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Herzig_Landstrassenkind_Leseprobe

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dem sie erfährt, dass «Kinder der Landstrasse» aufgelöst wird,<br />

klebt sie ein Passfoto von Christian ins Tagebuch. Daneben<br />

schreibt sie mit dickem schwarzem Filzstift: «Auflösung der<br />

Abteilung ‹Kinder der Landstrasse› P. J.!!! Genugtuung? Freude?<br />

Befriedigung?»<br />

Für die gesellschaftliche Repräsentation der Stiftung Pro<br />

Juventute ist der Stiftungsrat zuständig. Mitglieder sind ein<br />

Bundesrat, National­, Stände­ und Regierungsräte, Bankiers,<br />

Staatsanwälte, Berufsmilitärs, Professoren, Ärzte und Geistli che.<br />

Die meisten sind Männer, die wenigen Frauen stammen tendenziell<br />

aus Gesundheits­ oder Sozialberufen. Diese Mitglieder<br />

haben gute Beziehungen zu Vertreter:innen von Behörden,<br />

Politik und Justiz, die das Handeln von Pro Juven tute überwachen<br />

müssten. Selbst noch nach dem Medienskan dal schützen<br />

diese Beziehungen davor, dass der Stif tungs rat zur Verantwortung<br />

gezogen würde. Nicht einmal in der Zeit, als das<br />

Hilfswerk in Auflösung ist, werden in den Stiftungsratsprotokollen<br />

Besprechungen, die dieses betreffen, festgehal ten.<br />

Ignorieren, wegducken und dann möglichst schnell vergessen<br />

scheint die Devise zu lauten.<br />

Die Diskriminierung der Jenischen bleibt jedoch auch nach<br />

Auflösung des «Hilfswerks» ein Thema. Vor allem wegen der<br />

Betroffenen selbst. Für sie hat die Aufarbeitung gerade erst begonnen.<br />

1973 wird der Verband Pro Tzigania Svizzera ge gründet,<br />

1975 die Radgenossenschaft der Landstrasse, die Dachorganisation<br />

der fahrenden Bevölkerung in der Schweiz. Teresa<br />

Grossmann und Mariella Mehr sind Gründungsmitglieder.<br />

Zusammen mit anderen ehemaligen «Kindern der Landstrasse».<br />

Das Schweizer Fernsehen nimmt die Gründungsversammlung<br />

der Radgenossenschaft zum Anlass, einen Bericht über<br />

die Diskriminierung der Jenischen zu produzieren. Am 12. Juni<br />

1975 wird die Sendung ausgestrahlt. Im Saal zu sehen ist der<br />

neunjährige Christian. Er spielt mit dem Hund eines Vorstandsmitgliedes.<br />

Seine Mutter Mariella Mehr sitzt auf dem Podium.<br />

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