Klassische Dipolstrahlung Winkelverteilungen
Klassische Dipolstrahlung Winkelverteilungen
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Elektromagnetische Übergänge 143<br />
11 Elektromagnetische Übergänge<br />
11.1 Strahlungscharakter, Erhaltungssätze, Auswahlregeln<br />
Übergänge zwischen verschiedenen Zuständen in einem Kern finden durch elektromagneti-<br />
sche Übergänge unter Emission eines Photons oder eines Konversionselektrons statt. Wir<br />
betrachten die Emission eines Gammaquants beim Übergang von einem Anfangszustand<br />
|i〉 in einen Endzustand |f〉. Der Anfangszustand hat die Energie Ei, die Parität πi und den<br />
totalen Drehimpuls Ii mit magnetischem Unterzustand Mi. Der Endzustand hat entspre-<br />
chend den Energieeigenwert Ei sowie die Quantenzahlen πf , If und Mf . Das Photon hat<br />
die Energie Eγ = �ω, die Paritiät πγ sowie einen Drehimpuls l mit Projektion µ. Aufgrund<br />
der Erhaltungssätze für Energie, Drehimpuls und Parität gelten folgende Relationen:<br />
Ei = Ef + �ω (197)<br />
|Ii − If | ≤ l ≤ Ii + If<br />
(198)<br />
Mi = Mf + µ (199)<br />
πi = πf · πγ<br />
(200)<br />
In der klassischen Elektrodynamik wurde bei der Betrachtung von Strahlungsfeldern eine<br />
Multipolentwicklung dieser Felder durchgeführt. Ausgehend von den Maxwell-Gleichungen<br />
für den quellenfreien Raum (im Gaußschen System. Für SI-Einheiten müssen E mit<br />
1/ √ 4πε0 und B mit � µ0/4π multipliziert werden. Es gilt 1/c 2 = ε0µ0.):<br />
rot � E = − ˙ � B/c rot � B = ˙ �E/c div � B = div � E = 0. (201)<br />
Wenn die Zeitabhängigkeit der Felder gemäss e −iωt geht, bekommt man (k = ω/c):<br />
rot � E = ik � B rot � B = −ik � E. (202)<br />
Damit kann man entweder E oder B eliminieren (rot rot = grad div − ∆):<br />
Lösung E : (∆ + k 2 ) � B = 0 � E = i<br />
k rot � B (203)<br />
Lösung M : (∆ + k 2 ) � E = 0 � B = − i<br />
k rot � E (204)<br />
(205)<br />
Die Lösungen der skalaren Wellengleichung (∆ + k 2 )φ = 0 für ein kugelsymmetrisches<br />
Problem sind φlm = fl(kr)Ylm(θ, φ), also ein Produkt aus einer reinen Radialfunktion, im<br />
wesentlichen sind dies Besselfunktionen, und den Kugelflächenfunktionen, Eigenfunktionen
144 Elektromagnetische Übergänge<br />
zu gutem Drehimpuls. Damit liegt es nahe die Lösungen der vektoriellen Wellengleichung<br />
als<br />
Lösung E :<br />
Lösung M :<br />
� Blm = fl � lYlm<br />
� Elm = fl � lYlm<br />
�Elm = i<br />
k rot � Blm<br />
�Blm = −i<br />
k rot � Elm<br />
(206)<br />
(207)<br />
zu schreiben. In der Literatur wird häufig die vektorielle Kugelflächenfunktion � Xlm =<br />
√ 1 �lYlm verwendet.<br />
l(l+1)<br />
Jedes beliebige elektromagnetische Feld lässt sich nun nach diesem Satz von Funktionen<br />
entwickeln, also z.B.<br />
�B = �<br />
αlmfl � i<br />
lYlm − βlm<br />
k rotfl �lYlm l,m<br />
Eine solche Multipolentwicklung wird auch für die bei elektromagnetischen Übergängen<br />
zwischen Kernzuständen emittierte Gammastrahlung verwendet. Oft spielen nur eine oder<br />
wenige Multipolordnungen, die mit l bezeichnet werden, eine Rolle bei einem bestimmten<br />
Gammaübergang.<br />
Man unterscheidet grundsätzlich zwischen elektrischem und magnetischem Strahlungs-<br />
charakter, was von der Richtung des elektrischen Feldvektors � E abhängt. Wir werden den<br />
Strahlungscharakter mit σ ∈ (E, M) abkürzen. Man kann sich dies am einfachen Bei-<br />
spiel der Emission von <strong>Dipolstrahlung</strong> klar machen. Ein schwingender elektrischer Dipol<br />
(Hertzscher Dipol) emittiert natürlich elektrische <strong>Dipolstrahlung</strong>, während ein schwin-<br />
gender magnetischer Dipol magnetische Strahlung emittiert. Die Abbildung zeigt eine<br />
Leiteranordnung, die bei einer angelegten Wechselspannung an die von links kommenden<br />
Leiterenden eine oszillierende Ladung am rechten Ende erzeugt, also einen schwingenden<br />
elektrischen Dipol, der elektrische Strahlung (σ = E) emittiert. Wie man erkennt, steht<br />
in diesem Fall der elektrische Feldvektor � E in einer Ebene mit dem Dipolmoment. Der in<br />
der Abbildung gezeigte Kreisstrom repräsentiert einen schwingendes magnetisches Dipol-<br />
moment, wenn eine Wechselspannung anliegt. In diesem Fall wird magnetische Strahlung<br />
(σ = M) emittiert, bei der der magnetische Feldvektor � B in einer Ebene mit dem Dipol-<br />
moment steht und entsprechend der elektrischen Feldvektor hierzu senkrecht steht.<br />
Für die Paritäten gilt<br />
⎧<br />
⎨(−1)<br />
πγ =<br />
⎩<br />
l für (El)−Strahlung<br />
(−1) l+1 für (Ml)−Strahlung<br />
(208)<br />
In der Sprache der zugehörigen Quantenfeldtheorie, der Quantenelektrodynamik, wird Di-<br />
polstrahlung mit einem abgestrahlten Photon mit Drehimpuls l = 1, Quadrupolstrahlung<br />
mit einem abgestrahlten Photon mit Drehimpuls l = 2 usw. assoziiert.<br />
Die Tabelle gibt eine kurze Übersicht mit einigen Beispielen für die in der Kernphysik<br />
wichtigsten Multipolstrahlungsarten. In Praxis spielen nur diejenige(n) mit der niedrig-
11.2 Winkelverteilung und Polarisation 145<br />
|∆I| keine Paritätsänderung Paritätsänderung<br />
0 (kein 0 → 0) M1, E2 (M3, E4, . . .) E1 (M2, E3, . . .)<br />
1 M1, E2 (M3, E4, . . .) E1 (M2, E3, . . .)<br />
2 E2 (M3, E4, . . .) M2, E3 (M4, E5, . . .)<br />
3 M3, E4 (M5, E6, . . .) E3 (M4, E5, . . .)<br />
4 E4 (M5, E6, . . .) M4, E5 (M6, E7, . . .)<br />
sten erlaubten Multipolordnung eine wesentliche Rolle. Warum wird im Abschnitt zu Über-<br />
gangswahrscheinlichkeiten diskutiert.<br />
11.2 Winkelverteilung und Polarisation<br />
Die Multipolordnung, also der vom Photon getragene Drehimpuls, lässt sich aus der Mes-<br />
sung der Winkelverteilung der emittierten Gammastrahlung bestimmen.<br />
Jede Projektion µ der elektromagnetischer Strahlung mit der Multipolordnung l hat in<br />
Bezug auf die Quantisierungsachse des Systems eine charakteristische Winkelverteilung.<br />
Die Abbildung zeigt die <strong>Winkelverteilungen</strong> für die verschiedenen Projektionen µ von<br />
Dipol- bzw. Quadrupolstrahlung. Die gezeigten Verteilungen repräsentieren einen Schnitt<br />
durch eine um die z-Achse rotationssymmetrische Verteilung.<br />
Es ist nur möglich eine Winkelverteilung für einen Gammaübergang zu messen, wenn<br />
nicht alle Projektionen µ gleich häufig vorkommen, da die Summe über die 2l + 1 Beiträge<br />
mit −l ≤ µ ≤ l eine isotrope Verteilung ergibt. Dies folgt aus den Eigenschaften der<br />
Kugelflächenfunktionen.<br />
Eine Winkelverteilung der Strahlung kann man durch eine ungleiche Besetzung der ma-<br />
gnetischen Unterzustände Mi des Anfangszustands erreichen. Zum Beispiel kann der Dreh-<br />
impuls bei der Kollision zweier Kerne immer nur senkrecht auf der Strahlachse stehen, die<br />
gleichzeitig die einzig ausgezeichnete Richtung und damit die Quantisierungsachse dar-<br />
stellt. Damit werden also in einer solchen Kollision zunächst nur M = 0 Unterzustände<br />
besetzt. Beim β-Zerfall hingegen sind üblicherweise die Kernspins nicht orientiert, wenn<br />
kein äusseres Magnetfeld anliegt, und die emittierte Gammastrahlung beim Gammazerfall<br />
angeregter Zustände im Tochterkern ist somit isotrop. Dies ist der typische Fall für ein<br />
radioaktives Eichpräparat im Labor.<br />
Während also die Messung der Winkelverteilung Aufschluss über die Multipolordnung<br />
gibt, ist es nur durch die Messung der Polarisation der Gammastrahlung, also der Richtung<br />
des � E-Feldes in Bezug auf das Multipolmoment, möglich, den Strahlungscharakter, also<br />
ob es sich um eine El- oder Ml-Strahlung handelt, zu bestimmen.<br />
Ein sehr verbreitetes Instrument zur Bestimmung der Polarisation der Gammastrahlung ist<br />
das Comptonpolarimeter, das es in vielen verschiedenen Ausführungen gibt. Das Compton-
146 Elektromagnetische Übergänge<br />
Polarimeter macht sich zu nutzen, dass Compton-Streuung, also die Streuung eines Pho-<br />
tons an einem freien Elektron, bevorzugt in einer Ebene stattfindet, die senkrecht zum<br />
�E-Vektor der Gammastrahlung steht. Der Wirkungsquerschnitt wird quantitativ durch<br />
die Klein-Nishina Formel beschrieben.<br />
Die Abbildung zeigt das Prinzip des Comptonpolarimeters. Die Strahlachse und die Aus-<br />
breitungsrichtung des Photons definieren eine Ebene, bezüglich der der elektrische Feldvek-<br />
tor parallel (elektrische Strahlung, γ = 0 ◦ ) oder senkrecht (magnetische Strahlung, γ = 0 ◦ )<br />
ausgerichtet ist. Es wird ein Detektor unter 90 ◦ zur Strahlachse aufgestellt. Gammastrah-<br />
lung, die vom Target emittiert wird, kann durch Compton-Streuung in diesem Detektor,<br />
dem sog. Streuer, in einen der beiden anderen Zähler, den Analysatoren, gestreut werden.<br />
Ein Analysator steht dabei in der durch Strahlachse und Streuer aufgespannten Ebene,<br />
während sich der zweite Analysator senkrecht zu dieser Ebene, oberhalb des Streuers be-<br />
findet. Man vergleicht nun für jede Photonenenergie, also der Summe der in Streuer und<br />
Analysator deponierten Energien, die Asymmetrie A der Zählraten, die vom in der Ebene<br />
befindlichen Anaylsator (N �) bzw. dem senkrecht zur Ebene angeordneten Analysators<br />
(N⊥) detektiert wird:<br />
A = N� − N⊥<br />
.<br />
N� + N⊥<br />
Ein positiver Wert von A bedeutet also elektrische Strahlung (E) und ein negativer Wert<br />
magnetische Strahlung (M).<br />
Die Messung von Winkelverteilung und Polarisation ermöglichen es also, die Multipol-<br />
ordnung und den Strahlungscharakter eines Gammaübergangs zu bestimmen und somit<br />
Kernspin und Parität des Anfangszustandes relativ zum Endzustand zu bestimmen.<br />
11.3 Übergangswahrscheinlichkeiten<br />
Wie bereits aus der Diskussion von Fermis Goldener Regel klar ist, hängt die Übergangs-<br />
wahrscheinlichkeit vom Matrixelement zwischen Anfangs- und Endzustand mit dem Über-<br />
gangsoperator ab.<br />
Betrachten wir jedoch zunächst wieder die klassische Multipolantenne. Für die von ihr<br />
abgestrahlte Leistung gilt (dabei bedeutet z.B. 5!! = 5 · 3 oder 6!! = 6 · 4 · 2):<br />
P (σl) =<br />
8π(l + 1)<br />
l[(2l + 1)!!] 2<br />
Mσl ist dabei das Multipolmoment der Antenne.<br />
�<br />
ω<br />
�2l+2 M<br />
c<br />
2 σl . (209)<br />
Quantenmechanisch ist die Ausgangsleistung die Anzahl der pro Zeiteinheit emitterten<br />
Photonen der Energie Eγ = �ω. Damit ergibt sich als Übergangswahrscheinlichkeit oder<br />
-rate:<br />
Ti→f(σl) =<br />
P (σl)<br />
�ω<br />
= C(σl)E2l+1<br />
γ |〈f|M(σl, µ)|i〉| 2 . (210)
11.3 Übergangswahrscheinlichkeiten 147<br />
Dabei ist M(σl, µ) der Multipoloperator, der den Übergang induziert. Z.B. hatten wir<br />
bereits den elektrischen Quadrupoloperator M(E2, µ) = er 2 Y2µ(θ, φ) eingeführt.<br />
Wenn kein äusseres Magnetfeld anliegt, sind jedoch alle magnetischen Unterzustände von<br />
|i〉 und |f〉 entartet und es ist nicht möglich zu wissen, zwischen welchen beiden ma-<br />
gnetischen Unterzuständen der Übergang stattgefunden hat. Zusätzlich ist es für einen<br />
bestimmten Ausgangszustand |Ii, Mi〉 möglich in verschiedene Endzustände |If, Mf〉 zu<br />
zerfallen. Daher wird zum Vergleich mit experimentellen Daten bei der theoretischen Be-<br />
rechnung der Übergangswahrscheinlichkeit über alle Anfangszustände gemittelt und eine<br />
Summe über die Endzustände gebildet.<br />
Mathematisch korrekt wird dies mit Hilfe des Wigner-Eckart-Theorems durchgeführt, das<br />
folgendes aussagt: Das Matrixelement des Operators M(σl, µ) kann faktorisiert werden in<br />
• einen Anteil, der von der Orientierung, also den magnetischen Unterzuständen un-<br />
abhängig ist, und<br />
• einen Anteil, der die orientierungsabhängige Kopplung enthält, die durch einen<br />
Clebsch-Gordan-Koeffizienten (er beschreibt den Überlapp einer Wellenfunktion<br />
|IiMi〉 mit einer Kopplung aus zwei Wellenfunktionen |IfMf〉 bzw. |lµ〉) gegeben<br />
ist:<br />
〈f|M(σl, µ)|i〉 = 〈IfMflµ|IiMi〉〈If�M(σl)�Ii〉 (211)<br />
Der Ausdruck 〈If�M(σl)�Ii〉 wird als reduziertes Matrixelement bezeichnet. Zu seiner Be-<br />
rechnung genügt es offenbar ein einziges Matrixelement 〈f|M(σl, µ)|i〉 explizit zu berech-<br />
nen.<br />
Damit lässt sich die sogenannte reduzierte Übergangsstärke B(σl) definieren als:<br />
1<br />
B(σl; Ii → If) =<br />
2Ii + 1<br />
�<br />
Mf,Mi<br />
|〈f|M(σl, µ)|i〉| 2 1<br />
=<br />
2Ii + 1 |〈If�M(σl)�Ii〉| 2 . (212)<br />
Die Übergangswahrscheinlichkeit Pi→f(σl) bzw. die Zerfallskonstante λ, wie sie in der<br />
Beschreibung des radioaktiven Zerfalls verwendet wird, oder auch das Inverse, nämlich die<br />
Lebensdauer τ oder die Halbwertszeit T 1/2 (ln 2 τ = T 1/2), wird zu<br />
Pi→f(σl) = λ = 1<br />
τ<br />
= ln 2<br />
T 1/2<br />
= C(σl) (Eγ) 2l+1 B(σl; Ii → If) (213)<br />
Man sieht, dass die kernphysikalisch interessante Information, nämlich das Matrixelement<br />
des Übergangs, in der reduzierten Übergangswahrscheinlichkeit steckt. Natürlich spielt<br />
auch der Energiefaktor (Eγ) 2l+1 aufgrund der vorkommenden Potenzen eine wichtige Rol-<br />
le für die Zerfallsraten. Er gibt aber keinen Aufschluss über die Struktur der an dem<br />
Übergang beteiligten Kernzustände.<br />
In der Tabelle sind die Vorfaktoren C(σl) aufgelistet. Dabei sind die Energien in MeV,<br />
die B(El)-Werte in e 2 fm 2l und die B(Ml)-Werte in µ 2 N fm2l−2 einzusetzen, um die T (σl)<br />
in 1/s zu bekommen.
148 Elektromagnetische Übergänge<br />
Man sieht sofort, dass die Werte sehr schnell mit wachsender Multipolordnung kleiner<br />
werden. Das erkärt auch, warum der Zerfall immer durch den Übergang mit der niedrigsten<br />
erlaubten Multipolordnung dominiert wird. Man sieht auch, dass magnetische Übergänge<br />
bei gleicher Multipolordnung deutlich schächer sind. Das erklärt, warum Ml ′ mit El bei<br />
l = l ′ + 1 konkurrieren kann, aber nicht umgekehrt, also z.B. E2 mit M1, aber nicht M2<br />
mit E1, auch wenn es nach den Auswahlregeln erlaubt wäre.<br />
Messen kann man reduzierte Übergangsstärken z.B. über den radioaktiven Zerfall von<br />
angeregten Zuständen:<br />
n(t) = n(0) e −λt .<br />
Nach dieser formalen Einführung der Übergangsstärken soll mit den nachfolgenden<br />
Abschätzungen ein Gefühl für die Grössenordnung der Zerfallsraten für die Strahlung<br />
mit verschiedenem Multipolcharakter vermittelt werden.<br />
Simple Abschätzung: Der Einfachheit halber beschränken wir uns hier auf die Betrach-<br />
tung von elektrischer Strahlung, man kann jedoch eine ähnliche Argumentation auch für<br />
magnetische Strahlung durchführen. Der Multipoloperator der elektrischen Strahlung hat<br />
eine radiale Abhangigkeit der Ordnung r l . Die Zerfallsrate T (El) hängt damit von r 2l und<br />
von E 2l+1 ab. Drückt man die Energie über die Wellenlänge λ aus, so ergibt sich für T (El)<br />
die Proportionalität:<br />
T (El) ∝ 1<br />
λ<br />
�<br />
r<br />
�2l .<br />
λ<br />
Wenn man typische Werte wie λ = 600 fm (entspricht Eγ ≈ 0.5 MeV, denn λ = c/ν =<br />
hc/Eγ = 197 · 2π/0.5 fm) und r = 6 fm (A ≈ 125) einsetzt, sieht man leicht, dass die<br />
Übergangswahrscheinlichkeit pro Multipolordnung um einen Faktor (r/λ) 2 = 10 −4 kleiner<br />
wird. Hohe Multipolordnungen wie l = 5 oder l = 6 treten also nur in sehr speziellen<br />
Fällen auf, wo niedrigere Werte verboten sind. Solche Zustände haben entsprechend sehr<br />
grosse Lebensdauern, man spricht dann von sogenannten isomeren Zuständen.<br />
Diese Unterdrückung ist in Atomen nach grösser, wo der Faktor in der Grössenordnung<br />
von 10 −6 liegt und praktisch nur Dipolübergänge stattfinden.<br />
Weisskopf-Abschätzung: Unter der sehr vereinfachenden Annahme, dass es sich bei<br />
Übergang um den Übergang eines einzelnen Nukleons von einem Orbital in ein anderes<br />
Orbital handelt, kann man das reduzierte Matrixelement mit der z.B. im Schalenmodell<br />
gewonnenen Einteilchen-Wellenfunktionen direkt durch Integration ausrechnen.<br />
Von Weisskopf stammt eine sehr einfache Abschätzung für das Ergebnis. Dazu wird zusätz-<br />
lich angenommen, dass<br />
• das Integral über Winkelanteil einen konstanten Faktor ergibt;<br />
�<br />
4<br />
• die Radialwellenfunktion im Kerninneren konstant ist ( = 1/ 3πR3 0 , damit sie auf<br />
das Kernvolumen normiert ist) und am Kernrand bei R0 instantan auf 0 abfällt.<br />
Damit bekommt man für das Integral über die Radialkoordinate:
11.4 Konversionselektronen 149<br />
1<br />
4<br />
3 πR3 0<br />
�<br />
R0<br />
0<br />
r l r 2 dr = 1<br />
4<br />
3 πR3 0<br />
R l+3<br />
0 1<br />
=<br />
l + 3 4π<br />
Damit ergeben sich die sogenannten Weisskopf-Abschätzungen:<br />
�<br />
3<br />
BW(El) = C(El)<br />
l + 3<br />
3<br />
l + 3 Rl 0.<br />
� 2<br />
e 2 R 2l<br />
0 = C ′ (El)A 2l/3<br />
� �2 3<br />
BW(Bl) = C(Bl) µ<br />
l + 3<br />
2 NR 2l−2<br />
0 = C ′ (Bl)A (2l−2)/3<br />
(214)<br />
(215)<br />
Oftmals werden B(σl) relativ zu dieser Abschätzung in sogenannten Weisskopf-Einheiten<br />
W.u. (Weisskopf units) angegeben. Werte in der Grössenordnung 1 deuten dann auf Ein-<br />
teilchenanregungen hin. Grössere Werte, also einige 10 bis zu 10 3 W.u., in diesem Bereich<br />
beobachtet man experimentelle Werte, weisen auf sogenannte kollektive Anregungen hin,<br />
an denen viele Nukleonen beteiligt sind. Diese werden wir im nächsten Kapitel behandeln.<br />
Über dieses qualitative Argument hinaus muss man dann natürlich die reduzierte Über-<br />
gangsstärke im Rahmen eines Kernmodells, Einteilchen- oder Kollektivmodell, berechnen,<br />
um dieses auch quantitativ zu testen.<br />
Die Lebensdauern für eine Übergangsstärke von einer Weisskopf-Einheit können rechne-<br />
risch im Bereich weniger fs bis hin zu einigen 10 12 Jahren liegen, überstreichen also 35<br />
Grössenordnungen! Allerdings werden die die langen Lebensdauer nicht erreicht, weil sie<br />
nur für sehr hohe Multipolordnungen, also in Fällen, wo der Zerfall nur in einen Zustand<br />
mit deutlich anderem Spin stattfinden kann, auftreten können, was eher selten vorkommt.<br />
Ausserdem können andere Zerfallsmoden auf diesen Skalen dann überwiegen. Typische<br />
Lebensdauern von angeregten Kernzuständen sind im Bereich einiger fs bis zu einigen ns.<br />
Darüber hinaus spricht man von isomeren Zuständen, für die man Lebensdauern bis hin<br />
zu Jahren beobachtet hat.<br />
11.4 Konversionselektronen<br />
Alternativ zur Emission eines reellen Photons, kann der Kern seine Anregungsenergie auch<br />
mittels eines virtuellen Photons auf ein Hüllenelektron übertragen, das dann emittiert<br />
wird, ein sogenanntes Konversionselektron. Die beobachtete Energie ist dann Ee = Eγ −<br />
BEe (BEe ist die Bindungsenergie des Elektrons. Entsprechend beobachtet man mehrere<br />
Linien im Elektronenspektrum, je nachdem auf welchem Orbital das Elektron gesessen<br />
hat. Die gesamte Zerfallswahrscheinlichkeit ist dann die Summe aus dem γ-Zerfall, wie<br />
wir ihn bisher behandelt haben, und den Konversionselektronen:<br />
λtot = λγ + λe = λγ(1 + α). (216)<br />
Der Konversionskoeffizient α ist dann die Summe über alle atomare Schalen α = αK +<br />
αL + αM + . . .. Da die innersten Elektronen den höchste Aufenthaltswahrscheinlichkeit in
150 Elektromagnetische Übergänge<br />
der Nähe oder gar innerhalb des Kerns haben, werden die Beiträge in der Summe schnell<br />
kleiner.<br />
Möchte man aus einer gemessenen Lebensdauer τ = 1/λtot über λγ auf die reduzierte<br />
Übergangsstärke schliessen, muss man entsprechend auf die Konversionselektronen korri-<br />
gieren.<br />
Die Konversionskoeffizienten hängen stark von der Ordnungszahl Z des Kerns, der Über-<br />
gangsenergie und der Multipolordnung ab. Für die K-Schale kann man z.B. berechnen<br />
αK ≈ Z 3<br />
�<br />
e2 �c<br />
� 4<br />
l<br />
l + 1<br />
� 2mec 2<br />
Eγ<br />
� l+ 5<br />
2<br />
. (217)<br />
Die Anteil der Konversionselektronen am Gesamtzerfall wird also umso grösser je grösser<br />
das Z, je grösser die Multipolordnung und je kleiner die Übergangsenergie ist. In der<br />
Abbildung sind die Erhöhung der Übergangswahrscheinlichkeit bzw. die Verkürzung der<br />
Halbwertszeit für unterschiedliche Werte von Z mit eingezeichnet (vermutlich wurde für<br />
das zugehörige A das stabile Isotop gewählt. Die Abhängigkeit der Übergangswahrschein-<br />
lichkeit von A ist aber im Vergleich zu den anderen Parametern nur gering.)<br />
Die Messung von Konversionskoeffizienten ist nützlich als alternative Möglichkeit Infor-<br />
mationen über die Multipolordnung bzw. den Strahlungscharakter eines Übergangs expe-<br />
rimentell zu gewinnen.<br />
Ein besonderer Fall sind Übergänge mit 0 + → 0 + . Da das Photon Spin 1 hat, kann ein sol-<br />
cher E0-Übergang nur durch Konversionselektronen stattfinden. Da es keine magnetischen<br />
Monopole gibt, gibt es auch keine M0-Übergänge. In Sonderfällen, wenn die Übergangs-<br />
energie grösser 1022 keV ist, kann ein E0-Übergang auch über eine innere Paarbildung,<br />
also die Umwandlung des virtuellen Photons in ein reelles Elektron-Positron-Paar, das<br />
dann emittiert wird, erfolgen.<br />
11.5 Zusammenfassung<br />
Angeregte Kernzustände zerfallen üblicherweise elektromagnetisch durch Emission von γ-<br />
Quanten oder Konversionselektronen, da andere Zerfallsmoden meist verboten (z.B. die<br />
Emission eines Nukleons erfordert um die 8 MeV, wie wir gesehen haben) oder, wenn<br />
erlaubt, stark unterdrückt sind (z.B. der eventuell erlaubte β-Zerfall hat eine um viele<br />
Grössenordnungen kleinere Übergangswahrscheinlichkeit, wie wir noch sehen werden).<br />
Die Untersuchung von elektromagnetischen Übergängen zwischen Zuständen eines Kerns<br />
erlaubt über die Messung der Multipolordnung (aus der Winkelverteilung) und dem Strah-<br />
lungscharakter, man unterscheidet elektrische und magnetische Strahlung, (aus der Pola-<br />
risation) der Gamma-Strahlung, die Bestimmung von Kernspins und Paritäten relativ zu<br />
einem bekannten Zustand. Dies kann z.B. der Grundzustand eines gg-Kerns sein, von dem<br />
wir wissen, dass er I π = 0 + hat.<br />
Die Übergangswahrscheinlichkeiten sind stark abhängig von der Kernstruktur, die über ein<br />
reduziertes Matrixelement bzw. seinem Quadrat, einer reduzierten Übergangsstärke oder<br />
B(El)- bzw. B(Ml)-Wert, eingeht. Dies bringt man zum Ausdruck, indem man die Werte
11.5 Zusammenfassung 151<br />
relativ zu einem Wert abgeschätzt für einen typischen Einteilchen-Übergang, der sogenann-<br />
ten Weisskopf-Einheit, angibt. Werte in der Grössenordnung 1 sprechen für Einteilchen-<br />
zustände, bei grösseren Werten sind offenbar viele Nukleonen am Übergang beteiligt. Dies<br />
ist das kernphysikalische Interesse am Studium von elektromagnetischen Übergängen!<br />
Weiterhin sind die Übergangswahrscheinlichkeiten stark von der Multipolordnung und der<br />
Übergangsenergie abhängig. Je kleiner die Energie und je grösser die Multipolordnung,<br />
desto kleiner ist die Übergangswahrscheinlichkeit. Es finden daher ein Übergang immer<br />
mit der niedrigsten erlaubten Multipolordnung statt. Dabei kann allerdings ein elektri-<br />
sche Übergang mit einem magnetischen einer um 1 kleineren Multipolordnung grössen-<br />
ordnungsmässig konkurrieren.<br />
Eine Methode zur Bestimmung von elektromagnetischen Übergangswahrscheinlichkeiten<br />
ist die Messung der Lebensdauer des zerfallende Zustands. Typische Werte für angeregte<br />
Zustände liegen im Bereich fs bis hin zu Jahren, wobei man bei Lebensdauern ab einigen<br />
ns von langlebigen oder isomeren Zuständen spricht.<br />
Alternativ zu einem Photon kann auch ein Konversionselektron emittiert werden. Die Mes-<br />
sung von Konversionskoeffizienten erlaubt ebenfalls Rückschlüsse auf Multipolordnung und<br />
Strahlungscharakter des Übergangs. E0-Übergänge mit 0 + → 0 + können nur so stattfin-<br />
den.
<strong>Klassische</strong> <strong>Dipolstrahlung</strong><br />
Z<br />
lm<br />
∝<br />
r<br />
X<br />
lm<br />
<strong>Winkelverteilungen</strong><br />
2<br />
Elektrische Dipol-Strahlung<br />
Magnetische Dipol-Strahlung<br />
(aus Krane)<br />
(aus Morinaga)
Compton-Polarimeter<br />
Elektromagnetische Übergangswahrscheinlichkeiten in [1/s]<br />
(B(El) in [e 2 fm 2l ], B(Ml) in [µ N 2 fm 2l-2 ], E in [MeV])
Weisskopf-Abschätzung<br />
Halbwertszeiten für red. Übergangsstärken<br />
von 1 W.u.<br />
(aus Morinaga)