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Sebastian Kleinschmidt | Friedemann Richert | Thomas A. Seidel (Hrsg.): Bild der Welt und Geist der Zeit (Leseprobe)

Über das Bild der Welt herrscht Streit. Der Geist der Zeit erschwert diskursive Meinungsbildung und wechselseitiges Verstehen. In Kultur und Wissenschaft verfestigen sich kontradiktorische Positionen, die die Aushandlungsprozesse der deliberativen Demokratie erschweren. Das Buch möchte dazu beitragen, das angesprochene Problemknäuel in Kirche, Politik und den Geisteswissenschaften da und dort zu entwirren und für einen freien, wertschätzenden Meinungsstreit jenseits zugespitzt populistischer Erregung zu werben. Zur Debatte stehen Natur-, Menschen-, Gesellschafts-, Geschichts- und Gottesbild. Die Autoren zeigen Perspektiven auf – gerade auch aus christlicher Sicht. Mit Beiträgen von Ingolf U. Dalferth, Dirk Evers, Egon Flaig, Stefan S. Jäger, Ulrich H. J. Körtner, Christian Lehnert, Martinos Petzolt, Friedemann Richert, Wolfgang Sander, Thomas A. Seidel, Wolfgang Thierse, Günter Thomas, Annette Weidhas und Henning Wrogemann. Sebastian Kleinschmidt steuert den Prolog bei.

Über das Bild der Welt herrscht Streit. Der Geist der Zeit erschwert diskursive Meinungsbildung und wechselseitiges Verstehen. In Kultur und Wissenschaft verfestigen sich kontradiktorische Positionen, die die Aushandlungsprozesse der deliberativen Demokratie erschweren. Das Buch möchte dazu beitragen, das angesprochene Problemknäuel in Kirche, Politik und den Geisteswissenschaften da und dort zu entwirren und für einen freien, wertschätzenden Meinungsstreit jenseits zugespitzt populistischer Erregung zu werben. Zur Debatte stehen Natur-, Menschen-, Gesellschafts-, Geschichts- und Gottesbild. Die Autoren zeigen Perspektiven auf – gerade auch aus christlicher Sicht.
Mit Beiträgen von Ingolf U. Dalferth, Dirk Evers, Egon Flaig, Stefan S. Jäger, Ulrich H. J. Körtner, Christian Lehnert, Martinos Petzolt, Friedemann Richert, Wolfgang Sander, Thomas A. Seidel, Wolfgang Thierse, Günter Thomas, Annette Weidhas und Henning Wrogemann. Sebastian Kleinschmidt steuert den Prolog bei.

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S EELE UND GLÜCKSELIGKEIT 133<br />

ohne das Sein nicht gedacht werden kann. 4 Darum ist die Seele als<br />

unsterbliches Lebensprinzip im himmlischen Sein begründet, weswe -<br />

gen die Seele allem Lebendigen seine je eigene Form gibt. 5 Nichts an<strong>der</strong>es<br />

lehrt <strong>Thomas</strong> von Aquin, wenn er die Seele als Form des Körpers, als<br />

anima forma corporis definiert. 6 Dieser Gedanke lässt sich nicht ohne<br />

seine Gr<strong>und</strong>legung in <strong>der</strong> Metaphysik Platons <strong>und</strong> seines Schülers Aristoteles,<br />

denken <strong>und</strong> formulieren. 7<br />

Platon <strong>und</strong> Aristoteles sind mit ihrer Philosophie angetreten, die<br />

Seele als Königin des Lebens zu erschließen. Und beide kommen zu <strong>der</strong><br />

Einsicht, dass das Gute <strong>und</strong> die Seele unabdingbar zusammengehören<br />

<strong>und</strong> ohne Metaphysik nicht menschengemäß denkbar sind. Deswegen<br />

wohnt je<strong>der</strong> Seele <strong>der</strong> lebensbeför<strong>der</strong>nde Wunsch inne, sich zum Guten<br />

hin zu entfalten <strong>und</strong> zu vervollkommnen, mithin glückselig zu werden.<br />

»Daß Menschen <strong>und</strong> Dinge, die unser Begehren erwecken, etwas an<strong>der</strong>es, Größeres<br />

versprechen, als sich selbst, etwas also, das sie selbst prinzipiell nicht halten<br />

können, ist die Grun<strong>der</strong>fahrung, die Platons Lehre vom ›Guten selbst‹<br />

zugr<strong>und</strong>e liegt. […] Diesen Horizont, <strong>der</strong> unsere konkreten Einzelziele<br />

umgreift, nannten die Alten eudaimonia.« 8<br />

Diese Glückseligkeit ist aber ohne das Gute, als Gr<strong>und</strong>idee des Lebens,<br />

nicht denkbar. Denn für alles Seiende ist es besser zu sein, als nicht zu<br />

sein. 9 Demnach ist es für jede Seele – als Lebensprinzip – gut, zu sein <strong>und</strong><br />

4 Vgl. Platon, Phaidon, 105d–e, wo Sokrates mit Kebes folgenden Dialog führt: »Die<br />

Seele also, wessen sie sich bemächtigt, zu dem kommt sie immer Leben mitbringend.<br />

[…] Und die Seele nimmt doch den Tod nie an? – Nein. – Unsterblich also ist<br />

die Seele? – Unsterblich.« (Platon, Sämtliche Werke in VIII Bänden, übertragen von<br />

Rudolf Rufener, Zürich/München 1974)<br />

5 Vgl. Platon, Phaidon, 245c; Gesetze, 895–896, wo Platon die sich selbst bewegende<br />

Seele als Ursache von allem Lebendigen beschreibt.<br />

6 Vgl. <strong>Thomas</strong>, Summa theologiae, Teil I, q. 75. – Hg. von Joseph Bernhart: Bd. 1: Gott<br />

<strong>und</strong> Schöpfung, Stuttgart 3 1985.<br />

7 Vgl. hierzu: Platon, Timaios; Dieser Dialog handelt von <strong>der</strong> Kosmologie <strong>und</strong><br />

Anthropologie <strong>und</strong> galt in <strong>der</strong> Gelehrtenwelt bis ins 12. Jahrhun<strong>der</strong>t als unverzichtbare<br />

Standardliteratur; vgl. Aristoteles, de anima, in: Aristoteles, Philosophische<br />

Schriften in sechs Bänden, übersetzt von Eugen Rolfes <strong>und</strong> Hermann Bonitz, Darmstadt<br />

1995.<br />

8 Robert Spaemann, Glück <strong>und</strong> Wohlwollen, Versuch über Ethik, Stuttgart 1993, 35.<br />

9 In seinem Dialog »Der Sophist« erörtert Platon das gedankliche Verhältnis vom Seienden<br />

<strong>und</strong> dem Nicht-Seienden <strong>und</strong> lehnt die Gleichsetzung von Materie mit dem

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