ERF Medien Magazin Oktober 2023
Dankbarkeit
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8 ı<br />
THEMA<br />
Zuckerguss-Christentum,<br />
das vermeintliche<br />
Wegloben von Schmerzlichem<br />
und die Alles-ist-gut-Heiligkeit,<br />
früher oder später<br />
in eine Enttäuschung<br />
mündet. Ich wünschte,<br />
Menschen meiner Kindheit<br />
hätten mich schauen,<br />
riechen, schmecken und wahrnehmen<br />
gelernt und wie man achtsam und<br />
wachsam durch die Welt geht. Es ist nie zu<br />
spät, damit anzufangen. Seit vielen Jahren<br />
übe ich, achtsam zu leben. Dabei hat es direkten<br />
Einfluss auf meine Dankbarkeit und Zufriedenheit.<br />
Die Bibel redet viel von Dankbarkeit – direkt oder indirekt<br />
Sie ist ungeschönt und sehr ehrlich. Von den 150 Psalmen<br />
(Gedichte, Lieder, Gebete) zum Beispiel sind um die 70<br />
deftige Klagepsalmen. Da fliegen die Fetzen. Wut und Anklage<br />
haben da ihren Platz, manchmal mehr als uns lieb<br />
ist. Andererseits lesen wir z. B. «schmeckt und seht wie<br />
freundlich/gütig Gott ist.» Heute würden wir vielleicht<br />
sagen, geniesst Gott in vollen Zügen, kostet ihn. Es ist ein<br />
aufmerksames «auf der Zunge zergehen lassen», eine Art<br />
genüssliches Verinnerlichen. Gemeint ist auch ein Sehen,<br />
Schauen, Wahrnehmen, Achtsam-Sein, Verweilen, Staunen<br />
oder auch Inhalieren der Güte und Grosszügigkeit Gottes.<br />
Geniessen können, ist eine Form von Dankbarkeit<br />
Wer geniessen kann, lebt in einer anderen Liga. Das<br />
habe ich in meinen 64 Jahren oft erlebt – bei mir selbst<br />
und bei anderen. Und: «Wer nicht geniessen kann, wird<br />
ungeniessbar», sagt der Volksmund. Warum wohl? Das<br />
Nicht-geniessen-Können und die Undankbarkeit sind<br />
beste Freunde.<br />
Achten Sie mal darauf, wenn Sie für jemanden kochen,<br />
ob Ihr Gast das Gekochte in sich hinein schaufelt und<br />
dabei seine News vom Tag erzählt oder ob jemand in Ruhe<br />
das Essen schmeckt, es riecht und auf der Zunge zergehen<br />
lässt. Wem wohl flutscht ein herzhaftes «Merci» leichter<br />
und herzhafter über die Lippen, obwohl das Geniessen des<br />
Gastes schon längst genug Wertschätzung wäre?<br />
Mach Dünger aus deinem Mist<br />
Das Buch von Georges Morand kann<br />
über morandcoaching.ch bestellt werden.<br />
Es gibt verschiedene Formen<br />
und Tiefen von Dankbarkeit<br />
Die «neun Dankbarkeitslevels» sind ein Versuch, um<br />
sich dem Geheimnis etwas strukturiert zu nähern. Sie<br />
beginnen beim Deal der ausgleichenden Gerechtigkeit,<br />
beim Anstand und gehen über zur tiefen Lebenshaltung<br />
der Dankbarkeit, die zu einer grundlegenden Veränderung<br />
des Bewusstseins führt.<br />
1. Dankbarkeit als Deal oder Echo. Ich gebe Ihnen<br />
etwas, Sie sagen Danke. Damit beginnen wir bei den<br />
Kleinkindern.<br />
2. Dankbarkeit für eingekaufte Dienstleistungen oder<br />
Produkte, im Kleider- oder Lebensmittelladen, im Restaurant,<br />
bei der Ärztin usw. Obwohl wir für die Dienstleistung<br />
zahlen, werden wir in diesem Level mehr und<br />
mehr auch dankbar und behandeln dadurch Menschen<br />
anders – ohne Gefälle. Dankbarkeit trotz Deal, trotz<br />
Tauschgeschäft.<br />
3. Dankbarkeit für das monatliche Salär, obwohl ich<br />
dafür gearbeitet habe. Auch wenn wir das Recht auf die<br />
Gegenleistung haben, verändert es das Miteinander von<br />
Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden, wenn beidseitige<br />
Dankbarkeit gelebt wird.<br />
4. Dankbarkeit für die Rahmengestalter unseres Alltagslebens,<br />
z. B. Behörden, Schule, Sozialversicherungen,<br />
ÖV, Entsorgungsstationen, Kläranlagen, Verkehrsregelung,<br />
Fussgängerstreifen, Arbeitgeberin, Politik,<br />
Gerichte, Polizei usw. Die alte Leier des/der Bünzlischweizer/in<br />
ist, sich über die Steuern, die heutige Zeit<br />
und «die in Bern» zu beschweren. Menschen in diesem<br />
Dankbarkeitslevel sehen das anders. Sie sind dankbar,<br />
dass die Enkelkinder in Kindergarten und Schule<br />
gefördert werden, die KESB ihren wichtigen Dienst oft<br />
am Rande der Gesellschaft tut, wovon die meisten lieber<br />
die Finger lassen, über die Pünktlichkeit des ÖVs, für<br />
die stets vollen Regale im Lebensmittelladen, für die<br />
Entsorgungs- und Recyclingstation. Das betrifft genauso<br />
das Private. Für dankbare Menschen wird immer<br />
weniger selbstverständlich. Verwöhnte meinen, alles sei<br />
selbstverständlich.<br />
5. Dankbarkeit für alles Stille und Normale in unserem<br />
Alltag. Auf dem Balkon, im Garten, auf den Feldern<br />
und Wäldern wächst es still vor sich hin. Das Wasser<br />
fliesst selbstverständlich aus dem Hahn, das tägliche<br />
Brot ist da, Luft zum Atmen. Dankbare in diesem Level<br />
sehen zunehmend das Selbstverständliche als Geschenk.<br />
Dankbare leben als Beschenkte.