Jürgen van Oorschot | Andreas Wagner (Hrsg.): Biografie und Lebensalter (Leseprobe)

Anthropologie wird manifest, wenn es um Biografie und Lebensalter geht. So verwundert es nicht, wenn Fragen konkreter Lebensführung, ihrer materialen und sozialen Grundlagen sowie die Biografie neben dem Alten Testament auch in der Altorientalistik und der Ägyptologie intensiv diskutiert werden. Der vorliegende Band versammelt neben je einem ägyptologischen und hethitologischen Exempel alttestamentliche Beiträge zur Rechtsanthropologie, zur Ethik sowie ausgewählten Literaturbereichen des Alten Testaments inkl. Ben Sirach, in denen Aspekte von Biografie und Lebensalter mit ihren Hinweisen auf die materiale, soziale und theologische Verfasstheit des Menschen dargestellt werden. Anthropologie wird manifest, wenn es um Biografie und Lebensalter geht. So verwundert es nicht, wenn Fragen konkreter Lebensführung, ihrer materialen und sozialen Grundlagen sowie die Biografie neben dem Alten Testament auch in der Altorientalistik und der Ägyptologie intensiv diskutiert werden. Der vorliegende Band versammelt neben je einem ägyptologischen und hethitologischen Exempel alttestamentliche Beiträge zur Rechtsanthropologie, zur Ethik sowie ausgewählten Literaturbereichen des Alten Testaments inkl. Ben Sirach, in denen Aspekte von Biografie und Lebensalter mit ihren Hinweisen auf die materiale, soziale und theologische Verfasstheit des Menschen dargestellt werden.

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54 Michaela Bauks überträgt hier königsideologische Prädikate – vor allem David gilt als Gesalbter JHWHs – auf einen Fremdherrscher, der im Zuge des göttlichen Restaurationshandelns an Israel-Juda im Anschluss an die babylonische Zerstörung (587/586 v. Chr.) zur ausführenden Kraft wird. Somit ist die Ausgangslage eine andere, da die neue Schöpfung eindeutig auf JHWH, den Gott Israel-Judas, zurückgeführt wird, der den Alleinanspruch auf Göttlichkeit erhebt. Deshalb braucht das Volk sich vor der Zukunft (vgl. „die kommenden Dinge“ in 45,11; 41,23) nicht mehr zu fürchten. 4 JHWH ist Israels ג (go’el) im Sinne der geläufigen familienrechtlichen Institution und sichert die „Erlösung“ des Volks aus der Not (44,6b; 41,14 u. ö.). Dies geschieht im Zuge eines Befreiungshandelns, das die frühere Ordnung wiederherstellt. 5 Da in den sog. messianischen Texten Jesajas, die von einem zeitlich unbestimmten, künftigen Heilsherrscher handeln – Jes 7; 9 und vor allem der exilisch-nachexilische Text Jes 11 –, der Begriff des Gesalbten 6 aber gänzlich fehlt, ist das alttestamentliche Messiaskonzept von einem eschatologischen Konzept von Weltende und Welterneuerung zu unterscheiden. 7 Eine andere Tradition ist die urzeitliche Figur der Weisheit in Prv 8,22, „die am/als Anfang ( ‏ִית /rešît) seines Weges von JHWH erschaffen wurde“, der Urzeit angehört und der Menschenschöpfung zeitlich vorgelagert ist. 8 Allerdings nimmt auch diese schöpfungstheologisch wichtige Passage eine Endzeit nicht in den Blick. Wie ließen sich die mythischen, schöpfungstheologischen Konnotationen der Anchtifi-Inschrift dann mit einem eschatologischen Messiaskonzept in Verbindung bringen? Ein möglicher Beispieltext wäre – neben den genannten Belegen aus der Offenbarung des Johannes (s. oben S. 29) – der Kolosserhymnus (Kol 1,15–20). Dieser kommt auch gattungsmäßig dem Selbstlob einer Grabinschrift recht nahe. Kol 1,15 beschreibt in dem Christuslob Jesus Christus als „Bild des unsichtbaren Gottes“ und „Erstgeborenen aller Schöpfung“ und folgert in V. „16 denn in ihm wurde alles geschaffen im Himmel und auf der Erde, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne, Herrschaften, Gewalten, Mächte; durch ihn und auf ihn hin ist alles geschaffen. 17 Und er ist vor allem (καὶ αὐτός ἐστιν πρὸ πάντων; d. h. vor aller Schöpfung), und alles findet in ihm seinen Zusammenhalt.“ 9 Eine eschatologische Perspektive eröffnet schließlich V. 18, wenn es heißt: Christus „ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten, damit er in allem Erster werde (ὅς ἐστιν ἀρχή).“ 10 Somit gibt dieser – allerdings um ca. 2200 לֵאֹ‏ אשֵׁר 4 Dass die Durchsetzung des Alleinanspruchs kein Selbstzweck sei, sondern eben diese paränetische Absicht verfolgt, betont BERGES, Jesaja 40–48, 326 mit Rekurs auf ELLIGER, Jesaja 40,1–45,7, 399. 5 BERGES, Jesaja 40–48, 327; vgl. 196f. 6 Vgl. HARTENSTEIN, Psalm 2, 85f. 7 Vgl. SAEBO, Verhältnis, bes. 36f.; LEUENBERGER, Messias im Übergang, 42. 8 Vgl. zu Übersetzung und Kommentierung SCHIPPER, Sprüche, 523–526. 9 Übersetzung von, SCHWEITZER, Der Brief an die Kolosser, 50. 10 Anders betont Eph 1,4 die Erwählung der Menschen vor der Erschaffung der Welt in Jesus Christus.

Anchtifi als „erschienener Messias“ 55 Jahre jüngere Text – eine Zusammenschau von Schöpfung, eschatologischer Neuschöpfung und Messianologie vor, wobei im Rekurs auf die Gottebenbildlichkeit Christi (πρωτόκος πάσης κτίσεως; V. 15) eine Anleihe an die ägyptische Königideologie durchschimmern könnte. Allerdings scheint mir die überschneidende Sphäre von Göttlichem und Menschlichem in der Inschrift des Anchtifi deutlich in den Hintergrund zu treten. 11 Zentral geht es doch um einen konkreten Herrscher, der in Zeiten einer großen politischen und wirtschaftlichen Krise ein äußerst hohes Sendungsbewusstsein erkennen lässt. Denn er bezieht die Einzigkeitsaussage in dem Selbstlob auf sich selbst und bereitet damit einen sich im Mittleren Reich neu ausbildenden Herrschaftsdiskurs vor, wie er z. B. in der Vorhersage des Neferti wiederbegegnet. 12 Anders als es die Übersetzung der Inschrift durch Francis Breyer erkennen lässt, die allerdings die Inschrift von Pfeiler 6 nicht dokumentiert hat, betont Ludwig Morenz das Aufkommen einer neuen Form des Gott-Königtums. Unter Berücksichtigung von Pfeiler VIγ mit der Erwähnung von rk R‘ „Zeit des Sonnengottes“ (s. oben S. 44) hebt er die enge Beziehung zwischen politischer Endzeitstimmung und der Erwartung einer durch Anchtifi selbst erwirkten Neuschöpfung hervor. Dank der Nennung von Apophis (IV.10) als Chaossymbol sei auf ein kosmologisches Thema angespielt. Ein zweiter Topos sei das in Iα2 erwähnte Sumpfgebiet (grg.t) von Edfu, das der Neugründung (grg) durch Anchtifi bedarf. Und daraus lese sich s. E. Anchtifis Schöpfungsanspruch ab, der zu einem neuen Äon („in dieser Jahr Million“ ḥḥ n rnp.t pn in IIβ1) führe. Diesen neuen Zeitbegriff könne man mit „der Zeit Res“ (rk R‘) parallelisieren, wodurch der Schöpfungsaspekt wiederum verstärkt werde (s. oben S. 38). Die von rebellierenden Kräften verantwortete Krise müsse behoben werden, und Anchtifi werde zum erwarteten Helden (vgl. die Inschrift auf Pfeiler Iβ2-3): „2 … Ich bin der Anfang des Menschen und das Ende des Menschen, einer, der die Lösung fand, als es an ihr ermangelte im Land, (und dies) wegen meines [energisch]en Vorgehens und gewaltigen Wortes (einer,) 3 der am Tag, als die (drei?) Gaue vereinigt wurden [kühlen Kopf bewahrte]. 13 Auf Pfeiler IIβ1 erfährt die Selbstprädikation noch eine Steigerung, indem Anchtifis Stärke sogar auf einen neuen Äon (so Morenz, s. o. S. 43) verweist: 11 Vgl. ASSMANN, Herrschaft und Heil, 117–122, der für die Inschrift die entschiedene Loyalität in einem Patronatsverhältnis herausstreicht, zu der die Inschrift in Abwehr anderer möglicher Patronatsherren aufruft. 12 S. dazu oben Morenz, S. 48. 13 Übersetzung BREYER, TUAT NF Bd. 2, 190.

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Michaela Bauks<br />

überträgt hier königsideologische Prädikate – vor allem David gilt als Gesalbter<br />

JHWHs – auf einen Fremdherrscher, der im Zuge des göttlichen Restaurationshandelns<br />

an Israel-Juda im Anschluss an die babylonische Zerstörung (587/586<br />

v. Chr.) zur ausführenden Kraft wird. Somit ist die Ausgangslage eine andere,<br />

da die neue Schöpfung eindeutig auf JHWH, den Gott Israel-Judas, zurückgeführt<br />

wird, der den Alleinanspruch auf Göttlichkeit erhebt. Deshalb braucht das<br />

Volk sich vor der Zukunft (vgl. „die kommenden Dinge“ in 45,11; 41,23) nicht<br />

mehr zu fürchten. 4 JHWH ist Israels ג (go’el) im Sinne der geläufigen familienrechtlichen<br />

Institution <strong>und</strong> sichert die „Erlösung“ des Volks aus der Not<br />

(44,6b; 41,14 u. ö.). Dies geschieht im Zuge eines Befreiungshandelns, das die<br />

frühere Ordnung wiederherstellt. 5 Da in den sog. messianischen Texten Jesajas,<br />

die von einem zeitlich unbestimmten, künftigen Heilsherrscher handeln – Jes<br />

7; 9 <strong>und</strong> vor allem der exilisch-nachexilische Text Jes 11 –, der Begriff des Gesalbten<br />

6 aber gänzlich fehlt, ist das alttestamentliche Messiaskonzept von einem<br />

eschatologischen Konzept von Weltende <strong>und</strong> Welterneuerung zu unterscheiden.<br />

7<br />

Eine andere Tradition ist die urzeitliche Figur der Weisheit in Prv 8,22, „die<br />

am/als Anfang ( ‏ִית /rešît) seines Weges von JHWH erschaffen wurde“, der<br />

Urzeit angehört <strong>und</strong> der Menschenschöpfung zeitlich vorgelagert ist. 8<br />

Allerdings<br />

nimmt auch diese schöpfungstheologisch wichtige Passage eine Endzeit<br />

nicht in den Blick.<br />

Wie ließen sich die mythischen, schöpfungstheologischen Konnotationen<br />

der Anchtifi-Inschrift dann mit einem eschatologischen Messiaskonzept in Verbindung<br />

bringen? Ein möglicher Beispieltext wäre – neben den genannten Belegen<br />

aus der Offenbarung des Johannes (s. oben S. 29) – der Kolosserhymnus<br />

(Kol 1,15–20). Dieser kommt auch gattungsmäßig dem Selbstlob einer Grabinschrift<br />

recht nahe. Kol 1,15 beschreibt in dem Christuslob Jesus Christus als<br />

„Bild des unsichtbaren Gottes“ <strong>und</strong> „Erstgeborenen aller Schöpfung“ <strong>und</strong> folgert<br />

in V. „16 denn in ihm wurde alles geschaffen im Himmel <strong>und</strong> auf der Erde, das<br />

Sichtbare <strong>und</strong> das Unsichtbare, Throne, Herrschaften, Gewalten, Mächte; durch<br />

ihn <strong>und</strong> auf ihn hin ist alles geschaffen. 17 Und er ist vor allem (καὶ αὐτός ἐστιν<br />

πρὸ πάντων; d. h. vor aller Schöpfung), <strong>und</strong> alles findet in ihm seinen Zusammenhalt.“<br />

9 Eine eschatologische Perspektive eröffnet schließlich V. 18, wenn es<br />

heißt: Christus „ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten, damit er in<br />

allem Erster werde (ὅς ἐστιν ἀρχή).“ 10 Somit gibt dieser – allerdings um ca. 2200<br />

לֵאֹ‏<br />

אשֵׁר<br />

4<br />

Dass die Durchsetzung des Alleinanspruchs kein Selbstzweck sei, sondern eben diese<br />

paränetische Absicht verfolgt, betont BERGES, Jesaja 40–48, 326 mit Rekurs auf ELLIGER,<br />

Jesaja 40,1–45,7, 399.<br />

5 BERGES, Jesaja 40–48, 327; vgl. 196f.<br />

6<br />

Vgl. HARTENSTEIN, Psalm 2, 85f.<br />

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Vgl. SAEBO, Verhältnis, bes. 36f.; LEUENBERGER, Messias im Übergang, 42.<br />

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Vgl. zu Übersetzung <strong>und</strong> Kommentierung SCHIPPER, Sprüche, 523–526.<br />

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Übersetzung von, SCHWEITZER, Der Brief an die Kolosser, 50.<br />

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Anders betont Eph 1,4 die Erwählung der Menschen vor der Erschaffung der Welt in<br />

Jesus Christus.

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