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RSV-Festschrift

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1. und 2. Weltkrieg bis heute<br />

1915 wurde die gesamte landwirtschaftliche Produktion unter<br />

staatliche Kontrolle gestellt und 1916 steuerte das neue Kriegsernährungsamt<br />

die Versorgung mit Lebensmitteln. Es wurde alles<br />

zugeteilt, reglementiert und Bezugsscheine eingeführt. Die<br />

Höfe mussten mehr abliefern, als ihnen zugeteilt wurde. 1918<br />

wurde Fleisch so knapp, dass im Hirschen und bei den Privatleuten<br />

„fleischlose Wochen“ eingelegt wurden. Für Fleischkarten<br />

wurde als Ersatz Mehl und Grieß ausgegeben. Angesichts<br />

dieser ständigen Lebensmittelknappheit wurde der Markt mit<br />

minderwertigen Ersatzstoffen überschwemmt. Für die Finanzierung<br />

des Krieges wurden Haushaltsmittel aufgewendet und<br />

Privathaushalte wurden zur Abgabe von Metallgegenständen<br />

verpflichtet. 1915 begann die Einziehung aller Fünfundzwanzig-<br />

Pfennig-Münzen, 2 Wochen später Koch- und Backgeschirr aus<br />

Kupfer, Messing und Nickel, aber auch Stanniolpapier, Blechspielzeug,<br />

Milchkannen, Brenngeschirr und Glocken. Zur Unterstützung<br />

in der Landwirtschaft wurden Unteribental 15, später<br />

20 Kriegsgefangene (meist Russen) zugeteilt. Für sie wurde im<br />

abgebrannten Speichergebäude vom Leistmacherhof ein Lager<br />

eingerichtet, welches von 4 Zivilisten der Gemeinde bewacht<br />

wurde. Sie erhielten 30 Pfennig je Arbeitstag, in der Erntezeit<br />

tgl. 20 Pfennig Zulage in Form von Scheckmarken, einzulösen<br />

in bestimmten Geschäften.<br />

Die Heeresleitung wollte verhindern, dass die Gefangenen<br />

mittels Bargeld einen Fluchtversuch unternehmen könnten. Die<br />

Vorschriften sahen für die Gefangenen 3 warme Mahlzeiten<br />

tgl. vor, überwiegend aus Kartoffeln, 3 x in der Woche Fleisch,<br />

1 x Fisch, außerdem viel Gemüse und Hülsenfrüchte. Sie durften<br />

keine Zivilkleidung tragen, das Rauchen in Scheunen und<br />

Ställen, sowie das Betreten von Wirtschaften war verboten. Sie<br />

hatten grundsätzlich Alkoholverbot, doch betraf dies nicht den<br />

Hausmost der Bauern. Eine Bekanntmachung des Bürgermeisters<br />

lautete wie folgt: „Es wird darauf aufmerksam gemacht,<br />

dass jeder, nicht durch die Arbeit bedingte, Verkehr, besonders<br />

an Sonn- und Feiertagen, d.h. wenn nicht gearbeitet wird, von<br />

Seiten der Bevölkerung mit den z.Zt. hier beschäftigten Kriegsgefangenen<br />

strengstens verboten ist. Ebenfalls ist ein herandrängen<br />

an die Gefangenen, namentlich der Kinder, sowie ein<br />

beschenken derselben durch Zigarren u.a. andere Gegenstände<br />

unzulässig. Ferner ist verboten das verabreichen von alkoholischen<br />

Getränken. Denjenigen Landwirten, die gegen diese<br />

Vorschriften zuwiderhandeln, werden die ihnen zugewiesenen<br />

Gefangenen sofort entzogen.“<br />

Die Behörden beanstandeten immer wieder eine zu geringe<br />

Distanz gegenüber den Ausländern, wie z.B. Fluchthelfer,<br />

Töchter von Arbeitgebern unterhielten „Liebeleien“, Gefangene<br />

übernachteten auf den Höfen. Landkarten durften nicht<br />

in deren Hände gelangen und brauchbare Männerkleidung<br />

durfte nicht für Vogelscheuchen verwendet werden. Nach dem<br />

Waffenstillstand blieben die Russen noch ca. 2 Jahre, bis wieder<br />

deutsche Arbeitskräfte verfügbar waren und bekamen den gleichen<br />

Lohn wie freie Arbeiter.<br />

Nach Kriegsende begann die Inflation zu galoppieren. Im Dezember<br />

1922 bestritt eine 5-köpfige Familie ihren mtl. Lebensunterhalt<br />

mit 62.287 Mark, im Oktober 1923 musste sie bereits<br />

312 Mrd. und im Folgemonat unvorstellbare 50 Billionen Mark<br />

aufwenden. 1 Kilo Kartoffeln kostete am 10. Juli 1923 4.600<br />

Mark, am 22. September 1,04 Mio. und am 25. Oktober 1923<br />

schließlich 390 Mio. Papiermark. Die Inflation fraß zwar alle<br />

Schulden auf und ließ die Gläubiger leer ausgehen, aber auch<br />

die Ersparnisse lösten sich buchstäblich in Nichts auf. Die großen<br />

Verlierer waren die Arbeiter, bürgerliche Schicht und Rentner.<br />

Ein durchaus ansehnliches Vorkriegsvermögen von 50.000<br />

Mark war Ende 1923 gerade noch 0,0005 Goldpfennig wert.<br />

Da die Notenpresse der Regierung nicht mehr hinterherkam,<br />

druckte die Gemeinde eigenes Notgeld. Erst nach der Abwertung<br />

der Papiermark 1:1 Billion ging es 1924 mit der Währung<br />

wieder aufwärts.<br />

1921 schloss die Gemeinde Unteribental mit Karl Andris v.<br />

Mathislehof einen Vertrag zur Errichtung eines Kleinkraftwerks.<br />

Dies erwies sich als völlig unzureichend, vor allem während der<br />

„Drusch“ (Dreschen). Mit ständigen Stromausfällen mussten die<br />

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