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halb auf Englisch, weil wir dachten, auf<br />

Deutsch könne man solche Songs, wie<br />

wir sie wollten, nicht schreiben, weil der<br />

Sound der Sprache nicht passen würde.<br />

Sobald wir merkten, dass das nicht<br />

stimmte, gab es kein Halten mehr.<br />

≈ Es gibt diesen Moment beim Schreiben,<br />

wenn sich alles wie von selbst<br />

ergibt, nennen wir es »Mojo«. Verfügen<br />

Sie über dieses Schreib-Mojo immer<br />

im gleichen Ausmaß oder müssen<br />

Sie etwas dafür tun, es »streicheln«?<br />

Wenn ja, wie?<br />

Beim Songschreiben geht es bei mir immer<br />

um Musik, auch beim Text. Und Musik<br />

kommt irgendwie von selber.<br />

≈ Man kann, denke ich, die Bedeutung<br />

von EoC, was den unverkrampften<br />

Umgang mit der deutschen Sprache<br />

in der Musik anbelangt, gar nicht<br />

hoch genug einschätzen. Gibt es Junge<br />

MusikerInnen, die deshalb auf Sie<br />

zukommen, den Austausch suchen?<br />

Vielleicht, aber niemand sagt das so explizit<br />

und deshalb würde ich das auch<br />

niemandem unterstellen wollen. Die sind<br />

eigentlich alle immer sehr nett zu uns,<br />

aber das sind Musiker untereinander fast<br />

immer und das ist auch richtig so.<br />

≈ Auf dem letzten, tollen Album »Morgens<br />

um vier« zitieren Sie in »Liebe<br />

ist nur ein Wort« den gleichnamigen<br />

Roman von Johannes Mario Simmel.<br />

Und auch in »Glitterschnitter« wird<br />

Simmel mit »Niemand ist eine Insel«<br />

zitiert. Warum diese Simmel-Häufung?<br />

Ehrliche Begeisterung?<br />

Ja klar. Simmel hat auf manische Weise<br />

ein gewaltiges Werk geschaffen, das ist<br />

schon toll und auch sehr speziell. Man<br />

könnte auch einen auf kritische Distanz<br />

oder Ironie machen, aber das wäre albern.<br />

Wahrscheinlich ist auch Sentimentalität<br />

im Spiel, ich habe das ja alles als<br />

Jugendlicher gelesen, in den 70er Jahren,<br />

als Simmel ganz oben war und er genau<br />

in die Zeit und ihre Konflikte hineinpasste.<br />

≈ In »Wiener Straße« und »Glitterschnitter«<br />

geht es u.a. um ein Österreichisches<br />

Künstlerkollektiv, das die<br />

Wiener Melange und das anarchistische<br />

Element von Kunst gleichermaßen<br />

hochhält. Sie scheinen einen Faible<br />

für uns Ösis zu haben. Weshalb?<br />

In Österreich, so mein Eindruck, liebt man<br />

die Kunst und lebt ganz eng mit ihr zusammen.<br />

Man liebt (und hasst) auch die Künstler.<br />

In Deutschland ist das anders. Die<br />

Deutschen sind doch eher ein Volk von Ingenieuren<br />

und wollen immer von der Kunst<br />

wissen, wofür sie »eigentlich« gut sei, was<br />

sie zu bedeuten habe und so weiter und<br />

so fort. Man fordert von der Kunst Bildung,<br />

Aufklärung, Erziehung, moralische Aufrüstung,<br />

politische Agitation, – alles Dinge, die<br />

anderswo viel besser bedient werden können!<br />

– und dann wundert man sich, warum<br />

das Leben so langweilig ist!<br />

≈ Gibt es auch etwas, das sie überhaupt<br />

nicht leiden können an uns Österreichern<br />

bzw. der österreichischen Lebensart?<br />

Wenn es so wäre, würde ich es nicht sagen.<br />

Das gehört sich nicht. Da bin ich<br />

ganz Deutscher. Österreich beschimpfen<br />

dürfen nur Österreicher.<br />

≈ Vor einem knappen Jahr ist euer langjähriges<br />

Bandmitglied David Young<br />

gestorben. Seine Rolle ging weit<br />

über die eines Bassisten hinaus. Habt<br />

ihr damals übers Aufhören nachgedacht?<br />

David Young war mein bester Freund.<br />

Und er fehlt mir sehr. Aber das ist natürlich<br />

kein Grund, mit dem Musikmachen<br />

aufzuhören!<br />

≈ Ist das Stück »Dann kommst du wieder«<br />

als Abschieds-Song bzw. als<br />

Hommage an den alten Freund gedacht<br />

oder ist das albern, dass ich<br />

den Song so verstanden habe?<br />

Nein, das ist nicht albern, man kann<br />

den Song auch so verstehen. Aber man<br />

muss nicht.<br />

≈ Warum haben Sie sich als Junge die<br />

Trompete ausgesucht? Es gab damals<br />

sicher »logischere« Instrumente.<br />

Um Frauen zu beeindrucken wären<br />

Gitarre oder das Saxophon wohl naheliegender<br />

gewesen.<br />

Gitarre konnte ich schon, als ich mit<br />

Trompete anfing. Ich habe Musik auch<br />

nicht in erster Linie gemacht, um Frauen<br />

zu beeindrucken. An der Trompete gefielen<br />

mir immer der Sound und die Lautstärke,<br />

das Unmittelbare auch. Es gibt<br />

eigentlich kein Instrument, das näher an<br />

der menschlichen Stimme ist.<br />

≈ »Man hat nur eine richtige Band in seinem<br />

Leben« haben Sie neulich mal gesagt.<br />

Trotzdem touren Sie auch mit dem<br />

Jazz-Trio durch die Landen. Wieso?<br />

Das ist keine Band, das ist eher ein Projekt.<br />

Ich spiele gerne Trompete und ich<br />

liebe Jazzmusik.<br />

≈ Was ist es, das Sie am Jazz so lieben?<br />

Was macht ihn aus Ihrer Sicht<br />

besonders?<br />

Das Besondere am Jazz ist neben seinem<br />

musikalischen Wesen vor allem das<br />

Element der Improvisation. Wir haben es<br />

mit Regener Pappik Busch besonders<br />

mit Klassikern des modernen Jazz’ aus<br />

den 40er- bis 60er-Jahren zu tun und<br />

können uns durch die Improvisationen<br />

auf unsere Weise damit auseinandersetzen.<br />

Wir treten gewissermaßen in Kontakt<br />

mit einer anderen Welt und können<br />

darin kommunizieren.<br />

≈ In Ihrem aktuellen Buch »Glitterschnitter«<br />

geht es um die Zeit, von<br />

der sie vorhin gesprochen haben. Alles<br />

scheint möglich. Die Grenzen zwischen<br />

Konzert, Performance und Ausstellung<br />

verschwimmen. Es herrscht<br />

ein spielerischer Umgang mit Kunst.<br />

Wie ernst soll man sich und die eigene<br />

Kunst nehmen?<br />

Man kann sich und seine Kunst so ernst<br />

nehmen, wie man will, die Sache hat<br />

trotzdem auch immer ihre komische Seite.<br />

Wie bei Macbeth oder Kafka.<br />

≈ Hat Melancholie etwas Tröstliches für<br />

Sie?<br />

Nein. Melancholie ist immer schmerzhaft.<br />

Aber die Kunst tröstet, gerade auch<br />

die melancholische.<br />

Vielen Dank für das Gespräch<br />

Sven Regener (*1961 in Bremen) ist ein deutscher<br />

Musiker, Schriftsteller und Drehbuchautor. Bekannt<br />

geworden ist er zunächst durch die Band<br />

Element of Crime, später mit seinem Roman »Herr<br />

Lehmann«und dem Drehbuch zum gleichnamigen<br />

Film sowie mit den weiteren Romanen der »Lehmann-Serie«,<br />

»Neue Vahr Süd«, »Der kleine Bruder«,<br />

»Magical Mystery«, »Wiener Straße« und »Glitterschnitter«.<br />

Seine Lieblings-Jazz-Alben sind »Another<br />

Side of John Coltrane« und »Clifford Brown<br />

And Max Roach«.<br />

Element of Crime spielen Sonntag,<br />

24. September <strong>2023</strong> um 19.00 Uhr<br />

in der SZENE Salzburg<br />

interview_sven_regener<br />

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