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Herzig_Landstrassenkind_Leseprobe

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Danke Schweiz, dass du mich kaputt gemacht hast und<br />

nicht ein anderes Land. Dann wäre ich jetzt nämlich tot.<br />

Mitte fünfzig habe ich chronische Nervenschmerzen in<br />

meinen Füssen, obwohl nur noch wenige Nerven da sind, die<br />

überhaupt Informationen ans Hirn liefern. Es fühlt sich an wie<br />

viel zu enge Gamaschen. Das sind Nachwirkungen meiner<br />

Verbrühungen. Wenn ich noch lange lebe, werden die Beine<br />

irgend wann einmal amputiert.<br />

Ich schlafe nicht mehr als fünf bis sechs Stunden. Und<br />

auch das nur mit ein paar Joints. Mein Arzt würde mir sofort<br />

Schmerzmittel verschreiben, wenn ich danach fragte. Opioide.<br />

Wie die wirken, weiss ich. Ich bin jetzt über zwanzig Jahre<br />

clean. Kein Heroin mehr, kein Kokain. Dafür Schmerzen.<br />

Das Spital ist mein zweites Zuhause geworden. Mehr als<br />

fünf Tage verreisen geht nicht. Ich habe Diabetes. Die Bauchspeicheldrüse<br />

funktioniert nicht mehr richtig. Die Leber verfettet,<br />

weil ich mir Hepatitis angefixt habe. Ausserdem habe<br />

ich immer wieder Hautkrebs. Zunächst an den Armen. Dann<br />

wird mir ein Melanom aus der Lippe geschnitten, ein anderes<br />

aus dem Kinn. So nahe am Hirn war der Krebs noch nie. Dabei<br />

ist der Schädel mein einziges Körperteil, das mehr oder weniger<br />

ganz geblieben ist. Abgesehen von der Narbe aus einer<br />

Schlägerei mit Skinheads.<br />

Ich war in mehr als einer Pflegefamilie, in Heimen, in der<br />

Psychiatrie, in der Punkszene, im thailändischen Dschungel,<br />

in den Drogen. Ich habe mit meinen verbrannten Beinen Skitouren<br />

gemacht, Aikido trainiert, Pogo getanzt, Konzerte gegeben<br />

und mich mit Faschos geprügelt.<br />

Ich habe Heroin, Kokain und Schlaftabletten gefixt. Ich<br />

habe Shit verdealt. Ich habe meine Wut mit Hardcore­Punk in<br />

die Welt hinausgeschrien. Ich habe Schulden angehäuft, die ich<br />

Jahrzehnte später noch abstottere. Ich habe im Wald geschlafen<br />

und in Notschlafstellen. Ich habe Stoff vermittelt, um selbst an<br />

Stoff zu kommen.<br />

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