VISION.salzburg 2023_3
Das StadtSalzburgMagazin Ausgabe 2023_3
Das StadtSalzburgMagazin
Ausgabe 2023_3
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
halb auf Englisch, weil wir dachten, auf<br />
Deutsch könne man solche Songs, wie<br />
wir sie wollten, nicht schreiben, weil der<br />
Sound der Sprache nicht passen würde.<br />
Sobald wir merkten, dass das nicht<br />
stimmte, gab es kein Halten mehr.<br />
≈ Es gibt diesen Moment beim Schreiben,<br />
wenn sich alles wie von selbst<br />
ergibt, nennen wir es »Mojo«. Verfügen<br />
Sie über dieses Schreib-Mojo immer<br />
im gleichen Ausmaß oder müssen<br />
Sie etwas dafür tun, es »streicheln«?<br />
Wenn ja, wie?<br />
Beim Songschreiben geht es bei mir immer<br />
um Musik, auch beim Text. Und Musik<br />
kommt irgendwie von selber.<br />
≈ Man kann, denke ich, die Bedeutung<br />
von EoC, was den unverkrampften<br />
Umgang mit der deutschen Sprache<br />
in der Musik anbelangt, gar nicht<br />
hoch genug einschätzen. Gibt es Junge<br />
MusikerInnen, die deshalb auf Sie<br />
zukommen, den Austausch suchen?<br />
Vielleicht, aber niemand sagt das so explizit<br />
und deshalb würde ich das auch<br />
niemandem unterstellen wollen. Die sind<br />
eigentlich alle immer sehr nett zu uns,<br />
aber das sind Musiker untereinander fast<br />
immer und das ist auch richtig so.<br />
≈ Auf dem letzten, tollen Album »Morgens<br />
um vier« zitieren Sie in »Liebe<br />
ist nur ein Wort« den gleichnamigen<br />
Roman von Johannes Mario Simmel.<br />
Und auch in »Glitterschnitter« wird<br />
Simmel mit »Niemand ist eine Insel«<br />
zitiert. Warum diese Simmel-Häufung?<br />
Ehrliche Begeisterung?<br />
Ja klar. Simmel hat auf manische Weise<br />
ein gewaltiges Werk geschaffen, das ist<br />
schon toll und auch sehr speziell. Man<br />
könnte auch einen auf kritische Distanz<br />
oder Ironie machen, aber das wäre albern.<br />
Wahrscheinlich ist auch Sentimentalität<br />
im Spiel, ich habe das ja alles als<br />
Jugendlicher gelesen, in den 70er Jahren,<br />
als Simmel ganz oben war und er genau<br />
in die Zeit und ihre Konflikte hineinpasste.<br />
≈ In »Wiener Straße« und »Glitterschnitter«<br />
geht es u.a. um ein Österreichisches<br />
Künstlerkollektiv, das die<br />
Wiener Melange und das anarchistische<br />
Element von Kunst gleichermaßen<br />
hochhält. Sie scheinen einen Faible<br />
für uns Ösis zu haben. Weshalb?<br />
In Österreich, so mein Eindruck, liebt man<br />
die Kunst und lebt ganz eng mit ihr zusammen.<br />
Man liebt (und hasst) auch die Künstler.<br />
In Deutschland ist das anders. Die<br />
Deutschen sind doch eher ein Volk von Ingenieuren<br />
und wollen immer von der Kunst<br />
wissen, wofür sie »eigentlich« gut sei, was<br />
sie zu bedeuten habe und so weiter und<br />
so fort. Man fordert von der Kunst Bildung,<br />
Aufklärung, Erziehung, moralische Aufrüstung,<br />
politische Agitation, – alles Dinge, die<br />
anderswo viel besser bedient werden können!<br />
– und dann wundert man sich, warum<br />
das Leben so langweilig ist!<br />
≈ Gibt es auch etwas, das sie überhaupt<br />
nicht leiden können an uns Österreichern<br />
bzw. der österreichischen Lebensart?<br />
Wenn es so wäre, würde ich es nicht sagen.<br />
Das gehört sich nicht. Da bin ich<br />
ganz Deutscher. Österreich beschimpfen<br />
dürfen nur Österreicher.<br />
≈ Vor einem knappen Jahr ist euer langjähriges<br />
Bandmitglied David Young<br />
gestorben. Seine Rolle ging weit<br />
über die eines Bassisten hinaus. Habt<br />
ihr damals übers Aufhören nachgedacht?<br />
David Young war mein bester Freund.<br />
Und er fehlt mir sehr. Aber das ist natürlich<br />
kein Grund, mit dem Musikmachen<br />
aufzuhören!<br />
≈ Ist das Stück »Dann kommst du wieder«<br />
als Abschieds-Song bzw. als<br />
Hommage an den alten Freund gedacht<br />
oder ist das albern, dass ich<br />
den Song so verstanden habe?<br />
Nein, das ist nicht albern, man kann<br />
den Song auch so verstehen. Aber man<br />
muss nicht.<br />
≈ Warum haben Sie sich als Junge die<br />
Trompete ausgesucht? Es gab damals<br />
sicher »logischere« Instrumente.<br />
Um Frauen zu beeindrucken wären<br />
Gitarre oder das Saxophon wohl naheliegender<br />
gewesen.<br />
Gitarre konnte ich schon, als ich mit<br />
Trompete anfing. Ich habe Musik auch<br />
nicht in erster Linie gemacht, um Frauen<br />
zu beeindrucken. An der Trompete gefielen<br />
mir immer der Sound und die Lautstärke,<br />
das Unmittelbare auch. Es gibt<br />
eigentlich kein Instrument, das näher an<br />
der menschlichen Stimme ist.<br />
≈ »Man hat nur eine richtige Band in seinem<br />
Leben« haben Sie neulich mal gesagt.<br />
Trotzdem touren Sie auch mit dem<br />
Jazz-Trio durch die Landen. Wieso?<br />
Das ist keine Band, das ist eher ein Projekt.<br />
Ich spiele gerne Trompete und ich<br />
liebe Jazzmusik.<br />
≈ Was ist es, das Sie am Jazz so lieben?<br />
Was macht ihn aus Ihrer Sicht<br />
besonders?<br />
Das Besondere am Jazz ist neben seinem<br />
musikalischen Wesen vor allem das<br />
Element der Improvisation. Wir haben es<br />
mit Regener Pappik Busch besonders<br />
mit Klassikern des modernen Jazz’ aus<br />
den 40er- bis 60er-Jahren zu tun und<br />
können uns durch die Improvisationen<br />
auf unsere Weise damit auseinandersetzen.<br />
Wir treten gewissermaßen in Kontakt<br />
mit einer anderen Welt und können<br />
darin kommunizieren.<br />
≈ In Ihrem aktuellen Buch »Glitterschnitter«<br />
geht es um die Zeit, von<br />
der sie vorhin gesprochen haben. Alles<br />
scheint möglich. Die Grenzen zwischen<br />
Konzert, Performance und Ausstellung<br />
verschwimmen. Es herrscht<br />
ein spielerischer Umgang mit Kunst.<br />
Wie ernst soll man sich und die eigene<br />
Kunst nehmen?<br />
Man kann sich und seine Kunst so ernst<br />
nehmen, wie man will, die Sache hat<br />
trotzdem auch immer ihre komische Seite.<br />
Wie bei Macbeth oder Kafka.<br />
≈ Hat Melancholie etwas Tröstliches für<br />
Sie?<br />
Nein. Melancholie ist immer schmerzhaft.<br />
Aber die Kunst tröstet, gerade auch<br />
die melancholische.<br />
Vielen Dank für das Gespräch<br />
Sven Regener (*1961 in Bremen) ist ein deutscher<br />
Musiker, Schriftsteller und Drehbuchautor. Bekannt<br />
geworden ist er zunächst durch die Band<br />
Element of Crime, später mit seinem Roman »Herr<br />
Lehmann«und dem Drehbuch zum gleichnamigen<br />
Film sowie mit den weiteren Romanen der »Lehmann-Serie«,<br />
»Neue Vahr Süd«, »Der kleine Bruder«,<br />
»Magical Mystery«, »Wiener Straße« und »Glitterschnitter«.<br />
Seine Lieblings-Jazz-Alben sind »Another<br />
Side of John Coltrane« und »Clifford Brown<br />
And Max Roach«.<br />
Element of Crime spielen Sonntag,<br />
24. September <strong>2023</strong> um 19.00 Uhr<br />
in der SZENE Salzburg<br />
interview_sven_regener<br />
7