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KINDERHANDEL<br />
Schneller als Deliveroo:<br />
Wie man ein Kind bestellt<br />
Von Raffaella Frullone<br />
(Brigata per la difesa dell’ovvio)<br />
Wer auf Google das Stichwort Leihmutterschaft<br />
eingibt, wird bald auf die Internetseite<br />
„surrogate-motherhood.<br />
com“ stoßen. Dort wird man mit dem Slogan<br />
„welcome to success“ willkommen geheißen,<br />
unzählige Bilder von pausbäckigen Babys zeugen<br />
vom Erfolg des seit 18 Jahren tätigen Unternehmens.<br />
Über 1000 Projekte pro Jahr mit<br />
90% Erfolg werden dem Leser angepriesen.<br />
Unmittelbar nach Aufrufen der Seite ploppt ein<br />
Chatfenster auf: „Hallo! Schreib uns deine Frage<br />
und wir antworten dir innerhalb 30 Sekunden!“<br />
Dass Zeit Geld ist, scheint den Verantwortlichen<br />
der Internetseite bewusst zu sein: Wer auf ihre<br />
Seite klickt, soll sofort angesprochen und gewonnen<br />
werden. In meinem Fall schrieb eine<br />
Dame namens Kateryna,<br />
der ich bereitwillig antwortete<br />
und mein Interesse<br />
vortäuschte. Es war kurz<br />
nach 18 Uhr, als ich im Chat<br />
tippte: „Guten Abend, ich<br />
suche nach einer Möglichkeit,<br />
ein Kind zu erhalten,<br />
doch wie machen, wenn in<br />
Italien die Leihmutterschaft<br />
gesetzlich verboten ist?“<br />
Die Dame schrieb zurück,<br />
dass sie, bevor sie mir ein<br />
Angebot machen könnte,<br />
wissen müsste, ob ich eine<br />
Eizellenspenderin benötigte,<br />
ob ich einen Partner hätte und ob wir ein<br />
heterosexuelles Paar wären. Es waren kaum zwei<br />
Minuten seit Beginn unserer Konversation verstrichen,<br />
schon unterbreitete mir Kateryna folgendes<br />
Angebot: „Wir könnten Ihnen ein<br />
Leihmutterschaftprogramm auf Zypern anbieten:<br />
Die Kosten bei einem Transfer von maximal<br />
zwei Embryonen belaufen sich auf 31950 Euro,<br />
bei einem Transfer von beliebig vielen Embryonen<br />
auf 34950 Euro.“ Ich antwortete darauf, dass<br />
Geld keine Rolle spielen, mir aber die Gesetzeslage<br />
in Italien den Kopf zerbrechen würde, wo<br />
diese Praxis eben illegal ist. Meine Chatpartnerin<br />
versuchte zu beruhigen: „Auf Zypern ist es nicht<br />
illegal und wir setzen einen formalen Vertrag<br />
auf: Der biologische Vater und die Leihmutter<br />
Im Original schrieb sie<br />
„de-mothering“, eine<br />
Vokabel, die im<br />
Italienischen nicht<br />
präzise wiedergegeben<br />
werden kann. Der Sinn<br />
jedoch erschließt sich<br />
und ist zutiefst<br />
erschreckend!<br />
werden auf der Geburtsurkunde als Eltern eingetragen.<br />
Anschließend wird die Leihmutter alle<br />
nötigen Dokumente unterschreiben, darunter<br />
auch den Passus, dass sie auf die ‚Teilnahme am<br />
<strong>Lebe</strong>n des Kindes’ verzichten wird. Nach einem<br />
Jahr könnt ihr die Leihmutter als Mutter ‚entpflichten’<br />
und den Prozess der Adoption einleiten<br />
(dafür müsst ihr aber verheiratet sein).“ Die<br />
Konversation erfolgte auf Englisch, im Original<br />
schrieb sie „de-mothering“, eine Vokabel, die im<br />
Italienischen nicht präzise wiedergegeben werden<br />
kann. Der Sinn jedoch erschließt sich und<br />
ist zutiefst erschreckend!<br />
Kateryna fuhr mit ihren Erläuterungen fort: „Die<br />
Geburt des Kindes ist möglich in der Tschechischen<br />
Republik oder in Ihrem Land. Für ersteres<br />
werden 7 bis 10 Tage benötigt,<br />
das Land zu verlassen,<br />
für letzteres kommt<br />
die Leihmutter zwischen<br />
der 24. und 26. Schwangerschaftswoche<br />
nach Italien<br />
und kann dort bei Ihnen<br />
leben oder sie<br />
besorgen ihr eine Unterkunft.<br />
In diesem Fall sollten<br />
Sie unbedingt an die<br />
medizinische Versorgung<br />
denken, deren Kosten –<br />
wie auch die der Reise –<br />
von Ihnen getragen werden<br />
müssen. Die Leihmutter<br />
wird als <strong>Lebe</strong>nsgefährtin Ihres Partners ausgegeben.“<br />
Es ist Punkt 18.28 Uhr als Kateryna<br />
den Chat mit der Aufforderung schließt, unsere<br />
Kontaktdaten zu hinterlassen, um alle Details<br />
schicken zu können. Kaum fünf Minuten später<br />
landete eine Mail in meinem Posteingang. In 15<br />
Minuten war das Geschäft sozusagen bereit für<br />
die Abwicklung.<br />
Vermutlich ist es aufwändiger, Sushi zu bestellen<br />
als ein Kind, beides aber ist ein Handel mit Dingen,<br />
in unserem Fall Menschenhandel. Die Aufstellung<br />
des Angebotes erfolgte in leicht holprigem<br />
Italienisch, wie aus einem Katalog:<br />
1. Paket E0107C „Standard“ – 31.950 Euro –<br />
IVF (1-2 Embryotransferprotokolle) in der<br />
28<br />
LEBE <strong>162</strong>/2023