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syndicom magazin Nr. 37

Das syndicom-magazin bietet Informationen aus Gewerkschaft und Politik: Die Zeitschrift beleuchtet Hintergründe, ordnet ein und hat auch Platz für Kultur und Unterhaltendes. Das Magazin pflegt den Dialog über Social Media und informiert über die wichtigsten Dienstleistungen, Veranstaltungen und Bildungsangebote der Gewerkschaft und nahestehender Organisationen.

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<strong>syndicom</strong><br />

<strong>Nr</strong>. <strong>37</strong> November 2023<br />

<strong>magazin</strong><br />

Was<br />

braucht die<br />

Jugend?


Anzeige<br />

Das Bildungsinstitut der Gewerkschaften<br />

Movendo-Kurse 2024:<br />

Jetzt buchen!<br />

Movendo<br />

Das Bildungsinstitut der Gewerkschaften<br />

Telefon 031 <strong>37</strong>0 00 70<br />

info@movendo.ch, www.movendo.ch<br />

«Weiterbildung für alle!» Mit dem Bildungsinstitut Movendo unterstützt eure Gewerkschaft<br />

diese zentrale Forderung und übernimmt die Kosten für mindestens einen Kurs pro Jahr.<br />

Das Kursprogramm (inklusive Webinare) wird auf movendo.ch laufend aktualisiert.<br />

Gerne beraten wir euch auch telefonisch oder per Mail.<br />

Wir freuen uns auf eure Anmeldungen! Euer Movendo-Team<br />

Aktuelle Kurse, Informationen und Anmeldung: www.movendo.ch<br />

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Inhalt<br />

4 Kurz und bündig<br />

5 Agenda<br />

6 Dossier: Jugend und<br />

Gewerkschaft<br />

18 Arbeitswelt<br />

21 UNI Global Union<br />

22 Mietrecht<br />

24 Personenfreizügigkeit<br />

25 Recht so!<br />

27 Weltweit<br />

28 Bisch im Bild<br />

32 Aus dem Leben von ...<br />

Liebe Leserinnen und Leser<br />

«Irgendwie ziehen wir hier den Altersdurchschnitt<br />

ganz schön runter, oder?», raunt mir<br />

ein Vertreter der IG Jugend an einer Gewerkschaftskonferenz<br />

zu. Zu sagen, dass das<br />

nicht oft passiert, wäre gelogen. Die Jugend<br />

ist in der Gewerkschaft untervertreten. Dabei<br />

sind wir keine Besonderheit, keine Nische. Fast<br />

ein Viertel aller Erwerbstätigen in der Schweiz<br />

sind jünger als 30. Wir wollen mitreden, wenn<br />

es um die Gestaltung unserer Zukunft geht!<br />

Es braucht Platz für junge Stimmen, für junge<br />

Arbeiter:innen, damit unsere Probleme angegangen<br />

werden können und unsere Anliegen<br />

bei Verhandlungen, Diskussionen und Entscheidungen<br />

berücksichtigt werden (S. 8). Matteo<br />

Antonini, <strong>syndicom</strong>­Präsident, will in Zukunft<br />

mehr auf die Jungen hören (S. 10).<br />

Zu unseren Problemen gehört auch, ob wir<br />

überhaupt eine Zukunft auf einem bewohnbaren<br />

Planeten haben. Deswegen nahm die<br />

IG Jugend mit anderen Gewerkschaftsvertreter:innen<br />

aus der ganzen Schweiz lautstark<br />

an der nationalen Klimademo teil (ab S. 28).<br />

Eine starke Jugend stärkt die ganze Bewegung.<br />

Das spürten wir gut auf dem Union Camp D­A­<br />

CH am Bodensee (S. 15).<br />

Auch wir als Gewerkschaft müssen uns weiterentwickeln<br />

und Platz schaffen für neue<br />

Ideen, neue Strukturen, neue Lösungen. Denn<br />

die Jugend ist hier, wir sind laut und wir wollen<br />

mitreden. Mein Tipp, liebe Leser:innen: hört hin.<br />

6<br />

Dossier: Jugend und<br />

Gewerkschaft<br />

18<br />

Walk­out bei<br />

Tamedia<br />

32<br />

Aus dem Leben<br />

Jeannine «Jane» Bossard,<br />

Jugendsekretärin <strong>syndicom</strong>


4 Kurz und<br />

bündig<br />

Gut verhandelt für die Buchhändlerinnen \ Gratisarbeit bei Payot<br />

hat ein Ende \ Neuer Leiter <strong>syndicom</strong> Logistik \ Petition für die<br />

Medien \ Führerausweise für Notime \ 2 Tessiner Mitglieder erhalten<br />

Preise \ Nachtzuschlag für Zürcher Logistiker:innen \<br />

Erfolgreiche Verhandlungen<br />

mit Livre Suisse<br />

Seit Anfang Jahr wurde mit Livre Suisse<br />

über eine Aufwertung der Lohntabelle<br />

und Verbesserungen des GAV für<br />

den unabhängigen Buchhandel verhandelt.<br />

Der Dachverband der Buchhändler<br />

und <strong>syndicom</strong> einigten sich auf ein<br />

gutes Ergebnis, unter anderem mit einer<br />

Lohnerhöhung von 1,5 %, einem bezahlten<br />

Ausbildungstag und einem neuen<br />

teilweisen 13. Monatslohn.<br />

Gratisüberstunde bei Payot<br />

aufgehoben<br />

Im Juli machte <strong>syndicom</strong> eine Umfrage<br />

unter dem Payot-Personal über die<br />

laufenden Sparmassnahmen, insbesondere<br />

die gratis gearbeitete Überstunde<br />

pro Woche. Die Beteiligung war sehr<br />

gut und zeigte, dass das Personal<br />

diese Überstunde nicht mehr leisten<br />

möchte. Durch Gespräche in der paritätischen<br />

Kommission konnte nun erreicht<br />

werden, dass sie aufgehoben wurde.<br />

Manuel Wyss neuer Leiter des<br />

Sektors Logistik<br />

Die Delegierten des Sektors Logistik<br />

von <strong>syndicom</strong> haben den neuen Leiter<br />

des Sektors gewählt. Es ist der Berner<br />

Manuel Wyss, Politikwissenschaftler mit<br />

17 Jahren gewerkschaftlicher Erfahrung<br />

in verschiedenen Regionen, Gewerkschaften<br />

und Tätigkeiten. In seiner<br />

neuen Funktion nimmt er auch Einsitz<br />

in die Geschäftsleitung von <strong>syndicom</strong>.<br />

Manuel tritt die Nachfolge von Matteo<br />

Antonini an, der im Juni zum Präsidenten<br />

von <strong>syndicom</strong> gewählt wurde.<br />

Petition:<br />

Faire Löhne in den Medien<br />

4800 Franken. Das ist der Mindestlohn<br />

für Medienschaffende in der Deutschschweiz<br />

und im Tessin, den der Verlegerverband<br />

(VSM) bei den Verhandlungen<br />

um den seit 20 Jahren fehlenden<br />

Branchenvertrag vorgeschlagen hat.<br />

Ein beschämender Lohn, der eintausend<br />

Franken unter dem in der Westschweiz<br />

geltenden GAV liegt. Jetzt haben <strong>syndicom</strong><br />

und impressum eine Petition<br />

lanciert, in der das Präsidium des<br />

VSM aufgefordert wird, zu den GAV-Verhandlungen<br />

zurückzukehren und anständige<br />

Mindestlöhne festzulegen.<br />

Unterschreiben auf: Faire-Loehne.ch<br />

Ende von myMigros hat<br />

Folgen für Notime<br />

Die Migros hat das Online-Angebot<br />

myMigros eingestellt. Vom Entscheid<br />

sind auch 140 Fahrer:innen der<br />

Post-Nochter Notime betroffen. Als<br />

Sozialpartnerin setzt sich <strong>syndicom</strong> dafür<br />

ein, die Auswirkungen auf das Personal<br />

so gering wie möglich zu halten.<br />

Angesichts des starken Wachstums von<br />

Notime in anderen Bereichen begrüsst<br />

<strong>syndicom</strong>, dass Notime seine Fahrer:innen<br />

beim allfälligen Erwerb von Führerausweisen<br />

unterstützt, die für die<br />

neuen Tätigkeiten notwendig sind.<br />

Auszeichnungen für zwei<br />

<strong>syndicom</strong>-Mitglieder im Tessin<br />

Dem Journalisten Federico Franchini,<br />

<strong>syndicom</strong>-Mitglied, Mitglied des Nationalen<br />

Vorstands Presse und Mitarbeiter<br />

dieser Zeitschrift, sind berufliche<br />

Auszeichnungen nicht fremd. Seine<br />

jüngste ist der Preis des Tessiner Journalist:innenverbandes,<br />

den er im<br />

September für seine Reportage über die<br />

Kobalt-Minen in den piemontesischen<br />

Alpen erhalten hat.<br />

Die Tessinerin Tiziana Conte, Kulturschaffende<br />

und freie Journalistin, ist<br />

ebenfalls Mitglied von <strong>syndicom</strong> und<br />

erhielt von Alain Berset den Swiss Performing<br />

Arts Award für ihre jahrzehntelange<br />

Arbeit im Bereich Tanz.<br />

Plus 7 Fr. für Nachtarbeit<br />

Die Angestellten der Logistikdienste<br />

der Post (Region Zürich) haben<br />

uns berichtet, dass sie keine Zulage für<br />

Nachtarbeit zwischen 5 und 6 Uhr<br />

erhalten. Mit einer Petition haben die<br />

Beschäftigten auf diese Unregelmässigkeit<br />

hingewiesen und mit Unterstützung<br />

von <strong>syndicom</strong> eine Entschädigung<br />

gefordert. <strong>syndicom</strong> hat erfolgreich<br />

verhandelt. Das Ergebnis: Einsätze zwischen<br />

5 und 6 Uhr morgens werden ab<br />

1. Januar 2024 mit einem Nachtzuschlag<br />

von 7 Franken entschädigt.<br />

Post in St-François bedroht<br />

Ein Bündnis von Verbänden, Parteien<br />

und Bürger:innen, das von <strong>syndicom</strong><br />

unterstützt wird, hat fast 3300 Unterschriften<br />

für den Erhalt der Poststelle<br />

in St-François sowie sämtlicher dort<br />

angebotener Dienstleistungen gesammelt.<br />

Die Post hat noch immer nicht<br />

auf die Petition reagiert, obwohl sie bereits<br />

im März eingereicht wurde.<br />

Ein Immobilienprojekt für ein Einkaufszentrum<br />

bedroht diese Poststelle im<br />

Zentrum von Lausanne, die hervorragend<br />

erreichbar ist. Wir wollen einen<br />

Service public, einen öffentlichen<br />

Dienst, der diesen Namen verdient.<br />

Endlich ein Mindestlohn für<br />

die Waadt?<br />

16 000 Unterschriften für jede der<br />

zwei Initiativen für die Einführung eines<br />

Mindestlohns im Kanton Waadt. Trotz<br />

des Sommers ist dies ein bemerkenswertes<br />

Ergebnis für die Koalition<br />

«Ensemble à gauche», die linke Parteien<br />

und Gewerkschaften (auch <strong>syndicom</strong>)<br />

umfasst.<br />

Die erste Initiative zielt darauf ab,<br />

den Grundsatz in der Kantonsverfassung<br />

zu verankern, die zweite legt die<br />

Durchführung fest: mit einem gesetzlichen<br />

Mindestlohn von 23 Franken brutto<br />

pro Stunde.<br />

Die Abstimmung könnte frühestens<br />

im Lauf des Jahres 2025 stattfinden,<br />

14 Jahre nach der Abstimmung über<br />

denselben Gegenstand, die von<br />

der Bevölkerung damals abgelehnt<br />

wurde. Ähnliche Initiativen sind derzeit<br />

im Wallis und in Freiburg im Gang.


Kurz und<br />

bündig<br />

Post schweigt zu Lausanner Petition \ Abstimmung Mindestlohn<br />

Waadt \ <strong>syndicom</strong>-Debatten und Demo fürs Klima \ Agenda und<br />

Kursprogramm 2024 \ Polit-Infos und Schwyzer Komik auf einer<br />

Bühne \ Reminder PV-Wahl Swisscom \<br />

5<br />

Klima: 2 öffentliche Debatten,<br />

eine grosse Demo<br />

Im September in Zürich und im Oktober<br />

in Lausanne: <strong>syndicom</strong> hat zwei Debatten<br />

über die Auswirkungen der Klimakrise<br />

auf unsere Arbeitsplätze und<br />

Arbeitsbedingungen organisiert.<br />

Die Diskussionen drehten sich um die<br />

Auswirkungen der Klimakrise auf<br />

die Gesundheit und die Arbeitsbedingungen<br />

und um die Rolle der Gewerkschaften<br />

in diesem entscheidenden<br />

Kampf.<br />

Arbeitnehmer:innen sind zunehmend<br />

extremen Wetterbedingungen ausgesetzt,<br />

die sich aus dem Klimawandel ergeben.<br />

Das erhöht die Risiken für die<br />

Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz<br />

stark. Es ist unbestritten, dass<br />

die derzeitigen Gesetze und Gesamtarbeitsverträge<br />

keinen angemessenen<br />

Schutz vor diesen Gefahren bieten.<br />

Am 30. September machte die<br />

IG Jugend von <strong>syndicom</strong> mobil für die<br />

nationale Klimademonstration.<br />

«Keine Arbeits plätze auf einem toten<br />

Planeten» und «Planet vor Profit»<br />

waren neben den Fahnen von <strong>syndicom</strong><br />

zu sehen. An einem Stand, an dem unser<br />

Klima-Dossier vorgestellt wurde,<br />

fanden zahlreiche Diskussionen über die<br />

Gewerkschaften und den sozial gerechten<br />

Übergang statt. Die gesammelten<br />

Meinungen beflügeln unsere Überlegungen<br />

und unser Engagement.<br />

<strong>syndicom</strong>-Agenda 2024<br />

In dieser Ausgabe findet ihr eine Postkarte,<br />

mit der ihr die <strong>syndicom</strong>-Agenda<br />

2024 bestellen könnt. Sie ist kostenlos<br />

und wird euch durch ein Jahr voller<br />

gewerkschaftlicher Kämpfe begleiten!<br />

Ausserdem beigelegt: das frische<br />

Movendo-Kursprogramm für 2024.<br />

Zur Erinnerung: Alle Mitglieder von<br />

<strong>syndicom</strong> können pro Jahr kostenlos<br />

einen Movendo-Kurs besuchen, sei<br />

es für den Beruf, die Gewerkschaftsarbeit<br />

oder einfach für die persönliche<br />

Entwicklung.<br />

Komödie und Politik, das<br />

ungleiche Paar<br />

Politik und Humor, was hat das miteinander<br />

zu tun? Ist die Politik zu ernst,<br />

um Witze zu machen? Diese Herausforderung<br />

nahm die <strong>syndicom</strong>-Sektion<br />

Lötschberg Post an und bot im Sommer<br />

ein neues Unterhaltungsformat an, das<br />

Politik und Comedy miteinander mischte.<br />

Ende Juni wurde der Schwyzer<br />

Komiker Sascha Schnellmann (bekannt<br />

durch Auftritte in den SRF-Sendungen<br />

«Das Zelt» und «Spass par tout»)<br />

nach Thun eingeladen, um eine Show<br />

für die <strong>syndicom</strong>-Mitglieder aus dem<br />

Berner Oberland zu geben. Neben ihm<br />

trat Martin von Allmen, ehemaliger<br />

SP-Grossrat und Alt-Gemeinderat<br />

von Thun, auf die Bühne, um über die<br />

AHV und die Situation der Pensionskassen<br />

zu sprechen.<br />

Die Produktion mit Schnellmann<br />

und von Allmen war ein Versuch von<br />

Lötschberg Post, etwas Neues auszuprobieren,<br />

um mit den Mitgliedern in<br />

Kontakt zu treten. «Der Vorstand wollte<br />

etwas für seine Mitglieder machen»,<br />

sagt Adriano Troiano, Leiter Region<br />

Bern/Oberwallis von <strong>syndicom</strong>. «Wir<br />

wollten einen Anlass kreieren, der nicht<br />

nur die Generationen verbindet, sondern<br />

auch den politischen Diskurs und<br />

einen Comedy-Abend. <strong>syndicom</strong> will<br />

neue Arten der Begegnung fördern, um<br />

zu informieren, sich bekannt zu machen<br />

und Debatten über wichtige Themen<br />

zu führen: Auch das ist die Rolle<br />

der Gewerkschaft.» Das Format hat jedenfalls<br />

viel Potenzial.<br />

Mireille Guggenbühler<br />

Agenda<br />

November<br />

12. 11.<br />

Jugend und Seniorinnen fürs<br />

Klima<br />

11.15 bis 12.15 Uhr, Gesprächsveranstaltung<br />

zur Ausstellung «Natur. Und wir?»<br />

im Stapferhaus Lenzburg. Mit einer<br />

jungen und einer senioren Klimaaktivistin.<br />

Anmelden auf Stapferhaus.ch<br />

16. 11.<br />

Vernissage Pressefotos<br />

Im Schloss Prangins werden die Swiss<br />

Press und World Press Photos des Jahres<br />

2022 ausgestellt und die Siegerbilder<br />

gekürt. Zur Vernissage (ab 18.30)<br />

ist der Eintritt kostenlos. Die Ausstellung<br />

läuft bis 25. Februar 24.<br />

Bis ins neue Jahr<br />

bis 14. 01. 24<br />

Land der Sprachen<br />

Mit dem Kopfhörer durch die interaktive<br />

Ausstellung über die Sprachen, Dialekte,<br />

Akzente und Slangs der Schweiz.<br />

Landesmuseum Zürich, auch für Menschen<br />

mit einer Hörbehinderung.<br />

bis 09. 03. 24<br />

KI für die Biodiversität<br />

Die erste Sonderausstellung im neu<br />

inszenierten Nationalparkzentrum<br />

Zernez zeigt vielversprechende digitale<br />

Methoden in der Ökologie und aktuelle<br />

Forschungsprojekte der Uni Zürich.<br />

Januar 24<br />

© Bruno Ferreira Dias, <strong>syndicom</strong><br />

2024<br />

PV-Wahl Swisscom + Cablex<br />

<strong>syndicom</strong> unterstützt 43 starke Kandidatinnen<br />

und Kandidaten für die<br />

Personalvertretung (PV), die sich bei<br />

<strong>syndicom</strong> engagieren. Sie bringen den<br />

richtigen Mix aus viel Kompetenz,<br />

Erfahrung, einem starken Netzwerk und<br />

frischen Ideen mit. Vielen Dank, dass<br />

du sie bei der Wahl vom 19. Oktober bis<br />

am 22. November berücksichtigst!<br />

<strong>syndicom</strong>.ch/pvwahlen23<br />

19. 01.<br />

Konferenz Presse und<br />

elektronische Medien<br />

Ab 13 Uhr im Bieler Hotel Mercure Plaza.<br />

Nur für Mitglieder des Sektors Medien.<br />

<strong>syndicom</strong>.ch/agenda


Die Jungen und<br />

die Gewerkschaft


Bilder im Dossier: Jana Leu, Manuel Lopez und Pascale Amez


8 Dossier<br />

Der Nachwuchs ist nicht überzeugt<br />

Die Zahl der Menschen unter 25 Jahren, die einer Gewerkschaft beitreten, sinkt in ganz Europa dramatisch, nicht nur<br />

in der Schweiz. Was steckt hinter dem Desinteresse? Sind Gewerkschaften altmodisch? Hat die junge Generation den<br />

Glauben verloren, dass Gewerkschaften sie verteidigen können?<br />

Interviews mit Aktivistinnen und Kollegen zeigen,<br />

dass die Arbeit und die Aufgaben der Gewerkschaften<br />

unter Auszubildenden und jungen<br />

Erwachsenen oft erschreckend unbekannt<br />

sind. Junge Leute verweisen auf die mangelnde<br />

Modernität der Gewerkschaften, ihre schwerfällige<br />

Bürokratie oder unzureichende Präsenz<br />

in sozialen Medien, wo eine einflussreiche Person<br />

oder Gruppe in kurzer Zeit viel mehr Menschen<br />

mobilisiert als unsere Organisationen<br />

(siehe S. 10).<br />

Der Wille, bei kollektiven Aktionen mitzumachen,<br />

ist jedoch ungebrochen. Der Rahmen für<br />

dieses Engagement ist lediglich sekundär geworden.<br />

Wenn man noch die gefühlte Zurückhaltung<br />

der Gewerkschaften bei der Entwicklung<br />

einer spezifischen Jugendpolitik<br />

berücksichtigt, wird recht klar, warum sich junge<br />

Menschen eher in Parteien oder losen Bewegungen<br />

engagieren.<br />

Schlecht gealterte Strukturen sind zwar ein offensichtlicher<br />

Grund für den Misserfolg der Gewerkschaften<br />

bei den unter 30-Jährigen, aber<br />

nicht der einzige: Gewerkschaftliches Engagement<br />

setzt voraus, dass man stabile Arbeitsbedingungen<br />

hat, lange genug an einem Ort oder<br />

in einem Beruf bleibt. Unsichere oder prekäre<br />

Arbeitsverhältnisse drängen andere Sorgen in<br />

den Vordergrund.<br />

Die Jungen richten<br />

eine klare Botschaft<br />

an unsere etablierten<br />

Institutionen. Es ist an uns,<br />

ihnen zuzuhören, um uns neu<br />

zu erfinden!<br />

DEINE IG JUGEND<br />

Zusammen können wir Veränderungen vorantreiben.<br />

Vor 100 Jahren war die 5-Tage-Woche<br />

ein ferner Traum, genauso wie Löhne für Lehrlinge<br />

oder Kündigungsschutz.<br />

All dies wurde hart erkämpft! Um die Zukunft<br />

zu bekommen, die wir gerne hätten, brauchen<br />

wir dein Engagement!<br />

Komm in die IG Jugend von<br />

<strong>syndicom</strong>, bring deine Forderungen<br />

und Ideen mit.<br />

jugend@<strong>syndicom</strong>.ch<br />

IG Jugend von links nach rechts,<br />

vorne: Jane Bossard,<br />

Philip Fleischmann,<br />

Anja Bachmann,<br />

hinten: Silas Arn,<br />

Jakub Walczak,<br />

Matteo Baschera.


Dossier<br />

9<br />

«Keine Arbeit auf einem toten Planeten»<br />

Am 29. September, einen Tag vor der grossen Klimademo, traf sich die Interessengruppe Jugend zur Konferenz. Die<br />

Statuten sollten einmal ganz neu bewertet werden, und für einige Mitglieder des Vorstands, die zu alt geworden waren,<br />

sollten Nachfolger:innen gewählt werden. Die sind schwer zu rekrutieren. «Wie machen wir unsere Organisation<br />

für Lernende und junge Angestellte sichtbarer?», fragte Jane Bossard in die Runde, Jugendsekretärin, die gerade ein<br />

Jahr bei <strong>syndicom</strong> ist.<br />

Eine klarere Botschaft<br />

«Was wir tun, ist wichtig, aber manchmal muss ich 40-mal<br />

das Gleiche erzählen, bevor sich meine Kolleginnen und<br />

Kollegen angesprochen fühlen», beginnt Anja Bachmann,<br />

die 25-jährige Briefträgerin aus Winterthur (siehe ihr Porträt<br />

auf der Rückseite des Magazins). Für die anwesenden<br />

Mitglieder ist klar, es muss noch viel Aufklärungsarbeit<br />

geleistet werden – und zwar nicht nur bei jungen Menschen.<br />

«Eine einfache und klare Botschaft darüber, wofür<br />

die Bewegung steht, wäre ein guter Anfang!» Silas Arn, abtretender<br />

Vorsitzender der IG Jugend, 34 Jahre alt und<br />

seit seinen beruflichen Anfängen als Informatiker bei<br />

Swisscom in der Gewerkschaft, fühlt sich manchmal überfordert<br />

damit, seinen jüngeren Kollegen die Arbeit der<br />

Gewerkschaften näher zu bringen. «Ich setze mich dafür<br />

ein, dass der Fortschritt für alle gerecht ist. Wenn ich die<br />

wirklich herausragende Rolle der GAV für ihre Arbeitsbedingungen<br />

erkläre, merke ich, wie ihnen die direkten und<br />

konkreten Auswirkungen der Arbeit der Gewerkschaften<br />

auf ihren Alltag unklar bleiben.»<br />

Philip Fleischmann, ein 30-jähriger Fahrradkurier aus<br />

Zürich, ist in einer Branche tätig, die kaum reguliert ist.<br />

Viele seiner Kolleg:innen haben eine Migrationsgeschichte,<br />

kennen ihre Rechte nicht und arbeiten in mehreren<br />

Jobs, um über die Runden zu kommen. «Ich setze mich<br />

dafür ein, dass alle so schnell wie möglich Schutz und einen<br />

Mindestlohn erhalten. In Genf tut sich dank der Gewerkschaften<br />

etwas, und ich nutze dieses Beispiel, um<br />

meine Kollegen davon zu überzeugen, dass sie Beiträge<br />

zahlen.»<br />

Veraltete Strukturen?<br />

Die Mitglieder des Vorstands stellen die Stellung der IG<br />

Jugend am Rande der gewerkschaftlichen Strukturen infrage.<br />

«Die Art und Weise, wie die Gewerkschaften und<br />

<strong>syndicom</strong> aufgebaut sind, nach Sektoren, nach Regionen<br />

– im Grunde Silos –, erlaubt es uns nicht, die Perspektive<br />

der Jugendlichen überall in die Strategien und Aktionspläne<br />

der Gewerkschaften einzubringen», stellt Jane Bossard<br />

fest. «Es bräuchte doch in allen Gremien junge Menschen,<br />

die sich einsetzen.»<br />

Für Jakub Walczak, 18, Informatiklernende:r<br />

im<br />

letzten Jahr bei Swisscom,<br />

geht es darum, junge Menschen<br />

davon zu überzeugen,<br />

sich zu engagieren.<br />

«Nur das<br />

Gewicht und die Kraft des Kollektivs kann die Linien bewegen.»<br />

Jakub kandidiert bei den Nationalratswahlen auf<br />

der Liste der SP Kanton Bern als Spitzenkandidat:in der<br />

JUSO und geht noch einen Schritt weiter: «Wir müssen<br />

den Klassenkampf wieder aufnehmen. Kompromisse mit<br />

den Kapitalist:innen können uns niemals vollkommen<br />

glücklich machen.»<br />

Für Matteo Baschera, 33, ausgebildeter Polygraf und heute<br />

angestellt bei Galledia, dem Medienkonzern in der Ost- und<br />

Zentralschweiz, muss der Dialog auch generationenübergreifend<br />

stattfinden. «Ich arbeite in einer Branche, die sich<br />

seit 15 Jahren in einer Krise befindet. Ich möchte die Veränderungen,<br />

die noch vor uns liegen, begleiten und den<br />

Jüngeren einen anderen Diskurs anbieten, der sich von<br />

dem der Angst unterscheidet. Aber diese Diskussion muss<br />

auf allen Ebenen des Unternehmens und zwischen allen<br />

Generationen stattfinden. Was wollen wir? Welche Zukunft<br />

haben unsere Berufe? Wenn die Älteren zu Recht um ihre<br />

Renten kämpfen, müssen sie auch die Ängste und Sorgen<br />

ihrer jüngeren Kollegen ernst nehmen.»<br />

Gezielte Kampagnen<br />

Die jungen Leute halten der Gewerkschaft einen Spiegel<br />

vor. Ohne so weit zu gehen, zu behaupten, dass das ganze<br />

Modell veraltet ist, gibt es viele Dinge, die geändert werden<br />

müssen. «Wir müssen direkt an der Basis anfangen,<br />

es braucht den direkten Kontakt mit arbeitslosen Jugendlichen<br />

oder mit Menschen in unsicheren Arbeitsverhältnissen»,<br />

sagt die Jugendsekretärin. Für Anja Bachmann<br />

ist es wichtig, dort präsent zu sein, wo die Jugendlichen<br />

sind: in Schulen, auf Festivals und auf Demos. «Meine<br />

Leute zu sensibilisieren, ist motivierend. Ich würde mir<br />

wünschen, dass die Gewerkschaft uns mehr Ressourcen<br />

für eine Kampagne zur Verfügung stellt.»<br />

Die Einbeziehung junger Mitglieder in den öffentlichen<br />

Dialog und in die Tarifverhandlungen, eine Jugendquote<br />

in den Entscheidungsgremien sind weitere Ansätze, die<br />

diskutiert werden. Für Jane Bossard sind die Gesamtarbeitsverträge<br />

wichtig. «Aber wenn wir sie nicht mit gesellschaftlichen<br />

Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, den<br />

Realitäten von LGBTQI+-Menschen oder der Umwelt verbinden,<br />

geht die Gewerkschaft an unseren Interessen und<br />

Anliegen vorbei.»<br />

Einstweilen traf sich die IG Jugend am nächsten Tag zur<br />

nationalen Klimademonstration. «Keine Arbeitsplätze auf<br />

einem toten Planeten»: Was könnte klarer sein?<br />

Muriel Raemy


10 Dossier<br />

<strong>syndicom</strong> fragt, die Jungen antworten<br />

138 junge Leute haben auf unsere Sommer-Umfrage geantwortet, 96 Mitglieder, 42 Nichtmitglieder. Wir zeigen hier<br />

grossteils freie Kommentare. Präsident Matteo Antonini reagiert.<br />

Politische Gründe (ich bin<br />

sozial/politisch aktiv).<br />

Aus ideologischen Gründen<br />

(Solidaritätsgedanke, kollektive Kraft).<br />

Warum bist du Mitglied einer Gewerkschaft?<br />

Weil ich damit den Gesamtarbeitsvertrag<br />

unterstützen und weiterentwickeln will.<br />

Wegen den Serviceangeboten<br />

(Weiterbildung, Rechtsschutz, REKA...).<br />

Weil mir die Gewerkschaft schon mal bei einem Problem am<br />

Arbeitsplatz geholfen hat (Kündigung, Mobbing, Lohn...).<br />

Warum bist du nicht Mitglied in einer Gewerkschaft?<br />

Die Mitgliedschaft ist mir zu teuer.<br />

Gibt es für meinen Beruf überhaupt eine Gewerkschaft?<br />

Ich weiss nicht genau, was eine Gewerkschaft<br />

tut und was die Vorteile wären.<br />

Haben die Gewerkschaften in der Schweiz wirklich etwas verändert? Was haben sie<br />

wirklich erreicht? Ich müsste verstehen, welche konkreten Themen sich in meinem Alltag<br />

durch eine Gewerkschaft verändern könnten.<br />

Die Gewerkschaft ist ein Instrument, um die Ziele der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu<br />

erreichen: Löhne, Arbeitszeiten, Vereinbarkeit, Rente, Arbeitszeitverkürzung. Streiks sind seit<br />

langem ein Mittel, um Ziele wie einen angemessenen Mindestlohn, die 5-Tage-Woche oder in<br />

jüngster Zeit die Forderung nach Gleichberechtigung zu erreichen. Matteo Antonini<br />

AUSBILDUNGSBEITRAG<br />

Hast du es gewusst? <strong>syndicom</strong> unterstützt Vollzeit-Lernende<br />

und -Studierende mit einem Ausbildungsbonus von 100 Franken<br />

pro Jahr, als Zustupf für den Kauf von Büchern und Lehrmitteln.<br />

Den Ausbildungsbonus findest du im Mitgliederportal<br />

my.<strong>syndicom</strong>.ch.<br />

BERUFLICHE WEITERBILDUNG<br />

Weiterbildung ist wichtig, um in deinem Beruf und deiner Gewerkschaftsarbeit<br />

auf dem Laufenden zu bleiben oder dich<br />

persönlich weiterzuentwickeln. Mitglieder von <strong>syndicom</strong> können<br />

pro Jahr einen <strong>syndicom</strong>- und einen Movendo-Kurs kostenlos<br />

und einen Helias-Kurs zum ermässigten Tarif besuchen.<br />

Berufliche Weiterbildungen unserer Mitglieder unterstützen<br />

wir mit einem Drittel der Kurskosten (inkl. Lehrmaterial).<br />

Höchstbetrag pro Jahr: 500 Franken.


Dossier<br />

11<br />

Was müsste eine Gewerkschaft tun, damit es<br />

für dich interessant wäre, Mitglied zu sein?<br />

Die Interessen von Lernenden, Jugendlichen und<br />

jungen Erwachsenen in der Arbeitswelt vertreten.<br />

Austausch mit anderen jungen<br />

Erwachsenen in den Branchen fördern.<br />

Sichtbar und präsent in meinem Betrieb<br />

sein, und mit meinem Arbeitgeber einen<br />

GAV verhandeln!<br />

Sich für meine Rechte einsetzen<br />

Unsere Jugendsekretärin wird noch mehr an Arbeitsund<br />

Ausbildungsplätzen präsent sein, um die Rolle<br />

der Gewerkschaft zu erklären. Wir arbeiten an einer<br />

stärker digital ausgerichteten Kommunikation. So<br />

hinterfragen wir auch, inwieweit unsere Forderungen<br />

im Namen der Jungen noch ihrer Lebensrealität<br />

entsprechen! Wir sind dran. Matteo Antonini<br />

Nicht so verstaubt wirken,<br />

wie das Gewerkschften heute tun.<br />

In konkreten Fällen helfen, wo das mehrheitlich gute System<br />

versagt oder hintergangen wird, zulasten der Arbeitenden.<br />

Mir erklären, ob ich mit <strong>syndicom</strong> oder einer andern Gewerkschaft<br />

mehr Geld verdienen könnte, und vor allem, wie!<br />

Sich für eine klimasoziale Zukunft einsetzen, eine<br />

Klimaplan haben, der seines Namens würdig ist.<br />

Arbeitszeitverkürzung<br />

durchsetzen, 4-Tage-Woche!<br />

Es müsste mehr gestreikt werden. Alles wird teuer,<br />

alles wird auf die Arbeitnehmenden abgewälzt, die<br />

Pensionskasse ist kaputt und den Banken gibt man mit<br />

einem Fingerschnippen unglaubliche Summen. Wenn die<br />

Politik nicht will, müssen es die Gewerkschaften tun!<br />

Uns die politischen Herausforderungen<br />

erklären, ohne Position zu beziehen,<br />

die Sprache anpassen.<br />

Die Gewerkschaft sollte Unterstützung für<br />

den Einstieg ins Berufsleben und<br />

die Selbständigkeit anbieten. Bewerbung–<br />

sunterlagen, Buchhaltung usw.<br />

Z.B. Tipps für Gespräche mit dem<br />

Arbeitgeber oder Vorgesetzten, z.B.<br />

beim Aushandeln von Jobdetails<br />

Für revolutionäre Anliegen kämpfen. Ökologische Positionen einnehmen, diese in der<br />

Gewerkschaft umsetzen: Eine Rabattkarte für Benzin? Reka-Gutscheine? Stattdessen in<br />

zentrale Themen der Gewerkschaftsarbeit investieren. Die verknöcherten Strukturen der<br />

Institution und die internen Machtkämpfe ziehen junge Menschen nicht unbedingt an.<br />

Gewerkschaften haben manchmal eine zu komplizierte und langsame Struktur, die aus dem letzten<br />

Jahrhundert stammt. Ich werde mich dafür einsetzen, sie dort, wo es nötig ist, zu straffen, damit<br />

sie dem schnellen Tempo unserer Zeit besser entspricht. Sind unsere Positionen zu konservativ?<br />

Auch hier verpflichte ich mich, den Dialog mit unserer Basis zu führen, wobei ich mir bewusst bin,<br />

dass diese pluralistisch ist. Matteo Antonini


12 Dossier<br />

Wissen ist Macht – die Gewerkschaft stellt sich vor<br />

In einer perfekten Welt würden alle bereits in der Schule von den Gewerkschaften hören. Wir wären Teil des Lehrplans,<br />

Teil des Allgemeinwissens. In einer noch perfekteren Welt bräuchten Lernende uns auch nicht. Sie hätten eine gute<br />

Ausbildung, perfekte Betreuung und die besten nur möglichen Chancen auf einen guten Abschluss mit idealen Jobaussichten<br />

nach der Lehre.<br />

Wenn wir mit diesen Präsentationen oder Workshops<br />

Mitglieder gewinnen, dann ist das ein Bonus. Es geht darum,<br />

dass Menschen in der Ausbildung wissen, an wen<br />

sie sich wenden können, falls es zu Problemen kommt.<br />

Damit sie sich organisieren können, mit uns und untereinander.<br />

Es geht darum, präsent zu sein, damit wir nicht<br />

zu einem Mythos aus dem 20. Jahrhundert werden.<br />

Jeannine «Jane» Bossard,<br />

Jugendsekretärin<br />

Aber wir leben leider (noch) nicht in so einer Welt. Darum<br />

braucht es uns. Und Menschen in der Lehre müssen nicht<br />

nur wissen, dass wir auch für sie da sind. Zuerst einmal<br />

müssen sie wissen, dass wir existieren, es braucht Aufklärung<br />

für junge Arbeitende. Über uns als Gewerkschaft,<br />

über die Bewegung und vor allem aber über ihre Rechte.<br />

Bei einigen Sozialpartner:innen, wie der Swisscom oder<br />

der Post, gehört das inzwischen zur Lehre dazu. In anderen<br />

Branchen können wir uns direkt bei den Berufsschulen<br />

einbringen. Garantiert ist dies leider nicht, sondern abhängig<br />

von Lehrpersonen, Direktionen und Kantonen.<br />

Manchmal müssen wir uns sehr kurz fassen, manchmal<br />

können wir uns bis zu vier Stunden mit den Lernenden<br />

austauschen, Workshops veranstalten und vielleicht<br />

sogar spielerisch einen GAV aushandeln. Bei Swisscom<br />

war das diesen Frühling möglich. Mit über zweihundert<br />

Lernenden durften wir in der ganzen Schweiz<br />

jeweils einen halben Tag verbringen und ihnen so<br />

die Gewerkschaftswelt näherbringen. Die<br />

Show-GAV-Verhandlungen waren nicht nur für sie<br />

eine Bereicherung, sondern zeigten auch uns, welche<br />

Themen sie aktuell besonders beschäftigen;<br />

sei dies Arbeitszeitverkürzung, bessere Löhne, Teuerungsausgleich<br />

oder Menstruationsurlaub.<br />

KENNE DEINE RECHTE!<br />

Die Gewerkschaftsjugend hat dir<br />

einen Ratgeber, ein Nachschlagewerk<br />

zu allen möglichen Themen,<br />

wie Lohn, Überstunden und Arbeitsverträgen.<br />

Für ein gedrucktes Exemplar<br />

melde dich gerne direkt bei der<br />

Jugendsekretärin: jugend@<strong>syndicom</strong>.<br />

www.rechte-der-Lernenden.ch


Dossier<br />

13<br />

<strong>syndicom</strong> setzt sich ein für…<br />

… die Qualität der Lehre<br />

Das duale Bildungssystem der Schweiz ist einzigartig auf<br />

der Welt, verankert im Artikel 8 des Berufsbildungsgesetzes.<br />

Die Qualität der Lehre ist ein gewerkschaftliches Anliegen<br />

ersten Grades. Immer mehr junge Menschen brechen<br />

jedoch ihre Ausbildung ab, beklagen ungenügende<br />

Ausbildungssituationen oder sind von sexueller Belästigung<br />

oder Mobbing am Arbeitsplatz betroffen. Lernende<br />

berichten von ungenügender Vorbereitung auf Abschlussprüfungen,<br />

fachfremden Berufsbildenden und mangelndem<br />

Einbezug moderner Technologien und der Digitalisierung<br />

in der Ausbildung.<br />

DAHER VERLANGT SYNDICOM:<br />

› Regelmässige, unangekündigte<br />

Kontrollen der Lehrbetriebe<br />

› Mehr finanzielle Mittel für die Lehraufsicht<br />

und Ausbildungsberatende<br />

› Mehr Berufsbildungsberatende<br />

› Externe Evaluation des aktuellen Systems<br />

«QualiCarte» zur Bewertung der betrieblichen<br />

Ausbildung durch die Kantonsbehörden<br />

21%<br />

der Auszubildenden (1 von 5)<br />

brechen die Ausbildung ab<br />

(Romandie: 30%, Tessin: 32%)<br />

63%<br />

der Auszubildenden müssen<br />

manchmal Überstunden leisten<br />

70%<br />

der Lernenden geben zu,<br />

dass sie zeitweise gestresst sind<br />

… das Ende der Ausbeutung<br />

von Praktikant:innen<br />

Praktika sind befristete Anstellungen mit Ausbildungscharakter.<br />

Anders als bei der Lehre gibt es für Praktika<br />

keine Gesetze und Regelungen. Hinter einem Praktikum<br />

verbergen sich oft prekäre Arbeitsbedingungen, Ausbeutung,<br />

unzureichende Betreuung, niedrige, manchmal gar<br />

inexistente Bezahlung.<br />

DAHER VERLANGT SYNDICOM:<br />

› Pflicht zu angemessener Betreuung<br />

› Fixe Standards, die den Ausbildungscharakter<br />

gewährleisten<br />

› Einen Mindestlohn für Praktikant:innen,<br />

Volontär:innen und Stagiaires<br />

› Regulierung von Praktika im Arbeitsgesetz<br />

› Einführung von Aufsichts- und<br />

Kontrollstellen in den Kantonen<br />

31,5%<br />

der erwerbstätigen Personen zwischen<br />

15 und 29 Jahren<br />

hatten gemäss Bundesamt für<br />

Statistik 2020 einen befristeten Vertrag.<br />

Über<br />

100’000<br />

davon sind Praktikumsverträge. Sind das zu<br />

wenige Beschäftigte für den Bund, als dass<br />

sich der Einsatz für faire Spielregeln lohnen<br />

würde?


14 Dossier<br />

Stagiaires, <strong>syndicom</strong> ist da für euch!<br />

Junge Journalisten sollten heute mit allen Waffen in der Hand in den Arbeitsmarkt eintreten, um ihre Rechte und zukünftigen<br />

Arbeitsbedingungen zu verteidigen, um in dem sich ständig verändernden Beruf Schritt zu halten, und sie<br />

sollten während ihrer gesamten Karriere die nötige Unterstützung finden. Der Kampf für die Medienschaffenden beginnt<br />

bei den ganz jungen.<br />

Als grösste Mediengewerkschaft der Schweiz ist <strong>syndicom</strong><br />

die Akteurin, die den Journalistinnen in der beruflichen<br />

Tätigkeit und bei ihren individuellen und kollektiven<br />

Kämpfen zur Seite steht. Der jüngste Fall bei Tamedia hat<br />

dies erneut gezeigt. – Doch das wissen die Westschweizer<br />

Stagiaires meist nicht. Während die jungen Journalisten,<br />

die am MAZ in der Deutschschweiz oder am Corso im Tessin<br />

ausgebildet werden, während ihres Studiums von allen<br />

Verbänden und Gewerkschaften besucht werden, die<br />

sich für die Rechte der Medienschaffenden einsetzen, haben<br />

die Studierenden am Centre de formation des journalistes<br />

(CFJM) in Lausanne darauf keinen Anspruch.<br />

Tatsächlich ist es nur dem Berufsverband impressum gestattet,<br />

sich mit den Stagiaires zu treffen, und so starten<br />

sie in den Beruf, ohne zu wissen, dass zur Verteidigung<br />

ihres Berufsstandes die Gewerkschaft <strong>syndicom</strong> da ist, an<br />

die sie sich wenden können. Diese jahrelange Ausgrenzung<br />

von <strong>syndicom</strong> durch den Stiftungsrat des CFJM stellt<br />

zunächst einmal eine Behinderung der in der Verfassung<br />

verankerten Vereinigungsfreiheit dar (Artikel 28). Sie hätten<br />

das Recht, alle für ihre Branche wichtigen Akteure zu<br />

kennen, um zu entscheiden, welchem Verband sie beitreten,<br />

wo sie sich ihren Eintrag ins Berufsregister holen und<br />

wo sie sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen<br />

wollen.<br />

Ein grosses Netzwerk von Kolleg:innen, die Mitglieder<br />

von <strong>syndicom</strong> sind, erleichtert es ihnen meist, unserer<br />

Gewerkschaft später in ihrer Karriere beizutreten, etwa<br />

wenn ihre Arbeitsbedingungen bedroht sind. Es ist jedoch<br />

von entscheidender Bedeutung, dass gerade junge Journalistinnen<br />

und Journalisten in einer so schwierigen Branche<br />

wie der Medienbranche wissen, dass ihnen eine engagierte<br />

Gewerkschaft zur Seite steht und sie unterstützt.<br />

Deshalb verlangt <strong>syndicom</strong> dringlich den Zugang zum<br />

CFJM, wie er in den Journalismusschulen in der übrigen<br />

Schweiz üblich ist.<br />

Melina Schröter<br />

Bilder: Sergio Ferrari


Dossier<br />

15<br />

Ein internationales Sommercamp<br />

Im August 2023 wurde die Schweizer Gewerkschaftsjugend von den deutschen Kolleg:innen an ein internationales Union<br />

Camp am Bodensee eingeladen. Drei Tage feiern und lernen, Erfahrungen austauschen, die aktivistische Praxis bereichern.<br />

Aus dem Tagebuch von Jane Bossard, der Jugendsekretärin bei <strong>syndicom</strong>.<br />

ERSTER TAG, ERSTER WORKSHOP<br />

Die Themen Grenzgänger:innen und das Erstarken rechter<br />

Parteien in Europa wühlen nicht nur die teilnehmenden<br />

Mitglieder auf, sondern auch uns als Teamer:innen.<br />

Antifaschismus ist besonders für die deutschen Gewerkschaften<br />

ein grosser Teil ihrer Arbeit, dazu gehören Aufklärung,<br />

geschichtliche Aufarbeitung und Demokratieverständnis.<br />

Wir freuten uns, dass ein österreichischer<br />

Kollege dabei war, und hoffen auf engere Zusammenarbeit.<br />

WORKSHOP FEMINISTISCHER STREIK<br />

Am dritten Tag durfte ich meinen ersten Workshop leiten.<br />

Thema war der feministische Streik, der 14. Juni 2023. Ich<br />

habe von der Geschichte und der Situation in der Schweiz<br />

berichtet, wollte aber auch wirklich auf feministische Politik<br />

eingehen. Alle Schweizer:innen konnten erzählen,<br />

wie sie den 14. Juni erlebt haben und was die Probleme<br />

in ihren Branchen und Betrieben sind. Die Forderung<br />

«Zeit, Lohn, Respekt» wurde besprochen: Was kann gewerkschaftlich,<br />

was gesellschaftlich und was in den Betrieben<br />

erreicht werden, was muss geschehen, um wirklich<br />

einen Wandel anzustossen? So kam es zu konkreten<br />

Vorschlägen: Betriebskindergärten, Elternzeit oder Aufklärung<br />

über feministische Anliegen innerhalb der Gewerkschaft,<br />

wie auch zu etwas utopischeren Ideen wie<br />

Überwindung des Patriarchats bzw. der Geschlechterrollen<br />

insgesamt.<br />

GEWERKSCHAFTSWERWOLF<br />

VON DÜSTERWALD<br />

Ich habe am Abend das beliebte Lagerspiel «Die Werwölfe<br />

von Düsterwald» abgewandelt. Es waren nicht mehr<br />

«Werwölfe gegen Dorfleute», sondern «Streikende gegen<br />

Streikbrechende», aus dem «Blinzelmädchen» wurde eine Vertrauensperson und aus der «Seherin» wurden Personen<br />

des Betriebsrats, der Personalkommission. Es verlief am Anfang etwas chaotisch: mit gut fünfzig Menschen zu diskutieren,<br />

ist nicht leicht! Besonders mit fünfzig Gewerkschafter:innen, die rasch mit Forderungen wie Protokollschreibenden,<br />

Volksinitiativen und der Wahl einer PeKo aufstanden, was nicht nur Verzögerungen, sondern auch schallendes<br />

Gelächter gab.<br />

WORKSHOP MENTALE GESUNDHEIT<br />

Die mentale Gesundheit von jungen Menschen und Lernenden beschäftigte uns besonders. Überall auf der Welt haben<br />

junge Leute während der Pandemie ihren Arbeitsplatz verloren oder mussten mit ansehen, wie ihre Arbeitszeit verkürzt<br />

und der Zugang zu den Schulen versperrt wurde. Durch Tarifverhandlungen können Gewerkschaften dafür sorgen, dass<br />

Rahmenbedingungen und Regeln geschaffen werden, die Unterstützung im Bereich der psychischen Gesundheit bieten.<br />

Betriebliche Vertretung von Lernenden, eine handlungsfähige Lehraufsicht, Arbeitszeitreduktion und Aufklärung<br />

– es gibt viel zu tun! Für Präsentationen, Videos, weitere Fotos oder den Gewerkschaftswerwolf von Düsterwald gerne bei<br />

Jane melden.<br />

Jeannine «Jane» Bossard


16 Dossier


Dossier<br />

17


18<br />

Eine bessere<br />

Arbeitswelt<br />

Presse: Abstieg in die Hölle<br />

Die Belegschaft von Tamedia, unterstützt von <strong>syndicom</strong>, hat in<br />

Lausanne gegen die angekündigten Entlassungen eine Protestpause<br />

organisiert, einen Walk-out wie bei Google in Zürich.<br />

Wir waren über 100 und hoffen, der Kampfgeist greift über.<br />

Am Mittwoch, 20. September, gab Tamedia<br />

(TX) einen Sparplan bekannt,<br />

der die Befürchtungen noch übertraf:<br />

Schweizweit werden 50 Stellen gestrichen,<br />

die Zusammenarbeit mit 20<br />

Freischaffenden wird beendet. In der<br />

Romandie erhalten 28 Personen bei<br />

24 heures und Tribune de Genève sowie<br />

der Rédaction T (gemeinsame Redaktion<br />

der Westschweizer Tamedia­Titel)<br />

und des Matin Dimanche bis Ende<br />

Oktober ihre Kündigung. Damit sollen<br />

3,5 Millionen Franken eingespart<br />

werden. Die Entlassung in der Westschweiz<br />

betrifft mehr als 10 % der Beschäftigten<br />

(heute sind in der Romandie<br />

noch 250 Personen tätig).<br />

<strong>syndicom</strong> prangert an, dass der<br />

Verlag weiter seine Redaktionen zerschlägt<br />

und sie daran hindert, ihre für<br />

eine infor mierte demokratische Gesellschaft<br />

wesentliche Arbeit zu leisten.<br />

Das Milliardenunternehmen<br />

zeigt weiter keine soziale Verantwortung<br />

und lässt Arbeitsplätze in einem<br />

angeschlagenen Sektor verschwinden<br />

– wobei die Lage grösstenteils auf seine<br />

Entscheidungen zurückzuführen<br />

ist. All dies wurde schon mehrfach gesagt.<br />

Tamedia kümmert es nicht.<br />

«Die Redaktionen sind ausgeblutet»<br />

Für Stephanie Vonarburg, Vizepräsidentin<br />

<strong>syndicom</strong> und Leiterin Sektor<br />

Medien, ist der Personalabbau skandalös.<br />

«Die Redaktionen sind bereits<br />

heute ausgeblutet und stehen unter<br />

viel zu hohem Zeitdruck.» Obwohl es<br />

der TX Group finanziell gut geht: 2022<br />

hat sie 123 Millionen Gewinn erzielt,<br />

2021 waren es 177 Millionen. Letztes<br />

Jahr wurden 47,7 Millionen an Dividenden<br />

ausgeschüttet, 2021 78,4 Millionen,<br />

und seit dem Börsengang im<br />

Melina Schröter, Regionalsekretärin Medien, spricht auf der Protestaktion vor dem Gebäude von<br />

Tamedia in Lausanne am 25. September. (© Sergio Ferrari)<br />

Jahr 2000 über eine Milliarde. Hauptaktionärin<br />

ist Familie Supino­Coninx.<br />

50 Stellen streichen, 6 Millionen<br />

einsparen und dem Budget 47 Millionen<br />

entziehen – um sie Aktionären zu<br />

schenken, die das Geld nicht brauchen?<br />

Dafür haben immer weniger<br />

Menschen Verständnis. Tamedia hat<br />

ihre ausgezeichnete finanzielle Situation<br />

der Arbeit ihrer Beschäftigten zu<br />

verdanken. Dieser Konzern muss endlich<br />

wieder in den Journalismus investieren.<br />

<strong>syndicom</strong> unterstützt die Redaktionen<br />

in allen Aktionen gegen den<br />

neuen Sparplan und die neuen Kündigungen.<br />

Unsere Kolleg:innen sind am<br />

Ende, der Kampf der Gewerkschaft<br />

geht weiter.<br />

Melina Schröter<br />

Mehr Botschaften aus<br />

der Hölle ...<br />

Supinos Welt,<br />

eine Welt des Geldes<br />

«Aber die Leser lieben den ‹Bund›<br />

und die ‹Berner Zeitung›!» Zwei Zeitungen,<br />

eine Redaktion, das ist Pietro<br />

Supinos Formel zur Rettung der<br />

gedruckten Zeitungen. Als der Chef<br />

der TX Group Mitte September auf<br />

Einladung der Moebius­Stiftung in<br />

Lugano auftrat, liess er keine Fragen<br />

offen, das Verschwinden der<br />

Printmedien sei unausweichlich,<br />

nur die Geschwindigkeit ihres Niedergangs<br />

könne sich noch ändern.<br />

Er sagte sogar die Schliessung von<br />

zwei der drei noch aktiven Druckzentren<br />

voraus. Journalist:innen<br />

ohne Arbeit? Die Meinungsvielfalt,<br />

die Demokratie bedroht? Kollateralschäden.<br />

Für ihn ist die Ursache der<br />

Krise das alternative Überangebot.<br />

Was die SRG SSR betrifft, solle sie<br />

sich um die Kultur kümmern und<br />

um alles, was nicht mit den Privaten<br />

konkurriert. Deutlicher geht es<br />

nicht.<br />

Giovanni Valerio


«Über 1000 Kolleg:innen, pensionierte und arbeitstätige, kamen<br />

an die Protestkundgebung zum Jubiläum der AHV.» Adrian Flückiger (Text unten)<br />

19<br />

Der GAV von morgen<br />

Wer «Die Post von morgen» gestalten will, braucht auch einen<br />

«GAV von morgen». Wie <strong>syndicom</strong> die sozialpartnerschaftliche<br />

Vertragsarchitektur mit der Post verändern will.<br />

Der Gesamtarbeitsvertrag von morgen: Slogan unserer Verhandlungen. (© <strong>syndicom</strong>)<br />

Nichts weniger als «die Post von morgen»<br />

versprechen die Konzernverantwortlichen<br />

der Post der Schweizer Bevölkerung.<br />

Das muss auch gegenüber<br />

der Belegschaft gelten. Ohne gute Arbeitsbedingungen<br />

kann keine Post für<br />

die Zukunft entstehen. Deshalb hat<br />

<strong>syndicom</strong> für die Verhandlungen des<br />

GAV­Vertragswerks Post den Slogan<br />

«Der GAV von morgen» gewählt.<br />

Die meisten GAV mit der Post laufen<br />

Ende 2024 aus. Für einen naht losen<br />

Übergang starteten im September<br />

2023 die neuen Verhandlungen. <strong>syndicom</strong><br />

will:<br />

– das Vertragswerk weiterbauen,<br />

– die Gleichberechtigung aller Arbeitenden<br />

im Post­Konzern stärken<br />

– und ihren Schutz und die Arbeitsbedingungen<br />

verbessern.<br />

So gehen wir vor<br />

In einem ersten Schritt will <strong>syndicom</strong><br />

den Geltungsbereich des Dach­GAV<br />

der Post ausbauen, damit alle Kolleginnen<br />

und Kollegen Schutz unter<br />

demselben Dach finden. Der Dach­<br />

GAV regelt heute, was sich die Vertragsparteien<br />

<strong>syndicom</strong> und Post gegenseitig<br />

schulden, z. B. jährliche<br />

Lohnverhandlungen. Der Dach­GAV<br />

soll neu um normative Bestimmungen<br />

ergänzt werden, um die Gleichberechtigung<br />

zwischen den Kolleg:innen in<br />

den diversen Konzerngesellschaften<br />

und ihren Schutz zu verstärken.<br />

Im nächsten Schritt handeln die<br />

Sozialpartner die GAV der Konzerngesellschaften<br />

neu aus. Allen voran den<br />

GAV Post CH mit den beiden grössten<br />

Firmen Logistik­Services und Post­<br />

Netz. Hier geht es um die Verbesserung<br />

der Arbeitsbedingungen.<br />

Um die Anliegen und Interessen<br />

der Kolleginnen und Kollegen bestmöglich<br />

vertreten zu können, fühlten<br />

wir ihnen über den Sommer auf den<br />

Zahn. Wir erfuhren, was in den Themenbereichen<br />

Lohn, Gesundheit, Arbeitszeit<br />

usw. am vordringlichsten ist.<br />

Die Ergebnisse unserer Umfrage diskutieren<br />

wir dieser Tage mit den zuständigen<br />

Gremien. Dort wandeln wir<br />

sie in handfeste Forderungen um und<br />

priorisieren sie. Sobald die Forderungen<br />

spruchreif sind, werden wir sie bekannt<br />

machen.<br />

Manuel Wyss<br />

Das Vorgehen für<br />

den GAV ab 2025<br />

Erhöht unsere Renten!<br />

Adrian Flükiger, Co­Präsident Gewerkschaftsbund<br />

Stadt Bern und Umgebung<br />

Mehr als 1000 Kolleg:innen nahmen<br />

am 25. September 2023 in Bern an der<br />

Kundgebung zum 75­Jahr­Jubiläum<br />

der AHV teil und forderten, dass der<br />

Verfassungsauftrag endlich erfüllt<br />

wird. Die AHV wurde bereits 1948 eingeführt<br />

und seither besteht laut Bundesverfassung<br />

(Artikel 112) der Auftrag,<br />

dass damit im Rentenalter der<br />

Existenzbedarf gesichert werden<br />

muss. Aber die Realität sieht ganz anders<br />

aus!<br />

Nach 3 Jahren rekordhoher Teuerung<br />

auf Mieten, Energie­ und Lebensmittelpreisen<br />

sowie bei den Krankenkassenprämien<br />

wird diese miserable<br />

Politik unerträglich. Mittlerweile fehlt<br />

den Pensionierten eine ganze Monatsrente,<br />

weil die Teuerung (rund 8,3 % allein<br />

in den letzten Jahren) auf den<br />

AHV­Renten nicht oder nicht ausreichend<br />

ausgeglichen worden ist.<br />

Genau aus diesem Grund haben<br />

die Pensionierten <strong>syndicom</strong> stark für<br />

den 25. September 2023 mobilisiert<br />

und es nahm dann auch eine beachtliche<br />

Anzahl Kolleg:innen teil. Wir<br />

verlangten nebst der Umsetzung des<br />

Verfassungsauftrags die Einführung<br />

einer 13. AHV­Monatsrente, die Deckelung<br />

der Krankenkassenprämien<br />

bei max. 10 % des Lohns oder der Rente,<br />

die Ablehnung der BVG21­Reform,<br />

und wir lehnen die «Rentenalterinitiative<br />

66+» des Jungfreisinns kategorisch<br />

ab. Wir wollen, dass für die älteren<br />

Menschen die richtigen Prioritäten<br />

in der Sozial­, Steuer­ und Wohnungspolitik<br />

gesetzt werden. Auch im Sinne<br />

der (heute) jüngeren Generationen.


20 Arbeitswelt<br />

«Ein weiterer wichtiger Schritt hin zu<br />

lebensabschnittsgerechten Arbeitszeitmodellen.» Franz Schori<br />

Attraktive Altersteilzeit bei<br />

Swisscom<br />

Der Fachkräftemangel zwingt die Unternehmen auch, ältere Beschäftigte<br />

länger im Arbeitsprozess zu halten. Die von <strong>syndicom</strong><br />

verhandelte Altersteilzeit bei Swisscom ist ein Gewinn für alle.<br />

AHV­Demo am 25. September, Erinnerung an den Verfassungsauftrag. (© <strong>syndicom</strong>)<br />

«Das Pilotprojekt hat mir 2020 die<br />

schrittweise Frühpensionierung ermöglicht»,<br />

sagt Urs Scheuble, ehemaliger<br />

Swisscom­Mitarbeiter und Präsident<br />

des Firmenvorstands Swisscom<br />

Group. «Gleichzeitig konnte Swisscom<br />

frühzeitig meine Nachfolge planen, es<br />

war eine Win­win­Situation.»<br />

Bei den Verhandlungen für den Gesamtarbeitsvertrag<br />

haben <strong>syndicom</strong><br />

und Swisscom vereinbart, das erfolgreiche<br />

Pilotprojekt von 2020 wieder<br />

aufzugreifen. Neu ist der Einstieg jeden<br />

Monat möglich, und zwar für GAV­<br />

Mitarbeitende und Kader des Job­<br />

Levels C ab dem 60. Altersjahr, die in<br />

einer Gruppengesellschaft arbeiten,<br />

die dem GAV Swisscom angeschlossen<br />

ist (Ausnahme: Swisscom Services).<br />

Verkraftbare Einbussen<br />

Die Teilnahme ist freiwillig und kann<br />

nicht verordnet werden. Vorgesetzte<br />

können ein Veto einlegen, müssen es<br />

aber schriftlich begründen. Swisscom­Mitarbeitende<br />

können sich von<br />

HR Advisory und ihrer Pensionskasse<br />

comPlan detailliert informieren lassen,<br />

zusätzlich können sie die Pensionierungsberatung<br />

von <strong>syndicom</strong> in<br />

Anspruch nehmen.<br />

Wählen können Swisscom­Mitarbeitende<br />

eine von zwei Varianten, bei<br />

denen sie über 18 bis 24 Monate ihr<br />

Pensum um 10 bis 40 % reduzieren<br />

und dann in (Früh­)Rente gehen:<br />

– Altersteilzeit: Lohnreduktion im<br />

Umfang der Pensenreduktion, aber<br />

der versicherte Lohn bei comPlan<br />

bleibt auf dem bisherigen Niveau.<br />

– Teilpensionierung: Lohnreduktion<br />

und Reduktion des versicherten<br />

Lohns bei comPlan im Umfang der<br />

Pensenreduktion, aber mit Teilrente<br />

und Teil­AHV­Überbrückungsrente.<br />

Mit Beschäftigungsgarantie<br />

Im Anschluss besteht weiter der Anspruch<br />

auf die AHV­Überbrückungsrente,<br />

Swisscom trägt finanziell dazu<br />

bei, die Rentenverluste zu reduzieren.<br />

Für den Streitfall gibt es einen Eskalationsprozess.<br />

Die Teilnehmenden haben<br />

während der Laufzeit eine weitgehende<br />

Beschäftigungsgarantie.<br />

Stress und Druck nehmen schrittweise<br />

ab – ein sanfter Übergang in die<br />

Pensionierung. Gleichzeitig kann<br />

Swisscom die Nachfolge schrittweise<br />

aufbauen, was bei anspruchsvollen<br />

Tätigkeiten von Bedeutung ist. «Ich<br />

hoffe, das Beispiel von Swisscom<br />

macht Schule», sagt der rundum zufriedene<br />

Gewerkschafter und Frühpensionär<br />

Urs Scheuble.<br />

Franz Schori<br />

Infos zum<br />

Swisscom­Modell<br />

Besser arbeiten in der<br />

Netzinfrastruktur<br />

Daniel Hügli, Leiter Sektor ICT und Mitglied<br />

der Geschäftsleitung<br />

Am 1. Januar 2024 treten die Änderungen<br />

im Gesamtarbeitsvertrag der<br />

Netzinfrastruktur­Branche in Kraft,<br />

und bis dann sollte auch die Allgemeinverbindlicherklärung<br />

des Bundesrats<br />

vorliegen. <strong>syndicom</strong> hat in<br />

Verhandlungen mit den Arbeitgeberverbänden<br />

SNiv und VFFK den bisherigen<br />

GAV weiter verbessern können.<br />

Auch wenn die aktuelle Marktsituation<br />

angespannt ist, sind mittelfristig<br />

die Zukunftsaussichten positiv.<br />

Die Branche hat mit einem Fachkräftemangel<br />

zu kämpfen, weshalb es im<br />

gemeinsamen Interesse der Sozialpartner<br />

liegt, die Bedingungen attraktiver<br />

zu gestalten. Die Besonderheiten<br />

der Branche und ihre Vielfalt gilt es<br />

bei den schrittweisen Verbesserungen<br />

jedoch zu berücksichtigen.<br />

Dem erneuerten GAV, der bis und mit<br />

2026 gilt, sind nun auch die Korrosionsschutzarbeiten<br />

an Anlagen der<br />

Netzinfrastruktur ausdrücklich unterstellt.<br />

Besser geschützt sind zudem<br />

Arbeit nehmende, die Mitglied einer<br />

Personalvertretung, eines Pensionskassen­Stiftungsrats<br />

oder eines Vorstands<br />

von <strong>syndicom</strong> sind.<br />

Ab 2025 gilt im Netzbau die<br />

41­Stunden­Woche – also im Durchschnitt<br />

eine Stunde weniger. Bereits<br />

ab 2024 ist bei regelmässiger Nachtarbeit<br />

eine Zeitgutschrift von 15 %<br />

statt bisher 10 % geschuldet, also mehr<br />

Kompensationszeit. Ebenfalls erhöht<br />

wird der Mutterschaftsurlaub: von 14<br />

auf 16 Wochen. Der zweiwöchige<br />

Vater schaftsurlaub erhält die volle<br />

Lohnfortzahlung.


«Wir haben es mit Arbeitgebern wie Alphabet zu tun, die<br />

globale Strategien haben. Das sollten wir nachahmen!» Daniel Hügli<br />

21<br />

Die Gewerkschaften der Welt<br />

stehen auf<br />

1200 Gewerkschaftsaktivist:innen aus 109 Ländern trafen sich<br />

im August in Philadelphia, zum Kongress von UNI Global Union.<br />

Auch <strong>syndicom</strong> war da. Wir haben bei Daniel Hügli nachgefragt.<br />

Daniel Hügli spricht auf dem internationalen Gewerkschaftskongress in Philadelphia. (© UNI Global Union)<br />

Daniel, weshalb braucht es einen<br />

Weltkongress der Gewerkschaften?<br />

Wir sind eine ebenso diverse wie riesige<br />

weltweite Gewerkschaftsfamilie,<br />

die zusammenkommt, um eine stärkere<br />

Bewegung aufzubauen. Wir müssen<br />

Organisationsarbeit leisten wie<br />

nie zuvor: Immer grössere Unternehmen<br />

und immer mehr Regierungen<br />

weltweit greifen die Rechte der Arbeitenden<br />

an. Wir brauchen neue und<br />

bessere Verbindungen unter uns und<br />

zwischen unseren Gewerkschaften<br />

und müssen sie schaffen.<br />

Welches sind solche Kämpfe,<br />

die alle Länder betreffen?<br />

Auch wenn die Themen natürlich<br />

nicht überall auf dieselbe Weise und<br />

mit derselben Dringlichkeit angegangen<br />

werden, sei es in der Ukraine oder<br />

in Japan, sind Gewerkschaften die Lösung.<br />

Den Einfluss der Arbeitnehmenden<br />

zu stärken, ist eine Priorität. Wir<br />

müssen unsere Mitgliederzahl erhöhen,<br />

damit wir uns mit noch mehr<br />

Rückhalt für Gesundheit, Sicherheit,<br />

Gleichstellung, Mitwirkung und Verhandlungen<br />

einsetzen können.<br />

In einem Bereich, den ich gut kenne –<br />

die ICT –, haben wir mit Arbeitgebern<br />

wie Alphabet zu tun, die globale Strategien<br />

haben. Das sollten wir nachahmen!<br />

Wir sollten uns international<br />

organisieren, um wirksame und<br />

rechtsverbindliche Instrumente zu<br />

schaffen, damit die multinationalen<br />

Unternehmen zur Rechenschaft gezogen<br />

werden können.<br />

Welche konkreten Vorschläge haben<br />

sich aus diesem Kongress ergeben?<br />

Wir haben Resolutionen und Massnahmen<br />

verabschiedet, um in den<br />

nächsten vier Jahren weltweit wieder<br />

Gewerkschaftsmacht aufzubauen.<br />

Diskutiert wurden unter anderem<br />

Möglichkeiten, dem Klimawandel zu<br />

begegnen und einen gerechten Übergang<br />

für die Arbeitnehmenden in allen<br />

Sektoren sicherzustellen oder<br />

gemeinsam aufzustehen – für die Jugend,<br />

den Frieden, die Demokratie<br />

und die Menschenrechte. «Rising Together»<br />

war das Motto des 6. Kongresses.<br />

Die Berichte unserer Kolleg:innen<br />

aus Kolumbien, Nepal oder den Philip<br />

pinen zu hören, war äusserst bereichernd<br />

und zeigte mir nicht nur neue<br />

Herangehensweisen auf. Es verlieh<br />

auch Energie und Mut, um die Gewerkschaftsfreiheit<br />

und die Menschenrechte<br />

standhaft zu verteidigen.<br />

Muriel Raemy<br />

Zu den Texten des UNI­Global­<br />

Kongresses 2023 (englisch)<br />

Menstruations-Pause<br />

und Menopause im GAV<br />

Patrizia Mordini, Leiterin Gleichstellung,<br />

Mitglied der Geschäftsleitung, in Philadelphia<br />

Mehr als 700 Gewerkschaftsfrauen<br />

aus über 200 Ländern kamen Ende<br />

August in Philadelphia zur Weltfrauenkonferenz<br />

der UNI Global Union.<br />

Unter dem Motto «Women Rising Together»<br />

setzten wir die Prioritäten für<br />

die nächsten vier Jahre: für menschenwürdige<br />

Arbeit und eine nachhaltige<br />

Welt, für eine Welt frei von sexualisierter<br />

Gewalt und Belästigung, für die Jugend,<br />

die Förderung von Frauen in<br />

den Gewerkschaften, für Gesundheit<br />

und Sicherheit am Arbeitsplatz.<br />

Viele Delegierte rückten bei der<br />

Gesundheit in den Mittelpunkt, dass<br />

neben der Mutterschaft Menstruation<br />

und Menopause aus der Tabuzone gehoben<br />

werden müssten. Gerade die<br />

Wechseljahre werden noch kaum adressiert,<br />

obwohl viele Frauen sich<br />

durch Wechseljahrsbeschwerden bei<br />

der Arbeit beeinträchtigt fühlen.<br />

In Grossbritannien gaben in einer<br />

Studie von 2022 drei von fünf Frauen<br />

zwischen 50 und 64 an, dass sich die<br />

Wechseljahre negativ auf ihre Arbeit<br />

auswirkten, in Australien waren es sogar<br />

83 Prozent der Frauen. Auch Kündigungen<br />

seitens der Frauen seien<br />

Folgen. Erst wenige Länder erheben<br />

Daten dazu, diese haben aber bereits<br />

fortschrittliche Arbeitsbedingungen<br />

geschaffen. So berichtete eine australische<br />

Gewerkschafterin über vom<br />

Parlament beschlossene Massnahmen.<br />

Die Weltfrauenkonferenz forderte<br />

folglich, dass die Themen Menstruation<br />

und Menopause in die<br />

Verhandlungen und GAV einbezogen<br />

werden müssen.


22 Politik<br />

Alarmstufe Rot<br />

beim Wohnen<br />

Mieten-Teuerung, Wohnungsnot, Kündigungsflut:<br />

Als ob die Lage nicht schon schlimm genug wäre, hat<br />

nun das Parlament auf Drängen der Immobilienlobby<br />

noch einschneidende Verschlechterungen im Mietrecht<br />

beschlossen. Das dürfen auch die Gewerkschaften<br />

keineswegs hinnehmen. HEV, Swiss Prime Site & Co.<br />

müssen wir jetzt an der Urne stoppen.<br />

Text: Reto Wyss, Mitarbeit: Esther Banz<br />

Bild: Asloca (Mieterverband der Westschweiz)<br />

Wer kein Eigenheim besitzt und<br />

nicht das Glück hat, in einer<br />

gemein nützigen Wohnung zu leben,<br />

kann sich bald seines Zuhauses<br />

nicht mehr sicher sein. Bis jetzt hat<br />

das Mietrecht es zumindest<br />

gestattet, sich einer reinen Marktlogik<br />

im Wohnungswesen zu widersetzen.<br />

Mieteinnahmen konnten<br />

nur zur Deckung der Kosten und zur<br />

Erzielung einer «beschränkten Rendite»<br />

kassiert werden. Doch heute<br />

steht das von den bürgerlichen<br />

Parteien dominierte Parlament kurz<br />

davor, das Mietrecht drastisch zu<br />

verschlechtern. Der stufenweise<br />

Angriff ist kühl durchorchestriert.<br />

Der erste Schritt ist beschlossene<br />

Sache: Das Parlament hat die<br />

Schwächung des Mietrechts in der<br />

Herbstsession definitiv verabschiedet.<br />

Dagegen wurde umgehend<br />

ein von den Gewerkschaften unterstütztes<br />

Doppelreferendum lanciert.<br />

Einfacher mal rauswerfen<br />

Nach geltendem Recht ist die Untervermietung<br />

ein verbrieftes Recht<br />

der Mieter:innen. Sie brauchen dazu<br />

aber schon heute immer die<br />

Zustimmung der Vermieterseite.<br />

Erster Tiefschlag: Mit der<br />

geplanten Gesetzesrevision soll eine<br />

Reihe von willkürlichen Gründen<br />

für die einseitige Verweigerung<br />

einer Untervermietung eingeführt<br />

werden. Neu könnte den Mieter:innen<br />

auch bei leichten «Formfehlern»<br />

einer Untervermietung<br />

sogar gekündigt werden – quasi<br />

fristlos! Auslandaufenhalte könnten<br />

dadurch erschwert werden, ebenso<br />

Wohngemeinschaftsformen aller<br />

Art – obwohl sie aus ökologischen,<br />

sozialen und ökonomischen<br />

Gründen immer wichtiger werden.<br />

Zweiter Tiefschlag: Eine<br />

krasse Verschlechterung beim<br />

Kündigungsschutz wegen Eigenbedarf.<br />

Künftig müsste dieser Eigenbedarf<br />

nicht mehr «dringlich»<br />

sein, womit die gängige Interessenabwägung<br />

immer zugunsten der<br />

Vermieter:in ausfallen würde.<br />

Bereits heute wird jedoch der Eigenbedarf<br />

oft nur als Vorwand für eine<br />

Kündigung verwendet. Dies mit<br />

dem einfachen Ziel, die Wohnung<br />

danach zu einem höheren Mietpreis<br />

wieder auszuschreiben. Mit der<br />

vorgesehenen Gesetzesänderung<br />

wäre dies noch einfacher. Selbst ältere<br />

Mieter:innen, die seit Jahren in<br />

ihrer Wohnung leben, könnten<br />

ohne Härte fall abwägung einfach<br />

auf die Strasse gestellt werden.<br />

Man muss sich zweimal die Augen<br />

reiben, um wirklich zu glauben,<br />

wie unverhohlen und unverschämt<br />

die Immobilienlobby ihre Interessen<br />

politisch vorantreibt. Ihr Plan<br />

ist zielstrebig und klar: Zuerst<br />

die Mieter:innen einfacher rauswerfen<br />

und dann die Mieten noch<br />

stärker erhöhen.<br />

Ein Grossangriff<br />

Bei der Kaufkraft-Demo kündigten Mitglieder von Asloca/Mieterverband schon das Referendum<br />

gegen die Schwächung des Mietrechts an, über die zwei Tage später im Nationalrat abgestimmt wurde.<br />

Dritter Tiefschlag: Das Anfechten<br />

überrissener Mieten soll mit<br />

zwei Vorstössen weiter erschwert<br />

werden – auch diese Angriffe sind<br />

im Parlament schon eingefädelt.<br />

Die Anfechtung eines missbräuchlichen<br />

oder quartierunüblichen Mietzinses<br />

soll mit diesen Vorlagen noch<br />

schwieriger gemacht und die Logik<br />

der Marktmiete damit de facto im<br />

Gesetz festgeschrieben werden.<br />

Gegen jede Rechtsverschlechterung<br />

muss einzeln das Referendum<br />

ergriffen werden. Das ist ein frontaler<br />

Angriff auf das Recht auf Wohnen<br />

und auf die soziale Nachhaltigkeit,<br />

letztlich auf den sozialen<br />

Frieden.


«Mietrecht schützen.<br />

Rendite begrenzen.» Reto Wyss, SGB<br />

23<br />

Der perfide<br />

Plan der<br />

Immo-Lobby:<br />

So wird das Angebot an bezahlbaren<br />

Wohnungen weiter verringert anstatt<br />

ausgebaut. Als ob die Mieten<br />

nicht längst exorbitant wären,<br />

und als ob in den Ballungszentren<br />

überhaupt noch eine relevante<br />

Anzahl freier bezahlbarer Wohnungen<br />

existierte! Es ist völlig klar:<br />

Anstelle weiterer Rückschritte<br />

braucht es im Mietrecht und auf<br />

dem Wohnungsmarkt unbedingt<br />

substanzielle Fortschritte.<br />

Die Vorschläge liegen auf<br />

dem Tisch. Zwei davon: die sofortige<br />

Einführung einer regelmässigen<br />

Prüfung der zulässigen Rendite<br />

durch obligatorische Revisionen<br />

und der schnelle Ausbau der – in<br />

der Bundesverfassung verankerten –<br />

Förderinstrumente für den gemeinnützigen<br />

Wohnungsbau.<br />

Die Mietrechts-Verschlechterungen<br />

würden weniger schwer<br />

wiegen, wenn die Häuser mit Mietwohnungen<br />

weiterhin mehrheitlich<br />

Privaten gehörten. Immer mehr<br />

Wohnungen gelangen jedoch in den<br />

Besitz von Immobilienkonzernen.<br />

Wohnungsminister Parmelin:<br />

Totalausfall<br />

Doch der zuständige SVP-Bundesrat<br />

Parmelin bewegt sich nicht.<br />

Letzter Akt: Im Frühjahr wurde<br />

an einem «runden Tisch» beschlossen,<br />

dass irgendwann eventuell<br />

ein Aktionsplan zur Linderung der<br />

Wohnungs- und Mietnot erstellt<br />

wird. Dies natürlich nur, wenn es<br />

der am Tisch vertretenen Immobilienlobby<br />

auch wirklich genehm<br />

ist.<br />

Die Hoffnung ist dahin, dass das<br />

neu gewählte Parlament die<br />

Immolobby in die Schranken weist.<br />

Also müssen wir die laufenden Angriffe<br />

auf das Mietrecht mit jedem<br />

einzelnen dazu nötigen Referendum<br />

bekämpfen.<br />

Jetzt Doppel-Referendum<br />

unterzeichnen<br />

Doppel-Referendum!<br />

Die Immobilienindustrie will das<br />

Mietrecht durch eine ganze Reihe von<br />

Vorstössen im Parlament schwächen.<br />

Klares Ziel: noch mehr Rendite.<br />

Um dies zu erreichen, hat ihr parlamentarischer<br />

Arm, die Immobilienlobby,<br />

ihre Gesetzesrevisionen bewusst<br />

nicht – wie sonst üblich – zu einer<br />

Vorlage zusammengefasst. Das zwingt<br />

uns, gegen jede Gesetzesänderung<br />

einzeln das Referendum zu ergreifen.<br />

Die ersten beiden Revisionen<br />

wurden im September vom Parlament<br />

verabschiedet. Sie schwächen den<br />

Kündigungsschutz, sodass Mieter:innen<br />

ihre Wohnung oder ihr Geschäftslokal<br />

leichter verlieren können.<br />

Wir müssen also tätig werden.<br />

Gegen<br />

eine neue Verordnung, die die Regeln<br />

für die Untervermietung verschärft –<br />

ohne dabei aber gegen Plattformen<br />

wie Airbnb vorzugehen!<br />

Und gegen<br />

den Vorschlag, die Eigenbedarfs-<br />

Kündigung zu erleichtern, indem der<br />

«dringliche» Bedarf durch einen nur<br />

«wichtigen und aktuellen» Bedarf<br />

ersetzt werden darf.<br />

Doppel-Referendum<br />

unterzeichnen auf<br />

Mieterverband.ch<br />

Einfacher<br />

rauswerfen<br />

Miete<br />

erhöhen<br />

2x NEIN zum Angriff<br />

auf das Mietrecht!<br />

Jetzt 2 Referenden unterschreiben!<br />

«Beschränkte»<br />

Rendite?<br />

Das heutige Mietrecht ist im Grundsatz<br />

eigentlich nicht schlecht. Gemäss<br />

Gesetz dürfen Vermieter:innen mit den<br />

Mieteinnahmen lediglich die Kosten<br />

decken und eine beschränkte Rendite<br />

erzielen. Das ist die Theorie.<br />

In der Praxis haben die Mieter:innen<br />

über die letzten 15 Jahre durch<br />

missbräuch liche Mietrenditen insgesamt<br />

aber fast 80 Milliarden Franken<br />

zu viel bezahlt – dies ist die Haupterkenntnis<br />

einer viel zitierten, vom<br />

Mieterverband extern in Auftrag<br />

gegebenen Studie.<br />

Und gemäss einem skandalösen<br />

Leiturteil des Bundesgerichts darf<br />

diese «beschränkte Rendite» neu<br />

sogar noch 1,5 Prozent höher sein als<br />

bis anhin.<br />

Man passt das Recht also der<br />

missbräuchlichen Praxis an – und<br />

nicht umgekehrt.<br />

Angesichts des anhaltenden<br />

Rechtsbruchs und der äusserst<br />

eigentümerfreundlichen Auslegung<br />

des Mietrechts ist es umso wichtiger,<br />

den parlamentarischen Grossangriff<br />

der Immobilien-Lobby auf die<br />

Mieter:innen zu stoppen.


24 Politik<br />

Personenfreizügigkeit<br />

unter der Lupe<br />

Das Freizügigkeitsabkommen<br />

mit den flankierenden<br />

Massnahmen hat die Lage<br />

der Arbeitnehmenden<br />

insgesamt verbessert. Die<br />

Kehrseite: Es erleichtert<br />

leider die Temporärarbeit<br />

und die Entsendung. Beides<br />

zeigt der SGB in seiner Analyse<br />

zum Observatoriumsbericht<br />

2023.<br />

Text: Giovanni Valerio<br />

Grafik: Patrick Aliesch<br />

Wie ist die aktuelle Situation?<br />

Im Allgemeinen haben die flankierenden<br />

Massnahmen die Situation<br />

der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer<br />

verbessert. Damit wurde<br />

die Schweiz attraktiver für gut<br />

Ausgebildete: der akademische Bildungsgrad<br />

der Beschäftigten stieg<br />

von 22 % (2001) auf 41 % (2016).<br />

Es gibt jedoch keinen Zusammenhang<br />

zwischen der Personenfreizügigkeit<br />

und der reinen Zahl<br />

der Personen, die in die Schweiz<br />

kommen. Hier spielen die Wirtschaftslage<br />

und die Internationalisierung<br />

von Wirtschaft und Gesellschaft<br />

die treibende Rolle.<br />

Was funktioniert noch nicht?<br />

Leider hat das Freizügigkeitsabkommen<br />

auch zwei potenziell prekäre<br />

Formen der Arbeit begünstigt:<br />

Temporärarbeit und Ent sendung<br />

aus dem Ausland. Das Abkommen<br />

erlaubt auch die Verleihung von<br />

Kurzaufenthalterinnen und Grenzgängern.<br />

Die Temporär arbeit hat<br />

seitdem stark zugenommen.<br />

Temporäre haben oft schlechtere<br />

Arbeitsbedingungen als Festangestellte,<br />

was der Temporärarbeit<br />

einen unfairen Marktvorteil gibt.<br />

Das Schweizer System des Lohnschutzes<br />

hat es geschafft, die<br />

schlimmsten Missbräuche zu bekämpfen.<br />

Doch der Lohnschutz ist<br />

unvollständig. Zahlreiche Branchen,<br />

wie der Detailhandel oder Gesundheit<br />

und Soziales (Kitas, Heime ...),<br />

sind nicht durch Gesamtarbeitsverträge<br />

mit Mindestlöhnen geschützt.<br />

Beides müssen wir verbessern:<br />

Arbeitsbedingungen für Temporäre<br />

und die Abdeckung mit GAV.<br />

Was sind die kritischen Punkte?<br />

In Grenzregionen haben entsandte<br />

Arbeitskräfte mittlerweile bei der<br />

Küchen- und Fenstermontage oder<br />

im Holzbau Marktanteile von 20<br />

Prozent. Entsendefirmen kommen<br />

mit ausländischen Löhnen und<br />

Verträgen in die Schweiz.<br />

Das Dumpingpotenzial ist deshalb<br />

gross. Dank den flankierenden<br />

Massnahmen mit den Lohnkontrollen<br />

können Fehlbare entdeckt und<br />

gebüsst werden – der Bussenvollzug<br />

im Ausland ist aber schwierig. Deshalb<br />

wurde die Kaution eingeführt.<br />

Warum also Personenfreizügigkeit?<br />

Die Personenfreizügigkeit gibt den<br />

Einwander:innen mehr Rechte und<br />

einen besseren sozialen Schutz – indem<br />

Daueraufenthalts-Bewilligungen<br />

für 5 Jahre gewährt werden und<br />

der Arbeitsplatzwechsel in der<br />

Schweiz relativ einfach ist. Die Einwander:innen<br />

stehen daher weniger<br />

unter dem Druck der Arbeitgeber,<br />

und Schwarzarbeit ist heute deutlich<br />

seltener. Der Schweizer Gewerkschaftsbund<br />

setzt sich dafür ein,<br />

dass die Bilateralen den Arbeitenden<br />

nützen und nicht schaden.<br />

Die Analyse des<br />

Observatoriumsberichts von<br />

Daniel Lampart, SGB<br />

Worum gehts?<br />

Das Freizügigkeitsabkommen zwischen<br />

der Europäischen Union und<br />

der Schweiz trat am 1. Juni 2002 in<br />

Kraft. Durch das Abkommen werden<br />

die Lebens- und Arbeitsbedingungen<br />

für EU-Bürger:innen in der Schweiz<br />

vereinfacht. Ergänzt wird die Personenfreizügigkeit<br />

durch die gegenseitige<br />

Anerkennung von Berufsdiplomen,<br />

durch das Recht auf den Erwerb von<br />

Immobilien und die Koordination der<br />

Sozialversicherungssysteme.


Recht so!<br />

25<br />

Liebe Rechtsberatung<br />

Im Sommer 2022 erlangte ich den Bachelor<br />

in Graphic Design. Da ich anschliessend als<br />

Grafikdesignerin keinen Job finden konnte,<br />

trat ich anfangs Jahr eine Stelle als Praktikantin<br />

in der Vorstufe einer Druckerei an.<br />

Vorgesehen war ein auf ein halbes Jahr befristetes<br />

Praktikum, danach hätte mich die<br />

Druckerei fest anstellen wollen. Welche<br />

Rechte habe ich als Praktikantin?<br />

Im Juni unterbreitete mir der Chef einen<br />

weiteren, auf drei Monate befristeten<br />

Praktikumsvertrag zu denselben Lohnbedingungen,<br />

anstelle des unbefristeten<br />

Arbeitsvertrages. Habe ich nach dem halben<br />

Jahr Berufserfahrung kein Recht auf<br />

eine unbefristete Anstellung und einen<br />

höheren Lohn?<br />

Im September bot man mir erneut einen<br />

Praktikumsvertrag an. Ist das erlaubt?<br />

Antwort des <strong>syndicom</strong>-Rechtsdienstes<br />

Da es keine gesetzlichen Bestimmungen gibt, welche das<br />

Arbeitsverhältnis im Praktikum regeln, empfiehlt es sich<br />

immer, auf einem schriftlichen Praktikumsvertrag zu<br />

bestehen. Darin sollen die wesentlichen Vertragspunkte<br />

geregelt werden, insbesondere der Lohn, eine Probezeit<br />

und Kündigungsmöglichkeiten, da diese bei befristeten<br />

Arbeits verhältnissen gesetzlich nicht vorgesehen sind.<br />

Wenn kein Praktikumsvertrag vorhanden ist, hast du<br />

als Praktikantin – wie jede Angestellte – von Gesetzes<br />

wegen Anspruch auf bezahlte Ferien, ein Arbeitszeugnis,<br />

die Einhaltung der wöchentlichen Höchstarbeitszeiten<br />

und einen Unfallversicherungsschutz. Beträgt das<br />

Arbeitspensum mehr als acht Stunden in der Woche, ist<br />

auch eine Versicherung gegen Nichtberufsunfälle Pflicht.<br />

Darüber hinaus gelten für Praktikant:innen die<br />

Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrags für die<br />

grafische Industrie, falls der Betrieb in den Geltungsbereich<br />

des GAV fällt. Gemäss diesem haben die Praktikant:innen<br />

mindestens fünf Wochen Ferien im Kalenderjahr<br />

und eine Höchstarbeitszeit von 40 Wochenstunden.<br />

Du hast während eines halben Jahres die Arbeitsleistung<br />

im Rahmen des Praktikumsvertrages erbracht, demnach<br />

hat der Arbeitgeber zu begründen, warum deine<br />

Leistungen nicht für eine Festanstellung genügen sollen.<br />

Deswegen sollten in einem Praktikumsvertrag auch die<br />

Ziele festgelegt werden. Die Entlohnung ist ebenfalls<br />

gesetzlich nicht geregelt. Da beim Praktikum der<br />

Ausbildungs charakter im Zentrum steht, ist ein tieferer<br />

Lohn gerechtfertigt. Der Praktikumslohn ist reine Verhandlungssache.<br />

Wenn der GAV zur Anwendung kommt,<br />

dann können allenfalls die Bestimmungen zum Lohn für<br />

Ungelernte und für Lernende als Verhandlungsbasis<br />

herangezogen werden. Jedenfalls gilt es, sich an den<br />

Branchenlöhnen zu orientieren.<br />

Ein Praktikum dient der Ausbildung. Es ist somit nicht<br />

erlaubt, mehrere Praktika hintereinander beim gleichen<br />

Betrieb, auf dem gleichen Arbeitsgebiet und zu denselben<br />

Arbeitsbedingungen zu absolvieren. Dabei handelt es sich<br />

analog zur Rechtsprechung des Bundesgerichts zu den<br />

befristeten Arbeitsverhältnissen um verbotene Kettenarbeitsverträge.<br />

Damit werden rechtliche Ansprüche zum<br />

Schutz der Angestellten umgangen. Dagegen kannst du<br />

dich wehren, wobei dich <strong>syndicom</strong> gerne berät, wenn<br />

du Mitglied bist. Auch setzt sich unsere Jugendsekretärin<br />

gegen solche Missbräuche ein.<br />

Siehe auch Seite 13 in diesem Heft! Dort die aktuellen<br />

Resolutionen der IG Jugend (vom 29. September) zum<br />

Thema Praktikums-Missbrauch und Qualität der Lehre.<br />

<strong>syndicom</strong>.ch/rechtso


26 Freizeit<br />

Tipp<br />

Die rote Zora und ihre schwarzen Brüder<br />

Für alle, die Kinder haben oder Kinder waren:<br />

Vor über 80 Jahren wurden im Tessin zwei Jugendbücher<br />

geschrieben, die viele kennen, sei es von<br />

den Ver filmungen oder den Buchausgaben:<br />

«Die rote Zora und ihre Bande»<br />

und «Die schwarzen Brüder».<br />

Hinter diesen beiden Klassikern<br />

der Jugendliteratur steht ein<br />

deutsches Autorenpaar, das<br />

nach der Machtübernahme der<br />

Nationalsozialisten ins Tessin<br />

geflüchtet ist. Die schauspielerisch<br />

ausgebildete Märchenerzählerin<br />

Lisa Tetzner und der<br />

Kommunist und Arbeiterschriftsteller<br />

Kurt Kläber haben in<br />

ihren Werken auch Teile ihres<br />

persönlichen Schicksals verarbeitet<br />

und damit Themen wie<br />

Armut und soziale Ungleichheit<br />

in die Zimmer der Jugendlichen<br />

ge tragen.<br />

Bis zu ihrem Tod lebten die<br />

beiden in Carona bei Lugano.<br />

Dazu, wie ihr Leben aussah,<br />

erzählt die Wikipedia: «Das Paar lebte von den Erträgen<br />

ihrer kleinen Landwirtschaft und den Einnahmen, die<br />

Lisa Tetzner aus einem Lehrauftrag in Basel hatte. Wegen<br />

des Stalinismus brach Kläber 1938 mit der KPD. Durch<br />

die harten Bedingungen des Exils,<br />

gesundheit liche Probleme und den<br />

Verlust seiner langjährigen weltanschaulichen<br />

Basis geriet er in<br />

eine psychische Krise. Um sich zu<br />

beschäftigen, half er seiner Frau,<br />

die weiter Kinderbücher schrieb,<br />

bei ihrer Arbeit.» 1948 wurden die<br />

beiden ein gebürgert.<br />

Eine Ausstellung im Landesmuseum<br />

Zürich folgt den Spuren<br />

des Autorenpaars in Deutschland<br />

und der Schweiz und geht dem<br />

Erfolg ihrer bekannten Jugendbücher<br />

auf den Grund. Es werden<br />

verschiedene Führungen angeboten,<br />

darunter eine für Familien<br />

und eine für Senior:innen.<br />

(krü)<br />

Achtung, nur noch bis 12. November!<br />

Landesmuseum.ch<br />

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Das Bildungsinstitut der Gewerkschaften<br />

L’Institut de formation des syndicats<br />

L’Istituto di formazione dei sindacati<br />

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Aber sicher!<br />

20. November 2023 in Zürich Kurs D2.1.2305<br />

Wirtschaftspolitik für Arbeitnehmende<br />

Welche wirtschaftspolitischen Massnahmen dienen Arbeitnehmenden am besten?<br />

In diesem Kurs erläutern wir die wichtigsten wirtschaftlichen Zusammenhänge.<br />

Wir zeigen, wie Gewerkschaften auf die Wirtschaft einwirken und zu einer<br />

arbeitnehmerfreundlichen Wirtschaftspolitik beitragen.<br />

movendo.ch


27<br />

Gewerkschaftskämpfe weltweit<br />

GROSSBRITANNIEN<br />

Nicht nur die Uber-Fahrenden haben in UK seit dem Sommer 2022<br />

mobilisiert. Im privaten wie auch im öffentlichen Sektor kam es zu<br />

Streiks, weil die Inflation bei über 11 % stand und die Regierung von<br />

Rishi Sunak sich weigerte, Lohnverhandlungen aufzunehmen. Krankenpfleger,<br />

Rettungssanitäterinnen, Physiotherapeuten, aber auch<br />

Lehrerinnen, Autobahnkontrolleure und Eisenbahnerinnen: Die Gewerkschaften<br />

taten sich zusammen, um einen Streik nach dem<br />

anderen zu organisieren und das System so weit wie möglich lahmzulegen.<br />

Die Regierung setzte vergeblich auf einen Zerfall der Bewegung.<br />

Die Verhandlungen sind im Gange.<br />

UKRAINE<br />

Die 2019 gegründete ukrainische Gewerkschaft für das Gesundheitswesen<br />

«Sei wie Nina» hat heute mehr als 82’000<br />

Mitglieder. Seit dem Ausbruch der Kampfhandlungen in der<br />

Ukraine leisten die Arbeitnehmer:innen Gesundheitsversorgung<br />

unter ständigen Notstandsbedingungen. «Sei wie Nina»<br />

half bei der Wiedereinstellung von Krankenpflegerinnen, die in<br />

Lviv und Poltava unrechtmässig entlassen worden waren. Darüber<br />

hinaus hat die Gewerkschaft in einer Reihe von Einrichtungen<br />

ausstehende Gehälter eingetrieben, Schulungen durchgeführt<br />

und humanitäre Hilfe geleistet: Unterkünfte für<br />

Binnenvertriebene organisiert, Medikamente und andere existenzielle<br />

Güter besorgt und psychologische Unterstützung zur<br />

Verfügung gestellt. Auf dem Weltkongress von UNI Global in<br />

Philadelphia wurde der Gewerkschaft der Preis «Freedom from<br />

Fear» verliehen.<br />

USA<br />

Seit Mai streiken 11’500 Drehbuchautor:innen<br />

mit Unterstützung der<br />

mächtigen Gewerkschaft Writers’ Guild<br />

of America. Sie fordern eine bessere<br />

Bezahlung, höhere Prämien für die<br />

Schaffung erfolgreicher Sendungen<br />

und Schutz vor Künstlicher Intelligenz.<br />

Sie hielten Streikposten vor Netflix und<br />

Disney, denen sich ab Mitte Juli auch<br />

die Schauspielerinnen und Schauspieler<br />

anschlossen. Mitte September wurde<br />

eine Einigung zwischen den Autorinnen<br />

und den Studios erzielt, die<br />

Schauspieler warten noch immer.<br />

KENIA<br />

Auf einem Treffen in Nairobi im Mai beschlossen<br />

Beschäftigte von Subunternehmen<br />

von Meta, ByteDance und Open<br />

AI die Gründung einer panafrikanischen<br />

Gewerkschaft für Content-Moderatoren.<br />

Die Angestellten dieser in ganz Afrika<br />

präsenten Unternehmen müssen Inhalte<br />

von Facebook, Instagram, WhatsApp,<br />

TikTok und sogar ChatGPT in 14 Sprachen<br />

prüfen und unangemessene, meist extrem<br />

gewalttätige Inhalte sperren und<br />

löschen. Neben einer hohen Arbeitsbelastung<br />

und niedrigen Löhnen prangern<br />

viele Moderator:innen die psychologischen<br />

Folgen ihrer Tätigkeit an. Das Problem<br />

der Arbeitsbedingungen lässt sich<br />

nur gewerkschaftlich angehen.<br />

JAPAN<br />

Eine Offensive des grössten Gewerkschaftsbundes<br />

in Japan, Rengo,<br />

schützte in diesem Frühjahr die Automobilarbeiter<br />

vor Preiserhöhungen und<br />

führte zu den höchsten Lohnerhöhungen<br />

seit 2 Jahrzehnten.


28 Bisch im Bild September der Umzüge, Kundgebungen, Proteste: Am 16. demonstrierten<br />

in Bern 20 000 Menschen für Löhne und Renten, die wieder mit den<br />

Preissteigerungen mithalten können – Mieten, Krankenkassen, Strom.<br />

<strong>syndicom</strong> rüstet sich für harte Lohnverhandlungen Ende Jahr.


Am 30. September wieder auf der Strasse für das Klima. Auf einem toten Planeten gibt es<br />

keine Arbeit! <strong>syndicom</strong> war mit einem Stand vertreten, um ihr Klima-Magazin vorzustellen<br />

und die Diskussion über die Rolle der Gewerkschaften beim notwendigen gesellschaftlichen<br />

Wandel zu suchen. (© Bilder S. 28: <strong>syndicom</strong>, S. 29: Jana Leu, Manuel Lopez, Pascale Amez)<br />

29


30 Bisch im Bild<br />

Immer noch September: Mindestlohn, AHV, Antirassismus und Vertrauensleute.<br />

1 Übergabe der Unterschriften für einen Mindestlohn im Kanton Waadt, 13. September<br />

2 und 3 Der Stand von <strong>syndicom</strong> am Lauf gegen Rassismus, 17. September in Zürich<br />

4 Ver.di-Sekretär Boris Bojilov, Gastgeber des Vertrauensleute-Seminars für den Sektor Logistik, Zürich/Ostschweiz<br />

5 Die Musikgruppe La Combi bei der Veranstaltung «<strong>syndicom</strong> Ticino e Moesano in festa» in Rodi TI am 3. September<br />

6 Die Pensionierten <strong>syndicom</strong> begingen am 25. September in Bern das 75-jährige Bestehen der AHV kämpferisch<br />

(© diese Seite: <strong>syndicom</strong>)<br />

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2<br />

3<br />

4 5<br />

6


Impressum<br />

Redaktion: Muriel Raemy und Giovanni Valerio<br />

(Co-Leitung), Rieke Krüger<br />

Übersetzung: Alexandrine Bieri, Gabriele Alleva<br />

Illustration: Katja Leudolph (Porträtzeichnungen),<br />

Patrick Aliesch (Infografiken)<br />

Layout Dossier/Karte S. 27: Cinzia Sigg<br />

Layout und Druck: Stämpfli Kommunikation, Bern<br />

Kontakt: redaktion@<strong>syndicom</strong>.ch, Tel. 058 817 18 18<br />

Adressänderungen: <strong>syndicom</strong>, Adressverwaltung,<br />

Monbijoustrasse 33, Postfach, 3001 Bern<br />

Tel. 058 817 18 18, Fax 058 817 18 17<br />

Inserate: priska.zuercher@<strong>syndicom</strong>.ch<br />

Verlegerin: <strong>syndicom</strong> – Gewerkschaft Medien und<br />

Kommunikation, Monbijoustr. 33, Postfach, 3001 Bern<br />

31<br />

Das Abonnement ist für <strong>syndicom</strong>-Mitglieder<br />

kostenlos, sonst Fr. 35.– (CH), Fr. 50.– (Ausland).<br />

Abo bestellen: info@<strong>syndicom</strong>.ch<br />

Das <strong>syndicom</strong>-Magazin erscheint sechsmal im Jahr,<br />

die Nummer 38 kommt am 3. Januar 2024.<br />

Weibliche Personenbezeichnungen können<br />

stellvertretend für alle Geschlechter stehen.<br />

Das <strong>syndicom</strong>-Kreuzworträtsel<br />

Zu vergeben ist diesmal wieder ein<br />

Silberbarren, gespendet von der<br />

Bank Cler.<br />

Das Lösungswort und die Gewinnerin<br />

oder der Gewinner werden in der<br />

nächsten Ausgabe veröffentlicht.<br />

Lösungswort mit Absender an:<br />

admin@<strong>syndicom</strong>.ch oder per Postkarte<br />

an: <strong>syndicom</strong>-Magazin, Monbijou<br />

strasse 33, Postfach, 3001 Bern.<br />

Einsendeschluss: 27. November 23<br />

Die Gewinnerin<br />

Des Rätsels Lösung aus dem Magazin<br />

<strong>Nr</strong>. 36 ist: ENGAGEMENT.<br />

Gewonnen hat Rosmarie Estermann<br />

aus Römerswil.<br />

Der REKA-Gutschein ist unterwegs.<br />

Wir gratulieren herzlich!<br />

Anzeige


32<br />

Aus dem<br />

Leben von ...<br />

Anja Bachmann: «Gewerkschaft heisst<br />

nicht nur Löhne und Arbeitsbedingungen»<br />

Geboren 1998 und aufgewachsen in der<br />

Region Winterthur, absolvierte Anja<br />

Bachmann die Ausbildung als Logistikerin<br />

und machte die Berufsmatura.<br />

Ausschlaggebend für ihre Wahl war ein<br />

Zukunftstag. Nach ihrer Lehre bei<br />

der Post wurde sie 2017 als Postbotin<br />

angestellt und ist heute stellvertretende<br />

Teamleaderin an ihrem Standort.<br />

Nach einer enttäuschenden Erfahrung<br />

in einer Gewerkschaft mit wenig<br />

Präsenz am Arbeitsplatz trat sie <strong>syndicom</strong><br />

bei, wo sie sich sofort in die<br />

Entscheidungs prozesse einbezogen<br />

fühlte. Die Begegnung mit <strong>syndicom</strong><br />

weckte in ihr das Interesse an<br />

gewerkschaft licher Arbeit. Derzeit<br />

engagiert sie sich aktiv in der Frauenkommission,<br />

in der Jugendkommission<br />

und im Zentral vorstand.<br />

Text: Mattia Lento<br />

Bild: Patrick Gutenberg<br />

«Es ist wichtig, dass<br />

junge Leute in der<br />

Gewerkschaft sind»<br />

Ich habe einen Job, der mir Spass<br />

macht, Kolleg:innen, mit denen<br />

ich gut auskomme, gute Arbeitsbedingungen,<br />

und dennoch hatte ich<br />

das Bedürfnis, der Gewerkschaft<br />

beizutreten und mich persönlich zu<br />

engagieren. Meine Entscheidung war<br />

also nicht aus Unbehagen geboren,<br />

sondern aus dem Wunsch, mehr<br />

Verantwortung zu übernehmen und<br />

bei vielen Prozessen, die meinen<br />

Beruf bei der Post bestimmen, mitreden<br />

zu können.<br />

Hinzu kommt der Solidaritätsaspekt:<br />

Nicht für alle Arbeitenden in<br />

meiner Branche läuft es gut, und<br />

mein Engagement gilt auch ihnen,<br />

selbst jenen, die nicht die Zeit, die<br />

Kraft oder die Mög lichkeit haben,<br />

zu kämpfen. Einige meiner jungen<br />

Kollegen sehen es als selbstverständlich<br />

an, dass sie gute Arbeitsverträge,<br />

Rechte und eine Stimme haben, und<br />

halten es nicht für nötig, der Gewerkschaft<br />

bei zutreten, geschweige denn<br />

sich zu engagieren.<br />

Ich habe den Eindruck, dass die<br />

Jungen im Allgemeinen ihre Energie<br />

lieber für andere soziale und solidarische<br />

Projekte einsetzen als<br />

für die Gewerkschaften. Mit Gewerkschaft<br />

verbinden sie dann nur noch<br />

die Verteidigung von Löhnen<br />

und Arbeitsbedingungen. Die grossen<br />

Frauen streiks von 2019 und 2023<br />

haben gezeigt, dass Gewerkschaftsarbeit<br />

bedeutet, Prozesse zu beeinflussen,<br />

die über betriebliche Zusammenhänge<br />

hinausgehen. Natürlich<br />

ist und bleibt der Schwerpunkt<br />

der Aktivität die Arbeit, aber seit<br />

ich in den Gewerkschaftsstrukturen<br />

bin, sehe ich, dass es um viel mehr<br />

geht. In meiner Arbeit in der Frauenkommission<br />

befassen wir uns mit<br />

einem sehr breiten Spektrum an<br />

politischen und sozialen Themen:<br />

Lohngleichheit, Kinderbetreuung,<br />

geschlechtsspezifische Gewalt, Antirassismus<br />

und vieles mehr.<br />

Bei anderen Themen, wie Klimaund<br />

Umweltfragen, ist es schwieriger<br />

zu vermitteln, welche Rolle die Gewerkschaften<br />

haben und in Zukunft<br />

haben könnten. Doch ohne die<br />

Beteiligung von Arbeitnehmerorganisationen<br />

könnten wir niemals einen<br />

ökologischen Umbau erreichen,<br />

der auch den Kriterien der sozialen<br />

Gerechtigkeit entspricht.<br />

Ich halte es für wichtig, dass junge<br />

Menschen den Gewerkschaften<br />

beitreten und verantwortungsvolle<br />

Aufgaben übernehmen. Die Präsenz<br />

älterer Arbeitnehmer:innen in den<br />

Gewerkschaften ist wichtig, ihre Erfahrung<br />

ist wertvoll, ihr Engagement<br />

bemerkenswert, aber es stimmt<br />

auch, dass in vielen Fragen eine andere<br />

Sichtweise, ein neuer Geist und<br />

eine Offenheit erforderlich sind,<br />

die ältere Menschen nicht immer<br />

haben können.<br />

Das Gleiche gilt für die Frauen:<br />

Der Prozess der Feminisierung der<br />

Gewerkschaften hat schon vor<br />

einiger Zeit begonnen, aber der Weg<br />

zur Gleichstellung, auch innerhalb<br />

unserer Organisationen, ist noch<br />

lang.

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