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KÄRCHER CEO HARTMUT JENNER IM GESPRÄCH MIT DER NZZ

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Verbrennungsmotoren: Auch synthetische Treibstoffe werden das Ende nicht verhindern Seite 17<br />

Dienstag, 12. September 2023 ∙ Nr. 211 ∙ 244. Jg. AZ 8021 Zürich ∙ Fr. 5.30<br />

Internationale Hilfe<br />

wird zum Politikum<br />

Marokko nimmt Angebot aus Paris vorerst nicht an<br />

Er wurde fast von Schulden erdrückt und einmal beinahe erstochen, doch später wurde Ulrich Ochsenbein zu einer wichtigen Figur<br />

bei der Gründung des Schweizerischen Bundesstaates.<br />

ILLUSTRATION S<strong>IM</strong>ON TANNER / <strong>NZZ</strong><br />

Ulrich Ochsenbein – einer<br />

der Erfinder der modernen Schweiz<br />

Der Bundesstaat wird am heutigen 12. September 175 Jahre alt<br />

tri./sta. · Wenn die moderne Schweiz an<br />

diesem 12. September ein grosses Jubiläum<br />

begeht, dann feiert sie die Verfassungsväter<br />

von 1848. 23 Männer waren<br />

es, die sich in Bern während 51 Tagen zu<br />

31 Sitzungen trafen. Ulrich Ochsenbein<br />

etwa, damals Präsident der zuständigen<br />

Kommission, früher Freischärler, später<br />

Bundesrat und noch später französischer<br />

General. Sein unglaubliches Leben erzählt<br />

die <strong>NZZ</strong> in diesen Tagen in einer<br />

kleinen Serie. Oder Melchior Diethelm,<br />

der damals alsVertreter von Schwyz den<br />

Vorschlag einbrachte, der neue Bundesstaat<br />

brauche ein Zweikammersystem<br />

aus National- und Ständerat.<br />

«Eine Ironie der Geschichte»<br />

Im Interview mit der <strong>NZZ</strong> würdigt der<br />

Historiker André Holenstein die Rolle<br />

jener Kantonsvertreter, die im vorangegangenen<br />

Sonderbundskrieg unterlegenwarenundsichwiderwilligindenBundesstaat<br />

fügten. Er sagt: «Das ist eine Ironie<br />

der Geschichte, dass die Verlierer des<br />

Krieges letztlich eine extrem konstruktive<br />

Rolle beim Zustandekommen von zentralen<br />

Elementen unserer Bundesverfassung<br />

spielen.» Holenstein, lange Jahre<br />

Geschichtsprofessor an der Universität<br />

Bern, betont auch, dass die Integration<br />

der Kantone zu einem Bundesstaat keineswegs<br />

naheliegend gewesen sei. Über<br />

Jahrhunderte hinweg habe es «in diesem<br />

lose geknüpften Verbund von Klein- und<br />

Kleinststaaten» kaum Gemeinsamkeiten,<br />

aber viele Konflikte gegeben. Und so sei<br />

der grosse Wurf von 1848, also die Gründung<br />

der modernen Schweiz, ohne das<br />

Ausland gar nicht denkbar: «Die massiven<br />

Interventionen der Grossmächte ersparen<br />

der Schweiz die Kosten für die Bewältigung<br />

eines Strukturwandels, den sie<br />

aus eigener Kraft nicht geschafft hätte»,<br />

sagt Holenstein.<br />

Die Nationalgeschichtsschreibung<br />

des 19. und frühen 20. Jahrhunderts hat<br />

diese Zusammenhänge grosszügig ausgeklammert.<br />

Vielmehr wurde fortan die<br />

Geschichte derWillensnation Schweiz erzählt,<br />

die mit den Schlachterfolgen der<br />

freiheitsliebenden Eidgenossen im Spätmittelalter<br />

beginnt und via 1848 in die<br />

Gegenwart führt – mit Folgen für die Erinnerungskultur<br />

und Politik bis heute.Der<br />

Historiker Holenstein kommt hingegen<br />

zum Schluss:«Wir haben ein Maximum an<br />

Eigenständigkeit erworben dank glücklichen<br />

Umständen wie unserer geografischen<br />

Lage und durch tatkräftige Unterstützung<br />

durch die Mächte ringsum.»<br />

Die Einweihung von «Tilo»<br />

In Bern, wo derzeit im Bundeshaus die<br />

Session der eidgenössischen Räte läuft,<br />

wird das Jubiläum gefeiert. Unter anderem<br />

wird ein Mosaik der Künstlerin<br />

Renée Levi eingeweiht, das neu unter<br />

dem Giebeldach des Bundeshauses glänzen<br />

wird. Das Kunstwerk heisst «Tilo»,<br />

nachTilo Frey,der ersten farbigen Nationalrätin<br />

der Schweiz. Es soll ans Frauenstimmrecht<br />

erinnern, an das die 23 Verfassungsväter<br />

von damals nicht dachten.<br />

Schweiz, Seiten 8, 9<br />

Feuilleton, Seite 31<br />

Die Beziehungen zwischen<br />

Paris und Rabat sind angespannt.<br />

Das erschwert die rasche<br />

Unterstützung bei der Nothilfe<br />

nach dem schweren Erdbeben,<br />

obwohl die Solidarität gross ist.<br />

TOBIAS GAFAFER, PARIS<br />

König Mohammed VI. weilte privat in<br />

Frankreich, als in seiner Heimat die Erde<br />

bebte. Der marokkanische Herrscher besitzt<br />

in der Picardie, nordwestlich von<br />

Paris, ein Schloss und in der Hauptstadt<br />

eine Villa. Das Erdbeben, das am späten<br />

Freitagabend die Region um Marrakesch<br />

erschütterte,hat bis am Montag über 2800<br />

Opfer gefordert.<br />

Bevor der König am Samstagmorgen<br />

eiligst nach Rabat zurückflog, war es gemäss<br />

französischen Medien zu einemTelefonat<br />

mit dem französischen Präsidenten<br />

Emmanuel Macron gekommen – dem<br />

ersten seit langem. Macron bot Marokko<br />

umgehend Frankreichs Unterstützung an.<br />

«Wir sind nach dem schrecklichen Erdbeben<br />

alle erschüttert», schrieb er auf X,<br />

vormals Twitter. Frankreich stehe bereit,<br />

um erste Hilfe zu leisten.Am Sonntag wiederholte<br />

Macron das Angebot, bisher ist<br />

Rabat aber nicht darauf eingestiegen.<br />

Spione und Ausschaffungen<br />

Die Episode illustriert, wie eng und zugleich<br />

schwierig die Beziehungen zwischen<br />

Marokko und der früheren Kolonialmacht<br />

sind. Die Anteilnahme und die<br />

Solidarität sind in Frankreich besonders<br />

gross.Stiftungen haben innert kurzer Zeit<br />

viel Geld gesammelt. Mindestens 1,5 Millionen<br />

Marokkaner leben im Land, etwas<br />

weniger als die Hälfte von ihnen sind Doppelbürger.<br />

Das politische Verhältnis zur<br />

ehemaligen Kolonie hat sich in den letzten<br />

Jahren jedoch laufend verschlechtert.Seit<br />

Anfang Jahr hat Marokko in Paris nicht<br />

einmal mehr einen Botschafter.<br />

Seit der Pegasus-Affäre vor zwei Jahren<br />

herrscht Eiszeit. Ein Recherchekonsortium<br />

enthüllte damals, dass marokkanische<br />

Sicherheitsdienste versucht haben<br />

sollen,mit der israelischen Spionage-Software<br />

rund tausend Personen abzuhören.<br />

Neben Dissidenten soll auch Macron<br />

unter ihnen gewesen sein. Marokko<br />

dementierte dies zwar offiziell, aber der<br />

Schaden war angerichtet.<br />

Marokko goutierte dafür den französischenVersuch<br />

nicht,dieVisavergabe als<br />

Hebel zu benutzen. Während gut eines<br />

Jahres hatte Paris die Zahl der Visa an<br />

marokkanische Staatsangehörige etwa<br />

um die Hälfte reduziert. Es reagierte damit<br />

auf die Schwierigkeiten,abgewiesene<br />

Asylbewerber aus Marokko in ihre Heimat<br />

auszuschaffen.<br />

Vor allem belasten die Differenzen<br />

um die Westsahara und die französische<br />

Algerien-Politik das Verhältnis. Macron<br />

versucht, sein Land Algerien anzunähern,<br />

dem Erzfeind Marokkos. Letztes<br />

Jahr machte er dem algerischen Präsidenten<br />

seineAufwartung,um die Zusammenarbeit<br />

zu vertiefen und die koloniale Vergangenheit<br />

aufzuarbeiten. Einen Besuch<br />

Macrons in Marokko haben die beiden<br />

Länder dagegen mehrfach verschoben.<br />

Spanien schickt Retter<br />

Algier unterstützt im Konflikt um die<br />

Westsahara die Befreiungsfront Frente<br />

Polisario. Frankreich versucht einen<br />

Balanceakt. Paris lehnt es ab, den marokkanischen<br />

Anspruch auf die 1976 annektierteWestsahara<br />

formell zu unterstützen.<br />

Es bezeichnete Rabats Autonomieplan<br />

für die Region als interessant, unterstützt<br />

diesen aber nicht. Marokko fordert, dass<br />

sich Frankreich deutlicher positioniert.<br />

Spanien hat sich in dieser Frage auf<br />

Marokkos Seite geschlagen. Es vollzog<br />

letztes Jahr eine Kehrtwende:Die Regierung<br />

stellte sich hinter den marokkanischen<br />

Plan,dieWestsahara zu einer autonomen<br />

Region zu machen. Spanien gehört<br />

nun neben Katar, den Vereinigten<br />

Arabischen Emiraten und Grossbritannien<br />

zu jenen Staaten, deren Hilfe Rabat<br />

rasch akzeptiert hat.Es hat Rettungsteams<br />

mit Spürhunden in die vom Erdbeben<br />

erschütterte Region geschickt.<br />

Frankreich spielt herunter, dass<br />

Marokko noch nicht auf das Hilfsangebot<br />

reagiert hat.Aussenministerin Catherine<br />

Colonna kündigte am Montag im<br />

Fernsehsender BFMTV an, internationalen<br />

und französischen NGO in Marokko<br />

5 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen<br />

– zusätzlich zur Unterstützung der EU.<br />

Eine Polemik sei unangebracht, sagte sie.<br />

«Marokko hat kein Angebot abgelehnt.»<br />

Paris vertraue den Behörden, dass sie die<br />

Hilfe so organisierten, wie es ihnen am<br />

besten erscheine. Rabat hat bisher auch<br />

nicht auf Angebote von der Schweiz und<br />

Deutschland geantwortet.<br />

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