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FOMO 43 - Washington

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moneymarkets<br />

USA<br />

Wall Street zittert<br />

vor <strong>Washington</strong><br />

Zwei Kriege, Polit-Chaos in Kongress – und<br />

das bei explodierenden Staatsschulden<br />

und hohen Zinsen: Keine gute Mischung für<br />

die Wall Street. Das alles kommt vor allem<br />

einem zugute: Donald Trump.<br />

von MIKA HOFFMANN<br />

DONALD TRUMP: Chaos<br />

stiften und sich als Retter<br />

stilisieren – die Strategie des<br />

Ex-Präsidenten<br />

24 Foto: Bloomberg<br />

FOCUS MONEY <strong>43</strong>/2023


Mit den brutalen Terrorangriffen der Hamas<br />

auf Israel erschüttert nach dem russischen<br />

Überfall auf die Ukraine ein zweiter großer<br />

Konfliktherd die Welt. Und was macht die<br />

Nation mit globalem Führungsanspruch?<br />

Die USA versinken in einem immer heftigeren<br />

innenpolitischen Chaos. Mit Folgen für die Welt: Schon<br />

die US-Hilfen für die Ukraine gegen den Aggressor Russland<br />

stocken – weil in den USA der Vorwahlkampf wichtige politische<br />

Entscheidungen zu verhindern droht. Die Unsicherheit<br />

– global und in den USA – ist groß. Und Unsicherheit mag<br />

die Börse am allerwenigsten.<br />

Zwei Kriege. Polit-Chaos in <strong>Washington</strong>. Dazu explodierende<br />

Staatsschulden und die höchsten Renditen für Staatsanleihen<br />

in den vergangenen Jahrzehnten (siehe auch S. 42).<br />

Für die Wall Street eine gefährliche Mischung. Die Aktienkurse<br />

sind seit August ins Rutschen geraten. Krachen die Notierungen<br />

jetzt weiter nach unten?<br />

Chaos im Repräsentantenhaus. Der Elefant im Raum<br />

heißt Donald Trump. Trotz mehrerer Anklagen und Gerichtsverfahren<br />

gegen den Ex-Präsidenten führt Trump in den Umfragen<br />

für die Vorwahlen der Republikaner deutlich vor allen<br />

anderen Kandidaten. Sein Motto: Möglichst großes Chaos<br />

in <strong>Washington</strong> – und er ist der einzige Retter, der Ordnung<br />

schaffen kann, so seine Denke. Die Republikaner hat Trump<br />

in der Hand: Ohne ihn geht nichts. Auch die Abwahl von Kevin<br />

McCarthy als Sprecher des Repräsentantenhauses soll der<br />

Ex-Präsident gesteuert haben. Noch ist nicht klar, was er erreichen<br />

will. Der erzkonservative Steve Scalise, den die Republikaner<br />

als Kandidaten für das Speaker-Amt nominiert hatten,<br />

zog zurück – wohl weil er keine Chance sah, bei der<br />

Abstimmung im Repräsentantenhaus genügend Stimmen der<br />

eigenen Partei zu bekommen. Das Chaos geht weiter.<br />

Die Konfusion in <strong>Washington</strong> wiegt umso schwerer, weil<br />

die Umfragewerte für den amtierenden Präsidenten Joe Biden<br />

neue Rekordtiefs erreichen: Der Präsident ist unbeliebt<br />

und in den Augen vieler Amerikaner zu alt – einem Kandidaten<br />

Trump, aber auch anderen Republikanern, würde er bei<br />

der Wahl im November 2024 deutlich unterliegen.<br />

Jetzt ist Biden auch noch mit seiner Nahost-Politik gescheitert.<br />

Er setzte auf eine Beruhigung der Lage – doch nach<br />

den Terrorangriffen der Hamas eskaliert der Konflikt wieder.<br />

Die vorsichtige Annäherung zwischen Israel und Saudi Arabien<br />

dürfte mit den Anschlägen der Hamas ein jähes Ende<br />

gefunden haben. Die Verbindungen zwischen China und<br />

dem Hamas-Unterstützer Iran machen das ohnehin schon<br />

angespannte Verhältnis zwischen den beiden Supermächten<br />

noch schwieriger.<br />

Normalerweise beginnt in den USA die heiße Phase des<br />

Wahlkampfs einige Monate vor dem Urnengang. Dieses Mal<br />

ist das anders: Schon heute – mehr als ein Jahr vor dem 7. November<br />

2024 – bestimmen Partei-Kontroversen in <strong>Washington</strong><br />

die Agenda. Die Auseinandersetzung um die „Debt Ceiling“<br />

Ende September war nur ein kleiner Vorgeschmack:<br />

Vorvergangenes Wochenende einigten sich die Demokraten<br />

und die Republikaner zwar auf einen Übergangshaushalt.<br />

Der gilt aber nur bis Mitte November. Dann geht der Streit<br />

von vorne los – ohne eine handlungsfähige Führung der Republikaner<br />

steht in den Sternen, wie eine Einigung zustande<br />

kommen soll. Schon im jüngsten Haushaltskompromiss<br />

fehlten neue Gelder für die Ukraine – ein Zugeständnis der<br />

Demokraten. Wie in einer solch brisanten geopolitischen<br />

Lage jetzt Entscheidungen fallen sollen – offen.<br />

Immer tiefer in die roten Zahlen. Unterdessen steigen die<br />

Staatsschulden munter weiter. Allein seit dem 22. September,<br />

als das Schuldenlimit erreicht wurde, und der Kongress<br />

kurze Zeit die Zahlungsfähigkeit der USA für 45 Tage sicherte,<br />

stieg die Verschuldung um fast eine halbe Billion Dollar –<br />

oder 1,2 Milliarden Dollar pro Stunde. Insgesamt stehen die<br />

Amerikaner mit mehr als 33 Billionen Dollar in der Kreide.<br />

Ein immenser Schuldenberg – der die USA im August jetzt<br />

auch bei der Ratingagentur Fitch die AAA-Höchstnote für die<br />

Schuldenqualität kostete.<br />

Und die Zinsen, die Uncle Sam für die Schulden zahlen muss,<br />

steigen und steigen. Auf fast fünf Prozent ist die Rendite für<br />

zehnjährige Staatsanleihen förmlich explodiert. Allein seit April<br />

ging es um mehr als einen Prozentpunkt nach oben. Das<br />

Zins-Tief lag im Sommer 2020 bei 0,5 Prozent. „Nein, der<br />

Auf 16-Jahreshoch<br />

Die Verzinsung zehnjähriger US-Staatsanleihen<br />

erreicht ein 16-Jahreshoch. Besonders besorgniserregend:<br />

Der schnelle Anstieg der Realrendite.<br />

Zehnjährige US-Staatsanleihen<br />

Rendite in Prozent<br />

nominal<br />

real (minus Inflation)<br />

1970 1980 1990 2000 2010 2020<br />

Quelle: Bloomberg<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

–5<br />

Wackelige Wall Street<br />

Der S&P 500 als wichtigster US-Aktienindex neigte<br />

in den vergangenen Wochen zur Schwäche – ein<br />

Alarmsignal für die Wall Street.<br />

S&P 500<br />

Kurs-Index in Punkten<br />

2019 20 21 22 2023<br />

Quelle: Bloomberg<br />

4500<br />

4000<br />

3500<br />

3000<br />

2500<br />

2000<br />

FOCUS MONEY <strong>43</strong>/2023<br />

25


TERRORANGRIFF AUF<br />

ISRAEL: Der Konflikt erhöht<br />

den Druck auf die amerikanische<br />

Politik<br />

Staatshaushalt der USA ist nicht tragfähig“, stellen die<br />

Experten der Bank of America nüchtern fest. Zwar sei der Verschuldungsgrad<br />

noch keine Krise und sei beherrschbar, insbesondere<br />

wenn die Regierungsausgaben die Produktivität erhöhen<br />

würden, erläutern die Experten. Die Ausgabepolitik werde<br />

sich nicht so schnell ändern: „Wenn eine der beiden<br />

Parteien die Mehrheitsverhältnisse im Weißen Haus oder im<br />

Kongress ändert, gab es schnell Steuersenkungen oder höhere<br />

Ausgaben – das wird auch 2024 so sein, wenn es einen Machtwechsel<br />

gibt“, sind sich die Fachleute sicher. Ein höheres Defizit<br />

zieht ein höheres Angebot an Staatsanleihen nach sich – das<br />

die Kurse drückt und die Renditen weiter nach oben treibt.<br />

35 Prozent des Staatshaushalts. „Die langfristige Prognose<br />

heißt: Wir werden gemessen am Bruttoinlandsprodukt<br />

immer höhere Verschuldungsraten sehen“, prognostiziert<br />

Harvard-Professor Jeffrey Frankel. Allein dieses Jahr wird die<br />

Zinslast der USA 663 Milliarden Dollar betragen, berechnet<br />

das Congressional Budget Office (CBO) – und sich in den<br />

nächsten zehn Jahren von 745 Milliarden im Jahr 2024 auf<br />

1,4 Billionen Dollar im Jahr 2033 mehr als verdoppeln. Insgesamt<br />

laufen in diesem Zeitraum Zinskosten von mehr als<br />

zehn Billionen Dollar auf. 2053 wird nach den Berechnungen<br />

des CBO die Zinslast 35 (!) Prozent des Staatshaushalts<br />

ausmachen – und der größte Haushaltsposten sein.<br />

„Wenn man das heutige Zinsniveau mit den Zinsen in den<br />

70er und 80er Jahren vergleicht, erscheint die Sorge, dass<br />

steigende Zinsen die Solvenz von Staaten und damit des gesamten<br />

Finanzsystems bedrohen könnten, abwegig“, relativiert<br />

Bert Flossbach. Damals habe die Rendite zehnjähriger<br />

US-Staatsanleihen bei durchschnittlich neun Prozent gele-<br />

gen, in der Spitze sogar bei 16 Prozent, rechnet der Gründer<br />

und Chef der Vermögensverwaltung Flossbach von Storch<br />

vor. „Allerdings sind die Schuldenniveaus heute sehr viel höher:<br />

So betrug die Staatsschuldenquote der USA Anfang der<br />

80er Jahre lediglich 31 Prozent des Bruttoinlandsprodukts,<br />

heute sind es 122 Prozent“, analysiert Flossbach. Sein Fazit:<br />

„Jedes Prozent Zins belastet den Haushalt also heute viermal<br />

mehr als damals.“<br />

Das ist langfristig der wahre Grund, dass die Finanzmärkte<br />

so gebannt auf die Zinsentwicklung starren – und erleichtert<br />

jedes Signal feiern, das ein Ende der Zinsexplosion signalisiert.<br />

„Der Anstieg der Verzinsung längerfristiger<br />

Anleihen entspricht etwa einem Zinsschritt“, sagte vergangene<br />

Woche Mary Daly, Präsidentin der Federal Reserve für<br />

San Francisco. Etwas Entspannung kommt von der Inflationsfront:<br />

Im September stiegen die US-Verbraucherpreise<br />

wie im Vormonat im Jahresvergleich um 3,7 Prozent – allerdings<br />

damit etwas stärker als erwartet.<br />

16-Jahres-Hoch. Die Rendite der zehnjährigen US-Bonds<br />

stieg auf ein 16-Jahreshoch. Das liegt nicht nur an Inflation<br />

und Konjunkturaussichten. Käufer fehlen: Der russische Angriff<br />

auf die Ukraine und die Terroranschläge der Hamas werden<br />

nicht dazu führen, dass die Nachfrage aus den Diktaturen<br />

steigt. Sowohl China als auch die Staaten am Persischen Golf<br />

haben das erklärte Ziel, sich vom Dollar – und damit auch von<br />

US-Staatsanleihen – unabhängiger zu machen. Für die amerikanische<br />

Politik wird das nicht leichter – erst recht nicht mit<br />

einem Präsidenten mit einer weiter erodierenden Machtbasis,<br />

einer heillos zerstrittenen republikanischen Partei und Donald<br />

Trump in den Startlöchern als Präsidentschaftskandidat.<br />

Immer schnellerer Anstieg<br />

Die amerikanischen Staatsschulden steigen immer<br />

schneller. Dieser Trend wird sich beschleunigen,<br />

warnen Experten.<br />

US-Staatsverschuldung<br />

in Billionen US-Dollar<br />

32<br />

28<br />

24<br />

Immer mehr für Zinsen<br />

Die USA müssen immer mehr für Zinsen ausgeben.<br />

2053 wird die Zinsbelastung schon bei 35 Prozent<br />

des Staatshaushalts liegen.<br />

Nettozinskosten<br />

in Milliarden US-Dollar<br />

Prognose<br />

1200<br />

800<br />

400<br />

2019 20 21 22 2023<br />

Quelle: Bloomberg<br />

20<br />

0<br />

2015 17 19 21 23 25 27 29 31 2033<br />

Quelle: CBO<br />

26 Foto: Bloomberg<br />

FOCUS MONEY <strong>43</strong>/2023


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