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RSV-Festschrift

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Bewohner noch jahrzehntelang leben. Unteribental wurde erst<br />

nach dem 2. Weltkrieg an die Fernversorgung mit Elektrizität<br />

angeschlossen.<br />

Bei den Reichstagswahlen 1933 feierte die NSDAP auch in<br />

Unteribental einen deutlichen Sieg. Deshalb wurde auch hier<br />

die Rassenpolitik unterstützt, wie am Beispiel von Leo M.<br />

beschrieben. Im 1. Weltkrieg durch einen Kopfschuss schwer<br />

verletzt, durfte er zunächst als Kriegsversehrter auf dem elterlichen<br />

Hof leben und musste 1924 in die Heil- und Pflegeanstalt<br />

Emmendingen aufgenommen werden. Von dort kam er mit<br />

zahlreichen anderen Patienten nach Grafeneck, wo er am<br />

10. Juni 1940 starb. Die Eltern erhielten seine Asche mit der<br />

Mitteilung, er habe an einer ansteckenden Krankheit gelitten<br />

und seine Leiche deshalb verbrannt werden müssen. In Wirklichkeit<br />

wurde er mit größter Wahrscheinlichkeit im Rahmen der<br />

Aktion T4 ermordet.<br />

Langsam wurde klar, dass die Regierung Kriegsvorbereitungen<br />

traf, denn Faserstoffe, Fett, Schweinefleisch, Eier und Landbutter<br />

war ständig Mangelware. Um die Bevölkerung ruhig<br />

zu stellen, wurde gelegentlich tiefgefrorenes Schweinefleisch<br />

importiert. Der Schwarzmarkt florierte, billige Ersatzprodukte<br />

kamen auf den Markt und man fühlte sich an Kriegszeiten<br />

erinnert. Durch Propaganda und Luftschutzübungen wurde<br />

das Volk auf Luftangriffe vorbereitet. 1936 wurden in Kirchzarten<br />

Luftschutzschulen eingerichtet, die der Bevölkerung im<br />

Dreisamtal das richtige Verhalten bei Bombenangriffen beibrachten.<br />

Die Signale wurden immer unverkennbarer auf Krieg<br />

gestellt. Der Feldberg hatte sich in eine Festung verwandelt,<br />

überall lagen Wehrmachtseinheiten, große Gebiete waren für<br />

Zivilisten gesperrt. Am Westwall an der französischen Grenze<br />

wurde die militärische Befestigung ausgebaut und lief im März<br />

1939 auf Hochtouren. Die 33-jährigen wurden zu einer 8 bis 15<br />

wöchigen Ausbildung eingezogen. Die Jahrgänge 1906 – 1919<br />

wurden erfasst. Im Juli fanden Truppenbewegungen statt und<br />

am 25./26. August wurden die Gemeinden entlang der Grenze<br />

zu Frankreich evakuiert. Ab Ende August wurden Lebensmittel<br />

rationiert und die Bauern mussten alles außer den Selbstverbrauch<br />

an das Ernährungsamt abliefern. Verboten war auch<br />

Schlachten ohne Genehmigung oder der Aufkauf von Eiern<br />

ohne Berechtigungsschein, wie ein Mann und eine Frau aus<br />

Unteribental erfahren mussten: Er wurde im Oktober 1941 zu<br />

einer Geldstrafe von 5 Mark verurteilt, sie kam im Februar<br />

1945 sogar vor das Sondergericht Freiburg, das sie zu einem<br />

Monat Gefängnis verurteilte.<br />

Die Einberufungsaktion verlangte der hiesigen Landwirtschaft<br />

einiges ab, denn nahezu jeder Hof war davon betroffen. Diese<br />

fehlenden Arbeitskräfte versuchte man durch Zwangsarbeiter<br />

aus dem Polenfeldzug zu kompensieren. Im Archivalienverzeichnis<br />

von Unteribental wird auf eine Akte mit Namensverzeichnissen<br />

von Ausländern hingewiesen, aber sie ist trotz intensiver<br />

Suche nicht auffindbar. Fest steht, dass für die Arbeiter strenge<br />

Regeln galten: von 21 bis 6 Uhr bestand Ausgehverbot, sie<br />

durften keine öffentlichen Verkehrsmittel und keine Fahrräder<br />

benutzen. Sie durften sich nicht versammeln, Kirchen, Theater,<br />

Kinos und andere kulturelle Veranstaltungen nicht besuchen.<br />

Die Wohnung des Arbeitgebers war tabu und schlafen sollten<br />

sie in Stall und Scheune. Der Bauer hatte das Recht auf körperliche<br />

Züchtigung und Regelverstöße musste er der Gestapo<br />

anzeigen. Dies galt auch für die inzwischen eingetroffenen<br />

russischen Zwangsarbeiter. Sexuelle Beziehungen zu deutschen<br />

Frauen war für Polen und Russen ein Tatbestand, auf dem die<br />

Todesstrafe stand. Ein Verhältnis mit Franzosen oder Italiener<br />

wurde milder bestraft, mit einem Holländer sogar geduldet.<br />

Auch hier galt die Hierarchie des Rassismus. Ledige Frauen<br />

kamen in der Regel mit Gefängnisstrafen bis zu zehn Monaten<br />

davon. Verheiratete mussten ein bis zwei Jahre ins Zuchthaus.<br />

Strafverschärfend fiel ins Gewicht, wenn eine Frau Kinder hatte,<br />

ihr Mann an der Front stand, oder sie aus der Beziehung mit<br />

dem Ausländer ein Kind erwartete.<br />

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