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Naturhistorica 162

Naturhistorica 162 (2020) der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover (NGH) Themen: - Michael Fuchs: Danium-Geschiebe aus den Brelinger Bergen - Franz-Jürgen Harms: Asphalt und Kalkstein aus Ahlem. Vor über 150 Jahren begann mit einem Rohstoff aus Ahlem die Asphaltierung unserer Straßen und Plätze - Marvin Applegate: Osteologische Auswertung von Langknochen der Ungulata aus dem Leinetal südlich von Hannover - Tim Lukas Pikos: Ökologische Differenzierung limnischer und fluviatiler Lebensräume an der Leine bei Garbsen in der Region Hannover - Exkursionsberichte

Naturhistorica 162 (2020) der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover (NGH)

Themen:
- Michael Fuchs: Danium-Geschiebe aus den Brelinger Bergen
- Franz-Jürgen Harms: Asphalt und Kalkstein aus Ahlem. Vor über 150 Jahren begann mit einem Rohstoff aus Ahlem die Asphaltierung unserer Straßen und Plätze
- Marvin Applegate: Osteologische Auswertung von Langknochen der Ungulata aus dem Leinetal südlich von Hannover
- Tim Lukas Pikos: Ökologische Differenzierung limnischer und fluviatiler Lebensräume an der Leine bei Garbsen in der Region Hannover
- Exkursionsberichte

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Osteologische Auswertung von Langknochen der Ungulata aus dem Leinetal südlich von Hannover<br />

55<br />

Mammut, das Rentier und auch das Wollnashorn<br />

(Coelodonta antiquitatis) sowohl<br />

während der Eem-Warmzeit als auch um<br />

das LGM häufig zusammen auftraten. Im<br />

Gegensatz dazu stehen Arten wie der Rothirsch,<br />

der Auerochse und beispielsweise<br />

der Wolf (Canis lupus), die generalistischer<br />

vorkamen und weniger mit wiederholt gleichen<br />

Arten assoziiert auftreten (Carotenuto<br />

et al. 2016). Diese Gemeinschaften von<br />

kaltzeitlichen und temperierten Arten sind<br />

insbesondere aus dem Intermediärzeitraum<br />

von 14 000 bis 10 000 J.v.h. bekannt (Sommer<br />

& Nadachowski 2006). Nachweislich<br />

koexistierte das Rentier beispielsweise mit<br />

dem Reh und dem Rothirsch über einen<br />

Zeitraum von ca. 3000 Jahren (Sommer<br />

et al. 2014). Mit der klimabedingten Unterteilung<br />

des europäischen Lebensraums<br />

in zwei unterschiedliche Habitate, deren<br />

Grenzen sich je nach Zeitraum entsprechend<br />

verlagert und ebenfalls einen intermediären<br />

Lebensraum gebildet hatten,<br />

können Rückschlüsse auf den zeitlichen<br />

Ursprung paläontologischer Funde gezogen<br />

werden. Eine Untersuchung (Sommer<br />

et al. 2011b) vergleicht die Verbreitung des<br />

Rentiers und der Europäischen Sumpfschildkröte<br />

(Emys orbicularis) zur Weichsel-Kaltzeit/Holozän-Transition.<br />

Es zeigte<br />

sich, dass das Rentier noch bis 12 900 J.v.h.<br />

in Zentraleuropa verbreitet war, sich dann<br />

durch steigende Temperaturen zurückzog<br />

und schließlich vor 10 600 J.v.h. auch im<br />

südlichen Schweden verschwunden war.<br />

Dabei wanderte es mit dem verschwindenden<br />

Eisschild immer weiter Richtung<br />

Norden. Bereits 450 Jahre später konnten<br />

sich Populationen der wechselwarmen Europäischen<br />

Sumpfschildkröte mithilfe bestehender<br />

Landbrücken zwischen Skandinavien<br />

und Zentraleuropa im südlichen<br />

Schweden etablieren, was auf eine verhältnismäßig<br />

schnelle Veränderung des Klimas<br />

hindeutet. Das Rentier hingegen ist heute<br />

auf eine kalt-gemäßigte Tundra mit einem<br />

Nahrungsangebot bestehend aus Flechten,<br />

Kräutern, Riedgräsern, Moosen und<br />

auch Zweigen und Laubblättern in Gebieten<br />

nördlicher Laubwälder angewiesen<br />

(Sommer et al. 2011b). Gemäß des Aktualitätsprinzips<br />

lässt sich das Ernährungsverhalten<br />

rezenter Rentiere prinzipiell auf<br />

pleistozäne Artgenossen übertragen, wobei<br />

es je nach Breitengrad auch abweichende<br />

Nahrungsspektren geben kann (Rivals &<br />

Semprebon 2017). Die genannten Punkte<br />

bestätigen eine sich rapide verändernde<br />

Umwelt am Ende der letzten Kaltzeit<br />

und eine Vielzahl möglicher ökologischer<br />

Zwischenstadien, in denen kälte- und wärmeangepasste<br />

Arten zeitweise koexistierten<br />

oder zumindest die Faunenwechsel in<br />

einem relativ engen zeitlichen Zusammenhang<br />

standen.<br />

Systematik<br />

Die Artbenennung orientiert sich hier<br />

an der Veröffentlichung „Ungulate Taxonomy“<br />

(Groves & Grubb 2011), wonach<br />

sich eine sexuell reproduzierende Art wie<br />

folgt definiert: „Eine Art ist die kleinste<br />

Population oder Aggregation von Populationen,<br />

welche über festgesetzte, vererbbare<br />

Unterschiede zu anderen, ebensolchen<br />

Populationen oder Aggregationen verfügt“<br />

(Groves & Grubb 2011, S. 1). Dieser<br />

Kernsatz beruht auf dem phylogenetischen<br />

Artkonzept (englisch: Phylogenetic<br />

Species Concept, PSC) (Groves & Grubb<br />

2011). Hierbei haben Arten distinkte phänotypische<br />

Merkmale, die weitervererbt<br />

werden, die aber nicht auf diese Arten<br />

beschränkt sein müssen. Der Grad der<br />

evolutionären Verwandtschaftsverhältnisse<br />

ist hierbei maßgebend. Merkmalserscheinungen<br />

und -Merkmalsakkumulationen<br />

in Populationen führen somit zur systematischen<br />

Erweiterung. Neben anderen<br />

<strong>Naturhistorica</strong> BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER <strong>162</strong> · 2020

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