RSV-Festschrift
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Die Altersversorgung auf den Höfen<br />
Für die Längenausdehnung eines Lehens, das nur durch Berg<br />
und Wald eingeschränkt war, bestanden keine bestimmten Vorschriften.<br />
Es galt das Recht: „Wer zu Ywa bauen will, der soll<br />
zu seinem Hof ausfahren an die Straße, und wo er dann Gut in<br />
dem Tal hat, da soll er fahren auf das Lehen, darauf er bauen<br />
will …“ Danach gab es also ursprünglich einen festen Besitz<br />
nur an dem Talboden, im Übrigen galt ein ziemlich weites Besetzungsrecht.<br />
In engem Zusammenhang mit dem Erbrecht steht die Altersversorgung,<br />
die in Zeiten ohne ‚soziales Netz‘ die Bauern stark<br />
beschäftigte. Waren die wirtschaftlichen Verhältnisse des Hofes<br />
in Ordnung und der Hoferbe ein tüchtiger Mann, war auch das<br />
Leibgeding der Eltern gesichert.<br />
Musste der Hof an Fremde übergeben werden, tat man gut<br />
daran, einen Vertrag aufzusetzen. Einen solchen ließen 1786<br />
Bauern aus dem oberen Ibental aufsetzen, bevor sie in das<br />
halbe Berghäuschen auf dem Winterberg zogen. Genauestens<br />
wurde vertraglich festgehalten, was „er, Leibgedingmann mit<br />
Weib und mehreren Kindern“, zu beanspruchen hatte.<br />
Auch im Erbrecht wird die alte Rechts- und Wirtschaftsgemeinschaft<br />
mit St. Peter sichtbar: Stirbt ein Ehegatte, so ist jedem<br />
lebenden Kind sein Anteil zugefallen, wenn es will, und<br />
dem überlebenden Teil auch das seine. Die Erben haben volle<br />
Verfügungsfreiheit über ihre Erbportion, nur das Haus solle<br />
dem überlebenden Gatten bleiben, nach dessen Ableben aber<br />
ebenso wie anderes Gut, geteilt werden.<br />
„Jeglichem Kind ist sein Teil gefallen, wenn es will“ sagt das<br />
Weistum des Ibentals. Mit dieser Berechtigung war der Güterzersplitterung<br />
Tür und Tor geöffnet. „Wenn einem Lehenmann<br />
Not angeht, so mag er um seine Schulden zu bezahlen, sein<br />
liegend Gut angreifen, so weit, dass er selber nach dem Urteil<br />
seiner Nachbarn noch auf seinem Hof bleiben kann. Wird er<br />
aber von Alter und Siechtum schwach, so mag er alles verkaufen<br />
bis an das Haus; wenn er an dies kommt, so mag er die<br />
Wände um und um verkaufen und erst wenn er an die sechste<br />
Säule kommt, so soll er zu dem Herrn sprechen: ‚Geht her und<br />
nehmt den Dritteil und lasst mir die zwei Teile, denn ich vermag<br />
nicht mehr zu bleiben.‘ Und das soll ihm niemand wehren.“<br />
Trotz diesem offensichtlichen Zerschlagen der Güter enthält das<br />
Weistum von Unteribental auch erste Ansätze für das bis in die<br />
jüngste Zeit geltende Minorat (Erbrecht des jüngsten Sohnes)<br />
und für die noch heute geltende Unteilbarkeit der geschlossenen<br />
Hofgüter.<br />
66<br />
Wovon lebte nun eine solche kinderreiche Familie? Zwei Kühe<br />
standen im Stall, dazu ein Schwein und zwei Hühner. Mit<br />
einem Schlachtfest vor Weihnachten war also nicht zu rechnen.<br />
Ganz ohne Wurst und Speck wollte man aber nicht sein: Jährlich<br />
waren 40 Pfund geräucherter Speck, ein „Hammerstrumpf“<br />
(ein Schinken) und von jeder Wurstsorte eine für die Leibgedinger<br />
fällig. Sollte eine Kuh eingehen, musste der Hofbauer<br />
täglich ein Maß Milch, ca. 1,5 Liter liefern. Die Matten für das<br />
Viehfutter waren vom Bauern unentgeltlich zu mähen, einen<br />
Kuhstall, ein Milchhaus und einen Schweinestall hatte ebenfalls<br />
der Bauer einzurichten. Zum Kochen und Heizen wurden<br />
vier Klafter Tannenholz und drei Buchenholz benötigt, für die<br />
ebenfalls der jetzt auf dem Hof sitzende Bauer zu sorgen hatte.<br />
Ein Krautgarten und ein Stück Rübenfeld ergänzten den Speisezettel<br />
mit Gemüse. Das notwendige Getreide hatte wiederum<br />
der Bauer zu liefern: 10 Sester Winter- und 24 Sommerfrucht,<br />
34 Sester Mischlete (meist Hafer und Hülsenfrüchte gemischt)<br />
sowie 22 Sester Hafer und 1 Sester Hafermehl, insgesamt 90<br />
Sester. Die benötigten zehn Sester Erdäpfel (Kartoffeln) wollten<br />
die Leibgedinger selbst setzen, natürlich in das vom Bauern<br />
„gebesserte“ (gedüngte) Feld. Drei Kirschbäume und ein Apfelbaum<br />
würden ihnen ebenfalls zustehen, dazu „alljährlich das<br />
nöthige Kornstroh in die Better und die Helmen in die Säck“,<br />
vier Pfund Schafwolle zum Verspinnen usw. Was für einen Wert<br />
musste ein großer Hof haben, welchen Status ein Hofbauer,<br />
wenn die ihn notgedrungen Abgebenden so viele Forderungen<br />
stellen konnten!