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Foto: Shutterstock<br />

Welche Informationen sind in einer<br />

Beratungssituation von Bedeutung?<br />

HOLM SCHNEIDER: Jedes Kind bringt Herausforderungen<br />

mit sich, auch ein kerngesundes. Die<br />

meisten Eltern wachsen daran. Und von vielen<br />

Familien, die ein Kind mit Handicap haben, höre<br />

ich, dass ihr Alltag sich kaum von dem anderer<br />

Familien unterscheidet. Trotzdem ist der zerplatzte<br />

Traum vom gesunden Kind ein Schock,<br />

der verarbeitet werden muss. Das braucht Zeit<br />

und Raum. Sich mit Eltern auszutauschen, die<br />

Ähnliches schon hinter sich haben, hilft Schock<br />

und Trauer zu überwinden. Deshalb gebe ich<br />

gern Kontaktdaten von Familien weiter, in denen<br />

ein Kind oder ein junger Erwachsener mit Down-<br />

Syndrom lebt und die bereit sind, anderen Eltern<br />

unkompliziert Einblick in ihren Alltag zu gewähren.<br />

Ich berate ergebnisoffen, aber nicht neutral.<br />

Ich wüsste auch nicht, wie das gehen sollte,<br />

denn als Kinderarzt habe ich immer ein therapeutisches<br />

Konzept im Kopf, kann also gar nicht<br />

wertfrei beraten. Gerade weil ich jede Menge<br />

Kinder kenne, die trotz Handicap ein gutes <strong>Lebe</strong>n<br />

führen.<br />

Sie betrachten also Schwangerschaftskonfliktberatungen<br />

als Ihre ärztliche Aufgabe?<br />

HOLM SCHNEIDER: Ich habe jede Woche mit<br />

Schwangeren zu tun, die plötzlich – nach einem<br />

Test - vor der Entscheidung über <strong>Lebe</strong>n und Tod<br />

ihres Kindes stehen. Letzte Woche hatte ich fünf<br />

solcher Beratungsgespräche. Ein junger Assistenzarzt,<br />

der dabei war, hat mir hinterher gesagt,<br />

er staune, dass sich allein durch ein Gespräch<br />

<strong>Lebe</strong>n retten lässt – genauso wie durch<br />

Wiederbelebungsmaßnahmen bei einem<br />

Notfall.<br />

Sie haben an anderer Stelle gesagt, Kinder<br />

mit Down-Syndrom seien nicht zwangsläufig<br />

krank - trotz mancher Einschränkungen.<br />

Worauf stützt sich diese Einschätzung?<br />

HOLM SCHNEIDER: Kinder mit Trisomie 21 haben<br />

ein Chromosom mehr als andere, was zu Besonderheiten<br />

in ihrer Entwicklung und zum Teil auch<br />

zu Krankheitssymptomen führt, die unter dem<br />

Begriff Down-Syndrom zusammengefasst werden.<br />

Die genetische Normabweichung allein ist<br />

aber weder eine Krankheit noch eine Behinderung.<br />

Behindert ist man nicht, behindert wird<br />

man durch gesellschaftliche Hindernisse. Und<br />

krank sind Menschen mit Trisomie 21, wenn sie<br />

Husten und Schnupfen oder sich ein Bein gebrochen<br />

haben oder wenn zum Beispiel ein<br />

angeborener Herzfehler vorliegt. Dann brauchen<br />

sie medizinische Hilfe. Ansonsten sind sie<br />

zwar anders als die meisten, aber nicht zwangsläufig<br />

krank.<br />

◻<br />

IMABE - Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik<br />

LEBE <strong>162</strong>/2023 19

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