11.09.2023 Aufrufe

Katalog Willi SIBER "Barocke Pracht", 2023

Der Katalog zeigt neue Arbeiten aus 2022-2023. Das Werk von Willi Siber bezieht seine Kraft aus einer Abstraktion, die elementare Gestaltung, Intuition und Assoziation überzeugend verbindet

Der Katalog zeigt neue Arbeiten aus 2022-2023. Das Werk von Willi Siber bezieht seine Kraft aus einer Abstraktion, die elementare Gestaltung, Intuition und Assoziation überzeugend verbindet

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Effekte in Kauf nehmen, die gewisse ästhetische Reize haben. Mein Weg<br />

ist ein umgekehrter. Ich gehe von der vorgegebenen Form aus. Zuerst gibt<br />

es eine Zeichnung und dann entsteht die dreidimensionale Form. Und erst<br />

danach kommt sozusagen der Schlussakkord, nämlich ihr über die Oberflächen<br />

Farbigkeit und eine Würde zu geben.<br />

Neuerdings gibt es Tafelbilder, die einen Teil der Oberfläche des Mondes<br />

abformen. Diese Arbeiten knüpfen mit ihren reliefierten Flächen an die<br />

bekannten Arbeiten mit ovalen bzw. eiförmigen Strukturen in konkaver<br />

und konvexer Ausformung an. Was reizt dich an solchen Motiven bzw.<br />

wie findest du sie? Da sind zwei Dinge. Zum einen ist da der Mond als ferner<br />

Himmelskörper, und meine Arbeiten sollen ja ein Stück weit entrücken<br />

vom alltäglich Gesehenen. Es ist eine Wegbeschreibung, ein Anreiz, sich<br />

wegzudenken von unseren irdischen Gegebenheiten. Zum zweiten hat die<br />

Mondoberfläche eine fantastische Struktur und Farbe. Das ist ja sowieso<br />

etwas, was mich grundlegend interessiert. So hat auch dieses Motiv Eingang<br />

gefunden in mein Werk.<br />

Die »Freiheit des Schönen«, wie du es einmal für dein Schaffen genannt<br />

hast, ist das auch deine Lebensmaxime, schätzt du schöne Dinge? Ja, natürlich!<br />

Aber ich war und bin noch immer politisch breit interessiert, habe<br />

allerdings im Lauf der Jahrzehnte lernen müssen, dass die Auseinandersetzung<br />

damit nicht ergiebig genug für mich ist, weil sich nie eine Antwort auf<br />

die Frage nach dem zentralen, finalen Sinn des Menschseins findet. Daraus<br />

resultiert für mich ganz persönlich die Frage: Wie verbringe ich meine<br />

Lebenszeit? Reibe ich mich mein Leben lang auf mit Dingen, die ich ganz<br />

schwer ändern kann? Oder gönne ich mir sozusagen ein Stück weit eine<br />

eigene Welt, die stimmig ist? Ich persönlich brauche das, um mein Inneres<br />

zu beruhigen und auch mal wegzuführen von dem, was uns ständig<br />

belastet.<br />

Es ist ja auch so: Man darf die Schlagkraft von einem Bild nicht überschätzen.<br />

Ich kann nicht alles Komplexe in ein Bild hineinpacken, sonst wendet<br />

sich der Betrachter ab, weil es ihn überfordert. Dafür gibt es die Schriftstellerei,<br />

es gibt den Film, es gibt andere Medien, die sich komplexen Fragestellungen<br />

vielschichtiger und geeigneter widmen können. Die Stärke der<br />

Bildenden Kunst liegt für mich darin, dass sie für das Auge Phänomene<br />

bietet, in denen man sich verlieren, auf die man sich einlassen kann. Im<br />

Übrigen kann man auch über ein hochgradig ästhetisches Objekt nachdenklich<br />

werden.<br />

Ich stelle mir die Frage, so wie unsere Lebenswelt abläuft, wie weit weg wir<br />

eigentlich sind von der Fähigkeit, überhaupt noch das Schöne wahrnehmen<br />

und genießen zu können. Schönheit und Ästhetik sind ein wesentlicher<br />

Teil unseres irdischen Daseins; sie können für Glücksmomente sorgen oder<br />

andere angenehme Empfindungen auslösen. In jedem Fall sind sie eine<br />

wichtige Energiequelle, um die Herausforderungen des Lebens zu meistern,<br />

und damit essenziell.<br />

Wie würdest du die Wirkung deiner Werke selbst beschreiben? Ich will faszinieren,<br />

was die Ästhetik und die Sinnlichkeit, was die Wechselwirkung<br />

von Licht und Raum, was den Zauber angeht, der uns wegführt von unserer<br />

funktionalen, nüchternen Welt, in der wir jeden Tag eingepackt sind. Ich<br />

versuche einen kleinen Spalt in der Tür zu öffnen, die in andere Sphären<br />

weist, weg von diesem Alltäglichen. (...)<br />

Wir sind heute in einer Zeit, die unendlich viele neue Möglichkeiten bietet.<br />

Ich glaube, das war noch nie zuvor so. Es hat sich alles unheimlich<br />

schnell entwickelt. Die Mittel sind wesentlich umfangreicher und von daher<br />

sind auch die Ausdrucksmöglichkeiten unendlich vielfältig, wenn man die<br />

Chance wahrnehmen möchte, sich einzubringen. Diese Möglichkeitserweiterung<br />

kann ich ganz gezielt für meine künstlerische Intention verwenden.<br />

Das war in der ganzen Kulturgeschichte so. Dass Van Eyck die altmeisterliche<br />

Technik der Lasurmalerei erfinden konnte, war nur möglich, weil es auf<br />

einmal Malmittel gab, die vorher nicht zur Verfügung gestanden hatten,<br />

und weil er genug Mut hatte, mit ihnen zu experimentieren. In diesem<br />

Kontext sehe ich auch meinen Umgang mit Materialien. Ich bin frei von<br />

Berührungsängsten, was neue technische Möglichkeiten und Entwicklungen<br />

angeht. Für mich ist es immer spannend, mit neuen Dingen konfrontiert<br />

zu werden.<br />

Wenn man dein Werk der vergangenen Jahre betrachtet, kann man dich<br />

nur beglückwünschen. Die Freude, jeden Tag etwas Neues entdecken zu<br />

können, ist für dich – wie man sieht – ungebrochen. Ja, das macht mich<br />

natürlich mit aus. Es gibt so eine innere Neugierde und es gibt sehr viele<br />

Einfälle, die nach Lösungen rufen. Der Weg ist oft beschwerlicher, als ich mir<br />

das vorstelle, aber ich bin nach wie vor jeden Tag dabei, mir im Tagesablauf<br />

etwas Zeit für experimentelle Dinge zu reservieren – so, dass meine Arbeiten<br />

sich stetig und immer wieder leicht verwandeln. Das wird so bleiben.<br />

Denn das macht auch ein jahrzehntelanges Arbeiten im Atelier spannend.<br />

Es darf nicht zur Routine werden!<br />

Du lebst ja auf dem Land in deinem Elternhaus. Brauchst du diese Ruhe in<br />

der Natur? Ich brauche auch immer wieder die Reibungsfläche der Großstadt<br />

als Gegenpart zur Ruhe und Beschaulichkeit meiner Umgebung.<br />

Nach wie vor finde ich es faszinierend, was Kunst leisten kann. Wie sie in<br />

Gefilde vordringen kann, die uns im rational geprägten Alltag verschlossen<br />

bleiben. Das merke ich an mir selbst. Und das ist es auch, was die meisten<br />

Menschen, die mit Kunst umgehen, berührt.<br />

Das Gespräch mit <strong>Willi</strong> Siber führte Sabine Heilig am 17. Mai <strong>2023</strong>.<br />

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