLENSSTARK<br />
WILLENSSCHWACH<br />
Seite 124
GESUNDHEITSVERHALTEN FÜR DAS GEHIRN<br />
Als Trainer sollte man die Eltern bei der Ausbildung der Selbstdisziplin und der mentalen Stärke der Kinder<br />
und Jugendlichen mit ins Boot nehmen, denn sie können die Selbstdisziplin ihrer Kinder in täglichen Situationen<br />
fördern und durch ein entsprechendes Gesundheitsverhalten weiter unterstützen. Dazu eignen sich z.B.<br />
Elternabende zu Beginn der Saison. Hilfreiche Empfehlungen für Eltern (die gleichermaßen den sportlichen wie<br />
schulischen Erfolg stützen) sind:<br />
• Achten Sie auf eine gesunde Ernährung und vor dem Training auf einen gesunden Snack.<br />
• Schlafmangel reduziert die Selbstdisziplin und Selbstregulationsfähigkeit. Die Schlafdauer sollte bei Kindern<br />
und Jugendlichen zwischen 9 und ca. 11 Stunden liegen.<br />
• Ein kurzer Mittagsschlaf ist förderlich, sowohl für das Training am Abend als auch für die Wissenskonsolidierung<br />
nach der Schule. Nichts verfestigt das Gelernte nach dem Lernen (ohne selbst aktiv zu lernen) so gut wie<br />
der Schlaf; und wenn dafür keine Zeit bleibt – eine Ruhephase.<br />
• Vereinbaren Sie deshalb während und nach dem Lernen, aber auch vor dem Schlafengehen feste Zeiten, in<br />
denen das Handy, der Computer und der Fernseher ausgeschaltet bleiben. Machen Sie dazu in einer ruhigen<br />
Situation ihrem Kind ein paar wissenschaftliche Fakten bewusst:<br />
* Die häufige Nutzung des Smartphones beeinträchtigt nachweislich die Gehirnentwicklung, die Aufmerksamkeitsleistung<br />
in Form von Konzentrationsstörungen und führt zu einer geringeren Lebenszufriedenheit<br />
und zu Stress.<br />
* Je mehr Zeit dem Smartphone-Gebrauch gewidmet wird, desto weniger Zeit bleibt zum Lernen und für<br />
aktive, sinnstiftende, ausgleichende und entwicklungsfördernde Aktivitäten wie dem <strong>Sport</strong>.<br />
* Nachgewiesen ist auch, dass die Nutzung von Smartphones süchtig machen kann und die Willensstärke<br />
schwächt, da die Nutzer daran gewöhnt werden zu reagieren, sobald eine Nachricht eingeht, und somit<br />
abgelenkt werden. Lässt man sich ständig durch das Smartphone ablenken, reduziert sich das Durchhaltevermögen.<br />
Man verlernt nach und nach die Fähigkeit, unabgelenkt an einer Sache dranzubleiben.<br />
* Rund 90 Prozent der Jugendlichen nutzen eine Stunde vor dem Schlafengehen ihr Smartphone, spielen<br />
Spiele, verwenden Facebook und WhatsApp, schreiben SMS oder E-Mails. Dieser späte Medienkonsum<br />
führt nachweislich zu Schlafstörungen und einem gestörten Tag-Nacht-Rhythmus, der in einer erhöhten<br />
Müdigkeit in der Schule resultiert, was die Aufmerksamkeits- und Lernleistung beeinträchtigt. 3<br />
• Hält sich ihr Kind nicht an die Vereinbarung, nehmen Sie das Handy, die Spielkonsole oder den Laptop für eine<br />
best<strong>im</strong>mte Zeit an sich. Bleiben Sie dabei unbedingt konsequent, auch wenn Ihr Kind protestiert. Berufen Sie<br />
sich auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Ihre Erziehungspflicht. 4<br />
• Seien Sie selbst Vorbild für eine gelungene Selbstdisziplin, für Willensstärke und fokussierte Aufmerksamkeit,<br />
und lassen Sie Ihr Handy auf den Zuschauerrängen bei <strong>Sport</strong>ereignissen Ihrer Kinder ausgeschaltet oder in<br />
der Tasche.<br />
Die Ausbildung der Persönlichkeit von Heranwachsenden erfordert sehr viel Energie. Kann man sich diese Aufgabe<br />
teilen, wirkt sich das positiv auf die Entwicklung der Selbstdisziplin aus. So gilt bei Jugendlichen mangelnde<br />
elterliche Aufsicht als wichtigste Ursache für spätere Straftaten. Wie entscheidend die Aufsicht der Eltern<br />
ist, belegt auch eine Studie, in der der Drogenkonsum von Jugendlichen untersucht wurde. Die Untersuchung<br />
von 35.000 Jugendlichen zeigt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen elterlicher Kontrolle und Marihuana-Missbrauch.<br />
Wenn Eltern wissen, was ihre Kinder in der Freizeit machen und mit wem sie diese verbringen,<br />
ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass diese Jugendlichen Drogen konsumieren als schlechter beaufsichtigte<br />
Jugendliche. 1<br />
An diesem Beispiel wird deutlich, welch große Bedeutung einem regelmäßigen Training <strong>im</strong> <strong>Sport</strong>verein zukommt.<br />
Als Trainer und Übungsleiter unterstützen Sie entscheidend die Erziehung und die Entwicklung der<br />
Kinder und Jugendlichen (vgl. 77f.).<br />
Seite 125
FÖRDERUNG DER SELBSTREGULATION DURCH BEWEGUNG, SPORT UND SPIEL<br />
In einer Studie mit 5- bis 11-jährigen Schülern wurde für einen Zeitraum von drei Monaten der <strong>Sport</strong>unterricht<br />
durch traditionelles Taekwondo ersetzt. Dies führte bei den teilnehmenden Schülern (insbesondere<br />
bei den Jungen), die <strong>im</strong> traditionellen Taekwondo unterrichtet wurden, <strong>im</strong> Vergleich zur Kontrollgruppe mit<br />
normalem <strong>Sport</strong>unterricht zu stärkeren Verbesserungen auf kognitiver (weniger ablenkbar/stärker fokussiert)<br />
und auf affektiver Ebene (verbessertes Durchhaltevermögen). Die Kinder der Taekwondo-Gruppe wurden auch<br />
<strong>im</strong> Kopfrechnen besser, das das Arbeitsgedächtnis erfordert. 5<br />
Traditionelle Kampfkünste legen großen Wert auf die Persönlichkeitsentwicklung, indem sie auf Disziplin und<br />
Selbstkontrolle achten. Zur Schulung der Selbstkontrolle wurden die Kampfkunststunden mit drei Reflexionsfragen<br />
eingeleitet:<br />
1. Wo bin ich?<br />
2. Was mache ich gerade?<br />
3. Was sollte ich gerade machen? 5<br />
Die Kinder übten mit diesen Fragen, ihre Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment zu lenken, ihr Verhalten<br />
zu überwachen, es mit dem Ziel abzugleichen und es ggf. anzupassen (vgl. 114f.).<br />
Filmverweis:<br />
• Hockey 8 und 9<br />
• Fechten 7<br />
Bei jugendlichen Straftätern hatte die Ausübung von traditionellem Taekwondo <strong>im</strong> Vergleich zur Teilnahme an<br />
modernen Kampfkünsten einen Rückgang von Aggression und Angst sowie eine Verbesserung der sozialen Fähigkeiten<br />
und des Selbstwertgefühls zur Folge. In den Trainingseinheiten <strong>im</strong> traditionellen Taekwondo lagen die<br />
Trainingsschwerpunkte auf der Vermittlung von Respekt, Verantwortung, Ausdauer, Konzentration, Selbstkontrolle<br />
und Selbstverteidigung. 6 Traditionelle Kampfkünste beinhalten in der Regel Achtsamkeitsübungen, die eine<br />
Verbesserung der exekutiven Funktionen bewirken, vor allem bei den Kindern, die zuvor schwächere exekutive<br />
Funktionen aufgewiesen haben. 7<br />
Filmverweis:<br />
• Kempokan<br />
Je früher und gezielter man an der Ausbildung selbstregulatorischer Fähigkeiten und deren zugrundeliegenden<br />
exekutiven Funktionen arbeitet, desto effektiver kann die Förderung erfolgen – mit weitreichenden Folgen,<br />
denn die kindliche Selbstregulation hat weit über die Schulzeit hinaus Einfluss auf Bildung, Gesundheit, Wohlstand<br />
und soziale Sicherheit. 8 Mit PFiFF hat der Verein Spiel und <strong>Sport</strong> plus ein <strong>Sport</strong>konzept entwickelt, das<br />
auf die spielerische Förderung der Selbstregulation von Kindern <strong>im</strong> Kindergarten- und Grundschulalter abzielt.<br />
Seite 126
FÖRDERUNG DER SELBSTREGULATION MIT PFIFF<br />
Filmverweis:<br />
• PFiFF/Grundschule<br />
Bei PFiFF 9 steht das spielerische Training exekutiver Funktionen <strong>im</strong> Vordergrund, insbesondere die Ausbildung<br />
der Impulskontrolle, der fokussierten Aufmerksamkeit, des Arbeitsgedächtnisses, der Umstellungs- und Reflexionsfähigkeit<br />
sowie das Einüben von regelgeleitetem Verhalten. Mit PFiFF lernen Übungsleiter und Trainer<br />
in einer zweitägigen zertifizierten Schulung die wichtige Bedeutung der exekutiven Funktionen und der<br />
Selbstregulation kennen. Sie erfahren, wie sie die wissenschaftlichen Erkenntnisse mit Kindern <strong>im</strong> sportlichen<br />
Spiel umsetzen können.<br />
PFiFF kann innerhalb eines Landessportbundes <strong>im</strong> Verein, <strong>im</strong> Rahmen einer Kooperation Kindergarten-<strong>Sport</strong>verein<br />
und/oder in einer Kooperation Grundschule-<strong>Sport</strong>verein erfolgen. Das Zertifikat darf nur an Personen<br />
vergeben werden, die über eine entsprechende Grundqualifikation verfügen (also mindestens eine C-Lizenz<br />
besitzen). Ausnahmen stellen Personen dar, die sich in einem Freiwilligendienst befinden. Diese müssen allerdings<br />
zeitgleich zum Zertifikat, spätestens jedoch innerhalb von 12 Monaten, eine Lizenz erwerben.<br />
Grundlage für die Schulungen ist das PFiFF-Lehrwerk, 10 das in zwei Teile gegliedert ist. Der erste Teil des Lehrwerks<br />
vermittelt anschaulich und leicht verständlich neuronale Grundlagen zum Lernen. Dabei wird die große<br />
Bedeutung von körperlicher Aktivität und körperlicher Fitness für Lernprozesse deutlich. Die neurobiologischen<br />
Grundkenntnisse tragen dazu bei, die <strong>im</strong> zweiten Teil beschriebenen wissenschaftlichen Erkenntnisse<br />
zu den exekutiven Funktionen und ihren Einfluss auf die Selbstregulationsfähigkeit von Kindern besser einordnen<br />
und verstehen zu können. Die theoretischen Erkenntnisse werden am Ende des Zertifizierungslehrgangs<br />
mit einer Lernzielkontrolle geprüft.<br />
In den Praxiseinheiten des PFiFF-Lehrgangs werden mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zunächst vielfältige<br />
Spiele gespielt, die explizit auf das Training der exekutiven Funktionen ausgerichtet sind. Dabei werden<br />
eindeutige (Verhaltens-)Regeln definiert, auf deren Einbezug und Einhaltung in der Praxiseinheit beständig<br />
geachtet wird. Unmittelbar nach jedem Spiel werden die einzelnen Spielvarianten bzw. Schwierigkeitsstufen<br />
gemeinsam reflektiert, indem die verschiedenen exekutiven Funktionen und deren Training für jede Schwierigkeitsstufe<br />
herausgearbeitet und so bewusst gemacht werden. Nach dieser ersten Praxiseinheit sollen die<br />
Teilnehmer in Kleingruppen eigene Spielideen zur Förderung exekutiver Funktionen entwickeln und anleiten.<br />
Be<strong>im</strong> Anleiten sollen ebenfalls Regeln sowie Rituale definiert, eingeführt und sinnvoll integriert werden, da<br />
diese die Kinder be<strong>im</strong> Erlernen der Selbstregulation wesentlich unterstützen. Eine Übungs- und Spielesammlung<br />
11 liefert weitere Spielideen für die PFiFF-Stunden in Kindergärten, Schulen und <strong>im</strong> <strong>Sport</strong>verein.<br />
Ein wichtiges Ziel der PFiFF-Schulung ist es, die Übungsleiter, Trainer und Pädagogen in ihrem Umgang mit Kindern<br />
zu unterstützen, die noch größere Schwierigkeiten haben, ihr Verhalten, ihre Emotionen und ihre Aufmerksamkeit<br />
zu steuern. Kinder mit Problemen in der Selbstregulation zeigen häufig beeinträchtigte exekutive Funktionen.<br />
Diese können u.a. auf kognitive Defizite wie Arbeitsgedächtnis- und/oder Aufmerksamkeitsprobleme<br />
zurückgeführt werden sowie auf den mangelnden Fähigkeiten beruhen, sich schnell umzustellen oder sich zu<br />
organisieren. Manche Kinder zeigen vermehrt Schwierigkeiten in der Stress- bzw. Emotions- und Motivationsregulation<br />
und somit <strong>im</strong> Bereich der sogenannten heißen exekutiven Funktionen (vgl. Kapiel 1, 28ff.).<br />
Selbstregulationsprobleme können sich also ganz unterschiedlich darstellen, z.B. in Form von:<br />
• Unaufmerksamkeit: andere ablenken, selbst leicht ablenkbar sein, sich nicht fokussieren können etc.<br />
• Impulsivität: nicht warten können, mit Antworten „herausplatzen“, vor dem Startsignal loslaufen etc.<br />
• Hyperaktivität: bei Ansagen nicht ruhig und still stehen oder sitzen können etc.<br />
• Motivationsprobleme: geringe Anstrengungsbereitschaft, Lustlosigkeit etc.<br />
• Schwierigkeiten bei der Regeleinhaltung: Verletzung von Spielregeln, Missachtung von Anweisungen,<br />
ständiges Diskutieren etc.<br />
Seite 127
• Aggressivität: schubsen, schlagen, kicken, Verbreiten von Gerüchten, andere bloßstellen etc.<br />
• Negative Emotionalität: leicht erregbar, sehr zurückhaltend, geringes Schuldbewusstsein, geringe<br />
Empathiefähigkeit etc.<br />
• Beeinträchtigte St<strong>im</strong>mung: launenhaft, St<strong>im</strong>mungsschwankungen, schnell entmutigt, hoffnungslos, euphorische<br />
Aufgeregtheit, leicht reizbar, depressive Traurigkeit etc.<br />
• Ängste: starke psychische und körperliche Anspannung, Meidungsverhalten aufgrund von Nervosität etc.<br />
• Soziale Schwierigkeiten: Streitigkeiten mit Freunden, mangelnde Fähigkeiten, sich einordnen zu können, in<br />
Gruppensituationen verschlossen, sehr schüchtern, zurückgezogen etc. 12<br />
Die meisten Kinder und Jugendlichen erwerben selbstregulatorische Kompetenzen mehr oder weniger <strong>im</strong>plizit<br />
zu Hause, <strong>im</strong> Kindergarten, in der Schule und <strong>im</strong> Freizeitbereich. Unterstützt wird dieser langjährige<br />
Lernprozess durch ritualisierte Abläufe und indem die Heranwachsenden <strong>im</strong>mer wieder daran erinnert oder<br />
dazu direkt oder situationsbedingt aufgefordert werden, sich an geltende Regeln zu halten, leiser, achtsamer<br />
oder langsamer zu werden, erst eine Aufgabe zu Ende zu führen, bevor sie mit einer neuen beginnen, zu warten,<br />
sich zu beruhigen etc. Der Alltag mit Kindern und Jugendlichen – und auch jede Spiel-, Bewegungs- und<br />
<strong>Sport</strong>einheit – liefert unzählige Möglichkeiten, Selbstregulation zu üben. Und tatsächlich bedarf es wohl tausender<br />
solcher alltäglichen Übungsmöglichkeiten, damit die Heranwachsenden lernen können, ihr Verhalten,<br />
ihre Aufmerksamkeit und ihre Emotionen bewusst, zielgerichtet und erfolgreich zu steuern – insbesondere<br />
in emotionalen und motivationalen Situationen, die ja gerade den <strong>Sport</strong> und das Spiel auszeichnen und diese<br />
für die Förderung der Selbstregulation so wertvoll machen. Bei Kindern und Jugendlichen mit größeren<br />
Schwierigkeiten in der Selbstregulation ist diese <strong>im</strong>plizite Förderung oftmals nicht ausreichend. Sie benötigen<br />
eine gezielte Förderung, von der aber auch Kinder ohne Entwicklungsverzögerungen in der Selbstregulation<br />
stark profitieren.<br />
Kinder und Jugendliche mit Defiziten <strong>im</strong> Bereich der Selbstregulation versuchen selbst <strong>im</strong>mer wieder, sich gut<br />
zu verhalten. Auch sie wollen, wie alle anderen Kinder und Jugendlichen, wertgeschätzt und gelobt werden<br />
(wer will das nicht?). 13 Viel häufiger als andere Gleichaltrige scheitern sie jedoch dabei und werden so <strong>im</strong>mer<br />
wieder ermahnt oder bestraft. Oftmals registrieren wir als Erwachsene nicht, wenn Kinder sich angemessen<br />
verhalten, weil wir das als normal und daher nicht als bemerkenswert ansehen. Für Kinder mit selbstregulatorischen<br />
Schwierigkeiten kann ein angemessenes Verhalten aber bereits eine sehr große Leistung sein. Noch<br />
seltener erkennen wir, wenn diese Kinder versuchen, sich gut zu verhalten, es ihnen aber nicht gelingt – und<br />
versäumen dadurch die Möglichkeit, sie für ihre Anstrengungsbereitschaft und Bemühungen zu loben. 4<br />
Wie ein Kind, das Schwierigkeiten be<strong>im</strong> Lesen, Schreiben oder Rechnen hat, nicht bestraft wird bzw. nicht<br />
bestraft werden sollte, sondern regelmäßig üben muss, um sich in den entsprechenden Lernbereichen zu verbessern<br />
(was eine hohe Selbstregulation erfordert), so müssen auch Kinder mit Selbstregulationsproblemen<br />
die Möglichkeit erhalten, die damit verbundenen Kompetenzen <strong>im</strong>mer und <strong>im</strong>mer wieder üben zu können.<br />
Aus diesem Grund sollten Situationen, in denen es Kindern, aber auch Jugendlichen nicht gelingt, sich gut zu<br />
steuern, als Chance wahrgenommen werden, die Selbstregulationsfähigkeit mit ihnen zu üben.<br />
Diese Fähigkeit kann den Kindern nicht allein in der Theorie vermittelt und bewusst gemacht werden, sondern<br />
sie müssen Selbstkontrolle in den heißen Situationen, in denen sie gefordert ist, mit Unterstützung von<br />
Erwachsenen und gemeinsam mit anderen Kindern üben – und dabei auch scheitern dürfen. 4 Was nicht bedeutet,<br />
dass wiederholtes Fehlverhalten ohne Konsequenz bleibt. Nicht nur, aber gerade für diese Kinder und<br />
Jugendlichen sind eindeutige Regeln und das Erfahren von Konsequenzen wichtige unterstützende Elemente,<br />
um selbstregulatorische Kompetenzen erlernen zu können. Dieser Lernprozess vollzieht sich nicht von einer<br />
Trainingsstunde zur anderen, sondern kann Wochen, Monate oder auch Jahre dauern. Hier sind also vor allem<br />
Ausdauer und eine positive und wertschätzende Haltung der Lehrpersonen gefordert! Die Entwicklung<br />
einer positiven Haltung gegenüber Kindern mit Selbstregulationsschwierigkeiten ist deshalb ein zentrales<br />
Ausbildungsziel in den PFIFF-Schulungen.<br />
Seite 128
AUF DIE HALTUNG KOMMT ES AN!<br />
In den allermeisten Fällen, in denen sich Kinder herausfordernd verhalten, liegt ein Kompetenzdefizit (siehe Abschnitt:<br />
Verhalten analysieren, 130) vor, weshalb sie nicht in der Lage sind, sich so zu verhalten, wie man sich das<br />
als Erwachsener wünschen würde. Sehr häufig erwarten wir von Kindern ein „erwachsenes“ Verhalten. Dabei<br />
vergisst man leicht, dass Kinder viele Fähigkeiten wie aufmerksames Zuhören, Pünktlichkeit, nicht unruhig zu<br />
sein, warten zu können und eigene Bedürfnisse hintanzustellen erst vielfältig üben und lernen müssen. Verhaltensprobleme<br />
sollten also als Ausdruck fehlender Kompetenz wahrgenommen werden, die nicht nach Strafe,<br />
sondern nach Unterstützung verlangen. 14 Es geht demnach nicht um die Sanktionierung eines Verhaltens, weil<br />
das Kind sich nicht selbstreguliert verhalten möchte, sondern es braucht Unterstützung, weil es sich noch nicht<br />
selbstreguliert verhalten kann. Es macht einen großen Unterschied, ob man einem verhaltensauffälligen Kind<br />
mit der Annahme bzw. Haltung gegenübersteht: Es will nicht – oder es kann nicht. 13<br />
Er will sich<br />
nicht in die<br />
Gruppe<br />
einordnen<br />
So ein<br />
Scheiß!<br />
Das ist<br />
total<br />
unfair!<br />
Mit euch<br />
spiel ich<br />
nicht!<br />
Er kann sich<br />
noch nicht<br />
in die Gruppe<br />
einordnen<br />
NICHT IMPULSIV, SONDERN BEDACHT REAGIEREN<br />
Wenn Kinder in der Selbstregulationsfähigkeit eine verlangsamte Entwicklung aufweisen, ist dabei nicht selten<br />
auch die Selbstregulationsfähigkeit der Lehrpersonen aufs Höchste gefordert. Je emotionaler eine Situation<br />
ist, desto besonnener sollte man reagieren. Man muss selbst einen kühlen Kopf bewahren, um herausfordernde<br />
Situationen <strong>im</strong> Training und <strong>im</strong> Unterricht bestmöglich meistern zu können. Es gilt also nicht nur<br />
für die Kinder, sondern zunächst vor allem auch für den Übungsleiter, Trainer und Pädagogen, nicht <strong>im</strong>pulsiv<br />
und reaktiv, sondern bedacht zu handeln. So schwer diese Aufgabe manchmal auch sein kann, so wichtig ist<br />
sie: Als Erwachsene sollten wir <strong>im</strong>mer wieder anstreben, den Kindern und Jugendlichen ein Vorbild für eine<br />
gelingende Impulskontrolle bzw. Selbstregulationsfähigkeit zu sein. 4 Das Führen von Selbstgesprächen kann<br />
dafür eine hilfreiche Strategie sein.<br />
Stopp!<br />
Ich bleibe<br />
ganz ruhig!<br />
Seite 129
VERHALTEN ANALYSIEREN – KOMPETENZDEFIZITE ERKENNEN<br />
Hat man die eigene Selbstregulation <strong>im</strong> Griff, helfen dem Trainer und Übungsleiter nachfolgende W-Fragen, 15<br />
das Verhalten der Kinder zu analysieren. Die Übungsleiter und Trainer sollten zunächst erkennen, an welchen<br />
kognitiven Defiziten bzw. Entwicklungsverzögerungen sie mit dem Kind konkret arbeiten sollten.<br />
1) WELCHES FEHLVERHALTEN ZEIGT DAS KIND?<br />
Zum Beispiel:<br />
Es hört mir nicht zu.<br />
Es sollte laufen, schleicht aber nur lustlos durch die Halle.<br />
Es lenkt andere Kinder ab.<br />
Es ärgert ein anderes Kind.<br />
Für eine genauere Analyse des Verhaltens ist es sinnvoll, nicht nur nach der Art des Fehlverhaltens, sondern<br />
auch nach dem „Wann“ und „Wer“ zu fragen. 13, 15 Es geht also nicht nur darum zu erkennen:<br />
Welches Problem zeigt sich mir?<br />
Es hört mir nicht zu, lenkt andere Kinder ab etc. (siehe oben)<br />
Sondern auch:<br />
Wann tritt das Problem verstärkt auf?<br />
Zum Beispiel: zum Stundenbeginn, in Wettbewerbssituation oder bei einem Situationswechsel<br />
Wer ist ggf. noch daran beteiligt?<br />
Zum Beispiel: <strong>im</strong>mer wenn T<strong>im</strong> in der gegnerischen Mannschaft spielt.<br />
2) WARUM VERHÄLT SICH DAS KIND SO?<br />
Zum Beispiel:<br />
Es hat Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit zu steuern.<br />
Es hat Schwierigkeiten, die Motivation zielführend zu steuern.<br />
Es hat Schwierigkeiten, sich umstellen zu können.<br />
Es hat Schwierigkeiten, die Emotionen zu regulieren.<br />
3) WAS SOLLTE DAS KIND LERNEN?<br />
Zum Beispiel:<br />
Be<strong>im</strong> Warten in der Reihe leise zu sein, ruhig zu stehen und aufmerksam zuzuhören.<br />
Bei einer Anweisung, sich schneller umstellen zu können.<br />
Andere Kinder nicht abzulenken.<br />
Andere Kinder nicht zu ärgern.<br />
Seite 130
Beruhig<br />
dich jetzt<br />
mal und<br />
geh zurück<br />
zu deiner<br />
Mannschaft!<br />
EINE VERBINDUNG HERSTELLEN<br />
Da in emotions- und motivationsreichen Situationen die vom<br />
präfrontalen Kortex gesteuerte Top-down-Kontrolle des l<strong>im</strong>bischen<br />
Systems und so die der Emotionen und der Motivation<br />
erschwert ist, 16 sollte man zunächst mit dem Kind in Verbindung<br />
treten und auf dessen Gefühle eingehen, damit es<br />
diese leichter regulieren kann. 15<br />
Ich kann<br />
verstehen, dass<br />
du verärgert<br />
bist, zu verlieren<br />
ist ja auch<br />
wirklich nicht<br />
einfach!<br />
Wenn es die Situation zunächst nicht erlaubt, tiefergehend<br />
auf das Problem einzugehen, kann ein klärendes Gespräch<br />
zu einem späteren Zeitpunkt vereinbart werden. Dabei ist es<br />
wichtig, freundlich, aber auch entschieden und konsequent<br />
zu reagieren. 4<br />
Lass uns nach<br />
der Stunde noch<br />
einmal in Ruhe<br />
darüber reden.<br />
Geh jetzt erst<br />
einmal zurück<br />
zu deiner Mannschaft,<br />
sonst<br />
kannst du bei<br />
dieser Spielrunde<br />
nicht mitspielen.<br />
So ist unsere<br />
Regel.<br />
Erst <strong>im</strong> darauffolgenden Schritt und in einer entspannten Atmosphäre<br />
werden die herausfordernden Situationen in den<br />
<strong>Sport</strong>stunden ein weiteres Mal und nun gemeinsam mit dem<br />
Kind analysiert.<br />
GEMEINSAM EINE LÖSUNG SUCHEN<br />
Es gibt nicht die eine richtige Lösung für ein Verhaltensproblem. Die Probleme und Lösungsansätze sind so<br />
vielfältig wie die Kinder selbst. Es ist deshalb wichtig, die Kinder in die Problemlösung mit einzubeziehen 13<br />
und ggf. auch mit den Eltern (bei PFiFF <strong>im</strong> Verein), den Pädagogen des Kindergartens (bei Kooperation Kindergarten-Verein)<br />
oder der Schule (bei Kooperation Schule-Verein) das Gespräch zu suchen. Zuvor sollte der<br />
Übungsleiter bzw. der Trainer jedoch die Perspektive des Kindes vor Augen haben.<br />
Ihr arbeitet gar<br />
nicht an eurer<br />
Seilübung,<br />
sondern albert<br />
nur herum – was<br />
ist denn los?<br />
Ich war vorhin bei Ole und<br />
Justus in der Gruppe. Da hat es gut<br />
geklappt. Mit Max wollte niemand<br />
in einer Gruppe sein, weil er nicht<br />
gut Seilspringen kann. Das hat mir<br />
leidgetan, deshalb bin ich zu ihm.<br />
Wir haben es wirklich versucht,<br />
aber die Übung einfach nicht hinbekommen.<br />
Seite 131
DAS KIND NEUTRAL AUF DAS PROBLEM ANSPRECHEN UND INFORMATIONEN EINHOLEN<br />
„Mir ist aufgefallen, dass...<br />
• es für dich nicht leicht ist zu verlieren.“<br />
• es häufiger zum Streit kommt, wenn du mit T<strong>im</strong> in einer Mannschaft spielst.“<br />
• es ziemlich lange dauert, bis du bei Ansagen an der Linie stehst.“<br />
„Mich interessiert, was du darüber denkst?“<br />
DAS KIND FRAGEN, WIE MAN DAS PROBLEM LÖSEN KÖNNTE<br />
„Ich weiß aber, dass du das auch hinbekommst. Hast du eine Idee, wie es dir gelingen kann…<br />
• dich schneller zu beruhigen?“<br />
• weniger mit T<strong>im</strong> zu streiten?“<br />
• schneller an die Linie zu kommen?“<br />
Weitere Fortbildungsinhalte in den PFiFF-Zertifizierungslehrgängen sind in diesem Zusammenhang die Reflexionsausbildung,<br />
der Perspektivenwechsel und die Achtsamkeitsschulung.<br />
KONKRET WERDEN<br />
Hat man einen Lösungsweg gemeinsam vereinbart, muss dieser konkretisiert werden. Dazu eignen sich Zielvereinbarungen<br />
und Wenn-dann-Pläne.<br />
1) Ziele definieren, z.B.:<br />
• bei einem Streit ruhig zu reagieren;<br />
• weniger oft mit T<strong>im</strong> zu streiten;<br />
• bei Ansagen schneller an die Linie zu kommen.<br />
2) Wenn-dann-Plan erstellen, z.B.:<br />
• Wenn ich wütend werde, blicke ich ganz schnell in eine andere Richtung.<br />
• Wenn ich wütend werde, dann denke ich: „Wut ist nur ein Gefühl, das vergehen kann“, und atme die Wut<br />
mit 10 tiefen Atemzügen weg.<br />
• Wenn ich in einem Spiel verliere, dann sage ich in Gedanken zu mir: „Selbst Ronaldo verliert mal ein Spiel.“<br />
• Wenn ich wütend auf T<strong>im</strong> bin, dann gehe ich zur Trainerin und sage es ihr.<br />
ZIELÜBERPRÜFUNG<br />
Nach einzelnen <strong>Sport</strong>stunden oder nach Ablauf einer vereinbarten Zeit wird überprüft, ob die <strong>im</strong> Wenn-dann-<br />
Plan vereinbarten Handlungsschritte umgesetzt bzw. das gesetzte Ziel erreicht wurden.<br />
Wichtig dabei ist, dass nicht nur das erreichte Ziel gelobt wird, sondern auch kleine Teilerfolge auf dem Weg<br />
zum Ziel sowie das Bemühen darum. Wurde das Ziel erreicht, kann ein neues Ziel vereinbart werden. Ist das<br />
Verhalten noch nicht gefestigt, wird an der Erreichung des bisherigen Ziels weitergearbeitet. 17<br />
UMSETZUNG IN DIE PRAXIS<br />
In einer E-Mail an die Autorin beschreibt Johanna von Seggern, Leiterin der Kindersportschule (KiSS) des<br />
VfL Sindelfingen, wie sie die Fortbildungsinhalte aus dem PFiFF-Zertifizierungslehrgang zur Förderung von<br />
Kindern mit erhöhtem Förderbedarf in der Selbstregulation in ihren KiSS-Stunden umgesetzt hat und weiter<br />
umsetzen möchte.<br />
Seite 132
Von einfach nur Warten – ganz ohne Handy.<br />
Seite 133
An: sabine.kubesch@bildungplus.org<br />
Betreff: Paul<br />
10.10.2016<br />
Guten Morgen Sabine,<br />
also bei Paul läuft es folgendermaßen:<br />
Er hat das Problem, dass er sich nicht lange konzentrieren kann – außerdem vermute ich, dass er oft nicht<br />
einschätzen kann, wie sein Verhalten auf andere Kinder wirkt. Er wird zum Beispiel bei einem Mannschaftsspiel<br />
abgetroffen und ärgert sich dann, sodass er oft sagt: Ich will ja auch verlieren – meine Mannschaft soll<br />
verlieren! Die anderen Kinder haben das natürlich nie verstanden.<br />
Nachdem ich sehr oft mit ihm gesprochen habe und ihm versucht habe zu erklären, dass die anderen Kinder<br />
das blöd finden und das ja auch nicht Sinn der Sache ist, hatte er mir irgendwann erzählt, dass er das in der<br />
Schule aber auch so macht. Danach hatte ich mit seiner Mutter gesprochen und auch sie sagte mir, dass es<br />
ähnliche Probleme zu Hause gibt und sich Paul auch in der Schule <strong>im</strong>mer wieder gegen die ganze Klasse stellt<br />
und er deshalb <strong>im</strong>mer mehr zum Außenseiter wird. Interessant war, dass – als er bei uns eine Woche lang<br />
für jeweils 8 Stunden <strong>im</strong> Camp war – wir deutlich gemerkt haben, dass er mit Kindern, die ihn nicht kannten,<br />
viel besser zurechtkam und er dort auch eine andere Rolle übernommen hat – als <strong>im</strong>mer der Störer zu sein.<br />
Nachdem mir Pauls Mama, mit der ich in einem engen Austausch stehe (und die bei unseren Gesprächen sehr<br />
oft geweint hatte), mir sagte, dass sie nicht verstehen kann, warum die Lehrer ihn <strong>im</strong> Unterricht <strong>im</strong>mer wieder<br />
nur raussetzen und ihn sogar aus AGs ausschließen, wollte ich einfach mal einen anderen Weg einschlagen.<br />
Deshalb suchte ich das Gespräch dieses Mal ganz anders: Ich fragte Paul, was ihm Spaß macht, was er gut<br />
findet <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> und was er glaubt, wie wir manche Situationen umgehen können, ohne dass es die Kinder<br />
mitbekommen – da ich sehr stark glaube, dass das sein Problem ist, nicht nur die Aufmerksamkeitssteuerung,<br />
sondern auch <strong>im</strong>mer wieder das Bloßstellen vor der ganzen Gruppe, was er täglich in der Schule erlebt.<br />
Er war sehr offen. Dann haben wir eine Gehe<strong>im</strong>sprache vereinbart – was er toll fand, weil es ja etwas Besonderes<br />
ist, wenn er das alleine mit der <strong>Sport</strong>lehrerin hat. Wir starteten zunächst mit einem Zeichen, das er<br />
sich aussuchen durfte, da ich das einfacher für ihn fand, weil er sich das Zeichen so besser merken konnte.<br />
Das war ein normales Schnippen. Damit hat er mir gezeigt, dass er gerade ein Problem hat. Außerdem darf<br />
auch ich schnippen, wenn er nicht zuhört, stört oder in einer anderen Form negativ auffällt. Paul sollte dann<br />
kurz überlegen, ob er weiß, was ich meine oder ob er es nicht versteht – dann hat er die Faust gezeigt. Das<br />
war dann das Zeichen für: „Ich weiß nicht weiter!“ Daraufhin hab ich ihn trinken gehen lassen und kurz das<br />
Gespräch mit ihm gesucht, während die Gruppe weitermachte. Wenn er die Faust nicht zeigt, dann weiß er,<br />
was gemeint ist, und er versucht selbst sich zu regulieren (z.B. aufmerksamer zu werden, einem Konflikt aus<br />
dem Weg zu gehen oder sich in die Gruppe zu integrieren).<br />
Anfangs kam es selten vor, dass er geschnippt hat. Aber mittlerweile schnippt auch er und zeigt mir auf diese<br />
Weise, dass er sich unwohl fühlt. Ich warte dann ab, ob er auch die Faust zeigt oder nicht. Manchmal erkläre<br />
ich das Spiel einfach nochmal, und er hat es dann vielleicht verstanden oder es ist, dass er nicht mit manchen<br />
Jungs zusammen spielen möchte. Dann betone ich nochmals, dass wir alle eine Gruppe sind und jeder mit<br />
jedem einmal spielen sollte.<br />
Ich habe wirklich das Gefühl, er ist wesentlich ruhiger geworden, und auch die Kinder nehmen ihn viel besser<br />
wahr, nämlich auch mit seinen Stärken – da er z.B. ein sehr guter Ballsportler ist und die Kinder ihn sogar als<br />
Wächter bei Spielen auswählen, was ihn dann ganz stolz macht.<br />
Seite 134
Natürlich weiß ich, es ist noch lange nicht geschafft, aber ich merke, wie er sich besser kontrollieren kann,<br />
wenn er kurz auch die Chance erhält zu überlegen, was los ist. Seine Mama war bei diesen Gesprächen <strong>im</strong>mer<br />
dabei und weiß von unserer Gehe<strong>im</strong>sprache. Sie hat dies dann <strong>im</strong> Elternabend vertreten und der Klassenlehrerin<br />
von Paul erzählt. Die Klassenlehrerin hatte sich daraufhin mit mir in Verbindung gesetzt, und ich hatte<br />
ihr das Buch 13 und auch euer Konzept 17 empfohlen. Sie war zum Glück sehr offen. Somit wurde die Gehe<strong>im</strong>sprache<br />
auch in der Schule übernommen.<br />
Ich finde es selbst erstaunlich, wie s<strong>im</strong>pel es manchmal sein kann – obwohl die Lage mit Paul anfangs so<br />
aussichtslos und anstrengend war. Nun macht er das in der Schule bereits seit Mai und wurde nun eben <strong>im</strong><br />
September sogar als Klassensprecher gewählt. In der zweiten Klasse finde ich das sehr beachtlich, weil die<br />
anderen Kinder ihn ja bereits gut kennen. Das gibt ihm einen großen Schub!<br />
Außerdem kommt Paul jetzt zusätzlich zum normalen <strong>Sport</strong> auch ins Schw<strong>im</strong>men – hier klappt das leider nicht<br />
mit dem Schnippen. Ich habe ihm deshalb erklärt, dass wir uns hier ein anderes Zeichen überlegen müssen,<br />
da ich das Schnippen nicht höre bzw. er ja nasse Finger hat. Er meinte sofort: „Johanna, das ist nicht schl<strong>im</strong>m,<br />
wenn du es nicht hörst, ich kann ja einfach mit der flachen Hand auf meinem Kopf tippen.“ Somit war das<br />
dann auch geregelt! Die Faust gilt trotzdem.<br />
Diese kleinen Auszeiten helfen Paul, <strong>im</strong>mer wieder neu am Ball zu bleiben. Ich hoffe, dass ich da auch weiterhin<br />
dranbleiben kann – und er, wenn er älter wird, das dann nicht doof findet. Aber das werden wir ja sehen.<br />
Jetzt, wo ich so ausführlich dir berichtet habe, merke ich selbst, wie gut es doch manchmal ist, nicht <strong>im</strong>mer<br />
nur zu sehen, dass jemand stört, sondern die Ursache zu finden. Ich würde Paul nicht anders kennen wollen<br />
und finde es beeindruckend, wie toll die PFiFF-Ausbildungsinhalte bei ihm greifen. Das ist wirklich eure Arbeit,<br />
denn ohne euch hätte ich nie den Denkanstoß gewagt, das Ganze einfach mal anders anzugehen.<br />
Im Übrigen starten wir ab nächster Woche mit den Haargummis (zwei pro Kind) erstmal in meinen Gruppen,<br />
da ich schauen möchte, wie es klappt. Die Wutwolke und Reflexions-Auszeit mit Brause, Flatter und Flexi wollen<br />
wir auch aufnehmen. Ich halte dich auf dem Laufenden.<br />
Ganz liebe Grüße und bis bald!<br />
Johanna<br />
Seite 135
Ich habe hier zwei (Haar-)Gummis. Die zieht ihr euch<br />
über die Hand. Wer gegen eine unserer Regeln verstößt,<br />
muss ein Gummi abgeben. Die Kinder, die am<br />
Ende der <strong>Sport</strong>stunde noch die meisten Gummis<br />
haben, dürfen sich gemeinsam für die nächste Stunde<br />
ein Spiel aussuchen. 18<br />
Ihr wisst ja, dass Brause manchmal ganz schön<br />
wütend wird – besonders dann, wenn er in einem<br />
Spiel verliert. 17<br />
Dann kommt es schon mal vor,<br />
dass er richtig explodiert.<br />
Seite 136
Aber Brause ist nicht die Wut. Die Wut ist nur ein<br />
Gefühl, das vergehen kann.<br />
Was kann Brause machen oder denken, damit die<br />
Wut schneller vergeht?<br />
Was wirst du das nächste Mal denken oder machen,<br />
wenn du be<strong>im</strong> Spiel in der Verlierermannschaft bist<br />
und wütend wirst?<br />
Wen ich bereits zwe<strong>im</strong>al verwarnen musste, der muss<br />
sich bei der dritten Störung in den passenden Brauseoder<br />
Flatter-Reifen stellen. Wenn ihr merkt, ihr werdet<br />
wieder aufmerksamer oder weniger ärgerlich, dann<br />
dürft ihr einen oder zwei Reifen weitergehen. Wenn<br />
ihr euch wieder gut umstellen könnt und flexibel wie<br />
Flexi seid, dann steigt ihr in den grünen Flexi-Reifen.<br />
So weiß ich, dass ihr wieder beruhigt und aufmerksam<br />
mitmachen könnt. Ihr wartet so lange <strong>im</strong> grünen Reifen,<br />
bis ich euch herwinke.<br />
Seite 137
WIRKSAMKEITSANALYSE<br />
In einem Evaluationsprojekt der Universität Karlsruhe 18 wurden die Effekte von PFiFF untersucht. Der Untersuchungszeitraum<br />
umfasste ein halbes Jahr. Die PFiFF-Stunden fanden einmal in der Woche mit einer Unterrichtsdauer<br />
von jeweils 45 Minuten statt. Nachfolgend sind die Ergebnisse der Studie aufgeführt.<br />
BRIEF-P<br />
Die PFiFF-Kindergartenkinder haben sich <strong>im</strong> Gesamtwert „exekutive Funktionen“ (untersucht mit dem Verhaltensinventar<br />
BRIEF-P 19 zur Beurteilung exekutiver Funktionen von Kindern <strong>im</strong> Kindergartenalter) <strong>im</strong> Vergleich<br />
zu den Kontrollkindern (aus Kindergärten ohne PFiFF-Kooperation) hochsignifikant verbessert: PFiFF-Kinder<br />
um fast 10 Prozent; Kinder aus der Kontrollgruppe um 2,5 Prozent.<br />
Die größten Unterschiede <strong>im</strong> BRIEF-P wurden <strong>im</strong> Bereich der kognitiven Flexibilität gemessen. Hier verbesserten<br />
sich die PFiFF-Kinder um über 14 Prozent, die Kontrollkinder lediglich um etwas mehr als 1 Prozent.<br />
Des Weiteren haben sich die Kinder aus den untersuchten PFiFF-Kindergärten in ihrer metakognitiven Entwicklung<br />
stärker verbessert als die Kinder aus den Kontrollkindergärten. Während sich bei den PFiFF-Kindern<br />
die gemessenen Werte um gut 8,5 Prozent verbessert haben, wurde bei der metakognitiven Entwicklung der<br />
Kinder aus der Kontrollgruppe eine min<strong>im</strong>ale Verschlechterung gemessen.<br />
Bei der Inhibition verbesserte sich die Interventionsgruppe zwar nicht signifikant, aber prozentual gesehen<br />
um nahezu das Doppelte <strong>im</strong> Vergleich zur Kontrollgruppe.<br />
Vergleicht man die Ergebnisse des Verhaltensinventars BRIEF-P mit den Normwerten, so zeigt sich, dass zum<br />
ersten Messzeitpunkt (vor der 6-monatigen Intervention) sowohl die PFiFF-Kinder als auch die Kinder aus den<br />
Kontrollkindergärten in allen Werten signifikant schlechter als die mit BRIEF erhobenen Normwerten abgeschnitten<br />
haben. Nach der 6-monatigen Intervention lagen die Kinder aus den PFiFF-Kooperationen (nicht<br />
aber die Kinder aus den Kontrollgruppen) über den Normwerten. 18<br />
HTKS<br />
Die Head-Toes-Knees-Shoulders-Aufgabe (HTKS) 20 ist eine motorischen Aufgabe, die die Selbstregulationsfähigkeit<br />
und die exekutiven Funktionen von Kindern <strong>im</strong> Alter von 4 bis 8 Jahren misst. Dabei werden die<br />
Komponenten Inhibition, Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis und kognitive Flexibilität getestet. Die Kinder<br />
müssen die Aufmerksamkeit auf die Instruktionen lenken und die geltende Spielregel <strong>im</strong> Arbeitsgedächtnis<br />
aufrechterhalten. Inhibitorische Kontrolle ist gefordert, da die Kinder eine andere Aktion einleiten müssen,<br />
als es die Instruktionen vorgeben. Wenn sich die Spielregeln verändern, sind das Arbeitsgedächtnis und die<br />
kognitive Flexibilität und damit auch die Inhibition <strong>im</strong> Einsatz.<br />
Bei dem Testverfahren werden die Schwierigkeitsstufen allmählich gesteigert, aber nur dann, wenn bei der<br />
vorangegangenen Schwierigkeitsstufe eine vorgegebene Anzahl von richtig ausgeführten Bewegungen bzw.<br />
Entscheidungen erfolgt ist. Die Kinder der Kontrollgruppe kamen größtenteils nicht über die zweite Schwierigkeitsstufe<br />
hinaus, während nahezu alle PFiFF-Kinder die dritte und höchste Schwierigkeitsstufe erzielten.<br />
Seite 138
HEAD-TOES-KNEES-SHOULDERS-AUFGABE<br />
Schwierigkeitsstufe 1<br />
Berühre deinen Kopf!<br />
Kinder sollen ihre Zehen berühren usf.<br />
… Zehen!<br />
Schwierigkeitsstufe 2<br />
… Kopf!<br />
… Zehen!<br />
… Knie!<br />
… Schultern!<br />
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Schwierigkeitsstufe 3<br />
Berühre deine Knie!<br />
… Schultern!<br />
… Kopf!<br />
… Zehen!<br />
Bei der Head-Toes-Knees-Shoulders-Aufgabe verbesserten sich die Kinder aus der Interventionsgruppe mit<br />
PFiFF um mehr als 60 Prozent, die Kinder aus den Kontrollgruppen um weniger als 6 Prozent. 18 Die Ergebnisse<br />
in der HTKS-Aufgabe korrelieren mit dem Lernerfolg. Innerhalb der untersuchten Altersgruppe sagt sie den<br />
Lernerfolg <strong>im</strong> mathematischen und sprachlichen Bereich über mehrere Jahre voraus. 21 In den PFiFF-Stunden<br />
werden zum Training exekutiver Funktionen regelmäßig Spiele 11 integriert, die nach dem Prinzip von HTKS<br />
aufgebaut sind und auf diese Weise die exekutiven Funktionen trainieren.<br />
Filmverweis:<br />
• PFiFF/Grundschule 1, 3, 4 und 5<br />
Seite 140
AKZEPTANZ<br />
Die Beurteilung der Akzeptanz von PFiFF durch die Übungsleiter fiel sehr positiv aus. Dabei wurden die Zufriedenheit<br />
mit den theoretischen und praktischen Ausbildungsinhalten, die Umsetzung der PFiFF-Stunden<br />
und Fragen zur Organisation und „Ökonomie“ erfasst. Der Anteil an Übungen, die explizit auf die Förderung<br />
der exekutiven Funktionen und der Selbstregulation ausgerichtet sind, liegt bei knapp 60 Prozent. Rund 77<br />
Prozent der Übungsleiter wenden Inhalte aus den PFiFF-Schulungen auch in anderen Bereichen außerhalb<br />
von PFiFF an (z.B. in anderen <strong>Sport</strong>einheiten, in der Familie, in weiteren pädagogischen Arbeitsfeldern). Die<br />
Mehrzahl der Übungsleiter schätzt den Verwaltungsaufwand als gering ein. 18<br />
Da die exekutiven Funktionen und die selbstregulatorischen Kompetenzen, die mit PFiFF ausgebildet werden,<br />
auch für die sportliche Leistungsfähigkeit entscheidend sind, stellt PFiFF ein sehr gutes „Grundlagentraining“<br />
für jede <strong>Sport</strong>art dar. Gleichzeitig lässt sich PFiFF einfach, kreativ und vielfältig in andere bewährte und wertvolle<br />
<strong>Sport</strong>konzepte und -programme, wie z.B. in die KiSS und in die Ballschule Heidelberg, integrieren.<br />
Seite 141
DER PFIFF-LEITFADEN<br />
Positive und wertschätzende Haltung bewahren<br />
„Kinder verhalten sich gut, wenn sie können“<br />
Jedes Kind braucht Lob!<br />
Vorbild sein für eine gelungene Selbstregulation<br />
Selbst nicht <strong>im</strong>pulsiv, sondern bedacht reagieren!<br />
Verhalten analysieren – Kompetenzdefizite erkennen<br />
Welches Defizit verbirgt sich hinter der Verhaltensauffälligkeit?<br />
An welcher Fähigkeit sollte gezielt gearbeitet werden?<br />
Mit dem Kind in Verbindung treten<br />
Auf die Gefühle des Kindes wertschätzend eingehen.
Entschieden und konsequent reagieren<br />
Auf die Einhaltung geltender Regel achten.<br />
Das Kind in die Problemlösung einbeziehen<br />
Perspektive des Kindes kennen.<br />
Lösungsvorschläge des Kindes aufgreifen.<br />
Ziel definieren<br />
Gemeinsam ein realistisches Verhaltensziel best<strong>im</strong>men.<br />
Wenn-dann-Plan erstellen<br />
Gemeinsam mit dem Kind erarbeiten, wie es sich ganz konkret in<br />
einer best<strong>im</strong>men Situation verhalten soll.<br />
Zielüberprüfung<br />
Prüfen, ob das erarbeitete Ziel erreicht wurde.<br />
Wenn ja: neues Ziel definieren.<br />
Wenn nein: am bereits definierten Ziel weiterarbeiten.
NACHGEFRAGT: SELBSTREGULATION<br />
Förderung der Selbstregulation (Selbstkontrolle) = Förderung mentaler Stärke (Willensstärke)<br />
= Förderung der Selbstdisziplin<br />
• Welche Fähigkeiten erfordern Willenskraft?<br />
• In welchem Zusammenhang stehen Selbstregulation/Selbstkontrolle, mentale Stärke/Willensstärke und<br />
Selbstdisziplin?<br />
• Welche Persönlichkeitseigenschaft beeinflusst direkt die Noten von Studierenden?<br />
Bausteine des Erfolgs<br />
• Worauf sollte man die Aufmerksamkeit lenken, um Zufriedenheit zu erlangen?<br />
• Wohin sollte man die Aufmerksamkeit lenken, um sich zu motivieren?<br />
• Welche Arten von Zielen gibt es?<br />
• In welcher Altersgruppe sind welche Arten von Zielen vor allem wirkungsvoll?<br />
• Worauf kommt es be<strong>im</strong> Setzen von Zielen an?<br />
• Welche Strategien unterstützen das Erreichen von Zielen?<br />
Mentale Stärke trainieren<br />
• Mit welch anderem Training ist das Training mentaler Stärke vergleichbar?<br />
• Wie lässt sich Willensstärke trainieren?<br />
• Welche Auswirkungen hat das Training der Willensstärke?<br />
Wenn die Willenskraft schwindet<br />
• Was reduziert Willensstärke?<br />
• Nennen Sie Symptome begrenzter Willenskraft.<br />
Die Grundlage für einen starken Willen: Glukose<br />
• Wie groß ist das erwachsene Gehirn <strong>im</strong> Verhältnis zum Körper?<br />
• Wie viel Energie verbraucht das Gehirn <strong>im</strong> Verhältnis zum Körper?<br />
• Welche Folgen hat Unterzucker auf die kognitiven Fähigkeiten und Selbstregulation?<br />
• Was ist Glukose?<br />
• Aus was wird Glukose gebildet?<br />
• Nennen Sie Nahrungsmittel mit keinem oder niedrigem glykämischen Index.<br />
• Nennen Sie Nahrungsmittel mit hohem glykämischen Index.<br />
• Welche Nahrungsmittel sind für Aufrechterhaltung bzw. Steigerung der Willensstärke sinnvoll?<br />
• Wie bewirkt der Körper einen Rückgang des Blutzuckerspiegels?<br />
• Welche Rolle spielen Fett- und Muskelzellen be<strong>im</strong> Rückgang des Blutzuckerspiegels?<br />
• Wie wird Glukose dem Gehirn zur Verfügung gestellt?<br />
Gesundheitsverhalten für das Gehirn<br />
• Nennen Sie drei Empfehlungen, die Sie als Trainer/Übungsleiter Eltern geben können, mit denen diese die<br />
Willensstärke und Selbstregulationsfähigkeit ihrer Kinder unterstützen können.<br />
• Nennen Sie vier wissenschaftliche Erkenntnisse zu den negativen Folgen eines zu hohen Medienkonsums.<br />
• Auf welche Weise können Eltern bei <strong>Sport</strong>ereignissen ihren Kindern ein Vorbild für gelungene Selbstdisziplin<br />
und fokussierte Aufmerksamkeit sein?<br />
• Auf welche Weise unterstützen Trainer und Übungsleiter die Erziehung und gesunde Entwicklung von Kindern<br />
und Jugendlichen?<br />
Förderung der Selbstregulation durch Bewegung, <strong>Sport</strong> und Spiel<br />
• Wodurch zeichnen sich traditionelle Kampfkünste aus?<br />
• Nennen Sie drei Studienergebnisse, die die Wirksamkeit traditioneller Kampkunst auf die Selbstregulationsfähigkeit<br />
belegen.<br />
Seite 144
Von Eltern bei einem Hockeyturnier von ihren Kindern,<br />
einem armen, kleinen Schiedsrichter<br />
und dem Gefühl, dass es um deutlich mehr geht als um ein Spiel.<br />
Seite 145
IM INTERVIEW: HEINZ JANALIK<br />
Dipl.-Pädagoge Heinz Janalik war Akademischer Direktor am Institut<br />
für Gesellschaftswissenschaften <strong>im</strong> Fach <strong>Sport</strong>wissenschaft/<strong>Sport</strong>pädagogik<br />
der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Nach 16-jähriger<br />
Amtszeit als Präsident des Badischen <strong>Sport</strong>bundes Nord e.V. wurde er<br />
2016 zum Ehrenpräsidenten des BSB ernannt. Heinz Janalik ist Träger<br />
des Bundesverdienstkreuzes und der Ehrennadel des DOSB.<br />
«ICH WEISS AUS INTERVIEWS, WAS IN KINDERN UND<br />
JUGENDLICHEN VOR SICH GEHT, WENN SIE STÄNDIG<br />
ERSATZLEUTE SIND, NICHT ZUM EINSATZ KOMMEN,<br />
WEIL IHNEN BESSERE VORGEZOGEN WERDEN. »<br />
Sabine Kubesch: Herr Janalik, bevor wir gleich den Trainer, Übungsleiter<br />
und <strong>Sport</strong>pädagogen und deren methodische und didaktische Fähigkeiten in<br />
den <strong>Fokus</strong> nehmen, lassen Sie uns mit den Kindern beginnen und der Frage:<br />
Haben sich Kinder Ihrer Ansicht nach <strong>im</strong> Laufe der Jahre verändert?<br />
Heinz Janalik: Ja, Kinder haben sich verändert, sowohl in eine erfreuliche<br />
als auch in eine fragwürdige Richtung. Stellen wir das Lobenswerte<br />
einmal hintan und wenden uns dem Bedenklichen zu. Beispielsweise ist<br />
es auffallend, dass viele von ihnen nicht mehr über längere Zeit bei<br />
einer Sache bleiben können. Diese Fähigkeit, Aufmerksamkeit anhaltend<br />
auf etwas zu zentrieren, ist letztlich die Voraussetzung für Erkennen<br />
und Erkenntnis. Wenn wir die<br />
MAN ERKENNT, WELCH ÜBERRAGENDE BE-<br />
DEUTUNG DIE SELEKTIVE ODER FOKUSSIERTE<br />
AUFMERKSAMKEIT, ALSO DIE FÄHIGKEIT, SICH<br />
NICHT STÄNDIG ABLENKEN ZU LASSEN, FÜR<br />
DAS LERNEN UND ERKENNEN HAT. ICH GLAU-<br />
BE, DASS ES HEUTE ZU DEN SCHWIERIGSTEN,<br />
ABER AUCH WICHTIGSTEN AUFGABEN IN DER<br />
ERZIEHUNG UND BILDUNG VON KINDERN GE-<br />
HÖRT, IHNEN ZU DIESER KOMPETENZ, DIE IN<br />
DER WISSENSCHAFTSSZENE IM RAHMEN DER<br />
THEMEN SELBSTREGULATION UND INHIBITION<br />
BETRACHTET WERDEN, ZU VERHELFEN.<br />
Dinge, mit denen wir uns auseinandersetzen,<br />
nicht mehr<br />
durchdringen, nur noch oberflächlich<br />
betrachten, handeln<br />
wir uns ein intellektuelles<br />
Defizit ein. Und dieses<br />
An-der-Oberfläche-Bleiben resultiert<br />
fast zwangsläufig aus<br />
dem ständigen Wechsel der Aufmerksamkeit,<br />
man könnte auch<br />
sagen, aus unkontrollierter<br />
Ablenkung.<br />
Mit schnellem „Überfliegen“<br />
von Themen und Sachverhalten<br />
wird zwar eine hohe Quantität der Eindrücke erzielt, die Qualität der<br />
Auseinandersetzung bleibt jedoch auf der Strecke. Man erkennt, welch<br />
überragende Bedeutung die selektive oder fokussierte Aufmerksamkeit,<br />
also die Fähigkeit, sich nicht ständig ablenken zu lassen, für das Lernen<br />
und Erkennen hat. Ich glaube, dass es heute zu den schwierigsten,<br />
aber auch wichtigsten Aufgaben in der Erziehung und Bildung von Kindern<br />
gehört, ihnen zu dieser Kompetenz, die in der Wissenschaftsszene <strong>im</strong><br />
Rahmen der Themen Selbstregulation und Inhibition betrachtet werden, zu<br />
verhelfen (Filmverweis: Turnen 6 und 7). Dabei werden wir uns zwangsweise<br />
mit dem Medienkonsum unserer Kinder auseinandersetzen müssen, der<br />
durch die Gewöhnung an beschleunigte und ständig wechselnde Bilder zweifelsohne<br />
eine Mitschuld bei der deutlich zu beobachtenden nachlassenden<br />
Konzentrationsfähigkeit trägt.<br />
Seite 146
Damit Kinder Selbstregulation erlernen können, benötigen sie die Unterstützung<br />
der Trainer, Übungsleiter und Lehrer.<br />
Das ist richtig! Trainer, Übungsleiter und Lehrkräfte sind geradezu<br />
verpflichtet, in ihren jeweiligen Handlungsfeldern den Kindern diese<br />
Fähigkeit zu vermitteln. Zusätzlich benötigt dieses großartige Konzept<br />
der Selbstregulation zur Verwirklichung aber auch den veränderungsbereiten<br />
Partner. Ich sage bewusst Partner. Erziehung ist <strong>im</strong>mer Selbsterziehung<br />
und Bildung <strong>im</strong>mer Selbstbildung in einem partnerschaftlichen<br />
Beziehungsgefüge. Der Erwachsene oder die Lehrkraft kann niemals verordnen,<br />
was <strong>im</strong> Kopf – ich sage gerne <strong>im</strong> Hinblick auf die ganzheitliche<br />
Verfasstheit des Menschen – <strong>im</strong> Leib der Kinder geschehen soll. Es<br />
können <strong>im</strong>mer nur Veränderungs<strong>im</strong>pulse, Lerngelegenheiten arrangiert und<br />
angeboten werden, die eine erzieherische Zielperspektive beinhalten.<br />
Wenn die Intervention, der Impuls vom angesprochenen Individuum nicht<br />
angenommen und verwirklicht wird, müssen wir das akzeptieren und neue<br />
Versuche starten.<br />
Bei PFiFF versuchen wir, über den Ansatz des gemeinschaftlichen Problemlösens<br />
13 einer solchen Abwehrhaltung entgegenzuwirken. Bis aber Selbstregulation<br />
in herausfordernden Situationen gelingt, ist es ein längerer<br />
Lernprozess, der durch die Reflexionsausbildung unterstützt wird. Die Kinder<br />
sollen ja lernen, sich bewusst und zielgerichtet steuern zu können.<br />
Je emotionaler, je „heißer“ eine Situation, desto schwieriger gelingt die<br />
Selbstregulation.<br />
Man muss an einer<br />
Sache längere Zeit<br />
dranbleiben, um sie<br />
zu internalisieren.<br />
Das Oberflächliche:<br />
Da mal ein Spielchen,<br />
da mal Regeleinhaltung<br />
üben oder<br />
Aufmerksamkeit,<br />
ERFOLGREICHES ÜBEN UND AUTOMATISIEREN<br />
VON BEWEGUNGSFERTIGKEITEN SETZT NEBEN<br />
AUSDAUERNDER KONZENTRATION AUCH EI-<br />
GENSCHAFTEN WIE STETIGKEIT, BEHARRUNGS-<br />
VERMÖGEN, FRUSTRATIONSTOLERANZ UND<br />
SELBSTDISZIPLIN VORAUS BZW. UNTERSTÜTZT<br />
DEREN NACHHALTIGE ENTWICKLUNG.<br />
Fairness und Disziplin einfordern – das reicht nicht. In diesem Zusammenhang<br />
kommt die Bedeutung des Übens ins Spiel. In der Zeit der<br />
Leibeserziehung wurde zu Recht dem Üben von Erlerntem ein hoher Wert<br />
beigemessen, nicht zuletzt, weil <strong>im</strong> Übungsprozess der Übende sich ganz<br />
auf die zu übende Sache konzentrieren und ablenkende Störfaktoren ausblenden<br />
muss. Erfolgreiches Üben und Automatisieren von Bewegungsfertigkeiten<br />
setzt neben ausdauernder Konzentration auch Eigenschaften wie<br />
Stetigkeit, Beharrungsvermögen, Frustrationstoleranz und Selbstdisziplin<br />
voraus bzw. unterstützt deren nachhaltige Entwicklung.<br />
Aus dem Erlernen und Üben allein, aber vor allem in der Gemeinschaft<br />
und aus dem gemeinsamen Reflektieren und Austauschen entwickelt sich<br />
ein Erfahrungsschatz, der wiederum die Chance zur Gestaltung eröffnet.<br />
Kreatives Gestalten, wie es beispielsweise in einem <strong>Sport</strong>spiel oder in<br />
den kompositorischen <strong>Sport</strong>arten eingefordert wird, ist ohne das Vorhandensein<br />
von erlernten und geübten Basics <strong>im</strong> Denken und Handeln nicht<br />
möglich.<br />
Die Fähigkeit, kreativ mit Bewegung, Spiel und <strong>Sport</strong> umgehen zu können<br />
ist nicht einfach zu erreichen. Es ist ein schwerer Weg mit Höhen und<br />
Seite 147
Tiefen, mit Erfolgen und Rückschlägen, wie es <strong>Sport</strong>lerinnen und <strong>Sport</strong>ler,<br />
die über eine solche Kreativitätsqualität verfügen, <strong>im</strong>mer berichten.<br />
Und es ist sicherlich nachvollziehbar, dass ein solcher Entwicklungsprozess<br />
best<strong>im</strong>mte anspruchsvolle Vorgehensweisen der <strong>Sport</strong>lehrkräfte/<br />
Bewegungsvermittler voraussetzt und andere wieder ad absurdum führt.<br />
Wenn sich das Vermittlungshandeln darauf beschränkt, lediglich vorbereitete<br />
Spiel- und Übungsformen Schritt für Schritt reproduzieren zu<br />
lassen, Fehleranalyse und Fehlerkorrektur in das Zentrum der Kommunikation<br />
zu stellen und ab und zu ein Pauschallob zu verteilen, dann<br />
kann nicht erwartet werden, dass eine solche produktorientierte Lehrweise<br />
selbstregulative Kräfte, autonomes Reflektieren und letztlich<br />
Selbstständigkeit der Kinder hervorbringt. Wer die zuletzt genannten<br />
Fähigkeiten und Entwicklungen wünscht, darf nicht die Sache zum Referenzpunkt<br />
machen, sondern muss die Kinder und deren Gegebenheiten als<br />
Ausgangs- und Mittelpunkt seines Handelns sehen. Dann ergibt sich Raum<br />
für das Initiieren von Denkprozessen, für Warum-Fragen, für gemeinsames<br />
Reflektieren, für den Austausch kontroverser Sichtweisen, das Ringen um<br />
Konsens notwendig machen, für Exper<strong>im</strong>entieren und Lösungssuche usw. In<br />
diesem Bereich müssen wir noch intensiv arbeiten und nachbessern. Wir<br />
brauchen charismatische Vermittler!<br />
Was zeichnet einen charismatischen Vermittler aus?<br />
Bei allen Vorbehalten gegen das Wort „charismatisch“ und wohl wissend,<br />
dass es sich dabei um Zuschreibungen von außen handelt – ich möchte<br />
damit verdeutlichen, dass Vermittler, die Kindern mehr als technische<br />
und taktische Elemente nahebringen wollen, also die oft zitierte Persönlichkeitsentwicklung<br />
von Heranwachsenden zu ihrer Aufgabe machen,<br />
selbst Persönlichkeiten mit speziellen Eigenschaften sein müssen. Dazu<br />
zählen beispielsweise Geduld, Empathie und Authentizität. Solche Vermittler<br />
können zuhören, nehmen Kinder ernst, greifen deren Sichtweisen<br />
auf und integrieren sie in eine adressatenspezifische Dialogkultur,<br />
schaffen eine vertrauensvolle, lernfördernde Atmosphäre, motivieren zum<br />
selbstständigen Problemlösen, ermutigen bei Misserfolgen und erkennen,<br />
wann sie sich auf die Hinterbühne zurückziehen müssen. Es sind – kurz<br />
gesagt – nachahmenswerte Vorbilder, die sich verantwortlich fühlen,<br />
dass die ihnen anvertrauten Kinder als die zukünftigen Erwachsenen das<br />
Rüstzeug bekommen, um ihr Leben bewältigen zu können.<br />
Das ist eine große Aufgabe, die man sich als Übungsleiter, Trainer, Pädagoge<br />
und Eltern <strong>im</strong>mer wieder bewusst machen sollte. Wir müssen die Kinder<br />
stark machen für die Herausforderungen, die sich ihnen <strong>im</strong> Leben stellen<br />
werden. Sie sollten Herausforderungen gerne annehmen, um an ihnen wachsen<br />
zu können. Dazu gehört aber auch, dass sie Fehler machen und scheitern<br />
dürfen.<br />
Voraussetzung für Lernen ist Differenzwahrnehmung, und eine auffällige,<br />
deutliche Differenz ist der Fehler. Differenzwahrnehmung, also<br />
das Feststellen von Unterschieden, beispielsweise <strong>im</strong> sozialen Umgang,<br />
gehört zum pädagogischen Arrangement. Der Fehler war lange Zeit unzulässig,<br />
verboten, nicht erlaubt. Wenn er auftrat – man erinnere sich<br />
z.B. an erlebte <strong>Sport</strong>stunden – wurde mit allen Mitteln versucht, ihn<br />
zu beheben/el<strong>im</strong>inieren. Ließ er sich mittels Korrektur nicht ausmerzen,<br />
Seite 148
diente er in Form schlechter Noten als Signal des Versagens. Das führte<br />
dazu, regelrecht Angst vor einer Fehlerproduktion zu entwickeln, eine<br />
denkbar schlechte Grundlage für die Auseinandersetzung mit neuen, unbekannten<br />
Herausforderungen. Kompetente <strong>Sport</strong>vermittler betrachten den<br />
Fehler als normale Zwischenstation auf dem Weg zum Können. Wer Fehler<br />
macht, schafft sich und anderen identifizierbare Differenzen. Sie wahrzunehmen<br />
und an ihnen zu arbeiten, ist eine motivierende, wirkungsvolle<br />
Forms des Lernens. Fazit: Wir brauchen eine Aufwertung des Fehlers<br />
(Filmverweis: Tanzen 7).<br />
Das ist übrigens für mich eine der schwierigsten Aufgaben in der Trainerfortbildung<br />
– den Umgang mit Fehlern gewissermaßen zu kultivieren.<br />
Im Regelfall sehen Übungsleiter ihre Aufgabe <strong>im</strong> störungsfreien Erreichen<br />
von Sollwerten. Deshalb wird Fehlerhaftes als Störgröße für den Lern- und<br />
Entwicklungsprozess empfunden und entsprechend ungeschickt behandelt.<br />
Der DOSB hat sich <strong>im</strong> Breitensport ausdrücklich die Stärkung der Integrationsfunktion<br />
des <strong>Sport</strong>s in allen gesellschaftlichen Bereichen zur Aufgabe<br />
gemacht. Gleichzeitig zeigen neurowissenschaftliche Studien mit modernen<br />
bildgebenden Verfahren, dass selbst milde Formen sozialer Ausgrenzung<br />
durch eine ballspielende Gruppe 22 bei dem Ausgegrenzten eine vergleichbare<br />
Gehirnaktivierung verursacht wie körperlich wahrgenommener Schmerz. Aber<br />
selbst <strong>im</strong> Breitensport kommt es nicht selten vor, dass einem <strong>Sport</strong>ler nahegelegt<br />
wird, den Verein zu wechseln oder eine Trainingsmöglichkeit nicht<br />
wahrzunehmen, weil er nicht die gewünschte Leistung erbringt, oder aber er<br />
wird <strong>im</strong> Wettkampf nicht eingesetzt.<br />
Jede Form von Ausgrenzung tut weh, das gilt für alle sportlichen Handlungsfelder.<br />
Die Betroffenen leiden „tief drinnen“, wenn sie den Eindruck<br />
gewinnen müssen, dass sie nicht dazugehören. Ich weiß aus Interviews,<br />
was in Kindern und Jugendlichen vor sich geht, wenn sie ständig<br />
Ersatzleute sind, nicht zum Einsatz kommen, weil ihnen Bessere vorgezogen<br />
werden. Viele resignieren und steigen aus. Andere wiederum trainieren<br />
trotzdem fleißig weiter und geben ihr Bestes. Dennoch stellen sie<br />
sich natürlich auch irgendwann die Frage: Wozu trainiere ich eigentlich?<br />
Was ist der Sinn meines Trainings?<br />
Erfahrene Jugendtrainer wissen es – je jünger die Kinder sind, desto<br />
unangebrachter ist eine Ausgrenzung nach Leistungskriterien. Kindgemäßes<br />
Training orientiert sich nicht pr<strong>im</strong>är an der Sache <strong>Sport</strong>, sondern<br />
stellt das Kind mit seinen individuellen Gegebenheiten ins Zentrum aller<br />
Interventionen. Vielfältige, freudbetonte und ganzheitliche Grundlagenausbildung<br />
schafft Motivation zum lebenslangen <strong>Sport</strong>treiben und auch zur<br />
späteren anspruchsvollen Leistung in einer oder in mehreren <strong>Sport</strong>arten.<br />
Zu frühe Selektion nach Leistungskriterien zerstört die Freude vieler<br />
Kinder am eigenen Bewegen, führt zu Selbstzweifel und nicht selten zum<br />
Abbruch der sportbezogenen Aktivitäten. Deshalb müssen die Übungsleiter<br />
mit Geduld und Geschick ihre Vermittlungsarbeit so gestalten, dass<br />
Kinder sich möglichst oft in Situationen gelingender Anstrengung erleben<br />
und erfahren und auf diese Weise ein positives Selbstwertgefühl<br />
entwickeln. Auf dieser stabilisierten emotionalen Grundlage sind sie<br />
dann auch bereit und in der Lage, die Einheit der Gegenpole Erfolg und<br />
Misserfolg zu akzeptieren und sinnvoll zu verarbeiten.<br />
Es ist nicht die Aufgabe pädagogisch sensibel agierender Übungsleiter<br />
und Trainer, über Leistungsselektion „Ungeeignete“ zu identifizieren,<br />
Seite 149
um diese aus best<strong>im</strong>mten Fördereinrichtungen zu entfernen und in ihren<br />
ursprünglichen Bewegungskontext, sprich He<strong>im</strong>atverein, zurückzuschicken.<br />
Dort kann es passieren, dass ihnen der Makel des „Losers“ anhaftet,<br />
eine Kennzeichnung, die schon häufiger unerfreuliche Reaktionen hervorgerufen<br />
hat. Verantwortungsvoll denkende Eltern müssen gut überlegen,<br />
wann sie ihr Kind aus seinem gewohnten sozialen Kontext herauslösen und<br />
ihm Selbstverantwortung übertragen dürfen. Es gibt in diesem besagten<br />
Rahmen der Leistungsförderung von Kindern und Jugendlichen noch viele<br />
Aspekte, die es wert sind, diskutiert zu werden. Leider ist die Bereitschaft<br />
dazu nicht <strong>im</strong>mer gegeben, auch nicht bei manchen Eltern.<br />
Also sollten auch Trainer und Übungsleiter ihr Handeln <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> reflektieren.<br />
<strong>Sport</strong> ist per se weder gut noch schlecht.<br />
Sie müssen ihr Handeln permanent reflektieren. <strong>Sport</strong> wirkt nicht automatisch<br />
positiv, also allein über seine Ausübung. <strong>Sport</strong> muss, um Wertvolles<br />
und Positives zu bewirken, mit Sinn belegt und entsprechend gestaltet<br />
werden. Das ist Aufgabe derer, die ihn ausüben, vermitteln und<br />
organisieren. Wer beispielsweise die gegenwärtige Hochleistungssportszene<br />
betrachtet, erkennt deutlich, dass diese wert- und wertevolle<br />
Gestaltung oft nicht gelingt oder bewusst negiert wird. Umso wichtiger<br />
ist es, dass <strong>Sport</strong>vermittler gemeinsam mit denjenigen, die als Aktive<br />
<strong>Sport</strong> ausüben und ihn als Funktionäre organisieren, sich dieser Aufgabe<br />
widmen. <strong>Sport</strong> ist ein Kulturgut, muss aber auch als solches gepflegt<br />
werden. Das heißt letztlich, dass jede und jeder von uns zum positiven<br />
oder negativen Image des <strong>Sport</strong>s beitragen kann und soll. Wir müssen uns<br />
nur ins Gedächtnis rufen, wie manche <strong>Sport</strong>aktive oder auch <strong>Sport</strong>vermittler<br />
oder Funktionäre den <strong>Sport</strong> repräsentieren und damit sein Bild<br />
in der Öffentlichkeit prägen. Es sind höchst gegensätzliche Bilder von<br />
<strong>Sport</strong>, denen wir in solchen Situationen begegnen: Vorbildliches, Nachahmenswertes,<br />
Wertvolles, aber auch Abstoßendes, Schockierendes und<br />
Abgründiges.<br />
Wir können nicht verhindern, dass Heranwachsende dieses höchst gegensätzliche<br />
Bild von <strong>Sport</strong> erleben und erfahren. Wir können auch nicht<br />
verhindern, dass so mancher Jugendliche ein sehr fragwürdiges Vorbild<br />
<strong>im</strong> <strong>Sport</strong> attraktiv findet und es <strong>im</strong>itiert. Aber schon deshalb können und<br />
müssen diejenigen, die den <strong>Sport</strong> ausüben, vermitteln und organisieren,<br />
dafür sorgen, dass Heranwachsende möglichst bald erkennen, dass auch<br />
sie für die Erscheinungsweise des <strong>Sport</strong>s mitverantwortlich sind und zu<br />
dessen positivem Bild beitragen können. Um diesem Auftrag gerecht werden<br />
zu können, müssen logischerweise die Menschen, die für Jugendliche<br />
Bezugspersonen sind, ihre eigenen, subjektiven Sichtweisen auf <strong>Sport</strong><br />
und sein Handlungsfeld auf den Prüfstand stellen und gegebenenfalls korrigieren<br />
– keine leichte Aufgabe. Wer bei anderen Menschen authentisch<br />
das <strong>Sport</strong>bild und damit auch den Umgang mit <strong>Sport</strong> positiv beeinflussen<br />
will, muss gewissermaßen mit dem eigenen <strong>Sport</strong>bild <strong>im</strong> Reinen sein. Es<br />
passt nicht und verhindert ethische Interventionsarbeit, wenn ich beispielsweise<br />
Betrug <strong>im</strong> <strong>Sport</strong> innerlich toleriere und gleichzeitig seine<br />
ethische Erneuerung propagiere. Vor diesem Hintergrund gebe ich Ihnen<br />
vollkommen Recht, dass Trainer und Übungsleiter ihr Handeln <strong>im</strong> <strong>Sport</strong><br />
ständig reflektieren müssen, um gute Erziehungs- und Bildungsarbeit<br />
leisten zu können.<br />
Seite 150
Kommt es nicht vor allem auf das „Wie“ an? Wie gestalte ich meine Trainingseinheit,<br />
damit Kinder- und Jugendliche nicht nur sportlich, sondern<br />
auch hinsichtlich ihrer Persönlichkeitsentwicklung gestärkt werden? Hier<br />
helfen meiner Ansicht nach wissenschaftliche Erkenntnisse, die in die<br />
Übungsleiter-, Trainer-, aber auch in die <strong>Sport</strong>lehreraus- und -weiterbildung<br />
einfließen müssen – nicht zuletzt diejenigen zur Förderung und<br />
Ausbildung der exekutiven Funktionen, der Selbstregulation und damit der<br />
mentalen Stärke.<br />
Die Gestaltung einer<br />
Trainingssequenz<br />
bezieht sich <strong>im</strong>mer<br />
auf drei Ebenen des<br />
Handelns: auf die<br />
Sachebene, auf die<br />
Methodenebene und<br />
auf die Beziehungsebene.<br />
Auf diesen<br />
drei Handlungsebenen,<br />
die sich gegenseitig<br />
bedingen,<br />
interagieren Trainer<br />
mit ihren Trainingsgruppen<br />
bzw.<br />
UMSO ERFREULICHER IST ES, DASS MIT DER<br />
VERSTÄRKTEN FÖRDERUNG UND AUSBILDUNG<br />
DER EXEKUTIVEN FUNKTIONEN SOWIE DER<br />
SELBSTREGULATION BEDEUTENDE ELEMENTE<br />
DER GANZHEITLICHEN PERSÖNLICHKEITSENT-<br />
WICKLUNG IN DIE KINDERGÄRTEN, SCHULEN<br />
UND SPORTVEREINE AUFGENOMMEN UND<br />
IN SPEZIFISCHEN BEGLEITVERANSTALTUNGEN<br />
THEORETISCH UND PRAXISBEZOGEN BEAR-<br />
BEITET WERDEN. DAMIT ERFÄHRT DIE HAND-<br />
LUNGSKOMPETENZ DER SPORTVERMITTLER<br />
UND SPORTVERMITTLERINNEN EINE GROSSAR-<br />
TIGE ERWEITERUNG UND VERBESSERUNG.<br />
Schüler und Schülerinnen<br />
mit ihren<br />
Lehrkräften. Auf diesen drei Ebenen entscheidet sich der Erfolg oder<br />
Misserfolg des jeweiligen pädagogisch-didaktischen Arrangements. Nun<br />
gibt es aus meiner Sicht eine interessante Parallele bei den Ausbildungs-<br />
und Weiterbildungsstrukturen der Fachverbände des organisierten<br />
<strong>Sport</strong>s und der Universitäten und Hochschulen. Beide Organisationen vermitteln<br />
eine sehr hohe Qualität <strong>im</strong> Hinblick auf die Sach- und Methodenkompetenz<br />
der Trainer bzw. Lehrkräfte. Die dritte Ebene, nämlich die der<br />
Beziehungsvorgänge, wird nur begrenzt behandelt. Verlässt man sich hier<br />
auf natürliche Begabungen <strong>im</strong> Miteinander von Menschen? Wer die Probleme<br />
kennt, die sich in einem kommunikativen Vorgang ergeben können, ist<br />
zumindest verwundert darüber, dass man in der Aus- und Weiterbildung<br />
dieser Handlungskompetenz relativ wenig Lern- und Übungsmöglichkeiten<br />
zugesteht. Umso erfreulicher ist es, dass mit der verstärkten Förderung<br />
und Ausbildung der exekutiven Funktionen sowie der Selbstregulation bedeutende<br />
Elemente der ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung in die<br />
Kindergärten, Schulen und <strong>Sport</strong>vereine aufgenommen und in spezifischen<br />
Begleitveranstaltungen theoretisch und praxisbezogen bearbeitet werden.<br />
Damit erfährt die Handlungskompetenz der <strong>Sport</strong>vermittler und <strong>Sport</strong>vermittlerinnen<br />
eine großartige Erweiterung und Verbesserung.<br />
Und wie bewerten Sie die Bedeutung der Disziplin? Diese erfordert Selbstregulation<br />
und unterstützt den Trainingserfolg <strong>im</strong> Breiten- wie <strong>im</strong> Leistungssport.<br />
Mit dieser Aussage identifiziere ich mich absolut. Leider ist der Begriff<br />
der Disziplin in Teilen unserer Gesellschaft aus unterschiedlichen<br />
Gründen negativ konnotiert. Vielleicht sind das noch Nachwirkungen aus<br />
Seite 151
ALLE ERFOLGREICHEN SPORTLERINNEN UND<br />
SPORTLER BZW. ERFOLGREICHEN MENSCHEN<br />
NENNEN AUF DIE FRAGE NACH DEN QUELLEN<br />
IHRES GELINGENDEN TUNS LEISTUNGSBEREIT-<br />
SCHAFT UND SELBSTDISZIPLIN. SIE VERSTE-<br />
HEN DARUNTER UNTER ANDEREM DIE BEREIT-<br />
SCHAFT, VERPFLICHTUNGEN EINZUGEHEN,<br />
SICH VERANTWORTUNGSBEWUSST IN DIE ORD-<br />
NUNG EINER SOZIALEN GRUPPE EINZUFÜGEN,<br />
ZUR ERREICHUNG EINES GESETZTEN ZIELS DEN<br />
EIGENEN WILLEN ZU BEHERRSCHEN UND ZU-<br />
MINDEST EINE ZEIT LANG ZIELZENTRIERT EIGE-<br />
NE BEDÜRFNISSE HINTANZUSTELLEN.<br />
der Zeit der antiautoritären Erziehung oder weil Disziplin oft mit Zucht<br />
und fremdgesteuertem Gehorsam verbunden wird. Dabei können wir ständig<br />
<strong>im</strong> eigenen Alltag und in den wichtigen gesellschaftlichen Systemen erkennen,<br />
dass Disziplin – vielleicht sollten wir besser von Selbstdisziplin<br />
sprechen – ein bedeutendes<br />
Korrektiv gegen Chaos und<br />
Unordnung sowie eine wichtige<br />
Voraussetzung für erfolgreiches<br />
Handeln darstellt. Alle<br />
erfolgreichen <strong>Sport</strong>lerinnen<br />
und <strong>Sport</strong>ler bzw. erfolgreichen<br />
Menschen nennen auf die<br />
Frage nach den Quellen ihres<br />
gelingenden Tuns Leistungsbereitschaft<br />
und Selbstdisziplin.<br />
Sie verstehen darunter<br />
unter anderem die<br />
Bereitschaft, Verpflichtungen<br />
einzugehen, sich verantwortungsbewusst<br />
in die Ordnung<br />
einer sozialen Gruppe<br />
einzufügen, zur Erreichung<br />
eines gesetzten Ziels den eigenen Willen zu beherrschen und zumindest<br />
eine Zeit lang zielzentriert eigene Bedürfnisse hintanzustellen.<br />
Dazu gehört auch die Regeleinhaltung. Der <strong>Sport</strong> ist regelgeleitet, was dem<br />
Gehirn entgegenkommt, denn das Gehirn sucht alles Wahrgenommene nach Regeln<br />
ab, weshalb man es auch als einen Regelextraktor bezeichnet. Gleichzeitig<br />
scheint es für viele Übungsleiter und Trainer so schwierig zu sein,<br />
Regeln einzuführen und auf deren Einhaltung beständig zu achten. Sie haben<br />
oft das Gefühl, sich für Regeln und die daraus entstehenden Konsequenzen<br />
rechtfertigen zu müssen.<br />
Ein Übungsleiter muss sich für eine getroffene und abgesprochene Regelung,<br />
die sich aus der sachlichen Notwendigkeit ergibt, nicht rechtfertigen.<br />
Regeln sind notwendig, um in einem geordneten Rahmen agieren zu<br />
können. Und Regeleinhaltung ist eine wesentliche Grundlage des <strong>Sport</strong>handelns,<br />
beispielsweise, um Chancengleichheit zu gewährleisten. Regeln<br />
und Rituale bieten Sicherheit, reduzieren die überfordernde Komplexität<br />
unserer Umwelt und schaffen Klarheit <strong>im</strong> sozialen Miteinander. Äußere<br />
Ordnung schafft innere.<br />
Besonders für Kinder ist es wichtig, sich allmählich durch Einverleibung<br />
von sinnvollen Regeln und Ritualen das Verhältnis zu sich und anderen in<br />
eine Ordnung zu bringen, die Sicherheit und Vertrauen schafft. Kinder<br />
brauchen und wollen auch Rahmungen durch Regeln, die Überschaubarkeit<br />
gewährleisten und helfen, sich in komplexen Situationen zurechtzufinden.<br />
Soziale Regeln ermöglichen es, wohltuende, ungestörte Gemeinsamkeit<br />
zu erfahren und die Gefahr sozialer Anarchie zu unterbinden, die<br />
<strong>im</strong>mer den Stärkeren belohnt und den Schwächeren bestraft.<br />
Vor diesem Hintergrund bekommen auch kleine organisatorische Regelungen,<br />
wie beispielsweise der Ordnungsrahmen am Anfang jeder Trainingssequenz<br />
oder das Abschlussritual am Ende der Übungsstunde, das Aufmerksamkeitszeichen<br />
vor einer Aufgabenstellung oder die Konzentrationsspiele<br />
Seite 152
zur Bildung von Betriebsformen, große Bedeutung. Auch sie sind wichtige<br />
Schritte zur Selbstregulation (Filmverweis: Tanzen 8, Turnen 8, 9 und<br />
10, Kempokan 8, PFiFF/Grundschule 6)<br />
Klare Regeln und in diesem Zusammenhang das Erfahren von Konsequenzen, das<br />
brauchen Kinder und Jugendliche für ihre Entwicklung. Aber sie brauchen<br />
auch Wertschätzung und Lob.<br />
Nicht wenige Lehrkräfte und Übungsleiter versäumen es zu loben, oder<br />
sie wählen Formen des Lobs, die auf Dauer ihre Wirkung verlieren. Es<br />
gibt nämlich sehr unterschiedliche D<strong>im</strong>ensionen des Lobens. Ein verbales<br />
Pauschallob, womöglich noch mit überzogenem Inhalt, z.B.: „Das war<br />
Weltklasse, phänomenal!“ verliert bei häufiger Anwendung seine motivierende<br />
Wirkung, auch, weil sich der Empfänger angesichts der eigenen<br />
Leistung auf den Arm genommen fühlt. Die beste und beständige Wirkung<br />
hat das sogenannte begründete Lob. „Das war viel besser als be<strong>im</strong> ersten<br />
Schussversuch, weil du jetzt die Position des Standbeinfußes der Schussrichtung<br />
angepasst hast.“ Diese Form des begründeten Lobs muss jedoch<br />
gelernt werden, weil sie <strong>im</strong> Alltag wenig gebräuchlich und zusätzlich mit<br />
Anstrengung des Lobenden verbunden ist, z.B. mit genauer Beobachtung der<br />
Bewegungsabläufe seiner Schützlinge. Zusätzlich unterstützt diese Form<br />
des Lobes allmählich die Fähigkeit einer wirkungsvollen Selbstbeobachtung<br />
(vgl. 122). Nicht vergessen werden darf, dass es auch andere Formen<br />
der Wertschätzung gibt. Kinder sind auch für ein lächelndes Kopfnicken<br />
oder für einen hochgereckten Daumen dankbar, weil sie die damit signalisierte<br />
Zuneigung und Wertschätzung ihres Trainers spüren.<br />
Bilanziert man die ausgetauschten Gedanken, dann wird deutlich, dass<br />
Bewegung, Spiel und <strong>Sport</strong> bestens geeignet sind, zur ganzheitlichen<br />
Entwicklung von Kindern und Jugendlichen maßgeblich beizutragen. Allerdings<br />
müssen wir, die wir Bewegungs-, Spiel- und <strong>Sport</strong>kultur vermitteln,<br />
uns <strong>im</strong>mer dessen bewusst sein, dass dieses an sich wertneutrale Phänomen<br />
<strong>Sport</strong> erst durch unsere Sinnzuweisungen und positive Gestaltung zu etwas<br />
Wert- und Wertevollem wird. Es ist, wenn man so will, ein sich <strong>im</strong>mer<br />
wieder erneuernder Schöpfungsakt, der bahnbrechende Impulse durch die<br />
Hinzunahme der wissenschaftlich nachgewiesenen Wirkungen <strong>im</strong> Bereich der<br />
Selbstregulation und der exekutiven Funktionen erhalten hat. Die Förderung<br />
und Entwicklung der damit verbundenen Fähigkeiten ist insbesondere<br />
für Kinder und Jugendliche unersetzlich. Sie gewinnen dadurch Kompetenzen,<br />
die ihnen zahlreiche Vorteile und großen Nutzen in der Schule,<br />
<strong>im</strong> Rahmen ihrer Freizeitaktivitäten, in der Berufsausbildung und auch<br />
bei der Alltagsbewältigung bringen. Durch den Erwerb dieser Fähigkeiten<br />
können weitere bedeutsame Elemente zur erfolgreichen, selbstsicheren<br />
Bewältigung von Komplexität und verunsichernden Orientierungsproblemen<br />
in unserer modernen Gesellschaft einverleibt werden. Nun gilt<br />
es, möglichst viele charismatische Multiplikatoren für diese spezielle<br />
Entwicklungsförderung in Kindergärten, Schulen, Ausbildungsstätten und<br />
Vereinen auszubilden.<br />
Seite 153
Seite 154
5 SPIELE UND ÜBUNGEN<br />
Nachfolgend finden Sie eine Auswahl an Spiel- und Übungsbeschreibungen zu Praxisbeispielen aus den <strong>Sport</strong><strong>im</strong>-<strong>Fokus</strong>-Filmen<br />
und dem <strong>Sport</strong>psychologie-Interview. Das entscheidende Kriterium für die Auswahl der<br />
Übungs- und Spielformen ist deren Übertragbarkeit in unterschiedliche <strong>Sport</strong>arten.<br />
Eingeleitet wird die Übungssammlung mit dem Verhaltenskodex der Junglöwen, den Leistungsmannschaften der<br />
SG Kronau/Östringen. Der Verhaltenskodex der Handballtalente ist ein Beispiel dafür, wie Verhaltensregeln formuliert<br />
werden können, die ein opt<strong>im</strong>ales Training unterstützen und die Selbstregulation fördern. An den Verhaltenskodex<br />
schließen sich Spiel- und Übungsformen an, die sportartübergreifend angewendet werden können. Das<br />
Lehrwerk endet mit einer klassischen und mit achtsamkeitsbasierten sportpsychologischen Übungen.<br />
Filmverweis:<br />
• Handball 11<br />
Seite 155
VERHALTENSKODEX DER JUNGLÖWEN<br />
Das Handball-Förderzentrum bietet euch als Spielern der SG Kronau/Östringen Leistungsmannschaften opt<strong>im</strong>ale<br />
Möglichkeiten zur individuellen sportlichen, sozialen und gesellschaftlichen Weiterentwicklung. Wir möchten<br />
euch bei der Umsetzung eurer individuellen Ziele unterstützen. Ein entspanntes, vertrauensvolles Kl<strong>im</strong>a <strong>im</strong><br />
Förderzentrum und in allen Mannschaften ist die Grundlage für gute Lern- und Entwicklungsergebnisse.<br />
In diesem Sinne verstehen wir uns als sozial- und leistungsorientierte Gemeinschaft. Wie in jeder Gemeinschaft<br />
gibt es auch bei der SG Kronau/Östringen klare Regeln. Diese Regeln stehen in diesem Leitfaden.<br />
Neben diesen Regeln findet ihr nachfolgend unser Junglöwen-Leitbild. Ein echter Junglöwe identifiziert sich mit<br />
unserem Leitbild und versucht es zu verinnerlichen. Junglöwen sind starke, ehrliche und leistungsorientierte<br />
Typen, die ihren Weg in <strong>Sport</strong>, Schule und Beruf gehen.<br />
Trainer, Betreuer und Vereinsführung arbeiten jeden Tag mit hoher Motivation daran, für euch die bestmöglichen<br />
Rahmenbedingungen zu schaffen. Es liegt also an euch, diese opt<strong>im</strong>al zu nutzen und euren Weg selbstbewusst<br />
zu gehen.<br />
Die Trainer der SG Kronau/Östringen<br />
ALLGEMEIN<br />
* Wir repräsentieren die SG Kronau/Östringen nach innen und außen (u.a. bei Auswahlmaßnahmen des BHV<br />
und DHB) vorbildlich.<br />
* Wir sind Jugendleistungssportler und halten uns an eine entsprechende Lebensweise (u.a. ausreichend<br />
schlafen, sportgerechte Ernährung). Zu Drogen und Alkohol sagen wir Nein.<br />
* Wir sind Vorbilder für jüngere Spieler in unserem Verein und der Region.<br />
* Unser Umgang ist von Freundlichkeit, Rücksichtnahme und Respekt geprägt, auch <strong>im</strong> Alltag.<br />
* Wir begrüßen alle Spieler, Trainer und Verantwortliche mit Handschlag.<br />
TRAININGS- UND SPIELBETRIEB<br />
* Wir legen großen Wert auf Pünktlichkeit und sind rechtzeitig zum Trainingsbeginn trainingsbereit in der Halle.<br />
* Wir entschuldigen uns be<strong>im</strong> jeweiligen Trainer persönlich (SMS nur, wenn der Trainer nicht erreichbar war).<br />
* Wir organisieren unseren Alltag so, dass wir möglichst keine Trainingseinheit verpassen (z.B. frühzeitiges<br />
Lernen für Klassenarbeiten, Arzttermine usw.)<br />
* Wir sind auch bei Verletzungen <strong>im</strong> Training (Ausnahmen nach Rücksprache, z.B. Fahrstrecke, Art der Verletzung)<br />
anwesend.<br />
* Wir tragen vor und nach Spielen keine Caps und Sonnenbrillen (Mützen <strong>im</strong> Winter erlaubt).<br />
* Wir legen keine Musik mit obszönen, rassistischen und menschenverachtenden Texten auf.<br />
* Wir verlassen Trainings- und Spielstätten sowie Kabinen und Duschräume sauber und aufgeräumt (Geräte,<br />
leere Flaschen, Müll).<br />
* Wir gehen mit Schiedsrichtern, Gegnern und Mitspielern respektvoll um, freuen uns am Erfolg und sind fair<br />
nach der Niederlage.<br />
* Unsportliches Verhalten und Kraftausdrücke gegenüber Spielkameraden, Gegnern, Schiedsrichtern,<br />
Zuschauern und Betreuern sind tabu.<br />
Seite 156
SCHULE/AUSBILDUNG<br />
* Unserem Leitbild entsprechend verhalten wir uns auch <strong>im</strong> persönlichen Umfeld, in der Schule bzw. der Berufsausbildung.<br />
* Über alle persönlichen Probleme (z.B. schlechte Schulnoten usw.) informieren wir vertrauensvoll und zügig<br />
den jeweiligen Trainer.<br />
VERFEHLUNGEN<br />
* Bei entsprechendem Fehlverhalten eines Spielers entscheidet der jeweilige Trainer über Sanktionen.<br />
* Bei wiederholtem oder schwerwiegendem Fehlverhalten entscheiden alle Trainer gemeinsam über die<br />
Sanktionen.<br />
ELTERN<br />
* Wir machen uns mit diesem Verhaltenskodex vertraut und unterstützen das erzieherische Wirken der Trainer.<br />
* Wir pflegen guten Kontakt mit den Trainern und Betreuern und respektieren ihre Arbeit.<br />
* Wir sorgen dafür, dass die Trainer über persönliche Probleme (Schule, Alltag usw.) informiert werden.<br />
JUNGLÖWEN-WERTE<br />
ERFOLG<br />
TEAMGEIST DISZIPLIN VORBILDER SPASS<br />
ZUSAMMENHALT EHRGEIZIG FAIRNESS<br />
RESPEKT SELBSTSTÄNDIG HÖFLICHKEIT<br />
VERTRAUEN<br />
ZIELSTREBIG<br />
POSITIVES<br />
AUFTRETEN<br />
LEIDENSCHAFT<br />
UND WILLE<br />
ZUSAMMENHALT ÜBER DIE MANNSCHAFTEN HINWEG<br />
„EIN VEREIN – EIN LÖWENRUDEL“<br />
Seite 157
KOMMANDO-BALL<br />
Michael Weber (DHB-B-Lizenz) TSV Birkenau<br />
Filmverweis: Handball 5<br />
VORBEREITUNG<br />
Alle Spielerinnen haben einen Ball.<br />
Die Spielerinnen stehen nebeneinander in Reihe und werden einer Zahl bzw.<br />
einer von drei Gruppen zugeteilt:<br />
Gruppe 1, 2 oder 3. Die Spielerinnen zählen dafür durch: 1, 2, 3, 1, 2, 3 etc.<br />
1 2 3 1 2 3 1 2<br />
GRUNDÜBUNG/VARIANTE 1<br />
Den Zahlen 1 bis 3 werden Aufgaben zugeordnet, z.B.<br />
1. Ball be<strong>im</strong> Laufen prellen,<br />
2. Ball be<strong>im</strong> Rückwärtslaufen mit „schwacher“ Hand prellen,<br />
3. Ball mit dem Fuß führen.<br />
Der Trainer zeigt mit den Fingern einer Hand eine der drei Zahlen an. Die Spielerinnen führen die<br />
entsprechende Aufgabe so lange durch, bis der Trainer eine andere Aufgabe anzeigt.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 1<br />
Der Trainer führt zwei verbale Kommandos (A und B) ein.<br />
KOMMANDO A:<br />
Die Spielerinnen sollen sich so schnell wie möglich in 3er-Gruppen<br />
zusammenfinden. Die ersten 3 Spielerinnen der Reihe bilden Gruppe 1, die<br />
nächsten Spielerinnen Gruppe 2, alle weiteren Spielerinnen bilden in dieser<br />
Form ebenfalls 3er-Gruppen.<br />
KOMMANDO B:<br />
Bei diesem Kommando sollen alle 1er sich als Gruppe zusammenfinden,<br />
alle 2er bilden eine Gruppe und alle 3er bilden ebenfalls eine Gruppe.<br />
Die Gruppe, die nach dem Kommando als letzte zusammengekommen ist,<br />
bekommt eine Strafaufgabe (z.B. 10 Liegestütze)<br />
KOMMANDO A:<br />
GRUPPE 1 GRUPPE 2<br />
KOMMANDO B:<br />
GRUPPE 1 GRUPPE 2<br />
VARIANTE 2<br />
Jede Gruppe (geordnet nach Kommando B) erhält einen Ball.<br />
Aufgabe ist es, den Ball in einer festgelegten Reihenfolge zu spielen, d.h., jede Spielerin muss sich<br />
merken, wem sie den Ball zuspielt und von wem sie selbst den Ball erhält.<br />
Nach jedem Pass läuft die Spielerin schnell zu einer Seitenauslinie, um anschließend wieder<br />
schnellstmöglich anspielbar zu sein.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 1<br />
Auf ein akustisches Signal (z.B. Pfiff) oder auf ein visuelles Signal (z.B. Arm heben) sollen die<br />
Spielerinnen in Gruppen zusammenkommen (entsprechend KOMMANDO A oder B aus Spielvariante 1).<br />
Ist das Signal erfolgt, sind keine Absprachen erlaubt. Die Spielerinnen müssen sich lautlos organisieren.<br />
Die Gruppe, die sich am langsamsten zusammenfindet, muss erneut eine Strafaufgabe ausführen.<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Arbeitsgedächtnis be<strong>im</strong> Aufrechterhalten und be<strong>im</strong> Umsetzen der Aufgabenstellung.<br />
Aufmerksamkeitslenkung be<strong>im</strong> Prellen, Dribbeln, Passen und Fangen des Balles auf die<br />
Mitspielerinnen, die Laufwege sowie auf die optischen und verbalen Kommandos des Trainers.<br />
Inhibition mit Wahrnehmung der akustischen und optischen Signale<br />
(zum Einleiten der Aufgabenausführung).<br />
Kognitive Flexibilität be<strong>im</strong> Ausführen der wechselnden Kommandos.<br />
Seite 158
PFIFF-PASS<br />
Michael Weber (DHB-B-Lizenz), TSV Birkenau<br />
Filmverweis: Handball 3<br />
VORBEREITUNG<br />
Das Handballfeld wird entlang der Mittellinie in 2 Felder unterteilt (A u. B).<br />
Die Spielerinnen verteilen sich gleichmäßig auf die Eckpunkte der Außenlinien (A2, A3, B2, B3)<br />
sowie (doppelbesetzt) an den Außenpunkten der Mittellinie (A1, A4, B1, B4).<br />
Die Spielerinnen stellen sich in Reihen an den Eckpunkten auf.<br />
In jedem Feld (A u. B) ist jeweils 1 Ball <strong>im</strong> Spiel.<br />
A3<br />
A4<br />
B4<br />
B3<br />
A<br />
B<br />
A2<br />
A1<br />
B1<br />
B2<br />
GRUNDÜBUNG<br />
Die vorderste Spielerin an Eckpunkt A1 spielt einen Pass zur vordersten Spielerin von A2 und läuft<br />
anschließend ihrem Ball hinterher, um sich hinter die letzte Spielerin an Eckpunkt A2 zu stellen.<br />
Entsprechend passt die vorderste Spielerin von Reihe A2 den Ball zur vordersten Spielerin von A3.<br />
Auch sie folgt ihrem Ball und stellt sich hinter die letzte Spielerin von A3. Die Spielerinnen von A3 spielen<br />
zu A4, die von A4 spielen zu A1.<br />
Dieser Ablauf erfolgt auch in Feld B. An der Mittellinie laufen sich die Spielerinnen von A4 (nach A1)<br />
und die Spielerinnen von B1 (nach B4) entgegen, da in Feld B der Ball von B1 nach B4, B3, B2 und wieder<br />
zu B1 gespielt wird.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 1<br />
Der Trainer hat zwei Pfeifen mit gut unterscheidbaren Tönen.<br />
Pfeife 1: signalisiert einen Passwechsel, d.h., ab dem Pfeifsignal muss der Ball in die andere Richtung<br />
gespielt werden. Die Laufrichtung ändert sich dabei aber nicht.<br />
Pfeife 2: signalisiert einen Laufwechsel, d.h., ab dem Pfeifsignal läuft die Spielerin in die andere<br />
Richtung. Der Passweg ändert sich dabei aber nicht.<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Arbeitsgedächtnis be<strong>im</strong> Aufrechterhalten und be<strong>im</strong> Umsetzen der Aufgabenstellung und<br />
bei der Zuordnung der Pfeiftöne.<br />
Aufmerksamkeitslenkung be<strong>im</strong> Werfen und Fangen (u.a. auf die technische Ausführung),<br />
auf den Ball, die Mitspielerinnen, den Lauf- und Passweg sowie auf die Pfeifsignale.<br />
Inhibition be<strong>im</strong> Abstoppen am Ende des Laufweges und insbesondere bei der Wahrnehmung<br />
des Pfeifsignals (damit ein Richtungswechsel eingeleitet werden kann).<br />
Kognitive Flexibilität be<strong>im</strong> Lauf- und Passwechsel sowie be<strong>im</strong> gezielten Aufmerksamkeitswechsel.<br />
Seite 159
RECHEN-WURF<br />
Michael Weber (DHB-B-Lizenz), TSV Birkenau<br />
Filmverweis: Handball 1<br />
VORBEREITUNG<br />
Die Spielerinnen werden in zwei Gruppen eingeteilt. Die Gruppen stehen, einander den Rücken zugewandt,<br />
am Mittelkreis und blicken auf ihr jeweiliges Tor.<br />
In jedem Tor steht eine Torhüterin.<br />
Alle Feldspielerinnen haben einen Ball.<br />
Der Trainer steht auf Höhe der Mittellinie.<br />
13- 8<br />
+17<br />
: 2 ...<br />
GRUNDÜBUNG<br />
Die vorderste Spielerin einer Gruppe läuft prellend in Richtung Tor und wirft den Ball auf das Tor (je<br />
nach Vorgabe des Trainers, z.B. zum Aufwärmen der Torhüterinnen). Nach dem Torwurf stellt sich die<br />
Spielerin bei der eigenen Gruppe hinten an.<br />
Bevor die vordersten Spielerinnen einer jeden Gruppe mit dem Laufen und Prellen beginnen, nennt<br />
der Trainer eine Rechenaufgabe (z.B. 7 + 9). Die beiden Spielerinnen rufen laut das Ergebnis und<br />
müssen wie folgt reagieren:<br />
Bei einem geraden Ergebnis: Lauf in Richtung Tor und Wurf.<br />
Bei einem ungeraden Ergebnis tauschen beide Gruppen ihre Position. Lauf und Torwurf erfolgen dann<br />
auf das gegenüberliegende Tor.<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Arbeitsgedächtnis be<strong>im</strong> Aufrechterhalten und be<strong>im</strong> Umsetzen der Aufgabenstellung<br />
sowie be<strong>im</strong> Lösen der Kopfrechenaufgaben (vgl. 13).<br />
Aufmerksamkeitslenkung auf die Rechenaufgabe bzw. auf die Lösung der Aufgabe,<br />
auf die Torhüterin sowie auf die technische Ausführung be<strong>im</strong> Prellen und be<strong>im</strong> Torwurf.<br />
Inhibition vor dem Einleiten eines Positions- bzw. Richtungswechsels der Gruppe.<br />
Kognitive Flexibilität be<strong>im</strong> Richtungswechsel (bei ungeradem Rechenergebnis).<br />
Seite 160
ENTSCHEIDUNGSPASS<br />
Michael Weber (DHB-B-Lizenz), TSV Birkenau<br />
Filmverweis: Handball 7<br />
VORBEREITUNG<br />
An der 6-m-Linie werden 4 Korridore mit Schaumstoffbalken abgegrenzt.<br />
Die Spielerinnen besetzen mit Ball beide Halbpositionen (etwa bei 11 m). Auf beiden Seiten steht<br />
auf 8 m jeweils eine Spielerin mit Blick in Richtung Rückraumspielerinnen.<br />
Ebenfalls auf beiden Seiten besetzt jeweils eine Abwehrspielerin einen der beiden Korridore.<br />
GRUNDÜBUNG<br />
Immer auf beiden Halbpositionen <strong>im</strong> Wechsel:<br />
Die vorderste Spielerin auf einer Halbposition passt zur Spielerin auf 8 m. Diese dreht sich schnell um<br />
und muss sofort und in hohem Tempo durch den freien Korridor laufen und aufs Tor werfen.<br />
Die Passgeberin besetzt die Position auf 8 m, die Werferin besetzt die Abwehrposition (und entscheidet sich<br />
<strong>im</strong>mer neu für einen der beiden Korridore), die Abwehrspielerin holt den Ball und stellt sich hinten an.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 1<br />
Immer auf beiden Halbpositionen <strong>im</strong> Wechsel:<br />
1 Abwehrspielerin in einem Korridor und 1 Kreisläuferin (mit Leibchen) <strong>im</strong> anderen Korridor.<br />
Erneut Pass und bei 8 m umdrehen. Entscheidung je nach Aktion der Abwehrspielerin:<br />
1) Bleibt sie in ihrem Korridor: Pass zum Kreis und Wurf.<br />
2) Verschiebt sie in den anderen Korridor und deckt die Kreisläuferin: in hohem Tempo durch den<br />
freien Korridor und Torwurf.<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Arbeitsgedächtnis be<strong>im</strong> Aufrechterhalten und Umsetzen der Aufgabenstellung sowie be<strong>im</strong><br />
Entscheidungsprozess.<br />
Aufmerksamkeitslenkung auf die verschiedenen Aufgaben auf den unterschiedlichen Positionen,<br />
auf die Torhüterin und den Torwurf.<br />
Inhibition (bei Schwierigkeitsstufe 1) eines Passes, wenn Kreisläuferin gedeckt ist.<br />
Kognitive Flexibilität be<strong>im</strong> flexiblen Durchgehen oder Passspiel.<br />
Seite 161
JUBEL-SCHNICK-SCHNACK-SCHNUCK<br />
Michael Weber (DHB-B-Lizenz), TSV Birkenau<br />
Filmverweis: Handball 12<br />
VORBEREITUNG<br />
Die Spielerinnen gehen paarweise zusammen.<br />
ABLAUF<br />
Immer 2 Spielerinnen spielen gegeneinander Schnick-Schnack-Schnuck (Schere-Stein-Papier;<br />
max<strong>im</strong>al 3 Mal, wenn der Gewinner vorher feststeht nur 2 Mal). Es gelten die Regeln: Faust gewinnt<br />
gegen Schere und verliert gegen Papier. Schere gewinnt gegen Papier. Die Verliererin stellt sich jeweils<br />
sofort nach der Niederlage hinter die Siegerin und feuert diese be<strong>im</strong> nächsten Durchgang an.<br />
Dieser Ablauf wiederholt sich, bis die letzten 2 Spielerinnen gegeneinander spielen, von ihren<br />
beiden Teams lautstark angefeuert werden und die Siegerin feststeht.<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Arbeitsgedächtnis bei der Entscheidung, ob Schere, Stein oder Papier mit der Hand angezeigt wird.<br />
Geteilte Aufmerksamkeit auf die Hand des Gegners und auf die eigene Hand.<br />
Frustration nach Niederlage kontrollieren.<br />
Umstellungsfähigkeit be<strong>im</strong> Wechsel der Schere-Stein-Papier-Handhaltungen, vom Spiel<br />
bzw. der Niederlage auf Anfeuerung, vom Sieg auf das Spiel gegen die nächste Spielerin,<br />
von Emotionen be<strong>im</strong> Jubel-Schnick-Schnack-Schnuck auf Konzentration für die nächste<br />
Übung <strong>im</strong> Trainingsablauf.<br />
Seite 162
SPRINTWETTKAMPF<br />
Michael Weber (DHB-B-Lizenz), TSV Birkenau<br />
Filmverweis: Handball 13<br />
VORBEREITUNG<br />
Links und rechts vom Tor wird jeweils für ein Team eine Sprintstrecke abgesteckt: Bei etwa 7 m<br />
werden auf einer Höhe <strong>im</strong> Abstand von jeweils etwa 3 Schritten links ein Hütchen, in der Mitte eine<br />
Slalomstange und rechts ein weiteres Hütchen aufgebaut. Unterhalb der Slalomstange ist auf Höhe von<br />
3 bis 4 m eine weitere Slalomstange platziert. Jeweils auf Höhe des inneren Hütchens (also rechts <strong>im</strong><br />
linken Feld und links <strong>im</strong> rechten Feld) wird auf der Grundlinie ein weiteres Hütchen platziert. An der<br />
Mittellinie wird für jeden Sprintdurchgang ein Ball bereit gelegt. Die beiden Teams stellen sich an der<br />
Grundlinie hinter ihrem Sprintfeld auf, eine Torhüterin geht in das gegenüberliegende Tor.<br />
6 6<br />
3 4 3<br />
4<br />
5 5<br />
1 2 2 1<br />
GRUNDÜBUNG<br />
Auf Pfiff sprinten jeweils 2 Spielerinnen gegeneinander und versuchen als Erstes, den Ball an der<br />
Torlinie zu erreichen und aufs Tor zu werfen.<br />
Sprintablauf :<br />
Laufweg 1: schräg nach vorne<br />
Laufweg 2: diagonal zurück<br />
Laufweg 3: Slalom nach vorne und zurück<br />
Laufweg 4: diagonal nach vorne<br />
Laufweg 5: gerade zurück<br />
Laufweg 6: Sprint zum Ball<br />
Auf Pfiff (z.B. sobald die Spielerinnen gerade zurücksprinten [Laufweg 5]) starten die nächsten<br />
2 Spielerinnen.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 1<br />
Die Sprintabfolge kann durch den Trainer variiert werden.<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Willensstärke be<strong>im</strong> Zweikampf um den Ball, insbesondere dann, wenn das Sprinttraining nach<br />
einem körperlich und kognitiv herausfordernden Training erfolgt.<br />
Arbeitsgedächtnis be<strong>im</strong> Aufrechterhalten und Umsetzen der Aufgabenstellung.<br />
Aufmerksamkeitslenkung auf die unterschiedlichen Sprintrichtungen.<br />
Inhibition (bei Schwierigkeitsstufe 1) der vorherigen Laufwege.<br />
Emotionskontrolle für einen fairen Zweikampf um den Ball, Frustration nach<br />
Niederlage regulieren.<br />
Kognitive Flexibilität bei Richtungswechsel in der Sprintabfolge.<br />
Seite 163
INHIBITIONSFALLE<br />
Michael Weber (DHB-B-Lizenz), TSV Birkenau<br />
Filmverweis: Handball 4<br />
VORBEREITUNG<br />
Alle Spielerinnen stellen sich nebeneinander mit Ball auf die Grundlinie.<br />
ABLAUF<br />
Der Trainer gibt eine eindeutige Anweisung, z.B.: „Ihr rollt den Ball nach vorne. Wenn er über die<br />
schwarze Linie gerollt ist, sprintet ihr dem Ball hinterher, nehmt ihn auf und prellt bis zur Mittellinie.“<br />
Diese Anweisung, wird mit der Nachfrage, ob alles verstanden wurde, mehrfach wiederholt (ca. 6 bis 8<br />
Mal). Unmittelbar vor dem Startsignal erfolgt der zusätzliche Hinweis: „Wer als Erste an der Mittellinie<br />
ist, hat gewonnen“.<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Arbeitsgedächtnis be<strong>im</strong> Aufrechterhalten und Umsetzen der Aufgabenstellung.<br />
Aufmerksamkeit auf die Aufgabenstellung und das Startsignal des Trainers.<br />
Inhibition be<strong>im</strong> Warten, bis der Ball die schwarze Linie überrollt hat.<br />
Seite 164
ENTSCHEIDUNGSSPRINT<br />
Marco Göckel (DFB A-Lizenz), TSG 1899 Hoffenhe<strong>im</strong> und Claus Wendt (DHB B-Lizenz),<br />
SG Heidelberg-Kirchhe<strong>im</strong><br />
Filmverweis: Handball-ExF 3<br />
VORBEREITUNG<br />
An der Mittellinie werden parallel zwei Quadrate mit jeweils ca. 6 Schritten Seitenlänge abgesteckt und<br />
mit Schaumstoffbalken oder einfarbigen Hütchen markiert.<br />
Es werden zwei Mannschaften gebildet: eine für das rechte und eine für das linke Quadrat. Jeder Spieler<br />
erhält einen Ball. Je Tor ein Torwart.<br />
Der Trainer gibt die Farben für die 4 Ecken des Sprintfeldes vor, z.B. vorne rechts = rot, vorne links = grün,<br />
hinten rechts = gelb, hinten links = blau (Farben des 2. Sprintfeldes werden spiegelverkehrt zugeordnet).<br />
Trainer mit 4 Tüchern, Leibchen, Hütchen oder Parteibändern in unterschiedlichen Farben.<br />
10 Schritte hinter den Sprintfeldern steht in der Mitte ein Kastenoberteil mit Bällen.<br />
GRUNDÜBUNG<br />
Trainer 1 steht vor dem Ballkasten mit Tüchern in den Farben rot, gelb, grün und blau. Die Spieler stellen<br />
sich in die Mitte ihres jeweiligen Sprintfeldes. Mit Beginn der Übung zeigt Trainer 1 schnell nacheinander<br />
3 Tücher. Die Spieler sprinten auf beiden Feldern zu den angezeigten Ecken (Start be<strong>im</strong> ersten Signal<br />
(Farbtuch), be<strong>im</strong> Sprint müssen die beiden anderen Signale (Farbtücher) <strong>im</strong> Auge behalten werden).<br />
Danach Anschlusshandlung: Sprint zum Kastenoberteil. Der Spieler, der zuerst einen Ball hat, prellt auf<br />
direktem Weg zum Tor und macht den Torabschluss.<br />
Der zweite Spieler muss zunächst mit dem Ball zur Seitenauslinie und von dort zum Tor prellen, dann<br />
Torabschluss.<br />
Immer direkt nach dem Torabschluss: Ball wieder in das Kastenoberteil legen, ohne die Abläufe der<br />
anderen Spieler zu stören. Danach wieder an der eigenen Gruppe anstellen.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 1<br />
Wie Grundübung. Hinter dem ersten Tor steht ein weiterer Trainer (2) oder ein Spieler. Die Spieler<br />
müssen be<strong>im</strong> Prellen die Farbe rufen, die Trainer 2 schnell nacheinander anzeigt.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 2<br />
Den Schaumstoffbalken/Hütchen <strong>im</strong> Sprintfeld werden neue Farben zugeordnet.<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Arbeitsgedächtnis be<strong>im</strong> Aufrechterhalten und Umsetzen der Aufgabenstellung.<br />
Aufmerksamkeitslenkung auf die Signale und Laufwege.<br />
Kognitive Flexibilität bei wechselnden Farben und Aufgabenstellungen.<br />
Seite 165
2-BALL-SPIEL<br />
Torsten Althoff, Mannhe<strong>im</strong>er Hockeyclub, Landestrainer Hockey Baden-Württemberg<br />
Filmverweis: Hockey 10<br />
VORBEREITUNG<br />
Spiel mit 2 Mannschaften auf 2 Tore und mit 2 Bällen.<br />
Trainer gibt Hinweise, die die Sicherheit betreffen (Aufmerksamkeit auf beide Bälle lenken, <strong>im</strong><br />
Kreis offensiv verteidigen). Bei dem Spiel mit 2 Bällen kommt es darauf an, dass die Spieler einer<br />
Mannschaft intensiv miteinander kommunizieren.<br />
Der Trainer hat zwei Pfeifen, deren Töne sich deutlich voneinander unterscheiden und die jeweils<br />
einem der beiden Bälle zugeordnet werden.<br />
GRUNDÜBUNG<br />
Spiel mit 2 Mannschaften auf 2 Tore und mit 2 Bällen.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 1<br />
3-Sekunden-Regel: Freistöße müssen in 3 Sekunden ausgeführt werden, sonst erhält die andere<br />
Mannschaft den Ball.<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Arbeitsgedächtnis bei der Entscheidung unter Zeitdruck durch die 3-Sekunden-Regel, bei<br />
der Verarbeitung der zahlreichen wahrzunehmenden Informationen (z.B.: Welche Mannschaft<br />
ist aktuell bei welchem Ball <strong>im</strong> Ballbesitz bzw. wer verteidigt gerade welchen Ball?).<br />
Aufmerksamkeitslenkung auf beide Bälle.<br />
Impulskontrolle bei den sich schnell verändernden Spielsituationen.<br />
Kognitive Flexibilität be<strong>im</strong> häufigen Umstellen von Abwehr auf Angriff (und umgekehrt)<br />
be<strong>im</strong> Spiel mit 2 Bällen.<br />
Seite 166
SCHNICK-SCHNACK-SCHNUCK-SPRINT<br />
Torsten Althoff, Mannhe<strong>im</strong>er Hockeyclub, Landestrainer Hockey Baden-Württemberg<br />
Filmverweis: Hockey 4<br />
VORBEREITUNG<br />
Es werden zwei Teams gebildet. Immer die ersten Spieler eines Teams spielen gegeneinander Schnick-<br />
Schnack-Schnuck (Schere-Stein-Papier; max<strong>im</strong>al 3 Mal, wenn der Gewinner vorher feststeht, nur 2 Mal).<br />
Der Gewinner läuft weg, der Verlierer muss ihn einholen (abschlagen oder überholen).<br />
In einem Abstand von ca. 5 bis 10 m werden auf beiden Seiten ein gelbes und rotes Hütchen,<br />
weitere 5 bis 10 m oberhalb ein blaues Hütchen aufgestellt.<br />
SCHNICK<br />
SCHNACK<br />
SCHNUCK<br />
GRUNDÜBUNG<br />
Spieler spielen Schnick-Schnack-Schnuck. Gewinner läuft weg, Verlierer muss ihn einholen. Laufweg ist<br />
vorgegeben: erst gelbes, dann rotes, dann blaues Hütchen anlaufen.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 1<br />
Trainer sagt parallel zu Schnick-Schnack-Schnuck <strong>im</strong>mer die Farbe rot oder gelb (z.B.: „1, 2, gelb –<br />
1, 2, rot – 1, 2, rot“). Die letzte Farbe muss be<strong>im</strong> Sprint zuerst angelaufen werden, erst dann erfolgt der<br />
Sprint zum anderen Hütchen, abschließend zum blauen Hütchen.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 2<br />
Als weitere Schwierigkeitsstufen können weitere Hütchen z.B. in den Farben weiß und grün, dazugenommen<br />
werden. Auch hier kann der Trainer jeweils die Farbe nennen, die zuerst erreicht werden<br />
muss. Der Sprintweg zu den weiteren Hütchen ist dann vorgegeben (<strong>im</strong>mer in der Reihenfolge gelb,<br />
rot, grün, weiß und zum Schluss blau).<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 3<br />
Nun werden für 4 Hütchenfarben Laufwege vorgegeben (plus Schlusssprint zum blauen Hütchen),<br />
z.B. rot = rot, gelb, grün, weiß; gelb = gelb, rot, grün, weiß; grün = grün, weiß, gelb, rot; weiß = weiß, rot,<br />
gelb, grün.<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Arbeitsgedächtnis be<strong>im</strong> Aufrechterhalten und Umsetzen der Aufgabenstellung. Mit steigender<br />
Schwierigkeitsstufe n<strong>im</strong>mt auch die Belastung bzw. das Training des Arbeitsgedächtnisses<br />
an Intensität zu.<br />
Geteilte Aufmerksamkeit auf die eigene Hand, die Hand des Gegners und den Zuruf des Trainers.<br />
Inhibition (vor allem bei Schwierigkeitsstufe 3) der ursprünglichen Zuordnungen.<br />
Umstellungsfähigkeit be<strong>im</strong> Wechsel der Schere-Stein-Papier-Handhaltungen; bei veränderter<br />
Reihenfolge der Farben.<br />
Seite 167
LAUF-ABC-MEMORY<br />
Torsten Althoff, Mannhe<strong>im</strong>er Hockeyclub, Landestrainer Hockey Baden-Württemberg<br />
Filmverweis: Hockey 2<br />
VORBEREITUNG<br />
Die Spieler stehen entlang einer Linie. Der Trainer erläutert und demonstriert unterschiedliche<br />
Elemente der Laufschule (z.B. Hopserlauf, Fußgelenklauf, Kniehebelauf, Sprunglauf). Anschießend<br />
ordnet der Trainer den einzelnen Übungen Zahlen zu (z.B. 1 = Hopserlauf; 2 = Fußgelenklauf;<br />
3 = Kniehebelauf; 4 = Sprunglauf).<br />
GRUNDÜBUNG<br />
Der Trainer zeigt durch die Anzahl der Finger die entsprechende Laufübung an, die die Spieler auf<br />
einer vorgegebenen Strecke ausführen.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 1<br />
Es kommen weitere Elemente des Lauf-ABC hinzu, z.B. 5 = Sprunglauf, 6 = Rückwärtslaufen.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 2<br />
Die Zahlen werden den Laufübungen neu zugeordnet, erst mit 4, dann mit 5 und 6 Elementen.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 3<br />
Der Trainer zeigt nicht nur eine Zahl an, sondern ruft gleichzeitig eine Zahl, die einen anderen Wert als<br />
die gezeigte Zahl haben kann. Der Trainer kann <strong>im</strong>mer wieder neu best<strong>im</strong>men, welche die dominante<br />
Zahl sein soll (die angezeigte oder die genannte), deren zugeordnete Aufgabe ausgeführt werden soll.<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Arbeitsgedächtnis be<strong>im</strong> Aufrechterhalten und Umsetzen der Aufgabenstellung.<br />
Aufmerksamkeitslenkung auf die jeweilige Übung bzw. korrekte technische Ausführung.<br />
Inhibition der ursprünglichen Zuordnung bzw. der nicht dominanten Zahl<br />
(in Schwierigkeitsstufe 2 und 3).<br />
Kognitive Flexibilität be<strong>im</strong> Wechsel der Bewegungsaufgaben, bei Änderung der Zuordnung von<br />
Zahlen und Übungen, be<strong>im</strong> Wechsel vom dominanten Zuruf zum dominanten Handzeichen.<br />
Seite 168
FEUER-WASSER-STURM<br />
Stefanie Weiß (C-Lizenz Leichtathletik),<br />
<strong>Sport</strong>pädagogin Karl-Friedrich-Schule Eutingen<br />
Filmverweis: Pfiff/Grundschule 3<br />
VORBEREITUNG<br />
Die Lehrerin zeigt den Kindern 4 Bildkarten (idealerweise doppelseitig identisch bedruckt), die mit<br />
Bewegungsaufgaben verbunden werden, z.B. Feuer = auf den Boden legen; Wasser = hochklettern;<br />
Sturm = in eine Ecke laufen; Eis = sofort still stehen (einfrieren). Die Übung wird als Musik-Stopp-Spiel<br />
durchgeführt; hierfür ist eine Musikanlage mit Fernbedingung hilfreich. Damit die Kinder bei der Signalkarte<br />
„Wasser“ auf einen Gegenstand klettern bzw. steigen können, ggf. Bänke, Matten etc. in der Halle<br />
verteilen oder eine Sprossenwand dafür verwenden.<br />
GRUNDÜBUNG<br />
Die Kinder laufen kreuz und quer durch die Halle. Die Lehrerin zeigt in unterschiedlichen Zeitabständen<br />
eine der 4 Bildkarten kurz in die Höhe. Die Kinder müssen be<strong>im</strong> Laufen die Aufmerksamkeit auf<br />
die Bildkarte lenken, sich das Symbol und die damit verbundene Aufgabe merken. Erst wenn die Musik<br />
(zeitverzögert) stoppt, soll die entsprechende Bewegungsaufgabe ausgeführt werden.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 1<br />
Be<strong>im</strong> Hochhalten der Karten werden andere Aufgaben ausgeführt, z.B. wird die ursprüngliche Bewegungsaufgabe<br />
zu „Wasser“ (hochklettern) in dieser Schwierigkeitsstufe der Bildkarte „Feuer“ zugeordnet<br />
(und umgekehrt); die Bewegungsaufgabe zu „Sturm“ (in eine Ecke laufen) wird nun die Aufgabe bei<br />
Bildkarte „Eis“ (sofort still stehen) (und umgekehrt).<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 2<br />
Zusätzlich mit „Wikingerhut“ – symbolisiert z.B. durch einen Moosgummiring aus dem Ringtennis. Zeigt<br />
die Lehrerin eine Bildkarte, ohne dass sie sich den Wikingerhut aufsetzt, gelten die Regeln aus der<br />
Grundübung. Trägt die Lehrerin be<strong>im</strong> Zeigen der Bildkarte den Hut, sollen die Kinder die Bewegungen<br />
aus Schwierigkeitsstufe 1 ausführen.<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Arbeitsgedächtnis be<strong>im</strong> Aufrechterhalten und be<strong>im</strong> Umsetzen der Aufgabenstellung bzw.<br />
der Bewegungsaufgaben.<br />
Aufmerksamkeitslenkung auf die Musik, die Bildkarten und den „Hut“ der Lehrerin.<br />
In Schwierigkeitsstufe 1 und 2: Inhibition be<strong>im</strong> Nichtausführen einer vertrauteren<br />
Aufgabenstellung, be<strong>im</strong> Musik-Stopp und insbesondere be<strong>im</strong> abrupten Abstoppen<br />
(bei „Eis“), wenn andere Kinder eine falsche Bewegungsaufgabe ausführen.<br />
Kognitive Flexibilität be<strong>im</strong> Aufgabenwechsel.<br />
Seite 169
FROSCH FÄNGT HAI<br />
Stefanie Weiß (C-Lizenz Leichtathletik),<br />
<strong>Sport</strong>pädagogin Karl-Friedrich-Schule Eutingen<br />
Filmverweis: Pfiff/Grundschule 4<br />
VORBEREITUNG<br />
Jeweils 1/3 der Kinder erhalten ein rotes, grünes oder blaues Parteiband. Den Farbbändern werden<br />
folgenden Tiere zugeordnet: blau = Hai; grün = Frosch; rot = Ameise. Die Kinder legen sich, paarweise<br />
verteilt, in Bauchlage auf den Boden. 1 Kind (z.B. mit blauem Band) ist Fänger, 1 Kind (z.B. mit grünem<br />
Band) ist der Gejagte. Zur Unterstützung des Arbeitsgedächtnisses kann ein flexibles Bildmaterial<br />
eingesetzt werden.<br />
GRUNDÜBUNG<br />
Es gilt folgende Regel: Hai fängt Frosch (blau fängt grün), Frosch fängt Ameise (grün fängt rot), Ameise<br />
fängt Hai (rot fängt blau). Auf ein Startsignal der Lehrerin beginnt das Fangspiel. Der Gejagte kann sich<br />
neben ein anderes Kind auf den Boden legen und sich so in Sicherheit bringen. Das Kind, das jeweils<br />
auf der anderen Seite liegt, springt auf und vergleicht die Farbe seines Parteibandes mit der des<br />
Fängers. Durch diesen Abgleich entscheidet sich, wer in der neuen Paarung Fänger und Gejagter ist.<br />
Haben die Parteibänder die gleiche Farbe, wird aus dem ursprünglichen Fänger der Gejagte und das<br />
„neue“ Kind wird zum Fänger.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 1<br />
Die Aufgabenstellung ändert sich: Frosch fängt Hai, Hai fängt Ameise, Ameise fängt Frosch.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 2<br />
Gleicher Ablauf mit 2 Fängern und 2 Gejagten, wobei die Zuordnung von Fänger und Gejagtem nicht<br />
verändert werden darf (d.h. ein Fänger darf nur den ihm zugordneten Gejagten fangen).<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Arbeitsgedächtnis be<strong>im</strong> Aufrechterhalten und Umsetzen der Aufgabenstellung.<br />
Aufmerksamkeitslenkung auf die Farben der zu vergleichenden Parteibänder,<br />
bei Schwierigkeitsstufe 2 auf die Unterscheidung der Fänger-Gejagten-Paare.<br />
Inhibition der alten Aufgabenstellung.<br />
Kognitive Flexibilität be<strong>im</strong> Aufgabenwechsel, bei der Umstellung vom Fänger zum Gejagten und<br />
vom passiven (auf dem Boden liegenden) zum aktiven Spieler.<br />
Seite 170
HINDERNISLAUF<br />
Stefanie Weiß (C-Lizenz Leichtathletik),<br />
<strong>Sport</strong>pädagogin Karl-Friedrich-Schule Eutingen<br />
Filmverweis: Pfiff/Grundschule 1<br />
VORBEREITUNG<br />
Entsprechend der Anzahl der Kinder werden auf der Längsseite der Halle kleine Turnmatten mit etwa<br />
2 m Abstand in einer Reihe auf dem Boden ausgelegt. Hinter jeder Matte stehen ca. 3 bis 5 Kinder. In der<br />
Mitte der Halle sind als langes Hindernis nebeneinander Langbänke aufgebaut.<br />
Die Lehrerin hat 3 verschiedenfarbige Parteibänder, ein Stoppschild und eine Pfeife.<br />
GRUNDÜBUNG<br />
Die Lehrerin steht in einem etwas größeren Abstand den Kindern gegenüber. In einer Hand hält sie ein<br />
blaues, in der anderen Hand ein rotes Parteiband. Wenn sie das blaue Band fallen lässt, macht das<br />
vorderste Kind jeder Gruppe eine Rolle vorwärts auf der Matte, läuft nach vorne über die Bank bis zur<br />
anderen Hallenseite. Danach läuft es am Rand der Halle wieder zurück und stellt sich in seiner Gruppe<br />
wieder hinten an. Lässt die Lehrerin das rote Band fallen, macht das Kind auf der Matte einen Strecksprung<br />
mit ganzer Drehung. Der weitere Ablauf erfolgt wie be<strong>im</strong> blauen Band.<br />
VARIANTE 1/SCHWIERIGKEITSSTUFE 1<br />
Der Ablauf wie in der Grundübung. Pfeift die Lehrerin be<strong>im</strong> Fallenlassen eines Parteibandes, sollen<br />
die Kinder nicht über die Bank laufen, sondern robben unter der Sitzfläche der Bank hindurch, also:<br />
blaues Band = Rolle vorwärts; rotes Band = Strecksprung ganze Drehung; ohne Pfiff = über die Bank<br />
laufen; 1 Pfiff = unter der Bank hindurch.<br />
VARIANTE 1/SCHWIERIGKEITSSTUFE 2<br />
Gleicher Ablauf wie in Schwierigkeitsstufe 1. Nun kommt ein gelbes Band hinzu. Wenn die Lehrerin das<br />
gelbe Band über dem Kopf kreisen lässt, legen sich die Kinder quer in Bauch- oder Rückenlage auf die<br />
Matte und rollen wie ein Baumstamm schnell über sie hinweg, also:<br />
blaues Band = Rolle vorwärts; rotes Band = Strecksprung ganze Drehung; gelbes Band = Baumstamm-Rollen;<br />
ohne Pfiff = über die Bank laufen; 1 Pfiff = unter der Bank hindurch.<br />
VARIANTE 1/SCHWIERIGKEITSSTUFE 3<br />
Gleicher Ablauf wie in Schwierigkeitsstufe 2. Es können jedoch auch 2 Pfiffe erfolgen, dann sollen die<br />
Kinder eine Hockwende über die Bank ausführen, also:<br />
ohne Pfiff = über die Bank laufen; 1 Pfiff = unter der Bank hindurch; 2 Pfiffe = Hockwende über die<br />
Bank; blaues Band = Rolle vorwärts; rotes Band = Strecksprung ganze Drehung; gelbes Band = Baumstamm-Rollen.<br />
VARIANTE 2 MIT TRAINING DER INHIBITION<br />
Ablauf und Spielsteigerung wie in Spielvariante 1. Zusätzlich kann die Lehrerin ein Stoppschild<br />
hochhalten. Zeigt sie das Stoppschild, dürfen die Kinder nach dem Startsignal erst dann starten, wenn<br />
das Stoppschild wieder abgesenkt bzw. fallengelassen wurde.<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Arbeitsgedächtnis be<strong>im</strong> Aufrechterhalten und be<strong>im</strong> Umsetzen der Aufgabenstellung.<br />
Aufmerksamkeitslenkung auf die Farbe des Bandes, das Pfeifsignal und die<br />
Bewegungsausführung; in Variante 2 auf das Stoppschild.<br />
Bei Spielvariante 2 mit Stoppschild: Warten, bis das Stoppschild nicht mehr gezeigt wird.<br />
Kognitive Flexibilität durch den ständigen Aufgabenwechsel.<br />
Seite 171
FLEXI-BALL<br />
Stefanie Weiß (C-Lizenz Leichtathletik),<br />
<strong>Sport</strong>pädagogin Karl-Friedrich-Schule Eutingen<br />
Filmverweis: Pfiff/Grundschule 5<br />
VORBEREITUNG<br />
Die Halle wird in zwei Hälften geteilt und an der Mittellinie mit Langbänken abgetrennt. Es werden<br />
2 gleich große Teams gebildet. Jedes Team wird einer Hallen- oder Spielfeldhälfte zugeordnet. Die Kinder<br />
verteilen sich in ihren Spielfeldern. Etwa 16 (Gymnastik-)Bälle in 4 Farben (z.B. blau, weiß, gelb und rot)<br />
werden gleichmäßig in den beiden Spielfeldern verteilt.<br />
GRUNDÜBUNG<br />
Auf ein Startsignal der Lehrerin sollen die Bälle so schnell wie möglich in die andere Hallenhälfte<br />
gespielt werden. Die Bälle können beliebig gespielt (z.B. geworfen, gekickt) werden. Bei einem Pfiff der<br />
Lehrerin darf kein Ball mehr bewegt werden. Die Mannschaft mit den wenigsten Bällen erhält einen<br />
Punkt. Es werden mehrere Runden gespielt.<br />
VARIANTE 1/SCHWIERIGKEITSSTUFE 1<br />
Den verschiedenen Ballfarben werden nach und nach best<strong>im</strong>mte Spielarten zugeordnet. In Schwierigkeitsstufe<br />
1 soll der weiße Ball z.B. gekickt werden.<br />
VARIANTE 1/SCHWIERIGKEITSSTUFE 2<br />
Die weißen Bälle dürfen nur gekickt und die gelben Bälle nur geköpft werden.<br />
VARIANTE 1/SCHWIERIGKEITSSTUFE 3<br />
Die weißen Bälle dürfen nur gekickt, die gelben nur geköpft und die roten nur geworfen werden.<br />
VARIANTE 1/SCHWIERIGKEITSSTUFE 4<br />
Die weißen Bälle dürfen nur gekickt, die gelben nur geköpft, die roten nur geworfen und die blauen nur<br />
geschlagen werden.<br />
VARIANTE 2 MIT ERHÖHTER SCHWIERIGKEIT<br />
Spielsteigerung wie in Spielvariante 1, nur mit dem Unterschied, dass die Zuordnung der Spielart mit<br />
jeder Schwierigkeitsstufe verändert wird (weißer Ball in Schwierigkeitsstufe 1 = kicken; in Schwierigkeitsstufe<br />
2 = werfen; in Schwierigkeitsstufe 3 = köpfen etc.).<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Arbeitsgedächtnis be<strong>im</strong> Aufrechterhalten und be<strong>im</strong> Umsetzen der Spielart.<br />
Aufmerksamkeitslenkung auf die jeweiligen Aufgaben bei den jeweiligen Ballfarben.<br />
Inhibition der falschen Ausführung (z.B. kicken statt werfen) und der vorangegangenen<br />
Aufgabenstellung.<br />
Emotionsregulation be<strong>im</strong> Siegen und Verlieren.<br />
Kognitive Flexibilität be<strong>im</strong> Aufgabenwechsel.<br />
Seite 172
SCHAKADI<br />
Waheed Shafiq (C-Lizenz Fechten), TSG Rohrbach<br />
Filmverweis: Fechten 8<br />
VORBEREITUNG<br />
Die Fechter stehen dem Trainer in einer Reihe gegenüber.<br />
GRUNDÜBUNG<br />
Der Trainer nennt abwechselnd eine der folgenden Anweisungen:<br />
Schritt vor,<br />
Schritt zurück,<br />
Ausfallschritt,<br />
aufstehen.<br />
Die Fechter sollen die Bewegungsaufgabe nur dann ausführen, wenn der Trainer unmittelbar vor der<br />
Anweisung das Signalwort „Schakadi“ nennt. Nennt er eine Anweisung ohne das Signalwort, sollen die<br />
Fechter in ihrer Position verharren.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 1<br />
Der Trainer kann zusätzlich zur Anweisung selbst auch eine Bewegung ausführen, die die Fechterschüler<br />
aber idealerweise ausblenden, weil sie mit der genannten Anweisung – und diese gilt es weiterhin<br />
mit Signalwort zu berücksichtigen – entweder nicht übereinst<strong>im</strong>mt oder aber, weil er zur Bewegung<br />
nicht das Signalwort nennt.<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Arbeitsgedächtnis be<strong>im</strong> Aufrechterhalten und Umsetzen der Aufgabenstellung.<br />
<strong>Fokus</strong>sierte/selektive Aufmerksamkeit bei Konzentration auf die Anweisung mit Signalwort<br />
und be<strong>im</strong> Ausblenden der Bewegungen des Trainers;<br />
Daueraufmerksamkeit bei zunehmender Übungsdauer ohne Unterbrechung.<br />
Inhibition bei Nichtausführung einer Bewegung ohne Signalwort.<br />
Kognitive Flexibilität be<strong>im</strong> Aufgabenwechsel und be<strong>im</strong> Umstellen von Bewegung auf Stillstehen<br />
(und umgekehrt).<br />
Seite 173
STÄBE WERFEN<br />
Arne Schneider, Leiter des Instituts für Stabfechten, Stuttgart<br />
Filmverweis: Stabfechten 1<br />
VORBEREITUNG<br />
Gruppe in zwei Reihen mit Abstand von ca. 2 m aufstellen lassen. Jeder hat einen gegenüberstehenden<br />
Partner. Reihe A hat einen Stab, Reihe B hat noch keinen Stab.<br />
GRUNDÜBUNG<br />
Übung mit einem Stab.<br />
Der Stab wird senkrecht in der Mitte, (beginnend) mit der rechten Hand, in Fausthaltung gehalten und<br />
auch senkrecht geworfen. Auf die senkrechte Wurfhaltung ist aus Sicherheitsgründen stets zu achten.<br />
Den Stab <strong>im</strong>mer parallel in die gegenüberliegende Hand des Partners werfen, d. h. von der rechten<br />
Hand in die linke Hand des Partners und wieder zurück (werden bei Übungen mit 2 Stäben die Stäbe<br />
diagonal geworfen, prallen sie aufeinander).<br />
Vor und be<strong>im</strong> Werfen laut auf 3 zählen. Auf 3 wird der Stab geworfen.<br />
Be<strong>im</strong> Zählen wird der Stab mit einer Impulsbewegung mit der Wurfhand (Unterarm geht vor und<br />
zurück) unterstützt.<br />
Nach mehreren Durchgängen wird die Hand gewechselt.<br />
Nach einer Schwierigkeitsstufe wird der Partner gewechselt, indem alle <strong>im</strong> Uhrzeigersinn auf den Platz<br />
des Nebenmannes gehen (die Außenstehenden stellen sich auf der anderen Seite an).<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 1<br />
Übung mit einem Stab.<br />
Laut auf 3 zählen, mit Impulsbewegung.<br />
Der Werfer darf nach eigener Entscheidung mit der rechten oder linken Hand werfen (Wurfrichtung<br />
bleibt aber parallel) und dabei auch einen Schritt vor- oder zurückgehen (veränderte Distanz).<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 2<br />
Jeder hat einen Stab und hält ihn in der rechten Hand.<br />
Laut auf 3 zählen, mit Impulsbewegung.<br />
Die Stäbe werden gleichzeitig geworfen (Partner A wirft den Stab in die linke Hand von Partner B, Partner<br />
B wirft den Stab in die linke Hand von Partner A).<br />
Seite 174
SCHWIERIGKEITSSTUFE 3<br />
Jeder hat einen Stab. Die Stäbe werden gleichzeitig geworfen.<br />
Nicht laut zählen, nur Impulsbewegung.<br />
Gemeinsam das Tempo ändern, ohne zu sprechen (einstellen auf den Partner bei veränderter<br />
Geschwindigkeit).<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 4<br />
Jeder hat einen Stab.<br />
Nicht laut zählen, nur Impulsbewegung.<br />
Die Aufmerksamkeit <strong>im</strong>mer wieder bewusst vom Stab weglenken, z.B. zur Decke, zum Boden, zum<br />
Nebenmann oder auf Sinneseindrücke, wie hören [z. B. Geräusche in der Halle oder <strong>im</strong> Freien], fühlen<br />
[wie sich der Stab anfühlt, die Kleidung, <strong>im</strong> Freien die Luft], riechen etc.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 5<br />
Übung mit 2 Stäben.<br />
Laut auf 3 zählen, mit Impulsbewegung.<br />
Die Stäbe werden gleichzeitig mit beiden Händen geworfen und gefangen.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 6<br />
Jeder hat einen Stab.<br />
Nicht laut zählen, keine Impulsbewegung.<br />
Alle Aufgaben der Schwierigkeitsstufen 1 bis 5 flexibel einsetzen und die Entscheidung für jede einzelne<br />
Aktion bewusst treffen.<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Arbeitsgedächtnis be<strong>im</strong> Aufrechterhalten und be<strong>im</strong> Umsetzen der Aufgabenstellung, zum<br />
Zeitpunkt der Entscheidung (z.B.: Werfe ich einen oder zwei Stäbe, den linken oder rechten,<br />
schnell oder langsam, stärker oder schwächer, aus größerer oder geringerer Distanz?).<br />
<strong>Fokus</strong>sierte/selektive Aufmerksamkeit bei der Konzentration auf den Stab und be<strong>im</strong> Ausblenden<br />
von Störreizen (z.B. die Nachbarpaare); Geteilte Aufmerksamkeit be<strong>im</strong> Werfen und Fangen mit<br />
2 Stäben; visuell-räumliche Aufmerksamkeit, indem die Aufmerksamkeit auf eine neue Quelle<br />
gerichtet wird (z.B. auf Sinneseindrücke, Gedanken, Emotionen oder den Nebenmann);<br />
Daueraufmerksamkeit bei andauernder Konzentration auf das Werfen und Fangen der Stäbe.<br />
Inhibition be<strong>im</strong> Weglassen einer Hilfestellung (z.B. laut zu zählen, Impulsbewegung auszuführen),<br />
be<strong>im</strong> Warten, Verzögern, langsamer werden und Fintieren etc.<br />
Emotionsregulation, wenn der Partner die Stäbe noch nicht technisch sauber zuspielen kann<br />
oder wenn er zu schnell wirft.<br />
Kognitive Flexibilität be<strong>im</strong> Wechsel der Wurfarten (werfen rechts, links, beidhändig);<br />
bei wechselnder Distanz und verändertem Tempo, be<strong>im</strong> Partner-, Aufmerksamkeits- und<br />
Blickwechsel etc.<br />
Seite 175
FALLENDER STAB<br />
Arne Schneider, Leiter des Instituts für Stabfechten, Stuttgart<br />
Filmverweis: Stabfechten 2<br />
VORBEREITUNG<br />
Gruppen in zwei Reihen mit geringem Abstand aufstellen lassen. Jeder hat einen gegenüberstehenden<br />
Partner. Reihe A hat einen Stab, Reihe B hat keinen Stab.<br />
GRUNDÜBUNG<br />
Partner A und B stehen sich gegenüber und schauen sich in die Augen.<br />
Partner A hält in Brusthöhe den Stab quer in beiden Händen. Partner B hält seine geöffneten Hände<br />
10 bis 20 cm oberhalb des Stabes. Ohne Vorankündigung lässt Partner A den Stab fallen. Partner B soll<br />
den Stab mit einer oder mit beiden Händen fangen, bevor dieser auf dem Boden aufschlägt.<br />
VARIANTE 1<br />
Nach mehreren Durchgängen soll der Partner mit Stab be<strong>im</strong> Fallenlassen des Stabes denken: „Jetzt!“ oder<br />
„Los!“. Der Partner, der fängt, soll versuchen, das gedachte Startsignal des Partners wahrzunehmen.<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Arbeitsgedächtnis be<strong>im</strong> Aufrechterhalten und be<strong>im</strong> Umsetzen der Aufgabenstellung;<br />
zum Zeitpunkt der Entscheidung (Stab loslassen, nach Stab greifen).<br />
<strong>Fokus</strong>sierte/selektive Aufmerksamkeit bei Konzentration auf den Stab und be<strong>im</strong> Ausblenden<br />
von Störreizen (z.B. die anderen Paare); visuell-räumliche Aufmerksamkeit, indem die<br />
Aufmerksamkeit auf eine neue Quelle gerichtet wird, ohne den Blick darauf zu lenken (gedachtes<br />
Startsignal des Partners); Daueraufmerksamkeit je länger der Stab gehalten wird.<br />
Inhibition be<strong>im</strong> Warten, bis der Stab fällt.<br />
Emotionskontrolle (Frustrationstoleranz), wenn wiederholt der Stab nicht gefangen wurde.<br />
Seite 176
IN DECKUNG<br />
Thomas Schmidt-Herzog und Catrin Franzen, Kempokan Kampfkunstschule Heidelberg, TSG Rohrbach<br />
Filmverweis: Kempokan 9<br />
VORBEREITUNG<br />
Die Kempokan-Schüler verteilen sich <strong>im</strong> Raum, der Trainer/die Trainerin bewegen sich in der Gruppe.<br />
GRUNDÜBUNG<br />
Auf ein Startsignal des Trainers bzw. der Trainerin laufen die Schüler kreuz und quer durch den Raum.<br />
Die Aufgabe besteht darin, niemand anderen zu berühren. Wenn sich zwei Schüler be<strong>im</strong> Laufen<br />
berühren, müssen sie am Rand des Raumes 10 Partnerliegestützen ausführen. Berührt ein jugendlicher<br />
Schüler den Trainer, sind es (<strong>im</strong> Filmbeispiel) 100 normale Liegestützen.<br />
Partnerliegestütze<br />
Bei dieser Form der Liegestütze gehen beide Schüler mit Blick zueinander in die Liegestützposition (in<br />
einer Entfernung von knapp 2 Armlängen) und klatschen sich mit beiden Händen diagonal nach vorne ab<br />
(zunächst mit der rechten Hand, anschließend mit der linken Hand). Danach gehen beide Schüler in die<br />
Bauchlage, der Kopf wird angehoben mit Blick nach vorne. Die Schüler klatschen sich mit beiden Händen<br />
(Arme in Vorhalte) ab, führen anschließend die gestreckten Arme hinter ihren Rücken, bis sich die eigenen<br />
Hände berühren bzw. abklatschen. Daraufhin wiederholt sich derselbe Ablauf weitere 9 Mal.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 1<br />
Ablauf wie in Grundübung – nur wird der Raum, in dem sich die Schüler bewegen, begrenzt/<br />
kleiner abgesteckt.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 2<br />
Die Schüler und der Trainer laufen durcheinander. Auf ein Signalwort sollen die Schüler schnellstmöglich<br />
mit Blick zum Trainer stehenbleiben und die Hände zur Deckung hochnehmen.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 3<br />
Ablauf wie in Schwierigkeitsstufe 2. Nun soll be<strong>im</strong> Laufen durch den Raum die Aufmerksamkeit verstärkt<br />
auf die anderen Schüler gelenkt werden. Die Schüler sollen wahrnehmen, wer sich vor, neben<br />
oder hinter ihnen befindet. Dabei sollen sie die Hände zur Deckung hochnehmen und sich mit Sitesteps<br />
frontal zu den jeweiligen Schülern ausrichten, die sich in der unmittelbaren Nähe befinden (mit<br />
dem fiktiven Ziel, von keiner Seite ohne Deckung angegriffen werden zu können).<br />
Es gelten die Regeln zum Berühren und zu den Liegestützen wie in der Grundübung beschrieben.<br />
SCHWIERIGKEITSSTUFE 4<br />
Ablauf wie in Schwierigkeitsstufe 2. Ziel ist es, niemanden hinter den eigenen Rücken kommen zu<br />
lassen bzw. be<strong>im</strong> Laufen durch den Raum kurz zwischen die Schulterblätter eines anderen Schülers zu<br />
tatschen. Wer auf diese Weise getroffen wurde, muss 10 Kniebeugen am Rand ausführen. Die bekannten<br />
Liegestütz-Regeln gelten weiter.<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Arbeitsgedächtnis be<strong>im</strong> Aufrechterhalten und Umsetzen der Aufgabenstellung.<br />
Geteilte Aufmerksamkeit auf mehrere Schüler <strong>im</strong> engeren eigenen Umfeld<br />
(insbesondere in Schwierigkeitsstufe 3).<br />
Inhibition be<strong>im</strong> Stoppen nach einem Signalwort (ab Schwierigkeitsstufe 2).<br />
Kognitive Flexibilität be<strong>im</strong> Aufgabenwechsel und ständigen gezielten Aufmerksamkeitswechsel<br />
auf die eigene Person bzw. die eigenen Aktionen, den Trainer/die Trainerin und die anderen<br />
Schüler <strong>im</strong> Raum.<br />
Seite 177
ATEMGEWAHRSEIN 1<br />
Dr. Dipl.-Psych. Marie Ottilie Frenkel, Institut für <strong>Sport</strong> und <strong>Sport</strong>wissenschaft, Universität Heidelberg<br />
VORBEREITUNG<br />
Bequeme Sitzmöglichkeiten für die <strong>Sport</strong>ler bereitstellen (z.B. Weichbodenmatte, Bänke oder Kästen)<br />
Filmverweis: Turnen 4<br />
ERKLÄRUNG<br />
Mit dieser Übung werdet ihr lernen, wie ihr es schafft, mithilfe eures Atems <strong>im</strong> Training oder <strong>im</strong> Wettkampf<br />
Ablenkungen auszublenden oder negative/leistungshemmende Gedanken zu unterbrechen, um<br />
mit der Aufmerksamkeit wieder ganz bei euch selbst zu sein. Dazu werden wir gleich gemeinsam unseren<br />
Atem genauer beobachten. Bei mir passiert etwas Interessantes, wenn ich das tue, und vielleicht<br />
passiert das auch bei euch. Wenn ich meinen Atem einfach nur beobachte, kann es sein, dass er sich<br />
verändert. Oft wird mein Atem dadurch tiefer und langsamer, und der Abstand zwischen dem Einatmen<br />
und dem Ein- und Ausatmen wird länger.<br />
Dann passiert meist noch etwas. Wenn mein Atem anfängt, langsam und tief zu werden, beginnen mein<br />
Körper und mein Kopf, sich anders anzufühlen. Denn wenn mein Atem langsamer und ruhiger wird und<br />
ich es schaffe, meine Aufmerksamkeit nur auf meinen Atem zu lenken, entspannt sich normalerweise<br />
auch mein Körper. Wenn mein Körper sich entspannt, fühle ich oft, dass mein „Kopfchaos“ sich legt und<br />
beruhigt, sodass ich am Ende wieder einen klaren Kopf habe.<br />
Be<strong>im</strong> Atmen schweifen meine Gedanken manchmal ab, und ich kann mich nicht mehr so gut auf meinen<br />
Atem konzentrieren. Wenn das bei dir auch passiert, mach dir keine Sorgen. Es ist ganz normal,<br />
dass du über etwas nachdenkst, was dich dann ablenkt. N<strong>im</strong>m die Gedanken offen wahr und, kehre<br />
dann mit deiner Aufmerksamkeit zu deinem Atem zurück.<br />
Für unsere Übung setzt du dich am besten auf eine Bank oder auf eine Weichbodenmatte. Setz dich<br />
mit dem Rücken aufrecht hin wie ein Indianer, lass deine Schultern locker nach unten fallen und lege<br />
deine Hände mit den Handflächen auf deine Oberschenkel. Solange es für dich angenehm ist, schließe<br />
deine Augen. Das erleichtert es dir, deine Aufmerksamkeit mehr auf den Atem zu richten. Wenn du dich<br />
dabei nicht wohlfühlst, kannst du bei der Übung auch einfach auf den Boden schauen.<br />
Lass uns anfangen!<br />
INSTRUKTION<br />
N<strong>im</strong>m jetzt erst einmal wahr, wie deine Füße den Boden berühren. Spüre den Kontakt deiner Fußsohlen<br />
mit dem Boden. N<strong>im</strong>m wahr, wie sich für dich das Sitzen gerade anfühlt. (Pause) Spüre, wie der Stuhl<br />
dein Körpergewicht trägt. (Pause) Bringe dann deine Aufmerksamkeit zu deinem Oberkörper. N<strong>im</strong>m<br />
wahr, wie deine Wirbelsäule deinen ganzen Oberkörper hält. (Pause)<br />
Spüre nun deinen Atem, wie er <strong>im</strong> Moment ist und versuche, ihn nicht zu beeinflussen. Vielleicht ist<br />
er langsam und ruhig, vielleicht schnell, und kurz, vielleicht regelmäßig, vielleicht auch nicht. Ob er so<br />
oder so ist, spielt keine Rolle. Wie fühlt sich dein Atem an? Versuche wahrzunehmen, wie dein Atem<br />
durch die Nase, den Mund, durch deinen Rachen bis in deinen Bauch strömt. (Pause) Achte darauf, wie<br />
sich dein Bauch be<strong>im</strong> Ein- und Ausatmen wie ein Ballon hebt und senkt. Du kannst deine Hände auch<br />
auf den Bauch legen, um das Heben und Senken am Bauch zu spüren. (längere Pause)<br />
Egal, was später zu tun ist, egal, was jetzt um dich herum ist, das Einzige, was zählt, ist der jetzige<br />
Augenblick der Ruhe. Du musst jetzt nirgendwo anders sein. Du musst jetzt nichts Anderes tun. Es gibt<br />
jetzt niemanden, dem du gefallen musst. Jetzt kannst du einfach nur in dich hineinhören.<br />
N<strong>im</strong>m nun bewusst dein Ausatmen wahr, wie sich der Bauch senkt und dein Atem durch den Hals und<br />
die Nase strömt. (längere Pause) Bemerkst du genau den Moment, wenn du beginnst, auszuatmen.<br />
Den Moment, wenn du die ganze Atemluft ausatmest? (Pause)<br />
Seite 178
Es kann sein, dass du mit deinen Gedanken abschweifst oder dass du dich unwohl fühlst. Versuche,<br />
den Gedanken oder das Gefühl, das da ist, einfach nur wahrzunehmen. Jetzt, in diesem Moment, geht<br />
es nur um deinen Atem. Spüre den Atem in deinem Körper. Wie die Einatmung kommt und die Ausatmung<br />
geht. (längere Pause)<br />
Erlaube dir, so bei dir anzukommen. (Pause) Vielleicht spürst du, dass du inzwischen schon ein wenig<br />
ruhiger geworden bist. Möglicherweise fühlst du wie jetzt, wie deine Schultern weich und entspannt nach<br />
unten sinken. (Pause) Lass deinen Atem kommen und wieder gehen. Spüre dabei noch mal, wie sich dein<br />
Bauch be<strong>im</strong> Ein- und Ausatmen wie ein Ballon hebt und senkt. (längere Pause)<br />
Atme nun noch drei Mal durch die Nase ein und durch den leicht geöffneten Mund wieder aus.<br />
Öffne dann behutsam die Augen, schaue dich in deiner Umgebung um, und n<strong>im</strong>m die Umgebung<br />
wieder bewusst wahr.<br />
REFLEXION<br />
Wie war die erste Achtsamkeitsübung für dich? Was hat sich in den letzten Minuten in deinem Körper<br />
und in deinem Kopf verändert?<br />
Ist es dir leicht gefallen, mit der Aufmerksamkeit dabeizubleiben? Oder warst du vielleicht auch noch<br />
etwas abgelenkt?<br />
Wenn du es nicht geschafft hast, dich die ganze Zeit auf den Atem zu konzentrieren, dann ist das ganz normal.<br />
Wenn du erkannt hast, dass du mit deinen Gedanken abschweifst, bist du schon achtsam gewesen.<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Geteilte Aufmerksamkeit auf die Anleitung und auf alle gegenwärtig wahrgenommenen<br />
körperlichen Empfindungen, Gedanken und den Atem.<br />
Aufmerksamkeitswechsel, z. B. von körperlichen Empfindungen be<strong>im</strong> Sitzen auf den Atem.<br />
Inhibition von Ablenkungen und negativen oder leistungsl<strong>im</strong>itierenden Gedanken.<br />
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BODYSCAN2, 3, 4, 5<br />
Dr. Dipl.-Psych. Marie Ottilie Frenkel, Institut für <strong>Sport</strong> und <strong>Sport</strong>wissenschaft, Universität Heidelberg<br />
VORBEREITUNG<br />
Bequeme Liegemöglichkeiten für die <strong>Sport</strong>ler bereitstellen (z.B. Turn-, Yoga- oder Judomatten)<br />
ERKLÄRUNG<br />
In dieser Übung geht es darum, den Körper und alle aufkommenden Empfindungen mit einer wachen,<br />
interessierten und annehmenden inneren Haltung zu erkunden.<br />
Folge der Anleitung, so gut du kannst, und erlaube dir, zu fühlen, was <strong>im</strong>mer du <strong>im</strong> jeweiligen Moment<br />
fühlst. Es ist wichtig, dass du dich bei dieser Übung nicht zu sehr bemühst, Entspannung zu erreichen.<br />
Das würde nur das Gegenteil bewirken.<br />
Versuche vielmehr, wach und aufmerksam zu sein für alles, was du hier und jetzt wahrn<strong>im</strong>mst. Versuche,<br />
alle aufkommenden Empfindungen von Moment zu Moment anzunehmen, ohne zu werten und<br />
ohne zu vergleichen. Lass alle wertenden und kritischen Gedanken los. Es gibt bei dieser Übung nichts<br />
zu erreichen oder zu leisten. Es geht noch nicht einmal darum, alles richtig zu machen.<br />
Der Bodyscan wird <strong>im</strong> Liegen durchgeführt. Entscheidend ist dabei nicht, wie du liegst, sondern deine<br />
innere Haltung und der Grad der Aufmerksamkeit, mit der du diese Übung durchführst. Führe die<br />
Übung am besten mit geschlossenen Augen durch. Wenn du während der Übung müde wirst, dann<br />
kannst du deine Augen zwischendurch für einen Moment auch wieder öffnen. Atme während der gesamten<br />
Übung ruhig und tief und, wenn möglich, durch die Nase.<br />
INSTRUKTION<br />
Leg dich auf den Rücken und schließe deine Augen. Deine Hände liegen seitlich am Körper entlang, mit<br />
den Handflächen auf dem Boden. Leg die Beine ein wenig auseinander und lass die Füße nach außen fallen.<br />
Schließe die Augen, um deine Aufmerksamkeit nach innen zu richten. Mach es dir zunächst einmal so<br />
bequem wie möglich, und n<strong>im</strong>m dir die Zeit, in dieser Haltung anzukommen. Es gibt nichts zu tun, nichts<br />
zu erreichen. Erlaube dir ganz einfach, hier zu sein.<br />
Richte nun allmählich deine Aufmerksamkeit auf deinen Atem. Atme zu Beginn drei Mal in deinem<br />
eigenen Tempo tief ein und aus. Folge dabei deinem Atem. Wo spürst du den Luftzug be<strong>im</strong> Einatmen<br />
und Ausatmen? In der Nase? Im Mund? (Pause) N<strong>im</strong>m wahr, wie dein Atem von selbst kommt und geht,<br />
wie er in deinen Körper einströmt und aus dem Körper wieder herausströmt. (Pause) Beobachte, wie sich<br />
dein Brustkorb be<strong>im</strong> Ein- und Ausatmen hebt und senkt. Beobachte, wie sich auch deine Bauchdecke<br />
<strong>im</strong> Rhythmus deiner Atmung auf- und abbewegt. (Pause)<br />
Spüre all die Stellen, an denen dein Körper Kontakt mit dem Boden hat: am Rücken (Pause), an deinem<br />
Gesäß, an deinen Armen und Händen (Pause) und an deinen Beinen und Fersen (Pause). Gib mit jeder<br />
kommenden Ausatmung mehr und mehr Körpergewicht an die Matte oder den Boden ab.<br />
Lenke nun die Aufmerksamkeit auf deine Füße. N<strong>im</strong>m alle Empfindungen hier wahr. Wie fühlt sich die<br />
Berührung der Fersen mit dem Boden an? Richte nun deine Aufmerksamkeit auf deine Zehen. Achte auf<br />
jeden einzelnen Zeh. Achte dabei auf alles, was du dort wahrnehmen kannst. Was spürst du dort? Kribbelt<br />
etwas, oder fühlt es sich warm oder kalt an? (Pause) Wenn du bemerkst, dass deine Gedanken abschweifen,<br />
hole deine Aufmerksamkeit zum Atem und zur jeweiligen Körperregion zurück. Jetzt,<br />
in diesem Moment, zu deinen Zehen.<br />
Dehne nun die Aufmerksamkeit auf deine Beine aus, deine Waden (Pause), deine Schienbeine (Pause),<br />
deine Knie (Pause) und deine Oberschenkel (Pause). Vielleicht n<strong>im</strong>mst du eine Anspannung in deinen<br />
Beinen wahr oder du bemerkst irgendwo ein Kribbeln oder Jucken. Wenn du an irgendeiner Stelle etwas<br />
spürst oder ein unangenehmes Gefühl entdeckst, n<strong>im</strong>m es einfach nur wahr.<br />
Seite 180
Gleite jetzt mit deiner Aufmerksamkeit hinauf zu deinem Becken (Pause) und weiter hoch zu deinem<br />
Bauch (Pause). Spüre deinen Atem, wie er die Bauchdecke anhebt und sie wieder sinken lässt. Vielleicht<br />
kannst du nachempfinden, wie es sich tief drinnen in deinem Bauch anfühlt. Möglicherweise<br />
spürst du, wie dein Magen noch Essen verdaut. Wenn du an irgendeiner Stelle Anspannung oder ein<br />
unangenehmes Gefühl entdeckst, n<strong>im</strong>m es einfach nur wahr.<br />
Gehe mit deiner Aufmerksamkeit zum Brustkorb. Kannst du dein Herz schlagen spüren? N<strong>im</strong>m einen<br />
tiefen Atemzug. Und nun spüre, wie dein Brustkorb sich be<strong>im</strong> Einatmen ausdehnt und be<strong>im</strong> Ausatmen<br />
wieder zusammenzieht. Und nochmal: N<strong>im</strong>m einen tiefen Atemzug, fühle, wie sich der Brustkorb be<strong>im</strong><br />
Einatmen ausdehnt und be<strong>im</strong> Ausatmen wieder zusammenzieht.<br />
Richte jetzt deine Aufmerksamkeit auf die Schultern. Wandere mit der Aufmerksamkeit von den Schultern<br />
beide Arme entlang hinunter bis zu deinen Händen. Was berühren deine Hände gerade? Gehe<br />
weiter mit deiner Aufmerksamkeit zu den Fingern. Spüre jeden einzelnen Finger, ohne ihn zu bewegen.<br />
(Pause) Vielleicht beobachtest du jetzt, in diesem Moment, eine best<strong>im</strong>me Empfindung oder unterschiedliche<br />
Empfindungen, vielleicht aber auch gar keine. Lass alle aufkommenden Empfindungen und<br />
Gedanken los und auch alle Impulse, sich zu bewegen oder etwas anderes zu tun.<br />
Richte dann deine Aufmerksamkeit auf den Nacken und auf deine Schultern. Fühle dein Gesicht (Pause),<br />
deine Stirn (Pause), die Augen (Pause), deine Nase (Pause), deine Wangen (Pause), deinen Mund<br />
(Pause), deine Zunge (Pause) und dein Kinn (Pause). Vielleicht kannst du spüren, wie jetzt all deine<br />
Gesichtsmuskeln entspannt sind.<br />
Richte nun deine ganze Aufmerksamkeit auf die höchste Erhebung deines Kopfes, den Scheitelpunkt.<br />
Stell dir vor, dass du durch den Scheitelpunkt einatmen und wieder ausatmen kannst. Und lass nun<br />
mit der Einatmung den Atem durch den Scheitelpunkt in den Körper einströmen, durch den ganzen<br />
Körper hindurch und über die Fußsohlen wieder ausströmen. Der Atem strömt dann durch die Fußsohlen<br />
wieder ein, durch den Körper hindurch und über den Scheitelpunkt wieder heraus. Atme nun einige<br />
Atemzüge in dieser Weise. Vom Scheitelpunkt ein, durch den ganzen Körper hindurch und hinaus über<br />
die Fußsohlen. Dann wieder durch die Fußsohlen einatmen und durch den Scheitelpunkt ausatmen.<br />
(Pause) Beobachte den Atem und lass ihn die ganze Länge deines Körpers durchströmen. Atme jetzt<br />
tief ein, und aus, und n<strong>im</strong>m wahr, wie dein ganzer Körper schwerer geworden ist. Gib all dein Gewicht<br />
an die Matte oder den Boden ab.<br />
REFLEXION<br />
Wie hast du dich vor der Reise durch den Körper gefühlt? Wie fühlst du dich jetzt?<br />
Was ist dir bei dieser Übung noch aufgefallen?<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Geteilte Aufmerksamkeit auf die Anleitung und auf alle gegenwärtig wahrgenommenen<br />
körperlichen Empfindungen, Gedanken und den Atem.<br />
Aufmerksamkeitswechsel von einem Körperteil zum nächsten.<br />
Inhibition von Ablenkungen und negativen oder leistungsl<strong>im</strong>itierenden Gedanken.<br />
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SCHMELZENDES EIS 1<br />
Dr. Dipl.-Psych. Marie Ottilie Frenkel, Institut für <strong>Sport</strong> und <strong>Sport</strong>wissenschaft, Universität Heidelberg<br />
VORBEREITUNG<br />
2 Eiswürfel pro Athlet, Servietten; die Übung am besten <strong>im</strong> Freien durchführen<br />
VORBEREITENDE ERKLÄRUNG<br />
Bei diesem Exper<strong>im</strong>ent sollt ihr auf 3 Dinge besonders achten, nämlich darauf:<br />
1. wie euer Körper reagiert,<br />
2. was ihr dabei genau denkt und<br />
3. was ihr genau fühlt.<br />
Jedem von euch werde ich einen Eiswürfel in die Hand legen. Wenn es anfängt, sehr stark zu brennen,<br />
könnt ihr kurz den Eiswürfel auf die Serviette legen. Versucht aber, den Würfel nicht sofort wegzuwerfen,<br />
wenn es unangenehm wird. (Servietten und Eiswürfel verteilen)<br />
INSTRUKTION RUNDE 1<br />
Konzentrier dich und sprich während des Exper<strong>im</strong>ents nicht. Lenke deine Aufmerksamkeit auf deine<br />
Hand. Spüre die Kälte des Eiswürfels. Überlege spontan, wie sich das Halten des Eiswürfels anfühlt.<br />
Ist es angenehm, unangenehm oder neutral?<br />
Beobachte, womit sich deine Gedanken beschäftigen. Vielleicht denkst du darüber nach, den Eiswürfel<br />
fallen zu lassen. Oder vielleicht befürchtest du, dass das Wasser auf deine Klamotten tropft. Vielleicht<br />
fragst du dich auch, was diese Übung eigentlich soll. Oder vielleicht denkst du darüber nach, was die<br />
Anderen machen. (längere Pause)<br />
Was spürst du gerade? Spürst du die Nässe des Eiswürfels? Vielleicht tropft etwas Wasser herunter.<br />
Überlege nun erneut, wie das Halten des Eiswürfels für dich ist. Ist es angenehm, unangenehm oder<br />
neutral? (Pause; Eiswürfel entsorgen)<br />
REFLEXION RUNDE 1<br />
Wie war es für euch, den Eiswürfel so lange zu halten?<br />
Gibt es <strong>im</strong> Training Momente, die ähnlich schmerzhaft oder unangenehm sind? Wie reagiert ihr normalerweise<br />
darauf?<br />
Was kann man machen, um nicht auf den vom Eis verursachten Schmerz zu reagieren, weder körperlich,<br />
noch <strong>im</strong> Kopf? (Meinungen sammeln; gängige Antworten: ablenken, sich zusammenreißen, rationalisieren,<br />
z.B. „Davon fällt meine Hand schon nicht ab.“, Handlungsabbruch, d.h. Eiswürfel wegwerfen etc.)<br />
INSTRUKTION RUNDE 2<br />
Ich möchte mit dir in der zweiten Runde eine neue Strategie ausprobieren, die dir helfen könnte, auf<br />
das Eis nicht oder weniger zu reagieren. Sie hat etwas mit dem Beobachten zu tun. (Eiswürfel verteilen)<br />
Konzentrier dich und folge meiner Anweisung, so gut es geht! Versuche, dabei einen „offenen und<br />
neugierigen Kopf“ einzunehmen!<br />
Lenke deine Aufmerksamkeit auf deine Hand. Spüre die Kälte des Eiswürfels in der Handfläche.<br />
Beobachte die Empfindung, die spontan in dir entsteht. Ist die Empfindung der Kälte am Anfang vielleicht<br />
erfrischend oder neutral? (Pause) Wird es nach einer Weile anders? Fühlt sich deine Hand schon<br />
frostig an? Vielleicht kommt langsam schon ein leicht unangenehmes Gefühl auf? Wenn dies passiert,<br />
versuche, die unangenehme Empfindung von Anfang an zu beobachten. Bleib mit deiner Aufmerksamkeit<br />
ganz bei diesem Gefühl. Wird es stärker? Was passiert, wenn du deine Aufmerksamkeit ganz auf<br />
das unangenehme Gefühl lenkst? Wird es nach einer Weile vielleicht sogar wieder schwächer?<br />
Seite 182
Es könnte dir auch helfen, deine Gedanken einfach zu beobachten. Auch sie kommen und gehen nach<br />
einer Weile, wenn du dich nicht weiter mit ihnen beschäftigst. Wenn du einen Gedanken entdeckst, lass<br />
ihn gehen, und lenke deine Aufmerksamkeit zurück auf deinen Atem.<br />
Atme noch drei Mal in deinem Tempo ein und aus.<br />
REFLEXION RUNDE 2<br />
Wie war es für euch in der zweiten Runde, den Eiswürfel so lange zu halten?<br />
Fiel es euch schwer, die Gedanken einfach nur zu beobachten und ihnen nicht nachzugeben?<br />
Hat es dir geholfen, den Atem als Aufmerksamkeitsanker zu nutzen?<br />
ABSCHLIESSENDE ERKLÄRUNG<br />
Im Training gibt es vielleicht ähnlich Unangenehmes wie die Kälte des Eiswürfels. Zum Beispiel kann<br />
es sein, dass bei einer intensiven Übung deine Kraft oder deine Dehnfähigkeit extrem beansprucht<br />
wird oder dass du eine Ausdauerübung als richtig anstrengend empfindest und du am liebsten aufgeben<br />
würdest (alternativ von den <strong>Sport</strong>lern genannte Beispiele aufgreifen). Es ist wichtig, einen Weg zu<br />
finden, damit umzugehen. Eine Möglichkeit ist, Unangenehmes oder sogar Schmerzhaftes so neugierig<br />
zu beobachten, als hättest du es noch nie gesehen. Wenn wir Schmerzhaftes einfach nur ignorieren,<br />
hält der Schmerz länger an oder wird schl<strong>im</strong>mer. Daher wenden wir uns ihm zu und somit kann der<br />
Schmerz abklingen oder wird zumindest leichter erträglich. Falls der Schmerz stark bleibt, kannst du<br />
deine Aufmerksamkeit gezielt auf deinen Atem lenken. Das hilft, länger durchzuhalten.<br />
HINWEIS<br />
Du musst nicht <strong>im</strong>mer das tun, was ein Gedanke oder ein Gefühl dir sagt. Jeder Gedanke bzw. jedes Gefühl<br />
verschwindet irgendwann von alleine wieder. Oft hilft es, den Gedanken oder das Gefühl genauer<br />
zu beobachten, sie anzunehmen und dann loszulassen. Be<strong>im</strong> Losenlassen hilft es dir, dich bewusst auf<br />
deinen Atem zu fokussieren.<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
<strong>Fokus</strong>sierte Aufmerksamkeit auf die eigenen Gedanken, Gefühle und sensorischen Empfindungen.<br />
Aufmerksamkeitswechsel auf den Atem.<br />
Inhibition, um den Eiswürfel nicht sofort spontan wegzuwerfen.<br />
Seite 183
SELBSTGESPRÄCHE UMFORMULIEREN –<br />
ZWEI-SPALTEN-TECHNIK 3<br />
Dr. Dipl.-Psych. Marie Ottilie Frenkel, Institut für <strong>Sport</strong> und <strong>Sport</strong>wissenschaft, Universität Heidelberg<br />
VORBEREITUNG<br />
DIN A4-Papier und Stifte für die/den <strong>Sport</strong>ler bereitlegen.<br />
HINTERGRUND<br />
In herausfordernden Situationen <strong>im</strong> Training und <strong>im</strong> Wettkampf spielen Gedanken und Bewertungen,<br />
die ein <strong>Sport</strong>ler hat, eine besondere Rolle. Zum Beispiel löst der Gedanke: „Jetzt geht’s gleich los!“<br />
andere Gefühle aus, als der Gedanke: „Hoffentlich schaff ich es!“ Die hier vorgestellte Übung identifiziert<br />
leistungshemmende und angstauslösende Gedanken in best<strong>im</strong>mten Situationen. Anschließend<br />
werden alternative, leistungsförderliche Gedanken und Sichtweisen entwickelt. Diese gilt es zu trainieren,<br />
damit sie automatisiert abgerufen werden können.<br />
ZWEI-SPALTEN-TECHNIK<br />
Nach einer kurzen Einführung zum Thema „Selbstgesprächsregulation“ durch den <strong>Sport</strong>psychologen<br />
oder den Trainer werden zunächst typische Selbstgespräche zunächst gesammelt. Dazu faltet man ein<br />
Blatt Papier und schreibt in die rechte Spalte die Inhalte positiver Selbstgespräche (A). Wenn einem<br />
nichts mehr einfällt, notiert man unterhalb der positiven Aussagen in die andere Spalte auf der linken<br />
Seite des Blattes die negativen Selbstgespräche (B). Auf den freien Teil der rechten Seite schreibt man<br />
dann die dazugehörigen neutralen oder positiven Umformulierungen (C).<br />
Heute gewinnen wir!<br />
A<br />
Wir haben die letzten<br />
3 Spiele gewonnen und<br />
schaffen es wieder!<br />
Wir haben super trainiert!<br />
Der Torwart ist ja riesig!<br />
B<br />
Ich spring von außen weit in<br />
den Kreis; den Ball muss er<br />
erstmal kriegen.<br />
C<br />
Die Abwehr ist ganz schön<br />
brutal!<br />
Schon wieder der<br />
Schiedsrichter!<br />
Der hat uns das letzte Mal<br />
verpfiffen.<br />
Wenn wir schnell spielen,<br />
kommen wir durch.<br />
Es kommt auf uns an -<br />
nicht auf den Schiedsrichter.<br />
Seite 184
BEISPIELE FÜR DIE UMWANDLUNG VON LEISTUNGSHINDERLICHE IN<br />
LEISTUNGSFÖRDERLICHE SELBSTGESPRÄCHE<br />
Leichtathletik:<br />
Ein Athlet ist gelegentlich vor Wettkämpfen von Selbstzweifeln geplagt. Sein typischer Gedanke: „Ich<br />
bin mir nicht sicher, ob ich meine gute Zeit aus dem Training <strong>im</strong> Wettkampf laufen kann“, ist leistungshinderlich,<br />
denn er führt dazu, dass der <strong>Sport</strong>ler sich unter Druck gesetzt fühlt und seine Gedanken<br />
um die Sorge kreisen, zu scheitern. Ein positives Selbstgespräch, wie zum Beispiel: „Ich habe mich so<br />
gut, wie ich nur konnte, vorbereitet und werde mein Bestes <strong>im</strong> Wettkampf geben!“, wird dem <strong>Sport</strong>ler<br />
helfen, selbstbewusst in den Wettkampf zu gehen.<br />
Eislaufen:<br />
Eine Eisläuferin hat bei der Kür eine Schlüsselstelle, die ihr <strong>im</strong> Training meistens gelingt. Allerdings<br />
denkt sie sich <strong>im</strong> Wettkampf davor oft: „Mist, gleich kommt die Stelle wieder. Hoffentlich klappt es auch<br />
jetzt!“ Statt sich mit der Befürchtung unnötig zu beschäftigen und zu belasten, sollte sie besser ihre<br />
Aufmerksamkeit durch konkrete Handlungsanweisungen auf die Technik richten. Diese könnten lauten:<br />
„Tief anlaufen, Eindrehen des Schwungbeins, explosives Einlenken der Rotation“. Um das parallel zum<br />
schnellen Sprung sprechen zu können, verwendet sie dafür die nachfolgenden individuellen Kurzbefehle:<br />
„Tief – ein – zack“.<br />
Skifahren:<br />
Ein Slalomfahrer hat nach einer Verletzung am Knie und einer längeren Rehabilitationsphase das<br />
Training wieder aufgenommen. Ein Gedanke beschäftigt ihn <strong>im</strong>mer wieder: „Hoffentlich schmerzt mein<br />
Knie bei der Abfahrt heute nicht!“ Er fokussiert seine Aufmerksamkeit eng nach innen gerichtet und<br />
n<strong>im</strong>mt unbewusst in Rechtskurven eine Schonhaltung ein. Dadurch fährt er langsamer als sonst. Seine<br />
Quintessenz lautet: „Ich kann mein Knie <strong>im</strong>mer noch nicht voll belasten.“ Seine Angst und Selbstzweifel<br />
führen zu einem Teufelskreislauf der Gedanken, und er denkt sich schließlich: “Mein Bein wird nie<br />
wieder voll belastbar sein.“ Ein wichtiger Schritt, um besonders negative Gedanken zu „entkatastrophisieren“<br />
und diesen Kreislauf zu durchbrechen ist, die Aussage umzuformulieren und zu denken: „Ich<br />
werde in den nächsten Wochen mein Bein langsam stärker belasten!“<br />
FAZIT<br />
Das Aufschreiben der Selbstgespräche führt dazu, dass sich <strong>Sport</strong>ler mit den Inhalten ihrer Selbstgespräche<br />
auseinandersetzen. Werden die aufgeschriebenen Umwandlungen der Selbstgespräche wiederholt<br />
bewusst gemacht, übernehmen sie eine positiv handlungsunterstützende, automatisierte Funktion.<br />
TRAINIERTE EXEKUTIVE FUNKTIONEN<br />
Leistungsförderliche Gedanken und Sichtweisen z.B. in Wettkampfsituationen aufrechterhalten.<br />
Inhibition leistungshemmender und angstauslösender Gedanken.<br />
Seite 185
LITERATUR UND HINWEISE<br />
Kapitel 1<br />
1 Jäncke, L. (2013). Lehrbuch Kognitive Neurowissenschaften. Bern: Huber<br />
2 Drechsel, R. (2007). Exekutive Funktionen. Übersicht und Taxonomie. Zeitschrift für<br />
Neuropsychologie, 18(3): 233-248<br />
3 Kubesch, S. (Hrsg.) (2016). Exekutive Funktionen und Selbstregulation. Neurowissenschaftliche<br />
Grundlagen und Transfer in die pädagogische Praxis. Bern: Hogrefe<br />
4 Baddeley, A.D. u. Hitch, G.J. (1974). Working memory. In: G.A. Bower (Hrsg.).<br />
The Psychology of Learning and Motivation, Vol. 8 (47-90). New York: Academic Press<br />
5 Buchner, A. u. Brandt, M. (2011). Gedächtniskonzeptionen und Wissensrepräsentation.<br />
In: J. Müsseler (Hrsg.). Allgemeine Psychologie (429-464). Berlin: Springer<br />
6 Maurach, J. u. Bauer, R. (2016). Exekutive Funktionen <strong>im</strong> offenen Mathematik- und Deutschunterricht<br />
in Grundschulen – am Beispiel von Einstern und Einsterns Schwester. In: S. Kubesch (Hrsg.).<br />
Exekutive Funktionen und Selbstregulation. Neurowissenschaftliche Grundlagen und Transfer in die<br />
pädagogische Praxis (357-368). Bern: Hogrefe<br />
7 Kiefer, M. (2011). Bewusstsein. In: J. Müsseler (Hrsg.). Allgemeine Psychologie (155-188). Berlin: Springer<br />
8 Gathercole, S.E. u. Alloway, T.P. (2008). Working Memory & Learning. A Practical Guide for Teachers.<br />
London: Sage<br />
9 Alloway, T.P. (2011). Improving Working Memory: Supporting Students‘ Learning. London: Sage<br />
10 Au, J., Sheehan, E., Tsai, N., Duncan, G.J., Buschkuehl, M., Jaeggi, S.M. (2015). Improving fluid intelligence<br />
with training on working memory: a meta-analysis. Psychonomic Bulletin & Review, 22: 366-377<br />
11 Kundu, B., Sutterer, D.W., Emrich, S.M., Postle, B.R. (2013). Strengthened effective connectivity<br />
underlies transfer of working memory training to tests of short-term memory and attention.<br />
Journal of Neuroscience, 33(20): 8705-8715<br />
12 García-Madruga, J.A., Elosúa, M.R., Gil, L., Gómez-Veiga, I., Vila, J.O., Orjales, I., Contreras, A.,<br />
Rodríguez, R., Melero, M.A., Duque, G. (2013). Reading Comprehension and Working Memory‘s<br />
Executive Processes: An Intervention Study in Pr<strong>im</strong>ary School Students. Reading Research Quarterly,<br />
48(2): 155-174<br />
13 Jaeggi, S.M., Buschkuehl, M., Shah, P., Jonides, J. (2014). The role of individual differences in cognitive<br />
training and transfer. Memory & Cognition, 42(3): 464-480<br />
14 Loosli, S.V., Buschkuehl, M., Perrig, W.J., Jaeggi, S.M. (2012). Working memory training <strong>im</strong>proves<br />
reading processes in typically developing children. Child Neuropsychology, 18(1): 62-78<br />
15 Studer-Luethi, B., Bauer, C., Perrig, W.J. (2016). Working memory training in children:<br />
Effectiveness depends on temperament. Memory & Cognition, 44(2): 171-186<br />
16 Gathercole, S.E. u. Alloway, T.P. (2016). Arbeitsgedächtnis verstehen. Ein Leitfaden fürs Klassenz<strong>im</strong>mer.<br />
In: S. Kubesch (Hrsg.). Exekutive Funktionen und Selbstregulation. Neurowissenschaftliche Grundlagen und<br />
Transfer in die pädagogische Praxis (323-336). Bern: Hogrefe<br />
17 Furley, P.A. u. Memmert, D. (2012). Working Memory Capacity as Controlled Attention in Tactical Decision<br />
Making. Journal of <strong>Sport</strong> & Exercise Psychology, 34(3): 322-344<br />
18 Theill, N., Schumacher, V., Adelsberger, R., Martin, M., Jäncke L. (2013). Effects of S<strong>im</strong>ultaneously<br />
Performed Cognitive and Physical Training in Older Adults. BMC Neuroscience, 14: 103<br />
19 Unter „Mein Fußball“ (http://www.dfb.de/mein-fussball/), dem Serviceportal des Deutschen Fußball-<br />
Bundes, finden sich zahlreiche, nach Altersklassen sortierte Trainingseinheiten und Trainingstipps<br />
20 Wendt, C., Göckel, M., Kubesch, S., Hansen, S. (2015). ExF-Trainingshandbuch Fußball. Heidelberg:<br />
Verlag Bildung plus<br />
21 Weitere Informationen zu ExF: www.exf-sport.com<br />
22 Maraver, M.J., Bajo, M.T., Gomez-Ariza, C.J. (2016). Training on Working Memory and Inhibitory Control<br />
in Young Adults. Frontiers in Human Neuroscience, 10: 588-??<br />
23 Vgl. Lexikon der Psychologe zum Stroop-Effekt: www.spektrum.de/lexikon/psychologie/stroop-effekt/14982<br />
Seite 186
24 Berkman, E.T., Kahn, L.E., Merchant, J.S. (2014). Training-induced changes in inhibitory control network<br />
activity. The Journal of Neuroscience, 34(1): 149-157<br />
25 Verburgh, L., Scherder, E.J.A., van Lange, P.A., Oosterlaan, J. (2014). Executive Functioning in Highly Talented<br />
Soccer Players. PLoS ONE 9(3): e91254. doi:10.1371/journal.pone.0091254<br />
26 Deutscher Baseball & Softball Verband (Hrsg.) (2014). Regelheft Baseball. Aachen: Meyer & Meyer<br />
27 Kida, N., Oda, S., Matsumura, M. (2005). Intensive Baseball Practice Improves the Go/Nogo<br />
Reaction T<strong>im</strong>e, but not the S<strong>im</strong>ple Reaction T<strong>im</strong>e. Cognitive Brain Research, 22: 257-264<br />
28 Chan, J.S.Y., Wong, A.C.N., Liu, Y., Yu, J., Yan, J.H. (2014). Fencing expertise and physical fitness enhance<br />
action inhibition. Psychology of <strong>Sport</strong> and Exercise, 12(5): 509-514<br />
29 Hijazi, M.M.K. (2013). Attention, Visual Perception and their Relationship to <strong>Sport</strong> Performance in Fencing.<br />
Journal of Human Kinetics, 39: 195-201<br />
30 Zinke, K., Einert, M., Pfennig, L., Kliegel, M. (2012). Plasticity of Executive Control through Task Switching<br />
Training in Adolescents. Frontiers in Human Neuroscience, 6: 41. doi: 10.3389/fnhum.2012.00041<br />
31 Minear, M., Shah, P. (2008). Training and transfer effects in task switching. Memory & Cognition,<br />
36(8): 1470-1483<br />
32 Karbach, J., Kray, J. (2009). How useful is executive control training? Age differences in near and far<br />
transfer of task-switching training. Developmental Science, 12: 978-990<br />
33 Kubesch, S. (2013). Förderung exekutiver Funktionen und der Selbstregulation <strong>im</strong> <strong>Sport</strong>.<br />
PFiFF Lehrwerk. Heidelberg: Verlag Bildung plus<br />
34 Kubesch, S. (2016). Entwicklung, Testung und neuronale Korrelate „kalter“ und „heißer“ exekutiver<br />
Funktionen. In: S. Kubesch (Hrsg.). Exekutive Funktionen und Selbstregulation. Neurowissenschaftliche<br />
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38 Bezieht sich auf: Brunsting, M. (2016). Exekutive Funktionen und Lernschwierigkeiten oder:<br />
Wo ist denn hier der Regisseur? In: S. Kubesch (Hrsg.). Exekutive Funktionen und Selbstregulation.<br />
Neurowissenschaftliche Grundlagen und Transfer in die pädagogische Praxis (337-356). Bern: Hogrefe<br />
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Kapitel 2<br />
1 Abbildung modifiziert nach: Stroth, S., Kubesch, S., Dieterle, K., Ruchsow, M., He<strong>im</strong>, R., Kiefer, M. (2009).<br />
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41 Mit dem Elektroenzephalogramm (EEG) wird die elektrische Aktivität des Gehirns gemessen, vergleichbar<br />
dem EKG, das die elektrische Aktivität des Herzens aufzeichnet.<br />
42 EKP: Ereigniskorrelierter Potentiale<br />
43 CNV: Contingent Negative Variation<br />
44 Stroth, S., Kubesch, S., Dieterle K., Ruchsow M., He<strong>im</strong> R., Kiefer M. (2009). Physical fitness, but not acute<br />
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45 Die N2 bzw. N200 erreicht ihren (<strong>im</strong> negativen [N] Bereich gelegenen) Höhepunkt zwischen 150 und 300<br />
Millisekunden nach Präsentation eines St<strong>im</strong>ulus.<br />
46 Hogan, M., Kiefer, M., Kubesch, S., Collins, P., Kilmartin, L., Brosnan, M. (2013). The interactive effects of<br />
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87 Engbert, K., Frenkel, M.O. (2010). Gut sein, wenn‘s drauf ankommt. Anwendung sportpsychologischer<br />
Trainingsformen <strong>im</strong> (Leistungs-)<strong>Sport</strong>, Proseminar an der Universität Heidelberg, Sommersemester 2010<br />
88 Kellmann, M., Kallus, K.W. (2000). Der Erholungs-Belastungs-Fragebogen (EBF); Handanweisung.<br />
Frankfurt am Main: Swets Test Services<br />
89 Engbert, K., Frenkel, M.O. (2010). Gut sein, wenn‘s drauf ankommt. Anwendung sportpsychologischer<br />
Trainingsformen <strong>im</strong> (Leistungs-)<strong>Sport</strong>, Proseminar an der Universität Heidelberg, Sommersemester 2010<br />
90 Vgl. Kapitel 5 (184f.): Selbstgespräche umformulieren – Zwei-Spalten-Technik<br />
91 Eberspächer, H. (2012). Mentales Training: Das Handbuch für Trainer und <strong>Sport</strong>ler (8. Aufl.). München:<br />
Copress <strong>Sport</strong><br />
92 Vgl. Kapitel 5 (180f.): Bodyscan<br />
93 Kabat-Zinn, J. (1990). Full catastrophe living: Using the Wisdom of Your Body and Mind to Face Stress, Pain,<br />
and Illness. The program of the Stress Reduction Clinic at the University of Massachusetts Medical Center.<br />
New York: Delta<br />
94 Der Name des Achtsamkeitstrainings „8-sam“ stellt ein Wortspiel dar und wird „achtsam“ gelesen.<br />
95 Abbildung modifiziert nach Birrer, D., Röthlin, P. (2015). Riding the third wave: Mindfulness and ACT based<br />
interventions in elite sports. Workshop at the 14th European Congress of <strong>Sport</strong> Psychology (FEPSAC),<br />
18.7.2015<br />
96 Engbert, K. (2011). Mentales Training <strong>im</strong> Leistungssport. Ein Übungsbuch für den Schüler- und<br />
Jugendbereich. Stuttgart: Neuer <strong>Sport</strong>verlag<br />
97 Die Arbeitsgemeinschaft für <strong>Sport</strong>psychologie (asp) hat eine Fort- und Ausbildungsstruktur für den<br />
Fachbereich <strong>Sport</strong>psychologie entwickelt. Es gibt zwei Curricula mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten:<br />
1. Modulserie: <strong>Sport</strong>psychologisches Training <strong>im</strong> Leistungssport und 2. Modulserie: <strong>Sport</strong>psychologisches<br />
Coaching <strong>im</strong> Leistungssport.<br />
98 Zelazo, P.D., Lyons, K.E. (2016). Das Potenzial frühkindlichen Achtsamkeitstrainings: Neurowissenschaftliche<br />
Perspektive auf entwicklungsbezogene und sozial-kognitive Prozesse. In: S. Kubesch (Hrsg.). Exekutive<br />
Funktionen und Selbstregulation. Neurowissenschaftliche Grundlagen und Transfer in die pädagogische<br />
Praxis (103-115). Bern: Hogrefe<br />
Seite 192
99 Mayer, J., Hermann, H.-D. (2009). Mentales Training. Grundlagen und Anwendung in <strong>Sport</strong>, Rehabilitation,<br />
Arbeit und Wirtschaft. Berlin/Heidelberg: Springer<br />
100 Frenkel, M.O. (2016). Achtsamkeitstraining in der Schule. In: Kubesch, S. (Hrsg.). Exekutive Funktionen und<br />
Selbstregulation. Neurowissenschaftliche Grundlagen und Transfer in die pädagogische Praxis (231-246).<br />
Bern: Hogrefe<br />
Kapitel 4<br />
1 Baumeister, R., Tierney, J. (2012). Die Macht der Disziplin. Wie wir unseren Willen trainieren können.<br />
Frankfurt a.M.: Campus<br />
2 Baumeister, R.F. (2016). Wo ein Wille ist… In: S. Kubesch (Hrsg.). Exekutive Funktionen und Selbstregulation.<br />
Neurowissenschaftliche Grundlagen und Transfer in die pädagogische Praxis (67-73). Bern: Hogrefe<br />
3 Spitzer, M. (2016). Smart Sheriff gegen Smombies. Nervenheilkunde, 3: 95-102<br />
4 Hofer, V., Kubesch, S., (2016). Weit entfernt von Bullerbü. Förderung der Selbstregulation – Tipps für<br />
Eltern. In: S. Kubesch (Hrsg). Exekutive Funktionen und Selbstregulation. Neurowissenschaftliche<br />
Grundlagen und Transfer in die pädagogische Praxis (279-294). Bern: Hogrefe<br />
5 Lakes, K.D, Hoyt, W.T. (2004). Promoting self-regulation through school-based martial arts training.<br />
Applied Developmental Psychology, 25: 283-302<br />
6 Trulson, M.E. (1986). Martial arts training: a novel “cure” for juvenile delinquency. Human Relations,<br />
39: 1131-1140<br />
7 Flook, L., Smalley, S.L., Kitil, M.J., Galla, B.M., Kaiser-Greenland, S., Locke, J. (2010). Effects of Mindful<br />
Awareness Practices on Executive Functions in Elementary School Children. Journal of Applied School<br />
Psychology, 26:70-95<br />
8 Moffitt, T.E., Arseneault, L., Belsky, D., Dickson, N., Hancox, R.J., Harrington, H.L., Houts, R., Poulton, R.,<br />
Roberts, B.W., Ross, S., Sears, M.R, Thomson, W.M., Caspi, A. (2011). A gradient of childhood self-control<br />
predicts health, wealth, and public safety. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United<br />
States of America,108(7): 2693-2698<br />
9 Weitere Informationen zu PFiFF unter: www.spielsportplus.de<br />
10 Kubesch, S. (2013). Förderung exekutiver Funktionen und der Selbstregulation <strong>im</strong> <strong>Sport</strong>. PFiFF Lehrwerk.<br />
Heidelberg: Verlag Bildung plus<br />
11 Posawatz, T., Kubesch, S., Hansen, S. (2017). <strong>Sport</strong>liche Spiele mit PFiFF. Heidelberg: Verlag Bildung plus<br />
12 Bloomquist, M.L. (2013). The Practitioner Guide to Skills Training for Struggling Kids.<br />
New York: The Guilford Press<br />
13 Greene, R.W. (2012). Verloren in der Schule. Wie wir herausfordernden Kindern helfen können. Bern: Huber<br />
14 Karr, M. (2016). ADHS und ADS in der Schule. Informationen und Empfehlungen eines Kinder- und Jugendpsychiaters.<br />
In: S. Kubesch (Hrsg.) Exekutive Funktionen und Selbstregulation. Neurowissenschaftliche<br />
Grundlagen und Transfer in die pädagogische Praxis (205-216). Bern: Hogrefe<br />
15 Siegel, D.J., Bryson, T.P. (2015). Disziplin ohne Drama. Achtsame Kommunikation mit Kindern.<br />
Freiburg: Arbor<br />
16 Zelazo, P.D., Lyons, K.E. (2016). Das Potenzial frühkindlichen Achtsamkeitstrainings: Neurowissenschaftliche<br />
Perspektive auf entwicklungsbezogene und sozial-kognitive Prozesse. In: S. Kubesch (Hrsg.) Exekutive<br />
Funktionen und Selbstregulation. Neurowissenschaftliche Grundlagen und Transfer in die pädagogische<br />
Praxis (103-115). Bern: Hogrefe<br />
17 Kubesch, S., Lenz, D., Hansen, S. (2017). Selbstregulation fördern, exekutive Funktionen trainieren.<br />
Kopiervorlagen für Unterricht und Therapie. Heidelberg: Verlag Bildung plus<br />
18 Z<strong>im</strong>pfer, S.C. (2016). Förderung der exekutiven Funktionen bei Kindern <strong>im</strong> Vorschulalter durch das <strong>Sport</strong>konzept<br />
„PFiFF“. Masterarbeit. Karlsruher Institut für Technology (KIT)<br />
19 Daseking, M., Petermann, F. (2013). BRIEF-P. Verhaltensinventar zur Beurteilung exekutiver Funktionen für<br />
das Kindergartenalter. Bern: Huber<br />
20 McClelland, M.M., Cameron, C.E., Connor, C.M., Farris, C.L., Jewkes, A. M., Morrison, F.J. (2007).<br />
Links between behavioral regulation and preschoolers’ literacy, vocabulary, and math skills. Developmental<br />
Psychology, 43: 947-959<br />
Seite 193
21 McClelland, M.M., Cameron, C.E., Duncan, R., Bowles, R.P., Acock, A.C, Miao, A, Pratt, M.E. (2014).<br />
Predictors of early growth in academic achievement: the head-toes-knees-shoulders task. Frontiers in<br />
Psychology, 5: 599. doi: 10.3389/fpsyg.2014.00599<br />
22 Eisenberger, N.I., Lieberman, M.D., Williams, K.D. (2003). Does Rejection Hurt? An fMRI study of social<br />
exclusion. Science, 302, 290-292<br />
Kapitel 5<br />
1 Kaiser Greenland, S. (2011). Wache Kinder: Wie wir unseren Kindern helfen, mit Stress umzugehen und<br />
Glück, Freude und Mitgefühl zu erleben. Freiburg <strong>im</strong> Breisgau: Arbor<br />
2 Albert, A. (2013). Stressbewältigung durch Achtsamkeit, MBSR-Kurs in Heidelberg<br />
3 Biegel, G. M. (2009). The stress reduction workbook for teens: Mindfulness skills to help you deal with<br />
stress. Oakland: Instant Help Books<br />
4 Altner, N. (2006). Achtsamkeit und Gesundheit. Auf dem Weg zu einer achtsamen Pädagogik. Immenhausen:<br />
Prolog<br />
5 Kabat-Zinn, J. (1999). Stressbewältigung durch die Praxis der Achtsamkeit . Freiburg: Arbor<br />
6 Engbert, K. (2011). Mentales Training <strong>im</strong> Leistungssport – Ein Übungsbuch für den Schüler- und Jugendbereich.<br />
Stuttgart: Neuer <strong>Sport</strong>verlag<br />
Seite 194
Vom neuen Platzwart.
€ 21,90<br />
ISBN 978-3-95637-000-7<br />
verlag-bildungplus.org