BOGENSPORT MAGAZIN 5/2023

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INTERVIEW der Schütze Ruhe benötigt, schirmt er den Schützen vor ablenkenden Gesprächen ab. Die Blase soll sicherstellen, dass der Schütze seinen Fokus auf seiner Aufgabe halten kann. BSM Hast du ein Beispiel für einen Coach, der diese Blase besonders gut aufbaut? SEBASTIAN Beeindruckt hat mich Marc Dellenbach, der in jeder Situation extrem ruhig bleibt. Marc hat aber eine weitere Fähigkeit, die beeindruckend ist: Er arbeitet mit klaren Worten und lässt keinen Raum für Interpretationen zwischen den Zeilen. Diese klaren Worte sind extrem wichtig beim Coaching, damit der Schütze keine Energie damit verbringen muss, darüber nachzudenken, was mit den Worten möglicherweise gemeint war. Kommt eine Zweideutigkeit in einem entscheidenden Wettkampfmoment auf, entstehen Gedanken, die den Schützen von seiner Aufgabe weglenken. Der Schütze verliert seinen Fokus. BSM Kannst du für die klaren Worte ein Beispiel nennen? SEBASTIAN Ich möchte ein Negativbeispiel voranstellen. Wenn der Coach auf einen Technikfehler hinweist, hat der Schütze möglicherweise keine Lösung parat und verfängt sich in Gedanken. Der Fokus ist ab diesem Moment nicht mehr auf das Schießen gerichtet. Also benötigt der Schütze stattdessen sofort die Lösung in Form einer klaren, knappen Handlungsanweisung. In der Praxis wäre der Hinweis auf eine instabile Bogenschulter das Negativbeispiel, und das Beispiel für die Lösung wäre der Hinweis: „Schulter tief – Druck nach vorn!“ Der Schütze kann mit der Lösung sofort in die Umsetzung gehen, er hat eine klare Aufgabe, mit der er arbeiten kann. Sein Fokus ist ausgerichtet. Wichtig ist, dass der Hinweis kurz und präzise erfolgt. Tiefergehende und ausschweifende Analysen von Schüssen kann ich als Schütze im Wettkampf überhaupt nicht gebrauchen. Auch der Einstieg in das Techniktraining hat im Wettkampf nichts verloren. Im Wettkampf wird geerntet, die Saat wurde im Training gesetzt. BSM Beschreibe bitte noch einmal, wofür die Aufgabe des Schützen so wichtig ist! Sebastian: Meine Erfahrung ist, dass viele Schützen im Wettkampf dazu neigen, Dinge besser machen zu wollen, und am liebsten wollen sie besser zielen. Der Schütze wird jedoch bessere Resultate erreichen, wenn er die Dinge möglichst so umsetzt, wie er das im Training tut. Er soll die Dinge also nicht besser machen, sondern so umsetzen, wie er es trainiert hat. Die Aufgabe des Schützen liegt nicht darin, besser zu zielen. Wenn es dem Coach gelingt, den Schützen von den Bemühungen, besser zu zielen, wegzubringen, dann ist das hervorragend. Der Coach sollte den Schützen bei seiner Aufgabe halten, nämlich zu schießen und konsequent zu arbeiten. Selbst wenn die Visiernadel in einer angespannten Wettkampfsituation schwimmt wie ein Lämmerschwanz, hält der Coach den Schützen bei der Aufgabe: „mach Druck, mach Zug … und schieß den Schuss und lass es wackeln!“ Fällt dem Coach auf, dass eine trainierte Technik nicht sauber umgesetzt wird, gibt er dem Schützen die Lösung und damit eine konkretisierte Aufgabenstellung für die folgenden Schüsse. Der Schütze sollte also immer seine Aufgabe erfüllen, und die liegt nicht beim Versuch, besser zu zielen. Bei der Aufgabe geht es um das Arbeiten im Hier und Jetzt. Die Aufgabe führt den Schützen genau dorthin. BSM Läuft der Wettkampf deutlich unter den Erwartungen, können auch schon mal Tränen fließen, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. SEBASTIAN In der Regel passiert das zum Ende des Wettkampfes, wenn der Druck vom Schützen abfällt. Das Weinen ist eine sehr menschliche Eigenschaft und sollte niemals zum Gegenstand einer Kritik werden. Viel wichtiger finde ich, dass die Ursache für die Enttäuschung gefunden wird. Vielleicht waren die Erwartungen einfach zu hoch. Leistungskontrollen vor dem Wettkampf machen die Leistungsfähigkeit für den Schützen transparent, und so können Enttäuschungen vermieden werden. Vielleicht waren Selbstzweifel eine Ursache für herabgesetzte Leistungen im Wettkampf, vielleicht ist der Ehrgeiz des Schützen zu stark ausgeprägt, oder der Schütze war einfach wütend. Nach einem verlorenen Match dürfen auch mal Tränen fließen. Das ist in Ordnung. Der Coach kann dann an der Seite des Schützen stehen, und manchmal genügt es, dass er einfach zuhört. Wenn der Schütze gekämpft und sein Bestes gegeben hat, ist das immer ein Lob wert. Getreu dem Motto „nach dem Wettkampf ist vor dem Wettkampf“ können die Ursachen später gemeinsam angegangen und Lösungen erarbeitet werden. Werkzeuge des Mentaltrainings bieten sich hier an. BSM Gibt es Coaches, die dich beim Schießen aus dem Konzept brachten? SEBASTIAN Als Schütze mochte ich es noch nie, wenn mir ein Coach im Wettkampf Technikelemente erklärt hat. Der Wettkampf ist nicht die Zeit für Technikarbeit. Es gab immer wieder Situationen, in denen ich einfach zu feige war und mir der Mut für das konsequente Schießen fehlte. Dann nerven langatmigen Erklärungen zu Technikelementen, weil sie in diesem Moment nicht die Lösung bieten. Meine Feigheit musste ich als Schütze immer allein besiegen. In Bezug auf die Coaches bevorzugte ich immer diejenigen, die eher zurückhaltend agierten. Das sind Coaches, die aktiv werden, wenn der Schütze mit einem Unterstützungswunsch auf sie zugeht und der Coach dann eine Hilfe anbieten kann. Ein ungefragtes, regelmäßiges Anbieten von vermeintlichen Hilfestellungen hat mich als Schützen eher genervt. Wenn es bei mir im Wettkampf richtig schlecht lief, hatte ich in der Regel ein ganz anderes Problem, dann hatte ich im Vorfeld nicht hinreichend trainiert. Diese Einsicht und Ehrlichkeit sich selbst gegenüber sollte der Schütze mitbringen. BSM Die Kommunikation zwischen Coach und Sportler muss auf dem Wettkampf regelkonform sein! SEBASTIAN Absolut. Steht der Schütze auf der Schießlinie, darf der Coach mit dem Schützen sprechen und ihm Hinweise mitteilen. Der Schütze darf von der Schießlinie allerdings nicht seinen Coach ansprechen. Er kann aber durch Gestik oder Mimik signalisieren, dass er Unterstützung vom Coach benötigt. Dafür ist ein besonderes Verständnis zwischen den 48 | BOGENSPORTMAGAZIN INTERVIEW 5/23
INTERVIEW Der Coach ist nicht dafür verantwortlich, dass der Schütze trifft, der Coach sichert die Rahmenbedingungen ab, unter denen der Schütze seine Aufgabe im Wettkampf erfüllen kann, nämlich den Fokus auf das Schießen zu lenken. beiden erforderlich, damit der Coach einschätzen kann, welche Unterstützung in der Situation hilfreich ist. Der Schütze könnte beispielsweise durch das abwechselnde Zeigen von fünf und sechs Fingern signalisieren, dass er nicht sicher ist, ob er fünf oder sechs Pfeile geschossen hat. Der Coach sollte das interpretieren können und auskunftsfähig sein. BSM Wie sollte die Wettkampfnachbereitung gestaltet sein? SEBASTIAN Ein Feedback sollte beispielsweise bereits nach einem Match erfolgen, noch bevor das nächste Match beginnt. Unmittelbar nach dem Wettkampf ist eine kurze Besprechung sinnvoll, bei der ein erstes Fazit gezogen wird. Einige Tage danach sollte eine ausführlichere Nachbereitung erfolgen. Diese Nachbereitung hat für den Coach und für den Schützen eine Bedeutung, um hier auch auszuwerten, wie das Coaching zukünftig weiter optimiert werden kann. So lernt auch der Coach die Sichtweise des Schützen. In dieser Nachbereitung wird auch thematisiert, welche Schwerpunkte in das Training aufgenommen werden können. Gibt es Technikelemente, die optimiert werden sollten, oder sollte das Wettkampftraining stärker in den Fokus genommen werden? BSM Welchen Anteil des Coaches siehst du bei dem Wettkampfsieg des Schützen? SEBASTIAN Der Coach darf sich zusammen mit dem Schützen über einen Erfolg freuen, denn wenn der Coach eine gute Arbeit gemacht hat, hat er seinen Anteil geleistet. Doch ein Sieg bleibt letzten Endes immer der Erfolg des Schützen. Wäre es anders, müsste der Coach auch an einem schlechten Tag die Verantwortung für das Ergebnis übernehmen. Es ist aber der Schütze, der die Leistung abliefert oder eben nicht. Gelingt es dem Coach, die zuvor beschriebene Blase aufzubauen, kann er der Leistungsentfaltung des Schützen einen Raum geben. Das ist sein Anteil. BSM Sollte das Informationsangebot über das Coaching verbessert werden? SEBASTIAN Da dieses Thema komplex ist und viele Bereiche mit einschließt, ist es lohnend, darüber nachzudenken, ein spezielles Fortbildungsangebot aufzubauen. Das könnte beispielsweise auch ein regional organisierter Erfahrungsaustausch zwischen den Coaches sein, der in anderen Bereichen zusammengefasst unter dem Begriff „coach the coach“ realisiert wird. Die Coaches tauschen sich aus über den großen Werkzeugkasten des Coachings, lernen neue Werkzeuge kennen und haben im Wettkampf die Möglichkeit, diese Tools anzuwenden und Erfahrungen damit zu sammeln. 5/23 INTERVIEW BOGENSPORTMAGAZIN | 49
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